Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Desaster“ am Flughafen Berlin
Kann der Staat nicht planen?

Die BRD leistet sich mit Stuttgart 21 und BER die derzeit größten Infrastrukturprojekte Europas. Aber auch damit wird das reiche Land nicht glücklich. Noch bevor der Bau von Stuttgart 21 begonnen hat, wird er schon um 2 Milliarden teurer, und beim Berliner Flughafen ist der Eröffnungstermin bereits zum vierten Mal geplatzt, von den Mehrkosten gar nicht zu reden. Die Öffentlichkeit entrüstet sich über „unfassbare Baumängel“, über „ zu kurze Rolltreppen“, „Kabelsalat“ und rumänische Billigarbeiter, die in ihrem Unverstand an unserem hochmodernen Flughafen nur „Pfusch“ bauen. Und nicht zuletzt über Politiker, die das alles zu verantworten haben, aber „es“ nicht können.

Was da staatlicherseits geplant wird und mit welchen Mitteln die Vorhaben umgesetzt werden, ist der Öffentlichkeit in ihrem Recht auf den Erfolg der deutschen Prestigeobjekte freilich so selbstverständlich, dass eine nähere Befassung damit gar nicht in Betracht gezogen wird.

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Desaster am Flughafen Berlin
Kann der Staat nicht planen?

Die BRD leistet sich mit Stuttgart 21 und BER die derzeit größten Infrastrukturprojekte Europas. Aber auch damit wird das reiche Land nicht glücklich. Noch bevor der Bau von Stuttgart 21 begonnen hat, wird er schon um 2 Milliarden teurer, und beim Berliner Flughafen ist der Eröffnungstermin bereits zum vierten Mal geplatzt, von den Mehrkosten gar nicht zu reden. Die Öffentlichkeit entrüstet sich über „unfassbare Baumängel“, über „ zu kurze Rolltreppen“, „Kabelsalat“ und rumänische Billigarbeiter, die in ihrem Unverstand an unserem hochmodernen Flughafen nur „Pfusch“ bauen. Und nicht zuletzt über Politiker, die das alles zu verantworten haben, aber „es“ nicht können.

Was da staatlicherseits geplant wird und mit welchen Mitteln die Vorhaben umgesetzt werden, ist der Öffentlichkeit in ihrem Recht auf den Erfolg der deutschen Prestigeobjekte freilich so selbstverständlich, dass eine nähere Befassung damit gar nicht in Betracht gezogen wird.

1. Das Bauvorhaben

ist einzigartig. Der neue Flughafen soll nicht einfach ein Bahnhof zum Ein-, Aus- und Umsteigen von Flugpassagieren werden, sondern Deutschlands Tor zur Welt, Internationales Verkehrsdrehkreuz, Regierungsflughafen, Signal für den Aufbau Ost, Impulsgeber in der Mitte Europas und Wirtschaftsmotor. Es ist schon interessant, was für Aufträge und Ambitionen sich mit einem Luftlandeplatz verbinden lassen. Unter einer architektonischen Visitenkarte der Nation, einem Luft-Drehkreuz europäischer Dimension und unter einem Geschäft, das den kriselnden Osten hochzieht, tun es die Bauherren – der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenburg – nicht. Das alles soll ihnen der Flughafen leisten.

Berlin will eben nicht nur die Hauptstadt sein, in der die Richtlinien der europäischen Politik formuliert werden, es will es in jeder Hinsicht, also auch wirtschaftlich und kulturell, mit den anderen Hauptstädten aufnehmen können. Es soll die europäische Metropole werden, um die man „nicht herumkommt“.

Dazu braucht der neue Flughafen erst einmal Größe, kleinere Exemplare gibt es in Berlin ja schon: Das Ding heißt also Großflughafen und muss zur europäischen Drehscheibe avancieren, die anderen Drehscheiben Passagiere und Umsatz wegnimmt. Dann wird der Flughafen zweitens zur Quelle von neuem Geschäft über den Lufttransport hinaus: zur riesigen Shopping Mall, zum Kongresszentrum und sein Umfeld zum attraktiven Standort globaler Unternehmen. Als solcher Faktor in der Konkurrenz der Wirtschaftsstandorte soll er das Gut in die Region bringen, das sie nach Meinung des politischen und wirtschaftlichen Sachverstandes am dringendsten braucht: rentable Arbeit.

