II. Der Frieden einer Weltwirtschaftsordnung

Der »freie Westen« ist alles andere als eine Fiktion. Wie offenkundig ideologisch auch immer der in dieser Bezeichnung behauptete Idealismus einer ganzen Hemisphäre verwendet wird und wie ehrenrührig so manches Zerwürfnis zwischen ihren maßgeblichen Führern ausgetragen werden mag: Was da als kollektives Subjekt der Freiheit in der Staatenwelt verstanden sein will, ist ein Staatenbündnis von bemerkenswerter Wucht und Stabilität.

Aus dem Buch
1983, 2023 | 336 Seiten | 15 €  Zum Warenkorb
Gliederung

II. Der Frieden einer Weltwirtschaftsordnung

1. Der »freie Westen«

Der »freie Westen« ist alles andere als eine Fiktion. Wie offenkundig ideologisch auch immer der in dieser Bezeichnung behauptete Idealismus einer ganzen Hemisphäre verwendet wird und wie ehrenrührig so manches Zerwürfnis zwischen ihren maßgeblichen Führern ausgetragen werden mag: Was da als kollektives Subjekt der Freiheit in der Staatenwelt verstanden sein will, ist ein Staatenbündnis von bemerkenswerter Wucht und Stabilität.

1. Bekanntlich handelt es sich dabei auf der einen Seite um ein Kriegsbündnis, das seine Anstrengungen, weltweit jeden erdenklichen Waffengang siegreich bestehen zu können, auf die Annahme einer permanenten Angriffsdrohung der Sowjetunion und ihrer Verbündeten gegen alle anderen wichtigen Staaten, insbesondere eben die des »freien Westens«, gründet. Laut NATO-Vertrag, dem wichtigsten Gründungsdokument des »freien Westens«, relativiert sich der eigens betonte »Wunsch« der beteiligten Staaten, »mit allen Völkern und allen Regierungen in Frieden zu leben«, an ihrer ›Entschlossenheit‹, »die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker, die auf den Grundsätzen der Demokratie, der Freiheit der Person und der Herrschaft des Rechts beruhen, zu gewährleisten«; in deren Namen sagen sie sich wechselseitig nicht bloß Unterstützung im Ernstfall, sondern auch gemeinschaftliche Vorbereitung des Ernstfalls zu. Es ist also erklärtermaßen eine »Systemfrage«, politische Herrschaft nämlich gemäß den rechtlichen Formen und den Prinzipien der Demokratie, um derentwillen die Bündnisstaaten sich verpflichten, gemeinschaftlich Krieg zu führen. Klargestellt ist damit quasi nebenher, daß es sich bei den ominösen demokratischen Prinzipien westlicher Zivilisation und der hier gemeinten »Freiheit der Person« um staatliche Anliegen von solchem Rang handelt, daß dafür durchaus das Leben der Bürger ins Kalkül zu ziehen und in die Pflicht zu nehmen ist – also nur sehr bedingt um freudenerregende Begleitumstände des Erdendaseins. Bemerkenswerter ist hier allerdings der Umstand, daß der Vertrag nicht die nationale Souveränität der Partnerstaaten als solche zu dem höchsten Zweck erklärt, zu dessen Verteidigung die Bündnispartner einander beistehen wollen – wie in »normalen«, »klassischen« Defensivallianzen, die daher auch im Unterschied zur NATO den Streit um die Definition des Bündnisfalls sowie um Garantien für die Hilfe der Partner immerzu zum Inhalt haben. Als der Kriegsgrund schlechthin und damit als höchster und letzter nationaler Zweck der Partner gelten vielmehr Abstraktionen, die scheinbar bloß die Form und die inneren Ideale einer nationalen Staatsgewalt betreffen – dem Anschein nach ein offener Widerspruch zu der allgemein bekannten, in Notstandsgesetzen jedenfalls bekanntgemachten und kodifizierten Selbstverständlichkeit, mit der eine nationale Staatsgewalt spätestens im Ernstfall die Prinzipien von Recht, Demokratie und »Freiheit der Person« ihrer Selbstbehauptung und -durchsetzung unterordnet. (Von den für die Zwecke der NATO brauchbaren und ihr befreundeten Diktaturen soll hier bewußt nicht die Rede sein!) Bei allem offensichtlichen Idealismus der diplomatischen Redeweise stellt der Bündnisvertrag damit doch eines klar: die Verpflichtung der Kriegspartner auf einen Supranationalismus, der sich keineswegs erst nach Eintritt des Ernstfalls, bedingt also, geltend machen soll, sondern schon vorher den beteiligten Souveränen als Richtschnur ihrer äußeren wie sogar ihrer inneren Politik gelten will. In diesem Sinne nimmt der Artikel 2 ausdrücklich von den nationalen Sonderinteressen und der fortdauernden Konkurrenz der Partnerstaaten Notiz, um deren Belanglosigkeit zu dekretieren: »Sie [sc. die Vertragspartner] werden bestrebt sein, Gegensätze in ihrer nationalen Wirtschaftspolitik zu beseitigen und die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen einzelnen oder allen Vertragspartnern zu fördern.« In Artikel 3 räumen die Beteiligten einander explizit die Freiheit ein, sich im Interesse des Bündniszwecks in die inneren Angelegenheiten der anderen einzumischen:

»Um die Ziele dieses Vertrages besser zu verwirklichen, werden die Parteien einzeln und gemeinsam durch ständige und wirksame Selbsthilfe und gegenseitige Unterstützung die eigene und die gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe erhalten und fortentwickeln.«

Und Artikel 8 erklärt das NATO-Bündnis zum verpflichtenden Kriterium für alle anderweitigen außenpolitischen Aktivitäten der Partner:

»Jeder vertragschließende Staat erklärt, daß keine der internationalen Verpflichtungen, die gegenwärtig zwischen ihm und einem anderen Vertragsstaat oder einem dritten Staat bestehen, den Bestimmungen dieses Vertrags widersprechen, und verpflichtet sich, keine diesem Vertrag widersprechenden internationalen Verpflichtungen einzugehen.«

Mit der wechselseitigen Zusage, im Ernstfall gemeinsam gegen die Sowjetunion anzutreten, erlegen die Staaten des »freien Westens« sich in diesem Vertrag also wechselseitig die Pflicht auf, schon vorweg und überhaupt, nicht bloß militärisch, sondern auch wirtschaftspolitisch zu kooperieren und den Gebrauch ihrer nationalen Souveränität einem supranationalen Kriterium unterzuordnen: dem weltweiten Erfolg der westlichen Demokratie.

2. Welcher nationale Materialismus sich mit diesem militanten Supranationalismus im Namen der Freiheit verbindet, darauf gibt schon der zitierte Artikel 2 des NATO-Vertrags einen Hinweis – und erst recht das rege »politische Leben«, mit dem der »freie Westen« dessen Intentionen erfüllt hat. Die westliche Staatengemeinde stellt sich nämlich – zweitens – dar als eine internationale Wirtschaftsgemeinschaft. Die Staats- bzw. Regierungschefs der sechs wichtigsten NATO-Partner sowie des fernöstlichen Vorpostens des »freien Westens«, der Ministerpräsident von Japan, haben jedenfalls ihre periodischen Zusammenkünfte unter dem Titel »Weltwirtschaftsgipfel« institutionalisiert und über die Aufgabe, deren Bewältigung sie sich dort widmen, nach ihrem Treffen vom Juli 1981 in Ottawa folgende grundsätzliche Auskunft gegeben:

»1. Wir sind in einer Zeit tiefgreifenden Wandels und großer Herausforderungen für den wirtschaftlichen Fortschritt und den Frieden in der Welt zusammengetroffen... Wir wissen, daß Wirtschaftsfragen die politischen Zielsetzungen, die wir teilen, sowohl widerspiegeln als auch beeinflussen. In einer Welt gegenseitiger Abhängigkeit bekräftigen wir erneut unsere gemeinsamen Ziele und die Anerkennung der Notwendigkeit, dabei die Auswirkungen der von uns verfolgten Politik auf andere zu berücksichtigen. Wir vertrauen in unsere gemeinsame Entschlossenheit und Fähigkeit, unsere Probleme im Geiste gemeinsamer Verantwortung sowohl zwischen uns als auch mit unseren Partnern in aller Welt in Angriff zu nehmen. 2. Die Hauptaufgabe, der wir uns auf diesem Treffen zuwandten, war die Notwendigkeit, die Volkswirtschaften der Demokratien unter den Industrieländern wieder zu beleben, um die Bedürfnisse unserer eigenen Völker zu befriedigen und den Wohlstand in der Welt zu festigen.«

Was immer man sich sonst noch als außenpolitischen Zweck eines Staates denken mag: sei es »Völkerfreundschaft« oder »Macht«, z.B. über einen Nachbarn, sei es die Sicherung spezieller Handelsprivilegien oder die Vergrößerung des nationalen Territoriums, sei es schließlich sogar die Ölversorgung oder »die Weltrevolution« – das alles sieht ziemlich provinziell oder reichlich idealistisch aus neben dem Materialismus jener weltweiten »Verantwortung«, zu der die Teilnehmer des »Gipfels von Ottawa« sich da bekennen. »Die Weltwirtschaft« ist tatsächlich eine Frage ihrer Entscheidungen, und sie setzen die maßgeblichen Bedingungen für den »Wohlstand in der Welt«; die wirtschaftspolitischen Maßnahmen eines jeden der versammelten Souveräne betreffen die Volkswirtschaften der anderen wie überhaupt die »Partner in aller Welt« wesentlich, weil von den Erfolgen ihrer nationalen Ökonomien »die Weltwirtschaft« ihrerseits abhängt; füreinander wie für den Rest der Welt haben ihre Beschlüsse folglich die Wucht und Unwidersprechlichkeit ökonomischer »Sachzwänge«: das sind die Tatbestände, um deren Durchsetzung die politischen Führer der sieben wichtigsten »Demokratien unter den Industrieländern« sich nicht etwa erst kümmern müßten, von denen sie vielmehr als völlig selbstverständlichen Gegebenheiten ausgehen.

Daß sie dabei immerzu weltwirtschaftlichen Behinderungen oder gar Gefährdungen ihrer nationalen Ökonomien entgegenzutreten hätten, wie es insbesondere von deutscher Seite für den demokratischen Hausgebrauch dargestellt zu werden pflegt, kann nicht die Wahrheit über die weitreichende »Verantwortung« der Gipfelteilnehmer sein. Denn schließlich setzt die Behinderung oder Gefährdung einer nationalen Ökonomie durch die Wirtschaft anderer Länder ja allemal Aktivisten dieses Verhältnisses voraus, die ein reges positives Interesse an den Produkten und Produktionsprozessen auswärtiger Volkswirtschaften haben und auf deren Benutzung abonniert sind. Und darüber, daß dieser weltweit ausgreifende »Unternehmungsgeist« in ihren Ländern zu Hause ist, lassen die Führungsfiguren der »freien Welt« keinen Zweifel. Über deren heimische Ökonomien ist damit auch schon klargestellt, daß sie als Basis ihres weltweiten Engagements auch die Mittel für eine schrankenlose Benutzung der ökonomischen Potenzen anderer Staaten und Ökonomien hervorbringen und reproduzieren. Um mit dem eigenen Interesse an ihr der ganzen Welt ihre ökonomischen Bedingungen zu setzen, um sie nicht bloß ideell, sondern praktisch in die »Welt gegenseitiger Abhängigkeit« einzubeziehen, bedarf es eines nicht bloß zeitweilig überschüssigen Reichtums, eines dauerhaften Erfolgs bei der zunehmenden Ansammlung von nationaler »Wirtschaftskraft«. Es können also auch nicht – wie ausgerechnet linke Imperialismustheorien gern vermuten – Schwierigkeiten, gar zunehmende, mit dem einheimischen Wirtschaftskreislauf der großen, maßgeblichen Demokratien oder sogar dessen Krisen sein, durch die ein nationales Unternehmertum auf die Benutzung der Ökonomien fremder Staaten verwiesen würde. Wenn es denn schon ein »Problem« sein soll, aus dem das praktizierte Interesse an allem erwächst, was sich ökonomisch auf dem Globus tut, so handelt es sich um das süße Problem einer fortdauernden Akkumulation wachsenden produktiven Reichtums, dem die Schranken der eigenen Nation zu eng werden und der die Freiheit des Vergleichs eröffnet – und damit, wenn man so will, erzwingt –, ob seine Verwendung im Verkehr mit einem Ausland nicht viel mehr lohnen könnte als daheim. Die Sorge um das lohnende Wachstum des produktiv verwendbaren Reichtums ihrer Volkswirtschaften ist der materielle Inhalt jener weltweiten ökonomischen »Verantwortung«, aus der die Führungsmächte der »freien Welt« ihre selbstverständliche politische Zuständigkeit für die Geschicke der gesamten Staatenwelt ableiten.

3. Die Freiheit der politischen Souveräne hinsichtlich der materiellen Grundlage und Zwecksetzung ihrer Weltpolitik ist also nicht zu übersehen. Schließlich sind Regierungschefs oder Staatspräsidenten keine Geschäftsleute; auf ihren Weltwirtschaftsgipfeln wird weder Handel getrieben noch über Produktion und Verteilung nützlicher Güter befunden, geschweige denn der materielle »Wohlstand der Welt« in die Wege geleitet. Sie kehren nicht mit einem weltumfassenden Produktionsplan heim, sondern mit Absprachen über die Beeinflussung von Zinssätzen und Inflation, über die »Erholung des Arbeitsmarkts« und die Perspektiven des Wirtschaftswachstums, über die staatlichen Haushaltsdefizite und das internationale Bankensystem; Absprachen, die durchaus auch geschäftsschädigende Elemente enthalten. Nicht als einfache Geschäftsleute, sondern als Repräsentanten jener höchsten Gewalt, mit der sie wirtschaftspolitische Bedingungen setzen, treten sie gegeneinander an und verhandeln um die Freiheiten, die sie dem Unternehmungsgeist ihrer einschlägig interessierten und engagierten Bürger verschaffen wollen bzw. dem der auswärtigen Geschäftsleute einräumen sollen, sowie um die vor- und nachteiligen Konsequenzen, die sich daraus für die nationalen wie internationalen Aktivitäten ihrer Geschäftsleute ergeben. Gerade wo sie ganz souverän über die Bedingungen allen Wirtschaftens in der Welt befinden, beziehen die Chefs der westlichen Demokratien sich auf die Interessen und Forderungen des nationalen Wirtschaftslebens und seiner Macher wie auf ein Ensemble von Aufträgen und Sachgesetzen, an denen sie sich orientieren müssen; und umgekehrt: gerade wo sie als bloße Exekutoren gewisser ökonomischer Erfordernisse auftreten, wahren und praktizieren sie die souveräne Freiheit der höchsten politischen Gewalt, die der heimischen und auswärtigen Geschäftswelt ihre »Orientierungsdaten« setzt.

Mit diesem Begriff eines freien Materialismus der demokratischen Staatsgewalt, auch in ihrem weltpolitischen Agieren, löst sich auf der einen Seite in einer ersten Hinsicht die in Punkt 1 angemerkte Paradoxie auf, daß diese Staaten in den Gründungsurkunden ihrer Bündnisse die Prinzipien ihres Regierungssystems zum obersten Zweck ihrer Weltpolitik deklarieren. Mit »Recht«, »Freiheit der Person« usw. ist eben insoweit kein bloßer diplomatischer Idealismus ausgedrückt, sondern die Eigenart des souveränen Materialismus dieser Staatsgewalten angedeutet, wie diese Abstraktionen die tatsächliche Anerkennung der volkswirtschaftlich maßgeblichen Interessen einer nationalen Gesellschaft durch ihre politischen Gewalthaber oder umgekehrt: den Status der staatlichen Herrschaft als politischer Sachwalter und damit als ideelles Subjekt der Summe der ökonomischen Unternehmungen ihrer Bürger meinen und darin ihren materiellen Inhalt haben. Indem sie sich selbst voreinander und sich wechselseitig auf die »Prinzipien der Demokratie« verpflichten, bekennen die Souveräne der westlichen Welt sich zu einem Staatsmaterialismus, der seine Grundlage im weltweiten Erfolg derjenigen unter ihren Bürgern hat, von denen ihre Volkswirtschaft unmittelbar praktisch abhängt; und zwar auch in ihren Beziehungen untereinander und zum Rest der Staatenwelt. Eben damit ist auf der anderen Seite klargestellt, daß der Standpunkt der staatlichen Souveränität mit dem jener Geschäfte, auf die ihr Materialismus sich gründet, nicht zusammenfällt. Wenn es ihr um die Grundlagen auswärtiger Geschäftemacherei geht, dann muß sie sich eben nicht um die praktische Benutzung der fremden Volkswirtschaft kümmern, sondern um die Zustimmung der auswärtigen souveränen Gewalt dazu; ihr »Geschäft« ist die Sicherstellung der »Kooperationswilligkeit« fremder Souveräne, die prinzipielle Garantie der Benutzbarkeit ihrer hoheitlichen Gewalt im eigenen Interesse. Und dieser Zweck, die Willensbildung einer fremden Staatsgewalt entscheidend »beeinflussen« zu können, macht den praktischen Idealismus demokratischer Außenpolitik und Diplomatie aus, ein Idealismus, der eine sehr materielle Rücksichtslosigkeit gegen den ökonomischen Inhalt und Zweck des so hergestellten Weltzusammenhangs einschließt. Vom Standpunkt des staatlichen Souveräns aus geht die demokratische »Dienstbarkeit« der politischen Gewalt für ihre ökonomische Basis einher mit ihrer selbstverständlichen Freiheit, die hergestellten ökonomischen Beziehungen in dieser »Welt gegenseitiger Abhängigkeit« für die Gewinnung und diplomatische Erpressung auswärtiger Souveräne zu benutzen, auch wenn das auf Kosten der hergestellten Geschäftsbeziehungen geht.

4. In hier noch sehr allgemeiner Form zeigt sich damit die weltpolitische Logik, kraft derer die beiden Aktionsbereiche des »freien Westens«, die Regelung der militärischen und der ökonomischen Beziehungen der beteiligten Staaten untereinander und zum Rest der Welt, zusammengehören. Es erscheint paradox, daß die Bündnispartner dieser Hemisphäre ihre Sorgen um die »Freiheit der Person« etc. offiziell und verbindlich zum gemeinsamen Kriegsgrund erklären; und zwar nicht bloß vom Standpunkt der Illusion, diese Freiheit als Beitrag zum wirklichen individuellen Wohlergehen aufzufassen – so betrachtet wäre diesbezügliche Kriegsbereitschaft ein Paradox! –, sondern auch unter dem Gesichtspunkt des dazugehörigen Materialismus des weltweiten Geschäfts. Dessen Unterordnung unter die gewaltsame Gewährleistung seiner Freiheit ist aber erstens eine Notwendigkeit des ökonomischen Internationalismus: Wo fremde Gewalt die Schrankenlosigkeit nationaler Reichtumsvermehrung beschränkt, muß die politische Gewalt die Freiheit besitzen, die eigene Gesellschaft und deren Reichtum für ihre Durchsetzung gegen die fremde Gewalt zu benutzen. Und wo der Nutzen einer erfolgreichen Volkswirtschaft somit immer auch eine Gewaltfrage ist, da ist die Freiheit der Staatsgewalt nicht bloß ein notwendiges Erfordernis, sondern – zweitens – die Wahrheit des weltweit ausgreifenden Geschäftsgangs: Eben weil die souveräne Gewalt die Stärkung ihrer materiellen Basis durch den nützlichen Zugriff der eigenen Volkswirtschaft auf alle auswärtigen Ökonomien als ihren bestimmenden Zweck verfolgt, deswegen hat das nationale Wirtschaftswachstum sein maßgebliches letztes Kriterium in der weltweiten Durchschlagskraft der politischen Herrschaft, die darauf beruht. Es ist also kein Zufall, daß der Verein von Staaten, der mit seinen Entscheidungen die Weltwirtschaft regelt, sich auf der Grundlage eines Weltkrieges mit eindeutigem Ausgang als ein von der Hauptsiegermacht gegründetes Kriegsbündnis konstituiert hat, das bereits in Friedenszeiten intern immerzu den Bündnisfall praktiziert: Weltwirtschaft in einer Welt von Staaten ist ohne eindeutige Antworten auf die täglich fälligen Gewalt»fragen« nun einmal nicht zu haben. Sozialdemokratische Idylliker des friedlichen und harmlosen Handels und Wandels liegen da ebenso schief wie alle Hoffnungen auf die Unmöglichkeit bedeutender Kriege wegen deren unverantwortbarer Kosten: Wofür hätten die maßgeblichen Souveräne dieser Welt denn »Verantwortung« zu tragen, worum sich zu sorgen und zu streiten, wenn ihr nationaler Materialismus eine selbstgenügsame Angelegenheit wäre? Ebenso irren sich »Stamokap«-Theoretiker, die den außenpolitisch agierenden Staat als Gefangenen seines nationalen Handels-, Finanz-, Rüstungs- oder sonstigen Kapitals und der einschlägigen Lobbies vorstellen: Wie könnte eine demokratische Staatsgewalt ihrer weltweit engagierten Ökonomie den politischen »Dienst« leisten, mit dem sie ihren Eigennutz befördert, ohne Souveränität, und zwar bis hin zur zeitweiligen Rücksichtslosigkeit auch gegenüber den herrschenden Interessen in ihrer Gesellschaft?

Umgekehrt ist es auch kein Zufall, daß die Demokratien des Westens, die sich zur Verteidigung der »Freiheit der Person« etc. zu einem schon im Frieden aktiven Kriegsführungs- und ‑vorbereitungsbündnis zusammengetan haben, die Kontrolle der Weltwirtschaft zum erstklassigen Gegenstand ihrer weltweiten »Verantwortung«, nämlich zu ihrem Hauptziel neben dem Weltfrieden erklärt und gemacht haben: Politische Maßgeblichkeit in der ganzen Welt wäre auch für die kräftigste Militärallianz ein leerer Zweck und daher auch nicht wirklich zu haben, bliebe vielmehr ein bloßer gewalttätiger Idealismus, wenn die maßgeblichen Demokratien nicht ein materielles Interesse an der Benutzung fremder Länder zu vollstrecken hätten und wenn sie nicht auf dieser Grundlage dem ökonomischen Materialismus der restlichen Souveräne seine »sachgesetzlichen« Bedingungen setzen könnten. Falsch ist daher auch der übliche, in populären Länderkunden wie in politologischen Lageanalysen beliebte »Pluralismus« in Sachen internationaler Politik, der in der »komplexen Vielfalt« weltpolitisch relevanter »Bedingungs-« und »Einflußfaktoren« sowie des »Ringens« der Staaten um »Macht«, »Einfluß« und die große Völkerfamilie den Materialismus demokratischer Außenpolitik nicht mehr will ausmachen können.

2. »Handel und Wandel« weltweit

Die Verfahrensweisen der Benutzung, die die weltwirtschaftlich »verantwortlichen« Nationen des »freien Westens« einander und dem Rest der Welt angedeihen lassen, sind weltweit praktizierte »freie Marktwirtschaft« – und erscheinen nur deswegen manchem Beobachter so »komplex« bis zur Unverständlichkeit, weil sie besonders wenig Raum lassen für die so beliebten ideologischen Einbildungen über die menschenfreundlichen Zwecke dieser Wirtschaftsweise.

1. »Der Mensch« ist nämlich überhaupt nicht das zwecksetzende Subjekt einer modernen Volkswirtschaft – und des dazugehörigen Außenhandels schon gar nicht. Zwar ist es ihm durchaus erlaubt, ja es wird ihm sogar täglich durch die demokratische Weltöffentlichkeit angetragen, die ganze Welt in der Kategorie des »wir« aufzufassen, also von »unseren« Erdölquellen in Nahost, »unseren« Handelsbeziehungen mit den USA, »unserer« Konkurrenz mit den Japanern und »unseren« Interessen in Ungarn, Madagaskar und Peru zu reden. Und auch praktisch bekommt er mit allen diesen Weltregionen zu tun – bloß eben: wie?

Ein zivilisierter Arbeitnehmer von heute darf sich unbesehen sicher sein, daß seine Firma auch für seinen Arbeitsplatz das Hantieren mit exotischen Rohstoffen, mit Halbfabrikaten aus »Billiglohnländern«, an Maschinen von auswärtigen Anbietern genauestens durchkalkuliert hat und ihn so ganz ungefragt nach Bedarf zum praktizierenden Kosmopoliten macht. Mit den Importerfolgen ausländischer Konkurrenz ebenso wie mit den Export-»Verpflichtungen« des eigenen Betriebs wird er sehr wirksam in seiner doppelten Eigenschaft als kaum noch zu verantwortender Kostenfaktor und als viel zu schonend behandelter Leistungsträger seines Betriebs bekannt gemacht. Seinen Lohn bekommt er nur in inländischen Kreuzern, nie in ausländischen Gulden ausgezahlt; wenn aber der Wechselkurs schwankt, dann ist das für die Firma Anlaß genug, ihm für mehr Leistung weniger Lohn zu zahlen – sei es, weil sie »sparen« muß, sei es, weil sie sich Rationalisierungen leisten kann. Die Erfolge, zu denen er mit preiswerter Arbeit seinen Arbeitgebern in deren ständigem »Existenzkampf« um weltweite Einkaufsgelegenheiten und Absatzchancen verhilft, schaffen diesen die Freiheit, seine Ersetzung durch »arbeitssparende«, nämlich lohnkostensenkende Maschinerie oder durch die ebenso lohnkostensenkende »Schaffung von Arbeitsplätzen« in südlicheren Regionen ins Kalkül zu ziehen – seine Gewerkschaft beschwert sich dann über »die Japaner«, weil die damit angefangen haben, und über »die Taiwanesen«, weil die es so billig machen.

Immerhin helfen andere Abteilungen der nationalen Außenwirtschaft dem »kleinen Mann« beim Sparen; heutzutage entgeht keine tropische Frucht mehr so leicht ihrer Überprüfung durch einen gewitzten Importeur daraufhin, ob sie nicht als preiswerter Vitaminspender gegen die zunehmend unerschwinglichen Produkte des Obstanbaus in den gemäßigten Zonen eine Marktchance hat. Daß die Veranstalter dieses Geschäftszweiges es allerdings überhaupt nicht auf die Schonung seines Geldbeutels abgesehen haben, macht die Großzügigkeit klar, mit der sie bei ihrer Preisgestaltung die Spanne zwischen dem Gestehungspreis ihres Artikels und dem Marktpreis möglicher Alternativprodukte nutzen – speziell wenn es, wie im Falle des Benzins, solche Alternativen nicht gibt und der Konsum des fraglichen Saftes dank einer zielstrebigen Verkehrspolitik für den sparwilligen Menschen zur ökonomischen Notwendigkeit geworden ist. Unter derartigen – vom Importeurstandpunkt viel zu – selten günstigen Bedingungen wird dann sogar der Fiskus zum Teilhaber am Monopolpreis und trägt so auf seine Weise zu der Klarstellung bei, daß die »Kaufkraft« des »kleinen Mannes« nicht dazu da ist, auf Grund von Vorteilen eines weltweiten Einkaufs von Konsumartikeln zu wachsen – solches bleibt der »Investitionsbereitschaft« derjenigen »Wirtschaftssubjekte« vorbehalten, deren Erdölverbrauch unter dem Titel »Energiekosten unserer Wirtschaft« so viel Einfluß auf die Konkurrenzfähigkeit des nationalen Unternehmertums hat! »Massenkaufkraft« gibt es, damit die maßgeblichen Subjekte der nationalen Ökonomie sie für ihr Geschäft benutzen können. Dasselbe gilt, sobald der massenhafte Verbrauch billigerer ausländischer Radios und Fotoapparate, erst recht von Autos die einschlägigen Heimatindustrien in ihrem Absatz beeinträchtigt: dann soll der Mensch national denken beim Einkaufen; kommt es doch zu einem Defizit in der Handelsbilanz, weil der Preis für die Masse der Konsumenten nun einmal das ausschlaggebende Einkaufsargument ist, dann haben ausgerechnet »wir alle« »über unsere Verhältnisse gelebt«! Deswegen sollte am besten gleich der Staat durch Zölle, Importkontingente und dergleichen den Menschen Patriotismus lehren – etwas anderes ist es natürlich, wenn ein heimischer Fabrikant Produktionsabteilungen ins rentablere Hinterindien verlagert und der Import eine Art weiträumigen Werksverkehr darstellt.

Kurzum: wie überhaupt die gesamte Marktwirtschaft, so dreht sich auch die gesamte Außenwirtschaft einer weltweit aktiven Nation um »den Menschen«: um die lohnende Benutzung seiner Arbeitskraft ebenso wie seiner »Kaufkraft«. Für die Abwicklung dieser Geschäfte braucht er daher auch gar nicht weiter gefragt zu werden. Er steht sowieso »im Mittelpunkt«.

2. Vom maßgeblichen Zweck einer kapitalistischen »Binnenwirtschaft« unterscheidet der ihrer äußeren Abteilung sich also überhaupt nicht – wie auch! Es geht um Geld, genauer: um die Vermehrung des in den außenwirtschaftlichen Operationen eingesetzten Kapitals. Die ideologisch deklarierten »eigentlichen« Zwecke: »Schaffung von Arbeitsplätzen« durch Export, »Versorgung der Bevölkerung« durch Import, blamieren sich an der kleinen Fußnote, der so uninteressanten, banalen und doch völlig unerläßlichen »Bedingung«, daß ein Geschäft dabei natürlich schon herausschauen muß. Die Vorstellung, es wäre der glückliche Kunde, der als versorgter Endverbraucher das Geschäft macht, oder der »Arbeitsplatzbesitzer«, der mit diesem »Besitz« seinen Geschäftserfolg bewerkstelligte, ist in Import- und Exportangelegenheiten allenfalls noch offenkundiger albern als beim inneren Handel und Wandel. Wie sonst auch sind Nutznießer und Benutzte die beiden verschiedenen Parteien des Geschäfts; und dieses erfüllt sich – eine so offenkundige und doch so gern als allzu »vordergründig« oder »eindimensional« geleugnete Trivialität des ökonomischen Alltagslebens im »freien Westen« – in einer vergrößerten Geldsumme, die Ausgangspunkt für die erneuerte Mehrung des in Geld nicht nur gemessenen, sondern »rein« vorliegenden Reichtums ist.

Zahlung, und zwar in hinreichender Höhe, ist also die erste Bedingung jeglichen Ex- und Imports. Ihr verdankt die Menschheit das zur Gewohnheit gewordene Nebeneinander erlesener Formen der Armut und des Überflusses in Gestalt der »Schweine-« und »Butterberge«, der »Autohalden« und »überfüllten Farbfernseherlager« und der »weltweit unausgelasteten« Stahlerzeugungs- wie Transport-»Kapazitäten«. Man sollte vielleicht einmal die Einsicht nicht für zu banal befinden, daß, seit für Geld alles zu haben ist, alles auch eben nur für Geld zu haben ist. Das gibt über die Emanzipation einer übers Geld abgewickelten Ökonomie von den Schranken, die die Natur einer noch unentwickelten Produktionsweise gesetzt hat, ebenso Auskunft wie über deren gesellschaftlichen Zweck und die durch diesen errichteten gesellschaftlichen Schranken für die Nutznießung der produktionstechnisch bewältigten Natur. Das unmittelbare Kriterium, nach dem das intensiv genutzte Arbeitermaterial nördlicher Zonen mit preiswertem Kraftfutter aus aller Herren Länder »versorgt« wird, ist dasselbe wie dasjenige, nach dem in einer »Welt wechselseitiger Abhängigkeit« das Hungern und Verhungern vor sich geht, nämlich das der funktional beschränkten Zahlungsfähigkeit; die funktionale Beschränkung entscheidet sich ihrerseits nach dem Nutzen, den ein weltweit agierendes Kapital aus der Zahlung von Löhnen und Gehältern zieht; und dieser Nutzen realisiert sich weder in vielen nützlichen »Versorgungsgütern« noch in der Errichtung entsprechender Produktionsstätten, sondern in der Summe Geldes, die darüber entscheidet, ob und inwieweit Produktion und Gebrauchswert sich lohnen – dies ist der entscheidende Zweck.

Eben weil es einer freiheitlichen Nationalökonomie ums Geschäft und folglich um universell verfügbaren Reichtum: um Geld als dessen End- und Ausgangspunkt, geht, findet ihr Außenhandel allerdings eine spezielle Schranke an dem Mittel, das eine moderne freiheitliche Staatsgewalt ihren Bürgern eigens zur möglichst ökonomischen Abwicklung ihres Geschäftslebens zur Verfügung stellt: am staatlichen Kreditgeld. Bekanntlich gehört die Behandlung von Schuldscheinen als Zahlungsmittel zu den notwendigen Gepflogenheiten, das Schuldenmachen zu den unabdingbaren Geschäftsmitteln des freien demokratischen Unternehmergeistes; und ebenso, daß ein verantwortungsbewußter Staat es seinen Geschäftsleuten durch die Ausgabe gesetzlicher Schuldscheine seiner Zentralbank als garantiertes Zahlungsmittel erspart, den allgemeinen, für alles verfügbaren Reichtum, um dessen Wachstum es in allem Geschäftemachen geht, noch neben seinem beständigen Fungieren im Geschäftsleben als realen Goldschatz Gestalt annehmen zu lassen – ein Bankkonto, das auf einen hinreichenden Betrag von Nationalbanknoten lautet, tut da dieselben Dienste. Das Geschäftswesen, dem es um den »abstrakten Reichtum«: den Wert schlechthin und sein Wachstum, geht, emanzipiert sich so einerseits von der vorhandenen Masse eines in Goldschätzen materialisierten »abstrakten Reichtums«, andererseits von der lästigen Form des privaten Handelskredits, der im Falle einer verzögerten Rückzahlung gleich einen anderen Geschäftsmann direkt schädigt und die Fortsetzung seines Geschäfts in Frage stellt, – womit die Mehrung eben dieses Reichtums einen ungeahnten Aufschwung nimmt. Die Förderung des Geschäftslebens, die der Staat mit seinem Kreditwesen zustande bringt, läßt dessen Nutznießer gern und leicht darüber hinwegsehen, daß damit die Staatsgewalt natürlich auch für sich ein Mittel geschaffen hat: durch die Emission von Banknoten zu eigener Verfügung – in normalen Zeiten fein säuberlich geregelt als Geschäftsverkehr zwischen dem Staat als Schuldverschreibungen ausgebendem Finanzminister und dem Staat als diese kaufender Zentralbank – verschafft sie sich ihrerseits »Kredit«, nämlich einen durch bloße Zahlungsversprechen (nicht) »gedeckten« Zugriff auf die gegenständlichen Reichtümer ihrer Gesellschaft. Die notwendige Konsequenz dieser Funktion des Nationalkredits: die beständige Entwertung der staatlichen Zahlungsversprechen wird zwar als Inflation bedauert, und ihre Abschaffung gehört so fest zum Repertoire wirtschaftspolitischer Versprechungen wie das Sündenbekenntnis zur Beichte; schlagender läßt deren begrenzte Ernsthaftigkeit sich allerdings kaum demonstrieren. Ein aufgeklärter Geschäftsmann hat sich in seinem Kreditgebaren auf die Entwertung des Staatskredits eingerichtet; keine Inflation wäre eine Katastrophe für sämtliche soliden Finanzmärkte. Erst recht fällt natürlich keinem Aktivisten der mit Schulden bewerkstelligten Kapitalakkumulation die Gleichung von Kredit und Gewalt auf, die die politische Obrigkeit praktiziert und auf die er sich verläßt, wenn die staatlichen Zahlungsmittel nicht mehr als einlösbare Anweisung auf die wirkliche Materie des »abstrakten Reichtums« gelten, sondern selber als die letztinstanzliche Erfüllung jeden Zahlungsversprechens, also wie wirklicher Wert zu akzeptieren sind. In ihrer Garantie des Nationalkredits führt die Staatsgewalt die ökonomische Kategorie des Werts und deren praktische Existenz im Geld tatsächlich ganz praktisch auf ihren nackten Grundbegriff zurück: Eigentum in seiner reinen negativen Bedeutung des durch eine »höhere« Gewalt bewerkstelligten Ausschlusses aller anderen vom Gebrauch nützlicher Dinge.

Beides: daß allein die politische Gewalt der Nation den nationalen Kreditzetteln zur Gültigkeit verhilft und daß sie mit ihrer Benutzung dieses Kredits den Wert ihrer gesetzlichen Zahlungsmittel flexibel macht, fällt nun allerdings sogleich auf, sobald ausländischer Reichtum, sei es in Form von Ware zu günstigem Preis oder als interessante Zahlungsfähigkeit, ins nationale Geschäftsleben einbezogen werden soll:

– Als Kauf- und Zahlungsmittel taugen die staatlichen Zentralbanknoten eben bloß im Zuständigkeitsbereich der Staatsgewalt, die sie zwangsweise gültig macht. Grenzüberschreitender Kauf und Verkauf setzen daher eine wechselseitige Anerkennung der jeweiligen ausländischen Währung, also der Kreditgarantie der einen Staatsgewalt durch die andere voraus: ein notwendiges politisches Begehren, das allerdings nicht für jede Regierung von gleicher Dringlichkeit ist – die Freiheiten wachsen hier mit dem eingesetzten Reichtum! – und deswegen so manchem Staat sein erstes wirtschaftspolitisches Druckmittel gegen seine Nachbarn in die Hand gibt. Diese prinzipielle wechselseitige Anerkennung des ausländischen Nationalkredits vorausgesetzt, ist damit aber noch gar nichts über das quantitative Verhältnis entschieden, in dem die Währungen einander gleichgelten.

– Als Maß der Werte und Maßstab der Preise wird die nationale Währung an den Staatsgrenzen hinfällig. Ein Maßstab ist gefordert, damit die Rentabilität von Einkäufen im wie von Verkäufen ins Ausland sich überhaupt kalkulieren läßt. Nun ist ein solcher Wertmaßstab zwar einerseits von Anfang an darin gegeben, daß jede staatliche Notenbank ihre Ausgabe von Zahlungsmitteln auch auf ihre Bestände an der Materie hin veranstaltet, die für jedes kapitalistische Geschäft, also weltweit den »abstrakten Reichtum« nicht bloß symbolisieren, sondern Wert in reiner Form – Geldware – ist: noch jedes nationale Kreditgeld behauptet von sich eine bestimmte Parität zu Gold. Nur hat eben immer schon – von den Modifikationen durch den Außenhandel noch ganz abgesehen – die staatliche Benutzung des offiziellen Kreditgeldes dessen Funktion als Wertmaß von seiner ideellen Goldparität »emanzipiert«, den offiziellen »Goldpreis«, zu dem eine Notenbank ihren Goldschatz als Aktivum kalkuliert, zu einer Größe gemacht, die eine besondere Kalkulation erfordert. Dem praktischen Vergleich der Währungen fehlt wegen der per staatlicher Setzung vollzogenen Unabhängigkeit des Zahlungsmittels von der Goldware das notwendige verbindliche allgemeine Maß.

– Damit steht nun aber nichts Geringeres als die Tauglichkeit des ausländischen Reichtums als Mittel der Bereicherung in Frage. Denn wie wohl verwendbar auch immer die fremdländischen Produkte wären: ihre Verwendung soll ja nicht praktisch sein, sondern sich lohnen; und ebenso will der Export nicht die Beschäftigten aller Länder mit den Hervorbringungen nationalen Fleißes »versorgen«, sondern die auswärtige Zahlungsfähigkeit als Mittel zur lohnenden »Verwandlung« produzierter Waren in universell verwendbaren, allgemeinen Reichtum benutzen: »realisiert« ist der Geschäftserfolg erst in der wirklich gewachsenen Geldsumme.

3. Nun gibt die »Blüte« des Welthandels die klarste Auskunft darüber, daß die Geschäftswelt mit dieser nationalen Beschränktheit ihres Geschäftsmittels Nr. 1, des nationalen Kreditgeldes, offenbar glänzend fertig wird; und die Devisenbörsen in den Zentren des weltweit agierenden Kapitals sind der praktische Beleg dafür, zu was für einem Geschäft sich die Bewältigung dieser Schranken des Geschäftemachens ihrerseits ausgewachsen hat. Tatsächlich ist das Prinzip der »Lösung« im gestellten »Problem« bereits gegeben. Auf Reichtum in universell verwendbarer Form kommt es im kapitalistischen Wirtschaftsleben ja nicht deshalb an, damit der Erfolgreiche gewaltige Goldschätze horten kann. Ein Erfolg ist die »realisierte« Geldsumme vielmehr gerade darin, daß sie zum Ausgangspunkt erneuerter und vergrößerter Geschäfte wird. Das ist daher auch das wirklich maßgebliche Kriterium für die Tauglichkeit eines ausländischen Kreditgelds: Ob auf den einmal in dieser Form ergatterten Wert Verlaß ist, ist nur insofern entscheidend, als er sich erneut lohnend verwerten lassen muß. Genau und allein nach diesem Kriterium bestimmt sich daher auch tatsächlich das Wertverhältnis zwischen verschiedenen nationalen Währungen: es hängt (zunächst) ausschließlich von dem relativen Umfang ab, in dem ein für Importzwecke hingegebenes Kreditgeld wieder für die Auslandsgeschäfte der Kapitalisten des Empfängerlandes Verwendung findet – oder umgekehrt: in dem eine in Zahlung genommene ausländische Währung sich wieder für lohnende Auslandseinkäufe benutzen läßt. Die Devisenhändler ermitteln täglich neu aus Stand und Umfang der gerade abgewickelten Geschäfte die aktuellen Wechselkurse, indem sie deren Unterschiede im Raum und in der Zeit durch Termingeschäfte und globale Umbuchungen zu ihrem Vorteil ausnutzen – und dadurch selber mit herstellen helfen. Denn im Falle ihrer »Ware«: der Kreditgelder aller Nationen, wird endlich einmal das alberne Ideal der Volkswirtschaftslehre von der Preisbestimmung allein durch Angebot und Nachfrage auf der Basis »subjektiver Wertschätzung« in all seiner Brutalität wahr: die beständige »Schätzung«, wann und wo in welcher Währung welches Geschäft sich endlich oder nicht mehr lohnt, macht die Devisenmärkte zu Schlachtfeldern für Profis. Das scheinbar paradoxe Ergebnis: der internationale Wert einer Währung, ihre Bewertung als Wertmaßstab im Verhältnis zum Kreditgeld anderer Denomination, ist Grundlage für ihre tatsächliche Verwendung als internationales Geschäftsmittel, richtet sich aber gleichzeitig nach dieser Verwendung.

