‚Abschied‘ von der Steinkohle
Ein paar Fragen und Zweifel ...
Werte Bergleute a.D. – zum festlichen Abschluss des deutschen Steinkohlebergbaus, es geht passenderweise auf Weihnachten zu, ist der Bundespräsident höchstselbst vorbeigekommen, um euch ein herzliches „Danke“ erstens persönlich, zweitens stellvertretend für das ganze Land, zu überreichen. Steinmeier präsentiert, ganz volksnah und zugleich auskennerisch wie kein Zweiter, die große Erzählung eures Lebens.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
‚Abschied‘ von der
Steinkohle
Ein paar Fragen und Zweifel
...
Werte Bergleute a.D. – zum festlichen Abschluss des deutschen Steinkohlebergbaus, es geht passenderweise auf Weihnachten zu, ist der Bundespräsident höchstselbst vorbeigekommen, um euch ein herzliches „Danke“ erstens persönlich, zweitens stellvertretend für das ganze Land, zu überreichen. Steinmeier präsentiert, ganz volksnah und zugleich auskennerisch wie kein Zweiter, die große Erzählung eures Lebens und erinnert an
„Menschen, denen keine Arbeit zu hart war und die vom Traum eines besseren Lebens angetrieben wurden ... die besondere Gefahr, mit der dieser Beruf immer und bis zuletzt verbunden war. Nie konnten die Mütter, die Frauen, die Kinder sicher sein, ob ihr Sohn, ihr Mann, ihr Vater heil und gesund von der Schicht zurückkommen würde. An den Bergbau zu erinnern, heißt nämlich auch, an die ständige Angst vor Unfällen zu erinnern. Es heißt, an die vielen Verletzten und Berginvaliden zu erinnern, die der Knappschaftsarzt kaputtgeschrieben hat, wie man das hier so schlicht und drastisch ausdrückt. Und wenn wir von den Bergleuten reden, dann dürfen wir auch nicht die Frauen vergessen. Wer von den Bergleuten und ihrer harten Arbeit erzählen will, der muss auch erzählen von der nicht weniger harten Arbeit der Frauen. Für die meisten von ihnen war das in den letzten zweihundert Jahren die tagtägliche Mühe, die Wohnung und die Fenster und die Kleidung sauber zu halten, inmitten des ewigen allgegenwärtigen schwarzen Staubs und Ruß. Und auch des gelben Drecks einer Zinkhütte ... das machten also in den zurückliegenden Jahrzehnten meistens die Frauen.“
Wir haben uns über die dramatisch gekonnte Schilderung
dieser traditionsreichen Arbeits- und Lebenslagen doch
etwas gewundert. Summa summarum muss man schon sagen –
ein ziemlicher Scheiß. Eine Arbeit, die über Generationen
und bis zum letzten Tag die Leute rücksichtslos und
gründlich verschlissen hat, verlängert in ein
Familienleben, in dem – meistens
– die Frauen
tagein, tagaus auf die ödesten Haushaltsarbeiten
abonniert sind, damit es wieder weitergehen kann und die
Illusion von ein bisschen privatem Lebensglück wenigstens
nicht gleich im Dreck versinkt, den euch die Bergbau- und
Hüttenbetreiber ganz gratis dazugeliefert haben. Und zum
Schluss dann die Alternative Invaliden- oder Witwenrente.
Alles einmal ernst genommen, verdient das nur eine
Antwort: Gut, dass das vorbei ist.
Der Bundespräsident hat eine ganz andere frohe Botschaft für euch:
„Hier geht ein Stück deutscher Geschichte zu Ende. Ein wichtiges und wesentliches Stück deutscher Geschichte. Eines, das hier im Ruhrgebiet jeden einzelnen geprägt hat. Ohne das aber auch unser ganzes Land und seine Entwicklung in den letzten zwei Jahrhunderten nicht denkbar gewesen wäre. Kohle wurde gebraucht, Kohle war der Motor des Wiederaufbaus ... das schlagende Herz des sogenannten Wirtschaftswunders. Und darauf können Sie alle stolz sein... Der Stolz des Bergmanns – das ist nicht nur der Stolz auf die persönlich geleistete Arbeit oder die in der Kameradschaft oder die auf der einen Zeche. Nein, bei ganz vielen ist es auch der Stolz auf die Leistung des Bergbaus insgesamt und auf seine Bedeutung für die Geschichte unseres Landes.“
Ein abgeschmacktes Angebot, wenn ihr uns fragt. Was geschäftstüchtige Kapitalisten und gewissenhafte Standortpolitiker, nie ohne sorgfältige Prüfung und Unterschrift eurer gewerkschaftlichen Vertretung, euch gewohnheitsmäßig an Leistungen abverlangt haben, sollt ihr euch nach dem Motto: „Das macht uns keiner nach!“ als eure Leistung zuschreiben – um damit auf Respekt zu dringen dafür, was ihr so alles auszuhalten imstande seid. Alles, was als besondere Härte eures Berufsstands bekannt ist und breitgetreten wird, die Rücksichtslosigkeit gegen sich selbst, die nötig ist, um diesen Job zu machen, spricht nicht gegen die Arbeit, ihre schädlichen Bedingungen und die Interessen derer, die davon sehr gut leben, sondern für das, was ihr so wegsteckt.
