Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
F. Gerster wird dem Fortgang einer guten Sache geopfert:
Der Umbau von Arbeitsämtern zu Job-Centern – Von der sozialen Betreuung der Arbeitslosen zum Dienst am Kunden
Der Staat hat mit den Hartz-Gesetzen viel getan, um die Arbeitslosen zu verbilligen, aber die Erfolge bei der Verringerung der Arbeitslosigkeit lassen immer noch zu wünschen übrig. Daraus zieht die Politik den Schluss, dass die Reformen noch nicht konsequent genug voran getrieben worden sind. Deren Inhalt: weitere Verbilligung des Lohns für deutsche Unternehmer und die Sozialkassen. Dafür wird der Arbeitslose zum Kunden seiner Agentur befördert und Gerster an die Luft.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
F. Gerster wird dem Fortgang einer
guten Sache geopfert:
Der Umbau von Arbeitsämtern zu
Job-Centern – Von der sozialen Betreuung der
Arbeitslosen zum Dienst am Kunden
Zwei Monate herrscht Aufregung um den
Vorstandsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit.
Mangelhafte Beachtung irgendwelcher
Verfahrensvorschriften im Verkehr mit
Unternehmensberatern heißt der Vorwurf, der dann am Ende
sitzt. Leute im Vorstand der Agentur, die ihren
Vorsitzenden loswerden wollen, ringen sich mit letztlich
überzeugender Mehrheit zu dem Schluss durch, dass der
gehen muss, weil es nämlich dann, wenn man einen
Skandal um den BA-Chef Gerster
aufwirft und lange
genug breittritt, über kurz oder lang außer der
Entfernung des Chefs einfach keine andere Möglichkeit
gibt, die BA aus den negativen Schlagzeilen
herauszubringen.
(Clever,
Mitglied des Verwaltungsrats). Das ist nur logisch
in einer demokratischen Öffentlichkeit, allerdings auch
nur in der. Keinesfalls logisch, sondern ein Denkfehler
ist es nämlich, wenn bei der Beurteilung der
Machenschaften eines führenden Managers sogleich
Partei ergriffen wird für gute Schlagzeilen der
Agentur, der er vorsteht. Das mag für einen
Wirtschaftsminister in Ordnung gehen, der sich den Laden
in Nürnberg ja für seine Zwecke eingerichtet hat. Der
kann dann, wenn er sein Vorhaben durch Gersters Wirken
gut auf den Weg gebracht sieht, schon der Auffassung
sein: Er hat hervorragende Arbeit geleistet.
Danach aber, ob der Mann das dicke Lob seines obersten
Dienstherrn wirklich verdient hat, sollte man besser
nicht fragen – weil sich dann nämlich am Inhalt seiner
‚hervorragenden Arbeit‘ ein ziemlich bescheuertes
Interesse zu schaffen macht: Daran, dass einer wie
Gerster an seinem Platz möglichst auch noch formvollendet
alles richtig macht; dass er, falls er es nicht tut,
einem anderen Platz macht, der es besser tut als er – so
oder so also daran, dass den Zwecken gescheit
gedient wird, die in Gersters Agentur
institutionalisiert sind. Die werden als
selbstverständlich abgehakt, keiner Befassung mehr für
wert befunden und einfach nur gutgeheißen, wenn eine
ehemalige Bundesbehörde auf ihrem Weg zur modernen
Agentur
nur noch ins Gerede kommt, weil am
arroganten Führungsstil
ihres Chefs Anstoß
genommen wird. Und was ist schon ein Fatzke als
Vorsitzender im Vorstand – gegen den praktizierten
Zynismus, der in einer ganzen Bundesagentur
Alltagsroutine ist!
Denn deren Programm ist so schlicht wie brutal: Sie hat einfach alle Maßnahmen zur Verbilligung des Heeres der Arbeitslosen durchzusetzen, die mit den Gesetzen zur Umsetzung der Agenda 2010 beschlossen worden sind.
„Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“
zur Rettung des Sozialstaats
wurden mit den Ideen
des Herrn Hartz dem Publikum versprochen, und in der Tat:
Erfolge beim Umgang mit Arbeitslosen, die sich in einer
Senkung des nationalen Lohnniveaus bilanzieren, können
diese Instrumente der neuen Arbeitsmarktpolitik
durchaus für sich verbuchen. Mit der Erfindung des
modernen Selbstausbeutungsinstituts einer Ich-AG
;
mit dem erleichterten Zugriff auf Lohnarbeiter, die sich
für die großzügig gewährte Chance, per Mini-Job
irgendwie über die Runden zu kommen, bei ihren Anwendern
durch deren Entlastung
von Beiträgen zur
Sozialversicherung revanchieren; mit dem Sonderangebot
der von arbeitsrechtlichen
Beschäftigungshindernissen
befreiten Leiharbeiter,
die von Personal Service Agenturen verschoben werden: Mit
all dem hat der Sozialstaat einiges getan für die
umfassende Verbilligung der Lohnarbeit. Freilich: Zu
mehr Beschäftigung
hat der staatlich
herbeiregulierte Zugriff auf billige Arbeitskraft nicht
geführt. Dass dieses Angebot bei der erlesenen
Mannschaft, von der die Menschheit mit dem kostbaren Gut
eines Arbeitsplatzes beglückt wird, nicht verfangen hat
und aus dem staatlichen Ideal, durch Lohnsenkungen und
Maßnahmen einer rechtlichen Deregulierung
mehr
Arbeitskraft des Landes zu den Stätten ihrer rentablen
Anwendung hinzubugsieren, nichts geworden ist, zeigt
sachlich genommen nur eines: Mit wie viel weniger Einsatz
von Arbeitskraft Kapitalisten inzwischen wie viel mehr
Kapital umschlagen. Die im Standort politisch
Verantwortlichen interpretieren den Befund etwas anders.
Wenn sich die angepeilte Entlastung des
Arbeitsmarktes
, die der Nation wieder zu mehr
Wachstum und dem Sozialstaat zu volleren Kassen verhelfen
soll, nicht einstellt, wenn trotz aller ihrer
wohlmeinenden Maßnahmen zum Wegräumen von monetären wie
rechtlichen Beschäftigungshindernissen
Kapitalisten die Reize einer wohlfeilen Arbeitskraft
nicht für sich ausnutzen wollen, dann ziehen die
regierenden Retter des Sozialstaats daraus und aus ihren
nach wie vor leeren sozialen Kassen nur einen Schluss:
Dann waren sie offenbar noch immer nicht konsequent genug
und geben immer noch zuviel Geld zur Finanzierung von
Nicht-Arbeit statt – wirkungsorientiert
– für
Beschäftigung aus. Also heißt es, endlich die Devise
ernst zu nehmen, die Hartz in seiner Weitsicht auch schon
erfunden hat:
Auch ohne Arbeitsplatz: Arbeitsfähig ist der Mensch allemal!
Wenn das Angebot an Arbeit noch immer so stark von der
Nachfrage nach ihr abweicht, dann haben es offenbar die
für eine erfolgreiche „Arbeitsvermittlung“
bislang noch nützlich befundenen Maßnahmen nicht
gebracht. Insbesondere die Auffassung, Arbeitslose
wären als – ein im Prinzip doch brauchbares – Angebot für
ihre Nachfrager zu erhalten und durch Maßnahmen der Fort-
und Weiterbildung auch so brauchbar zu machen, dass sie
wieder für ihre kapitalistischen Anwender interessant und
darüber produktiv werden, war – die Zahlen beweisen das
ja – ein kostspieliger Irrtum. Und so lautet der
Beschluss: Der Zielrichtung der neuen Maßnahmen
entsprechend ist eine Qualifizierung von Arbeitnehmern
oder die Durchführung von Praktika künftig nicht mehr
zwingend notwendig.