Damit der Flughafen all das leistet und darüber hinaus Macht und Reichtum der Republik mit Stil und Geschmack repräsentiert und Staatsgästen, Wirtschaftsführern und Touristen aus aller Welt verdeutlicht, welch ausgezeichneten Ort sie aufsuchen, wenn sie in Berlin Station machen, muss er auch noch im Sinn der höheren, kulturellen Nationenkonkurrenz mithalten können: Er braucht eine einmalige Architektur, gewagt, technisch innovativ und zugleich deutsch zuverlässig. Das Terminal muss Staatsgäste repräsentativ empfangen, normale Passagiere zügig abfertigen, ihnen angemessene Annehmlichkeiten und jede Menge Einkaufsgelegenheiten bieten. Die Anlage soll bei ihrer Eröffnung ausgelastet sein, aber nicht zu klein, muss mit ihrem Erfolg mitwachsen können, aber nicht überdimensioniert ausfallen usw.

Kein Wunder, dass der Baufortschritt von dauernden Änderungswünschen des Bauherren begleitet wird. Eine wichtige Ursache des Debakels waren ‚gravierende Eingriffe‘ und ‚massive Änderungen‘ in der Planung durch die Flughafenbetreiber. (FAZ, 13.1.13)

Wenn es darum geht, das Ideal eines unschlagbaren Konkurrenzmittels architektonisch zu fassen, müssen eben auch noch während der Bauphase die zu erwartenden Passagierzahlen nachjustiert sowie alle anderen Haken und Ösen des Geschäftsgangs im Luftverkehr bedacht und per Nachplanung berücksichtigt werden.

Für dieses Projekt ist so schnell nichts zu teuer, Kosten und Mühen werden nicht gescheut. Zugleich soll der Flughafen aber ein gigantisches Geschäft werden. Die Kosten für diesen Hybrid aus Staatsrepräsentation, Massentransport und Regionalentwicklung müssen sich lohnen. Das herzustellen trauen sich die Bauherren zu. Und dafür entwickeln sie ganz eigene Formen von kapitalistischen Unternehmen und Unternehmensführung.

2. Der Bauherr

Um nicht erst den Betrieb, sondern schon den Bau des Flughafens als Profitgeschäft abzuwickeln, bietet der Staat der Privatwirtschaft die Durchführung der Bauarbeiten als Investitionsgelegenheit an. Schon bei seiner Errichtung soll sich das Projekt als Wirtschaftsmotor bewähren; zugleich soll die private Regie die kosteneffiziente Abwicklung des staatlichen Vorhabens gewährleisten. Denn wenn das Bauvorhaben unter Kapitalbeteiligung privater Unternehmen abgewickelt wird – so die Vorstellung –, wäre auch eine Garantie für die „Wirtschaftlichkeit“ der Arbeiten gegeben. Wer könnte besser und günstiger die sachlichen Voraussetzungen für das Gelingen all der spekulativen Berechnungen mit dem Flughafen schaffen als private Kapitalgeber, die den Bau als Gewinnquelle kalkulieren?

Dafür, dass private Unternehmer bereit sind, die finanziellen Risiken zu übernehmen, die der staatliche Bauherr mit seinem Investitionsangebot loswerden will, muss er ihnen einen Preis für das schlüsselfertige Bauvorhaben bieten, das ihnen eine angemessene Rendite garantiert – auch für den absehbaren Fall, dass Veränderungen und Verzögerungen eintreten. Dazu ist wiederum der Bauherr nicht bereit.