Das elementare »Gesetz« dieser Wertbestimmung geht dabei aus dem Umfang der Verwendung einer Währung als Kauf- und Zahlungsmittel hervor: Der Wechselkurs zeigt sinkende Tendenz in dem Maße, wie der Import den Export überschreitet, und steigende mit den relativen Ausfuhrerfolgen einer Nation. Dieses »Gesetz« gibt stets von neuem zu dem idyllischen Irrglauben Anlaß, der Welthandel würde letztinstanzlich durch ein »selbstregulierendes Gleichgewicht« gelenkt, so nämlich, daß mit sinkendem Außenwert einer Währung die verteuerten Importe automatisch ab-, die verbilligten Exporte ebenso unvermeidlich zunähmen, beides umgekehrt bei Höherbewertung einer Währung. Tatsächlich ist in der wirklichen Welt von einer solchen lieblichen Tendenz zum immerwährenden Ausgleich noch nichts bekanntgeworden, und von einem ökonomischen »Naturgesetz« in dieser Richtung, hin zum Ausgleich aller Handelsbilanzen, kann auch gar nicht die Rede sein.

Wenn mangelnde Exporterfolge einer nationalen Ökonomie bei gleichzeitigen Verkaufserfolgen der Außenhändler fremder Staaten in diesem Land den Wert seiner Währung sinken lassen, so kommt es sehr darauf an, ob damit der Anfang vom Ende oder von der Wiedergewinnung der internationalen Zahlungsfähigkeit dieser Nation gemacht ist. Darauf nämlich, ob dort ein genügend großer, frei anlegbarer, also überschüssiger Reichtum vorhanden ist, um nun, produktiv eingesetzt, dank der neuen Kurskonditionen im Außenhandel der ausländischen Konkurrenz auf dem nationalen Markt wie im Export Marktanteile abzujagen; dies ungeachtet der erschwerenden Bedingung verteuerter Importe, womöglich auch steigender Preise einheimischer Zulieferer, die sich überdies womöglich als erste eine besser zahlende ausländische Kundschaft erschließen; von hinreichender Größe auch noch nachdem die Währungsabwertung ja immerhin den für einheimischen Reichtum geltenden Maßstab international verkleinert und damit die weltweite Durchsetzungsfähigkeit der schon fungierenden wie der neu anzulegenden Kapitale beschränkt hat. Ist solcher Reichtum gegeben – und sei es als fiktiver dank eines leistungsfähigen Kreditwesens –, so ist eine Abwertung in der Tat eine Chance für die nationale Ökonomie. Klar ist allerdings auch, daß dieser Fall allemal die Ausnahme darstellt. Denn zu so durchschlagenden Erfolgen der ausländischen Konkurrenz, daß deswegen eine Abwertung ansteht, kann es ja kaum anders gekommen sein als dadurch, daß das Kapital der Nation sich insgesamt (am internationalen Maßstab gemessen) als zu ineffektiv im Hervorbringen lohnend anwendbaren Überschusses, sein Wachstum also als zu schwächlich erwiesen hat. Der Normalfall unter konkurrierenden Volkswirtschaften ist folglich eher der, daß durch eine Abwertung die Importe teurer werden, dabei aber unentbehrlich bleiben; umgekehrt die eigenen Waren im Ausland billiger, damit aber noch längst nicht lohnend, geschweige denn in größeren Massen mit vergrößertem Gewinn loszuschlagen sind; und zwar eben weil es an Kapital fehlt, das diesen Erfolg zustande bringen könnte. Ausgeglichen wird eine Handelsbilanz auf diese Weise keineswegs, stattdessen die internationale Zahlungsfähigkeit der Nation geschmälert und zusätzlich dadurch gefährdet, daß die Verfügung über Geld in der entwerteten Währung für jeden denkenden Geschäftsmann, sei er In- oder Ausländer, zu den tunlichst zu vermeidenden Geschäftsrisiken gehört.

4. Keine Regierung sieht denn auch der Entwertung ihres Nationalkreditgeldes an den internationalen Devisenbörsen im Vertrauen auf die »Selbstheilungskräfte des Marktes« gelassen zu – Gelassenheit in Währungsfragen ist das Privileg von Regierungen, die über einen weltweit gefragten Nationalkredit verfügen, weil das Exportkapital ihrer Nation weltweit erfolgreich ist: Solche Geschäftstüchtigkeit berechtigt allemal zu der Berechnung, daß die Exporteure auch mit der verschärften Konkurrenzbedingung eines höheren Außenwerts des nationalen Wertmaßstabs fertig werden – und die Erfolglosen es auch nicht besser verdient haben –, zumal sie ja, wie die gesamte Wirtschaft, ab sofort in den Genuß billigerer Importe, z.B. so gewichtiger Rohstoffe wie Erdöl, gelangen. Staaten, deren auswärtige Zahlungsfähigkeit auf Grund der Erfolge ausländischer Konkurrenten des einheimischen Kapitals schwindet, pflegen daher einiges an Gegenmaßnahmen ins Werk zu setzen; auch das allerdings mit keineswegs gewissen Erfolgsaussichten.

Als erstes Zwangsmittel bieten sich an – und werden von den ruinierten Kaufleuten der Nation gefordert – die klassischen Zwangsmittel des Schutzzolls und der Kontingentierung geschäftsschädigender Importware. Dank der segensreichen Entwicklung des Welthandels gibt es heutzutage aber kein Land mehr, und schon gar kein demokratisches »Industrieland«, das nicht ebensosehr auf die andere Seite seines Außenhandels zu achten hätte. Schließlich wollen inländische Produzenten ihrerseits auf auswärtigen Märkten genau die Erfolge erringen oder verteidigen, die, von auswärtigen Geschäftsleuten im eigenen Land erzielt, so überaus bedenklich sind. Bei Zwangsmaßnahmen zur Verbesserung der Handelsbilanz und zum Schutz einheimischer Produktionszweige ist daher wohl zu unterscheiden, gegen wen sie sich richten. Wenn gegen Staaten, die als Kunden der eigenen Ökonomie entweder auf Grund besonderer Umstände ohnehin sicher oder uninteressant sind, dann ist vom Standpunkt des nationalen Interesses aus alles erlaubt und alles Erlaubte geboten. Würden dagegen Nachbarn betroffen, die ihrerseits über interessante Absatzmärkte, auf diesen allerdings auch über Konkurrenten verfügen, ist bei Schutzmaßnahmen für nationale Industriezweige mit einem entsprechenden Ausschluß der eigenen Exporteure von der Benutzung der ausländischen Kaufkraft zu rechnen, was zu verhindern schon einige Erpressungskunststücke, also Mittel zum »Einfluß« erfordert. Und nicht nur das: auch einseitige Handelshemmnisse können nicht verhindern, daß die billigere Auslandsware den eigenen Exportartikeln in dritten Ländern erfolgreich Konkurrenz macht. Schutzzölle ziehen so fast mit Notwendigkeit als ergänzende Maßnahme Exportsubventionen nach sich, mit denen aber auch kein Staat auf Dauer glücklich wird: Da wird von Amts wegen nationaler Reichtum verausgabt, nicht um dessen Wachstum zu beschleunigen, sondern um eine eigentlich konkurrenzunfähige Branche zu retten; und spätestens wenn sich dank subventionierter Preise ein Erfolg einstellt, werden bei den konkurrierenden Nationen gleichartige Gegenmanöver fällig.

Eine verantwortungsbewußte Regierung entsinnt sich daher angesichts schwindender internationaler Zahlungsfähigkeit ihrer Geschäftswelt zweitens der eigenen Hoheit über ihr Kreditgeld sowie des Umstands, daß zu jedem Kursverfall der einen Währung der Kursanstieg mindestens einer anderen gehört: Sie legt den Außenwert ihres gesetzlichen Zahlungsmittels zwangsweise fest und sucht Verbündete, um die Nation oder die Nationen, die durch ihre Exporterfolge den Welthandel »in Unordnung« gebracht haben, zu einer Aufwertung zu drängen. In einem solchen Fall wäre immerhin die Stärkung der eigenen Exporteure im Vergleich mit dem gefährlichen Konkurrenten nicht mit einer Pauschalverteuerung aller Importe erkauft – ein Unterschied, um den schon manche internationale »Erpressungs-Gesprächsrunde« gelaufen ist. Bleibt dieser Erfolg aus, so bereichert die staatliche Fixierung der Wechselkurse nur die Welt des internationalen Handels und Wandels um eine neue Erscheinung: überbewertete und daher »schwache« Währungen, ebenso wie die unterbewerteten und daher »starken«, bringen professionelle Devisenspekulanten erst richtig in Schwung. Der Zahlungsfähigkeit eines »Weichwährungslandes« tut das gar nicht gut!

Es zeigt sich in der Wertbestimmung einer nationalen Währung also ziemlich unerbittlich, daß das Kreditgeld einer Nation als internationales Kauf- und Zahlungsmittel taugt, weil, solange und in dem Maße, wie das darin sich umtreibende Kapital Geschäfte zustande bringt, die sich im Weltmaßstab lohnen. Zur durchgreifenden »Sanierung« ihrer Zahlungsfähigkeit bleibt einer »Volkswirtschaft« und ihrer Regierung also nur der eine Weg, die Basis für lohnende Geschäfte im eigenen Land: die Produktivität der nationalen Kapitale wieder auf Weltniveau zu bringen. Daran entscheidet sich nämlich in letzter Instanz, ob ein Auslandsgeschäft erstens überhaupt zustande kommt, die eigene Ware also für den auswärtigen Kunden hinreichend billig ist und der für Importe gezahlte Preis hoch genug, daß es sich für den auswärtigen Partner lohnt, und ob zweitens gleichzeitig die ganze Operation sich auszahlt, der Auslandseinkauf also für den inländischen Kunden billig, der Exporterlös hoch genug ist, um sich zu lohnen; das Ganze bei gegebenem Wechselkurs so, daß die »geschwächte« Währung sich »wieder erholt«. Über die Mittel, deren zielstrebiger Einsatz über den Erfolg solcher nationalen »Sanierungs«-Kampagnen entscheidet, geben ironischerweise die Propagandafeldzüge klarste Auskunft, die zu einer demokratischen Wirtschaftspolitik nun einmal dazugehören: Am Konkurrenten, der der Nation ihre Defizite und diversen Branchen ihre Schwierigkeiten eingebrockt hat oder haben soll, entdecken die Lobbyisten des Kapitals – und als solche tun sich an dieser Stelle in mancher westlichen Musterdemokratie professionelle Gewerkschafter ganz besonders hervor! – regelmäßig sämtliche Techniken der Ausbeutung, die im eigenen Land noch keiner gesichtet haben will, schon gleich nicht, solange noch alles gut ging mit dem Auslandsgeschäft, die Notenbank an einer positiven Handelsbilanz ihre Freude hatte und die Japaner sich an deutscher Wertarbeit ein Beispiel nehmen sollten: Arbeitshetze, niedrige Löhne, spärliche Sozialleistungen, extremste Perfektionierung der Arbeitsplätze ...

Schwindet trotz allem die Erfolgstüchtigkeit der nationalen Produktion und die Zahlungsfähigkeit der nationalen Kaufleute im Ausland weiter – die Konkurrenz schläft ja auch nicht! –, wird also die internationale Kaufkraft eines Nationalkredits zunehmend hinfällig, so kommt im praktischen Geschäftsverkehr auf einmal eine längst totgeglaubte Wahrheit über das Geld zum Vorschein. Plötzlich ist nichts so wichtig wie die »Eigenschaft«, von der das staatlich garantierte Kreditgeld sich gerade emanzipiert hat und vor der es sich mit dieser seiner Freiheit jetzt so tödlich blamiert: die »Eigenschaft« des Geldes, wirklicher Wert zu sein. Die Zahlungsfähigkeit der Nation schrumpft zusammen auf den Goldschatz, den – bei aller Perfektionierung des internationalen Kreditüberbaus, dessen Prinzipien im nächsten Abschnitt dieses Kapitels behandelt werden – noch jede Nationalbank sich als wichtigen Posten unter ihren Aktiva, als die Grundlage ihrer »ungedeckten« Notenemission, leistet. Im internationalen Geschäftsverkehr ist, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz, der Verlaß und im Ernstfall der praktische Rückgriff auf Barzahlung in Goldbarren überhaupt nicht ausgestorben.

5. Allerdings ist dieser Zahlungsmodus, wenn er als wiederholter Ausweg gewählt wird, im heutigen internationalen Handel gleichbedeutend mit einem Offenbarungseid und der Beendigung jeder aktiven Teilhabe am weltweiten Handelsgeschäft; und deswegen entnimmt eine aufgeklärte Regierung dieser Zwangslage den Auftrag, neue »Sachzwänge« in ihrem Land und – soweit (noch) vorhanden – in ihre Ökonomie einzuführen. Was im Land an Kapital fehlt, um am Geschäft der Benutzung auswärtiger Volkswirtschaften und ihres Reichtums teilzunehmen, das »ersetzt« sie durch den Zwang gegen ihre Untertanen, das Unmögliche möglich zu machen und – koste es, was es wolle – weltweit gültige Zahlungsmittel beizuschaffen. In ihrer Bevölkerung verfügt nämlich noch jede politische Obrigkeit über das Mittel für den Versuch, die eigene Zahlungsunfähigkeit abzuwenden. Der Einsatz der nationalen Arbeitskraft muß dann mehr erbringen, auch ohne daß für die Verbesserung der Arbeitsmittel kostbare Devisen verausgabt werden. Zwar verabschiedet ein Staat sich mit der Streichung solcher Importe endgültig aus dem Kreis der konkurrierenden Macher der »Weltwirtschaft«: Er ruiniert – von seinem Volk mal ganz abgesehen – die produktive Basis seiner Ökonomie, um seine Zahlungsfähigkeit zu retten. Dafür konkurriert er an einer ganz neuen Front, nämlich mit gleichartigen Staaten um das optimale Mischungsverhältnis zwischen Herabminderung des Existenzminimums und dennoch aufrechterhaltener Leistungsfähigkeit seiner arbeitenden Untertanen.

Im Außenhandel auf einer solchen Grundlage haben linke Imperialismustheoretiker mit Hilfe eines Mißverständnisses der Marxschen »Arbeitswertlehre« einen Beleg für schreiende Ungerechtigkeiten im internationalen Geschäftsverkehr entdeckt. Wie späte Schüler der geldtheoretischen Fehler, die Marx an Proudhon kritisiert hat, stellen sie in ihren Berechnungen der internationalen Austauschrelationen die Arbeitsstunden gegenüber, die jeweils auf im Welthandel wertmäßig gleichgesetzte Waren aus den »Industrie-« und aus den anderen Ländern verwandt worden sind, und stoßen so natürlich auf eklatante Ungleichheiten: Da mag die Arbeitsstunde eines BMW-Arbeiters hundert Arbeitsstunden eines senegalesischen Erdnußpflückers »kaufen«. Was den behaupteten »Marxismus« dieser Vorstellung betrifft, so wird da zugunsten des Ideals weltweiter Gerechtigkeit die von Marx entdeckte und betonte Bestimmung des Tauschwerts »übersehen«, daß er gerade nicht als die Messung seiner »Substanz«, der verausgabten Arbeitsmenge, existiert, sondern in deren Gleichsetzung mit einem Quantum Geld; in einer formellen Differenz also zu seiner eigenen Grundlage, mit der eine quantitative Deckungsgleichheit von Tauschwert einer bestimmten Ware und zu ihrer Produktion angewandter Arbeitszeit prinzipiell ausgeschlossen und zum Zufall herabgesetzt ist. Der Wert einer Ware ist eben von Anfang an nicht eine Frage der tatsächlich in ihr steckenden Arbeitszeit, sondern des mit dieser Arbeitszeit bewerkstelligten Geschäfts; oder anders: ihren Zweck und damit ihre praktische Wahrheit besitzt die Warenproduktion für den Handel nicht in der idealen Gleichgeltung unterschiedlicher Arbeiten, sondern im Gewinn, der durch die entsprechende Benutzung dieser qualitativen Gleichgültigkeit unterschiedlicher Arbeiten erzielt wird. Wenn sich daher im internationalen Geschäftsleben der Maßstab der Preise selbst als sehr veränderlich erweist, und zwar je nach dem Gelingen des in der jeweiligen Währung bewerkstelligten Kapitalwachstums, so ist das kein Verstoß gegen das »Wertgesetz«, sondern dessen höchst sachgerechte Konsequenz. Denn über die gesellschaftliche Notwendigkeit der verausgabten Arbeit, damit über den tatsächlichen Wert, entscheidet – wie Marx auch schon gemerkt und mitgeteilt hat – nicht das gesellschaftliche Bedürfnis, sondern das zahlungsfähige Bedürfnis, und das heißt: es sind die Geschäftsbedürfnisse der wirklichen ökonomischen Subjekte einer nationalen Ökonomie, ihrer Kapitale, die über die »gesellschaftliche Notwendigkeit« einer jeden Arbeit und damit über den tatsächlichen Wert einer jeden Ware befinden. Wenn folglich eine Regierung durch die direkte Verelendung ihres Volkes aus dessen Arbeit zwangsweise ein Geschäft macht, das auf Basis einer auch nur annähernden Gleichgeltung der Arbeitsstunden in ihrem Land und bei ihrem erfolgreicheren Geschäftspartner nie und nimmer zu machen wäre, dann ist das Wertgesetz weder »widerlegt«, noch liegt ein »Verstoß« dagegen vor, so als handelte es sich bei diesem ökonomischen Zwangszusammenhang um ein löbliches moralisches Gebot. »Modifiziert« wird das Wertgesetz auf diese Weise nur in einer Hinsicht, indem nämlich die politische Gewalt ihr Volk den praktischen Nachweis führen läßt, wie billig Arbeit zu haben, wie gering im Land also mit der Effektivität auch der Wert der nationalen Arbeitskraft ist: so kommen eben doch noch Geschäfte zustande, wo die entscheidenden Geschäfte des erfolgreichen Kapitals längst auf ganz andere Weise, nämlich durch die fortschreitend effektivere Ausnutzung von Arbeitskräften vonstatten gehen.

Diese »Modifikation des Wertgesetzes« ist also gar nichts anderes als der Modus seiner praktischen Durchsetzung in Ländern, die der Gang der weltweiten Konkurrenz für das »normale« Geschäftsleben untauglich gemacht hat oder nie hat tauglich werden lassen. Es ist ein und dieselbe Gesetzmäßigkeit des kapitalistischen Äquivalententauschs, die in den Nationen mit international erfolgreichem Kapital eine produktivere Ausnutzung der Arbeit und ein Steigen des Wechselkurses der nationalen Währung, in den Nationen ohne florierendes Geschäft ein zunehmend unproduktiveres Elend und für den volkswirtschaftlichen Verstand das scheinbare Rätsel hervorbringt, weshalb denn wohl die »terms of trade« sich für die »Entwicklungsländer« laufend verschlechtern – wie denn sonst sollte die Gerechtigkeit des internationalen Handels bei ihnen wirken?

Manchem Staat kommt dabei in seinem Bemühen, im internationalen Handelsgeschäft mitzuhalten und dessen harten Kriterien gerecht zu werden, die natürliche Beschaffenheit seines Herrschaftsgebietes zustatten. Schon die ersten Apologeten des Kapitalismus und seines weltweiten Ausgreifens haben es für eine ungemein sinnreiche Einrichtung der »unsichtbaren Hand«, die bekanntlich alles Marktgeschehen zum Besten lenkt, gehalten, daß sie in Portugal Portwein, in England dagegen hochmechanisierte Tuchfabriken wachsen ließ, so daß britische Spediteure zu »wechselseitigem Vorteil« den Südwein nach Norden und billige Textilien an die Portugiesen verhökerten. In Vorstellung und Terminus einer »weltwirtschaftlichen Arbeitsteilung« lebt dieser Idealismus noch heute ungebrochen weiter; in der »Theorie der komparativen Kosten« hat er sich sogar eine volkswirtschaftliche Ideologie zugelegt, derzufolge der Welthandel und der darüber bewerkstelligte praktische Vergleich nationaler Gewinnspannen automatisch dafür sorgt, daß jedes Land zum großen »Weltmarkt« das »beisteuert«, was in ihm mit dem geringsten Kostenaufwand herzustellen ist. Die fromme Albernheit dieser »Theorie« könnte allerdings schon an dem Umstand auffallen, daß es zwar regelrechte Bananenrepubliken gibt, aber keine westeuropäische Erdbeerdemokratie; ebensowenig verschrottet eine »Industrienation« ihre Hochöfen und Raffinerien, bloß weil in Nigeria Erdöl und Eisenerz nebeneinander lagern: eher exportiert dieses Land beide Rohstoffe in roher Form. Tatsächlich ist es allemal – schon beim Tauschhandel von britischem Tuch gegen Portwein – eine harte Konsequenz der internationalen Konkurrenz, wenn ein Staat für die Aufrechterhaltung seiner Ökonomie auf die speziellen Vorzüge der Natur seines Landes zurückgeworfen ist. Das bedeutet nämlich, daß die maßgeblichen, d. h. für die Schaffung und Mehrung des nationalen Reichtums ausschlaggebenden Geschäftszweige, in denen es auf die effektive, daher industrielle Nutzung der Arbeitskräfte ankommt, der auswärtigen Konkurrenz unterlegen oder ihretwegen gar nicht erst zustande gekommen sind. Geschäftlich geltend machen kann ein solcher Staat nurmehr sein politisches Monopol über Naturschätze, deren ökonomischer Wert, ob und in welchem Umfang also daraus frei verfügbarer Reichtum zu machen ist, sich ganz anders entscheidet. Mit der Anstrengung, seinen Naturvorteil auszunutzen, untergräbt ein solcher Staat zudem sein einziges eigenes Geschäftsmittel, das in der matten politischen Drohung liegt, sein Monopol in der einzigen Weise geltend zu machen, in der es ökonomisch überhaupt geltend zu machen ist, negativ nämlich, als Verbot des Exports: Er wird nur immer ausschließlicher von einer Benutzung seines Naturstoffs, die er selbst gerade nicht zustande bringt, durch auswärtige »Kundschaft« abhängig. So macht ein Souverän seine Naturschätze und sich als deren politischen Verwalter zum Anhängsel eines weltweiten Handelsgeschäfts, dessen Subjekte ganz woanders sitzen, ganz einfach weil Zahlungsfähigkeit, also das erfolgreiche Fungieren konkurrenzfähiger Kapitale dessen ökonomischer Inhalt ist.

Die geschäftliche Ausnutzung natürlicher »Vorzüge« einer Region, soweit ein Staat sie als Mittel seiner Zahlungsfähigkeit benutzt, läuft in letzter Instanz auf den zwangsweisen Entzug und den Ausverkauf der Subsistenzmittel einer Bevölkerung hinaus, die selbst gegen einen absoluten Minimallohn für eine lohnende Produktion nicht einzusetzen ist. Die nackte Tatsache, daß er noch eine Bevölkerung hat, gibt einem solchen Staat seine Sicherheit, daß da noch etwas zu holen ist: das Schweinefleisch, das bislang auf einem nationalen Speisezettel stand, läßt sich in Dosen verpacken und in westeuropäischen Billigmärkten unterbringen; und wenn gleiches mit dem Volksnahrungsmittel Hirsebrei nicht gelingt, dann vielleicht mit Erdnüssen, die sich stattdessen auf denselben Feldern ziehen lassen. Ist der Verfall der nationalen Zahlungsfähigkeit auch durch eine solche Ruinierung von Land und Leuten nicht mehr abzuwenden, dann – und erst und nur dann – meldet die zuständige Regierung bei ihren Handelspartnern den Standpunkt an, den die Ideologien des weltwirtschaftlichen Erfolgs als Prinzip und maßgeblichen Endzweck allen Im- und Exportierens behaupten: den Standpunkt der Versorgung der Bevölkerung. Mit dem Geltendmachen dieses Standpunkts hört die Teilhabe am Welthandel einstweilen auf – die Linderung oder gar Beseitigung der Not der Massen fängt damit allerdings noch lange nicht an. Es war ja nie und ist auch jetzt nicht die Not ihres Volkes, die der zuständigen politischen Obrigkeit zu schaffen gemacht hat- sie hat sie ja herbeiführen helfen –, sondern dessen zunehmende, in Hungerkatastrophen schließlich vollendete Untauglichkeit für ihre Erhaltung. Und dieser »Hilferuf« findet bei den erfolgreichen Nationen durchaus Gehör: Ihre Macher tragen ja die »Verantwortung« für das ökonomische Geschehen auf dem Globus – und lassen ihr Volk daran durchaus moralisch teilhaben!

6. Die Wahrheit, die an Staaten ohne konkurrenzfähige Nationalökonomie vollstreckt wird, heißt lapidar: Ökonomischer Mangel ist eine denkbar schlechte Bedingung, die Beschaffung von Devisen, um als Nation überhaupt zahlungsfähig zu bleiben, ein denkbar schlechter Zweck für eine aktive Teilhabe am »Weltmarkt«, geschweige denn für dessen gedeihliche Benutzung; »Volkswirtschaften«, die so zum Welthandel antreten, werden benutzt, und zwar nach allen Regeln des gerechten Handels bis zum vollständigen Ruin. Für den Umkehrsatz dieser Wahrheit führen die Aktivisten des Welthandels den praktischen Beweis. Ein erfolgreich akkumulierendes nationales Kapital, das für die Bewältigung seiner Auslandsgeschäfte stets über die nötigen Finanzmittel verfügt, besitzt eben damit die Freiheit, seine Teilhabe am Welthandel in jeder Hinsicht nach dem Kriterium seines Wachstums auszurichten. Deshalb entfällt auch manche mögliche Transaktion, weil sie sich zu wenig lohnt – während von einer Ökonomie, die vom Standpunkt des Mangels aus operiert, allemal ein Opfer an Reichtum verlangt ist, um überhaupt im Ausland verkaufen und einkaufen zu können. Hohe Importe sind dann nicht die Folge von Verschwendung oder von lauter Niederlagen heimischer Geschäftsleute, sondern von deren Freiheit, zum Nutzen ihres Kapitals Lieferbedingungen weltweit zu vergleichen. Hohe Exporte und womöglich sogar eine positive Handelsbilanz haben hier nichts mit einem nationalen Ausverkauf zu tun, sondern stellen den Erfolg des einheimischen Geschäftsgangs dar, sich von den Schranken der nationalen Zahlungsfähigkeit frei zu machen und die einer auswärtigen Kundschaft für seinen Fortgang, d. h. für seine kontinuierliche Expansion zu benutzen. Das Kreditgeld einer solchen Nation ist als Kaufmittel in aller Welt gefragt, weil auf die Konkurrenzfähigkeit ihrer Exportindustrie Verlaß ist; an ihm messen sich daher die Wertmaßstäbe, nämlich die Währungen anderer Staaten. Die Goldschätze der weniger glücklichen Nationen nehmen Kurs in Richtung auf die Kellergewölbe der Zentralbanken dieser »Hartwährungsländer« – aber nicht, um dort als stille Reserve zu ruhen: ökonomisch tun sie in Ländern mit akkumulierendem Kapital einen Dienst, den sie andernorts nicht zustande gebracht haben, garantieren nämlich dem expandierenden Geschäft die nötige Expansion seiner Zahlungsmittel. Für die anderen Nationen, deren Ökonomie stets mit dem Problem der internationalen Zahlungsfähigkeit zu kämpfen hat, sind solche Zahlungsmittel, obwohl auch bloße Kreditgutscheine, so gut wie Gold wert: in ihnen ist das Kapital zu Hause, in dessen Geschäfte sie einbezogen werden oder bleiben wollen. Dummerweise ist an derartige »harte« Devisen eben deswegen schwer heranzukommen, weil sie so »hart« sind; so stellt sich im mehr oder minder erfolgreichen Konkurrenzkampf um die Devisen einer prosperierenden Nation die Zahlungsunfähigkeit der anderen heraus.

Kein Wunder, daß der »Weltmarkt« beständig der Aufsicht gewisser eindeutiger Führungsmächte bedarf, die dafür sorgen, daß kein Staat sich eine Alternative zu dieser segensreichen Veranstaltung erfindet und jeder auf seine Weise dafür tauglich bleibt – auch über die Grenzen seiner Zahlungsfähigkeit hinaus. Denn da kann das Kapital seine imperialistischen Qualitäten erst so richtig frei entfalten.

3. Die Welt als Kapitalmarkt

Zur Freiheit der Kalkulation, die Geschäftsleute brauchen, um die Perspektive nicht lohnender Investitionen, unverkäuflicher oder nicht gewinnbringender Produkte abzuwenden, gehört die Mobilität des Kapitals – der Zugang des eigenen Vermögens zu allen erfolgversprechenden Gewerben und die Beendigung des Kapitaleinsatzes in schlechtgehenden Zweigen. Der Kredit-Überbau, der Handel mit Geld und Schulden, die als Kapital wirken, wo immer es möglich ist, gewährleistet diese Mobilität und damit die Unabhängigkeit des Privateigentums von besonderen Anlagesphären und Produkten. Mit dem organisierten Verleih von Kapital, in dem Geldsummen einen Preis erzielen, wenn sie anderen zur Investition überlassen werden; im Zusammenschluß von mehreren Geldgebern zu Aktiengesellschaften, wo das Kapital von vornherein als Kredit auftritt, emanzipiert sich das Privatvermögen zugleich von den Schranken seiner Anwendbarkeit, die ihm aus seiner Größe erwachsen. In den staatlich geregelten und beeinflußten Bedingungen des Kredits, die dessen Preis wie Menge betreffen, sieht sich »die Wirtschaft« also einem entscheidenden Mittel für ihre Bewährung in der Konkurrenz gegenüber. Und da sich mit der staatlichen Inanspruchnahme von Kredit die Leistungen einer Geldsumme, über die einer verfügt, erheblich verändern, verwundert es gar nicht, daß die Klagen über Inflation zur kapitalistischen Produktionsweise seit ihren ersten Tagen gehören – im selben Maße, wie die Spekulation auf die Geldentwertung zu einem lohnenden Geschäftszweig geworden ist. Die schöne Erfindung eines staatlich geregelten Kreditüberbaus, der die Konkurrenz erst so richtig frei macht, gerät dem Geschäft allerdings zur Schranke, sobald es sich über-national betätigt. Freilich ist auch dieses Problem längst gelöst – und zwar durch die Staaten selbst, die schließlich das Geschäft im Innern nicht befördern, um es nach außen zu unterbinden.

1. Kapitalistische Konkurrenz, die auf dem Austausch von Waren beruht, bewirkt auch international kein harmonisches Miteinander der Geschäftsleute; der Erfolg des einen führt wie im staatlich geordneten inneren Markt durchaus zur Schädigung des anderen, und das Hin und Her zwischen protektionistischen und freihändlerischen Avancen der Staaten offenbart, daß sie als ideelle Gesamtkapitalisten – als eine Instanz also, der es darauf ankommt, den Erfolg ihrer nationalen Wirtschaft im Ganzen sicherzustellen, wobei sie sich auch einmal über die Interessen einzelner im internationalen Handel tätiger Privatleute hinwegsetzt – einen beständigen Kampf um die Durchsetzung auf auswärtigen Märkten und um den Schutz einheimischer Gewinne führen. Dabei sind die außenpolitischen Unterhändler jeder Nation im Verein mit den Wirtschaftspolitikern sehr fürsorglich eingestellt. Sie bilanzieren kontinuierlich Export wie Import, legen Währungsreserven an, durch die sich der Staat als Garant für das Gelingen außenhändlerischer Kalkulation stark macht – der Mangel an international gefragten Zahlungsmitteln soll Geschäfte weder verhindern noch plötzlich verteuern und unrentabel machen –, und in fristgemäß vorgenommenen Ein- und Verkäufen der wichtigsten Währungen nehmen sie Einfluß auf Kursveränderungen. Und doch mündet diese Zuständigkeit im Falle von Mißerfolgen (negative Handels- und Zahlungsbilanzen) nicht in das staatliche Bekenntnis, die einheimischen Teilnehmer am Weltmarkt seien nicht mehr willens oder in der Lage, sich am internationalen Handel zu beteiligen. Umgekehrt erfährt eine positive Bilanz keineswegs die freudige Würdigung eines Erfolgs der nationalen Wirtschaft. So wenig die lädierte Zahlungsfähigkeit einer Nation den Bankrott nach sich zieht, so unüblich ist es, die Schädigung einer anderen umstandslos zu feiern und den »Ruin« eines Konkurrenten mit dem preiswerten Aufkauf der Konkursmasse sicherzustellen. Die Maßstäbe, die von Staatsmännern im innenpolitischen Werben so gerne angeführt werden, wenn sie ihre Tüchtigkeit für die Regierungsgeschäfte unter Beweis stellen wollen – »unsere Währung ist gesund!«, »wir haben keine Schulden im Ausland!«, »die Probleme des Exports gemeistert« ... –, zeugen zwar von der Zuständigkeit der Regierung für die Bewährung der Nation im internationalen Handel, gelten aber nur sehr bedingt als Index für die gesicherten Dienste auswärtiger Partner.

Der Grund dafür ist nicht schwer auszumachen: Man hat es schließlich nicht nur mit potenten oder insolventen Wirtschaftssubjekten zu tun, sondern auch mit einem politischen Souverän, der die unter seiner Herrschaft abgewickelte Ökonomie als seine Existenzgrundlage beansprucht. Mit diesem Anspruch und den Gewaltmitteln, die ihn so »real« machen, sieht sich noch das erfolgreichste kommerzielle Interesse konfrontiert – es hat sich ja zu seiner Betätigung selbst stets auf die eigene Staatsgewalt und ihr Einvernehmen mit anderen Regierungen stützen müssen und können. Daß Handels- und Zahlungsbilanzen, die sich erheblich vom als Ideal betrachteten Gleichgewicht entfernt haben, nicht dieselben Folgen auf dem Weltmarkt haben, wie sie im Geschäftsleben innerhalb einer Nation üblich sind, sobald die einen Gewinne und die anderen Verluste verbuchen – Konkurse, Wechsel der Branche, Aufkäufe und Fusionen –, bedeutet allerdings nicht, daß der internationale Handel erlahmt. Gerade weil sich auf dem Weltmarkt Staaten des materiellen Reichtums bedienen, weil die »Verantwortlichen« sich in ihrem Dienst am privaten Geschäft so unentbehrlich wissen, ist ihnen die Erhaltung der Nation oberstes Ziel – und dieses duldet unter keinen Umständen wegen gewisser Widrigkeiten in Sachen Zahlungsfähigkeit, daheim oder auswärts, seine Preisgabe. Noch vor dem Eintreten irgendwelcher ökonomischer Mißerfolge leistet sich jeder moderne Souverän einen mehr oder minder ansehnlichen Gewaltapparat, der sich schon allein dadurch lohnt, daß er ihn handlungsfähig macht, nämlich in seinen Entscheidungen erst einmal unabhängig von den Konjunkturen und ihren kleinkrämerischen Rechnungen mit Mark und Pfennig. Und auf dieser Grundlage haben sich die Veranstalter des Weltmarkts auch stets von den beschränkten Verkehrsformen des Austausches von Waren und Geld emanzipiert und ihre damit eingegangenen »Abhängigkeiten« schöpferisch überwunden – indem sie sich auf grundsätzlichere Formen der wechselseitigen Benützung verlegt haben. Wenn die allenthalben erwünschte gewinnbringende Produktion von und der internationale Handel mit Waren an den Interessen anderer Nationen seine Schranke findet, so muß eben zu ihrer gedeihlichen Abwicklung das Interesse berücksichtigt werden, das die Souveräne dieser Welt so unbedingt in bezug auf ihre Existenz anmelden. Die Geschichte des Kolonialismus, der gewaltsamen Einbeziehung aller Weltgegenden in den Handel, hat nicht nur – wie die fortschrittsbewanderten Geschichtsbücher vermelden – zu Erhebungen und Befreiungskämpfen mit dem schönen Ergebnis lauter freier und selbstbestimmter Nationen geführt. Ihr Resultat ist viel banaler. Es heißt weltweiter Kapitalmarkt, und es ist durchaus zureichend mit den beiden Worten Geschäft und Gewalt umschrieben: Die Souveräne des 20. Jahrhunderts, die sich so viel auf ihre wechselseitige Respektierung, auf das anerkannte Monopol der Gewaltanwendung in ihrem Herrschaftsbereich, zugute halten, »arbeiten« tatsächlich zusammen. Sie begnügen sich keineswegs mit dem Austausch von Ware und Geld über ihre Grenzen hinweg: Dergleichen würde den einen zu dem zweifelhaften Vorteil verhelfen, ein Plus an auswärtigen Zahlungsmitteln zu verbuchen, die immer mehr an Wert einbüßen, eine zahlungsfähige Kundschaft nach der anderen zu verlieren, also ihre eigene Geschäftsgrundlage zu ruinieren; den anderen würde mit ihrer Zahlungsunfähigkeit der Kauf all der schönen Dinge versagt bleiben, die der Weltmarkt so bereithält. Sie sichern vielmehr das Geschäft, indem sie Land und Leute mit allen ihnen zu Gebote stehenden Mitteln zur Anlagesphäre von Kapital machen. Moderne politische Herrschaft – ganz gleich, ob sie als Monarchie, Diktatur oder Demokratie daherkommt – hat ihre Existenz gesichert, wenn sie aus der Brauchbarkeit ihres Territoriums und ihres Volkes ein Geschäft zu machen versteht, durch das sie sich Anerkennung bei anderen Staaten verschafft. In diesem Nationalismus verfährt sie sehr internationalistisch – auf die Landesfarbe der über ihre souveräne Entscheidung vereinten »Produktionsfaktoren« jedenfalls kommt es ihr nicht an. Die einen exportieren Arbeitskräfte, andere Naturschätze, wieder andere hauptsächlich Geld und Kredit, und auf Kritik grundsätzlicher Art können nur Souveräne rechnen, die sich an dieser Sorte »internationaler Abhängigkeit« nicht beteiligen oder sich ihr entziehen möchten. Ansonsten reduziert sich der Streit der Nationen um die Größe des nationalen Ertrags auf die Modalitäten in der Durchführung des gemeinsamen Anliegens. Dabei unterscheidet sich der Ertrag einer Nation durchaus vom Kriterium des Geschäftserfolgs, welches das internationalisierte Kapital an seine Unternehmungen anlegt. Ein Staat interessiert sich an gelungenen Geschäften unter dem zusätzlichen Gesichtspunkt, ob sich der erzielte Gewinn in der Stärkung des von ihm verwalteten Nationalkredits niederschlägt. Er will mehr international verfügbares Kaufmittel zur Disposition haben, vergleicht deswegen die Wirkung von Kapitalanlagen auf den relativen Wert seiner Währung, deren Brauchbarkeit für künftige Unternehmungen – die in der prinzipiellen Sicherheit einer Kapitalsumme in der jeweiligen Nationaluniform und in ihrer jeweiligen Stärke ihrer internationalen Kaufkraft verglichen mit anderen nationalen Kreditzeichen liegt – seinen Kredit zum attraktiven Geschäftsmittel in aller Welt werden läßt.

2. Die Freiheit der Konkurrenz, die im Innern eines kapitalistischen Gemeinwesens zivil- und strafrechtlich vom Staat beaufsichtigt, wirtschafts- und sozialpolitisch betreut und durch den Kreditüberbau ökonomisch in Gang gesetzt wird, kommt also auch auf dem Weltmarkt zu Ehren. Hier allerdings über das Interesse der Staaten, aus ihrer ökonomischen Abhängigkeit untereinander das Beste zu machen, also ihre Souveränität so zu gebrauchen, daß die ihr zur Verfügung stehenden ökonomischen Potenzen zur Erhaltung und Sicherung der jeweiligen Herrschaft und ihres Einflusses in der Welt taugen. Politik wird im modernen Imperialismus eben zur methodischen Handhabung des Geschäfts, indem sie die ökonomische Grundlage der staatlichen Macht mobilisiert, um sie als Mittel für Kapitalanlagen jeglicher Herkunft für andere Souveräne interessant zu machen – oder umgekehrt: die auswärtigen Souveräne mit dem »Angebot« zu beglücken, durch die Anwendung von Kapital ihre natürlichen und menschlichen Ressourcen zu einer Reichtumsquelle werden zu lassen. Und beides zugleich kommt natürlich auch vor – nämlich bei den Staaten, deren Wirtschaft einerseits an gewinnbringend einsetzbaren Überschüssen an Geld, deshalb aber auch nur an exquisiten Schranken ihrer Anwendung »leidet«: an der erforderlichen Größe des investierten Kapitals, der Größe, die es im Konkurrenzkampf wieder rentabel einzusetzen erlaubt, sowie an Material, das diesem Kapital seine produktive Anwendung gestattet.

Erstens ist die unter politische Herrschaften aufgeteilte Welt tatsächlich als Überwindung des Kolonialismus zu würdigen. Jene nach demokratischer Geschichtsschreibung letzte Phase des »Imperialismus« mit ihren Eroberungen ist durch das Eden des Völkerrechts abgelöst worden. Heutzutage pflegen sich Staaten durch ihre wechselseitige Anerkennung ihrer Brauchbarkeit zu versichern.