(Eckpunkte
der Koalitionsgruppe zu den
Arbeitsmarktreformgesetzen) Wenn man sie mitsamt
den Qualifikationen, die sie jetzt schon haben, schon
nicht brauchen kann: Wozu soll man Leute, die
offensichtlich zu nichts nutze sind, dann noch
qualifizieren?! Zumal sie ja die eine
Qualifikation zweifellos haben, auf die es für ein
Angebot ankommt, das schlicht und ergreifend einfach nur
Arbeitskraft heißt: Arbeits- und
beschäftigungsfähig, also zum Arbeiten
qualifiziert, sind sie allemal! Ihren
verantwortlichen Betreuern jedenfalls reicht diese ihre
Qualifikation vollkommen aus. Sie gehen davon aus, dass
einer, der fähig für ‚Beschäftigung‘ ist, schon
auch eine finden wird, die ihn ernährt und den
Sozialstaat entlastet. Die neuen „Maßnahmen“, mit denen
die Agentur des Staates ihre arbeitslose Klientel
betreut, machen jedenfalls diesen neuen
Standpunkt der „modernen Arbeitsmarktpolitik“
deutlich:
Mit „Fortbildungsmaßnahmen“, die den Zweck der Schikane
gar nicht verhehlen, mit der Einbestellung zu
„Vermittlungsgesprächen“ sooft und solange, bis der
Betreffende sie endlich zwei Mal versäumt hat und damit
sein Bezugsrecht auf Arbeitslosengeld verwirkt, entlastet
der Staat sich und seine Agentur erstens von den
Pflichten, die in seinem Umgang mit den proletarischen
Dienstkräften ohne Beschäftigung bislang galten. Die
Auffassung, denen wären Lohnersatzleistungen zu gewähren,
bis sie einen Interessenten an ihrer Arbeitskraft finden
und durch regelmäßigen Broterwerb wieder auf ‚eigenen
Füßen‘ stehen, hat sich überlebt, die unter dem Stichwort
von ‚Bildung‘ und ‚Vermittlung‘ weiter laufenden
Maßnahmen machen für die Betroffenen vor allem eines
zwingend notwendig
: Die Sorte
Eigeninitiative
an den Tag zu legen, die sie in
dem Hürdenlauf über die Runden kommen lässt, zu dem die
staatlichen Job-Center ihre Betreuung
innerhalb
der gesetzlich vorgesehen Fristen ausgestalten. Mit der
Lebenstüchtigkeit, die ihnen ihr sozialer Staat als
Zusatz-Qualifikation zum Sich-Durchwursteln durch die
Nöte ihres Alltags abverlangt, können sie sich dann
zweitens an den Standpunkt gewöhnen, der ihnen ab sofort
durchs weitere Leben zu verhelfen hat: Im Grunde sind sie
ja nur deswegen arbeitslos, weil ihnen bisher eine
staatliche Behörde alles dazu Erforderliche abgenommen
hat, sich selbst erfolgreich um Arbeit zu
kümmern. Wer noch irgendwie über Arbeitsvermögen
verfügt, hat ab sofort darin seine Erwerbsquelle
zu entdecken – und in der Bundesagentur für Arbeit eine
Hilfsorganisation, die ihn darin unterstützt. Die trennt
sich von dem Standpunkt, dass eine von Lohnzahlungen
abhängige Existenz gegen die Risiken versichert sein
soll, die beim Ausbleiben ihrer Erwerbstätigkeit
unweigerlich drohen. Ein Lohnabhängiger ohne einen, der
ihn beschäftigt, ist kein Sozialfall mehr, der
von einem Amt betreut und durchgefüttert wird, bis er
wieder Verwendung findet, sondern eine erwerbsfähige
Person, der eine Agentur den Weg bis hinein ins
Internet weist, wie sie aus ihren Chancen das Beste für
sich macht. Denn aus einer Arbeitskraft auch
ohne ihren kapitalistischen Nachfrager eine Quelle
eigenen Einkommens zu drechseln: Das geht durchaus.
Auch ohne Lohn: Irgendetwas verdienen kann jeder!
Arbeitskraft als Qualifikation, sich eigenständig um ihre
Verwertung zu kümmern als Beruf: Der Sozialstaat meint es
vollkommen ernst mit diesem Witz und macht sich daran,
mitten im Kapitalismus das Suchen nach „Beschäftigung“,
für die es keinen kapitalistischen Bedarf gibt,
verbindlich als Berufsbild zu etablieren. Die politische
Agenda sieht für die Bundesagentur für Arbeit die Aufgabe
vor, das im Sozialgesetzbuch II niedergelegte, neue
sozialfürsorgliche Prinzip mit in die Tat umzusetzen,
das auf dem Grundgedanken aufbaut, dass jeder Mensch
grundsätzlich selbst dafür verantwortlich ist, seinen
Bedarf und den Bedarf seiner Angehörigen zu sichern. Nur
soweit er dazu nicht in der Lage ist, hat der Staat die
entsprechende Verantwortung. In diesem Fall ist dem
Betroffenen und den mit ihnen in einer
Bedarfsgemeinschaft lebenden Angehörigen ein der Würde
des Menschen entsprechendes Leben zu ermöglichen und der
Lebensunterhalt im Rahmen des soziokulturellen
Existenzminimums zu sichern.
