Vorbemerkung und Vorwort

In den rund 30 Jahren seit der ersten Auflage dieses Buches ist das bürgerliche Denken über Heidegger natürlich zu neuen Erkenntnissen gelangt, sich in einer Hinsicht freilich treu geblieben: seiner Kombination aus Unwillen und Unvermögen, in der Philosophie des Schwaben die faschistische Gesinnung zu entdecken, die er Zeit seines Lebens nicht verhohlen hat.

Aus dem Buch
1988, 2020 | 84 Seiten | 10 €  Zum Warenkorb

Vorbemerkung

In den rund 30 Jahren seit der ersten Auflage dieses Buches ist das bürgerliche Denken über Heidegger natürlich zu neuen Erkenntnissen gelangt, sich in einer Hinsicht freilich treu geblieben: seiner Kombination aus Unwillen und Unvermögen, in der Philosophie des Schwaben die faschistische Gesinnung zu entdecken, die er Zeit seines Lebens nicht verhohlen hat. Dies gilt auch und gerade für die große Entdeckung aus dem Jahr 2015, die „Denktagebücher“ des Philosophen, die von ihm „als der krönende Abschluss der Gesamtausgabe seiner Werke vorgesehen wurden“ (Die Zeit, 23.12.2015; alle folgenden Zitate ebd.) und in denen der kritische Geist in Feuilleton und Wissenschaft endlich fand, wonach er suchte: astreine Bekenntnisse zur NS-Propaganda von Volk und Führer, Rasse und Opfertum, die den großen Denker als Faschisten entlarven. Derart wollte man die Praxis des deutschsprachigen Philosophiebetriebs, Heideggers politische Gesinnung „nicht als von seinem ureigenen Denken getragen“ anzusehen, ihrer Unhaltbarkeit überführt haben – und hat doch nur ein weiteres Mal die etablierte Trennung zwischen dem Geist von Heideggers Philosophie und seiner Affinität zum Faschismus fortgeschrieben: In Textstellen, die der Mann erfreulicherweise seinem Gesamtwerk zugeordnet hat, hat man gefunden, dass er doch glatt „stets gesagt und geschrieben [hat], was er wirklich dachte – er war wirklich Faschist“. Am faschistischen Geist einer Philosophie finden kritische Antifaschisten einfach nichts zu kritisieren: Was der Denker „wirklich“ denkt, offenbart sich für sie erst dort, wo er sich offen zum Faschismus bekennt. Dass einer aus philosophischer Drangsal Faschist wird, kommt für sie nicht in Betracht.

Die weitgehend unveränderte Neuauflage des Bandes, der sich der Kritik bürgerlicher Wissenschaft widmet, zeigt, wie so etwas geht. Ein Artikel im Anhang befasst sich ausführlicher mit der im Vorwort von 1988 aufgegriffenen kritischen Diskussion um Heidegger.

Vorwort

Ein neues Buch über Heidegger beweist, dass der verehrte Philosoph länger und häufiger mit politischen Vertretern des Faschismus verkehrt hat, als er selbst nach dem Ende des Dritten Reiches zugegeben hat.

Die bundesrepublikanischen Bildungsblätter wittern einen besprechenswerten Skandal im ewig fortgeschriebenen Problem der „Vergangenheitsbewältigung“. Einer, der unter Bildungsmenschen einiges gilt, verliert seine Glaubwürdigkeit – nur weil auf verehrungswürdige Geistestraditionen erpichte Anbeter von Gedanken, die sie – nein, nicht für korrekt, sondern – für groß halten, über eines erschrecken: Wenn sie merken, dass ein „großer Denker“ an dem Sündenfall der nationalen Geschichte mitgewirkt hat.

Über die Philosophie Heideggers scheint sich nach wie vor niemand aufzuregen. Philosophieprofessoren, seien sie nun Anhänger bzw. Schüler von ihm, seien sie nur Interpreten, die sich begabt und gelehrt genug wähnen, ihn zu „verstehen“, ist an den Lehren des „Seinsphilosophen“ nichts Anstößiges aufgefallen. Und insofern ist das bisschen Aufregung über die Mitteilungen im Buch von Víctor Farías, „Heidegger und der Nationalsozialismus“ (1987), gar nicht verwunderlich. Wer will sich schon gerne nachsagen lassen, einem leibhaftigen Komplizen des Faschismus Größe zu attestieren? Wer nimmt schon gerne zur Kenntnis, dass die „großen“ ethischen, kosmologischen und metaphysischen Fragen, die er bei Heidegger mit Respekt genießt, vereinbar sind mit einigem, was jedem Ethiker als Böses geläufig ist? Es ist, als ob die Gemeinde der philosophischen Tradition mit dem Verdacht befasst ist, dass ihre Geistesverwandtschaft mit Heidegger, auf die sie sich sonst einiges zugutehält, nun – nach der „Enthüllung“ – ein schlechtes Licht auf ihre ureigensten philosophischen Neigungen werfen könnte.

Nachgegangen wurde diesem Verdacht indes kaum. Die Trennung zwischen dem Denker und dem Menschen, der „politisch irrte“, tut nach wie vor gute Dienste. Zumal die Behauptung, Heideggers Ideengut erfülle den Tatbestand einer „faschistischen Philosophie“, eines sicher nicht auf ihrer Seite hat: den Beweis, dass „Sein und Zeit“ ein braunes Parteiprogramm darstellt.

Dennoch ist die so abwegig erscheinende Verleihung des Prädikats „faschistisch“ an die Philosophie des Schwaben durchaus nichts Irrationales. Wer weiß, und beim Studium von Heidegger ist das kaum zu übersehen, dass er es nicht mit Parteiparolen, sondern eben mit Philosophie zu tun hat; wer darüber hinaus weiß, wie die politische Logik der Faschisten geht – und die beginnt nicht beim Antisemitismus, sondern fordert ihn als Konsequenz ganz anderer, auch jedem Demokraten geläufiger Gedanken über Gott-Staat-Mensch –, vermag durchaus zu entdecken, dass Philosophie und politischer Faschismus sehr wesentlich miteinander zu tun haben.

Allerdings nicht nur die Philosophie Heideggers. Davon handelt die vorliegende Schrift. Sie erklärt nicht nur ein paar der allergrundsätzlichsten Ideen des in Verruf gekommenen Sprachkünstlers, sondern auch die Liebe echt „demokratischer Philosophie“ zu ihm. Letztere sucht auch keinen anderen Sinn, wenn sie über Glück und Tugend, Irrtumsmöglichkeit und Wahrheit, Staat und Mensch elitär schwadroniert. Von der allseits geachteten christentümlichen Philosophie ganz zu schweigen.