Dafür sollt ihr also geschuftet haben wie blöd: Nicht nur, um das auch einmal zu erwähnen, dass die Ruhrkohle AG an euch bleibend gut verdient hat. Der Aufbau der Kohle- und Stahlindustrie, nicht bloß für sich, sondern als der materiellen Basis des Aufschwungs des gesamten Standorts zu einer auf dem Weltmarkt gefürchteten Wirtschaftsmacht, ist ein Stück nationaler Erfolgsgeschichte, den ihr euch als den eigentlichen Ertrag eures Knochenjobs gutschreiben dürft und sollt. Ihr werdet beglückwünscht für die Gemeinnützigkeit eures Elends.
Besonders befähigt zu dieser wunderbaren Großtat hat euch, so Steinmeiers Würdigung weiter, eine ganz außergewöhnliche moralische Qualität, die ihr euch einerseits mehr notgedrungen zugelegt habt, mit der ihr andererseits schon wieder, angesichts der Widrigkeiten, die euch angeschafft wurden, über euch hinausgewachsen seid, und die sich in einem herzerwärmenden Sprachdenkmal niedergeschlagen hat:
„Kumpel ... Kennt ein anderer Beruf solch ein wunderbares Wort? Ein Wort, das ursprünglich den Arbeitskameraden in der selbständigen Arbeitsgruppe unter Tage meint, in der man sich auf Gedeih und Verderb, auf Leben und Tod, auf den anderen verlassen können musste. Und verlassen konnte... Vor Kohle war unbedingte Solidarität die erste Währung. Und alles andere kam danach: Der gute Lohn, der Erfolg, der Stolz auf das, was man zusammen hart erarbeitet hat.“
Alle Mühsal übersetzt sich für Steinmeier in die
mustergültig vorgelebte, gemeinschaftlich praktizierte
Tugend der Solidarität, die offenbar auf dem Boden
gemeinschaftlich zu bewältigender Härten blüht und
gedeiht und das unschlagbare geistige Rüstzeug darstellt,
sich mit ihnen zu arrangieren. Darüber und deswegen gerät
der Bundespräsident so ins Schwärmen, und er kann diese
Sorte Zusammenhalt gar nicht genug loben, um euch eine
interessante Lohnform schmackhaft zu machen, die die
Überweisungen von Kohlekapitalisten locker überdauert.
Steinmeier weiß schon auch, aus tiefempfundener
Sittlichkeit und für die Ehre, die ein Bundespräsident
euch zuspricht, seid ihr eigentlich nicht „eingefahren“.
Der gute Lohn
, den ihr verdient habt, hat für das
bessere Leben, von dem schon eure Urgroßeltern geträumt
haben, offensichtlich nie so ganz gereicht, so dass euch
der ganze Dreck über wie unter Tage irgendwann auch
einmal erspart geblieben wäre. Er weist allerdings über
primitive materielle Berechnungen sowieso hinaus. Er
bestand nämlich weniger darin, was laut Tarifvertrag eben
auf dem Konto gelandet ist, als in der anständigen
Belohnung, die ihr euch für eure national nützliche
Großtat anrechnen dürft, gewissermaßen die Geldgestalt
der Hochachtung, die euch für euer volkswirtschaftliches
Aufbauwerk gebührt.