Zweitens kommt mit dem Recht einer jeden souveränen Nation auf die Herstellung ihr genehmer Außenwirtschaftsbeziehungen nicht nur der mehr oder minder gute Wille zum Zug, sich durch nützliche Angebote ans Ausland die Verfügung über kontinuierlich sprudelnde Quellen von Reichtum zu verschaffen, ohne den nirgends ein Staat zu machen ist. Vor dem Maßstab, den alle Staaten in gleicher Weise aneinander anlegen, machen sich auch die Unterschiede zwischen ihren ökonomischen Potenzen als handgreifliche Grundlage jenes Willens bemerkbar – die kolonialistische Erzeugung des Weltmarkts, zweihundert Jahre Welthandel sowie zwei ansehnliche Weltkriege haben da einiges bewirkt.

Die »internationale Abhängigkeit« spielt sich deshalb zwischen gleichen Nationen mit sehr verschiedener »Entwicklung« ab, und der Euphemismus der »Kooperation« ist nicht einmal im Falle der Beziehungen angebracht, die jene Nationen miteinander pflegen, die sich stolz »Industrieländer« nennen. Es kommt nämlich sehr darauf an, ob eine Nation ihre innere wie äußere Zirkulation dem Umgang einer anderen mit ihrem Nationalkredit unterwirft – also von jeder einschlägigen Entscheidung jenes befreundeten Staates in ihrer wirtschaftspolitischen Souveränität eingeschränkt wird – oder ob sie über ein weltweit nachgefragtes, »hartes« Zahlungsmittel verfügt und die gelegentliche Inflation ihrer Währung noch als Waffe einzusetzen vermag. Es ist auch nicht unbedeutend, ob ein Land aufgrund seiner internen Branchenverteilung und/oder der Auslandskundschaft wie ‑konkurrenz der einheimischen Geschäftswelt Subventionen an die Industrie verabreicht oder ob es staatliche Kredite für die »Sanierung« ganzer Zweige vergibt – in der Gewißheit, daß sich das rationalisierungsbereinigte Verhältnis von Kosten und Marktpreis der Waren allemal in sicheren Exportgewinnen niederschlägt. Ganz erheblich fallen auch die Freiheiten ins Gewicht, die sich eine Nation gegenüber ihrem Ausbeutungsmaterial in Sachen politische Ökonomisierung der Lohnkosten verschaffen konnte; die Größe schließlich des bereits akkumulierten anwendbaren Kapitals tut ebenfalls ihre Wirkung, wenn im internationalen Vergleich nicht nur Waren, sondern auch Investitionen angeboten und nachgefragt werden. So muß manche Nation konstatieren, daß ihre Bedürfnisse bezüglich der von ihr verwalteten Anlagesphäre den Tatbestand des dringlichen Bedarfs erfüllen, den sie sich einiges an Zugeständnissen kosten lassen muß – während andere in ihren Bedürfnissen die Freiheit gewahren, jedermann ihre lohnenden Geschäfte als Partnerschaft aufzudrängen.

Im Falle der »Entwicklungsländer« ist diese Art von Partnerschaft so geläufig, daß sie besten Gewissens unter dem Titel »Kapitalhilfe« abgewickelt wird. Und vom Standpunkt der politischen Führer jener kolonialgeschädigten und in die »Unabhängigkeit« geschossenen und entlassenen Staaten nimmt sich tatsächlich jede Investition, die aus »natürlichen« Reichtümern wirkliche und aus einem Teil der Bevölkerung Arbeitskräfte werden läßt, wie eine Hilfe aus. Zwar stellt der Einsatz von Kapital die Subsistenz der in Entwicklungsländern lebenden Menschen gründlich in Frage, dafür sichert er aber der Regierung ein Einkommen, das sie zur Bestreitung ihres Unterhalts im befreundeten Ausland ausgeben kann. Daß die Gelder für ein herrschaftliches Leben und den Gewaltapparat in vielen Fällen nicht reichen, also Kredite notwendig werden, die zu ansehnlichen Staatsschulden anwachsen, tut dem Geschäft keinen Abbruch. Dergleichen befördert den Bedarf an Kapital, das allein imstande ist, den »Aufbau« und die »Entwicklung« des armen Landes zu bewerkstelligen – und der »kaufmännische« Gesichtspunkt, der das viele Geld für verloren erklärt, blamiert sich in dem Maß, in dem sich die Subventionierung einer Herrschaft lohnt, die nichts anderes zu tun weiß, als mit ihrer Gewalt die ihr unterstellte Erde samt Volk der Anwendung durchs Kapital zu erschließen. Wo Nationen wie Brasilien die Gegebenheiten ihres Landes und das Interesse ausländischen Kapitals ausnützen, um eine produktive Industrie in Gang zu bringen – also nicht nur den Ausverkauf von Bodenschätzen zu ihrer Geschäftsgrundlage erheben –, erweist sich die staatlich inszenierte Dauerinflation sogar als vom internationalen Kapital vorzüglich kalkulierbarer brasilianischer Beitrag an den Investitionskosten. Auch in solchen Fällen verrichtet die weltweite Scheidung von verwendbarem, überschüssigem Reichtum und anwendbarem, für sich aber nicht geschäftsfähigem Material an Menschen und Natur ihr Werk. Auf den Willen der internationalen Geschäftswelt angewiesen, nach ihren Maßstäben den Gebrauch von brasilianischer Natur und Arbeitskraft für lohnende Gewerbe in Betracht zu ziehen, befleißigt sich die souveräne Republik nach Kräften, Land und Leute zu Mitteln dieser Kalkulation zu »entwickeln« – eine Methode, die noch jede Regierung über den Mangel an eigenen Mitteln hinweggetröstet hat. Der Nationalismus der Politiker kommt eben auch als abhängiger, mit konzessionierten ökonomischen Fortschritten, auf seine Kosten – eine Wahrheit, die selbst für »Bananenstaaten« gilt.

Noch mehr trifft dies auf die politische Ökonomie der reichen Entwicklungsländer zu, die ihren Titel gleich aus einem Naturstoff ableiten, den es bei ihnen gibt und der in den Industrieländern gebraucht wird. Die Ölstaaten sind als Anlagesphäre berühmter Firmen in den Besitz erheblicher Konten gelangt, weshalb im freien Westen die Lüge kursiert, sie wären Produzenten und Verkäufer jenes Stoffes und der Preis könne doch unmöglich hingenommen werden. Dabei zeugt die geldgeberische Manier, in der souveräne Scheichs ihre Petro-Dollars westlichen Aktiengesellschaften zur Verfügung stellen, sehr eindeutig von der speziellen ökonomischen Beschränktheit ihres Regierens. Zwar im Besitz von Geld, aber ohne ihnen offene Anlagemöglichkeiten, verwandeln sie ihren abstrakten Reichtum in Aktienkapital, was zwar ein Geschäft ist, aber ein sehr privates, welches die Wucht ihrer Staaten um keinen Deut verstärkt. In diesen Genuß gelangen sie höchstens auf einem ganz anderen Weg: in ihrer Rolle als Ölstaaten werden sie eines ganz dringlichen Schutzes für würdig befunden, sind also als militärische Partner des Westens gefragt. Und falls sie sich in dieser Hinsicht nicht zahlungs- und verteidigungswillig erweisen (was die meisten im eigenen Interesse tun), fällt ihre ökonomische Vorzugsstellung einer Spezialkampftruppe der USA zur Last, wenn sie nicht – wie die iranische Islamrepublik – die Überflüssigkeit ihrer Angebote und den kriegerischen Haß von Bruder-Ölstaaten demonstriert bekommen.

Drittens ist das Eden des Völkerrechts also auch nicht ganz frei von Gegensätzen. Die diplomatischen Umgangsformen mögen noch so sehr darauf abgestellt sein, die Gemeinsamkeit der diversen Partner zu unterstreichen und damit die prinzipielle Achtung von kontrahierenden Souveränen untereinander – im Inhalt der geschäftlichen Vereinbarungen wird gestritten. Immerhin will jeder Staat dem speziellen Interesse des anderen die Botschaft entnehmen, die andere Seite brauche ihn. Die Konditionen, unter denen der eine Souverän Arbeiter ausreisen läßt, der andere Kapital einreisen, die steuerlichen Bedingungen für das Wirken fremder Gelder usw. – eben alle Modalitäten des Geschäfts werden zum Anlaß kleiner und großer Erpressungsmanöver. Die Überzeugungskraft der ausgetauschten »Argumente« variiert – und das widerspricht nicht der Tatsache, daß die »Abhängigkeit« eine wechselseitige ist: Staaten, die sich nicht umeinander kümmern, hätten tatsächlich keinen Grund zu streiten – entsprechend den Voraussetzungen, die die Partner in die Gespräche mitbringen. Der Unterschied von Freiheit und Bedarf macht den Grad der Erpreßbarkeit aus, so daß sich manche Souveräne quasi Diktaten beugen müssen, die ihre gesamte Wirtschaftspolitik auf auswärtige Interessen verpflichten; dafür gibt es andererseits Industriemächte, die ihre Kapitalexportprogramme noch den meistbietenden Staaten zur Konkurrenz vorlegen.

Mit ihren Vereinbarungen schließlich legen sich die kontrahierenden Regierungen darauf fest, sich des gewünschten Vorteils durch pflichtgemäße Erfüllung zu versichern. Und da Vertragstreue bei eintretenden Verlusten einerseits eine Frage des Willens, andererseits eine Frage des Vermögens ist, bleiben »Störungen« selten aus. Sie zu korrigieren und durch zusätzlich angedrohte Schädigung oder Beistand abzustellen, fühlen sich wiederum die Staaten berufen, denen ihre »Abhängigkeit« ohnehin zu einer bequemen Art der Einmischung gerät. Ihre Außenpolitik, die sich herzlich wenig um die einheimischen und auswärtigen Opfer kümmert, die ihre Durchsetzung fordert, rechnet ständig mit dem »Aufbegehren« des Souveräns, der in seinem Herrschaftsbereich durch gelungene Ausbeutung für das Gelingen des Geschäfts Sorge tragen soll. Insofern lauert hinter allen Staatsaktionen dieser Welt – durch Kriege in Staaten aufgeteilt, die nun den Kapitalmarkt gestalten – die Gewalt.

Viertens gibt es auf dem Weltmarkt viel zu verteidigen – und zwar um so mehr, je durchschlagender der Erfolg einer Nation, ihre Interessen im Ausland zu verankern, ausgefallen ist. Eroberungen stehen nicht mehr an, dafür aber die weltweite »Sicherung unserer Rechte« – zumindest für die Staaten, die so viel »Einfluß« besitzen, daß kaum eine Nation sich eine Alternative herausnehmen kann, ohne daß sie betroffen sind.

3. Mit dem angelsächsisch-sowjetischen Sieg über Deutschland und Japan ist über Botmäßigkeit und Dienstbarkeit der Souveräne auf dem ganzen Globus militärisch und daher politisch zugunsten der USA entschieden worden – mit der einen entscheidenden Ausnahme des »sozialistischen Lagers« und einer daher rührenden Unsicherheit der prinzipiell gültigen »Weltanschauung«. Und als einzige Macht auf der Welt verfügten die USA auch über die ökonomischen Mittel, um die weltweiten Machtverhältnisse zu einem ebenso umfassenden System lohnender Benutzung der Welt auszubauen. Alle ehemals konkurrierenden kapitalistischen Nationalökonomien waren ruiniert: Der verlorene Weltkrieg im Falle der Gegner, aber auch der schließliche Sieg der europäischen Alliierten der USA hatten die Zahlungsfähigkeit der einen wie der anderen überstrapaziert, dabei den akkumulationsfähigen Reichtum der Nationen dezimiert, somit Währung wie Produktionsapparat für die Restauration eines konkurrenzfähigen nationalen Geschäftslebens einigermaßen untauglich gemacht. Umgekehrt hatten die USA noch ihre Kriegsökonomie »marktwirtschaftlich« abgewickelt: als Geschäft, das mit einem Anteil vom Überschuß des nationalen Geschäftslebens bestritten wurde und daher den Staatskredit nicht in Mitleidenschaft zog, in dem es sich bezahlt machte; überdies ohne Einbußen an nationaler Produktionskapazität. Eine schlagkräftigere Garantie für ein nationales Kreditgeld und somit für das darüber bewerkstelligte Geschäftemachen mit Eigentum als die Gewähr der US-Regierung für Dollarguthaben war nirgends auf der Welt zu kriegen; und keine Regierung auf der Welt hatte eine auch nur annähernd so erfolgreiche nationale Geschäftstätigkeit vorzuweisen wie die der USA. Als einzige kapitalistische »Volkswirtschaft« hatte die amerikanische Nationalökonomie nach Kriegsende keine Notsituation zu bewältigen, sondern besaß die Freiheit, sich den Mangel an potenten Handels- und Geschäftspartnern, das Verhältnis zwischen eigenem nationalem Überschuß und Mangel an akkumulationsfähigem Reichtum auswärts, zum »Problem« und Anliegen zu machen.

Dieses freie Interesse der US-Wirtschaft und ihrer politischen Manager am kriegszerstörten Rest der Welt bedeutete nie, daß es dieser Ökonomie an billigen fremdländischen Lieferanten und ihren Exporteuren an zahlungskräftiger Kundschaft mangelte. In diesem Sinne ist der Kapitalismus der USA nie auf Handelspartner angewiesen gewesen. Das nationale Kapital findet im eigenen Land alles Nötige für seine schrankenlose Expansion – seit erst einmal der in der Phase der »ursprünglichen Akkumulation« in der »Neuen Welt« fühlbare Mangel an so gut wie umsonst vernutzbarer Arbeitskraft durch Sklavenimporte behoben war! -; und es hat diese Voraussetzung seit jeher dazu genutzt, seine Akkumulation so konkurrenzlos zu gestalten. Auch nach dem Krieg waren und wußten die USA sich frei vom Zwang zum Konkurrenzerfolg im Außenhandel; und wo sie darauf Wert legten, waren sie sich dieses Erfolges dank der schlagkräftigen Größe, der Produktivität und der technologischen Konkurrenzlosigkeit ihres Kapitals allemal sicher – eine Freiheit und Sicherheit, an denen sich bis heute nichts wirklich Entscheidendes geändert hat: Ein Kapital, das auf Außenhandelserfolge nicht angewiesen ist, bringt schon damit die beste Voraussetzung dafür mit. Auf dieser Grundlage haben die USA angesichts der Kriegsfolgen den Beschluß gefaßt, ihre ehemaligen Feinde und Partner für ökonomisch zu schwächlich zu befinden, um der eigenen Ökonomie gehörig von Nutzen zu sein, und auf Abhilfe gesonnen.

Ihren Staats- und Fachleuten war dabei offenkundig eine Wahrheit praktisch geläufig, mit der man sich im Reich der volkswirtschaftlichen Bildung damals wie heute nur blamieren kann: Für die Neuinszenierung einer kapitalistischen Nationalökonomie kommt es auf nichts so sehr an wie auf ein wohlfunktionierendes Kreditgeld. Reste von produktiv einsetzbarem Reichtum einschließlich einer »Infrastruktur«, wie der Krieg sie in allen einst konkurrenzfähigen europäischen Ländern noch übriggelassen hatte; brauchbare Völker, die im Krieg nicht zu Revolutionären geworden waren, sondern sich so oder so an nationalistischen Gehorsam gewöhnt hatten und bereit waren, im Vergleich zum Kriegselend eine geordnete Ausbeutung als Glück zu betrachten; eine Trümmerwüste, die von ihren Bewohnern als Herausforderung an ihren Fleiß und Familiensinn genommen wurde: das alles reicht zwar nicht hin, um privates Eigentum in großem Stil geschäftlich agieren und akkumulieren zu lassen; es ist aber durchaus keine schlechte Voraussetzung dafür. Es bedarf nur mehr einer schlagkräftigen Garantie, daß Eigentum und benutzbare Armut auch erhalten bleiben; es braucht privates Eigentum in hinreichender Masse, um Menschen und Material auch wirklich nutzbringend zusammenwirken zu lassen; und es ist jenes Geschäftsmittel vonnöten, in dem das engagierte Eigentum sein Wachstum als obersten, in aller Abstraktheit maßgeblichen Zweck des Ganzen realisiert und mißt: eben ein verläßliches Geld.

In allen drei »Fragen« haben die USA ohne Zögern weltweit die »Verantwortung« übernommen – daß es ihnen im »Ostblock« verwehrt blieb, war und ist nicht ihre Schuld: sie tun auch da ihr Möglichstes. Die Rettung, Stützung oder auch Einrichtung souveräner Regierungen, denen die Unantastbarkeit des Privateigentums genauso selbstverständlich war wie der Grundsatz, daß das Volk sich nützlich zu machen hat und seine Armut das befördert, war den USA buchstäblich eine Ehrensache, die sie mit der berühmten Truman-Doktrin zu ihrer nationalen Pflicht erklärten. Wo ihre zunächst noch kolonialistisch operierenden Hauptverbündeten mit ihren Nachkriegsordnungsprogrammen nicht zum Ziel kamen – wie in Griechenland, der Türkei, Persien, in Hinterindien usw. –, da ließen sie sich diese Aufgabe einiges an Militärhilfe kosten; die ganz neu eingerichtete BRD, »Frontstaat« in jeder Hinsicht, gedieh zum weltpolitischen Schlager ersten Ranges.

Den politisch im rechten Sinne stabilisierten Gemeinwesen finanzierten die USA zweitens eine intakte Währung: mit Milliardenkrediten stellten sie die »Glaubwürdigkeit« von Pfund und Franc wieder her; mit deutlich weniger Milliarden ermöglichten sie der »Bank deutscher Länder« ihre Ausgabe einer Deutschen Mark, in der Geschäfte zu machen sich lohnen mußte. Die Kosten dieses Beistandsunternehmens waren nicht so arg hoch. Es war ja kein gegenständlicher Reichtum, der da als Währungskredit über den Atlantik floß, schon gar kein Gold: Es waren Schulden, amerikanische Zahlungsversprechen, die im Sinne der fiktiven Dollar-Gold-Parität, schon vor Kriegsende in dem amerikanischen Provinznest Bretton Woods zwischen den Managern des weitsichtig vorausgeplanten internationalen Nachkriegsgeschäfts vereinbart, wie Gold, eben als Weltgeld behandelt wurden. Denn es gab ja keinen kapitalistischen Staat, der die Mittel gehabt hätte, diese amerikanische Gleichung in Zweifel zu ziehen; umgekehrt besaßen die USA unwiderstehliche »Argumente« dafür: ihre funktionierende nationale Kapitalakkumulation und ihr Fort Knox, in dem sich die wirklich goldenen Währungsreserven aller früheren Konkurrenten dank des großen Krieges versammelt hatten. Ein wohlfeiler Kredit also, der nie zurückgezahlt, nie verzinst wurde – und sich um so mehr gelohnt hat.

Denn eins war mit der großzügigen Überlassung eigener »harter« Währung an kaum mehr oder noch nicht wieder geschäftsfähige Verbündete im Rahmen des European Recovery Program ja entschieden: Die dadurch restaurierte nationale Geldzirkulation der europäischen Partner konnte nur dadurch zu einem Erfolg werden, daß geschäftstüchtige Kapitale sie zu ihrem Geschäftsmittel machten; und dieser Aufgabe stellte die amerikanische Geschäftswelt sich ohne jeden Anflug von Selbstlosigkeit. Sie nahm sich der zukunftsreichsten Branchen der wiederaufgebauten »Volkswirtschaften« an und ließ so ihren eigenen geschäfteheckenden Überschuß sich in Europa als Geschäftspartner gegenübertreten. Die Zahlungsfähigkeit der alten Nationen wurde zu guten Teilen als eine Abteilung im konzerninternen Verrechnungswesen amerikanischer Kapitale wiederhergestellt – was keineswegs immer so unverschämt auszusehen braucht wie der Geschäftsverkehr westdeutscher Mineralölfirmen mit ihren Konzernmüttern im Heimatland des Ölgeschäfts.

4. Der Beschluß der USA, ihre Macht und ihr Geld zur Neuordnung der Welt zu verwenden, hat bei aller Kalkulation von Vorteilen für die Weltmacht Nr. 1 mit kolonialistischen Bestrebungen nichts zu schaffen. Und dies nicht so sehr wegen der Großzügigkeit, lauter souveräne Staaten mit »eigenen« Repräsentanten, Flagge und Hymne ins Leben zu rufen bzw. zuzulassen (die Kriege um die Erhaltung der verbliebenen Kolonialgebiete durften die alten Reiche selbst führen, und das Augenmerk der USA galt dabei der für sie allein bedeutenden Frage, ob die Entkolonialisierung in die Entstehung »östlicher Satelliten« mündete); vielmehr wegen des »Auftrags« an die Souveräne in allen Breiten, ihre politische Herrschaft zur Teilnahme an der Weltwirtschaft einzusetzen.

Dem Supra-Nationalismus der NATO stellte die Führungsmacht des freien Westens den Imperativ zur Seite, daß die von ihresgleichen höchstförmlich respektierten Nationen in ihrer wechselseitigen Benutzung, in ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen auf die Praktiken der Konkurrenz verzichten, welche eine Kontinuität des Welthandels in Frage stellen. Vertraut mit der Tatsache, daß die Anwälte des nationalen Wachstums je nach Erfolg im grenzüberschreitenden Verkehr von Waren und Geld, Arbeitskräften und Investitionen zu Maßnahmen greifen, die das Wachstum im Ausland stören, sind die Manager der Nachkriegswelt auf das Kunstwerk einer Weltwirtschaftsordnung verfallen. Diese »Ordnung« zielt auf die Sicherstellung des Anliegens, das kapitalistische Staaten dazu drängt, jedes fremde Hoheitsgebiet daraufhin zu inspizieren, was es an Reichtumsquellen aufweist: Ihre Urheber ergriffen nicht nur Partei für die Internationalisierung des Kapitals, für die Freiheit, jede lohnende Kombination von »Produktionsfaktoren« in Anspruch zu nehmen; sie waren sich auch im klaren darüber, daß die wirtschaftspolitischen Zielsetzungen, die staatlichen Maßstäbe des ökonomischen Erfolgs, diese Freiheit stets auch relativieren.

Bei seinen Anstrengungen, von der internationalen Konkurrenz des Kapitals zu profitieren, ist es nämlich einem Staat nicht gleichgültig, ob das erzielte Wachstum die Mittel seiner Macht erweitert oder die eines »Partners«. Was er sich aufgrund erfolgter Geschäfte leisten kann, interessiert ihn, wenn er die Resultate von Waren-, Geld- und Kapitalströmen bilanziert und überprüft, ob seine Verfügung über Geld wächst oder nicht. Dabei kommt es ihm freilich nur bedingt auf das unmittelbare Plus und Minus auf den Konten seiner Nationalbank an; schließlich handelt es sich bei den Geldsummen, die da zu verzeichnen sind, um Kreditzeichen, deren Kaufkraft und Tauglichkeit auf dem Weltmarkt davon abhängt, was die Nationen mit dem von ihnen geschaffenen und garantierten Kredit anstellen. Insofern ist nicht jede nominelle Aufbesserung einer Bilanz auch automatisch ein Beleg für einen Zuwachs an Zahlungsfähigkeit; ganz gleich, ob sich die Mittel einer Nationalbank aus Gold und Kreditzetteln des eigenen Staats oder auch noch aus Währungsreserven anderer Herren Länder zusammensetzen – was sie wert sind, ergibt sich erst aus dem Vergleich ihres Austauschverhältnisses untereinander. Ob sich Import oder Export von Waren und Kapital lohnen, stellt sich nur durch kundige Berechnung der Devisenkurse heraus und gebietet den bankgeschäftlichen und staatlichen Einfluß auf sie, mit dem Ziel, über möglichst viele Zettel der Art zu verfügen, die auf dem internationalen Markt der Geschäftsmittel viel Kaufkraft und sichere Anlagen darstellen. Und nur Nationen, denen die Beteiligung am Weltmarkt zu diesem Erfolg verhilft, bei denen also auch die Vermehrung der als Geld fungierenden Staatsschulden – die berüchtigte Inflation – der Vermehrung internationaler Zahlungsfähigkeit keinen Abbruch tut, bleiben Nutznießer und Parteigänger des Weltmarkts. Wo sich dieser Erfolg nicht einstellt, werden Staaten zu Kritikern der weltweiten Konkurrenz: sei es, daß sie nicht mehr willens sind, zu den bestehenden Konditionen in Währungsdingen ihren auswärtigen Handel fortzuführen, und Zuflucht zum Recht ihrer hoheitlichen Befugnisse nehmen, um Korrekturen an Wechselkursen, auswärtiger Freiheit des Handels und Anlegens bei sich durchzuführen; sei es, daß sie über die gelaufenen Geschäfte nicht mehr fähig sind, ihren Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, und sich außer mit Schulden und Zinstilgungsforderungen mit der Perspektive konfrontiert sehen, daß sämtliche lohnenden Geschäfte in ihrem Machtbereich – und die von kapitalkräftigen Untertanen auswärts dazu – nicht ihnen, sondern fremden Souveränen ihre ökonomischen Machtmittel vermehren.

Die einschlägigen Verlaufsformen des Entzugs von Nationen aus einmal eingegangenen »Abhängigkeiten«, welche andere Staaten in ihrem Interesse beanspruchen, sind Gegenstand der weltwirtschaftlichen Regelungen, die im Namen eines dauerhaften Wachstums »des« Welthandels mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beschlossen wurden. Und zwar so, daß unter offenkundiger Anleitung der USA und unter Berufung auf die »schlechten Erfahrungen« der Weltwirtschaftskrise international gültige Gebote vereinbart wurden, die jede Auslösung von Stockungen auf dem Weltmarkt unterbinden sollen, die aus »nationalem Egoismus« erzeugt werden. Daß der Internationale Währungsfonds (IWF) der Form nach ein Bündnis darstellt, obgleich die von seinen Mitgliedern eingegangenen Verpflichtungen den Verzicht auf manches Moment ihrer wirtschaftspolitischen Souveränität darstellen, hat den – bereits erwähnten – einfachen Grund. Der Unterwerfung ihrer nationalen Währungspolitik unter supranationale Kriterien stimmen Staatenlenker eben dann zu, wenn sie über das Mittel eines tauglichen Nationalkredits nicht verfügen und auf die Konzession desselben angewiesen sind. Der Verwirklichung des Ideals einer einvernehmlichen Regelung von Zahlungsbilanzdefiziten und einer Ausstattung der Welt mit »Liquidität« verschreiben sie sich, weil sie demnächst einmal mit dem Problem konfrontiert sind, über eine zum weltweiten »Wirtschaften« erforderliche Währungsreserve gar nicht zu verfügen. Solchen Souveränen gegenüber konnten die USA »überzeugend« auftreten: immerhin verschaffte denen die Verpflichtung, künftig an der Kreditierung zahlungsunfähiger Nationen mitzuwirken und in der Regelung ihres außenwirtschaftlichen Zahlungsverkehrs »kooperativ« zu verfahren, den Einstieg in den Weltmarkt.

Unter dem Titel »Bereitstellung von Währungsreserven« wurde mit der Gründung des IWF das »Liquiditätsproblem« – die vorhandene und mit Gewißheit eintretende Zahlungsunfähigkeit von Nationen – wie eine bloß technische Schranke behandelt. Freilich war von Anfang an nicht zu übersehen, daß die kollektive Schaffung von Zahlungsfähigkeit für Fälle, wo sie gerade nicht vorhanden ist, einen ökonomischen Standpunkt exekutiert, der gewisser Härten nicht entbehrt. Entgegen dem Konkurrenzinteresse, das sich bei Nationen einstellt, die auf dem Weltmarkt verlieren und von sich aus zu »Interventionen« schreiten würden, ist da die allgemein verbindliche Verpflichtung eröffnet worden, sich weiterhin der – nachteiligen – Konkurrenz zu stellen. Das Programm heißt »Wachstum durch Weltmarkt« absolut: es soll weitergekauft werden, auch wenn es mancher Nation Abzug von ihrem Reichtum beschert; weiterverkauft auch dann, wenn der Export den Nationalkredit ruiniert; und Kapitalanlagen aller Art sollen fortgeführt werden, obgleich sie die Phrase vom »wechselseitigen Nutzen« zwischen den Ländern Lügen strafen. Und für dieses Programm bildet das Konstrukt namens IWF die verläßliche Handhabe, einen internationalen Kreditüberbau, der den Zuwachs an national verfügbarem und international anwendbarem Geld auf der einen Seite, seine Verminderung auf der anderen nicht nur korrekt bilanziert. Wenn Nationen dem IWF gemäß dem vereinbarten Quotensystem kaufkräftige Teile ihrer Konten »zur Verfügung stellen«, werden sie nämlich nicht ärmer – das bleibt den anderen vorbehalten, die Kredite in Anspruch nehmen müssen und in den respektablen Summen ihrer Auslandsschulden – den »normalen« wie den zusätzlichen im Verhältnis zum Fonds eingegangenen – nur eines verbuchen: daß ihr Import wie Export, von Waren und Kapital, zur Vermehrung auswärtigen Reichtums beigetragen hat. In ihren monströsen Inflationsraten dokumentieren diese Länder, daß ihr Kreditgeld auf dem Weltmarkt nichts taugt, weder nachgefragt wird noch der Nachfrage fähig ist, daß sie für sich weder Kredit schaffen noch über ihn frei verfügen. In den bisweilen auch einmal öffentlich addierten Auslandsschulden der an der »Weltwirtschaft« beteiligten Staaten saldieren sich Kredite, an deren Rückzahlung niemand denkt – sie sind ja durch die förmliche Absicherung des IWF, durch die Verdopplung nationaler Kreditguthaben (in sich und eine zusätzliche »inter-nationale Verfügbarkeit) erst entstanden, weil bleibende Zahlungsunfähigkeit unterstellt war. Und da der Bedarf an Kredit für fehlenden Kredit die »Fazilitäten« des Fonds ständig überstieg, ist es nicht bei mehrmaligen Quotenerhöhungen geblieben; mit der Schaffung von Reserven für fehlende Reserven, dem Beschluß zur Einführung von Sonderziehungsrechten (SZR), haben die maßgeblichen Mitglieder des Weltwährungsvereins eine weitere »Technik« ersonnen, die garantiert, daß der Kredit ihrer Nationen das Zugriffsmittel und Recht auf auswärtigen Reichtum bleibt.

Dieses Ergebnis der Konvertibilität aller dem IWF angeschlossenen Währungen, des Gebots, sich durch Verschuldung auch dann als Partner auf dem Weltmarkt zu betätigen, wenn die Partnerschaft nur darin besteht, die souverän verwaltete »eigene« Ökonomie dem Zugriff für weltweit brauchbaren Nationalkredit zu öffnen, ist der Zweck des IWF. Mit seiner Gründung wurde der bedingungslose Konkurrenzkampf zwischen den Nationen festgeschrieben – mit einer Bedingung eben: die Aufkündigung der Geschäftsgepflogenheiten aus Gründen des nationalen Mißerfolgs ist nicht genehmigt. Korrekturen an der Hierarchie zwischen den Nationen, die über eine »Sicherung« des Nationalkredits und damit über eine »Störung« des internationalen Geschäfts erfolgen, haben hinter der »gemeinschaftlichen« Sorge um die »Weltwirtschaft« zurückzustehen. Und nicht einmal die Staaten, die sich in den Jahrzehnten beflissenen Ausbaus des internationalen Kreditsystems selbst zu Machern der Weltwirtschaft entwickelt haben – die Rede ist von »Europa« und Japan –, wollen und können sich für die »alte« Form der Konkurrenz entscheiden: mehr als die innerhalb des GATT zugelassenen Techniken im Umgang mit Zöllen und Kontingentierung wollen sie nicht in Anspruch nehmen. Auch sie haben gute Gründe, ihre Ansprüche als politischen Streit um den Beitrag zu und den Nutzen von der »Weltwirtschaftsordnung«, der sie sich verpflichtet wissen, auszutragen und das Beste aus der »Leistungskraft« ihrer heimischen Produktion zu machen. Gute Gründe, die aus der Schaffung jener Ordnung herrühren.

Schließlich wurde die weltweite Sorge um die »optimale Versorgung« mit »Liquidität«, die fehlte, mit der Ernennung des Dollars zum ersten weltweit gültigen Geschäftsmittel eingeleitet. Unabhängig vom säuberlich verzeichneten »Zahlungsbilanzdefizit«, das sich die USA über die Jahre, in denen sie die »Leitwährung« von der internationalen Geschäftswelt anwenden ließen, leisteten, stand die weltweite Funktionstüchtigkeit des Dollars als verbindlicher Wertträger jenseits aller Diskussion. Er garantierte ja auch die Gültigkeit der Währungen, die sich zunehmender »Härte« erfreuten, also selbst dauerhafte Geschäfte gewährleisteten, die ihnen den Ruf und die Qualität einbrachten, ebenfalls als »Reservewährung« zu taugen. Den Dollar anzuzweifeln, hieße für jeden damit ausgestatteten Souverän, den Hauptposten unter den Aktiva seiner Notenbank zu streichen und damit das eigene gesetzliche Zahlungsmittel, wie glänzend es sich auch immer auf Basis des Dollars als weltweit gern besessene Devise bewährt hat, für jedes über den nationalen Rahmen hinaus kalkulierte, und das heißt für jedes seriöse kapitalistische Geschäft untauglich zu machen und der Weltwirtschaft den Rücken zu kehren. Klar ist damit aber auch, daß die »Wertbestimmung« dieser Währung erst einmal den Gesetzen des Wechselkurses entzogen war. Ein- und Verkauf im Ausland sind ja bloß noch eine Unterabteilung der auswärtigen Geschäfte, in denen es auf den Dollar ankommt und ein Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot entsteht, das seinen »relativen Wert« beeinflussen kann. Seine viel wesentlichere Funktion ist die als Mittel der Kreditierung anderer Notenbanken sowie des Exports amerikanischen Kapitals. Hier treten aber überhaupt nicht mehr Angebot und Nachfrage als aus der internationalen Warenzirkulation erwachsende Größen einander gegenüber. US-Regierung und amerikanisches Kapital befinden ganz allein darüber, in welchem Umfang sie ihre Dollars im Ausland fungieren lassen wollen. Und damit ist auch die Festsetzung des Kurses, zu dem fremde Währungen sich am Dollar bemessen, eine durchaus einseitige Angelegenheit. Von amerikanischer Seite wurde eine Parität bestimmt – nichts beweist die Freiheit der Kursfestsetzung schlagender als deren rein fiktiver Bezug aufs Gold! –, und zwar im Hinblick auf die Geschäfte, die dadurch ihren Maßstab erhalten sollten: der wohlfeile Einkauf in eine auf fremde Währungen lautende Kapitalakkumulation in erster Linie, billiger Import und ein auswärtiger Konkurrenz weithin enthobener Export in zweiter und dritter.

Vom Standpunkt einer »optimalen« Versorgung der internationalen Geschäftswelt mit den benötigten »liquiden Mitteln« hat das alles nie gepaßt, weder Quantum noch Kurswert der weltweit verfügbaren Dollars. Gemessen an den Kreditwünschen der Partner, also an den Ansprüchen der verbündeten Regierungen an ihren wiederhergestellten Nationalkredit und an den Geschäftsvorhaben ihrer Wirtschaftsaktivisten, waren die grünen Zettel jahrzehntelang zu knapp und zu teuer – ein einziger praktischer Beweis, daß dafür ihr Export auch gar nicht veranstaltet worden war. Die Ausstattung der Welt mit Dollars war eine Sache der Rücksichtslosigkeit, mit der die amerikanische Geschäftswelt ihr Kreditgeld in Kapital verwandelte, wo immer sich das lohnte. Und dabei blieb es, als dank solcher Rücksichtslosigkeit die einst begehrte Währung sich in auswärtigen Banken häufte und die Dollarklemme der Nachkriegszeit längst in eine zunehmende Dollarschwemme übergegangen war. Wieder blamierte sich, diesmal umgekehrt an der Gelassenheit der USA dem wachsenden Defizit ihrer Zahlungsbilanz gegenüber, der egoistische Idealismus der europäischen Partner, die von den USA mehr Verantwortung für die hohe Aufgabe verlangten, die Weltwirtschaft immer in passender Proportion und zu passenden Kursen mit international zirkulationsfähigen Finanzmitteln zu versorgen. Das Quantum der zirkulierenden Dollars blieb, was es gewesen war: eine höchst einseitige Angelegenheit des amerikanischen Geschäftsbedürfnisses. Und daß mit ihrer anschwellenden Masse – Folge insbesondere der Skrupellosigkeit, mit der die US-Regierung ihren Nationalkredit für ihre kriegerischen Unternehmungen in Indochina strapazierte – erstmals ein ins Gewicht fallendes Interesse aufkam, sich der süßen Billette auch wieder mal zu entledigen, und dies ihren Wechselkurs im Vergleich zur Mark und anderen Schillingen sinken ließ, erklärten die amerikanischen »Währungshüter« mit derselben Gelassenheit und Einseitigkeit zum Problem der Besitzer aufgewerteter Währungen, mit der sie einst die Tauschrelation 1 : 4 zwischen Dollar und D-Mark festgesetzt hatten. Und das ganz zu Recht. Denn verlieren kann der Dollar seine Funktion als Weltgeld ohnehin nicht mehr, aus bereits genanntem Grund. Ein Sinken seines Außenwerts beeinträchtigt daher nicht im geringsten die amerikanische Zahlungsfähigkeit – höchstens die der amerikanischen Touristen; aber für die ist der Dollar sowieso genausowenig erfunden worden wie die »harte Mark« für die deutschen! –, wohl aber, ausgerechnet, die ihrer einst kreditierten Schuldner, die den Hauptposten ihres nationalen Schatzes, der leibhaftigen Seriosität ihres Nationalkredits, in Dollarbeständen halten. Deren Sache ist es daher, durch Aufkauf der Dollars, die auf dem freien Devisenmarkt den Wert ihrer Währung nach oben treiben, den Wert ihrer »Reservewährung« und damit die Finanzbasis ihrer eigenen nationalen Zirkulation zu »verteidigen« und, soweit sie es für nötig halten, die Schädigung ihres Exportgeschäfts abzuwenden. Ein schönes Paradox: ständige und sogar wachsende Zahlungsbilanzdefizite sind kein Argument gegen USA und Dollar, sondern gegen alle anderen; die Abhängigkeit der D-Mark, des Franc, des Pfund usw. vom Dollar, der die weltweite Tauglichkeit dieser Kreditzeichen als seriöses Zahlungsmittel garantiert, macht bisweilen die Ausweitung, Verausgabung und gezielte Entwertung des deutschen, französischen, britischen usw. Nationalkredits erforderlich, damit der Dollar als Grundlage der darin abgewickelten Geschäfte seinen Wert nach Möglichkeit behält. Sache der Partnerländer war und blieb es auch, sich auf internationalen Währungskonferenzen – die schönste und längste ausgerechnet im sozialistischen Belgrad – unter wohlwollendem Desinteresse der USA den Kopf über Möglichkeiten zu zerbrechen, wie der Dollar als Weltgeld zu ersetzen und die fröhlich auf eine Billion zumarschierende »freie Liquidität« am Eurodollarmarkt wirksam »abzuschöpfen« oder »einzudämmen« sei. Komischerweise fiel ihnen nichts ein, was auf mehr als auf eine Umtaufung einiger Dollarmilliarden hinausgelaufen wäre.

Es blieb dabei, daß die Partner der USA, und zwar um so mehr, je stärker sie sich zu partiellen Konkurrenten ihrer Führungsmacht aufgeschwungen haben, mit ihren Stützungskäufen die Folgen der skrupellosen Ausnutzung des amerikanischen Nationalkredits und seiner weltweiten Unanfechtbarkeit durch seine Macher: die Entwertung des Dollar, buchstäblich auf ihre Dollarkonten nehmen, den Kredit ihres alten Gläubigers, von dem nicht loszukommen war und ist, ihrerseits kreditieren – und sich so erst recht und noch enger an ihn binden. Auch eine Art, die Währungskredite von einst zu verzinsen und einmal mehr europäischen Dank für die großzügige Wiederaufbauhilfe nach dem Krieg abzustatten…

5. Die Lektion ist eigentlich sehr eindeutig: Seit die USA ihren weltwirtschaftlichen Standpunkt der Währungskredite und des Kapitalexports gegen ihre zahlungsunfähigen Konkurrenten durchgesetzt und sie auf dieser Grundlage als bedingte Konkurrenten wiederhergestellt haben, sind die Zeiten einer Weltwirtschaftskrise vorüber, in der der Zusammenbruch des amerikanischen Kreditgeschäfts sich ausgerechnet dadurch auf alle konkurrierenden Partnerländer ausweitete, daß die amerikanischen Banken von ihren auswärtigen Schuldnern bare Zahlung verlangten, um im Inland ihre Zahlungsfähigkeit zu retten. Das amerikanische Kreditgeld und die darin abgewickelten Geschäfte können nicht mehr generell kaputtgehen, ohne daß vorher alle anderen Nationalökonomien mit ihrer Währung aufgeflogen sind; selbst die Schädigung der Akkumulation amerikanischen Kapitals und die Entwertung des Kreditgelds, in dem es sich realisiert, schlägt zuerst auf die Zirkulation der Partnerländer durch, ehe sie das Kapital und den Kredit der USA ernsthaft beeinträchtigt. Der praktische Vergleich zwischen »Leitwährung« und kreditierten, »geleiteten« Währungen ist und bleibt eben unter allen Umständen eine sehr einseitige Sache. Deswegen hätte es auch niemanden zu wundern brauchen, daß nach einer Phase der Dollarabwertung auch mal wieder der entgegengesetzte Trend fällig geworden ist: Die Verteilung von Nutzen und Schaden aus der »weltweiten Inflation« ist für die Geldbesitzer in aller Welt eben eine hinreichend deutliche Erinnerung daran, wo das Geschäft mit der Inflation immer noch das sicherste ist. Und wer es an den nationalen Unterschieden bei der Abwicklung der letzten ökonomischen Krisen nicht gemerkt haben sollte, der hatte und hat schließlich genügend Gelegenheit, sich daran erinnern zu lassen, daß die Sicherung der »Freiheit der Person«, jener schönen Metapher für die Scheidung zwischen nützlicher Armut und privatem Eigentum, ein Kriegsgrund ist, dessen Konjunkturen mit der Sicherheit des Geschäftemachens auch einiges, und zwar national unterschiedlich viel, zu tun haben. Wie in den siebziger Jahren das Zahlungsbilanzdefizit, so läßt in den Achtzigern der hohe Zinssatz der USA deren Macher kalt und macht dafür den regierenden Kollegen Sorgen, die sich dann über »vagabundierende Dollarmilliarden« beschweren: nun werden sie mit dem Kapitalabfluß in die USA und den dadurch zusätzlich hochgetriebenen nationalen Zinssätzen umgekehrt darüber aufgeklärt, daß das Mutterland der pax americana eben nach wie vor die Konditionen für die unter deren Schutz abgewickelten Geschäfte setzt, und zwar auch mit Maßnahmen, die anderen Nationen als Störung der »Prinzipien des Freihandels« verwehrt sind.

