Von der befristeten Aufregung um die Entfristungskriterien der Post

Als im Mai durch ein internes Papier der Deutschen Post publik wird, dass der gelbe Multi die Entfristung der in bis zu zweistelliger Anzahl aneinandergereihten Arbeitsverträge von Brief- und Paketzustellern an die Bedingung knüpft, zwei Jahre mit insgesamt höchstens 20 Krankheitstagen, zwei kleineren selbstverschuldeten Verkehrsunfällen und 30 Stunden aufsummierter Zeitüberschreitung binnen drei Monaten durchzustehen, sorgt das für Aufregung. Der sozialdemokratische Vizekanzler erklärt als Repräsentant des staatlichen Hauptaktionärs das Vorgehen der Post für „nicht hinnehmbar“, Genosse Heil sieht die „soziale Verantwortung“ der Post gegenüber ihren Angestellten verletzt, und die zuständige Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft erklärt, inwiefern...

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Systematischer Katalog
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Von der befristeten Aufregung um die Entfristungskriterien der Post

Als im Mai durch ein internes Papier der Deutschen Post publik wird, dass der gelbe Multi die Entfristung der in bis zu zweistelliger Anzahl aneinandergereihten Arbeitsverträge von Brief- und Paketzustellern an die Bedingung knüpft, zwei Jahre mit insgesamt höchstens 20 Krankheitstagen, zwei kleineren selbstverschuldeten Verkehrsunfällen und 30 Stunden aufsummierter Zeitüberschreitung binnen drei Monaten durchzustehen, sorgt das für Aufregung. Der sozialdemokratische Vizekanzler erklärt als Repräsentant des staatlichen Hauptaktionärs das Vorgehen der Post bei Anne Will publikumswirksam für nicht hinnehmbar, Genosse Heil sieht die soziale Verantwortung der Post gegenüber ihren Angestellten verletzt, und die zuständige Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft erklärt, inwiefern: Sie begrüßt zwar,

„dass die Deutsche Post AG generell ein Entfristungskonzept hat. ‚Der Gesamtbetriebsrat und Verdi sprechen sich aber eindeutig gegen pauschale Kriterien zur Beurteilung von Beschäftigten durch die Konzernleitung aus.‘“ (berliner-zeitung.de, 7.5.18)

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Dass mit der Größe der Zustellbezirke ein Arbeitstag programmiert ist, der in einem ständigen Kampf gegen Zeitüberschreitungen besteht und daher zu Unfällen und Krankheitsausfall führt, nämlich ein einziger Verschleiß ist: das geht aus den Entfristungskriterien der Post zwar deutlich genug hervor, kommt in der Aufregung über sie aber nur als nun einmal gegebene Unterstellung vor. Die Empörung fängt dort an, wo die Post in Sachen Entfristung ihre Angestellten zu pauschal haftbar macht, wenn sie dem Unternehmen die ebenso unvermeidlichen wie kostenträchtigen und rufschädigenden Konsequenzen geschäftsdienlichen Zustellens nicht ausreichend vom Hals halten. Der DGB-Chef bringt es mit einer Reminiszenz an seine höchstpersönliche Studentenzeit auf den Punkt:

„‚Ich weiß, was es bedeutet, wenn die Zustellbezirke zu groß geschnitten sind.‘ Dass die Post Arbeitnehmer in die Pflicht nehme, wenn es unter Druck zu Unfällen komme, ‚geht gar nicht‘.“ (sueddeutsche.de, 7.5.18)

In der Kritik an den Entfristungskriterien der Post ist ebenso abgehakt, dass Beschäftigung befristet und an die Erfüllung von Leistungsnormen geknüpft wird, dass also der herbeigeführte Schwebezustand ständiger Existenzunsicherheit zum Hebel gemacht wird, den Zustellern die Anpassung an mehr als ungemütliche Anforderungen abzuverlangen. Von diesem Erpressungsverhältnis als durchgesetzter Normalität geht das Ganze aus, wenn der Erpressungshebel, die Perspektive der Entfristung, zum Segen und das Verfahren zu einem begrüßenswerten Konzept avancieren, bei dem nur die Kriterien stimmen müssen.

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Der Wettstreit der politischen Konkurrenz darum, die von der SPD angezettelte Empörung noch zu überbieten – Diese Kriterien sind völlig menschenverachtend und sittenwidrig (Grüne) oder einfach ein Quatsch (CDU) –, hebt den Fall auf die Ebene der moralischen Pflicht zur Einhaltung guter Sitten beim geschäftlichen Umgang mit der menschlichen Manövriermasse: Menschengerecht ist es, beim Be- und Entfristen jeden Zusteller individuell statt pauschal an der Erfüllung von Leistungskriterien zu messen und ihn nicht für Konsequenzen haftbar zu machen, die so untrennbar zum Arbeitsdruck dazugehören, dass sich ihre Vermeidung selbst dem beflissensten Leistungswillen entzieht. Die SZ steuert die Weisheit bei, dass Fairness in diesem Sinne auch im Interesse des Unternehmens an den Gewinnen ist, die es schließlich nachhaltig, also auch in Zukunft aus seinem Personal herauswirtschaften wollen muss: Wie der Konzern mit seinem Personal umgeht, ist weder fair noch zukunftsorientiert. (SZ, 7.5.18)