Glaubt man dem Bundespräsidenten, hat euer einzigartiger Gemeinsinn die Republik darüber hinaus in noch ganz anderer Hinsicht aufgewertet:
„Vor Kohle wurden aus Fremden Kumpel... Hier weiß man, dass es nicht so wichtig ist, woher einer kommt, sondern wie einer und eine ‚vor Ort‘ angenommen wird und wie man sich ‚vor Ort‘ verhält und bewährt.“
Dass ihr von vornherein generationenübergreifend ein vom Kapital und Ausländerpolitik nach Bedarf und Konjunkturlage zusammengewürfelter Haufen wart, der sowieso nicht gefragt wurde, was er so an persönlich-patriotischen Vorurteilen hegt, sondern sich zwischen Lohnstreifen, Leistungsvorgaben und Schichtleiter zu arrangieren hatte, dürft ihr euch jetzt als gelebten Antirassismus und Multikulti auch noch gutschreiben, bevor überhaupt ein Grüner das Zeug erfunden hat. In düsteren Zeiten von AfD-Aufschwung und einer zunehmend rechten Volksmoral kann euch der Bundespräsident jedenfalls als leuchtendes Vorbild in Sachen Miteinander und Integration, die sich ein Fremder verdient, wenn er sie verdient, gut gebrauchen.
Als wär’s nicht schon genug, soll eure solidarische Ader in der gemeinschaftlichen Bewältigung noch der härtesten Arbeitsbedingungen aus der Grube heraus nicht nur eure persönlichen Lebensumstände geprägt, sondern „den Pott“ insgesamt ergriffen und ein ganz eigenes gemeinschaftsstiftendes Lebensgefühl in die Welt gesetzt haben:
„Was ein Kumpel ist, weiß im Ruhrgebiet jeder. Unter und über Tage. Denn sowas färbt schließlich auch auf die anderen ab, die hier – tief im Westen – nicht unter Tage gearbeitet haben: Die oben, über Tage, geplant und gedacht haben, die Kinder erzogen und Häuser gebaut haben, die Musik gemacht, Theater gespielt, Gewerkschaften organisiert, Politik gemacht und Zeitungen geschrieben haben, die begeistert und begeisternden Fußball gespielt haben. Alles das gehört zum Revier. Und jeder hat auf seine Weise mit dafür gesorgt, dass man hier nicht nur hart arbeiten, sondern auch wirklich gerne und gut leben kann.“
Im Ernst? Jedes geschossene Tor „auf Schalke“, jeder scharfsinnige Kommentar in den Spalten der WAZ, Tanztheater in Gelsenkirchen, die Maßnahmen von Kommunalpolitikern und Spitzenleistungen in Lehre und Forschung – nichts als Zeugnisse eines großen Gemeinschaftswerks, aus dem besonderen Geist eines unter Tage geborenen, über Tage zur Blüte gekommenen Menschenschlages und seiner unschlagbaren kollektiven Gesinnung?
Die Komplimente in allen Ehren, bloß – erkennt ihr euch
darin eigentlich wieder? Oder sah das Leben als
„Malocher“ nicht doch immer ein wenig anders aus? Wir
mögen uns täuschen, aber sind uns doch recht sicher, dass
euer einzigartiges Heimat- und Wir-Gefühl „im Revier“
euch nichts erspart hat. Von euch als Kunden, jeden Cent
und das Monatsende fest im Blick, konnten die Discounter
und die Fanartikel-Abteilungen der Revierklubs gut leben;
mit einem Drittel bis zur Hälfte eures Nettolohns habt
ihr Hausbesitzern aller Art laufende Einnahmen beschert,
die denen und ihren Sprösslingen erspart haben, nach
Kohle zu stochern; nach Steuern und Gebühren hat man euch
gar nicht groß gefragt, sondern euch mit ihrer Höhe
bekannt gemacht und die ersteren sowieso gleich vom Konto
gebucht; kein Wunder, dass trotz der blühenden
Kulturlandschaft mit Museum, Oper, Helge Schneider und
Industrieparks die Angebote von Spielhallenbesitzern und
Kneipiers nie recht außer Mode gekommen sind. Und auch
wenn eure Kinder auf Kohle geboren
wurden – wenn’s
irgend ging, sollten sie dann doch lieber in der Schule
‚was lernen‘, damit sie womöglich mit einem Studium in
der dichten Hochschullandschaft von Dortmund bis
Duisburg
eine Karriere ergreifen, mit der sie „es
einmal besser haben“. Uns drängt sich der Verdacht auf,
dass das ganze „Revier“ doch eher ein fürchterlicher
Verhau aus ganz gewöhnlichen Interessengegensätzen der
ganz normalen Marktwirtschaft, gesetzlich geregelt und
polizeilich überwacht, war und ist. Heutzutage eben ohne
euch als ‚Ruhrgebietskumpels‘, folgerichtig mit gewissen
Flurschäden bei allen, die mit eurer Armut ihr Geschäft
gemacht haben, also alles noch ein bisschen
heruntergekommener als noch neulich.