Den Ärger über solche Klarstellungen und das gepflegte Selbstmitleid der betroffenen Souveräne sollte ein normaler Mensch allerdings der Idiotie des Patriotismus überlassen. Denn erstens blamiert die Vorstellung geknechteter westeuropäischer Nationen sich vor der Berechnung der amtierenden Führer dieser Staaten, denen seit jeher an einer möglichst effektiven und rentablen Benutzung von Land und Leuten für kapitalistische Reichtumsproduktion mehr gelegen ist als daran, daß sie die alleinigen Verantwortlichen und die Benutzung des Volkes das Werk ihrer eigenen Bürger bleiben. Zweitens macht es für das Volk, wenn es sich denn schon für den Erfolg kapitalistischer Geschäfte, also eines für den »kleinen Mann« weder gedachten noch gemachten Reichtums benützen läßt, keinen so prinzipiellen materiellen Unterschied, ob er den Erfolg oder die Krise dieses Geschäfts auszubaden hat. Ein prinzipieller Unterschied ist das einzig und allein für seine souveränen nationalen Führer; und die haben (siehe erstens) über allem Gejammer, daß die Vorteile des Dollar so schreckliche Nachteile für ihre wirtschaftspolitische Souveränität mitbrächten, nie die Wahrheit ihrer USA-Hörigkeit vergessen: daß alle Nachteile des Dollars ihnen den unschätzbaren Vorteil gebracht haben, ein Land mit funktionierender Ausbeutung und entsprechend großer und wohlfundierter Macht, die auch international zählt, zu regieren. Ein Land, das sich unter den Geboten des IWF und des GATT, der anderen Charta des Freihandels für alle, die ihn zu nutzen wissen, glänzend bewährt. Daß die europäischen Mächte »bloß« die Mitmacher des weltwirtschaftlichen Standpunkts der USA sind, nimmt nicht das Geringste davon weg, daß sie die Mitmacher sind, die ihre restaurierten ökonomischen und politischen Potenzen längst ihrerseits per Kapitalexport und Währungskredit aneinander und am Rest der Welt praktizieren.

6. Vom Standpunkt der Weltwirtschaft, so wie die USA ihn per Dollar, IWF, GATT und einem halben Dutzend erstklassiger »Freunde« etabliert haben, ergeben sich nämlich für alle Nationen, die über genügend überschüssiges Kapital verfügen, ganz neue Möglichkeiten: erstens einander zu benutzen – »Europa« ist das Exerzierfeld dieser neuen Sorte Konkurrenz und wird in Abschnitt 4 dieses Kapitels gebührend gewürdigt; zweitens auch solche Länder zu benutzen, die für eine funktionierende innere Zirkulation und eine darüber bewerkstelligte Kapitalakkumulation weder die hinreichenden Voraussetzungen mitbringen noch dafür vorgesehen sind. Denn selbst wenn ein Staat es aus eigenen Mitteln nicht mehr oder gar nicht erst zu irgendwelchen exportierbaren Früchten bringt: so armselig ist kaum ein Land, daß ein hinreichend großes Kapital mit seiner Bevölkerung und seiner Naturausstattung – und sei es nur die touristisch verwertbare Oberfläche von Landschaft und Elend! – nicht doch etwas anfangen könnte.

So braucht auch in Gegenden, wo Industriearbeit noch nie heimisch war, geschweige denn die Bevölkerung danach verlangt hat, und ein Absatzmarkt weit und breit nicht zu entdecken ist, die Gründung einer modernen Firma nicht zu scheitern. Schließlich hat jenes ominöse Subjekt der Weltgeschichte namens »technischer Fortschritt« so viel an handwerklichem Können des benötigten Arbeitermaterials überflüssig gemacht, daß man auch Menschen ohne jede Ahnung und Ausbildung an modernste Maschinerie stellen kann. Die barbarischen Leistungsstandards zivilisierter Ökonomien lassen sich da zwar schwerer oder gar nicht durchsetzen. Wenn aber die zuständige Regierung tut, was in ihrer Macht steht – für Zufriedenheit mit absoluten Hungerlöhnen sorgt, großräumige Verwüstungen gestattet, sich mit spärlichen Abgaben bescheidet und den sachverständigen Machern jede Freiheit läßt –, dann ist so mancher deutsche, amerikanische oder französische »Multi« durchaus bereit, »Standortnachteile« zu vergessen und sein ohnehin weltweites Beschaffungs- und Vertriebssystem für das Gelingen eines Geschäfts einzusetzen, das außer ihm niemand für lohnend gehalten – und auch nicht zustande gebracht hätte. Für finanzkräftige Unternehmer bieten aber vor allem günstige Klimate und Bodenschätze in noch so unwirtlichen Regionen einen unwiderstehlichen Anreiz, gleich ein ganzes gesellschaftliches Produktionsverhältnis zu exportieren – sachgerecht modifiziert natürlich. Da wird dann mit schwerstem und teuerstem Gerät zugeschlagen, eine funktionierende Werkseisenbahn über 1000 Kilometer durch Busch oder Wüste zur nächsten Hafenstadt gelegt und allerlei Nützliches dorthin verfrachtet, wo es dann unter wirklich produktiven gesellschaftlichen Verhältnissen für die Schaffung von zählbarem und in Geld gemessenem Reichtum und lohnenden Überschüssen benützt wird.

Seiner Integration in die vom »freien Westen« inszenierte Weltwirtschaft entgeht auf diese Weise kein Land. Es bleibt ja gar nicht mehr seiner ökonomischen Leistungsfähigkeit überlassen, ob, mit welchem Erfolg und daher in welchem Umfang es sich dem internationalen Geschäftswesen erschließt. In jedem Land werden Wirtschaftsaktivitäten in Gang gebracht – und wenn eben nicht durch einheimische Geschäftsleute, sei es, weil es die nicht gibt, sei es, weil diese ihre Besitztümer schleunigst in harter Währung auf sichere Schweizer Nummernkonten bringen, dann um so radikaler durch auswärtige »Entwicklungs«-Angebote! –, die dem Kriterium des lohnenden Geschäfts folgen und den Erfolg zur Existenzbedingung der Eingeborenen machen, auf die das Kapital dummerweise noch in den abgelegensten Gegenden trifft. Deren Anstrengungen, ihre Subsistenz zu erhalten, scheitern ab sofort nicht mehr an der »Feindlichkeit« ihrer »Umwelt«, sondern an der Großzügigkeit, mit der diese auf einmal benutzt wird: die paar lohnend zu betreibenden Fabriken, Minen und Farmen, die ihnen den überlebensnotwendigen Raum nehmen, haben regelmäßig nur für einen Bruchteil der verdrängten Leute eine Verwendung – und die sieht entsprechend brutal aus. Wo also eine heimische Bevölkerung sich allenfalls noch, vielleicht trotz aller Maßnahmen ihrer Regierung, Exportierbares herbeizuschaffen, hat erhalten können, da vollenden großzügige Kapitalanlagen die Zerstörung der vorfindlichen Produktionsweise, die der Außenhandel bereits eingeleitet hatte.

Die zuständigen politischen Herrschaften hat die internationale Geschäftswelt dabei allemal auf ihrer Seite. Die eigene sowieso, es sei denn, die hielte gerade aus übergeordneten strategischen Erwägungen eine Erpressung in Form eines Boykotts für angezeigt; da darf der frustrierte Anleger sich damit trösten, daß die Konditionen seines Geschäfts auf diese Weise »langfristig« nur noch besser werden. Die der benutzten Länder auch; denn in der Welt von heute ist Zahlungsfähigkeit nun einmal die Bedingung auch für eine Regierung, eine wie auch immer geartete Souveränität aufrechtzuerhalten; zahlungsfähig wird sie aber allein durch die mit ihrem Land und ihren Untertanen inszenierten Geschäfte, wie ruinös auch immer diese für Land und Leute sein mögen. Der Welthandel nimmt so auf die erfreulichste Weise zu, und die Sortierung der Länder des Globus nach Art und Umfang der lohnenden Benutzung ihrer Ökonomie, ihrer Naturschätze und ihrer Einwohnerschaft durch die tatsächlichen Macher der »Weltwirtschaft« wird perfekt. Die drei maßgeblichen Parteien des großen Deals können zufrieden sein: Die einen haben ihr Geschäft, die zweiten einen Erfolg für ihre »nationale Wohlfahrt« gesichert, und die dritten kommen in den Genuß einer zwar nicht ganz autonom verfügbaren, dafür aber materiellen Grundlage ihrer Herrschaft – auch der »afrikanische Sozialismus« fällt weder vom Himmel, noch wächst er im Busch. Das logisch dazugehörige schlechte christliche Gewissen bezüglich der Opfer einer funktionierenden Weltwirtschaft bleibt der anderen unmaßgeblichen Fraktion: den demokratischen Untertanen der aktiven und verantwortlichen Staatenlenker, überlassen: philanthropische oder – inzwischen bloß noch! – ökologische Bedenken und die Mark für Caritas und Serengeti sind ihr Anteil an der weltweiten Verantwortung ihrer Regierenden und Verlaufsformen ihrer demokratischen Illusion, am Ende würde das Ganze doch irgendwie zu ihren Gunsten veranstaltet.

Zweck und Ergebnis sind in Wahrheit etwas anders beschaffen: Als »Kapitalmarkt“ vollendet sich die Staatenwelt mit ihren 150 Souveränen zu einem weltweiten ökonomischen Imperium.

4. Das »europäische Einigungswerk«

Die kapitalistischen Demokratien Europas haben es seit jeher verstanden, aus ihrer Einordnung in die von den USA nach dem großen Krieg restaurierte Weltwirtschaft für sich das Beste zu machen und mit den ihnen gesetzten Konditionen glänzend zurechtzukommen. Daß das Mitmachen unter Bedingungen, die sie selber keineswegs frei und gleichberechtigt ausgehandelt haben, ihre einzige Chance war und ist, nimmt nicht das Geringste davon weg, daß sie darin sehr souverän ihre Chance zur aktiven Teilhabe am weltweiten Imperium des freien Kapitalverkehrs gesehen und mit dem bedingungslosen Willen zum Erfolg bedingungslos und erfolgreich ergriffen haben. Lächerlich sind daher alle Töne des nationalen Selbstmitleids, die unter freien Westlern immer wieder laut werden und immer wieder zu imperialistischen Phantasien eines alternativen Patriotismus Anlaß geben, sobald Regierung und Wirtschaft eines Partnerstaates anders wollen müssen, als sie sonst vielleicht eigentlich gewollt hätten.

Lächerlich vor allem im Falle der BRD. Denn dieser Staat – von seinen Bewohnern ist hier nicht die Rede! – war von Anfang an der Hauptnutznießer einer amerikanischen Politik, die Sieger und Besiegte des Zweiten Weltkriegs gleichermaßen zu NATO- und Handelspartnern gemacht hat. Frankreich und Großbritannien, sogar Holland und Belgien hatten ihren Kolonialbesitz, auf den ihre Großmacht sich gegründet hatte, erst noch zu liquidieren: für derartige Zonen exklusiven Zugriffs einer bestimmten politischen Herrschaft und ihrer nationalen Nutznießer war im Rahmen von IWF und GATT kein Platz mehr. Die Wahrheit der neuen »Weltwirtschaftsordnung« hatten die alten Kolonialmächte gegen sich, nicht bloß blutige Aufstände in ihren liebsten, weil fortgeschrittensten »Überseeprovinzen« und »Dominions«, mit denen sie im Falle nachdrücklicher amerikanischer Hilfe allemal noch fertig geworden wären – immerhin war ihnen so viel amerikanisches Wohlwollen sicher, daß der Fortschritt vom Kolonialismus zum modernen Wirtschaftsimperium der »freien Welt« sich ausgiebig gestaltete und die eine Seite einigen Reichtum und etliche Soldaten, die andere Seite die Überlebensmittel der Armut und einige Volksmassen kostete.

Umgekehrt erwies die »Stunde Null« des besiegten Deutschland sich für die demokratisch erneuerte Bundesnation als erstklassige Startchance: die alten Staatsschulden waren mit der Währungsreform so gut wie gestrichen; sogar Kriegszerstörungen und Demontagen kamen dem kapitalistischen Neuanfang insofern zugute, als das anlagewillige Kapital, sei es amerikanischen oder nationalen Ursprungs, auch dank rasch wachsender Kredite gleich mit den modernsten Methoden der Arbeitskräftenutzung zu Werke ging; die Ansprüche des Proletariats hatten Krieg und Niederlage aufs Überleben reduziert, somit den Wert ihrer Arbeitskraft drastisch herabgedrückt; der Wegfall der militärischen faux frais demokratischer Herrschaft lohnte sich noch dazu politisch als Beweis der nationalen Bescheidenheit – und innenpolitisch für den der totalen Niederlage angemessenen neuen Nationalismus der Bescheidenheit; und unter diesen Auspizien ließ das durch amerikanisches und einheimisches Kapital wieder engagierte Volk sich ausgiebig benutzen und die Akkumulationserfolge, für die es sich hergab, vertrauensvoll zum kaum verdienten »Wirtschaftswunder« verklären. Dem westdeutschen Kapital war dank seiner »Abhängigkeit« von amerikanischem Kredit von vornherein das Mitmischen im Welthandel, eben ganz jenseits der heimischen Armut, als Weg zu schleunigster Akkumulation eröffnet und als effektivste Methode »vorgeschrieben«; der Erfolg, mit dem es sich auf diesen süßen »Zwang« eingelassen hat, ist in der Rede vom »ökonomischen Riesen« – der inzwischen schon längst kein »politischer Zwerg« mehr bleiben »darf«! – geradezu sprichwörtlich geworden. Dabei hatten ebenfalls die USA bereits mit den Institutionen zur Abwicklung ihres Europäischen Wiederaufbauprogramms (European Recovery Program, ERP), der Europäischen Zahlungsunion und der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) ihre europäischen Verbündeten auf den besonderen regionalen Internationalismus verwiesen, über den speziell die neue westdeutsche Republik sich zu nie geahnter neuer Weltmacht und zum selbstverständlichen Mitglied des Weltwirtschaftsgipfels hochgearbeitet hat: auf Europa.

1. Mit dem ökonomischen und militärischen Patronat der USA über die souveränen Staaten Westeuropas war und ist diesen zumindest für ihren Umgang miteinander die Freiheit genommen, ihre Gewalt nach Gutdünken für die Durchsetzung ihrer Interessen an anderen Souveränen und deren Ländern geltend zu machen. Ihre bewaffnete Macht gegeneinander einzusetzen, das kommt für NATO-Partner nicht in Frage – oder doch nur sehr eingeschränkt: auf die Vertreibung feindlicher Fischerboote in eigenen Fischereigewässern etwa oder auf eine sachgerechte Grenzziehung in der Ägäis und auf dem letzten Überbleibsel des britischen Kolonialismus im östlichen Mittelmeer, auf Cypern. Die »glaubwürdige« Drohung mit Waffengewalt und ähnlichen »Repressalien« ist als Mittel der Außenpolitik zwischen den Schützlingen Amerikas jedenfalls nicht mehr üblich bzw. nurmehr indirekt unter den Auspizien der Bündnisdisziplin: als Drohung mit dem Entzug von militärischer Kooperation, welche bedingungslos zu wünschen jeder NATO-Partner sich doch festgelegt hat. In gleicher Weise stößt der Gebrauch der wirtschaftspolitischen Souveränität der europäischen Staaten in der unerläßlichen Bedingung für die Benutzung fremder Ökonomien: im internationalen Zirkulationsmittel Dollar, auf eine Schranke, nämlich auf den sehr praktischen amerikanischen Imperativ, der Konkurrenz der Ökonomien keine hoheitlichen Hindernisse in den Weg zu legen. Die Institution der »Handelskriege« ist damit zwar keineswegs abgeschafft; unter den Bedingungen von IWF und GATT fehlt solchen Aktionen von europäischem Boden aus allerdings die letzte Härte: Die Drohung mit dem Abbruch der ökonomischen Beziehungen zu einem gleichfalls dem »freien Westen« zugehörigen Konkurrenten entbehrt der Glaubwürdigkeit. Damit beschert die pax americana den befriedeten Nationen Westeuropas allerdings keineswegs das Ende des nationalen Egoismus, sondern dessen paradoxe Neueröffnung. Die Beschränkung der Freiheit, mit allen Mitteln der Souveränität um die Vorteile wechselseitiger Benutzung zu konkurrieren, ist der Zwang, um diese Vorteile mit allen zugelassenen Mitteln zu konkurrieren. Mehr denn je sieht sich der Materialismus der westeuropäischen Souveräne seither auf das fortschrittlich-imperialistische Ziel festgelegt, aus der Ökonomie der verbündeten Auslande größtmöglichen nationalen Nutzen zu ziehen, und für dieses Ziel auf die Waffe der Produktivität des Kapitals als das einzig unbeschränkt gestattete Mittel verwiesen. In beiden Hinsichten war und ist es die amerikanische Konkurrenz, die die Maßstäbe setzte und noch immer vorgibt: in Sachen Produktivität ebenso wie in der Freiheit, auswärtige Staatsgrenzen als mehr oder minder zuträgliche Bedingungen für die erfolgreiche Verwandlung ihrer überlegenen Produktivität in eine überlegene Profitrate zu kalkulieren. Dieser praktische Zwang, sich mit dem weltweit rechnenden und agierenden US-Kapital zu vergleichen, nötigte den europäischen Geschäftsleuten von Anfang an die »Einsicht« auf, daß nationale Wirtschaftsgrenzen kaum mehr einen Schutz vor unliebsamer Konkurrenz bedeuten, dafür aber ein um so größeres Hindernis für den eigenen Geschäftserfolg. Dieser »Einsicht« mochten denn auch die politischen Macher der nationalen Ökonomien des »alten Kontinents« sich nicht verschließen, weil ihnen auch ohne Kenntnis des Wertgesetzes klar wurde, daß der alte Protektionismus gegen die innereuropäische Konkurrenz nur die Überlegenheit der USA verewigen und vergrößern mußte: Für den Krisenfall stand so ja von vornherein fest, auf welches Kapital die Last der Entwertung fiel und welches das zum Ausgangspunkt für neue Akkumulationserfolge würde nehmen können. So setzten sie das »Jahrhundertwerk« der »europäischen Einigung« in Gang.

2. Daß die an der EG beteiligten Staaten aus ihrer inneren und äußeren Wirtschaftspolitik den Nationalismus verabschiedet hätten und dazu übergegangen wären, Außenhandel und Kapitalverkehr, Kreditwesen und Klassenkampf, Investitionsförderung und Steuerlasten nur noch gemeinschaftlich zu regeln, ist in den Jahrzehnten der europäischen Einigung nicht eingetreten – und lag auch gar nicht in der Absicht der Gemeinschaftsstaaten: die zuständigen hauptberuflichen Patrioten haben zwischen ihrem Einigungsidealismus und ihrem Konkurrenzzweck praktisch noch allemal unterscheiden können. Schließlich war Einigung für sie nie ein Selbstzweck, sondern das Mittel zur Sicherung und Förderung des Materialismus ihrer jeweiligen Nation; klar, daß das Gemeinschaftsleben sich entsprechend strittig gestaltet. Enttäuschte Europa-Fans, die das Gemeinschaftsunternehmen für farcenhaft und gescheitert erklären, treffen die Sachlage allerdings erst recht nicht. Sicher, Importbeschränkungen und Exporthilfen sind auch auf dem Gemeinsamen Markt nicht ausgestorben. Zölle sind zwar abgeschafft, sogar schneller als vorgesehen, aber nicht die Zöllner; denn weil jeder Souverän seine eigenen Vorstellungen darüber hat und praktiziert, wie er sich für seinen Finanzbedarf bei seinen Untertanen bedient, müssen an den Grenzen gerechtigkeitshalber die unterschiedlichen Steuerlasten ausgeglichen werden. Die Freizügigkeit der Waren scheitert immer wieder mal an irgendeiner Generalklausel, dann wieder an kleinlichsten Normvorschriften, die just die Exportschlager des Nachbarn normwidrig ausfallen lassen; ebenso die der Arbeitnehmer teils am Vorbehalt eines Arbeitsplatznachweises, teils an den Reservaten, die ein Kulturstaat per Ausbildungsvorschriften u. ä. seinen Kulturträgern einrichtet. Nicht einmal Kapitalimport und ‑export sind von national unterschiedlichen Reglementierungen frei, und über den Außenwert ihrer Währung will jede Regierung das letzte Wort haben. Gerade die von EG-Idealisten beklagte rasante Vervielfältigung derartiger »nationaler Sonderregelungen«, deren Einführung, Kritik, Revision, Neuaushandlung usw. Heerscharen von Staatsbediensteten in Lohn und Brot bringt, ist aber der schlagende Beweis dafür, wie sehr die grenzüberschreitende Konkurrenz für die Gemeinschaftsstaaten bereits zur Prämisse ihrer Wirtschaftspolitik geworden ist. Mit ihrem Streit um nationale Sonderregelungen reagieren sie auf die Freiheiten, die ihr jeweiliges nationales Kapital und das der anderen sich längst nimmt und im Prinzip ja auch nehmen darf und soll – speziell in so geheiligten nationalen Intimbereichen wie dem der Geschäftemacherei mit Schulden. Der Eurodollarmarkt trägt seinen Vornamen schließlich deswegen zu Recht, weil die EG-Staaten sich nicht etwa prinzipiell die Benutzung all der schönen Dollarmilliarden versagen, die dank jahrzehntelanger amerikanischer Zahlungsbilanzdefizite den Rest der Welt beglücken und auf »freien« Finanzmärkten außerhalb der Zuständigkeit der Nationalbanken Europas ihr Wesen treiben: Mit allen möglichen Restriktionen erlauben, regeln und fördern sie sogar deren Verwandlung in nationales Kapital. Überhaupt ist die Zahl der nationalistischen »Verstöße gegen Gemeinschaftsregelungen« bloß deswegen so uferlos, weil der »westeuropäische Wirtschaftsraum« als Kalkulationsgrundlage die Ökonomie der beteiligten Staaten immer umfassender und intensiver betrifft.

Tatsächlich ist an den ökonomischen Sitten und Gebräuchen der westeuropäischen Partner denn auch deutlich abzulesen, wie der Supranationalismus der von den USA arrangierten, von amerikanischen wie europäischen Geschäftsleuten exekutierten Konkurrenz der Nationen deren Ökonomie umkrempelt. Hinsichtlich der Effektivität der Produktion wie der Modernität und Ausdehnung des Vertriebswesens eines Kapitals, in Sachen Krisenfestigkeit und daher auch Konzentrations- und Zentralisierungsgrad des nationalen Kapitals sind in allen EG-Staaten ganz ohne Kommissionsrichtlinie neue Standards durchgesetzt, denen national unterschiedliche Fraktionen des gesellschaftlichen »Mittelstandes« ziemlich unterschiedslos zum Opfer gefallen sind. Ganz zu schweigen von den Einwohnern des vielgepriesenen »Europa der Arbeitnehmer«, die sich – ebenfalls unterschiedslos und deswegen national sehr differenziert – inzwischen Jahr für Jahr an umgekrempelte, neue oder gar keine Arbeitsplätze gewöhnen dürfen, weil über einen halben Kontinent hinweg das eine Kapital allen anderen den jeweils fortgeschrittensten Stand in Sachen Ausbeutung zur Überlebensbedingung macht. In demselben Zug entstehen unter dem Druck weiträumiger Konkurrenz und der Obhut der Regierungen neue nationale Wirtschaftszentren – und logischerweise auf der anderen Seite »strukturschwache« Regionen oder gar »Notstandsgebiete«, die bei einer weniger weltmaßstäblichen Akkumulation, Konzentration und Zentralisation der europäischen Geschäftemacherei kaum in die für sie ruinöse kontinentale Konkurrenz einbezogen worden wären. Die »Gemeinschaft« hat in ihrer praktischen Weisheit diesen Fall längst vorgesehen und unterhält für Kompensationsmaßnahmen einen »Regionalfonds«, dessen Verteilung allerdings keineswegs eine Frage der Bedürftigkeit ist: Zwischen den Empfängerländern geht es ziemlich proporzmäßig zu, und diese handhaben die empfangenen Mittel in der Regel ökonomisch – also nicht zur fruchtlosen Linderung von Mangel, sondern zur lohnenden Förderung des Reichtums, wo er bereits in überzeugender Weise zustandekommt (was im Mezzogiorno nun ein für allemal nicht der Fall ist). Dasselbe gilt für die diversen Wirtschaftsbranchen: Da stehen Industriezweige, die einmal der Stolz der Nation gewesen sein mögen, vor der Alternative, sich gesund- oder totzuschrumpfen. Daneben bauen die Partnerstaaten, durch die Wucht amerikanischer Überlegenheit zu ebenso wuchtiger internationaler Solidarität gezwungen, mit vielen Subventionen und entsprechend proportionierten nationalen Anteilen eine kontinentale Luft- und Raumfahrtindustrie auf – oder kündigen auch wieder die Gemeinsamkeit, wenn und soweit sie beispielsweise auf dem Sektor der Atomkraftnutzung in der Konkurrenz der nationalen Unternehmungen gegeneinander besser zu fahren hoffen. Ein Feld besonderer Einigungen und daher auch Streitigkeiten ist dabei die Stahlbranche, die – wenn auch aus ganz anderen Gründen: Frankreich wollte sich so die Kontrolle über die deutsche Schwerindustrie sichern – zusammen mit der Kohleförderung Gegenstand des ersten großen europäischen Gemeinschaftswerks, der Montan-Union, wurde. Bei aller »guten Nachbarschaft« und Bereitschaft zum Konkurrieren will auf diesen Industriezweig kein Souverän verzichten: Nicht ohne Grund gilt der Stahl als politischer Rohstoff erster Güte, weil an seiner Produktion praktisch die gesamte Wirtschaft einer modernen Gesellschaft hängt, einschließlich der »Versorgung« der Staatsgewalt mit ihren wichtigsten Instrumenten – und an seinem Preis zu einem Gutteil die Konkurrenzfähigkeit des nationalen Kapitals. Lohnend soll die Stahlproduktion nach Möglichkeit schließlich auch noch sein; und diese drei Zielsetzungen sind nicht so einfach zu vereinbaren. Vom Standpunkt der jedem Konjunkturboom gewachsenen nationalen Stahlversorgung ist der Unterhalt von nicht ausgenutzten Kapazitäten erforderlich, der sich nur zu Preisen lohnen kann, die wiederum das weltweite Geschäft aller anderen Kapitale beeinträchtigen. Also subventioniert jeder Staat die Überkapazitäten seiner nationalen Stahlproduzenten – und wird damit zum bedingungslosen Parteigänger deren Konkurrenzkampfes um Marktanteile im Ausland: Ein besserer Auslastungsgrad senkt die Subventionsbedürfnisse. Hier wird also einmal die Schlacht um Absatzmärkte unmittelbar zum staatlichen Anliegen und dementsprechend abgewickelt: als politischer Streit um die Zuteilung von Produktionsquoten, mit denen dann wiederum kein Kapital zufrieden ist. Streit und nationale Unzufriedenheit sind hier die Alternative zur Nationalisierung des Stahlmarkts, also die notwendige Verlaufsform des »Supranationalismus« eines gemeinsamen Stahlmarkts, mit dem jeder Staat seinen Partnern die Unkosten dieser Branche aufzubürden versucht. Dabei wird die Kapitalproduktivität als Konkurrenzmittel keineswegs hinfällig, sondern ebenfalls zum direkten Staatsanliegen; denn nach ihr bemißt sich ja ebenfalls der Bedarf an Staatszuschüssen, und zwar nicht bloß im eigenen Land. Die französische, belgische und britische Stahlindustrie wird für die zuständigen Regierungen in dem Maße zu einer dauerhaften und zunehmend drückenden Last, in dem die italienische und bundesdeutsche Konkurrenz erfolgreich und geschäftstüchtig genug ist, um die ihr zufließenden Subventionen zur Senkung ihrer Produktionspreise, also lohnend zu nutzen: Um so höher steigt der Zuschußbedarf der anderen, ohne daß doch zur Produktivitätserhöhung etwas übrigbliebe. So verfügen gerade vermittels des gemeinsamen Stahlmarkts die einen Nationen über Hüttenwerke modernsten Kalibers, die mit Niedrigpreisen Gewinn machen und überall Marktanteile erobern, während die anderen nationalen Reichtum vergeuden, um sich eine zunehmend unrentable nationale Stahlherstellung überhaupt zu erhalten.

Ähnliche Neuerungen macht im Rahmen und dank der EG die Lohnarbeit in den verschiedenen Partnerstaaten durch. Für die deutschen Arbeiter hatte die totale Niederlage den gültigen Maßstab für den Preis der Arbeit gesetzt, nämlich das knappe Existenzminimum; von dem aus war jeder Erpressung in Sachen Mehrleistung ein Erfolg beschieden, und noch die kleinste Verbesserung des »Lebensstandards« schrieben Gewerkschaft, Kapital und Staat, insgesamt also »das marktwirtschaftliche System«, sich auf ihr Wirtschaftswunderkonto. Diese in Lohn und Leistung gleich doppelt zu Buche schlagende Nachkriegserrungenschaft mußten und müssen andere EG-Partner, die ihrem Proletariat nach gewonnenem Krieg nicht gleich jede historische Errungenschaft aus seiner Entlohnung gestrichen hatten und mit anderen Gewerkschaftsforderungen als der nach verantwortungsbeladenen Gremiensitzen in Unternehmensvorständen konfrontiert waren, erst nachholen. Der Wert der Ware Arbeitskraft – oder volkswirtschaftlich ausgedrückt: die Frage der »für unsere Wirtschaft zu verkraftenden Lohnkosten« – zählt in den europäischen Demokratien zu den Dauerbrennern der öffentlichen Diskussion. Und als Größe, an deren Reduktion sich noch jede wirtschaftspolitische Großtat bewährt, ist der Preis der Arbeit, die Lohntüte eben, der Selbstbedienungsladen der konkurrierenden Partnerländer.

Bis in den letzten Winkel – des Landes, der Branche, der Arbeitsplätze, der Lebenshaltung – hinein macht die europäische Konkurrenz unter EG-Bedingungen für das Kapital und gegen die Arbeit denselben banalen Maßstab maximaler Effektivität geltend (der methodisch geschulte Leser hat hier wieder ein Stichwort, um die Plattheit und Brutalität kapitalistischer Erfolgskriterien für eine Eindimensionalität unserer »Betrachtungsweise« zu halten) – und führt mit solcher Gleichmacherei keineswegs zur Gleichheit der nationalen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Am deutlichsten wird das in der Sphäre sichtbar, in der die Gemeinschaftsstaaten die ruinösen Konsequenzen einer internationalisierten Konkurrenz zum Gegenstand ihrer besonderen Aufmerksamkeit machen: in der Landwirtschaft. Bei ihrer Betrachtung kann man sich im übrigen auch die letzten Illusionen der Art abgewöhnen, der europäische »Gemeinsame Markt« hätte auch nur entfernt etwas mit einem großen Wochenmarkt zu tun, auf dem die besten Sachen am einfachsten an »den Verbraucher« gelangen. Das berüchtigte System der europaweit gültigen Mindestpreise für die meisten landwirtschaftlichen Produkte macht den »Warenkorb« eines Haushalts nicht billiger, eröffnet dafür aber im Agrarbereich auf ganz neuer Stufenleiter die Chance, mit spezialisierten, durchrationalisierten Großbetrieben lohnende Geschäfte zu machen. Umgekehrt erfährt eben dadurch die Masse der Bauern ganz praktisch, daß ihre angestammte Produktionsweise sich auf einmal nicht mehr lohnt – selbst dann kaum, wenn sie sich verschulden, um zu modernisieren, und die Arbeitskraft ihrer Familien intensiv ausbeuten. Die Wucht dieser Klarstellung trifft diesen Teil der Gesellschaft zwar nur in abgemilderter Form, da etliche Gemeinschaftsstaaten sich die sanfte Liquidierung ihres bislang abgetrennt vom kapitalistischen Getriebe werkelnden Nährstandes etwas kosten lassen und ihre Preisgarantien so weit hinaufmanipulieren, daß mancher unternehmungslustige Kleinbauer sich noch eine Existenzchance erhofft. Um so gründlicher geht eine – sehr nationenspezifische – Sortierung dieses antiquierten Standes vonstatten: in eine kleine Minderheit radikaler Agrarunternehmer, die mit den staatlichen Subventionen als erstklassiger Geschäftsgrundlage kalkulieren und mit ihrem entsprechenden Erfolg einen Agrar-»Berg« nach dem anderen aufwerfen helfen – ein blühender Geschäftszweig in Ländern mit schon länger kapitalisierter, exportorientierter Landwirtschaft wie Dänemark, Holland, aber auch Frankreich; in eine abnehmende Anzahl kleiner Selbständiger, die mit ihren Versuchen, in einen endlich einmal wirklich lohnenden Boom einzusteigen, immer um die entscheidende Saison zu spät kommen – und deren Ärger sich in Anwandlungen eines bodenständigen Anarchismus gegen die Produkte der Konkurrenz entlädt: da ist schon viel gepanschter Rotwein ins Mittelmeer abgelassen worden; und in die Mehrzahl geschäftsunfähiger Ex-Landwirte, die, je nachdem, ihren Abgang ins industrielle Proletariat oder in die industrielle Reservearmee absolvieren oder aber mit ihren Anstrengungen, sich doch noch aus ihrer angestammten Heimaterde zu ernähren, das Lokalkolorit der notorischen »Armenhäuser Europas« so interessant gestalten. Die Reihen der letztgenannten Fraktion werden mit jeder Süderweiterung der EG bedeutenden Zuzug erhalten. Bei der Effektivierung des Landvolks in den rückständigen Mitgliedsstaaten, deren »Bruttosozialprodukt« zu einem entscheidenden Teil durch die wenig rentablen Strapazen ihrer kleinen Landwirte zustandekommt, wird die »Gemeinschaft« nicht noch neue Milliarden in eine Überproduktion stecken, die dortzulande und bei der bekannten »mediterranen Mentalität« – die ist nämlich schuld, wenn Kleinbauern ohne Job-Aussichten lieber ihrer mageren, vertrockneten Scholle treu bleiben! – noch nicht einmal die angestrebte kapitalistische »Umstrukturierung« dieses Sektors garantiert; das zumindest ist durch das Brüsseler Agrar-»Sparprogramm« klargestellt.

Insgesamt bleibt so unter den Konditionen des westeuropäischen »gemeinsamen Marktes« keine nationale Besonderheit mehr, was sie war. »Naturwüchsige« Eigentümlichkeiten eines Menschenschlages, Überreste naturabhängiger Produktionsweisen, die berühmten »geschichtlich gewachsenen Strukturen«, in denen frühere Herrschaft sich ihre gewalttätigen Denkmäler geschaffen hat, sogar die Klassenkampf-»Erfahrenheit« einer nationalen Arbeiterklasse: all das erfährt eine praktische »Würdigung« als mehr oder minder taugliche Bedingung für immer dasselbe, den nationalen Erfolg in einer ökonomischen Konkurrenz von radikaler Rücksichtslosigkeit, und wird so entweder als überholte Marotte eliminiert oder in seine eigene Karikatur verwandelt. In manchen europäischen Regionen befinden proletarische Aktivisten den Kampf um mehr Lohn für uninteressant und bejammern lieber die »germanizzazione« ihres Vaterlandes, so als hätten die westdeutschen Touristen ihnen höchstpersönlich die neuen Standards für das nötige Verhältnis von Lohn und Leistung mitgebracht. Bürgermeister zwischen Nordkap und Sizilien entdecken nicht mehr unter den Auspizien faschistischer Ideologie, sondern unter denen der Tourismusförderung, also der geschäftlichen Nutzung einer Landschaft, die außer ihrem Erscheinungsbild nichts für die Konkurrenz zu bieten hat, jede halbvergessene oder ausgestorbene Borniertheit neu und bringen erwachsene Menschen dazu, sich rein methodisch für jeden Firlefanz zu begeistern, der die Idiotie der Heimatliebe für sich geltend machen kann. Eine Arbeiterschaft, der durch die Fortschritte des nationalen Kapitals in seinem Bemühen, sich von der Geschicklichkeit seines Menschenmaterials zu emanzipieren, jeder Berufsstolz bestritten wird, hält sich um so fanatischer an die rein ideologische Verachtung ihrer fremdländischen Kollegen, die schon seit längerem ohne Qualitätsverlust gute deutsche Wertarbeit verrichten. Kurzum: Indem das große europäische Einigungswerk die Patrioten aller Länder zwangsweise zu praktischen Kosmopoliten macht, was für jede Völkerschaft spezielle Härten mit sich bringt, treibt es deren Nationalismus zu neuen Verrücktheiten. Was soll auch anderes dabei herauskommen, wenn loyalen Staatsbürgern das paradoxe Ideal der „Völkerfreundschaft“ nahegelegt wird? Da soll der Mensch sein Selbstbewußtsein einerseits ganz in den bunt ausgemalten, deswegen aber nicht erfreulicheren Umstand legen, daß er mit vielen seinesgleichen derselben Herrschaft gehorcht, sich also als Volk fühlen; ein Gefühl, das überhaupt nur geht, indem Ausländer genauso unter die höchst abstrakte, prinzipielle, beliebig auszumalende und auf alle Fälle äußerst verdächtige Bestimmung subsumiert werden, eben ein anderes Volk zu sein; und in demselben Atemzug soll er die Ausländer aus eben diesem Grund insgesamt ziemlich sympathisch finden?

3. Daß in dem bedingt supranationalen Zusammenschluß der EG-Staaten deren nationaler Egoismus sich betätigt und gerade in seiner offiziellen Relativierung so anspruchsvoll wird, ist das Prinzip dieses Bündnisses, das noch expliziter als in dessen ökonomischen Ergebnissen in seiner Methode: den organisatorischen Mechanismen und Verlaufsformen der Einigung, greifbar wird. Der ganze Kunstgriff dieser Konstruktion liegt darin, den nationalen Willen zur möglichst durchschlagenden Benutzung der Ökonomie der Nachbarländer und der diese regelnden politischen Gewalt in zwei Momente zu zerlegen: Die Notwendigkeit, für dieses Ziel den Partnern Zugeständnisse zu machen, wird als Gemeinschaftsorgan institutionell verselbständigt – die Kommission mit ihrem bürokratischen Apparat und ihrem gerichtlichen Überbau; die von diesem Organ vorgeschlagenen Gemeinschaftsregelungen werden von den als Ministerrat versammelten Staaten auf ihren jeweiligen nationalen Sonderstandpunkt hin reflektiert, in wechselseitiger Erpressung modifiziert und nur verabschiedet, wenn jedes Mitglied sich von seinem Zugeständnis einen größeren Vorteil verspricht. Diese Konstruktion bringt den Anschein hervor, als ginge es immerzu um die Austragung von Gegensätzen zwischen europäischem Gemeinschafts- und nationalem Sonderinteresse – die Wahrheit dieses verkehrten Scheins ist, um es nochmals zu sagen, der ganz und gar nationale und am Nationalinteresse orientierte Wille der beteiligten Staaten, ihre Konkurrenz unter den durch die pax americana gesetzten Bedingungen, ohne bestimmte nationale Vorbehalte der öffentlichen Gewalt gegen diese Konkurrenz, auszutragen. Der Anschein einer selbständigen Existenz des Gemeinschaftsinteresses als solchen ist dennoch mehr als der Spleen von Idealisten eines autonomen europäischen Imperiums und als die Berufskrankheit manches Brüsseler Bürokraten, der sich als Beweisstück für einen real existierenden europäischen Supranationalismus vorkommen mag. Er liefert die moralische Sprachregelung für das Feilschen der amtierenden Nationalisten: Ansprüche werden allemal im Namen der Gemeinschaft erhoben und bestritten. Und das ist in mehreren Hinsichten von Gewicht.