„1999: Der Flughafen sollte komplett unter privater Regie gebaut werden... Im Mai 2003 scheitert endgültig die geplante Privatisierung der Bauarbeiten durch einen Generalübernehmer, weil die Bewerber aus Sicht der Gesellschafter keine finanziellen Risiken tragen wollen. Das Projekt BER wird ab jetzt in öffentlicher Regie weiterverfolgt. Der Abbruch des Privatisierungsverfahrens kostet laut Presseberichten 41 Millionen Euro.“ (Chronologie: Der lange Weg zum BER, rbb-online, 14.3.13)

Dass die privaten Unternehmen ein Engagement ablehnen, heißt freilich nicht, dass der Staat den Anspruch, den Flughafenbau nach privatwirtschaftlichen Maßstäben zu kalkulieren, fallen lassen würde. Stadt, Land und Bund beschließen, sich für den Bau des Flughafens selbst als privates Unternehmen zu organisieren. Sie übernehmen die bisherige Flughafengesellschaft Schönefeld zu 100 % und fungieren so als Gesellschafter eines privatrechtlichen Unternehmens.

„Planung und Bau des Flughafens Berlin Brandenburg liegen in der Verantwortung der Flughafen Berlin-Schönefeld GmbH (FBS), die den Flughafen auch betreiben wird. Die FBS ist eine privatrechtliche Gesellschaft, an der die Länder Brandenburg und Berlin mit je 37 % und die Bundesrepublik Deutschland mit 26 % beteiligt sind. Die Finanzierung des Flughafens Berlin Brandenburg erfolgt auf Grundlage eines von der FBS erarbeiteten Businessplans. Auf dieser Grundlage hat die FBS zur Abdeckung eines Teils der Gesamtinvestition eine Langfristfinanzierung arrangiert, die von den drei Gesellschaftern in Höhe ihrer Anteile an der FBS verbürgt worden ist. Der Businessplan der FBS sieht vor, dass die Zinsen und Tilgung für die Langfristfinanzierung aus den Erträgen des Flughafens finanziert werden. Die drei Gesellschafter haben der FBS auf Grundlage einer Rahmenvereinbarung aus dem Jahr 2005 – nach ihren Geschäftsanteilen – in den Jahren 2005 bis 2010 insgesamt 430 Mio. € (Brandenburg: rd. 159,1 Mio. €) zur Finanzierung des Flughafens Berlin Brandenburg zur Verfügung gestellt. Danach sind weitere Finanzierungsbeiträge der Gesellschafter für das Projekt nicht vorgesehen. Die Bürgschaft ist auf der Grundlage der geltenden Vorschriften – nach Prüfung der technischen und wirtschaftlichen Tragfähigkeit des Projekts im Auftrag der Bürgen durch eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – in der begründeten Erwartung erteilt worden, dass die Bürgschaft nicht in Anspruch genommen wird.“ (Landtag Brandenburg Drucksache 5/3819)

Für die Finanzierung werden Mittel der öffentlichen Hand in die privatrechtliche Gesellschaft übertragen, die dort als Eigenkapital fungieren. Darauf, ergänzt und abgesichert durch staatliche Bürgschaft, wird von den Banken eine Langfristfinanzierung gewährt, die die Flughafengesellschaft mit Zins und Tilgung aus dem Flugbetrieb bedienen will. So, mit der Verwandlung von Haushaltsmitteln in Kapital und der Absicherung privater Bankkredite durch die staatliche Bürgschaft, soll das Ideal wahr gemacht werden, dass für den Bau des Flughafens, der sich nicht an privaten Rentabilitätsrechnungen orientiert, soviel Geld wie nötig da ist und diese Ausgaben für den Standort gleichzeitig keine Unkosten sind, die ihn belasten, sondern eine Zukunftsinvestition, die sich lohnt. Die FBS stellt dank der Bürgschaften vorderhand eine AAA-Geldanlage dar, deren geschäftlicher Erfolg sich freilich durch die Zinsbedienung aus dem Flughafenbetrieb erst noch realisieren muss. Und das ist umso eher der Fall, je kostengünstiger und je früher sich ein Maximum an Geschäftspotential mit Walk-Through-Areas, Logistikzentren und Gewerbeparks realisieren lässt, die zum Geschäft mit dem Fliegen noch hinzukommen.