Und fühlt ihr euch am Ende nicht doch ein bisschen verarscht, wenn euch der Bundespräsident, jetzt, wo ihr euren alten Beruf und euer altes Einkommen los seid, seine große Arie der Solidarität einfach noch einmal in der Umkehrung vorsingt?
„Solidarität also auch am Ende einer langen Geschichte. Dass niemand ins Bergfreie fallen sollte, ist eingetreten. Auch eine Leistung, die gekostet hat und für die wir alle bezahlt haben. Aber drückt sich in den Milliarden Steuergeldern nicht am Ende doch so etwas wie der Dank des Vaterlandes aus für die, die 1 000 Meter unter der Erde in Hitze, Dreck und ständiger Gefahr Gesundheit und Leben riskiert haben... An einem Tag wie heute darf so viel Pathos einmal sein!“
Das ist ein starkes Stück. Euch die Subventionskosten der
deutschen Energiepolitik, mit denen die Kohle zwischen
Autarkie- und Rentabilitätsgesichtspunkten zur standort-
wie weltmarkttauglichen Energiequelle zurechtgemacht
werden sollte und dann abgeräumt wurde, von denen ein
Bruchteil in Sozialpläne geflossen ist, als
anstandshalber fällige Gegenleistung der Gemeinschaft
vorzubeten; als Dank des Vaterlandes in Geldform, an dem
nicht das Geld, sondern der Dank das Entscheidende ist.
Eure Abhängigkeit von den Entscheidungen des Ruhrkapitals
und seiner politischen Hüter als moralisches ‚do ut des‘
vorstellig zu machen, ist zwar unverfroren. Aber ihr
versteht den Hinweis auf die Milliarden
Steuergelder
schon richtig, wenn euch angesichts der
Unsummen ganz umstandslos klar wird, dass es damit
irgendwann auch mal ein Ende haben muss.
Jetzt seid ihr abgewickelt. Unschöne Episoden wie eure
Kollegen in Großbritannien in den 1980ern habt ihr der
Republik erspart, stattdessen hat einer der Euren mit
Wehmut aber unendlich viel Würde die Danksagung des
Präsidenten im Austausch gegen den letzten Klumpen Kohle
entgegengenommen, der in dessen Amtszimmer einen
Ehrenplatz bekommt. Ob jemals auch bloß einer von euch an
den Aufbau des Reviers, an Ludwig Erhard oder an
vorbildlich praktizierten Multikulturalismus bei und
außer der Arbeit gedacht hat bei seiner Plackerei; oder
ob irgendwer von euch auch nur im entferntesten
irgendetwas davon glaubt, was Bundespräsident,
Öffentlichkeit, Gewerkschaft und am Ende noch der
Ruhrbischof über euch und euer Verhältnis zu Deutschland
und seine Menschen berichten, ist für die Inszenierung
dieser Scheiße letztlich unerheblich. Hier geht es
ohnehin um Höheres; hier feiert die Nation in Gestalt
ihres obersten Repräsentanten sich: Mit seinem
ideellen Kniefall vor euch „Malochern“ macht er erstens
das Idealbild des patriotischen Proletariers vorstellig,
der das Gemeinwesen ehrt, in dem er zuhause ist; und
zweitens ehrt mit dem großen Festakt die Republik sich
als eine, in der so ein hervorragendes Kollektiv einfach
perfekt beheimatet ist. Diese Gelegenheit, die Nation als
moralisches Gesamtkunstwerk zu inszenieren, indem sie
sich mit dem vielgestaltigen Lob eurer Dienste und mit
großer Geste vor euch als unschlagbar anständigem und in
seinem Anstand unschlagbarem Stand verbeugt, kann sich
Steinmeier einfach nicht entgehen lassen. So viel
Pathos
muss tatsächlich einmal sein. Die Tugenden der
Not, die der Bundespräsident so ergriffen heruntergebetet
hat, bleiben, anders als eure Arbeitsplätze, in der
Republik jedenfalls ein Evergreen. Wir glauben es
Steinmeier aufs Wort, dass Parteien, Politiker und die
Wirtschaft eine gefestigte patriotische Gesinnung bei
euch, nach Kohle-, Stahl- und Wirtschaftskrise, auch
weiterhin gut gebrauchen können und zu schätzen wissen.
Für die Herausforderung namens „Strukturwandel“ – oder
wie eure künftige Lebenslage unter den Rechnungen von
Kapital und Staat mit ganz viel Innovationen,
Industriekultur und Startups demnächst sonst noch heißen
mag.