So ist die Berufung auf »Europa« speziell für die BRD seit Adenauers Zeiten die Art und Weise, innen- wie außenpolitisch die Ansprüche des deutschen Nationalismus, der sich mit dem in jeder Hinsicht verlorenen Krieg bis auf weiteres disqualifiziert hatte, in garantiert unverdächtigem Gewand geltend zu machen. Das ging und geht deswegen, weil die BRD tatsächlich seit jeher am meisten von der EG profitiert – nicht bloß ökonomisch, sondern auch politisch, sofern ihr eben unter diesem Gesichtspunkt ein Auftreten als weltweit interessierte und agierende Macht wieder zugestanden worden ist; die Heuchelei der europäisch supranationalen Moralität ihres Nationalinteresses blamiert sich so noch am seltensten. Andere Staaten, die ihre Rolle innerhalb der EG noch immer mit ihrer früheren Großmacht vergleichen, haben da zumindest innenpolitisch eher das umgekehrte Problem: »Europa» als fortschrittliches Äquivalent ihrer früheren nationalen Grandeur darzustellen; fast scheint es hier manchmal, als müßte da die eine oder andere Regierung ihrem Volk Vorteile der EG vormachen, wo es tatsächlich bloß darum geht, weitere Konkurrenznachteile zu vermeiden. Für alle beteiligten Staaten gleichermaßen ist »Europa« immerhin der diplomatische Freibrief, sich beständig in die »inneren Angelegenheiten« ihrer Nachbarn bedenkenlos und offensiv »einzumischen«. Beständig und bis in die Details überprüfen die Politiker jeder EG-Nation die Wirtschafts- und Sozialpolitik ihrer Nachbarn nach Vor- und Nachteilen für die eigenen Interessen, sparen nicht mit Ratschlägen und haben sich im Europaparlament und seinen Fraktionen, so absurd die Fiktion einer parlamentarischen Super-Souveränität über den Nationen auch sein mag, immerhin ein Instrument geschaffen, um schon über die Programmatik ihrer jeweiligen »Schwesterparteien« eine »gemeinschaftsdienliche« Politik größerer Zugeständnisse bei ihren Nachbarn zu fördern. So ergänzt der diplomatische Europa-Moralismus die ökonomische Benutzung und die politische Erpressung um ein demokratisches Element zu einem System imperialistischer Kontrolle der verbündeten Nationen übereinander, und zwar rein nach Maßgabe ihres ökonomischen Gewichts; einem regionalen Imperialismus, wie es ihn ohne beständigen Einsatz der bewaffneten Macht auf der Welt noch nicht gegeben hat.

4. Während im Inneren der EG Vorteil und Schädigung der Partnerstaaten durch einander stets sorgfältig gegeneinander aufgerechnet sein wollen und immer wieder zu nächtlichen Erpressungsmanövern mit angehaltenen Uhren und demonstrativ leer gelassenen Stühlen führen, steht im Verhältnis der Partner zum Rest der Welt der Nutzen ihres absonderlichen Bündnisses außer Frage; ganz folgerichtig, daß in diesem Bereich die Kommission denn auch die relativ weitestreichenden Befugnisse besitzt. Zwar verzichtet kein Staat, sei es unter Bruch oder Beachtung des GATT und der Römischen Verträge, auf Sonderbeziehungen zu speziellen Freunden in aller Welt, auch in Kompetenzbereichen der Gemeinschaft; daß beispielsweise der westdeutsche Ost- großenteils als »innerdeutscher Handel« läuft, ist einer der handfestesten letzten Vorteile des verlorenen Krieges, den die BRD sich bei aller Europafreudigkeit nicht als ihre große Sonderregel nehmen läßt! Daneben ist es aber durchaus immer wieder von Vorteil – nicht zuletzt für die »Kleinen« im Bündnis, die sich dafür auch wieder allerlei gefallen lassen –, auswärtigen Konkurrenten oder Objekten ihres weltweiten Nationalinteresses nicht als einzelner Staat, sondern gleich als halber Kontinent entgegenzutreten.

Nutznießer Nr. 1 war und ist hier zweifellos wieder die BRD, die sich in diesem Rahmen den ökonomischen Zugriff auf die Ex-Kolonien ihrer Partnerländer gesichert und auch eine politische Position erobert hat, die es ihr erlaubt, sehr souverän in fernen Weltgegenden herumzuschiedsrichtern. In demselben Rahmen haben aber auch die alten Großmächte die Liquidierung ihrer alten Kolonialreiche letztlich vorteilhaft für sich ausgestalten können. Die verlorenen Zuschüsse, die für die Aufrechterhaltung eines sachgerecht benutzbaren Staatsapparats in den europäischen Domänen auf der Erdkugel nun einmal nötig sind, finanzieren die anderen Partner mit. Gemeinsam mit ihnen läßt sich überdies sehr bequem und wirksam Vorsorge treffen, daß die verselbständigten Kolonien ihre Souveränität nicht für den Versuch mißbrauchen, die Konkurrenz kapitalistischer Interessenten an ihren paar Naturschätzen für sich auszunutzen. »Stabex« und »Minex«, die Kernstücke der beiden Abkommen von Lomé zwischen der EG und den AKP-Staaten – die in der westeuropäischen Öffentlichkeit mit einer Unverfrorenheit ohnegleichen als Akt europäischer Großzügigkeit ausgegeben werden! –, sind da Meisterstücke demokratischer Diplomatie: Sie stabilisieren den Preis landwirtschaftlicher und mineralischer Rohstoffe aus den Vertragsstaaten Afrikas, der Karibik und des pazifischen Raumes – ohne ihn zu erhöhen! – aus einem sehr sparsam durch die EG dotierten Fonds, den die Empfängerstaaten im Falle von überdurchschnittlichen Erlösen wieder mit auffüllen dürfen. Auch das geschieht nur unter der Bedingung, daß die »begünstigten« Länder sich erstens auf die Produktion eben dieser Rohstoffe festlegen: schon nach wenigen Verarbeitungsschritten, und ebenso wenn ihr Anteil am Export des Landes unter eine recht hohe Quote sinkt, fallen die »begünstigten« Produkte aus den Abkommen heraus – so sieht der EG-Beitrag zur »Diversifizierung« und »Weiterentwicklung« der Ökonomie der »Entwicklungsländer« aus! Zweitens muß der Abtransport so gut wie ausschließlich in die EG-Staaten erfolgen, sonst entfällt die »Finanzhilfe« gleich vollständig. Und dieses »Zugeständnis« lassen die europäischen Wohltäter sich noch dazu »entgelten« mit der Pauschalgarantie aller Freiheiten ihres Kapitals, die exotischen Partnerländer zu benutzen – und nach Gebrauch auch wieder zu verlassen. Die Beantwortung der Gewalt»frage«, die in derartigen Ländern schon allein deswegen immer wieder akut wird, weil sie ihrer »Elite« außer dem unmittelbaren Besitz der politischen Gewalt nichts zu bieten haben, nehmen wiederum die alten Kolonialmächte auf die Kappe ihrer besonderen »traditionellen Freundschaft« mit bewährten Potentaten, die sich ihrerseits keineswegs bloß mit gelegentlichen Diamantengeschenken des kaiserlichen Knechts an seinen demokratischen Herrn erkenntlich erweisen. So bleibt der EG offiziell die Abwicklung der notwendigen Brutalitäten ihres gemeinschaftlichen Zugriffs auf ein gutes Drittel der modernen Staatenwelt erspart.

Noch weitaus überzeugender als in diesen exotischen Regionen bewährt die »Gemeinschaft« der kapitalistischen Demokratien Europas sich in ihrem engeren Umkreis als imperialistische Ordnungsmacht unter und innerhalb der pax americana. In ihrer Eigenschaft als EG-Partner machen die europäischen Säulen der »freien Welt« sich bislang ganz ohne von ihnen eingesetzte Waffengewalt und ohne speziell europäische Drohung damit zum einen um die ökonomische und politische Stabilisierung von Nachbarstaaten verdient, die sie in ihrer Eigenschaft als NATO-Partner aus der übergeordneten strategischen Räson der »freien Welt« heraus für richtig befinden. Ihren »Freunden« an der Mittelmeerflanke: Griechenland, Spanien und Portugal, nötigt die EG sich als Alternative zu deren Faschismus auf – und das nicht aus bornierter Begeisterung für demokratische Verhältnisse: wieviel Verständnis ein Demokrat für deren zweckdienliche Abschaffung hat, wird immerhin gleichzeitig an der Unterstützung des türkischen Militärs in seinem Vorhaben klargestellt, das eigene Volk endlich für die Demokratie reif zu machen. Für ein Land, das der »freie Westen« sich als aktiven Bündnispartner ausersehen hat, taugt eine Politik nicht, die aus dem Ungenügen der rückständigen, konkurrenzunfähigen nationalen Ökonomie vor den durchaus modernen, weitreichenden Ansprüchen der darauf sich gründenden Staatsgewalt den reaktionären Schluß zieht, der Nation wäre durch eine härtere Ordnung und die gewaltsame Restauration alter und unrentabler Ausbeutungsformen zu helfen. Unter Brüsseler Obhut dürfen die interessierten Staaten jetzt stattdessen mit der schrankenlosen Zulassung europäischer Konkurrenz und europäischen Kapitals, mit einer beschränkten Zulassung des Klassenkampfes und mit demokratischen Formen seiner politischen Bewältigung ihr Volk den Beweis antreten lassen, daß dem Land doch einiges mehr an Reichtum und stabiler Macht abzuringen ist; wer dabei auf der Strecke bleibt, darf sich damit trösten, daß er das als freier Bürger Europas tut, der vielleicht sogar einmal einen Abgeordneten ins Europaparlament hat wählen dürfen.

Eine ökonomische und politische »Stabilisierung« auf der Grundlage freien Kapitalverkehrs und demokratischer Rücksichtslosigkeit bei der Nutzbarmachung des nationalen Menschenpotentials bieten die Führungsmächte Europas in ihrer friedlichen Eigenschaft als EG zum anderen in aller Unschuld ihren osteuropäischen Nachbarn an: als Alternative oder zumindest als Ergänzung zu jenem »realen Sozialismus«, dessen ökonomische Erträge die auf eine respektable nationale Macht bedachten Regierungen des »Ostblocks« schon lange nicht mehr befriedigen. Daß logischerweise Destabilisierung der sozialistischen Herrschaft die Folge, ihre Transformation in eine demokratische allerdings mit größeren Risiken behaftet ist als die des griechischen, portugiesischen und spanischen Faschismus, das ist dabei eine bloß einerseits unliebsame, weil geschäftsschädigende praktische Folge der florierenden Partnerschaft der EG mit ihrem östlichen Vorfeld. Denn andererseits ist man als Frontstaat des demokratischen Freihandels ja schließlich auch NATO-Partner und hat als solcher wieder ein sehr freies strategisches Urteil über Wirkungen und Perspektiven kapitalistischen Geschäfts mit dem und gegen den realen Sozialismus.

5. Die »Entwicklungsländer«:
Geschöpfe und Partner des Imperialismus

1. Die obersten Prinzipien der bürgerlichen Gesellschaft waren von ihren großen Denkern gerade ins Unreine formuliert, da demonstrierten die ersten großen praktischen Vertreter bereits, welche Härte in der Freiheit von Person und Eigentum steckt. Weltmännisch gestimmte Geschäftsleute machten sehr unbefangen deutlich, wie die Auffassung von der Konkurrenz denjenigen beizubringen war, die noch nicht bemerkt hatten, daß im europäischen Kapitalismus die der Menschennatur angemessene Lebensart zum Durchbruch gelangt war. Rücksichtslos exekutierten sie ihre Freiheit an fremden Völkerscharen und unterwarfen deren Lebensmittel den Maßstäben ihres Reichtums. Die Goldschätze der Azteken waren nicht geschaffen worden, um Europa als Weltgeld und nationaler Schatz zu dienen. Um sie dazu zu machen, bedurfte es der Gewalt. Die Gewächse Indiens hatten nicht wachsen dürfen, um als Handelsartikel für holländische und englische Kompanien die Geschäfte und die europäische Küche zu verfeinern. Auch dazu bedurfte es des tatkräftigen Einsatzes freier Europäer, die ihren bereits angeeigneten Reichtum zu einem Teil in lohnende Mittel der Gewalt verwandelten und ihre Eroberungen ohne Umschweife als Recht zu deuten wußten. Und was den Sklavenhandel mit afrikanischen Negern betrifft, an dem im Nachhinein die verletzten Menschenrechte bedauert werden, so darf man sich durchaus mit der Einsicht begnügen, daß es der Menschennatur der Schwarzen ebensowenig wie der von europäischen Opfern der ursprünglichen Akkumulation entspricht, sich als Arbeitskraft zu verdingen. Deswegen wurden sie zuerst einmal ge- und verkauft, und vor dem Wiegen und Zahlen bahnten Waffen dem Tausch den Weg.

Dabei waren sich die Eroberer von Menschenvieh und Natur noch nicht einmal klar darüber, welchen höheren historischen Zwecken ihr Wirken zugute kam – ebensowenig wie die christlichen Missionare wußten, daß sie in der Unterweisung wildfremder Leute zu gläubigen Gotteskindern einen historisch bedeutsamen Beitrag zur weltweiten Ausbildung des abstrakt freien Willens lieferten. Während letztere den kolonial beglückten Völkern einen Herrn präsentierten, zu dem sie sich bekennen konnten, machten die beutehungrigen Seefahrer sie mit einem Herrn bekannt, dem sie sich unterwerfen mußten. Denn sie sorgten mit der Verwandlung ihrer natürlichen Gebrauchsgegenstände in Eigentum dafür, daß ganze Völker nicht mehr so leben konnten wie bisher und nur noch überleben durften, wenn sie sich und ihre Produktion als brauchbar erwiesen für das Geschäft, aus dessen Erträgen die Waffen, seine Vorboten, bezahlt worden waren. So wurde aller Welt und allen Rassen der Maßstab des Geldes vertraut gemacht. Ihre Enteignung hat sie zu Knechten fremden Reichtums gestempelt, und ihr Dienst ist zur Bedingung ihrer Existenz geworden – wobei die Nützlichkeit folgerichtig nicht von ihnen zu beurteilen war.

Die Gewalt, die diese segensreiche Entwicklung eröffnet hatte, war nun auch keine Frage des Zufalls und der Abenteuerlust mehr. Die kontinuierliche Abwicklung des Handels, in den sie nun einbezogen waren, die »Sachzwänge« des Geschäfts, an denen manchen Leuten in den europäischen Hauptstädten so merkwürdig viel liegt, erforderten die regelmäßige und berechnete, also die politische Herrschaft. Wegen der Not der gepeinigten Völkerscharen allerdings wurde dies nicht zur Notwendigkeit. Die Konkurrenz um die weltweiten Quellen von Reichtum ließ die »Idee« vom starken Staat reifen, der über die Mittel und die Freiheit verfügt, vorhandene Interessen zu schützen und dafür vorsorglich immer neue anzumelden. Politiker und Militärs fingen an zu begreifen, daß sie mit ihrem Gewaltapparat das Mittel in der Hand hielten, welches das Gelingen allen ökonomischen Lebens in ihren Gesellschaften sichert und fördert; daß also jede Erweiterung ihrer Macht in und außerhalb der Nation nur Schutz und Fortschritt für alle Anliegen des Geschäfts sein konnte – eines Geschäfts, dem die verschiedenen Klassen, jede auf ihre Weise, ohnehin verpflichtet waren.

Die »politische Phase« des Kolonialismus, die endgültig jeden Erdenwinkel mit politischer Herrschaft – einem Grundbedürfnis der Menschen, wie Gelehrte versichern – versah, stand bereits unter dem Gebot strategischer Kalkulation, die jeden Flecken Erde samt lebendem Inventar für wichtig befand, insofern er in der Hand eines Konkurrenten die eigene Stärke beeinträchtigen könnte. Kein Souverän Europas wollte sich die Freiheit nehmen lassen, über möglichst viele Quadratkilometer, Personal und natürliches Inventar zu verfügen: Dafür durften Kostengesichtspunkte keine Rolle spielen, alle befanden es für lohnend, noch im tiefsten Afrika um die Festlegung regulärer Grenzen zu streiten – und vom künftigen ökonomischen Nutzen ihrer Reservate hatten die Kolonialmächte genauso wenig Ahnung wie einst die Abenteurer bei der Ausfahrt ihrer Galeeren. Es ging eben um das Recht auf jedweden Gebrauch, der sich von einem Stück Erde machen läßt; auch in der Weltpolitik geht die gewaltsame rechtsetzende Besitzergreifung, der Ausschluß aller anderen, der ökonomischen Benutzung des Eigentums voraus.

Eigentlich müßte es die Fans der besten aller Staatsformen verwundern, daß die Ära der großen Eroberungen mit der »Herausbildung« der großen Demokratien zusammenfällt. Wenn die eifrigen Befürworter demokratisch vollzogener Herrschaft keinen Widerspruch zwischen ihrem Ideal und dem weltweiten Aufmarsch entdecken, so liegen sie allerdings und ausnahmsweise richtig. Im Innern wie nach außen handelt es sich nämlich um den entscheidenden Schritt hin zu jener freien Betätigung staatlicher Souveränität, die dem Dienst der politischen Herrschaft an der Klassengesellschaft angemessen ist. Nach innen emanzipiert sich der Staat von jeder privaten Beschlagnahme und jedem partikularen Umgang mit seiner Gewalt: er legt die Bürger aller Klassen auf den Konsens bezüglich seiner Prinzipien fest und bedankt sich mit der Erlaubnis, in der Frage der geeigneten Repräsentanten und Exekutoren der Staatsgewalt einen heftigen Dissens zu organisieren. Zu den Prinzipien gehören außer Einigkeit, Recht und Freiheit auch noch Eigentum und Menschenwürde, womit der Staat die Unterschiede der Klassen und die Gegensätze zwischen ihnen nicht nur anerkennt, sondern ihre Aufrechterhaltung und ihr effektives Funktionieren erzwingt. Grundbesitzer und Industrielle brauchen deshalb bei Wahlen auch nur eine Stimme – das Recht dieser Minderheiten auf Eigentum wird vom Souverän ebenso versichert wie die Freiheit seines Gebrauchs. Die Gespräche zwischen Regierung und »Wirtschaft«, die sich um die Schranken des Wachstums und seine Beförderung durch den Staat drehen, sind das genaue Gegenteil eines Beweises für den Mangel an echter demokratischer Souveränität. Die Charaktermasken der politischen Macht befinden sich damit noch lange nicht »in den Klauen der Monopole« – sie beraten sich lediglich mit den unmittelbaren Interessenten am Wachstum, deren Erfolg sie als den ihrer Herrschaft verbuchen. Deshalb gibt es auch Gespräche über dasselbe Thema mit Gewerkschaftsvertretern, die denselben Erfolg für wünschenswert erachten, weil sie als gute Demokraten nur den Mißerfolg von Staat und Kapital als Grund für die Arbeitslosenziffern akzeptieren.

Ebensowenig berechtigen gemeinsame Reisen von politischen Lotsen und Industriekapitänen ins Ausland zu Zweifeln an der Handlungsfreiheit der Figuren, die im Namen der Nation handeln. Abgesehen davon, daß in einer funktionierenden Demokratie auch die Arbeitervertreter mitfahren, weil ihnen die Maßstäbe der Nation als die der Betroffenen geläufig sind, verlaufen nicht einmal erst im 20. Jahrhundert die außenpolitischen Manöver nicht nach den kleinkrämerischen Rechnungen, wie sie einem Geschäftsmann gut zu Gesicht stehen. Davon emanzipiert sich jeder imperialistische Staat in der Gewißheit, daß die Geltung der Nation in der Welt, ihr Einfluß auf andere Länder und ihre militärische Durchschlagskraft noch allemal das Beste auch für den Kommerz sind. Im Umgang mit konkurrierenden Staaten haben die Politiker der Moderne bemerkt, daß die Staatsgewalt nicht nur nach innen die unverzichtbare Voraussetzung für das Gedeihen des Privateigentums ist; sie kann auch nach außen gar nicht stark genug sein, um als diese Bedingung tauglich zu bleiben.

Und diesem Bedürfnis von gewissen Staaten, Weltpolitik zu machen, konnte sich endgültig keine Abteilung des Globus mehr entziehen. Ihm verdankt sich auch der seltsame Umstand, daß Milliarden von Erdenbürgern – sei ihre Heimat nun ökonomischen, politischen oder auch beiden Berechnungen unterworfen – damit zu kämpfen haben, daß sie am Leben bleiben. Denn dafür sind sie nicht mehr da. Als weltpolitische Manövriermasse sind sie gefragt, und das heißt nicht einmal in jedem Fall als brauchbare, also erhaltene Arbeitskräfte. Sie sind erwünscht und werden behandelt als treu dienende, nicht störende Untertanen einer Herrschaft, die an ihnen kein Anliegen entdeckt, dem sie sich verpflichten könnte.

Das Anliegen, dem die Herrschaft verpflichtet ist, haben umgekehrt ein paar tausend gelehrige einheimische Schüler der demokratischen Weltherrschaft für ihre Chance gehalten. Das nachhaltige Interesse an Ordnung in ihrer Heimat, das dieser gar nicht gut bekommen ist, haben sie verworfen, weil es als fremdes den einheimischen Interessen gar nicht entsprechen könnte. In getreuer Kopie demokratischer Gesinnung ist ihnen ein Programm der nationalen Befreiung eingefallen, das die Frage, ob sie denn lieber nichts hätten tun sollen, ad absurdum führt. Die Grundsätze antikolonialer Erhebung lauteten nämlich so:

– ein Volk braucht einen Staat, und zwar einen eigenen;

– ein volkseigener Staat ist einer, der von echten Volksgenossen gemacht wird;

– volkseigene Staatsmänner vertreten automatisch das Interesse des Volkes in der Welt;

– in der Welt vertretene volkseigene Interessen bedeuten zu Hause ein immerwährendes Unabhängigkeitsfest.

Zur Durchsetzung dieses Programms, das auf der demokratischen Ideologie beruht, daß Herrschaft als Nutzen der Untertanen zu machen sei, haben sich die Führer kolonialisierter Völker – mangels eigener Mittel – unter den konkurrierenden Großmächten Freunde beschafft. Diese sind vor allem in Sachen Bewaffnung sehr hilfsbereit gewesen und haben gezeigt, daß auch ein fremdes Interesse der nationalen Perspektive gute Seiten abgewinnen kann. So wenig die Kalkulation eines befreundeten Auslands, das sich für Unabhängigkeit stark macht, prinzipiell anderer Natur ist als die der Eroberer von früher, so geringfügig nimmt sich der Unterschied in der Lebensgestaltung einst und heute in diesen Ländern aus. Die Wahrheit der nationalen Befreiung ist eine weltbekannte Banalität: Heute darbt und stirbt die Manövriermasse der Weltpolitik nicht mehr in der Kolonie eines Mutterlandes, sondern im eigenen Entwicklungs- und Vaterland.

2. Die Gewinnung der Souveränität durch Befreiungskämpfe, die Erringung der nationalen Unabhängigkeit ist in ihrem Verlauf von Konzessionen auswärtiger Nationen abhängig: Ohne ein auch mit den notwendigen Mitteln ausgestattetes Interesse kommt keine aufständische Armee oder Guerilla-Truppe zustande, und bisweilen arten die »Emanzipationsbestrebungen« in veritable Stellvertreterkriege verschiedener Abteilungen ein und desselben »Volkes« aus. Diejenigen, die von ihren künftigen Repräsentanten als die erwachten Subjekte der Befreiung gefeiert werden, entscheiden zwar mit dem Einsatz ihres Lebens über die Fortschritte des Krieges; dessen Ausgang jedoch ist eine Angelegenheit der Mächte, die sich der aktiven Beobachtung der Kämpfe verschrieben haben. Sobald dann aus dem »Konfliktherd«, auf dem nicht nur West und Ost prinzipiell, sondern auch noch rivalisierende Staaten des freien Westens ihre Suppe kochen, eine freie Nation mit Fahne und Hymne geworden ist, kommt die Kunst der Politik zum Zuge, die sich um Stabilität müht.

Denn die ist ständig in Gefahr. Vom Standpunkt der an die Macht gelangten Elite werden zunächst die Konkurrenten aus den Tagen des Befreiungskampfes als ziemlich störend empfunden; wenn die sich gar noch mit auswärtiger Unterstützung und einheimischem Anhang über die letzten Gemetzel haben retten können, ist die innere Ordnung – die ja für den neuen Souverän die Bedingung ist, frei als Repräsentant seiner Nation in der Welt auftreten zu können“ – noch Jahre nach der Unabhängigkeitsfeier nicht zu haben. In den Fällen, wo sich die etablierte Regierungsmannschaft zu einem anti-imperialistischen Aufbauprogramm bekennt, das mit Hilfe guter Beziehungen zu Moskau realisiert werden soll, ist sie sogar mit dem wuchtigen westlichen Interesse an Instabilität konfrontiert. Und ganz unabhängig von den bleibenden Ansprüchen auf Nicht-Einmischung, die dem Land gegenüber angemeldet werden, haben die Regenten befreiter Nationen immer erhebliche Schwierigkeiten mit ihrem Volk. Denn mit den Untertanen läßt sich trotz der Ideale von Demokratie und Sozialismus so einfach gar kein Staat machen – das Interesse an einer funktionierenden Staatsgewalt, die durch ihre ordnungsstiftenden Werke als irgendeine positive Bedingung der Reproduktion erscheinen könnte, existiert einfach nicht. Der Wille, Staatsbürger zu spielen, kommt ja in den Heimatländern der Demokratie nur zustande, weil die ökonomische Benutzung der Leute, ihre Unterwerfung unter die Konkurrenz und die damit verbundenen Beschränkungen von ihnen als Notwendigkeit akzeptiert werden, mit der man nur aufgrund der zusätzlichen Notwendigkeit der ordnenden Hand des Staates zurechtkommt. Wo hingegen keine Produktionsverhältnisse existieren, deren gewaltsame Absicherung von den Betroffenen zumindest als die Möglichkeit ihrer Reproduktion, als die Regelung ihrer abhängigen Arbeit anerkannt und gewollt wird, bleibt die Politisierung der Massen aus. Gerade an dieser ist aber den Herren befreiter Landstriche enorm viel gelegen; schließlich wollen sie durch die gelungene Unterwerfung ihrer Landsleute aus ihrer Nation etwas machen, über den Gehorsam und die Vollführung staatlicher Diktate auch ökonomische Brauchbarkeit herstellen.

Der Umgang der politischen Herrschaft mit Untertanen, die das falsche »Bedürfnis«, regiert zu werden, gar nicht kennen, gestaltet sich bei aller Pflege echt demokratischer und sozialistischer Ideale einigermaßen brutal, so daß den interessierten Beobachtern der freien Presse immer hinreichend Stoff zur Verfügung steht, die »Unreife« anderer Völker und die mehr oder minder hergestellte Funktionalität des staatlichen Umgangs mit ihnen zu besprechen. Die wüsten Manieren bei der demonstrativen Herstellung einer Einheit von Staat und Volk, der extensive Gebrauch von Gewalt in der Konkurrenz um die Macht und in ihrer Ausübung sind überall auf dem Globus entsprechend den aus Kolonial- und Befreiungsgeschichte überkommenen Verhältnissen sehr differenziert entwickelt worden. Da gibt es im tiefsten Indien das von seinen Kolonialherren noch eine Verwaltung geerbt hatte, tatsächlich auch ein System parlamentarischer Umgangsformen. Allerdings ohne die staatsbürgerliche Illusion, mit der Wahlstimme über das Wohl der Nation und damit über das eigene Wohlergehen zu entscheiden – die Wähler der »größten Demokratie« machen ihr Kreuzchen für die angereisten Sahibs wegen einer Mahlzeit, die auf der Wahlversammlung verabreicht wird; bisweilen müssen sie auch die Stimme für einen oppositionellen Bewerber um die Teilhabe an der Regierungsgewalt unterlassen, weil ihnen sonst eine angeheuerte Bande der im Amt befindlichen Mannschaft das Slumviertel anzündet. Jahraus jahrein gefallen sich die mit Politik befaßten Cliquen darin, sich doch nicht ganz von den Zufällen demokratischer Mehrheitsbildung abhängig zu machen. Sie ziehen einfach die politischen Rivalen aus dem Verkehr – eine Technik, die auch in anderen Erdteilen beliebt ist. Lateinamerika, eine Gegend, in der jeder zweite Staat hauptsächlich mit der »Rückkehr zur Demokratie« beschäftigt ist – so jedenfalls die Lesart der großen demokratischen Zeitungen der freien Welt –, zieht den Militärputsch den umständlichen Formen der politischen Willensbildung vor; und mit den störenden Elementen des Volkes, das seine zumindest partielle Benützung mit Rechtsansprüchen verbindet, wird ständig nach den Regeln des Bürgerkrieges verfahren. Auch für die einschlägigen Praktiken – ein Fußballstadion, in dem die Massen sich sonst zur Feier nationaler Größe auf dem Gebiet sportlicher Repräsentation versammeln, dient da schon einmal als KZ – hat man im Namen der unerläßlichen Stabilität hierzulande Verständnis; die Menschenrechte sind einige Bedenken wert, die gelungene Ordnung einen Staatsbesuch. Dieser bietet der lokalen Junta eine vorzügliche Gelegenheit für die Ankündigung des Vorhabens, sich demnächst auch noch oder schon wieder wählen zu lassen – und daß diese Wahlen zu sorgfältig inszenierten Akklamationen ausarten, weiß jedermann: die Loyalität wird mit dem Schein der Wahl erzwungen. Mit diesem Programm, das die Untertanen prinzipiell als Störung behandelt und doch die Sicherung der Herrschaft immer dem bürgerlichen Ideal einer unverbrüchlichen Einheit zwischen Führung und Volk entsprechend vornehmen will, warten auch die autochthonen Nationalstaaten des schwarzen Kontinents auf. Ihre höchste Aufgabe sehen die christlich, demokratisch und sozialistisch inspirierten Führer darin, aus ihren Untertanen ein Volk zu machen, den Willen zum Staat in ihnen zu erzeugen. Und dafür erscheint ihnen das Instrumentarium faschistischer Politik gerade passend. Vom politischen Volksfest, das auf ebenso inhalts- wie bedingungsloses Einverständnis mit den jeweiligen Machthabern zielt, bis zur Einheitspartei, die den Nationalstolz zum wichtigsten Programmpunkt erhebt – und der in Zaire der Einfachheit halber jeder neugeborene Untertan per se als Mitglied angehört –, von per Dekret aus der Taufe gehobenen Massenverbänden für Frauen und Kinder, aber auch für Arbeiter, die dann als Staatsgewerkschaften weder auf Löhne noch auf staatliche Leistungen achten, bis zum Führerkult ist für alles gesorgt, was den Zusammenhalt jenseits aller ökonomischen Grundlagen zu demonstrieren erlaubt. Die konkurrierenden Eliten, die meist die Parole »one man – one vote« gegen die alte auswärtige und weiße Herrschaft zu handhaben wußten, fälschen Wahlen, nach denen niemand außer ihnen verlangt hat. Und für die härteren Auseinandersetzungen bedienen sie sich hemmungslos der atavistischen Form, in der die Bevölkerung »politische« Interessen überhaupt als die ihren kennt. Sie benützen die kollektive Willensäußerung, in der sich die ganze Wucht der Unfreiheit zusammenfaßt, die Menschen eigen ist, die noch nicht aus dem Naturzustand herausgetreten sind: die Stammeszugehörigkeit ihrer »Bürger«, um sie zu Kämpfen um eine Sache antreten zu lassen, für die ihnen nicht einmal ein Wort geläufig ist. Um der Politik eines Staates willen, den nur die Macher wollen, den sie auch nur für sich inszenieren, entfachen die Diplomaten des Negerrechts den beschränkten und lokalen Rassismus ihrer Untertanen – und der Welt bieten sie eine Negerphilosophie, in der die »Arbeit aus der Erde« die edelste und zur »Erweiterung des Seins« (Senghor) passendste ist. Mit diesem an westlichen Universitäten erlernten Geistesüberbau beweihräuchern die Anwälte echt schwarzer Souveränität die schlichte und brutale Tatsache, daß da Menschen, die sich in der Produktion ihres Lebens noch nicht vom Naturzusammenhang gelöst haben, mit den Mitteln moderner Kriegsführung ausgerüstet und zum unwissenden Instrument des politischen Konkurrenzkampfes gemacht werden, dessen Zwecke nur ihre alten und neuen Herren kennen.

Die ganze Vielfalt westlicher Staatenwelt, die unter zielstrebiger Ruinierung ihrer Völker eben diesen den vorzüglichen Genuß von Autonomie verabreicht, beruft sich in ihren Anstrengungen, eine eigene und somit gute Herrschaft zu veranstalten, nicht ganz zu Unrecht auf das Vorbild der großen erfolgreichen Demokratien. Denn diese, allen voran die USA, haben ihnen den rechten Gebrauch staatlicher Souveränität nach innen wie nach außen vorexerziert: Gewalt als Hebel fürs Geschäft, und das Geschäft als stetige Quelle von Reichtum, dessen Sicherung sich die reüssierte Nation dann angelegen sein läßt.

Allerdings hat das Vertrauen darauf, als unabhängiger Staat in der Welt des Imperialismus zu Reichtum und Macht zu gelangen, einen entscheidenden Haken: die Emanzipation nationaler Politik von der Ökonomie, die freie Pflege souveräner Gewalt bedarf zu ihrem Erfolg nämlich einer ökonomischen Grundlage, eines kontinuierlich erzeugten Überschusses an Reichtum, aus dem die Staatsgewalt finanziert wird und dem sie mit ihrem Einsatz daheim wie in der Welt eine lohnende Verwendung garantiert. Wo dies nicht der Fall ist, lohnt sich auch die schönste Kopie staatlicher Repräsentation und Diplomatie nicht, bleibt auch die perfekteste Unterdrückung die funktionellen Dienste schuldig, die sie sich als Perspektive zugutehält. So gewahren die auf ihre Unabhängigkeit so stolzen Führer der Staaten in Asien, Afrika und Lateinamerika die Härten des Erbes, von dem sie sich zu befreien wähnen: Ihre Herrschaft beruht politisch wie ökonomisch auf einem Interesse an ihrer Existenz, das auch über die Mittel verfügt, sie mit dem Inventar ihrer Selbsterhaltung auszustatten. Weil im Bereich ihrer Zuständigkeit diese Mittel nicht vorhanden sind, existieren diese mehr oder minder exotischen Souveräne nur, weil sich andere Staaten aus guten Gründen entschlossen haben, sie sich zu leisten.

Diese Entdeckung, die keinem der in anti-kolonialistischer Tradition regierenden Obristen, Bischöfe oder moslemischen Patrioten versagt bleibt, gerät freilich bei kundiger Beobachtung der Maßstäbe, die den imperialistischen Vorbildern abgelauscht sind, zu einer ganz anderen Weisheit. Im Vergleich zu jener Handvoll Nationen, die Geschichte machten und Weltwirtschaftsgipfel veranstalten, sind sehr viele Länder ziemlich »unterentwickelt«.

3. Im Wunsch nach »Entwicklung« wird von seiten der maßgeblichen Männer in den »Entwicklungsländern« die Unterwerfung unter die Prinzipien vorgetragen, die der Kolonialismus einst mit seinen Waffen exportiert hatte. Auch wenn höchstoffiziell die Sorge um das Brot der Bevölkerung ertönt – der Weg hin zur Perspektive des Überlebens läßt keinen Zweifel, daß es sich um den kleinen Umweg handeln soll, der den national verfügbaren Reichtum mehrt, welcher nirgends auf der Welt zur Verteilung gelangt. Und noch weniger Zweifel über den Gang der »Entwicklung«, die in ihrem bisherigen Verlauf die schiere Ernährung unmöglich gemacht hat, gestattet die Art der internationalen Beziehungen, die von den Anwälten der Armen eingegangen werden. Diese Regierungen, stolz darauf, den Verdammten dieser Erde das erste Bedürfnis nach »Selbstverwaltung« erfüllt zu haben, sehen sich in ihrer neuen Rolle als Partner der »Industrieländer« erst einmal darauf verwiesen, durch Importe die sachlichen Mittel ihrer Herrschaft zu erwerben – und sich durch Exporte die finanziellen Mittel dafür zu verschaffen. Daß sie damit wenig »Entwicklung«, aber einiges an Schulden zustandebringen, liegt daran, daß die landwirtschaftlichen Produkte ebenso wie die Bodenschätze – und darin erschöpft sich zuerst einmal der »Bestand« an Verkäuflichem – gar nicht als Geschäftsartikel produziert werden, die aufgrund des ihrer Erzeugung entspringenden Verhältnisses von Kosten und Marktpreis einen Überschuß garantieren; zum Geschäftsmittel werden die aufgrund besonderer klimatischer und geologischer Umstände vorhandenen Güter erst und nur, wenn sie vom Handels- und Industriekapital auswärtiger Mächte zu einem solchen gemacht werden. Sicher – in den Zahlungsbilanzen, die afrikanische und lateinamerikanische Staaten wie alle anderen führen, tauchen die Erzeugnisse des Landes als Handelsgüter mit regulären Preisen auf; doch heißt das keineswegs, daß sie einer gewinnbringenden Produktion für ein zunächst im Lande erzeugtes zahlungsfähiges Bedürfnis entspringen, darüber das nationale Wachstum befördern und zur Steigerung desselben im Überschuß über die einheimische Nachfrage hinaus produziert werden. Andererseits stellen sie auch keinen (in einem nicht-kapitalistischen Sinn) hervorgebrachten Überschuß über wirklichen einheimischen Bedarf dar – diesem sollen sie ja erst durch die erzielten Erlöse dienen. Insofern treten die souveränen »Entwicklungsländer« mit ihren Exportartikeln das Erbe der kolonialen Behandlung ihrer »natürlichen Reichtümer« an.

Ihre Erschließung und Förderung bzw. Kultivierung und Ernte geschieht ausschließlich für – und ist daher auch in Gang gekommen durch – das Interesse einer ausländischen Ökonomie, die darin Mittel für ihren Fortgang und Fortschritt entdeckt hat und nutzen will. Auch sie stellen gewissermaßen, ihre Ausfuhr beweist es, einen »nationalen Überschuß« dar: aber eben nicht einen wirklichen Überschuß, der aus einer nationalen Mehrwertproduktion entspringt, sondern einen »Überfluß«, den man nur in Anführungszeichen als solchen bezeichnen kann, weil er neben – und dieses ›neben‹ heißt stets: auf Kosten – jeglicher Produktion für die Bedürfnisse des einheimischen Wirtschaftens zustandekommt. Folglich haben sie auch keinen einheimischen Wert: keinen Produktionspreis, mit dem ihre Produzenten auf dem Weltmarkt auftreten könnten und über den ihre Produktivität sich mit der ihrer Konkurrenten vergleichen würde; die Exportschlager der afrikanischen Staaten sind nicht Ware. Sie werden zur Ware und nehmen die Preisform an erst dann und nur dadurch, daß sie und wenn sie ihr Ursprungsland verlassen. Ihre Warenform verdankt sich dem Willen des zuständigen Souveräns, sich die Zulassung des Abtransports dieser Güter bezahlen zu lassen, und der Bereitschaft ausländischer Inhaber von wirklichem Reichtum, dafür zu zahlen.

So schreibt der Souverän eines rohstoffexportierenden Landes, um an seine Revenue heranzukommen, Listenpreise für seine Exportgüter vor, die entweder direkt seinem Handelskontor, also der Staatskasse zufließen oder als Berechnungsgrundlage für eine vom Käufer zu entrichtende Ausfuhrabgabe dienen; er verpachtet sein Land sowie Explorations- und Schürfrechte an ausländische Interessenten; er beteiligt sich an deren Investitionen, und zwar nicht mit wirklichem Reichtum, sondern mit der Verpflichtung seines ausländischen Geschäftspartners, die Fiktion einer staatlichen Kapitalbeteiligung zu akzeptieren und mit Gewinnanteilen zu honorieren; und wenn er die Dependancen einer ausländischen Firma verstaatlicht, dann findet weder Enteignung statt noch eine seriöse Finanztransaktion; vielmehr bekommt die Teilhabe des Fiskus an dem Reichtum, der anderswo aus den Schätzen des Landes gemacht wird, eine Rechtsform, mit der die Regierung sich explizit zu ihrer Verantwortung dafür bekennt, daß das Geschäft des ausländischen Investors kontinuierlich weiterläuft. In allen derartigen Staatsaktionen, einschließlich sämtlicher politischer Bemühungen um Absatz- und Erlösstabilisierungsabkommen mit den Käuferländern, betätigt sich der politische Wille, nicht: sich am Außenhandel einer nationalen Ökonomie auch noch fiskalisch mitzubereichern, sondern: die Verfügungsgewalt über das Land zu Geld zu machen. Und damit beweisen alle ökonomischen Aktivitäten der afrikanischen Staaten in Sachen Außenhandel, daß sie das ökonomische Subjekt ihres Exports überhaupt nicht sind.

Denn die tatsächliche ökonomische Nutzung der bereitgestellten Naturschätze: ihr Gebrauch als Mittel für die Produktion wirklichen Reichtums, und damit die Voraussetzung dafür, daß ihre Deklaration als Ware nicht bloß ein frommer Wunsch der exportwilligen Staatsgewalt bleibt, fällt ganz auf die Seite der ausländischen Nachfrage. Nur dort findet die Akkumulation von Wert statt, die es erlaubt, ihre aus Afrika importierten stofflichen Voraussetzungen überhaupt unter die Wertform zu subsumieren; und allein gemäß der Kalkulation mit dem Kostpreis der Produktion, die die konkurrierenden nationalen Kapitale dort einander aufherrschen, setzt das Interesse an afrikanischen Rohstoffen sich in Zahlungsbereitschaft um. Die mit Hilfe sämtlicher Ideale des Freihandels vorgebrachte Bettelei der afrikanischen Staaten um die Erlaubnis, mit ihren Gütern auf dem westeuropäischen Markt auftreten zu dürfen, bezeugt schlagend, daß hier keine Konkurrenz um ein zahlungsfähiges Bedürfnis stattfindet, sondern das Bemühen, den eigenen Artikeln überhaupt einen Preis zu verschaffen – ein Bemühen, dessen Erfolg völlig von der Bereitschaft der kapitalistischen Nationen abhängt, die angebotenen Güter als Bestandteil der Kosten ihrer nationalen Akkumulation in Kauf zu nehmen.