(Begründung des Vierten Gesetzes für moderne
Dienstleistungen am Arbeitsmarkt) Was für ein
schöner Grundgedanke
: Es wird gar nicht
bestritten, dass, wer keine Arbeit hat, auch keinen Lohn
verdient und damit keine Mittel hat, für seinen und
seiner Angehörigen Bedarf zu sorgen. Aber das ist
keinesfalls mehr Grund, sich seiner wie bisher
sozialpflegerisch anzunehmen. Die Fähigkeit zu
arbeiten hat er ja, also ist er wohl auch dazu
fähig, für sich selbst aufzukommen, grundsätzlich
.
Jedenfalls hat einer mit seiner Arbeitsfähigkeit
hinzukriegen, was er nach staatlichem Willen mit ihr
hinkriegen soll – allein darauf, dass er es tut,
erstreckt sich noch die Verantwortung des Staates
und seine soziale Fürsorgepflicht. Mit dieser Maxime
bezieht der Staat sich neu auf den proletarischen
Bodensatz, der sich in Gestalt einer auf Dauer
erwerbslosen Überbevölkerung in seiner Gesellschaft
angesammelt hat und den er in seinen verschiedenen
Erscheinungsformen und unterschiedlichen Elendsniveaus
sozialstaatlich organisiert und verwaltet.
Zusammenlegung von Sozial- und Arbeitslosenhilfe
heißt die gesetzgeberische Vorgabe, für die sich die
Bundesagentur dann nützlich zu machen hat, indem sie sich
der höchst innovativen sozialstaatlichen Kreatur eines
erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
annimmt. Vertreter
dieser Spezies aus der Gattung der Lohnarbeiter sind
einmal diejenigen, die bislang noch mit
Überbrückungshilfen in dem Sammelbecken verwahrt werden,
in das Kapitalisten ihre nicht mehr benötigten
Arbeitskräfte abschieben und aus dem sie sich bei Bedarf
wieder bedienen. Sie werden mit dem ‚Anreiz‘ belohnt,
dass sie von einem eventuellen Zuverdienst zur
staatlichen Hilfe glatt etwas behalten dürfen, die Hilfe
nicht gleich im selben Maß gestrichen wird, in dem sie
über sie hinaus verdienen und sie sich so mit ihrer
Arbeit tatsächlich über das Sozialhilfeniveau
hinausarbeiten können. Und damit sie die ihnen großzügig
gewährte Chance, sich mit eigener Arbeit besser stellen
zu können als einer, der nur von Sozialhilfe lebt,
keinesfalls als Angebot missverstehen, es sich in einem
Leben mit etwas Arbeit und staatlichen Zuschüssen auf
Dauer gemütlich zu machen, wird ihnen mit ‚Sanktionen‘ zu
verstehen gegeben, wie die ‚fördernden Anreize‘ gemeint
sind: Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wird nicht
nur über Anreize gefördert, sondern auch mit Hilfe von
Sanktionen gefordert. Bei Ablehnung einer zumutbaren
Erwerbstätigkeit oder Eingliederungsmaßnahme sowie bei
fehlender Eigeninitiative wird die Leistung in einem
ersten (!) Schritt in Höhe von 30 von Hundert der
Regelleistung gekürzt.
Irgendeinen Job, irgendeinen
Dienst gegen irgendein Entgelt anzunehmen: Das wird man
doch noch erwarten können von einem, der ein einziger
Kostgänger des Gemeinwesens ist – und deswegen gefälligst
mit eigener Arbeit dafür zu sorgen hat, dass er die
Allgemeinheit von den sozialen Kosten entlastet, die er
ihr aufbürdet! Gleiches gilt für alle, die sich in Bezug
auf die Nachgefragtheit ihres Arbeitsvermögens definitiv
als überflüssig erwiesen haben, mit fein bemessenen
Almosen von kommunaler Sozialhilfe am Wegsterben
gehindert und von allzu störenden Übergängen in schlechte
Sitten abgehalten werden sollen: Erwerbsfähig auch als
Obdachloser, also „grundsätzlich für sich selbst
verantwortlich“ ist, wer mindestens drei Stunden
täglich erwerbstätig sein kann oder darf oder innerhalb
von sechs Monaten diese Voraussetzungen erfüllen wird.