Der Post bleibt vorbehalten festzustellen, wie richtig alle mit ihren Maßstäben ordentlichen Geschäftsgebarens liegen – wie falsch aber mit ihren einschlägigen Vorwürfen an das Unternehmen: wie sehr vorbildlich das nämlich mit seiner Geschäftspraxis diese Anstandskriterien erfüllt. Ihrem Sprecher erschließt sich die Aufregung nicht: Erstens ist die Post gerade darin vorbildlich fair, dass sie sich an allgemeine, mit dem Konzernbetriebsrat abgestimmte Regeln hält, so dass schon definitionsgemäß das Gegenteil von unfairer Unternehmenswillkür herrscht. Zweitens handelt sie dabei allen Beteiligten gegenüber verantwortlich:

„Die gleichen Medien, die sich jetzt aufregen, regen sich beim nächsten Mal wieder über schlechte Zustellqualität auf. Weder den Kunden noch den betreffenden Mitarbeitern ist damit gedient, dass wir Leute dauerhaft übernehmen, die gesundheitlich beziehungsweise körperlich dem anstrengenden Job eines Paketzustellers nicht gewachsen sind und über kurz oder lang ihr Tagesprogramm im Alltag nicht mehr bewältigen können.“ (berliner-zeitung.de, 6.5.18)

Den Zustellern Leistung abzufordern und das Aushalten zur Übernahmebedingung zu machen, geht marktwirtschaftsmoralisch gesehen einfach voll in Ordnung: Die Post beruft sich ihrerseits auf die Härten des von ihr festgelegten Tagesprogramms wie auf eine Natureigenschaft der Paketzustellung, körperlich anstrengend und gesundheitlich ruinös zu sein. Und dass sie die Dienstleistung des Zustellens vollumfänglich ihrem Profitinteresse daran subsumiert hat, dreht sie mit derselben Frechheit um und beruft sich auf die betroffenen Kunden als Kronzeugen für die Notwendigkeiten, als deren interesseloser Sachwalter sich ihr gelber Urheber präsentiert. So avanciert die profitdienliche Erpressung von Leistung durch die Aussicht auf ein Mindestmaß von Verlässlichkeit für die verlässlichsten Leistungserbringer zum sachdienlichen Eignungstest, der die Zusteller vor Überforderung und die Kunden vor Wartezeiten schützt.

Außerdem ist sie tatsächlich aus Eigeninteresse fair zu den Entfristungskandidaten:

„‚Es wird jeweils der Einzelfall geprüft, denn schließlich können die Ursachen für Fehlzeiten ja höchst unterschiedlich sein.‘ Das Unternehmen habe vergangenes Jahr 9000 befristete Arbeitsverträge in unbefristete Stellen überführt. Allein weil die Post Fachkräftemangel habe, sei es abwegig, ein Aussieben von in Wahrheit geeigneten Mitarbeitern zu vermuten.“ (rp-online.de, 7.5.18)

Ein schönes Bekenntnis: Die Post prüft dermaßen individuell und objektiv, dass sich genau so viele Zusteller mit ihrer Leistung bewähren wie sie dauerhaft an sich binden will. Es wäre ja auch abwegig, wenn die Auslese den Nachschub an leistungsbereiten Fachzustellern ins Stocken geraten lassen würde. Der Post werden eben wirklich nur ihre eigenen Maßstäbe angetragen.

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Damit ist die Aufregung noch nicht ganz vorbei: Die Politiker fangen sich von allen Seiten den Konter ein, als Kritiker unglaubwürdig zu sein, nämlich mit dem öffentlichen Dienst selbst den größten Befrister zu repräsentieren. Diese Kritik nehmen die Adressaten routiniert auf, versprechen als Arbeitgeber und öffentlicher Aktionär Besserung, nämlich den Sachstand gründlich zu erheben (Scholz) und als Gesetzgeber die sachgrundlose Befristung eindämmen, endlose Kettenbefristungen (Heil) abschaffen und so den Praktiken der Befristung demnächst ganz bestimmt ihre oberste Spitze nehmen zu wollen, wie es der Koalitionsvertrag ohnehin längst vorsieht. Binnen zwei Tagen klingt die Debatte so aus, wie sie überhaupt nur von oben angezettelt wurde: mit der Demonstration, wie sorgsam die politisch Verantwortlichen ihre ‚soziale Verantwortung‘ wahrnehmen.

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Eine aufrechte Stimme gibt es, die noch etwas nachzutragen hat: Den klugen Köpfen in Sachen Marktwirtschaft ist die ganze Debatte zuwider, in der systemwidrig gerechtfertigt wird, was gar keiner Rechtfertigung bedarf: die Identität von sozialer Verantwortung und Wettbewerbsfähigkeit. Wo diese Gleichung nicht umstandslos gilt, stimmt etwas nicht:

„Insofern ist es ein Zeichen gelungener Privatisierungsbemühungen, dass der immer noch teilstaatliche und mit Resten des Briefmonopols ausgestattete Postkonzern darauf achtet, nur Mitarbeiter unbefristet – also kaum kündbar – zu übernehmen, die seine Konkurrenzfähigkeit sichern. Dass die Post leider noch immer kein normales privates Unternehmen ist, zeigt sich daran, dass sie für diese Orientierung an Markt und Service am Pranger steht.“ (FAZ, 8.5.18)

Mitarbeitern nicht mit der jederzeitigen Kündigung drohen zu können, macht es der Post verdammt schwer zu verhindern, dass an ihrer Stelle die Konkurrenz am Markt denselben Service liefert. Alles, was gut dafür ist, dieses Kunststück trotzdem hinzukriegen, ist geboten. So einfach ist das.