Praktischer Ausdruck und Verlaufsform dieser prinzipiell gegebenen Bereitschaft sind die Warenbörsen für Mineralien und Naturprodukte, die nicht zufällig in New York, London und anderen kapitalistischen Metropolen zu Hause sind. Sie sind das Mittel – nicht der Rohstoffexporteure, ihre Vorstellungen über einen hinreichenden Preis ihrer Angebote zu realisieren, sondern der kapitalistischen Käufer, das Zugeständnis eines Preises für Rohstoffe gleich so zu gestalten, daß dessen Höhe sich genau nach der tatsächlichen Profitträchtigkeit ihrer Verwendung, nämlich nach dem aktuellen Stand der Konjunkturen kapitalistischer Akkumulation bemißt. In der Tat sind diese Börsen der einzige Ort in der kapitalistischen Welt, wo wirklich Ernst gemacht wird mit der bürgerlichen Ideologie, Gebrauchsgüter bekämen ihren Preis durch das Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage: Wo die Anbieter keine Kalkulation mit Produktivität und Profit in die Waagschale zu werfen haben, sondern bloß ihren Wunsch nach Geld, entscheidet wirklich die Zahlungsbereitschaft der Nachfrager darüber, was daraus wird. An die Stelle des Wertes, den kapitalistisch produzierte Waren in ihrem Produktionspreis haben, tritt da die freie Bewertung durch die Kundschaft – eine Art der »Wertbildung«, die die normalen Gesetze der Warenzirkulation auf den Kopf stellt, eben deswegen der Spekulation ein weites Betätigungsfeld eröffnet, und allen Vorstellungen über Tauschgerechtigkeit mitsamt der daraus abgeleiteten Kritik an »strukturellen Ungerechtigkeiten« des Weltmarktes Hohn spricht.

Für die Finanz- und Wirtschaftspolitik der afrikanischen Staaten oder genauer: für ihre der Finanz- und Wirtschaftspolitik bürgerlicher Staaten analogen Aktivitäten folgen aus dieser Art von Außenhandel lauter Paradoxien. Die Staatsgewalt bringt es so fertig, ihren Bestand zu finanzieren, ohne in ihrem Herrschaftsbereich über Quellen wirklich universal verwendbaren Reichtums zu verfügen, also ohne die dafür eigentlich unerläßliche Akkumulation. Ohne ein nationalen Überschuß repräsentierendes, also profitträchtiges Warenangebot betätigt sie sich als Außenhändler, indem sie die in ihrem Bereich vorfindlichen sachlichen Voraussetzungen einer möglichen, aber eben nicht existierenden nationalen Produktion zur Ware deklariert – selbstverständlich ohne ihnen damit doch die Eigenschaft eines mehrwertträchtigen Warenkapitals verleihen zu können. Sein Geschäft macht ein solcher Souverän somit durch die bloße Veräußerung seiner natürlichen Reichtümer, ohne durch diese Transaktion die Bedingungen für eigenen Reichtum zu schaffen und ihn zu vermehren. Wo die kapitalistischen Staaten den welthistorischen »Kunstgriff« praktizieren, ihre eigenen Unkosten zum Mittel der Akkumulation zu machen, bestreiten die politischen Souveräne Afrikas ihren Finanzbedarf mit einem »Geschäft«, das die vorhandenen stofflichen Voraussetzungen sowohl für den Aufbau einer nationalen Produktion – die deswegen auch nicht zustandekommt – als auch für die Fortführung dieser trostlosen Sorte von »Geschäft« nur mindert. Und schließlich: eben weil ihr Export grundsätzlich nichts mit Gewinn zu tun hat, sondern mit dem Ausverkauf der »Reichtümer« des Landes zur Finanzierung des existierenden Herrschaftsapparates dient, haben die als Verkäufer auftretenden Souveräne mit der Höhe des Preises für ihre als Mittel fremden Reichtums freigegebenen Rohstoffe ökonomisch nichts zu schaffen.

Dieser zuletzt genannte Zusammenhang wird gewöhnlich genau umgekehrt aufgefaßt: Daß die afrikanischen Länder es nicht zu einer eigenen funktionierenden Volkswirtschaft bringen, soll seinen Grund darin haben, daß sie an der Festsetzung des Preises ihrer Exportgüter zu wenig beteiligt seien. Dieser Auffassung – die nicht nur von den betroffenen Staaten in ihren entsprechenden Beschwerden, sondern heuchlerisch auch von ihren »Gesprächspartnern« in den westlichen Außen- und Entwicklungshilfeministerien und der dazugehörigen Weltöffentlichkeit vertreten wird – liegt ein reiner Idealismus der Souveränität zugrunde: die fromme Vorstellung, auf den Verkauf ihrer Naturschätze angewiesene Souveräne dürften nicht einfach als besonders ohnmächtige Sorte von Verkäufern behandelt, sondern sollten als wirkliche Souveräne respektiert werden. Wahr ist an diesem Idealismus nur eins: Das, was sie anzubieten haben, ist eben tatsächlich keine Ware, sondern ihre politische Gewalt über die »Reichtümer« ihres Landes; und deswegen haben sie in die Preisgestaltung auch wirklich nichts anderes einzubringen als das politische Monopol über ihr Land. Daß sie nichts anderes geltend machen können, heißt allerdings alles andere, als daß die verehrte Kundschaft sich deswegen von Gesichtspunkten der nationalen Ehre und der internationalen Gerechtigkeit in ihrer Zahlungsbereitschaft leiten ließe. Und damit erwächst der Wirtschaftspolitik dieser Staaten ihr eigentümlicher Gegenstand.

Sie findet erstens auf dem Feld internationaler Konferenzen statt, auf denen die afrikanischen im Verein mit ähnlich beschaffenen Staaten ihren kapitalistischen Abnehmerländern höhere Preise abzuhandeln suchen. Das Druckmittel, das sie dafür zum Einsatz bringen können, ist nicht ökonomischer Natur, sondern die Drohung mit verschlechterten politischen Beziehungen – eine Drohung, die die imperialistischen Adressaten ziemlich kalt lassen kann, weil jeder Versuch, damit Ernst zu machen, den Ruin des betreffenden Landes zur Folge hätte. Die Ergebnisse derartiger Konferenzen sehen entsprechend aus. Entweder bleibt es bei Papieren, die das »Scheitern« der angestrengten »Einigungsbemühungen« bedauern und neue Konferenzen in Aussicht stellen. Oder es entstehen seltsame Ausgleichskonten bei der Weltbank, die mit der Verheißung, extreme Preisschwankungen nach unten »abzufedern«, zwar nie den »Preismechanismus« der so vortrefflich funktionierenden Warenbörsen außer Kraft setzen, immerhin aber neben diesem den guten Willen der kapitalistischen Staaten zu politischer Rücksichtnahme demonstrieren – gelegentlich sind sie sogar für Investitionen gut, die den Abtransport der nützlichen Dinge aus Afrika beschleunigen helfen.

Die afrikanische Wirtschaftsdiplomatie gelangt also immer nur zu dem Ergebnis – wenn auch nicht zu der Einsicht –, daß sich mit einem Staat, der nur mit auswärtigen Finanzen zu machen ist, wenig Erpressung und noch weniger gutes Geld machen läßt. Die afrikanischen Souveräne orientieren sich daher – zweitens – in ihrer Wirtschaftspolitik an dem Ideal, ihr politisches Monopol über ihre nationalen Naturschätze zu einem ökonomischen Monopol auf ein für den Weltmarkt unentbehrliches Gut auszubauen, auf daß eine Konkurrenz der Käufer einsetzen möge, die ganz von allein die Preise in die Höhe treiben müßte. Auch hier bringen sie es allerdings über den frommen Wunsch nicht hinaus. Denn zum einen liegt es gar nicht in ihrer Macht, mit ihrem Güterangebot überhaupt wichtig oder sogar unentbehrlich zu werden: Darüber entscheiden allemal allein die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation in den reichtumproduzierenden Nationen. Weniger oder womöglich nicht zu verkaufen, um so künstlich eine Konkurrenz um ihr spezielles Exportgut zu erzeugen, liegt ebenfalls nicht in ihrer Macht; denn damit würden sie unmittelbar ihre einzige Revenuequelle schmälern, die doch sowieso ihren Finanzbedarf nicht deckt (deswegen soll sie ja einträglicher gemacht werden!). Alle immerhin denkbaren und bisweilen auch unternommenen Anstrengungen schließlich, ihren Rohstoffexport zu steigern, garantieren ebenfalls keine höheren Exporterlöse. Im Gegensatz nämlich zu einem kapitalistischen Produzenten, der mit der Produktivität seines Kapitals gegen andere konkurriert und daher sein Geschäft voranbringt, wenn es ihm gelingt, seine Konkurrenten mit einem günstigeren Produktionspreis aus dem Felde zu schlagen, kann ein Rohstoffexporteur von einem größeren Marktanteil bei verringertem Preis nie den erhofften Vorteil haben. Umgekehrt freilich ist er bei gesunkenem Preis gezwungen, wenn er sich seine Einkünfte erhalten will, mehr zu verkaufen, was wiederum seinem Abnehmer alle Freiheit läßt, den Preis zu drücken – dies alles nach dem ökonomisch ganz unsinnigen Prinzip, auf dem sein Geschäft beruht, nämlich daß es bei ihm nicht um Rentabilität, sondern um die Deckung eines Finanzbedarfs geht. Das letzte Mittel afrikanischer Wirtschaftspolitik ist die Lizenzierung oder sogar Initiierung von Versuchen, in die Exportdomänen anderer rohstoffexportierender Länder einzubrechen – aller Kaffeeanbau in Afrika ist beispielsweise ein allerdings noch zu Kolonialzeiten eingeleiteter Angriff auf das brasilianische Kaffeemonopol, und derzeit finden Ghanas klassische Kakaopflanzungen Nachahmer im halben Kontinent. Das Ergebnis ist auch hier absehbar: Statt die Stellung des Exporteurs zu stärken, eröffnet sich so den Abnehmern die erfreuliche Perspektive einer härteren Konkurrenz der Anbieter.

Die Position eines wirklichen Monopolisten – der als ausschließlicher Verkäufer einer gefragten Ware aus der Konkurrenz der Nachfrager den Vorteil zieht, so viel verlangen zu können, wie die Zahlungsfähigkeit hergibt – ist und bleibt für die afrikanischen Staaten also ein Ideal. Das einzige Monopol, über das sie tatsächlich verfügen, ist das ihnen zugestandene auf politische Gewalt über ihr Land. Ökonomisch ist dieses Monopol aber etwas rein Negatives. An sich selbst ist es nämlich überhaupt kein ökonomisches Mittel: es wird dazu erst durch ein ausländisches Interesse, dem es also nicht störend in die Quere kommen darf. Ökonomisches Mittel des Souveräns ist sein politisches Monopol nur darin, daß dieser es sich abkaufen läßt – womit auch schon klar ist, daß es gar nicht sein Mittel ist: Es hat ja nur dadurch überhaupt Bestand, daß es sich gar nicht als wirkliche Schranke für das auswärtige Interesse an der Nutzung des fraglichen Herrschaftsgebietes betätigt. Die Geschäftsgrundlage ist somit gewissermaßen nach dem Muster politischer Korruption organisiert: als Geldzuwendung an die Staatsgewalt mit dem Zweck und dem Resultat, daß der ausländische Geldgeber sich der Schätze im Lande des »gekauften« Souveräns bedienen darf. Korruption ist aber nicht die tatsächliche Grundlage dieses Verhältnisses: sie ist nur der souveränitätsidealistische Schein, der die gesamte Wirtschaftspolitik dieser Staaten bestimmt – und deswegen auch bei jedem Regierungswechsel als Vorwurf gegen die gestürzten Vorgänger aufpoliert wird. Denn ohne derartige Geldzuwendungen wäre eine zum Vorteil ausländischer Interessenten zu beeinflussende Staatsgewalt über einen afrikanischen Landstrich überhaupt nicht existent. Von ihrer materiellen Grundlage her ist die afrikanische Exportökonomie daher zu fassen als die Alimentierung einer souveränen Gewalt durch die europäischen Staaten, deren Volkswirtschaften die Naturschätze des dieser Gewalt unterworfenen Landes nutzen. Als ökonomische Basis afrikanischer Souveränität erweist sich damit der politische Wille ihrer imperialistischen Handelspartner, in Afrika Staatswesen zu unterhalten und deren Herrschaftsapparate wie Souveräne zu respektieren: nur dadurch kommen dort respektable Verhandlungspartner für bestimmte kapitalistische Geschäftsinteressen überhaupt zustande.

Konsequenterweise unterliegt jeder afrikanische Souverän einer kritischen Einschätzung nicht nur durch die interessierten Kapitale, sondern zuallererst und in letzter Instanz durch die imperialistischen Regierungen, und zwar unter dem Gesichtspunkt, ob und inwieweit gerade seine Souveränität durch die Zulassung eines politischen Preises für seine Exportgüter erhalten werden soll. Ausgestattet mit sämtlichen Idealen internationaler Gleichberechtigung und Nicht-Einmischung, aber ohne je auf sie hereinzufallen, haben die westlichen Staaten dabei Großzügigkeit gelernt: Im Fall diplomatischer Extravaganzen eines Hintersassen bewährt sich auf Dauer noch allemal das Faktum, daß das politische Wohlwollen der kapitalistischen Mächte die Bedingung jeglichen Exportgeschäftes ist. Und wenn die afrikanischen Souveräne sich diesen Zusammenhang um so konsequenter zu Herzen nehmen, je irrelevanter ihr spezielles Rohstoff-»Monopol« ist – mit seiner »Herrschaft« über den westeuropäischen Erdnußkonsum steht Senegal z. B. nicht besonders glanzvoll da und hat einen entsprechend gebildeten Präsidenten vorzuweisen –, so erfreuen sich umgekehrt die Souveräne über die wichtigeren unter »unseren“ Rohstoffquellen um so intensiverer diplomatischer Aufmerksamkeit (und militärischer Unterstützung), was auf dasselbe hinausläuft. In allen Fällen basiert die afrikanische Staatsgewalt ökonomisch nicht bloß auf dem realen Überfluß, sondern zuallererst auf dem politischen Urteil der kapitalistischen Staaten, daß es sie als nützliche »Partner« geben soll.

Die Bezahlung afrikanischer Exportgüter ist folglich nicht mehr als ein politischer Kredit an die zuständigen Herrscher; ein Kredit allerdings, dessen Höhe sich nicht nach dem wirklichen Finanzbedarf dieser Herrscher richtet, sondern eben nach dem Stand der kapitalistischen Konjunkturen. Der Wille der imperialistischen Staaten, Afrika mit souveränen Herrschern auszustatten, hat deswegen seine eigene explizite ökonomische Gestalt neben der Revenue, die diesen aus dem Rohstoffabtransport zufließt: indirekten Zuschüssen, Finanzkrediten und »Entwicklungshilfen«. Hier sind Transaktionen an der Tagesordnung, die nur der Form nach den Regeln des internationalen Zahlungsverkehrs genügen, weil es darin überhaupt nicht ums Geschäftemachen geht, sondern um die Erhaltung von Souveränen, bei denen die pure Existenz: die Gewalt über ihr Gebiet und die damit sichergestellte politische Verfügbarkeit der dort lagernden sachlichen Grundlagen des imperialistischen Reichtums, die ökonomische Zurechnungsfähigkeit nach kapitalistischen Maßstäben ersetzt. Da werden »Sonderkredite« zur Finanzierung notorischer Zahlungsbilanzdefizite vergeben, bei denen die Sicherheit, nichts davon je wiederzusehen, niemandem zweifelhaft ist und auf Zinszahlung schon gleich verzichtet wird – was dann, als wäre es doch irgendwie ein Geschäft, bei den Geberländern als »Zinssubvention« verbucht wird. Gespräche über Schuldenstreichungen finden statt nicht in der Erwartung, eventuell ginge es am Ende doch ans Zurückzahlen, sondern um des politischen Demonstrationseffekts willen: gibt der »Gläubigerstaat« sich großzügig oder spart er sich das noch auf? Staatsbankrott gibt es deswegen nicht, weil die Staaten Afrikas den entsprechenden Maßstäben einer regelrechten Haushaltsführung gar nicht erst unterworfen werden; wenn der Fiskus es irgendwo gar zu bunt treibt, nimmt sich der IWF mit eigenen Beamten der Finanzverwaltung an – so in Zaire. Der Haushalt einiger frankophoner Staaten wie Tschad, Obervolta oder Zentralafrika wird gleich von der Republik Frankreich als Unterabteilung ihres eigenen abgewickelt, ohne Einschaltung des Währungsfonds; und die »Franc-Zone« existiert nach wie vor – mit dem einzigen Unterschied zu den verflossenen Zeiten der »Communauté«, daß das spezifizierende Kürzel »C.F.A.« hinter dem Geldnamen »Franc« nicht mehr »Colonie Française d‘Afrique«, sondern, ein schönes Zeichen für die politische Qualität des Französischen, »Communauté Financière Africaine« bedeuten will. Und in einem Punkt gehen die imperialistischen Mächte in ihrer Fürsorglichkeit überhaupt kein Risiko ein: Waffenlieferungen werden gleich so gehandhabt, wie sie gemeint sind, nämlich nicht einmal der Form nach als Handelsgeschäft (es sei denn, es hätten sich auch einmal in Afrika »überhöhte Rohstoffentgelte« angesammelt, deren »Rücktransfer« energisch in Angriff zu nehmen wäre), sondern ohne große Umstände als milde Gabe und Ausbilder gleich inklusive.

Die Staatsgewalt in den afrikanischen Staaten beruht also auf einem politischen Kredit, den die kapitalistischen Staaten vor allem Westeuropas gewähren, weil ihnen an politischer Herrschaft dortzulande liegt; er befördert zwar die schönsten Geschäfte, wird aber selbst nicht mit geschäftlichen Maßstäben gemessen. Vom Standpunkt der imperialistischen Staaten aus, die das wirkliche Subjekt dieser Verhältnisse sind, erweist sich daher selbst der Rohstoffexport, so sehr er wie der Außenhandel eines regulären Souveräns organisiert ist, als etwas höchst Seltsames: als die teilweise Vergütung der vom Westen gezahlten faux frais der politischen Herrschaft dortzulande in landesspezifischen Naturalien, deren Bewertung ganz in den Zuständigkeitsbereich der großen Warenbörsen fällt – womit der ökonomische Vorteil des gesamten Unternehmens klargestellt wäre. Unter diesem praktisch maßgeblichen Gesichtspunkt unterscheidet der Außenhandel der afrikanischen Staaten sich also gar nicht groß von der zur Zeit wieder mehr in Übung kommenden Methode, die Herrschaft über einen Fleck des Globus dadurch in Geld zu verwandeln, daß dieser Fleck interessierten Weltmächten zu militärstrategischer Nutzung überlassen wird – seitdem die USA ihre »neue Linie« klargestellt haben, will so manches Land der »Dritten Welt« zur »Stabilität« seiner Region beitragen. Hier ganz genauso wie bei der Zurschaustellung nationaler Naturschönheiten für den internationalen Tourismus geht es in Afrika nirgends darum, einem heimischen Unternehmertum in Sachen Bau- und Dienstleistungsgewerbe neue Verdienstmöglichkeiten zu erschließen, sondern um Formen, die faux frais nationaler politischer Herrschaft ökonomisch funktional zu machen. Es ist daher auch kein Zufall, daß Aktivitäten dieser und sonstiger Art – Rosen und Paprika für den europäischen Winter, Safaris für Omas – sich weniger den Anstrengungen der einheimischen politischen Elite verdanken, ihrem Land zu einer potenten eigenständigen Volkswirtschaft zu verhelfen, als vielmehr dem Erfindungsreichtum von auswärtigem kapitalistischem Geschäftssinn bzw. idealistischen Entwicklungshelfern: Ökonomisch geschieht dies alles unter der kritischen Forderung des Imperialismus, daß die Alimentierung politischer Herrschaft in Afrika sich immer mehr und möglichst auch noch dort, wo es sich bislang um ein reines Zuschußgeschäft handelt, irgendwie lohnen soll.

Dazu steht keineswegs die Tatsache im Widerspruch, daß auch Staatsapparate ausgehalten werden, deren beherrschtes Staatsgebiet samt Volk und Geziefer keinerlei profitliche Transaktion erlaubt. Einerseits ist der politische Einfluß auf eine vor Ort bestimmende Führung die unabdingbare Voraussetzung für eventuell sich noch ergebende Geschäfte, andererseits sind gerade in Afrika die politisch-militärischen Kräfteverhältnisse und die sie ausmachenden Koalitionen ziemlich bedeutsam für alle Sorten erwünschter Stabilität und Unruhe in den Gebieten und um sie herum, in denen auch ökonomisch etwas zu holen ist. Daß jeder Quadratkilometer von einem zumindest halbwegs kalkulierbaren, immer aber auch erpreßbaren Souverän beherrscht wird, liegt insofern stets im Interesse der imperialistischen Nationen, und die bunte Vielfalt tolerierter und verköstigter Regierungsmannschaften mit Sitz und Stimme in der UNO legt beredtes Zeugnis davon ab, daß der aufgeklärte Westen auch mit mancher Kuriosität zu leben und zu rechnen versteht, wenn sie sich als Ordnungsfaktor in einer von ihm prinzipiell benützten Welt bewährt. In dieser Rechnung, die im übrigen einen flotten Konkurrenzkampf der freien westlichen Nationen untereinander und mit dem Osten prägt, zählen rein politische Gesichtspunkte ohne Rücksicht auf den Profit – den ohnehin Kapitalisten und nicht Staaten machen.

4. So ist es gar nicht verwunderlich, daß in einem guten Teil der »Dritten Welt« die »Entwicklung« etwas anders stattfindet, als sich das die Idealisten der weltweiten Segnungen von Handel und Wandel erträumen. In den souveränen Anhängseln der »Ersten Welt« stellt die Staatsgewalt in ihrem Wirken prinzipiell einen einzigen Angriff auf die naturwüchsige Produktionsweise ihrer Bevölkerung dar; einen Angriff, der diese Produktionsweise nicht umwälzt, sondern gleichzeitig aufrechterhält und ihrer materiellen Grundlage beraubt. Die vielsagenden Kurzstatistiken der UNO- und sonstigen Weltalmanache weisen aus, daß in den afrikanischen Staaten in der Regel zwei Drittel bis drei Viertel der Bevölkerung von »traditioneller« Subsistenzlandwirtschaft leben, zwischen 80 und 90 % der »Erwerbstätigen« in diesem Bereich »beschäftigt« sind und die Verstädterung auch dortzulande zunimmt. Für ihre Selbsterhaltung kraft eigener Arbeit bleiben die Massen der afrikanischen Völker also darauf angewiesen, sich mit so kümmerlichen Techniken wie dem Brandrodungsfeldbau im tropischen Regenwald (der bei aller Kärglichkeit der Erträge den mit der Hacke bearbeiteten Boden in wenigen Jahren erschöpft und zur nächsten Rodungsaktion zwingt), der Wechselfeldwirtschaft in »begünstigteren« Savannengebieten oder nomadischer Viehzucht in der Sahelzone und im ostafrikanischen Grabenbruch die nötigsten Lebensmittel zu beschaffen. Im Falle von Mißernten haben sie sich mit den Affen um jene »Wildfrüchte« zu streiten, derentwegen moderne »Entwicklungshilfe«-Statistiken gelegentliche Einbrüche etwa bei der zentralafrikanischen Hirseproduktion verschmerzbar finden. Gerade weil diese urtümlichen Formen landwirtschaftlicher Produktion praktisch ohne Hilfsmittel auskommen, sind sie allerdings um so mehr auf eine Hauptbedingung ausgewiesen, nämlich auf stets neues Land; und genau diese Bedingung macht ihr politischer Souverän ihnen zunichte. In manchen Fällen genügt schon die bloße Deklarierung einer Staatsgrenze, irgendwo durch die Dreiviertelswüste gezogen und von ein paar Polizisten bewacht, um Katastrophen in der Reproduktion ganzer Stämme heraufzubeschwören, die dann hierzulande mit dem Zynismus des »wissenschaftlichen« Durch- und Überblicks als ökologische begutachtet werden: Allein weil die bewachte Grenze ein unkontrolliertes Herumstrolchen von Halb- oder Ganz-Nomaden durch verschiedene Staatsgebiete behindert, wird der Weideraum für die Herden unter das Existenzminimum gedrückt und so dafür gesorgt, daß dieser verringerte Raum durch Überbenutzung zusätzlich untauglich gemacht wird. Vor allem aber laufen praktisch alle wirtschaftlichen Projekte, die eine Regierung in ihrem Lande zuläßt oder inszeniert, darauf hinaus, der Subsistenzwirtschaft ihren notwendigen Raum zu nehmen, ohne ihrerseits für neue Subsistenzgrundlagen zu sorgen. Plantagen und Musterfarmen nutzen den Boden zweifellos intensiver und ertragreicher als die Subsistenzbauern, die sie verdrängen; aber sie nutzen ihn eben für die Ankurbelung des Exports, und zwar nicht durch die Erzeugung eines wirklichen Überschusses an Lebensmitteln, der dann ins Ausland geht – solche Überschüsse produziert von allen Staaten Afrikas allein die Republik Südafrika, die über ein Zehntel ihres Außenhandels mit Lebensmittellieferungen an ihre Nachbarländer bestreitet! –, sondern durch die möglichst ausschließliche Produktion für den europäischen Markt. Forstwirtschaft sowie Mineralienabbau dienen von vornherein nicht der Mehrung von Eßbarem, sondern allein der Erschließung der Naturschätze, mit denen die Staatsgewalt sich für auswärtige Interessen interessant machen kann, und dergleichen ist stets mit der ersatzlosen Vernichtung der Reproduktionsgrundlagen einiger Eingeborener verbunden; dasselbe gilt für all die vielfältigen »Projekte« wie Nationalparks, Raketenerprobungsgelände und dergleichen, die die zuständigen Souveräne in ihrem Bestreben, ihre politische Gewalt über viel Natur in klingende Münze zu verwandeln, sich von Scharlatanen aller Art gerne aufschwatzen lassen: Für alles, was Geld bringt, sei es die Besichtigung von Elefanten durch europäische Tierfreunde oder das Schwindelgeschäft deutscher Abschreibungsfirmen mit fluguntüchtigen Eigenbauraketen, wird beliebig viel Gelände rücksichtslos von seiner Einwohnerschaft »gesäubert«, die ja nun mal kein Geld mehr bringt, seit sie nach Unterbindung des Sklavenhandels zumindest im Außenhandel nicht mehr als ein geschäftlich verwertbares Stück politisch monopolisierbarer Natur gilt.

Selbstverständlich geht auch diese planmäßige Vernichtung der Subsistenzgrundlagen der vorhandenen Menschen nicht ohne polit-ökonomische Ideale ab. Diese Ideale heißen ›Schaffung produktiver Arbeitsplätze‹ und ›Integration der Subsistenzbauern in die Geldwirtschaft‹ und legen auf ihre Weise Zeugnis davon ab, daß die trostlos ineffektive und bornierte Arbeit der autochthonen Produzenten der politischen Führung insofern ein einziges Ärgernis ist, als nichts von ihren Früchten sich in ein Mittel staatlicher Revenue verwandelt. Die Realität, die diesen Idealen entspricht, ist der mit jeder öffentlichen Erschließungsmaßnahme den dadurch um ihre Subsistenzmöglichkeit gebrachten Einheimischen auferlegte Zwang, ihre Arbeitskraft für die erfolgreiche Nutzbarmachung der erschlossenen Naturschätze benutzen zu lassen: für einfache Landarbeit, einfache Minenarbeit und die beiden Produktionszweigen unmittelbar nachgeordneten, ebenso einfachen Aufbereitungsarbeiten, die manchmal bis zur Verhüttung von Erzen reichen, sich viel öfter aber auf die bloße Verpackung und Verladung auf Frachtschiffe beschränken. Dieser Zwang zur Arbeit – nicht für das Mehrprodukt einer einheimischen Volkswirtschaft, sondern für das Funktionieren auswärtiger Reichtumsproduktion und eine daraus abgeleitete Revenue des eigenen Staates – macht aus dem seiner Subsistenzgrundlage beraubten Bauern keineswegs einen regulären Proletarier, sondern einen Lohnsklaven, dessen Lebensunterhalt sich nicht an einem in Geld ausgedrückten Wert seiner Arbeitskraft bemißt, sondern häufig in Form von Wohnung, Verköstigung und Taschengeld verabreicht wird, auf alle Fälle nicht einmal die Illusion freier Verfügung über die eigene Arbeitskraft aufkommen läßt und auch noch nicht einmal für die nackte Subsistenz zu reichen braucht, weil es allemal, und für die erforderte einfache Arbeit schon gleich, genügend Ersatzkräfte gibt. Denn das ist das ganze »Geheimnis« der zunehmenden Verstädterung und der Differenz zwischen dem Anteil der in der Subsistenzproduktion Arbeitenden und dem – geringeren – Anteil der von ihr Lebenden: Die politische Vermarktung des Landes und seiner Natur setzt regelmäßig weit mehr Menschen von ihren Reproduktionsbedingungen frei, als in den entsprechenden Projekten Arbeit finden, erzeugt also ein zunehmendes Heer absoluter Paupers, die nicht wie die Arbeitslosen im Kapitalismus eine reguläre Abteilung unter den hauptberuflichen Opfern des Funktionierens dieser Produktionsweise darstellen, sondern den ökonomischen Abfall bei der Verwandlung afrikanischer Natur in eine Geschäftsgrundlage des westeuropäischen Kapitals. Und für diese Paupers gibt es eine Überlebenschance, wenn überhaupt, dann nur an den Hauptorten der ihre angestammte Subsistenzweise vernichtenden staatlichen Auslandswirtschaft: an den Hauptumschlagsplätzen des Landes – meist den Hafenstädten –, deren größter regelmäßig auch die Hauptstadt ist. Dort bietet sich nämlich allenfalls die Möglichkeit, ein Stückchen des ins Land kommenden Reichtums an sich zu bringen und sich ›in die Geldwirtschaft zu integrieren‹: sei es durch Raub und Diebstahl – denn in den Metropolen gibt es immerhin überhaupt etwas zu stehlen und eine Infrastruktur von Hehlern; sei es durch Hilfs- und Tagelöhnerarbeiten oder Prostitution; sei es durch Eintritt in die Armee, die ihre Soldaten zwar auch kaum bezahlt, aber immerhin halbwegs verköstigt; sei es durch die Tätigkeit als Stimmvieh, Jubeltruppe oder gar als Freischärler im Dienst eines Politikers, sobald der es opportun findet, seinen Konkurrenzkampf um die Macht durch den Einsatz leicht – nämlich oftmals schon für ein paar Mahlzeiten – käuflicher Massen zu entscheiden; sei es schließlich, Krönung einer derartigen Laufbahn, durch noch so geringfügige Teilhabe an der Staatsgewalt, die ja noch dem letzten ihrer Polizisten die Gelegenheit eröffnet, sein Stückchen politischer Verfügungsgewalt zu (Bestechungs-)Geld zu machen.

Diese letzteren, die Glückspilze unter den Paupers, ausgenommen, läßt der Staat seinen städtischen Massen im übrigen genausowenig sozialstaatliche Fürsorge angedeihen wie den ländlichen: Wenn sie ihm nicht gleichgültig sind, so sind sie ihm hinderlich und werden entsprechend rücksichtslos beiseite geräumt. Fürsorge existiert demgemäß ausschließlich als das Ideal der praktizierten Rücksichtslosigkeit und wird überhaupt nur entweder von hartnäckigen Idealisten des Sozialstaats und der Caritas – die logischerweise allesamt aus dem demokratischen, christlichen oder sozialistischen Ausland kommen: Entwicklungshelfern und Missionaren samt Personal – oder von rivalisierenden Politikern im Zuge ihrer Konkurrenz als persönliches Gütesiegel in die Tat umgesetzt. Zu den Errungenschaften der letzteren Rubrik zählt der Einfall, angesichts der fortschreitenden Zerstörung der Subsistenzwirtschaft deren Restaurierung zum Heilmittel alles modernen Elends zu erklären und einige hundert Slumbewohner in idyllische Urwaldweiler umzusiedeln bzw. die bestehenden Dörfer demonstrativ zum Gegenstand höchsten staatlichen Wohlwollens zu erklären: so vor allem die Idee der »Ujamaa-Dörfer« in Tansania, wo unter dem Obertitel des »afrikanischen Sozialismus« die alte Produktionsweise nicht bloß zu einem naturwüchsigen Hort sämtlicher modernen staatsbürgerlichen Tugenden, allen voran der Solidarität, idealisiert, sondern auch als Inbegriff afrikanischer Überlebensweisheit praktiziert wird. Kaum anders sehen die modernsten Vorschläge und Pläne westlicher Entwicklungshilfe aus, den darbenden Afrikanern mit »angepaßter Technologie« unter die Arme zu greifen: Auch sie ergänzen das Ideal des Aufbaus einer geldwirtschaftlich funktionierenden Nationalökonomie um das Gegenideal einer Fortführung der alten Subsistenzwirtschaft unter den neuen Bedingungen. Weniger »Fehlschläge« als der Idealismus derartiger »Entwicklungsprogramme« erleben die Kirchen mit ihren Maßnahmen geistlich inspirierter geistiger und leiblicher Fürsorge: Ihre Missionsschulen funktionieren noch immer am besten, sind abseits der Hauptstraße oft sogar nach wie vor die einzigen und setzen dort immer wieder zahlreiche Zöglinge instand, das eigene ländliche Elend mit den immerhin vorhandenen Lebenschancen in den Metropolen ihres Landes zu vergleichen und sich auf der Grundlage ihres geweiteten intellektuellen Horizonts dort für sich selber bessere Chancen als daheim auszurechnen. Die Folge ist, daß nicht nur die unmittelbar aus ihren Wohngebieten verdrängten oder um ihren ökonomischen Lebensraum gebrachten Subsistenzbauern die Slums der afrikanischen Städte kontinuierlich ausweiten; neben ihnen, vielleicht statt ihrer oder als ihre »Vorhut« landet dort auch ein Großteil derjenigen, denen eine regelrechte Sozialleistung zuteil wird – oft genug die einzige in ihrem Leben –, nämlich eine Ausbildung im englischen, französischen oder portugiesischen Alphabet und den für die Teilnahme an der Geldwirtschaft unabdingbaren Grundrechenarten der Mathematik und der Moral. Sie gehen, christlich gebildet, mit der Hoffnung in die Stadt, es den Großen ihrer Nation – fast durchweg selber Absolventen von Missionsschulen und bisweilen bis zum Bischofsamt avanciert! – nachzutun und sich einen Posten zu erobern.

Die Bevölkerung der afrikanischen Staaten ist also nicht nur nach dem vorpolitischen Kriterium der Stammeszugehörigkeit sortiert, sondern kennt verschiedene Sorten von Bürgern exakt gemäß dem politökonomischen Prinzip, nach dem die Staatsgewalt sich erhält. Es gibt eine – alle Gebildeten umfassende – Minderheit, nie gleichmäßig, aber grundsätzlich allen nationalen Völkerschaften entstammend, die in individuell unterschiedlicher Weise und vor allem in höchst unterschiedlichem Maße an der Finanzierung der politischen Herrschaft durch das interessierte Ausland partizipiert; sie betrachtet und handhabt ihre Regierungs- und Verwaltungstätigkeit ganz »sachgerecht«, nämlich ganz entsprechend dem Fehlen eines inneren gesellschaftlichen Bedarfs an effektiver, dem Bürger irgendwie nützlicher staatlicher Verwaltung, als Ausnützung einer von oben oder von den jeweils Betroffenen finanzierten politischen Pfründe – eine Art von Revenue, die bei den untersten Chargen in Straßenraub mit staatlicher Autorität und staatlichen Waffen übergeht. Es gibt eine große Mehrheit von Subsistenzbauern, denen ihre ohnehin extrem kärgliche Subsistenz, von deren Überschüssen sich nach wie vor allenfalls ein Zauberer pro Dorf aushalten läßt, bestritten wird, weil sie jeder vom politischen Souverän lizenzierten Erschließung sämtlicher irgendwie interessierenden Naturmerkmale des Staatsgebiets nur hinderlich sind. Und es gibt Lohnsklaven und ein wachsendes Heer städtischer Paupers, die sich ihr Leben lang in der verzweifelten Anstrengung aufreiben, sich aus der notwendigen Aufbereitung und dem Abtransport der Naturschätze des Landes sowie den dabei am Rande abfallenden halb- oder illegalen Verdienstmöglichkeiten einen Lebensunterhalt zu beschaffen; den Subsistenzbauern haben sie nicht mehr und nicht weniger als die Chance voraus, irgendwie in eine staatlich gesicherte Existenz hineinzugelangen, sei es auch nur als Hausdiener eines besseren Elitenegers oder in ein noch so schlecht, aber eben mit einem festen Gehalt dotiertes Angestelltenverhältnis: mit dem letzten Sekretär der staatlichen Gewerkschaft oder Einheitspartei fängt bereits die »Elite« an.

Geben muß es schließlich auch noch eine gewisse Anzahl von Leuten, die den Umschlag des Geldes besorgen, das der politischen Elite aus dem staatlichen Auslandsgeschäft und dessen ›flankierenden Maßnahmen‹ Entwicklungshilfe und Bestechung zufließt und von ihr ja auch verausgabt wird, die also aus dem Konsum der Geldeinkommensbezieher für sich ein Geschäft machen: kleinkapitalistische Gewerbetreibende – denn für große Kapitalanlagen existiert nirgends ein hinreichendes zahlungsfähiges Bedürfnis – im Bereich zwischen Subsistenzwirtschaft und Außenwirtschaft; Agenten ausländischer Unternehmer der Konsumgüterbranche; Projektemacher kleineren Zuschnitts; Händler mit Beziehungen und Auslandsverbindungen usw. Diese Sorte ökonomisch aktiver »Mittelschichtler« kann es allerdings nur geben ganz abgetrennt neben den erwähnten Volksklassen: Vom Pauper und Lohnsklaven, geschweige denn vom Subsistenzbauern, gibt es höchstens ausnahmsweise einen Übergang in diese Sphäre des privaten Kommerzes; wer andererseits eine Pfründe im Staatsdienst erobert hat, macht allenfalls darin Karriere, verfolgt aber bestimmt nicht das Lebensziel ökonomischer Selbständigkeit – ein Zweck, der ja, um üblich zu werden, genau das umgekehrte Verhältnis zwischen Staat und Privaten voraussetzen würde als das tatsächlich herrschende. Die hier einschlägigen Tätigkeiten (von der funktionierenden modernen Werkstatt bis zum Transportunternehmen und vom Bierverlag bis zum Import gebrauchter Luxusautos) sind daher nicht zufällig eine Domäne von geschäftstüchtigen Ausländern – vielen Griechen und Libanesen im Westen, Indern im Osten des Kontinents, die nicht selten eigens dazu ins Land gekommen sind, um die seltene Chance wahrzunehmen, praktisch ohne Kapital, nur mit technischem und geschäftlichem Geschick und einer gehörigen Portion Scharlatanerie, schnell ein Vermögen zu machen.

Beide Seiten, die Einheimischen wie die Auswärtigen, nähren aus dieser speziellen »Arbeitsteilung« ihren jeweiligen Rassismus: Die Geschäftemacher mit heller Hautfarbe verachten in den staatlichen Verwaltungsmenschen, für die Effektivität überhaupt kein sinnvoller Zweck ist, wie in den arbeitenden oder arbeitslosen Paupers, für die Mehrleistung sich ökonomisch nie auszahlt, den untüchtigen Schwarzen; die eingeborenen Paupers lassen sich unter dem Gesichtspunkt eines antikolonialistisch verallgemeinerten schwarzen Stammesstolzes gegen die geschäftstüchtigen Ausländer aufwiegeln; und die führenden nationalen Politiker halten es immer wieder einmal für opportun, durch derartige Agitation des Volkes Unzufriedenheit für ihren Konkurrenzkampf auszunutzen – am bekanntesten die einschlägigen Einfälle des Idi Amin, sein Volk von den indischen Händlern zu ›befreien‹, ganz als wären diese die Urheber des ugandischen Elends, und sich zur rassistischen Freude seiner Untertanen von einer Staffel Engländer durch die Straßen Kampalas tragen zu lassen.

5. Den Idealismus, die »Dritte Welt« müßte sich über gedeihliche Wirtschaftsbeziehungen mit den »Industrieländern« entwickeln, in gewissen Proportionen am Reichtum dieser Weltwirtschaft partizipieren, wollte in einem Fall niemand so recht hochhalten. Die große Ausnahme sind die Ölstaaten – also ausgerechnet jene Souveräne, deren Exportartikel tatsächlich die für sie angenehme Wirkung aufweist, ein paar Milliarden abzuwerfen. Und das Ausbleiben der Freude darüber, daß hier einmal statt Schulden ansehnliche Dollarkonten zusammenkommen, verdankt sich keineswegs dem Mitleid mit den auch in Ölländern nicht verwöhnten Völkern – mit Demonstrationen gegen den Schah haben sich Studenten der BRD bei ihren Mitbürgern sehr unbeliebt gemacht. Vielmehr hat man sich der albernen Vorstellung bedient, ausgerechnet das Öl werde aus einer großen Kasse der Nation bezahlt, sei zu teuer und brächte »uns« in Schwierigkeiten – die letzte Nutzanwendung aus dieser Mär zog der damalige Kanzler anläßlich der Konferenz von Cancun, als er den »Sparhaushalt«, d. h. den bei erhöhten Staatsausgaben ausgeübten Zwang zum privaten Einteilen, flugs als Krise deutete und wieder einmal die Ölpreise zur Ursache erklärte. Jahrelang galten die Ölscheichs als »Erpresser«, die unsere ölabhängigen Volkswirtschaften ins Ungemach stürzen; und die gelehrt klingende Beschwerde über eine »Eskalation des wirtschaftlichen Drohpotentials der Förderländer« nahm sich noch moderat aus gegenüber dem Befund, die OPEC stelle »nach unserem Recht eine kriminelle Vereinigung« dar.