3. Die Realisierung

Mit diesem Anliegen wendet sich der Staat in Gestalt der FBS als Kunde an die Bauwirtschaft. Dabei ist ihm der Gegensatz zwischen sich als Auftraggeber und dem Privatkapital als Auftragnehmer selbstverständlich bekannt – Baufirmen verdienen nun mal umso mehr, je teurer der Bau für den Staat wird –, also begleitetet ihn bei der Auftragsvergabe der beständige Verdacht, übervorteilt zu werden: Seine Zahlungsfähigkeit soll von den Unternehmen nicht dahingehend missbraucht werden können, dass er deren Gewinne einfach stiftet; stattdessen will er an ihrer Produktivität mit niedrigen Preisen für sein Projekt partizipieren.

Um das zu gewährleisten, bedient er sich des Instruments der Ausschreibung. Er lässt die Privaten um sich als Kunden konkurrieren und gibt für die beschriebenen Leistungen einen Kostenrahmen vor, an dem die Bewerber ihre Wirtschaftlichkeit zu beweisen haben. So will er garantieren, dass er für eine Ware, für die es ja keinen Marktpreis gibt, nicht mehr zahlt als nötig.

Wieviel das ist, muss sich in der Konkurrenz zwischen Staat und Privatwirtschaft und der Privatwirtschaft untereinander erst noch herausstellen.

„Geplant sind nach Medienberichten für den Bau des Terminals Kosten von 630 Millionen Euro. Die Angebote ... sollen bis zu 400 Millionen Euro darüber gelegen haben.“ (Spiegel online, 11.10.2007)

Die Bauunternehmen beziehen sich auf den vorgegebenen Kostenrahmen des Staates als das, was er ist, ein Verhandlungsangebot, bewerten es als zu niedrig und überschreiten es deutlich. Dagegen beharrt der Staat auf seinen Preisvorstellungen:

„Das Aufsichtsgremium des Flughafenbetreibers ‚Flughafen Berlin Schönefeld‘ (FBS) hatte in den vergangenen Tagen das Vergabeverfahren der Bauarbeiten für den Großflughafen Berlin Brandenburg International (BBI) aufgehoben. Als Grund nannte der Flughafenbetreiber ‚unter anderem die Unwirtschaftlichkeit der vier eingegangenen Angebote‘. Sie seien deutlich zu teuer gewesen. Die Aufträge sollen nun in sieben Einzelteilen neu ausgeschrieben werden.“ (ebd.)

Um die Preisvorstellungen der FBS durchzusetzen, wird in einer neuen Ausschreibung das Gesamtvolumen des Auftrags in sieben Teillose aufgeteilt. So können sich auch kleinere Firmen bewerben, der Umkreis der möglichen Interessenten und Konkurrenten wird erweitert und die Preiskonkurrenz verschärft. Der Verband der großen Bauindustrie beklagt sich über die vollkommen unrealistischen Preisforderungen des Bauherren.

„Der Bauindustrieverband Berlin-Brandenburg hatte die Gesellschafter kritisiert. Wenn der Aufsichtsrat der Flughafengesellschaft über steigende Kosten beim Bau des Terminals erschrocken sei, müsse er sich fragen lassen, ob bei der Ausschreibung des Projekts die Kosten nicht zu niedrig kalkuliert waren, erklärte der Verband.“ (ebd.)

Ein Bewerber klagt sogar: Hochtief führt an, dass das Projekt nun mal einfach um 400 Millionen teurer, die Aufhebung der Ausschreibung also nicht rechtens sei, und fordert unter Berufung auf das Vergaberecht Schadensersatz für die Kosten, die durch die Beteiligung an der Ausschreibung entstanden seien.