Bei der Bestimmung der Erwerbsfähigkeit ist es
unerheblich, ob eine Erwerbstätigkeit vorübergehend
unzumutbar ist.
3 Stunden täglich für irgendetwas
verwendbar zu sein: Soviel Erwerbsfähigkeit
ist
noch jedem zumutbar, der Betteln gehen oder im Sozialamt
Schlange stehen kann, also ist ihm auch zuzumuten, aus
eigener Kraft
seinen Lebensunterhalt zu
bestreiten. Und wenn der Arbeitsmarkt die nötigen
3-Stunden-pro-Tag-Stellen gerade nicht im Angebot hat,
dann schafft die Agentur für Arbeit
Arbeitsgelegenheiten im Sozialrechtsverhältnis, für die
eine angemessene Mehraufwandsentschädigung gezahlt
wird.
Arbeiten geht immer, auch ohne Lohn, und das
geht auch noch ganz ohne Arbeitsdienst. Als ehrenamtliche
Tätigkeit im Sozialbereich zum Beispiel, wobei man für
den Mehraufwand auch noch entschädigt wird. Angemessen
selbstverständlich, denn wenn der Sozialstaat sich neu
auf die von ihm geschaffenen Elendstypen bezieht, tut er
es haargenau so, wie es der Würde des Menschen
entspricht
. Wenn er seine Hilfe für die, die keine
Mittel zum Leben mehr haben, ausdrücklich unter die
Bedingung stellt, mit ihr allenfalls eine aktivierende
Grundsicherung für Erwerbsfähige
zu liefern,
erniedrigt er wirklich keinen mehr zum bloßen Empfänger
sozialer Almosen. Mensch bleibt Mensch, auch im Rahmen
des soziokulturellen Existenzminimums
. Auch im neuen
Soziotop des Elends, das da geschaffen wird, darf die
Autonomie des Subjekts nicht angetastet werden und haben
die Bedürftigen stets ihre eigenen Kräfte und
Mittel
zu mobilisieren, um staatliche Leistungen
soweit wie möglich überflüssig zu machen. Aus eigenen
Kräften
und durch eigene Erwerbstätigkeit
sollen sie Einkommen erzielen
, sich nützlich
machen mit derselben Arbeitskraft, die als Ware gerade
keinen Abnehmer findet, und der Staat weiß auch schon,
wie sie dies können: Mit Ich-AG, Mini-Job, Leiharbeit und
ähnlichen freiheitlichen Errungenschaften hat er ja der
kapitalistisch nicht gebrauchten Arbeitskraft eine Welt
voller Chancen eröffnet, auf eigene Faust mit einem
selbstorganisierten Erwerbsleben loszulegen. Chancen
dieser Art gab und gibt es im Kapitalismus ja durchaus,
und die wurden und werden auch von nicht wenigen genutzt.
Mit Schwarz- und Gelegenheitsarbeit auf Baustellen, in
Großmärkten oder sonst wo, mit einer Arbeitskraft zum
Spottpreis, die sie stunden- oder tageweise anbieten und
oft genug auch noch damit niemanden finden, der sie
brauchen kann: So schlagen sich hierzulande schon ohne
„moderne Arbeitsmarktpolitik“ massenweise Leute durchs
Leben – und mit dieser Politik sollen es nach dem Willen
des Staates noch viel mehr werden, die genau
dies tun. Freilich: In die berühmte
Schattenwirtschaft
und Schwarzarbeit
–
organisierte
vor allem – soll niemand
abgedrängt
werden, die lässt der Staat von seinen
beschäftigungslosen Zöllnern bekämpfen. Aber der vom
Kapitalismus erzeugte und staatlich organisierte
Pauperismus, der dort herrscht: Der gilt nicht
mehr als ‚Ausnahmefall‘ von der Regel eines einigermaßen
konsolidierten marktwirtschaftlichen Erwerbslebens, mit
dem einer so eben über die Runden kommt. Das Elend von
Tagelöhnern und Gelegenheitsarbeitern erfährt seine
höchst offizielle Anerkennung als eines der vielen
soziokulturellen
Milieus
, die eine
pluralistische Gesellschaft, die der
Eigeninitiative
ihrer Mitglieder keine
Vorschriften macht, für diese parat hält, und die vielen
Wege, auf denen es zustande kommt, firmieren
zusammengenommen als neues, selbstverständlich steuer-
und sozialversicherungspflichtiges Lebens- und
Erwerbsmodell, das auch noch 5 Millionen Arbeitslosen als
Perspektive winkt. ‚Working Poor‘, die Kombination von
Arbeit, von der feststeht, dass sie ihren Mann
nicht ernährt, mit der sittlichen Anerkennung
der aus ihr resultierenden Armut, die ja Ergebnis einer
höchst redlichen, weil eigenständigen
Lebensführung ist: Das ist die neue Berufsform,
die die sozialstaatlichen Reformer für die Arbeitslosen
in ihrem Register für in jeder Hinsicht angemessen
halten.