Dem ökonomischen Unsinn gesellte sich der ökologische hinzu. Die Vorstellung, die Welt ginge aufgrund eines Energiemangels einer globalen Herausforderung nie dagewesenen Ausmaßes entgegen, wurde mitsamt der moralischen Lehre, ein anständiger Mensch hätte sparsam mit dem knappen Gut umzugehen, zu einer Popularität hinmoderiert, die gekonnt auf den kleinen Mann berechnet war – der muß nämlich wegen des Preises tatsächlich mit Strom und Benzin haushalten. Die »Marktwirtschaft« wandte die liberalen Methoden der Kalkulation an, um das Volk zur Tugend der Sparsamkeit anzuhalten, so daß für die Endverbraucher tatsächlich Energie zu einem »kostbaren Gut« wurde. Da kam es auch nicht mehr weiter darauf an, daß die Knappheitsvisionen des »Club of Rome« im praktischen Geschäftsgebaren seiner Mitglieder und Förderer keine Rolle spielten – um so mehr Anklang fanden sie bei grünen und alternativen Anhängern des Umweltgedankens.

Wie es sich für anständige Ideologien gehört, lassen sich anständige Menschen durch Fakten ebensowenig von ihnen abbringen, wie sie sich bei ihrer Übernahme von der Realität und irgendwelchen stimmigen Auskünften über diese leiten lassen. Wenn sich schon die Ökologie zur Ökonomie verhält wie die Astrologie zur Astronomie, dann stört es einen Anhänger des »Knappheitsgedankens« auch nicht, daß die Ölförderung während der Hochkonjunktur dieser Lügen gestiegen ist wie noch nie; und noch weniger fällt ihm auf, daß die »Wirtschaft« am Energieerhaltungssatz nie irre geworden ist, deswegen mit dem gestiegenen Ölpreis auch andere Techniken, nützliche Formen der Energie zu erzeugen, für lohnend befunden hat. Was die politische Hetze auf jene »Neureichen« aus der »Dritten Welt« angeht, so bleibt sie zwar im Arsenal des Wirtschaftsjournalismus verfügbar, zugleich aber wird sie zunehmend abgelöst durch die Rede von »unseren Freunden« in Saudi-Arabien, die unbedingt das Beste kriegen müssen, was europäische und amerikanische Waffentechnik zu bieten hat. Doch auch dergleichen gab es schon zu den Zeiten, als keine imperialistische Karikatur die Erhöhung des Benzinpreises ohne einen diebischen und verschlagenen Scheich zu kommentieren wußte. Herzliche Staatsbesuche, groß dimensionierte »joint ventures« seriöser Kapitalisten mit den orientalischen »Wirtschaftsverbrechern« und unbefangene Belieferung mit Kriegsgerät aller Art – dieser Umgang der angeblichen Opfer mit ihren angeblichen Erpressern ist durchaus nichts Neues. Inzwischen hat man reichlich Gelegenheit, offizielle Bastionen unserer Freiheit, Verbündete, Vernünftige und einige Unverbesserliche unter den Ölstaaten zu unterscheiden – eine der Konsequenzen jener von der NATO beschlossenen »weltpolitischen Entwicklung«, die Zustände wie die im Folgenden beschriebenen immerzu überholt.

a) Bis vor wenigen Jahren machten die Ölkonzerne ihr großes Geschäft auf der Basis und mit Hilfe eines zeitweise geradezu exorbitanten weltweiten Überangebots an Erdöl; mit Kapazitäten, die bisweilen um ein Mehrfaches über der tatsächlich abgesetzten Fördermenge lagen. Die Entdeckung und Erschließung neuer Erdölfelder vor allem im Nahen und Mittleren Osten war dank der Konkurrenz der »Großen Schwestern« um die restlose Aufteilung sämtlicher Petroleumpfützen des Erdballs so rasch vorangekommen, daß der Verbrauch gar nicht Schritt halten konnte.

Garantiert war das Geschäft nach der einen Seite hin durch die Ausschaltung jeder Preiskonkurrenz, nämlich durch einen zwischen den Hauptkonkurrenten einvernehmlich festgelegten Mindestpreis. Bis zur Mitte des Jahrhunderts lautete dessen Formel »Golf plus Fracht«: nirgends sollte Rohöl billiger zu haben sein, als es dem Gestehungspreis an der Südküste des seinerzeitigen Hauptexportlandes, der USA, zuzüglich der von dort aus theoretisch anfallenden Frachtspesen entsprach. Mit dem Fortschritt der USA nach dem Zweiten Weltkrieg zum größten Ölimporteur der Welt änderte sich nicht das Preisdiktat der amerikanischen Ölkonzerne, sondern allein ihre Berechnungsformel: weltweit maßgeblich wurde für die fünfziger Jahre der New Yorker Öl-Importpreis, also ein den Transport nach New York und die Versicherungskosten einschließender Preis, der so berechnet war, daß das Geschäft der US-Gesellschaften mit ihrem einheimischen Öl keiner Preiskonkurrenz durch Zufuhren von auswärts ausgesetzt war. Gleichzeitig war damit sichergestellt, daß keine andere Nation sich durch günstige Ölpreise einen Konkurrenzvorteil gegenüber den USA verschaffen konnte; dafür durften sie die Gewinne der Ölkonzerne finanzieren. (Ein schönes Beispiel für die pax americana nach dem Zweiten Weltkrieg.) Und dieser Mindestpreis lag stets um ein Vielfaches über den Unkosten auf den neuen Ölfeldern, die paar Cents an »royalties« und die paar tausend Dollar an Bohrlizenzen für die zuständige politische Herrschaft des jeweiligen Erdenwinkels schon mit eingerechnet. Die in den sechziger Jahren von einigen Ölförderländern erstrittene Festlegung von fob-(free on board)-Exportpreisen, dem »posted price«, auf den sich die Gewinnkalkulation der Ölkonzerne und damit die von den Förderländern durchgesetzte 50  %-ige Beteiligung ihres Fiskus am Verkaufsgewinn beziehen mußte, bedeutete gegenüber dem vorherigen Zustand für die Ölgesellschaften kaum mehr als eine Änderung ihrer Abrechnungsmodalitäten, die für jede gewünschte Manipulation Raum ließen. Daher sahen sich denn auch diejenigen Förderländer, die in diesem Jahrzehnt eigene nationale Ölgesellschaften gründeten und mit einem Fördermonopol ausstatteten, mit einem Verfall ihrer Listenpreise konfrontiert, den die in die Rolle des Kunden gedrängten Ölgesellschaften diktierten – ohne daß dadurch deren USA-internes Geschäft in Mitleidenschaft gezogen worden wäre. Stets verdankte sich der Preis, zu dem die Verbraucher in den kapitalistischen Staaten an Ölprodukte kamen, einer freien monopolistischen Festsetzung durch die Öl-Multis – den sieben »Großen Schwestern« schlossen die »Independents« sich da gerne an! –, die dabei immer die Bedingungen ihres Geschäfts mit dem im eigenen Land gepumpten Stoff aufrechterhielten.

Bedingung für die problemlose Realisierung dieses Mindestpreises war auf der anderen Seite, daß das Erdöl in den »Verbraucher-Ländern« in allen seinen Anwendungsgebieten im Vergleich mit anderen Rohstoffen oder »Energieträgern« konkurrenzlos billig war; so billig, daß die Zunahme des Ölverbrauchs zwar noch mit erheblichem Abstand, aber doch rasch und kontinuierlich der Vermehrfachung des Angebots hinterherwuchs und die Ölgesellschaften nicht in ihrem Petroleum, sondern in Geld schwammen.

Kleinere nationale Ölanbieter, auch die mancherorts gegründeten staatlichen, existierten und existieren bis heute nicht in Konkurrenz zu den von den Großen gesetzten Geschäftsbedingungen, sondern auf deren Grundlage. Meist handelte es sich sowieso um gänzlich abhängige Vertriebsgesellschaften, die mit dem Abnahme- praktisch auch ihren Abgabepreis diktiert bekamen. Und soweit sie an eigene Lieferverträge mit den Staatsgesellschaften irgendwelcher Förderländer gelangten, konnten sie ja zusehen, wie sie mit ihren paar Millionen Barrels in die Konkurrenz einstiegen und die Preise drückten – sie haben es denn auch gar nicht erst versucht. Schon gar nicht ist der »freie Spotmarkt« in Rotterdam dafür eingerichtet worden oder je dazu angetan gewesen, im Ölgeschäft Marktkonditionen nach den üblichen Regeln der Konkurrenz herzustellen oder als Börse nach dem Muster sonstiger Warenbörsen zu fungieren. Bis heute dient er im wesentlichen dem Ausgleich kurzfristiger, nicht schon vorab gemanagter Schwankungen im Verhältnis von Zufuhr und Verkauf innerhalb der konzerneigenen Vertriebswege: Da erklärt schon mal die eine große Ölgesellschaft angesichts ihrer Ölbestände die Einschleusung einer Tankerladung in ihre Raffinerien für weniger lohnend und bietet sie feil; eine andere Ölgesellschaft kommt aufgrund ihrer momentanen Geschäftslage zum umgekehrten Schluß, läßt vielleicht auch einen Tanker etwas langsamer oder nach Japan statt nach Holland fahren und kauft ein; und die Nischen dieses Geschäfts sind immer noch groß genug, daß sogar noch ein Haufen Spekulanten und einige hundert oder tausend freie Tankstellen und Vertriebsstellen quasi als untergeordneter Puffer im großen Ölgeschäft davon existieren konnten und können.

Auf der Grundlage eines überreichlichen Angebots, um dessen Aufteilung zwar gegeneinander, aber nie zugunsten des Förderlandes konkurriert wurde (da wäre ja aus dessen politischem Monopol ein regelrechter Monopolpreis geworden!), und eines konkurrenzlos niedrigen Abgabepreises, um den nicht konkurriert wurde, ist es den Öl-Multis somit gelungen, die Ölversorgung der freien Welt von der Exploration bis zur Tankstelle in den Griff zu bekommen. Den nationalen Fördergesellschaften gegenüber, wo es sie gab, traten sie als alleinige Aufkäufer und Repräsentanten einer hinter dem Angebot zurückbleibenden Nachfrage auf, ihrer eigenen Kundschaft gegenüber dagegen als echte Monopolisten. Auf diese Weise haben sie bis heute verhindert, daß aus ihrem Verkaufsschlager eine »normale« Ware mit weltweiter Konkurrenz um den Produktionspreis wurde.

b) Die Zeiten eines problemlos niedrigen Monopolpreises für Erdöl gingen im Jahr 1973 abrupt zu Ende, und zwar mit dem kurzfristigen Lieferboykott einiger arabischer Länder und der Folge eines Unterangebots, das den in der OPEC kooperierenden Regierungen die Chance bot, den Abgabepreis ihrer nationalen Ölgesellschaften einseitig heraufzusetzen bzw. den Listenpreis der in ihrem Land tätigen Multis um einen entsprechenden Staatsanteil zu erhöhen.

Schon an dieser Konstellation des Jahres 1973 ist abzulesen, daß – entgegen dem ersten Augenschein – der Grund für die seinerzeitigen Preiserhöhungen, und für alle seitherigen gilt dasselbe, nicht in der politischen Absicht der Lieferländer liegt, sich höhere Einnahmen aus dem Geschäft der Ölkonzerne mit ihrem Rohstoff zu sichern. Schließlich war die OPEC bereits dreizehn Jahre zuvor gegründet worden und hatte seitdem noch nicht einmal ihr anfängliches bescheidenes Ziel verwirklichen können, dem Sinken ihrer Einnahmen entgegenzuwirken. Die politischen Maßnahmen einiger Regierungen mit dem Ziel, sich zum ökonomischen Subjekt des Ölgeschäfts zu machen, nämlich die Gründung nationaler Ölgesellschaften, die Übertragung von Förderlizenzen auf diese und eben der Kampf um eine einigermaßen respektable Verhandlungsposition gegenüber den Ölkonzernen, dem die Gründung der OPEC dienen sollte, hatten zwar manche rechtliche Formen der Abwicklung des Ölgeschäfts modifiziert, aber nicht das Geringste an den ökonomischen Prinzipien dieses Geschäfts geändert. Und die lauteten eben: niedriger Monopolpreis, deswegen dauernde Expansion der Absatzmenge, lückenlose einvernehmliche Aufteilung aller in Frage kommenden Fundstätten sowie gegen Null tendierende Gestehungspreise für den Rohstoff ab Quelle bzw. Grenze.

Es waren diese Prinzipien des weltweiten Ölgeschäfts, die zu Beginn der siebziger Jahre zu einer Modifikation ihrer eigenen Voraussetzungen führten. Auf der Seite der Nachfrage nach Erdöl hatte der niedrige Ölpreis seine Wirkung getan und den Markt für Erdölprodukte in dem von den Anbietern gewünschten Umfang »explodieren« lassen. Umgekehrt war die Aufteilung der Fördergebiete, in denen die Produktionsunkosten, d. h. die zugestandenen Abgabepreise in der gewünschten Relation unter dem feststehenden geringen Monopolpreis lagen, mit der Erschließung der Ölquellen des nördlichen und mittleren Afrika zu einem gewissen Abschluß gekommen, und erweiterte Zufuhr hätte zu gegebenem Preis nicht mehr die gewohnten Gewinne abgeworfen. Die logische Konsequenz, von der die großen Ölgesellschaften sicher zuallerletzt überrascht wurden, war die, daß in dem »Schicksalsjahr« 1973 erstmals die Nachfrage nach Öl das Angebot überstieg: nur deswegen konnte die Unterbrechung einiger arabischer Lieferungen zu einer zeitweiligen Ölknappheit in der westlichen Welt führen – und auch das nur, weil die Ölgesellschaften, statt ihren auf den Weltmeeren dümpelnden Tankschiffen die Order zu schnellerer Fahrt zu geben, ihrerseits beschlossen hatten, ihre Kundschaft das geänderte Verhältnis zwischen Nachfrage und Zufuhr spüren zu lassen und mit der Erhöhung ihrer Monopolpreise neue Konditionen für die lohnende Ausweitung des Nachschubs zu schaffen. Daß die Herrscher über die kostengünstigsten Fördergebiete auf dem Globus dabei mit der Vermehrfachung ihrer wahrlich minimalen Abgabepreise die Initiative ergriffen und mit ihrem kurzfristigen Ölboykott den politischen Anlaß zur Heraufsetzung des Ölpreises schufen, ändert nichts an dem ökonomischen Sachverhalt, daß sie damit keineswegs den Grund für eine veränderte Kalkulation im Ölgeschäft schufen – bei fortdauerndem Überschuß an Öl zum alten Preis hätte ihr »politischer Kraftakt« sich sehr rasch als peinlicher Fehlversuch herausgestellt! Wie souverän sie sich politisch auch immer vorgekommen sind und aufgeführt haben: ökonomisch haben sie nichts anderes zustande gebracht, als sich das Zugeständnis zu verschaffen, das die neue Kalkulation der Ölgesellschaften bereithielt. Denn deren Kalkulation ging auf eine fortdauernde, wenn auch weniger rasche Erweiterung ihres Ölabsatzes zu einem höheren Monopolpreis bei wieder rascherer Expansion der Ölzufuhr zu einem höheren Gestehungspreis – beispielsweise durch das bereits entdeckte, aber schwieriger zu fördernde Nordseeöl. Und innerhalb dieser Marge der für die lohnende Ausweitung des Ölgeschäfts erforderlichen Erhöhung des Gestehungspreises bewegte sich die politische »Erpressung« der Verbraucherländer durch Schah, Ölscheichs und regierende Generäle in Afrika! Danach brachte es dann keine Ölgesellschaft mehr fertig, »rote Zahlen« auszuweisen. Die Gewinne waren durch keinerlei Techniken der Abschreibung und auch nicht durch die werbewirksam ausgeschlachteten Mammutinvestitionen in aller Welt aus den Büchern wegzubringen.

Sämtliche nachfolgenden Ölpreiserhöhungen bis zu denen der ersten achtziger Jahre sind nach demselben Prinzip abgelaufen. Stets fand sich im Bereich des Orients ein politischer Anlaß, der die Souveräne der ölexportierenden Länder zu Preisforderungen beflügelte. Und allemal war es eine Revision der von den großen Ölkonzernen angestellten Berechnungen über die Unkosten einer erweiterten oder auch langfristig konstanten Erdölförderung, inzwischen auch der Produktion von Energie in anderen Formen, die den ökonomischen Grund dafür abgab, daß die OPEC sich eine Zeitlang nicht blamiert hat – und heute weiß, daß die Ära der Kraftakte vorbei ist. Andernfalls nämlich wären die nachdrücklichsten Preisbeschlüsse an einer um zwei Knoten beschleunigten Fahrgeschwindigkeit der konzerneigenen Großtanker gescheitert – statt dessen fuhren diese langsamer, außerdem seltsame Umwege und stützten so die neue Preisfestsetzung mit der gezielten Erzeugung eines Anscheins von Ölmangel. Inzwischen weiß jeder – oder könnte jedenfalls jeder wissen –, daß es den großen Gesellschaften gelungen ist, zu ihrem neuen Monopolpreis wieder mehr Öl beizuschaffen, als nachgefragt wird. Das schwimmt dann, weil alle Tanklager voll sind, monatelang in der Karibik, in der Nordsee oder im Japanischen Meer herum und bietet die sichere Gewähr, daß die Regierungen der Ölländer nicht zur Unzeit, wenn nämlich für die großen Konzerne eine erneute Neukalkulation ihres Geschäfts noch gar nicht ansteht, auf die Idee kommen, sich als autonome Urheber der Exportpreise ihres Rohstoffs aufzuspielen. Sogar ein so glänzender Anlaß wie der Krieg zwischen Iran und Irak und der Ausfall der Lieferungen beider Länder, eigentlich Anlaß genug für jegliche Preiserhöhung seitens der einschlägigen Scheichs, wenn die Kostenkalkulation der Konzerne dafür Raum böte, verstreicht unter diesen neuen Bedingungen »ungenutzt« – nicht einmal verhandelt wurde über einen kleinen Kriegszuschlag (den gab es nur bei den Schiffsversicherern)!

Wie man sieht, geht sogar noch der vorübergehend in Mode gekommene gerechte Zorn über die Extragewinne der großen Ölkonzerne, deren Lagerbestände mit jedem neuen OPEC-Preisbeschluß ganz ohne jeden Aufwand im Wert steigen, ökonomisch in die Irre. Daß die stolzen Besitzer von Ölvorräten oder auch sonstigen, inzwischen ungemein preiswerten Ölquellen die schmarotzenden »Windfall«-Profiteure jener Preiserhöhungen wären, die ihnen aus Wien oder Riad unverhofft ins Haus schneien, ist ein politischer Schein, dem das genau umgekehrte Verhältnis als ökonomische Wahrheit zugrundeliegt. Die Potentaten, deren Öl fast umsonst aus dem Boden fließt, haben sich die seltene und absehbarerweise sehr vergängliche Chance erstritten, eben die Differenz zwischen dem von den Konzernen neu angesetzten Kostpreis des Öls und ihren tatsächlichen Unkosten für sich auszunützen – also vom »Windfall« der Konzernkalkulationen zu »profitieren«.

Das stolze nationale Aufbegehren der Ölsouveräne hat die Ölgesellschaften auf die neue Lage von Angebot und Nachfrage in ihrem eigenen Geschäftsbereich aufmerksam gemacht. Seitdem nützen die Ölkonzerne die segensreichen Wirkungen eines solchen Monopolpreises, der es ihnen erlaubt, schon heute ihr Geschäft auf Grundlage eines Kostpreises zu kalkulieren, der in Wirklichkeit erst in mittelfristiger Zukunft anfallen wird. Und aufgrund und im Rahmen dieser Kalkulation fallen dann sogar noch für die Ölscheichs und Gaddafis einige Milliarden ab: als begleitende Randerscheinung!

c) Das westliche Kapital, weit entfernt davon, seine »Ölkasse« ständig aufstocken zu müssen, geht mit den höheren Ölpreisen wie mit den anderen Kosten um. Es handhabt sie als gestiegenen Vorschuß, der sich zu rentieren hat, so daß er im Preis der verkauften Ware seine Wirkung tut. Damit belastet die Kalkulation die allgemeine Zahlungsfähigkeit, und die Realisierung in Geld kriegen zunächst einmal nur die zu spüren, die die Kaufkraft ihres Lohnes schwinden sehen und mit den Anstrengungen ihrer »Arbeitgeber« konfrontiert werden, im Produktionsprozeß die Veränderungen vorzunehmen, die den Kampf um den Absatz der verteuerten Waren bzw. um die begrenzte Zahlungsfähigkeit erfolgreich gestalten. Von einer Krise – welche der wirtschaftliche Sachverstand immer bei veränderten Konkurrenzbedingungen ausmacht – kann freilich nicht die Rede sein. Denn für deren Zustandekommen bedarf es mehr als einer Verteuerung der Produktion. Daß zu gewinnträchtigen Investitionen ausersehenes Geld keine Anlage findet, also Waren unverkäuflich sind, Kredite nicht gegeben werden und die Produktion wegen mangelnder »Investitionsneigung«, wegen mangelnder lohnender Anwendung von Kapital unterlassen wird – dazu muß das Geschäft schon gegangen sein. Und zwar bis zu dem Punkt, an dem die zahlungsfähige Nachfrage, auf die es zur Realisierung seiner Ware angewiesen ist, sich als überstrapaziert erweist. Die »Begründung« der Krise mit dem gestiegenen Ölpreis (wie etwa 1976) gehört in die ideologische Schatzkammer von Politikern und Unternehmerverbänden samt journalistischem Anhang und stellt eine bequeme Lösung der völlig uninteressanten »Schuldfrage« dar. Und wenn gar keine Krise eingetreten ist, verfolgt die Schuldzuweisung als Zweck die immergleichen Rezepte, mit den Schwierigkeiten der Konkurrenz in der Korrektur des Verhältnisses von Lohn und Leistung fertigzuwerden.

Der Anlaß für die Beschwörung von Krisen im Zusammenhang mit der Veränderung der Preise für Öl und aus ihm gefertigter Produkte ist deshalb auch immer ein ziemlich nationaler: die unterschiedliche Betroffenheit der Nationalökonomien durch die neuen Kostpreise, ihre Mittel, mit der neuen Konkurrenzbedingung fertigzuwerden – die Situation des Nationalkredits, die Währungsreserven, die Höhe der Mineralölsteuer, der Rückgriff auf eigene Ölvorkommen, deren Anteil an der Gesamtversorgung usw. –, schaffen auch »Probleme«; und wirtschaftspolitische Maßnahmen sind in den armen »abhängigen« Ländern entsprechend unterschiedlich ausgefallen. Während die USA Zahlungsbilanzdefizite schon aufgrund der glücklichen Fügung, daß ihre nationale zugleich die Ölwährung ist, gelassen hinnehmen und die Regierung Carter im Frühjahr 1979 den Ölimport auch noch subventionierte, hatten manche Partner durchaus Sorgen um die »Zerrüttung« ihrer Währung und der ihrer lieben Nachbarn. Stützungskredite und Abwertungsdebatten waren da schon fällig – und eine Anleihe von ein paar Milliarden Dollars bei den Saudis ebenfalls.

Daß diese zu derlei Transaktionen bereit sind und überdies noch Kredite für die neueröffnete Rubrik der »nicht ölproduzierenden Entwicklungsländer« zur Verfügung stellen, zeugt einerseits davon, in welchen Fällen das Gerede von der »Verarmung« der Verbraucherländer zutrifft: dort, wo der auswärtige Handel eben ohnehin nicht Mittel des nationalen Wachstums ist, stellt ein höherer Preis für Öllieferungen eben tatsächlich einen durch nichts kompensierbaren Abfluß von Geld, eine unmittelbare Minderung nationaler Zahlungsfähigkeit dar. Diese Länder, die ohnehin vom Kredit leben, gewahren dessen Reduktion – was in den imperialistischen Ländern die scheinheilige Empörung über das Elend nährt, das mit den geldgierigen Ölscheichs in die Welt gekommen sein soll.

Andererseits gibt die »Anlage« von »Petro-Dollars« bei den besten Kunden und ihrem Staat einen Hinweis darauf, was selbst diese Ausnahmen unter den Ölstaaten in Sachen »Entwicklung« zustandebringen. Die Nutzung des politischen Monopols über einen ölhaltigen Flecken Erde erbringt zwar einige Dollarguthaben, einen unübersehbaren Aufwand an Repräsentation sowie ein lebhaftes politisches Sicherheitsinteresse seitens der mächtigen »Verbraucherländer«; aber eine einheimische Reichtumsproduktion – der Traum vom Nach-Öl-Zeitalter, in dem ohne Öl die arabische Halbinsel eine Industriemacht ist, kommt ja bisweilen auf – ist nicht in Sicht: die paar fertigen Fabriken, die da in die Landschaft gestellt wurden, ermangeln der Bedienungsmannschaft ebenso wie eines Marktes. Westdeutsche Wirtschaftsfachleute, vielleicht sogar dieselben, die als Berater bei der Erstellung eines petrochemischen Musterkomplexes fungiert haben, rechnen ihren Auftraggebern vor, daß ein lohnender Betrieb nicht abzusehen ist. Sämtliche Projekte erweisen sich als unproduktive Prestigeunternehmen, die nur in einer Richtung etwas bewirken: sie vervollständigen das Werk, das mit der Verwandlung des Staatsgebiets in eine Ölpumpstation vollbracht ward – den endgültigen Ruin der Insassen, die von Landwirtschaft leben. Eine andere Art von Reproduktion als die, die über die Anteilnahme – zivil oder militärisch – am Ölstaat organisiert ist, hat einfach keine Chance. Eingestanden haben die Scheichtümer das längst. Das Quantum Arbeitskraft, das sie für die Ölförderung benötigen oder auch für besagte Projekte, rekrutieren sie nicht bei ihren Beduinenstämmen, sondern in Taiwan und Korea; sogar 10 000 Rotchinesen sollen gesichtet worden sein.

So wird aus dem akkumulierten Geld einer Nation, die in der Veräußerung ihres Bodenschatzes das einzige Mittel ihrer ökonomischen Behauptung hat, auch kein Kapital. Denn ihr ökonomisches Mittel ist das Öl gar nicht – und das Geld findet das Material für seine Verwandlung in Kapital folgerichtig nur auf dem Weg über die Kreditlinien des Kapitalmarkts, dessen Bedürfnisse in den USA und in Europa definiert werden.

6. Die Mehrzahl der Ölstaaten sieht sich freilich wie die anderen Nationen, die ihre »Entwicklung« im Rahmen der Weltwirtschaft zum Programm gemacht haben, vor Problemen ganz anderer Art. Die Einkünfte aus ihrem Export reichen nämlich nicht zur Bestreitung der Ausgaben, die sie für das Funktionieren und die Repräsentation ihres Ladens tätigen. Im Namen ihres Volkes, das sie den Konjunkturen des Weltmarkts unterwerfen – so daß es für die Zahlungsbilanz seines Souveräns produziert und hungert –, melden Staatsmänner der »Dritten Welt« die Bitte um Hilfe an: ihre Kredite werden gestundet, in konzertierten Aktionen der den Weltmarkt bestimmenden Nationen in Schuldenkonten des IWF eingereiht; zugleich wird ein Abkommen des Typs Lomé getroffen, das die Kontinuität der vom »Markt« erwünschten Ausfuhr mit einem Minimum an geldlichem Aufwand regelt. Ganz besondere Interessen an einem bestimmten Entwicklungsland kommen auch zum Zug; da kreditiert schon einmal ein EG-Staat ein Aufbauprojekt bei seinen speziellen Partnern, für die Infrastruktur muß schließlich gesorgt sein. Ohne das nötige Minimum an Straßen, Häfen und sonstigen Kommunikationsmitteln funktioniert eben nicht einmal der Abtransport der begehrten Güter. Doch hat diese Sorte Hilfe für die emanzipationsfreudigen Staaten den eindeutigen Mangel, daß sie die nachteiligen Beziehungen fortschreibt und außer den Bewohnern dieser Länder auch der Staatskasse jene Lasten aufbürdet, die das ganze Projekt namens »Entwicklung« zum dauerhaften Scheitern verurteilen.

Einige Staaten haben daraus die Konsequenz gezogen, den ökonomischen Grundlagen ihrer Herrschaft auf die Sprünge zu helfen, und versucht, eine nationale Akkumulation einzuleiten. Eine im Lande selbst stattfindende Produktion soll teils für den einheimischen, teils für den Weltmarkt liefern, so daß die Verschuldung ebenso ein Ende nimmt wie die »Abhängigkeit«. Das Ideal der Industrialisierung bewegt vor allem lateinamerikanische Obristen, die in den von ihnen regierten Ländern alle Möglichkeiten lohnender Produktion entdecken: auf der einen Seite einen ungeheuren »natürlichen Reichtum«, andererseits ein »Arbeitskräftepotential«, das lediglich darauf wartet, angewandt zu werden, und nicht einmal unverschämte Löhne verlangt. Und in der Tat handelt es sich bei diesen beiden Posten nur um Möglichkeiten, deren zweckmäßiger Verwandlung in wirklichen Reichtum, so wie er auf dem Weltmarkt gezählt wird, nur eine Kleinigkeit im Wege steht. Die Souveräne, die ihre Untertanen und ihr Hoheitsgebiet mit den Maßstäben des Kapitals beurteilen, verfügen über keines. Als verschuldeten Nationen fehlt ihnen das Geld, um die Produktionsmittel zu erwerben, die jene schier unbegrenzt vorhandenen Produktionsfaktoren in Bewegung setzen – sie sind also auf das Interesse derjenigen angewiesen, die sich in der Geschichte der Zivilisation bereits bewährt haben: auf Nationen und Geschäftsleute, die über die Freiheit verfügen, alle sachlichen Materialien der Produktion zum Hebel ihrer Kapitalvermehrung zu erklären.

Dieser – vom Standpunkt eines »Entwicklungslandes« gesehen – mißliche Umstand verhindert seit geraumer Zeit nicht mehr die Entstehung von Industriebetrieben der verschiedensten Branchen in Ländern, die nicht bloß Opfer der Zirkulation von Waren bleiben wollten, die Gewinne nur für ihre Partner abwerfen, sondern selbst den Status eines Verwalters des erfolgreichen Produktionsverhältnisses anstrebten, an dem ihre Souveränität so lange ihre Schranke fand. Sie sind zu Mitmachern des weltweiten Kapitalmarkts geworden, allerdings nicht mit dem anvisierten Resultat einer florierenden nationalen Akkumulation. Und das ist gar nicht verwunderlich. Denn um in den Genuß einer eigenen Industrie zu gelangen, mußten sie zuallererst ihren Anspruch in ein Angebot kleiden: es erging an die Staaten der ersten Welt und ihre finanzkräftigen Bürger, signalisierte »Kooperationsbereitschaft«, also die Bitte, doch die eigene Souveränität nicht als Hindernis für Investitionen zu betrachten. In Brasilien, dem Land, das exemplarisch alle Schritte dieser Art Entwicklungsprogramm vorgeführt hat, läßt sich studieren, was aus einer Nation wird, die den Übergang zur Anlagesphäre von Kapital »nachholt«, weil ihre Führer im Anbau und Export von klimatisch begünstigten Agrarprodukten eine miserable Geschäftsgrundlage ausgemacht hatten.

Die erste Konsequenz, die dem »Entwicklungsland« daraus erwächst, daß sein Angebot akzeptiert wird, ist eine Vermehrung der Schulden; wenn die moderne Maschinerie für den Bau von Kraftwerken, Straßen und für eine eigene Industrie gekauft wird, dann auf Kredit – und um diesen zu bedienen, in Grenzen zu halten und die Kreditwürdigkeit zu erhalten, ist die Forcierung eben jener Exporte vonnöten, von denen die Volkswirtschaft nicht mehr abhängig sein will. Zum Geschäftsinteresse der Großgrundbesitzer gesellt sich das Anliegen des Staates, der um der Industrialisierung willen Devisenbeschaffung in ganz neuen Größenordnungen betreibt, also durch Sonderkredite, Prämien und Preisgarantien die extensive Ausbeutung von Land und Leuten befördert. Der Staat, der seine agrarischen Exporte für eine matte Quelle von Reichtum hält und von dieser Quelle loskommen will, setzt sie als Mittel für sein neues Programm ein und offeriert den Exporteuren durch seine Verschuldung die Freiheit für Spekulationen und Geschäftspraktiken, die für sie alles lohnend machen und darüber ein Warenangebot für den Außenhandel sichern.

Die zweite Konsequenz heißt Inflation. Denn die Handhabung des Nationalkredits zum Zwecke der Herstellung einer funktionierenden Akkumulation ohne die Grundlage bereits lohnender Geschäfte ist eine sehr direkte Vermehrung des Kreditgeldes, weswegen auch die Prozente der Inflationsrate etwas andere Dimensionen annehmen, als sie aus dem in imperialistischen Ländern üblichen Umgang mit dem »Währungsproblem« bekannt sind. Ungeachtet der ständigen Beteuerungen aller Regierungen des modernen Brasilien, die Inflation bekämpfen zu wollen, ist man längst dazu übergegangen, die Verfallsrate der Währung in Gesetze und Verträge aller Art einzubeziehen – also einzugestehen, daß sich dieser Staat bei der »Versorgung« des Geld- und Kapitalkreislaufes nicht an der wirklich erfolgten Akkumulation orientiert. Was in manchen anderen Ländern die Fortführung der »Industrialisierung« vereitelt und sie als verfehlten Weg der »Entwicklung« zum Abbruch bringt, wird da offensichtlich nicht zum Anlaß genommen, das »Projekt«, Industrienation zu werden, aufzugeben. Der Staat richtet sich offenbar im Verfall seiner Zahlungsmittel wohnlich ein – und er verliert darüber nicht einmal das Interesse des Auslands. Er geht davon aus, daß das von ihm in Umlauf gesetzte Geld untauglich ist als verläßliche Kalkulationsgrundlage, und garantiert durch die wohltaxierte Vermehrung des Kredits doch wieder die Fortführung des Geschäfts. Eine solche Geldpolitik benützt die Finanzhoheit nicht zur Beförderung des laufenden Geschäfts und zur »Steuerung« von dessen Konjunkturen, sondern setzt sich über die Maßstäbe des Erfolgs und Mißerfolgs von Kapitalanlagen dauerhaft hinweg. Der Staat stiftet mit seiner inflationären Geldpolitik ständig Unternehmen und steht dafür gerade, daß die Anleger an der Geldentwertung keinen Schaden nehmen; daran, daß die Landeswährung eine sehr unsolide Form des Reichtums ist, will er die Geschäfte in seinem Land nicht scheitern lassen, so daß durch die Ruinierung seiner Währung die Rentabilität der Produktion sich herstellt.

Die dritte Konsequenz liegt in der Spekulation, durch die die besitzenden Klassen des In- und Auslandes den staatlichen Auftrag, durch ihre Geschäfte zur »Entwicklung« des Landes beizutragen, akzeptieren. Der Kredit fließt nicht nur reichlich, er honoriert den Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau auch im bequemen Schuldendienst; um den Anreiz zum »Einsteigen« zu erhalten, wird die Entwertung von Geld und Wertpapieren großzügig vorausberechnet und von der Staatsbank kompensiert, so daß die Akteure des so mit »Liquidität« versorgten Marktes die einheimische Währung als Durchgangsstufe einer unfehlbaren Rechnung benützen können. Sie müssen lediglich darauf achten, ihr in Geldform befindliches Kapital nicht dem Verfall preiszugeben, also ihre Guthaben in »harten« Währungen zu sichern; den Ankauf von Produktionsmitteln und Arbeitskraft vollziehen sie unter Benutzung nationalen Fremdkapitals in Landeswährung, die durch ihre staatlich vorangetriebene Inflation beim Verkauf die Freiheit der Preissteigerung genießen läßt – und das alles braucht noch nicht einmal wie in gewissen lateinamerikanischen Gegenden als »Monetarismus« veranstaltet zu werden, der auf Anraten von Milton Friedman und seinen Chicago Boys zur wirtschaftlichen Leitlinie erhoben worden ist.

Die vierte Konsequenz einer derart unbekümmerten Wirtschaftspolitik, die jeden Anleger kreditiert, wenn er nur verspricht, ein Stück nationaler Wirtschaftsmacht ins Werk zu setzen, führt der Staat aufgrund des Mißerfolgs seines projektierten Aufstiegs herbei. In der Akkumulation von Staatsschulden gewahrt er, daß er es zu einem Grad der außenwirtschaftlichen Abhängigkeit gebracht hat, gegen den sich der alte und ungeliebte Status einer bloßen »Handelsnation« fast vorteilhaft ausnimmt. Die Unterwerfung des Industrialisierungsprogramms unter die Maßstäbe ausländischer Investoren, die Einladung zur freien Benützung der »Möglichkeiten« steht an, weil der chronische Geldmangel den Männern des jeweiligen Planungsministeriums einen Unterschied zu Bewußtsein bringt: den zwischen Anleihen, die sie bedienen und zurückzahlen müssen, ohne es zu können, was die Kreditwürdigkeit in Frage stellt – und Investitionen auswärtiger Firmen und Banken. Während erstere die Auslandsverschuldung vergrößern und dem nationalen Fortschritt so viele Probleme bereiten, weisen wirkliche Investitionen diesen Nachteil nicht auf.

Allerdings gebieten sie einiges Zuvorkommen gegenüber denjenigen, die das »Risiko« auf sich nehmen, in Bergbau und Chemie, in der Auto- und Elektrobranche oder in der Viehzucht Lateinamerikas einzusteigen. Die bloße Erlaubnis und die niedrigen Lohnkosten sind denen, die kalkulieren, nämlich zu wenig. Damit ein Weltunternehmen, dem der Zugang zu vielen Anlagesphären offensteht, eine Auslandsfiliale für lohnend befindet, bedarf es schon einer gewissen Vorzugsbehandlung auf dem jeweiligen Kapitalmarkt – ein bißchen Steuerfreiheit, keine Umweltauflagen, freie Verfügung über Gewinne; ein möglichst niedriger Anteil an den Früchten des Risikos für den Gastgeber also ist schon fällig. »Auflagen« wie die, daß es an der Förderung und Verarbeitung der Rohstoffe im Gastgeberland mitzuwirken hat, läßt sich so ein Multi andererseits schon gefallen – ebenso wie er gern der »Kondition« nachgibt, weitgehend für den Export aus dem gastlichen Entwicklungsland zu produzieren: dieses Bedürfnis, das chronisch verschuldete und auf Devisenbeschaffung erpichte »Entwicklungsländer« anmelden, wird erfüllt. Flotte Realisierung der Gewinne auf dem gesamten Weltmarkt ist ebenso das Ergebnis wie die zoll- und abgabenfreie Einführung ganzer Fabrikanlagen die Voraussetzung. Die andere Abteilung des Versuchs, den Fortschritt vom »Entwicklungs-« zum »Industrieland« zu bewerkstelligen, trotz und nach der dabei erzielten Kombination von Auslandsverschuldung und Inflation, überlassen die kühlen Rechner in den Chefetagen von Weltfirmen dafür den mit ihrer Bilanz unzufriedenen Nationen. Wenn diese unbedingt dem ständig erneuerten Mißverhältnis zwischen Einnahmen und Zahlungen durch Importsubstitution begegnen wollen, so wissen Geschäftsleute Bescheid, daß dieser Entschluß sich vor jeder Gewinnrechnung blamiert. Mit der Erhebung von Zöllen auf die Waren, die im Inland produziert werden oder werden sollen, gesteht ein Land nämlich ein, daß diese Waren wegen ihrer hohen Kosten keinen Preisvergleich bestehen können; wenn zum Zwecke der Gewinngarantie Subventionen für diejenigen Unternehmen gezahlt werden, die zu teure Importgüter im Lande selber fertigen, so besagt das eben nichts anderes, als daß nichts zu teuer ist, wenn es ohne Devisen finanziert werden kann. In Brasilien, dem Musterland der hier skizzierten »Entwicklung«, sind die Techniken zum Anheizen von Staatsausgaben damit gerechtfertigt worden, daß »die Auslagen in Cruzeiros anfielen und Ausgaben in US-Dollars für Importe verringerten« – so im Falle eines Werks zum Abbau und zur Verhüttung von Kupfer. Mit dem Gütesiegel mutiger und vorwärtsweisender Experimente wurde die Herstellung von Autotreibstoff aus Zucker und von Dieselersatz aus pflanzlichen Ölen versehen. Die Kosten für Charterschiffsraum, die zum Defizit in der Leistungsbilanz beitrugen, waren der Anlaß für den Aufbau einer nationalen Werftindustrie, die nun bei der Feier ihres 25jährigen Bestehens über Nicht-Auslastung ihrer Kapazitäten klagt – denn inzwischen ist dem Wirtschaftsministerium klar geworden, daß solche Projekte das Importvolumen erheblich steigern. Sparprogramme sind an der Tagesordnung, das »Schwellenland« bekennt, sich übernommen zu haben.

Das Fazit des zum Regierungsprogramm gewordenen Wunsches nach »Entwicklung« ist im übrigen jedem Zeitungsleser bekannt. Aus dem brasilianischen »Wirtschaftswunder« ist – nationalökonomisch betrachtet – wie aus anderen Ländern derselben Bauart ein Konkursbetrieb geworden, der für die Nation nicht als Quelle von Gewinn, sondern nur zur Akkumulation von Verbindlichkeiten taugt. Daß dieser Betrieb weltweit anerkannt und kreditiert wird, die Nation also nicht von einem internationalen Gerichtsvollzieher ihrer Auflösung zugeführt wird, liegt allerdings nicht am Idealismus ihrer Macher, sondern daran, daß er sich für die auswärtigen Gläubiger und ihren Materialismus lohnt. Denn deren Rechnungen gehen allesamt auf, vom Abtransport der »natürlichen Reichtümer« bis zu den in die exotischen Landschaften gestellten Fabrikhallen. Und auch die Gastgeber, die Verwalter des fortschrittlichen »Entwicklungslandes«, fahren nicht schlecht, auch wenn sie nach Jahren der Unterwerfung ihres Landes unter die Kriterien des Weltmarkts ihre Wirtschaft für »überfremdet« halten und mehr nationale Erträge wünschen, für die sich immer auch die politische Konkurrenz stark macht.