Selbstverständlich hört der Streit zwischen dem Bauherrn und seinen privaten Auftragnehmern mit Auftragsvergabe nicht auf. Die Firmen haben eng kalkuliert, um den Zuschlag zu erhalten – Die Wirtschaftwissenschaftler sprechen in diesem Zusammenhang vom ‚Fluch des Gewinners‘, womit gemeint ist, dass immer das Unternehmen eine Ausschreibung gewinnt, das sich zu seinen Lasten verkalkuliert hat.(FAZ, 13.3.13). Hinterher sorgen die siegreichen Bewerber dafür, dass die Sache entschieden mehr kostet, als sie bei der Ausschreibung versprochen hatten: Nachforderungen begründen sie mit besonderen Schwierigkeiten, Abweichungen vom Plan, nachträglichen Wünschen des Bauherren etc; und weil die nicht mehr unter die Ausschreibungspflicht fallen, geraten sie deutlich teurer als vergleichbare Leistungen in der ursprünglichen Kalkulation. Fachleute wissen:

„Ergänzungen der Leistungsbeschreibung erfolgen im Laufe des Verfahrens, oft genug sogar erst nach dem Zuschlag, was natürlich Nachtragsforderungen der beauftragten Bauunternehmen zur Folge hat. Die dann vereinbarten Preise werden nicht mehr im Wettbewerb gefunden. Man kann deshalb sogar die paradoxe Situation beobachten, dass nachträgliche Auftragsreduzierungen, die die Kosten senken sollen, am Ende zu Mehrkosten führen.“ (ebd.)

Der Bauherr, der die Preiserhöhung nicht bestellt hat, erkennt darin den Versuch, seine mit dem Zuschlag an eine bestimmte Firma eingegangene Abhängigkeit auszunutzen und zahlt erst mal nicht.

„Unterdessen beschweren sich nach Angaben des Bauindustrieverbandes Berlin-Brandenburg viele Baufirmen, der Flughafen zahle seine Rechnungen nicht. Es handele sich um rund 100 Firmen, die auf ihr Geld für fertige Leistungen warten, sagte der Hauptgeschäftsführer Axel Wunschel. Sein Kollege Reinhold Dellmann von der Fachgemeinschaft Bau, die eher die kleineren Firmen vertritt, bestätigt, dass es verzögerte Zahlungen gibt: „Die Situation am Flughafen ist aber auch nicht anders als bei anderen öffentlichen Baustellen“, sagte Dellmann. Flughafensprecher Kunkel wies die Kritik zurück: Was fertig sei, werde auch bezahlt. (Berliner Morgenpost, Januar 2013)

Wann ein Auftrag erledigt ist, ob als Zusatzaufwand berechnete Leistungen nicht im Pauschalpreis schon enthalten sind etc. – alles das und noch vieles mehr ist umstritten. So wird begleitend zum Baufortschritt auf allen Ebenen der Juristerei zwischen den entgegengesetzt interessierten Vertragspartnern darum gerungen, wessen Vorstellungen von preiswert schließlich rechtliche Geltung erlangen.

Die Leistungserbringer sichern ihre Gewinne gegen die Preisdrückerei des staatlichen Kunden nur einerseits dadurch, dass sie per Nachforderung die vereinbarten Preise erhöhen; andererseits senken sie im Interesse desselben Ziels die Preise, die sie selbst bezahlen müssen. Dabei bedienen sie sich einer Methode zur „Steigerung der wirtschaftlichen Effizienz“, die zwischen Staat und Privatwirtschaft erst mal gar nicht strittig ist; zwischen den beteiligten Unternehmen dafür umso mehr:

Neben einschlägigen Einsparungen an Verwaltung, Material und Lohn im eigenen Haus greifen die großen Bauunternehmen zur Kostensenkung auf so genannte „Nachunternehmen“ zurück. Teile der vereinbarten Leistung erbringen sie nicht selbst, sondern gliedern sie aus und übergeben sie anderen Firmen, die mit „günstigeren Gestehungskosten“ diese Leistung zu Preisen bieten, die dem Generalunternehmer seine Gewinnmarge sichern. Die in der Regel mittelständischen Unternehmen beherrschen diese Technik selbstverständlich auch, und so wird, begleitet von dem entsprechenden Vertragsgestrüpp auf der Berliner Baustelle, schließlich eine Vielzahl von Firmen beschäftigt, die ihren Kostendruck und ihre Gewinnansprüche an immer „fähigere“ Firmen weiterreichen. Worin das Kunststück der immer günstigeren Gestehungskosten in erster Linie besteht, wird deutlich, wenn es zum Skandal kommt, weil osteuropäische Arbeiter keinen Lohn bekommen und unter elenden Bedingungen auf der Baustelle hausen. Dann hagelt es Vorwürfe :