Auch arbeits- und mittellos: Als „Kunde“ hat man sein gutes Recht – darauf, bei einer Agentur nach Arbeit nachzufragen!
Der Sozialstaat belässt es nicht bei der Drangsalierung
der Arbeitslosen und ihrer praktischen Degradierung zu
Kreaturen, die ihren Lebensunterhalt durch 3-stündige
Erwerbsfähigkeit pro Tag zu bestreiten haben: Er verpasst
dieser Modernisierung
seiner alten sozialen
Sicherungssysteme
auch das ihr auf den Leib
geschneiderte Ethos. Er wandelt die Behörde, die
als Arbeitsamt in verschiedenen Formen für die Betreuung
der Arbeitslosen zuständig war, in eine Agentur
um, und das ist keine bloße Namensänderung. Der neue Name
benennt nämlich die neue Maxime des sozialstaatlichen
Umgangs mit den erwerbsfähigen Erwerbslosen, und die
läuft darauf hinaus, alles, was bislang unter dem großen
Dach des Arbeitsamtes an Verwaltung und Vermittlung der
arbeitslosen Klientel untergebracht war, vom
Gesichtspunkt einer sozialstaatlichen Versorgung
abzutrennen und es als quasi kommerzielles
Dienstleistungsangebot zu installieren. Ein ganzer
Behördenapparat wird auf die Richtlinie eingeschworen –
und praktisch auf sie eingestellt –, sich in Sachen
Arbeit und deren Vermittlung an die Verfahren zu halten,
mit denen sich der ehrenwerte Berufsstand des
Maklers in der Abteilung Grund & Boden schon mit
Erfolg um das Zusammenfinden von Angebot und Nachfrage
verdient macht. Neben diesem Apparat sollen auch private
Vermittler mit derselben Dienstleistung
verdienen
dürfen, die darüber zustande kommt, dass man die
Opfer des kapitalistischen Lohnarbeits- und
Erpressungsverhältnisses zu Nachfragern nach dem
einen Angebot umdefiniert, mit dem man sie –
wenn sie ordentlich mitmachen – eventuell noch
befriedigen könnte, irgendwie. Wo zu dem Pech, sich als
Lohnarbeiter verdingen zu müssen, noch das Pech
dazukommt, dies nicht mehr zu können, fehlt dem
Betreffenden im Lichte dieser modernisierten
sozialstaatlichen Sicht eben nur eines: Die
Arbeit, die er nicht hat. Das ist kein ‚soziales
Problem‘ mehr, nichts, wofür man in Staat und
Gesellschaft irgendetwas oder irgendwen verantwortlich
machen könnte, sondern eben sein
höchstspezielles Problem. Wie die Armut von der
Pohwerteh, so kommt die Arbeitslosigkeit davon, dass
einer nicht arbeiten tut, und in dem Bedürfnis,
das wieder zu können, wird der Arbeitslose dann gnadenlos
bedient. So wird er zum arbeitsuchenden Kunden
,
ist kein Sozialfall mehr, dem seine Klassenlage zum
Verhängnis geworden ist, sondern ein vollwertiger
demokratischer Bürger, der in dem Bedürfnis, auf das der
Sozialstaat ihn reduziert, dann aber auch so etwas von
anerkannt wird, dass alle seine Ansprüche an eine
sozialstaatliche Rundum-Versorgung
damit
abgegolten sind. Die Agentur nimmt ihre Klientel als
Verkörperung von Erwerbsfähigkeit, Repräsentanten eines
Willens, dessen Inhalt einfach nur ‚Arbeit!‘ ist, und
sortiert sie nach ihrer Marktfähigkeit
und
Beschäftigungsfähigkeit
durch. Von Agenten, die
sich an Leistungsvorgaben
, Durchlaufquoten
und ähnlichen schicken Methoden einer modernen
privatwirtschaftlichen Betriebsführung orientieren,
werden die Arbeitslosen beraten und betreut
. Zum
Perspektivenwechsel
bezüglich ihrer Ansprüche an
eine neue Erwerbstätigkeit hält man sie freundlich an und
überzeugt sie in Eingliederungsvereinbarungen
davon, dass es für sie einfach das Beste ist,