Genau umgekehrt sehen es allerdings die engagierten Investoren und Kunden des imperialistischen Auslands, sobald die Akkumulation von Schulden in »Entwicklungsländern« das Funktionieren des weltweiten Kreditüberbaus zu beeinträchtigen droht. Ihnen erscheint angesichts der Zahlungsunfähigkeit, welche die Konten von Geschäfts- und Nationalbanken erschüttert – Banken, die mit einer Krise, also eingeschränkten Anlagemöglichkeiten des von ihnen gehandelten Kredits konfrontiert sind und mit Verlusten kalkulieren –, der national verwirtschaftete Anteil am Geschäft zu hoch. Zur Vermeidung des Vertrauensschwundes in den Kredit, der weiterhin als Kapital taugen soll, beschließen die Sachwalter kapitalisierter und kapitalisierbarer Schulden, daß die Zahlungsunfähigkeit auf keinen Fall festgestellt und exekutiert werden darf. Unter ausgiebiger Verkündung von rührenden »Hilfsangeboten« an die insolventen Geschäftspartner verlängern und erweitern die maßgeblichen Geldinstitute und ihre nationalen Beaufsichtiger die Kredite – und erbitten sich bei den Konkursnationen die Bedingungen für die Fortführung des geregelten Verhältnisses zwischen Gläubiger und Schuldner: und die heißt Senkung oder Tilgung des in den »Entwicklungsländern« verbleibenden Ertrags. Damit wird zwar die Zahlungsfähigkeit nicht hergestellt noch gesteigert, stattdessen die Verfügung über Kredit und der Umgang mit ihm den Behörden und privaten Interessenten vor Ort untersagt. Wo diese über »Überfremdung« klagen, werden sie darauf hingewiesen, daß ihr Kapital nie etwas anderes war als ein konzessioniertes Geschäft, zu dessen Fortführung sie nun offensichtlich nicht mehr in der Lage sind. Den nationalistischen Projektemachern wird bedeutet, daß sowohl ihre wirtschaftspolitische Souveränität wie die Gewinne ihrer besitzenden Klasse überflüssig geworden sind – und einschneidende Maßnahmen der Expropriation anstehen: Umschuldungsverfahren und die Unterstützung ganzer nationaler Führungsmannschaften finden über den IWF oder durch bilaterale Abkommen statt – jedoch unter der Bedingung, daß das Geschäft seine Rentabilität ausschließlich im imperialistischen Ausland beweist. Als faux frais für dessen Interessen werden sämtliche nationalen Ansprüche behandelt, also sehr sparsam, was die Teilhabe der mexikanischen, brasilianischen oder anderer Staatsgewalten am ökonomischen Ertrag der stattfindenden Produktion betrifft. Sie sollen regieren und ihr Volk beaufsichtigen, die jeweiligen Souveräne, aber ihre Träume von nationaler »Entwicklung« aufgeben; ihre Exporterlöse sind, kaum gebucht, immer schon verpfändet; und wie ihr nächster Haushalt aussieht, wird nicht mehr in ihrer Hauptstadt beschlossen. Die finanzielle Souveränität über Geschäfte in ihren Ländern wird ihnen genauso entzogen, wie sie den in der Phase der Entkolonialisierung geschaffenen Souveränen einst übertragen wurde, so daß sich die regierenden Nationalisten in eigenem Interesse mit der Kolonialisierung unter dem weltweiten Kreditsystem abfinden müssen und in der Bedienung der Schulden beim engagierten Ausland die Prioritäten berücksichtigen dürfen, die mit der Hierarchie der »Industrienationen« und ihrer Gewalt feststehen.

Etwas anders sieht es schon immer für die Manövriermasse der »Entwicklung« aus. Das Volk bekommt nämlich die Anstrengungen seines Souveräns, durch die Beteiligung am internationalen Kapitalmarkt die Größe der Nation zu mehren, in aller Härte zu spüren. Daß es in Ländern mit diesem Programm ein »Privileg« darstellt, überhaupt zu den Lohnarbeitern von VW, Bosch oder Philip Morris zu gehören, sagt schon einiges über die Rücksichtslosigkeit aus, mit der jeder Schritt der Modernisierung gegen die Bevölkerung durchgesetzt wird. Die Verhältnisse, unter denen ein Bauer weitgehend außerhalb des Zugriffs staatlicher Verwendung seines Lebensbereiches, also ohne »in die Geldwirtschaft integriert« zu sein, sich und seiner Familie ein Auskommen sichern konnte, sind gründlich überwunden. Wo neue Industriezentren entstehen, hört das Leben auf. Außer für die Minderheit, die als Bewerber um einen Arbeitsplatz erfolgreich ist, nachdem sie den Musterungstest bestanden hat, ist die Existenz, das schiere Überleben eine äußerst fragwürdige Angelegenheit. Hunderttausende »wohnen« in den obligatorischen Slums rund um das betreffende Industriegebiet und befleißigen sich der seltsamen Ernährungsgewohnheiten, die den politischen Wortführern der Weltwirtschaftskonferenzen und der Entwicklungsgipfel das Material liefern, wenn sie das »Welthungerproblem« angehen. Die Behandlung des übrigen Landes nach dem Kriterium, ob es für devisenträchtige Rinderzucht, als Nebenerwerb von VW zum Beispiel, taugt oder eher für großzügigen Sojabohnenanbau, führt zu nicht minder harten Resultaten. Unter diesen Gesichtspunkten, die der Staat im Verein mit den interessierten Politikern und Wirtschaftsmanagern aus den USA und Europa zur Anwendung bringt, ist noch der letzte Flecken Erde im tiefsten Amazonien zu schade, um als Lebensmittel irgendwelchen Subsistenzbauern überlassen zu bleiben. Was dem politischen Souverän zugestanden wird – daß er sich und diejenigen, die für das Funktionieren der Ordnung zuständig sind, erhält –, ist eben für das in die »Weltwirtschaft« einbezogene Menschenmaterial keine Selbstverständlichkeit. Die Zerstörung der überkommenen Produktionsweisen führt nämlich sehr unmittelbar zur Verelendung, und nur sehr unbekümmerte Apologeten der »Entwicklung«, die in der Verwandlung von ganzen Kontinenten in Anlagesphären ihren Inhalt hat, vermögen diesem Prozeß die Schaffung von Arbeitsplätzen als Zweck zuzuschreiben, um dann Mißernten, ökologische Katastrophen oder gar die gestiegenen Ölpreise für die »Schattenseiten« verantwortlich zu machen.

Die Lüge, daß in den »Entwicklungsländern« Armut und Elend vorfindlich und ein moralischer Auftrag für diejenigen seien, die »mit 10 DM einem Bauern eine Hacke stiften« (dieser schöne Vorschlag stammt von Bundespräsident Karl Carstens im Rahmen eines Aufrufs zur »Welthungerhilfe«), kontrastiert zwar offenkundig mit der Tatsache, daß die Wirtschaftspolitik der »Industrienationen« jene Armenhäuser als lohnende Anlagesphäre erst dahin gebracht hat, daß ihnen das »Hungerproblem« quasi als ihr Begriff und die »Bevölkerungsexplosion« als ihr Fehler zugesprochen werden kann. Dennoch gelten eher die Aussagen dieses Buches als zynisch, als daß einem demokratischen Staatsmann einmal etwas Ehrenrühriges nachgesagt wird, wenn er die von seiner Wirtschaftspolitik für »Entwicklungsländer« angerichteten Schäden als leider noch unzureichende Hilfe bezeichnet und die Opfer der Caritas seiner Untertanen anheimstellt. Während die Vollstreckung des kapitalistischen Maßstabs der Nützlichkeit an Millionen Menschen, ihre Scheidung gemäß der Brauchbarkeit für die Vermehrung fremden Reichtums von den Moralisten der Entwicklungshilfe als Versäumnis und Unterlassung verharmlost wird, verfallen die Idealisten einer nützlichen und guten Herrschaft angesichts der Terrorisierung, in deren Genuß die hungernden Massen bei jeder oppositionellen oder bloß störenden Regung auch noch gelangen, auf eine andere Kritik: sie vermissen Demokratie in den »Entwicklungsländern« und fordern die Menschenrechte für die geschundenen Kreaturen in fremden Kontinenten. Daß sie es bei den Zuständen, über die sie sich empören, mit einem genuinen Produkt der Demokratien zu tun haben, die Weltwirtschaftsgipfel veranstalten und deren Führer bei Gelegenheit – wie im Herbst 1981 in Cancun – über eine »Welternährungsstrategie« diskutieren, sei an dieser Stelle nochmals vermerkt.

7. Ungeachtet dessen, was aus der Natur und den Menschen wird, sobald sie zum Material des Weltmarkts deklariert sind, vermehrt sich außer dem Reichtum der »Industrienationen« auch die Anzahl der Subjekte, die an der Weltpolitik mitwirken. Sowenig die dem Kolonialsystem entsprungenen Souveräne über eine ihren Ambitionen entsprechende ökonomische Grundlage verfügen, so sehr wird ihnen mit der Anerkennung ihrer Zuständigkeit für die Ordnung in ihrem Herrschaftsbereich jene höchstförmliche Berechtigung zuteil, im Namen ihrer Nation, von Staat zu Staat, Beziehungen zu unterhalten und Interessen zu verfechten. Die Quellen für ihre Anliegen und Beschwerden sind kein Geheimnis: geworben und gefeilscht wird zuallererst um die Behebung ihrer Armut, wobei sich mühelos der Standpunkt der nationalen Zahlungsbilanz mit dem Elend der Massen verknüpfen läßt, deren politisches Mandat in der UNO so vielfältig vertreten wird. Entsprechend dem Vorbild der großen Demokratien, in denen schon längere Zeit der Grundsatz gilt, daß die Abhängigkeit der Untertanen von ihrem Staat dessen Erfolg zum Anliegen aller werden läßt, blüht unter Berufung aufs Volk daheim der Nationalismus der »Dritten Welt« auf – und gerät zur offenkundigen Farce. Denn die an der diplomatischen Börse repräsentierten »Bürger« sind gewöhnlich nicht nur mit Nahrungsmitteln, sondern auch mit der Kenntnis des Alphabets kaum ausgerüstet, so daß der politische Wille ganz getrennt in der Hand der Regierung liegt und als der des Volkes daheim in allerlei brutalen Techniken mobilgemacht werden muß – wenn er nicht für überflüssig erachtet wird.

Das Werben um besondere Berücksichtigung, das Staatsmänner der »Dritten Welt« in den hohen Zeiten der »Entwicklungspolitik« betrieben haben, hat von Anfang an darunter gelitten, daß ihnen außer speziellen Konditionen der Nutzbarmachung ihres Landes kein Mittel zu Gebote stand, die Aufmerksamkeit der »reichen Nationen« auf sich zu ziehen. Bei den einschlägigen Offerten verfielen sie, als gelehrige Schüler diplomatischen Verkehrs, zwar auf die Möglichkeit, die Interessen gegeneinander auszuspielen und ihre Nation als Mittel für den Meistbietenden »auszuschreiben«; doch konnte ihnen die Wahrheit des Weltmarkts nicht lange verborgen bleiben: die Wirklichkeit entpuppte sich als Konkurrenz der »Armen« um wohlwollende Rücksichtnahme auf ihre nationalen Ressourcen. So gibt jeder Almanach Auskunft darüber, wieviel Bodenschätze und verfügbare »Arbeitskräfte« von den Gestaltern des Weltmarkts bisher zumindest nicht für geschäftsfähig erachtet werden.

Deshalb ist auch manchem Regime aus der »Dritten Welt« die Alternative in den Sinn gekommen, die der prinzipielle Gegensatz zwischen dem freien Westen, d. h. den ihn bestimmenden Wirtschaftsmächten USA und Europa, und dem realen Sozialismus eröffnet. Ob sich die nationalen Anliegen nicht besser an der Seite der Sowjetunion realisieren lassen – mit dieser Überlegung hat die Volksrepublik China den ersten Abschnitt ihrer nationalen Entwicklung bestritten. Mit dem Ideal des Sozialismus, der als offizielles Ziel schon für den Befreiungskampf nach der Spaltung von der Kuomintang ins Auge gefaßt wurde, machte die Partei um Mao Tse-tung insofern ernst, als sie sich – einmal an der Macht – so gut wie gar nicht auf die Geschäftsbedingungen des Weltmarkts einließ. Was den »Aufbau des Sozialismus« in China anbetraf, setzte die KP auf russische Hilfe, und wenn Notwendigkeiten der elementarsten Versorgung etwa zu Getreidekäufen zwangen, so wurde die Integration in den internationalen Geld- und Kreditmarkt prinzipiell vermieden, statt dessen mit Gold bezahlt. Das »Bauen auf die eigene Kraft«, die Kalkulation mit der Arbeit von Millionen Chinesen als sicherer Reichtumsquelle sollte den Weg zur nationalen Größe bereiten, welche eine Zeitlang als unmittelbar identisch mit den Interessen des Volkes gelten konnte: schließlich hatte der »Sieg im Volkskrieg« nach Jahrzehnten des Kampfes wieder die Perspektive des Lebens eröffnet! Der Bruch mit Moskau gründete nicht in einer Gegnerschaft, die aus ökonomischer Benutzung zum Schaden der Chinesen resultierte, so daß sich die chinesische Führung im Namen ihres Volkes gegen die Ruinierung ihrer Wirtschaft durch sowjetische Bereicherungspraktiken zur Wehr setzen mußte. In der Auseinandersetzung zwischen den Regierungen wurde auch nicht über den Nutzen sowjetischer Techniker und Werkzeuge gestritten, oder um die Ausgleichung der chinesischen Handelsbilanz. Im Interesse des weltpolitischen Kurses, den Kommunisten gegenüber dem imperialistischen Lager einzuschlagen haben, konfrontierte die KP Chinas den Kreml mit dem Vorwurf des »Großmachtchauvinismus«, ereiferte sich gegen die russische Strategie, über die Konkurrenz der Rüstung den Frieden sichern zu wollen – und bezichtigte die Sowjetunion nicht nur der Sabotage an nationalen Befreiungsbewegungen, sondern auch der »Zusammenarbeit« mit den USA, des »Entgegenkommens« in der »Atomerpressungspolitik«, um »das sozialistische China an der Schaffung seiner nuklearen Verteidigungsstreitmacht zu hindern.« (Die chinesische wie die sowjetische Position, auch in bezug auf die Politik des sozialistischen Aufbaus, ist der »Polemik über die Generallinie« zu entnehmen.) Seiner Stellung zur internationalen Politik nach verrät ein solcher Einwand gegenüber der Sowjetunion durchaus das nationale Anliegen, auch im sozialistischen Lager möglichst schnell das gesammelte ökonomische und militärische Arsenal einer schlagkräftigen Souveränität zur Verfügung zu haben. Selbst in den Punkten, wo die KP Chinas den sowjetischen Umgang mit Befreiungsbewegungen und potentiellen Partnern in Afrika geißeln und den sehr berechnenden, aber wenig revolutionären Kurs der Weltmacht Nr. 2 treffen wollte, lag ihr sehr wenig an der Unterscheidung zwischen den betreffenden Politikern und den betroffenen Völkern, sehr viel jedoch an einem Internationalismus, der nach guter Sitte proletarisch hieß und als Respekt zwischen Staaten, »Nicht-Einmischung« und »eigener Weg« gemeint war.

Daß sich mit einer gegen den Imperialismus erkämpften Souveränität nicht auch gleich die Wucht weltpolitischer Bedeutung einstellt, welche die führenden Nationen des Westens über Kolonialismus, Krieg und kapitalistische Akkumulation daheim, die Sowjetunion durch einigen staatlich akkumulierten Reichtum und dessen Einsatz für die Selbstbehauptung als Militärmacht erlangt hatten, blieb auch nach der Spaltung des kommunistischen Blocks das Problem chinesischer Staatsmänner. Während es ihnen nach innen stets gelang, den speziellen Patriotismus des Volkes über alle Konkurrenzkämpfe um die Führung hinweg zu mobilisieren und unter der Losung »Die Massen vermögen alles« die Perspektive eines großen China im Jahre 2000 zu entwerfen, gewahrten sie durchaus und trotz einiger Atomversuche und eines Satelliten, der die Internationale vom Himmel herunterspielte, die Beschränktheit ihrer Rolle in der Welt. Daß nicht »nur« die Russen daran schuld waren, daß das »große China« nicht zustandekam, ist ihnen allerdings in eigenartiger Weise zu Bewußtsein gekommen. Nach einer Kulturrevolution, in der die politische Moral als eine Produktivkraft galt, die Wissenschaft und Technik ohne weiteres ersetzt; in der die Erfahrung der einfachen Knochenarbeit gegen alle rationelle Produktion hochgehalten wurde, standen sie mit einigen Prestigeobjekten chinesischer Schöpferkraft und einer revolutionären Operettenkultur, ansonsten aber mit einer Ökonomie da, die nicht einmal die kontinuierliche Subsistenz der Massen gewährleistete. Der Hauptfeind Sowjetunion erfreut sich mit seinem »kapitalistischen Weg« zwar weiterhin der chinesischen Feindschaft, die sich auch gelegentlich in der Unterstützung von antisowjetischen Befreiungsbewegungen und Nationen der »Dritten Welt« äußert – die Mittel jedoch, die die KP Chinas so schmerzlich vermißt, um das Ihre zur Weltrevolution beizusteuern, hofft sie über den Wechsel ins Lager der »Entwicklungsländer« zu gewinnen. Die Wende der chinesischen Außenpolitik, die im übrigen während des Vietnamkrieges eingeleitet wurde, nimmt sich wie die Karikatur einer Selbstkritik aus: Eine nationale Führung, die mit Parolen wie »Der amerikanische Imperialismus ist von den Völkern der Welt umzingelt«, ». . . sitzt auf einem Vulkan«, ». . . ist der bestialischste Feind der Völker der Welt« die Weltpolitik auf den Kopf stellen wollte, wirbt inzwischen um die ökonomische und politische Indienstnahme ihrer Gesellschaft – durch die USA und Europa. Ausgerechnet darüber soll im Verein mit der unerbittlichen Gegnerschaft zur Sowjetunion aus China etwas werden!

Die ersehnte »Unterstützung« wird China seither auch zuteil – allerdings mit einer Maßgabe, deren Wucht offenbar sogar der »reformfreundlichen« Führung einen gewissen Eindruck gemacht hat: Sie geschieht, wenn überhaupt, zu den Konditionen der westlichen Polit- und Geschäftswelt, die es in sich haben. Beispielsweise als Export»chance«, für die die westlichen Abnehmer Gebrauchswert und Preis diktieren; als Güterlieferung, für die dasselbe gilt; als Kredit, der dem Land mit jedem so finanzierten Fortschritt erweiterte Zins- und Tilgungsverpflichtungen, erweiterten Kreditbedarf und eine entsprechend erweiterte Geschäftemacherei mit der »Volkskraft« auferlegt, auf die die Führung dieser Volksrepublik ja seit jeher baut. Das politische Ideal, aus China eine respektierte Macht werden zu lassen, wird auf diese Weise wahrgemacht. Auf seinen Realismus reduziert, erlaubt es der souveränen Staatsgewalt in Peking, als bedingter Teilhaber des Nutzens aufzutreten, den die Führungsmächte von Weltwirtschaft und Weltfrieden aus der strategischen Bedeutung, den Bodenschätzen und einer beschränkten Benutzung des so umfänglichen Volkes ziehen.

8. Auch andere Länder haben den Irrtum, der Ost-West-Gegensatz ließe sich für ihre »Entwicklung« ausnützen, längst gebeichtet. Allerdings ist ihr »Lernprozeß« nicht so spektakulär verlaufen wie der chinesische. Nationen wie Ägypten haben keine weltkommunistische Strategie erfunden und sich deswegen mit der Sowjetunion zusammengetan und auseinandergesetzt. Dem Staatsmann Nasser erschien seine nationale Sache zunächst einmal, wie anderen Potentaten der arabischen Welt auch, durch den Staat Israel gefährdet. Von dem Bündnis mit der Weltmacht Nr. 2 erwartete er sich die militärische Garantie der ägyptischen »Entwicklung«, und was dieser an ökonomischen Mitteln fehlte, sollte durch die Nationalisierung des produktiven Eigentums, Handel mit dem Westen und dem Osten sowie dessen Hilfe zur Herstellung größerer Produktivität vor allem in der Landwirtschaft geschaffen werden. Die Bekehrung, die Lösung der politischen »Bindung« an die UdSSR, die Sadat vornahm, ist das Ergebnis verlorener Kriege, akkumulierter Schulden und der Sorge um ein Denkmal sowjetischer Entwicklungshilfe, den Assuan-Staudamm, über dessen Nutzen und Kosten die Gelehrten ökologisch-ökonomisch streiten. Daß man als Freund Amerikas besser fährt, ist inzwischen weltweit zum weitsichtigen Vermächtnis Sadats erklärt worden. Und dieser Erkenntnis schlossen sich auch Staaten an, die sich von den militärischen Zuwendungen der Sowjetunion Erfolge in der Bestreitung ihres lokalen Nationalinteresses versprachen, dabei aber auf keinen grünen Zweig kamen, sei es, daß sie der politischen Feindschaft der USA und ihrer Freunde nicht gewachsen waren, die ökonomische Grundlage ihres Gemeinwesens den Dienst versagte oder beides!

Gerade die arabischen Staaten liefern für die sehr beschränkten Perspektiven, die ein in die außenpolitische Selbstbehauptung verwandelter Nationalismus, der Anspruch auf Erhaltung und »Entwicklung« nationaler Größe hat, die eindeutigsten Materialien:

– Ihr Panarabischer Internationalismus betätigt sich als negative Gemeinsamkeit gegen Israel, mit dem der freie Westen – sogar noch unter Zustimmung der Sowjetunion – eine militärisch-strategische Gründung gegen den Einspruch ihrer geballten Souveränität vorgenommen hat; eine Gründung, gegen die mehrere Kriege, finanziert durch Öleinkünfte und mit Waffenhilfe der Sowjetunion, nichts ausrichten konnten.

– Ihrem positiven Inhalt nach verweist diese Gemeinsamkeit nicht auf ein materielles Interesse einer nationalen Ökonomie, von der sich die Untertanen abhängig wissen und um dessentwillen sie zu Parteigängern ihres Staates werden. Im Idealismus des gemeinsamen Glaubens, des Islam, gründet die militante Bereitschaft, der »arabischen Sache« zum Recht zu verhelfen.

– Dem Staat und dieser »Sache« zu dienen, wird zur einzig sicheren Erwerbsquelle, wo das Öl und sein Abtransport die ganze Ökonomie der Nation definiert: Ein Ölstaat unterhält eine Militärgesellschaft, und seine auf die Kontinuität der Einkünfte gerichteten Interessen bringen die Solidarität der Moslem-Brüder verschiedener Nationalität bisweilen ins Wanken;

– und zwar einerseits im Rahmen des anti-israelischen Programms, bei dem die Ölpotentaten die Finanziers spielen, auf die »Weltwirtschaft« Rücksicht nehmen und sich von ihrer westlichen Kundschaft auch einmal zur Sanftmut überreden lassen – während die Habenichtse an der radikalen Verfolgung der »Sache« Gefallen finden,

– andererseits im Rahmen der Konkurrenz um das Geschäft, das die Nutznießer des Öls zum institutionalisierten Streit in der OPEC, ihrem Bündnis, bewegt.

So ist dafür gesorgt, daß aus der Kombination und Wechselwirkung dieser Gesichtspunkte des arabischen Nationalismus ein Konfliktherd entsteht, der durch die Konkurrenz um die Macht in den einzelnen Staaten ständig zusätzlich geschürt wird. Mit russischen, europäischen und amerikanischen Waffen und mit islamischen Argumenten finden Rebellionen und Zerwürfnisse, Regierungswechsel und Kriege statt. Während Israel mit den USA im Rücken darüber sein Territorium vergrößert hat, die UdSSR immer mehr Abstand davon nimmt, die Verfechter des militanten Islam zu kriegerischen Taten zu ermuntern – sie wollte Ägypten glatt von seinem letzten Waffengang mit Israel abhalten –, aber in Syrien und Libyen noch Gerät zur Verfügung stellt, während im Iran eine islamische Revolution über die Bühne ging, versuchen die in ihrem Nationalismus wenig erfolgreichen Akteure des Nahen Ostens aus ihrer Lage das Beste zu machen. Manche mit einem ganz ihrer Souveränität gewidmeten Krieg, andere mit mehr oder minder regelmäßigen Waffengängen gegen Israel, ein dritter (Gaddafi) verteidigt seinen Luftraum gegen US-Manöver – und in gewissen Regierungen reift die Einsicht, daß der eigenen Geltung am besten gedient ist, wenn man dem freien Westen im Interesse einer »Nahost-Lösung« behilflich ist, sich zum »Sicherheitsfaktor« ausrüsten läßt und den Anteil an den Ölpreisen moderat beziffert.

Als Zeichen ihrer Schwäche wollen Staatsmänner aus den »Entwicklungsländern« ihre weltpolitischen Niederlagen und Rückschläge, ihre Kurskorrekturen und Frontwechsel allerdings nicht auffassen. Immerhin betätigen sie sich auf diese Weise als »politischer Faktor« und erfreuen sich der Aufmerksamkeit an der diplomatischen Börse. Alles, was sie tun oder lassen, wird ja nicht daran gemessen, ob es den jeweiligen Untertanen bekommt. Ob sie sich wieder einmal eine Maßnahme zur Stabilisierung ihrer Währung oder eine zur Festigung der Ordnung im Lande einfallen lassen, ob sie einen Atomreaktor bauen oder eine Wahl ausschreiben – stets gewahren sie, daß mit dem weltweiten Interesse an ihren Ländern von ihnen das eine oder andere Vorgehen verlangt oder mißbilligt wird, also ihre Souveränität gefragt ist, wenn sie dem Sorgerecht der Großmächte anheimfallen und zu Urhebern oder Faktoren von allerlei Krisen ernannt werden.

Vom Standpunkt der Schädigung, die ihrer Staatskasse bereitet wird, unter dem Gesichtspunkt der Einschränkung, die ihre Handlungsfreiheit erfährt, entdecken sie deshalb nicht allein die härtesten Techniken der Konkurrenz – die bisweilen bis zur »Gefahr für den Weltfrieden« reifen –, sondern auch die Notwendigkeit von Bündnissen. Die Ölländer, über deren Bedeutung in der Welt schon die Charakterisierung ihrer Wirtschaft durch einen Stoff alles sagt, haben sich zur OPEC zusammengetan, innerhalb derer sie nun ihren Streit um Preise und Förderquoten abwickeln. Afrikanische Führer haben den gleichartigen Umgang, der ihnen von Seiten der Weltmächte und besonders durch Südafrika zuteil wird, in das gemeinsame Interesse aller Afrikaner umdefiniert. Und aus dem Vergleich mit dem Erfolg ihrer gewichtigen Handelspartner, den sie bestehen wollen, sind gemeinsame Ansprüche in bezug auf die Behandlung im Kommerz erwachsen; so gibt es einen gemeinsamen Markt für Zentralamerika, AKP-Staaten (die sich als Unterzeichner des Lomé-Abkommens definieren) und anderes mehr. Die Mitgliedschaft in einem Militärbündnis erscheint manchen Souveränen wie eine Überlebensgarantie – und die Spekulation auf bessere Konditionen ihrer staatlichen Existenz in Abhängigkeit vom Weltmarkt des Westens und auf die hilfreiche Funktion des Ostens hat ganz viele Staaten zur Bewegung der Blockfreien zusammengeführt. Viel bewegt hat sich da freilich nicht; das Aufregendste war wohl die Wahl eines roten Vorstands. Denn um Forderungen vorzubringen und durchzusetzen, fehlen den versammelten Repräsentanten der »Entwicklungsländer« genauso die Mittel wie jedem einzelnen unter ihnen; zudem versagt die »Drohung« mit der Orientierung am Osten – falls sie in Erwägung gezogen wird – immer ihren Dienst. Der Ostblock ist weder willens noch in der Lage, den Bedürfnissen jener Herrschaften dauerhaft zu entsprechen; die einschlägigen Versuche jedenfalls, Ernst zu machen mit der alternativen Sorte weltpolitischer Zusammenarbeit, scheitern regelmäßig daran, daß die Sowjetunion »zu wenig« zu bieten hat, wenn sie auf Freundschaft aus ist – und daß der freie Westen jedem Versuch mit ökonomischen und militärischen Manövern ein Ende bereitet. Deshalb ist Kuba auch keine Bastion, die die USA in Verlegenheit bringt, sondern ein Zuschußbetrieb für die Sowjetunion. Wenn überhaupt eine Partnerschaft mit ihr Bestand hat, dann nicht durch Geschäft, sondern auf Grundlage von Kosten!

Die Illusion, gemeinschaftlich politisch kalkulieren zu können, haben die »Blockfreien« einzeln und in Gruppen selbst begraben – zumindest was Kalkulationen anlangt, die auf eine wie immer geartete Stärke gegenüber dem freien Westen abzielen, der ihnen ihre Herrschaft konzessioniert. Denn wenn im Pentagon und im Entwicklungshilfeministerium jede Million Auslandskapital, Kredit oder zusätzliche Spesen für die auswärtige Ordnung und ihr »Überleben« als »Kampf gegen den Kommunismus« firmiert, in dessen Hände der Hunger die Menschen treibt, so stimmt die Umkehrung dieser Ideologie noch lange nicht. Und schon gar nicht gelingt der praktische Vorstoß, mit der Abwanderung ins andere Lager zu drohen – eine solche Politik erfreut sich noch allemal der herzlichsten Kriegserklärung durch die zuständige Weltmacht.

9. Was die Instanzen und Gremien der »Entwicklungsländer«, im Rahmen der UNO und außerhalb, zustandegebracht haben, beschränkt sich auf die Klage, das Elend in ihren Breiten nicht steuern zu können und Opfer einer verkehrten und ungerechten »Weltwirtschaftsordnung« zu sein. Von dem Bemühen, sich an der Seite der Sowjetunion eine neue Geschäftsgrundlage zu verschaffen, haben sie nicht viel gehalten – im Gegenteil. Anklagen gegen die Weltmacht Nr. 2 sind vorgebracht worden. Als ob nicht das Tun der imperialistischen Partner, sondern die Unterlassungen des Ostens für die Ruinierung der Völker verantwortlich seien, haben die Herrschaften, die das Regieren ihrer verelendeten Landsleute über alles schätzen, den Protest angemeldet, dessen Herkunft eine ausgemachte Sache ist: Während die USA und Europa immerhin soundsoviel Prozent ihres Bruttosozialprodukts wohltätig in die »Dritte Welt« stecken, so die Botschaft, verlassen den Ostblock höchstens ziemlich kalorienarme Waffenlieferungen in Richtung Süden.

Damit haben sie ihren Beitrag zur intensiven Führung des »Nord-Süd-Dialogs« geleistet, in dem ihnen Gelegenheit gegeben wird, sich als Geschöpfe der Weltpolitik und entsprechend ihrem Existenzgrund aufzuführen – und zwar im exklusiven Gespräch mit denen, die seit einigen Wirtschaftsgipfeln den Lauf der Dinge auch im »Süden« verantwortlich fortschreiben. Ein anderer Beitrag stammt aus den Kreisen jener kritischen Idealisten im freien Westen, die »Entwicklungspolitik« schon immer am hehren Zweck des Helfens messen, deswegen für sie eingetreten sind und seit geraumer Zeit bemerken, daß ihr Erfolg nicht in der Minderung des Elends liegt. Ihre Anregung, daß es so wohl nichts nütze, Milliarden auszugeben, haben die offiziellen Entwicklungspolitiker aufgenommen und befunden, daß Entwicklungshilfe »ein Faß ohne Boden« sei. Diese zunächst inoffiziellen Feststellungen gaben dann auch die Diskussionsgrundlage für das Nord-Süd-Gipfeltreffen in Cancun ab, das zu dem großartigen Beschluß führte, »globale Verhandlungen« in Angriff zu nehmen. Während der westdeutsche Außenminister mit einem Redebeitrag brillierte, der mit Hungerstatistiken und -prognosen nur so gespickt war und kundig als Erörterung einer »Welternährungsstrategie« dargeboten wurde – »arbeitsintensive Landwirtschaft in den Entwicklungsländern« hieß dann der »Bonner Vorschlag« –, wartete der Präsident der USA mit einer Empfehlung auf: »Reagan empfiehlt freie Wirtschaft«, und er wollte das als »Absage an die Wünsche der Dritten Welt« verstanden wissen. Willy Brandt »dämpfte die Erwartungen«, und der Papst richtete dringende »Appelle zur Lösung des Hungerproblems« an die Welt: »Die Ernährung ist ein Grundrecht« – so seine tiefergehende Einsicht. Frankreichs Mitterrand ließ alle »Verdammten dieser Erde« in einem Aufruf grüßen. Nur die Vertreter der anwesenden »unterentwickelten Länder« hielten unter der Wortführung Chinas an der Vorstellung fest, sie wären auf einer Versammlung, auf der ihnen Gehör geschenkt wird und sie in ihren Gesprächspartnern Leute vor sich haben, die ihre Ansprüche würdigen. Daß die Modalitäten ihrer Herrschaft von den anwesenden Regierungschefs der freien Welt geklärt und bestimmt werden müssen, ist ihnen offenbar in den Wirren von 20 Jahren »Entwicklungshilfe« klar geworden – und diese Erfolgsmeldung in bezug auf die Leistung ihrer weltpolitischen Strategie nahmen die Führer des Westens entzückt zur Kenntnis. Ihr Blick richtete sich nach vorn, und Cancun wurde ein Erfolg.

– Die Tatsache, daß die Sowjetunion in der »Dritten Welt« einfach nichts zu bestellen hat und auch kaum mehr Sympathien genießt, wurde wieder einmal gründlich gewürdigt mit der aufgeregten Frage: »Warum sind die Russen nicht da?« Allerdings nicht ohne den Hinweis darauf, daß die weltpolitische Flurbereinigung noch eine Handvoll Restposten aufweist; einer davon, Angola, erhielt Besuch aus Südafrika, einem treuen Partner, auf den sich der Westen noch immer verlassen durfte in heiklen Situationen auf dem schwarzen Kontinent.

– Breiten Raum räumten die Repräsentanten der USA und Europas der offiziellen Desillusionierung über die bisherigen Leistungen der »Hilfe« ein. Aber nicht in dem Sinne, daß nun eine Welle von Care-Paketen über die hungerleidenden Völker hereinbrechen sollte. In Cancun wurde ein »neuer Umgang« mit den »Schwierigkeiten« der »Entwicklungsländer« in diplomatische Formeln gepackt, ein Umgang, der Zweck und Mittel ohne große ideologische Umschweife ins Verhältnis setzt und seit geraumer Zeit praktiziert wird. Der freie Westen hat aus dem »Mißerfolg« der Entwicklungshilfe – sie beseitigt nirgends die vielbeklagte Armut – den Schluß gezogen, daß man dann auch die einschlägigen Spesen sparsamer handhaben kann. Zumal die Bittsteller klar und deutlich zum Ausdruck gebracht haben, daß auch für die »Gewinnung« der »Dritten Welt«, für ihre reservierte Haltung gegenüber Moskau keine Zuwendungen notwendig sind. Sie argumentierten allesamt wie Einflußsphären, die ihren Platz in der Weltpolitik »gefunden« haben, und sie distanzierten sich von jeder »Einmischung« in ihre Angelegenheiten.

– Der Grund für die so gerechtfertigte Sparsamkeit wird selbstverständlich nicht nur den Bürgern in den »Industrieländern«, sondern auch den Partnern aus Übersee erklärt. »Wir haben selbst Probleme«, heißt er, und unumwunden werden sie erläutert. Die »Weltlage« geht mit der »Kriegsgefahr« schwanger, die Sicherheit kostet Geld, darauf muß unsere Wirtschaft eingestellt werden, und kein Bürger bei uns hätte Verständnis für sein Opfer, wenn wir erwiesenermaßen unsinnige Entwicklungshilfe zum Fenster hinauswerfen würden. Die Praxis dieser Darlegungen, die den Chinesen in Cancun sicher eingeleuchtet haben, besteht in der Streichung sämtlicher Zusatzkosten, die – ohne direkt dem Geschäft zugute zu kommen – bisher für die Funktionstüchtigkeit der »Entwicklungsländer« verausgabt wurden. Da entfällt nicht nur manches Projekt zum Aufbau einer »Infrastruktur«, das sich erst in 20 Jahren lohnt, und die Kreditlinien im Rahmen des »Weltwährungssystems« gibt es auch nicht mehr. Die amerikanische Regierung, offen wie immer seit Reagans Machtübernahme, sagt es unumwunden, daß sie zwar laufende und damit lohnende Geschäfte aufrechterhalten will, aber es nicht nötig hat, den Aufbau neuer Rohstoffabkommen und dergleichen zu finanzieren. Eine schöne Gelegenheit für europäische Nutznießer des Weltmarkts, ihren Wunsch auszudrücken, daß ihnen durchaus an verstärkter Zusammenarbeit gelegen wäre.

– Politische, und zwar sehr generalstabsmäßige Gesichtspunkte spielen eben in Zeiten des »verschärften Ost-West-Gegensatzes« die wichtigste Rolle im Verkehr mit einer »Dritten Welt«, deren ökonomische Dienste entweder gesichert oder zweitrangig sind. Nicht mehr die heuchlerische Rede von »ihren Problemen« ist an der Tagesordnung, nein: »Wir haben Probleme mit Euch!« Die Stabilität der Herrschaft in jenen Staaten steht zuallererst zur Debatte, und damit auch keinem verborgen bleibt, was Reagan damit meint, sieht er mit seinem Außenminister überall, wo sich Opposition regt, ob am Golf oder in Südamerika, die Russen am Werk. Wo es um das Problem der Weltpolitik schlechthin geht, mag sich die Weltmacht Nr. 1 »vor ihrer Haustür« keine Bürgerkriege mehr leisten und zusehen, wie sie mit der neuen Regierung ins alte Geschäft kommt.

– Deswegen hört auch die Hilfe der großen USA nicht einfach auf: statt Hunger-, Entwicklungs- und Kapitalhilfe verstärkt die Staatenwelt der NATO nämlich ihre exquisite Waffenhilfeund auf diesem Felde läßt sie sich auch nicht den Vorwurf machen, geizig zu sein. Der Leiter der amerikanischen Entwicklungsbehörde überreicht herzlich lachend seinem nicht minder froh gestimmten US-Präsidenten einen plakatgroßen symbolischen »Scheck an den amerikanischen Steuerzahler« über 28 Mio. Dollar – sie sind bei Entwicklungsprojekten eingespart worden. Und der Präsident bedankt sich mit der Ankündigung bei den amerikanischen Bürgern, daß er Asien, Afrika und China mit Waffen vollstellt! Denn die Welt, auch die der »Entwicklungsländer«, ist voller strategischer Lücken und Interessen, die verteidigt werden müssen. Auf europäisch lautet der Kommentar von Willy Brandt: »Leider droht der Ost-West-Gegensatz den Nord-Süd-Dialog zu ersticken!«

– Vom »Süden« her ist Protest kaum zu vernehmen. Die Geschöpfe des Imperialismus haben die Lektion ’81 längst begriffen. Wenn ihre Souveränität und das Wohlwollen derer, die sie garantieren, nun nicht mehr von der ökonomischen Brauchbarkeit allein abhängen, wenn nur geregelte Handelsbeziehungen und bereits funktionierende Kapitalanlagen zählen, die Spekulation auf künftige Erwerbsquellen in den Hintergrund tritt, so wissen sie, wie der Genuß achtbaren Mitmischens in der Weltpolitik zu erhalten ist. Man muß sich die Völkerfreundschaft eben über die politische Dienstbarkeit sichern! Statt mit einem weltweiten Aufbegehren der »Blockfreien« sieht sich die Führungsmannschaft der westlichen Freiheit mit Angeboten aller Nationalismen konfrontiert: Mexiko will Mittelamerika stabilisieren und dafür Waffen in jeder Menge borgen; Saudi-Arabien moderiert den Ölpreis und will sich Ägypten bei der Lösung des Nahost-Konflikts anschließen, natürlich gegen Barzahlung und mit Blick auf die ständige Gefahr, daß Moskau ein strategisches Interesse an der Region hat. AWACS-Flugzeuge wären auch China recht, genauso wie Leopard-Panzer und ein paar Raketen – ein bloßer Horchposten ist für die Bezwingung des russischen Feindes zu wenig. Ägypten will es mit Libyen aufnehmen, und in Südamerika ist man hocherfreut, auch strategische Aufgaben übernehmen zu können...

– Solche Interessen – sie werden von Tag zu Tag mehr – erfahren seitens der westlichen Allianz ihre kalkulierte Befriedigung; kalkuliert deshalb, weil die Ausrüstung dieser Staaten zum Material der Offensive den beschränkten Charakter des jeweiligen Nationalismus in Rechnung zu stellen hat. Untereinander sollen sie das umweltfreundliche Kriegsgerät nämlich nicht zur Anwendung bringen – es sei denn gegen jene Ausnahmen, die es immer noch an »sowjethörigen« Regimes gibt. Das andere Interesse, das nur noch bei Idealisten christlichen oder humanistischen Denkens Fürsprecher findet – die Sache mit dem Hunger –, wird statistisch befriedigt. Präsidenten westlicher Demokratien übertreffen sich, wie etwa in Cancun auch bei Sammlungen aus der Lohntüte ihrer Untertanen, im Verlesen der neuesten Vorhersagen, wieviel »Menschen« in den nächsten Jahren auch ohne Krieg krepieren.

Krieg und Hunger haben übrigens eines gemeinsam. Sie gehören zu den Tatsachen, auf die sich die NATO-Politik so gerne beruft, weil sie sie schafft.