„Wie kann sich im hoch regulierten Deutschland auf einer Baustelle, im Auftrag zweier sozialdemokratisch regierter Bundesländer, ein solches Beschäftigungssystem ausbreiten?“ Und der Grund wird gleich noch dazu gesagt: „Auftraggeber und Generalunternehmen haben kein Interesse an der Durchsetzung von ordentlichen Verträgen.“ (Berliner Republik, Das Debattenmagazin, 2/12).

So elegant diese Methode der Kostensenkung ist, sie hat auch ihren Nachteil: Ausgehend von acht Generalunternehmen sind auf der Berliner Baustelle schließlich eine Menge „Nachunternehmen“ tätig, von denen wiederum mindestens eine Hundertschaft von Sub-und Subsubunternehmen abhängt. Und jedes dieser Unternehmen stellt mit dem Auftrag, den es ergattert, seine eigene Gewinnkalkulation an. Also werden Kühlleitungen auch ohne Isolierung verlegt oder zu kurze Rolltreppen verbaut, weil falsche geliefert wurden und nachträgliche Korrekturen nicht in die Terminplanung des ausführenden Unternehmens passen. Seinen Auftrag arbeitet es schon mal ab, um ihn in Rechnung zu stellen. Umgekehrt geht so manche Terminabsprache daneben, wenn es aus der eigenen Geschäftsperspektive nun mal „nicht anders geht“. Zur Not werden sogar Konventionalstrafen in Kauf genommen, denn selbstverständlich sind – weil man um die eigensinnigen Interessen der am Bau zur Kooperation antretenden Firmen weiß – alle Verträge mit Strafen für Terminüberschreitung oder mangelhafte Ausführung bewehrt.

Leerlauf, Überschneidungen, fehlerhafte Ausführungen mit mangelhaftem Material und Nachbesserungen kosten immer mehr Zeit, und so kommt es, dass nach 6 Jahren Bauzeit an einer Baustelle, auf der über vier Jahre 3000 Leute im 3-Schichtbetrieb in einer 6-Tage Woche arbeiten, zum Eröffnungstermin „Kabelsalat verlegt“ ist, die hochmoderne Brandschutzanlage nicht geht und der Staat mit „erheblichen Mehrkosten“ für die Schönheiten seiner marktwirtschaftlichen Arbeitsteilung zu zahlen hat:

„Die höheren Baukosten ergeben sich laut Flughafensprecher aus drei Quellen: Erstens aus der Verlängerung der Baustelle um zehn Monate. (Stand Januar 2013) Zweitens aus den Problemen mit der nicht funktionierenden Brandschutzanlage. Und drittens aus neu bewerteten Nachtragsforderungen der Bauunternehmen. Welche Summen für die einzelnen Posten zusammenkommen, hält der Flughafen geheim. Wie zu hören war, gibt es vor allem an der Bauüberwachung der PG BBI Kritik. So seien zahlreiche Nachtragsforderungen von Baufirmen, die auch durch die Schwierigkeiten mit der Planung verursacht seien, nicht zeitnah geprüft und an die Flughafengesellschaft weitergegeben worden.“ (Berliner Morgenpost, Januar 2013)