jede Arbeit ohne Bedingungen
anzunehmen, und so gilt endlich auch für den menschlichen
Abfall der Marktwirtschaft der goldene Grundsatz, dass
für sein Schicksal jeder selbst verantwortlich ist: Der
Sozialstaat spricht sich gegenüber allen
Versorgungsansprüchen von Leuten frei, die in dieser
feinen kapitalistischen Produktionsweise gründlich unter
die Räder kommen – und eröffnet ihnen, die sich endlich
nicht mehr als minderwertige ‚Sozialfälle‘ beleidigen
lassen müssen, den gigantischen Freiheitsraum, sich
einzig und allein um die Arbeit kümmern zu
können, die ihnen zum Lebensunterhalt fehlt. Als
eigenverantwortliche Herren und Meister ihres
Lebensschicksals
können sie zu dessen Bewältigung
die Dienste einer Agentur in Anspruch nehmen, die ihnen
ihr fürsorglicher Staat eigens dafür eingerichtet hat,
damit sie genau dies tun: Auch dann
noch, wenn sie mit ihrer Karriere eines Lohnarbeiters
definitiv am Ende angelangt sind, bleiben sie
auf die Maxime verpflichtet, wonach sich ihr ganzes
Lebensglück an der großartigen Chance zu bemessen hat,
einen Interessenten an der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft
zu finden. Und auch wenn an der Gleichung in dieser
Maxime einfach gar nichts mehr stimmt, sie weder von der
Arbeit, die sie ohne Erfolg anbieten, noch von der, die
ihnen ihr sozialer Staat in Gestalt ihrer
Erwerbsfähigkeit
ersatzweise als Lebensmittel
dekretiert, leben können: Auch dann noch sollen sie auf
die einzige Perspektive festgelegt bleiben, die Leute wie
sie nun einmal haben – und auch noch nach dem endgültigen
Scheitern aller ihrer lausigen Berechnungen unverdrossen
weiter an der Arbeit als dem Mittel ihres Fortkommens
festhalten!
Dafür tut dann glatt auch noch die öffentliche Diskussion um die Frage das Ihre, ob ein Dr. F. Gerster nun der richtige Mann an der Spitze dieser Agentur ist oder nicht, denn:
Mit Gerster und ohne ihn erst recht: Die nützlichen Dienste einer Bundesagentur für Arbeit für ihre Kunden stehen außer Frage!
Ob es nun Gewerkschaftsvertreter waren, die sich an den
Methoden des modernen Managers
an der Spitze
gestört haben, ob der Mann der Unternehmerbank
im
Verwaltungsrat nicht getaugt hat, ob er wegen seiner
politischen Ambitionen der rot-grünen Regierung unbequem
wurde oder ob es ein gefundenes Fressen für die
schwarz-gelbe Opposition war, eine führende Figur auf des
Kanzlers wichtigster Baustelle
abzuschießen: Es
ist scheißegal. Fragen dieser Art lenken den Blick
zielstrebig von der Befassung damit ab, was
Zweck dieser Agentur und Inhalt ihrer
Tätigkeit ist – und ebenso zielstrebig auf die
Frage hin, durch welche Besetzung ihrer Führungsspitze
das alles noch besser hinzubekommen sein könnte,
wovon man im einzelnen gar nichts wissen möchte. Und so
kann sich die demokratische Öffentlichkeit auch noch
diesen Irrsinn als ihre Leistung zuschreiben: Der Staat
entsorgt seine lästigen Arbeitslosen in einer Agentur,
auf dass ihnen – egal wie, Hauptsache mit Arbeit
und aus eigener Kraft
– zum soziokulturellen Leben
– egal, in welchem Elend das dann vonstatten geht –
verholfen wird. Und zusammen mit allen anderen zerbricht
sich die wirkliche wie potentielle Kundschaft dieser
Agentur interessiert den Kopf darüber, wer bei diesem
Großprojekt des sozialstaatlichen Zynismus an erster
Stelle steht und hauptverantwortlich die Feder führt!