Kritik angesichts der Mehrkosten gibt es staatlicherseits an der Instanz, die durch mangelhafte Überwachung zugelassen hat, dass die Kosten aus dem Ruder laufen. Die ist – mittlerweile üblich bei derartigen Großprojekten – selbst ein Privatgeschäft. An das hat der staatliche Bauherr seine ureigene Funktion der Planung, Koordination und Überwachung der Arbeit der ausführenden Firmen delegiert und zahlt dafür ein Honorar. Damit macht er den notwendigen Kampf zwischen den kollidierenden eigenen Interessen und denen seiner Baufirmen zum Gegenstand einer eigener Gewinnkalkulation – mit dem kleinen Nebenwiderspruch, dass das beauftragte Architektur- und Planungsbüro an einem expandierenden Auftragsvolumen ja selbst mehr verdient, also kein rechtes Interesse daran hat, durch eigenes Sparen und Warnen vor Mehrkosten den Umfang des Auftrags einzuschränken.

„Projektbetreuung“ besteht eben nicht einfach in einem sinnvollen Bezug der Teilarbeiten aufeinander, sondern darin, mit und gegen alle am Bau beschäftigten Unternehmen, also trotz ihrer gegensätzlichen Geldinteressen einen Flughafen zustande zu bringen. Der absurden Aufgabenstellung, mit der sich die Praktiker der Planungsbüros herumschlagen und an der sie verdienen, entspricht dann die Sichtweise des Bauherren, die mannigfachen Missstände, Mehrkosten und Baumängel, die die hochgelobte marktwirtschaftliche Art der Arbeitsteilung so mit sich bringt, dem mit Planung und Kontrolle beauftragten Architekturbüro als Versäumnis und Versagen anzulasten. Der FBS kündigt dem Versager und verklagt ihn auf Schadenersatz.

„Dem Generalplaner war im Mai (2012) wegen des Debakels gekündigt worden. Die Flughafengesellschaft hatte dies damals insbesondere mit einer ‚mangelhaften Koordinierung der Bauüberwachungsleistungen‘ begründet. Mit der Klage machten die Flughafenbetreiber einen Schaden von 80 Millionen geltend.“ (Welt.de, 30.7.12)

So, eben als großes „Desaster“ mit gehörigen Verzögerungen, einer Verdopplung des ursprünglich vereinbarten Preises und dauernden juristischen Auseinandersetzungen zwischen allen Beteiligten kommen staatliche Großprojekte im Kapitalismus dann schon zustande – begleitet selbstverständlich von der politischen Aufarbeitung des Skandals, der sie auch regelmäßig sind.

4. Der Skandal

Als nach mehrmaliger Verschiebung der für März mit großem Pomp geplante Eröffnungstermin platzt, wird das Vorzeigeprojekt BER zum Skandalflughafen. Nicht weil angesichts der 20 000 Baumängel, die BILD aufzulisten weiß, der ganz normale Wahnsinn marktwirtschaftlicher Kooperation in den Focus der Öffentlichkeit rücken würde, sondern weil sich die deutsche Hauptstadt in den Augen der Presse mit ihrem Leuchtturmprojekt gründlich blamiert. Statt ein Zeugnis höchster Ingenieurskunst und deutscher Organisationsfähigkeit abzulegen, beschädigt die unfertige Baustelle den Ruf Deutschlands.

„Die Brandschutzanlage ist auch deshalb so komplex und fehleranfällig, weil Rauchschwaden unter dem Gebäude hindurch ins Freie geleitet werden sollen. Eine vergleichbare Anlage gibt es noch nirgends. Sie wurde gebaut, weil der Flughafen ein Flachdach hat, auf dem aus ästhetischen Gründen keine Schornsteine vorgesehen sind, und weil im Gebäude keine großen Rohre zu sehen sein sollen. Der Rauchabzug über das unterirdische Rohrnetz funktioniert noch nicht.“ (FAZ 13.1.13)

Wenn’s nicht klappt, ist die innovative Umkehrung der natürlichen Bewegungsrichtung des Rauches auf einmal keine geniale Ästhetik mehr, sondern Größenwahn; und die nachträgliche Anpassung der Planung ans erwartete, wachsende Verkehrsaufkommen wird zur Planlosigkeit:

„Normalerweise gibt es für einen Flughafen einen Plan. In dem steht drin, für welche Kapazitäten das Projekt ausgelegt ist. Im Falle BBI war das aber alles anders.“ (Berliner Morgenpost, Januar 2013)

Die großartige Investition in die Zukunft ist jetzt nichts anderes mehr als eine gigantische Verschwendung „unserer Steuergelder“. Versagt haben, wie es sich in der Demokratie gehört, wenn etwas daneben geht, die verantwortlichen Politiker, auf die „wir“ uns verlassen. Sie haben es an Aufsicht, Überblick und insgesamt an Erfolg fehlen lassen. Das verlangt Konsequenzen und die werden auch konsequent gezogen: Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der FBS, der regierende Bürgermeister von Berlin entlässt sich selbst und überlässt das Amt seinem Co, dem Ministerpräsidenten von Brandenburg. Platzeck verspricht, was bisher gefehlt hat, nämlich entschlossene Führung und stellt zur Bekräftigung seines ernsten Willens in Aussicht, bei weiteren Blamagen nicht nur als Aufsichtsrat, sondern gleich als Ministerpräsident zurückzutreten. Schließlich wird der ebenfalls entlassene Geschäftsführer der FBS durch einen allseits bekannten Sanierer ersetzt, der an seinem robusten Willen zur Durchsetzung noch nie Zweifel gelassen hat.

„Was im ersten Moment wie ein Akt schierer Verzweiflung wirkt – ein 70 Jahre alter früherer Manager übernimmt es, die Problembaustelle in Schönefeld bei Berlin in größter Eile zu einem funktionierenden Flughafen zu machen – , entfaltet bei näherer Betrachtung einigen Charme. Denn dass der Bahnchef a.D. und Air-Berlin-Chef a.D. ein tüchtiger Mann ist, bestreiten ihm nicht einmal seine Lieblingsgegner. Zimperlich darf man auf dieser Baustelle nicht sein, und Mehdorn ist das nicht im geringsten.“ (FAZ, 9.3.13)

Da kommt Zuversicht auf.

*

Ein Mosaikstein des fälligen Skandals bleibt den Hauptstadtpolitikern übrigens erspart, weil sie rechtzeitig vorgebaut haben: Der Korruptionsvorwurf fehlt – und das obwohl der staatliche Auftraggeber, wie sich im Nachhinein herausstellt, ein offenbar unfähiges Planungsbüro beauftragt hatte. Die Frage liegt ja auf der Hand, warum statt all der in der Marktwirtschaft per definitionem hoch kompetenten Unternehmen ausgerechnet dieser Versager gewählt wurde, und ebenso der Verdacht, dass das nicht mit rechten Dingen zugegangen sein kann.

„Die PG BBI stand ohnehin schon in der Kritik, weil sie nicht nur die Details des Baus plante, sondern gleichzeitig dafür zuständig war, die Fortschritte auf der eigenen Baustelle zu überwachen. Diese Doppelfunktion halten viele Vergaberechtsexperten für problematisch. Beim Bau der Start- und Landebahnen hatte das Oberlandesgericht Brandenburg im Januar 2007 entschieden, dass die beiden Aufgaben getrennt voneinander sein müssen.“ (PNN, 1.2.13)

Beste Korruptionsvoraussetzung also! Aber die Berliner haben Vorsorge getroffen. Sie wussten, dass bei diesem Projekt Korruptionsvorwürfe nicht ausbleiben würden; wie eben stets, wenn der Staat seine Wirtschaft mit großen Verdienstmöglichkeiten bedenkt und – wie stets – mit deren Leistungen unzufrieden ist.

„Die BER-Gesellschaft selbst hat 2005 mit der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International einen Integritätspakt geschlossen. Seither prüft ein externer Mitarbeiter beim BER, ob die Vergabeverfahren korrekt ablaufen – allerdings nur auf den Flughafen beschränkt. ‚Es gab bisher keinen Anlass zur Klage‘, sagte Transparency-Chef Christian Humborg den PNN.“ (ebd.)

Das zeugt von Planung und Weitsicht – und politischer Kompetenz.