Wovon die deutsche Exportnation lebt

Deutschland lebt von seinem Status als Exportweltmeister, seinem kapitalistischen Erfolg mit Auto-, Maschinen- und sonstiger wettbewerbsfähiger ‚Spitzenindustrie‘ auf dem Weltmarkt. Dass gerade in Zeiten globaler Krisen- und Verdrängungskonkurrenz dieser Erfolg gegen andere Nationen ausschlägt, dass deutsche Geschäftstüchtigkeit deren Unternehmen aus dem Markt wirft und ein ganzes europäisches Staatenumfeld in Europa in Zahlungs- und Haushaltsnöte stürzt – das geht darum in Ordnung; die wenig bekömmlichen Nebenwirkungen des automobilen Personen- und Warenverkehrsirrsinns, an dem Deutschland so weltmeisterlich verdient, sowieso. Zu ernsten Sorgen aber sehen sich deutsche Politiker veranlasst, weil die Grundlagen dieses deutschen Wachstumserfolgs bedroht sind. Angefangen von der hemmungslos ausgenutzten amerikanischen Lizenz zur globalen Bereicherung, die unter Trump nun fraglich wird; über die freche Rollenzuweisung an China als gefälligst immerzu wachsend zahlungsfähiger Nachfrager für deutsche Produkte, der nun zum immer größeren Konkurrenten wird; bis hin zu den gnadenlos strapazierten europäischen Partnern, die mit den Niederlagen, die Deutschland ihnen beibringt, nicht den schönen Euro beschädigen sollen, den es an ihnen verdient: Das sind die wirklichen, gegensätzlichen und im Verhältnis zu den anderen notwendig konfliktträchtigen Grundlagen des Erfolgs, den Deutschland als sein Recht beansprucht, dessen Erfüllung ihm der ganze kapitalistische Globus schuldig ist und schuldig zu bleiben droht.

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Wovon die deutsche Exportnation lebt

Deutschland baut und exportiert Millionen von Automobilen. Wie nirgendwo anders auf dem Globus liefert die deutsche Autoindustrie, wie die Bilanzbuchhalter der Nation ausrechnen, mit 400 Mrd. Euro Umsatz (2016) ein Viertel des Gesamtumsatzes des produzierenden Gewerbes, wo andere europäische Autostandorte bei vier bis sechs Prozent herumkrebsen, und hat direkt und in der Zulieferindustrie 1,8 Millionen ‚Mitarbeiter‘ von sich abhängig gemacht. Bei der jährlichen Steigerung der Bruttowertschöpfung pro Beschäftigten übertrifft sie den Rest des verarbeitenden Gewerbes um das Dreifache. Drei Viertel dieser hochgezüchteten Produktion, die sich seit Jahrzehnten nicht mehr am viel zu kleinen Heimatmarkt, sondern am Weltmarkt orientiert, presst sie mit der Wucht ihrer Kapitalgröße in auswärtige Märkte, auf deren wichtigsten die deutschen Hersteller bekanntlich mit eigenen Produktionsstätten vertreten sind. Kein Wunder, dass die Autobranchen in Frankreich, Italien und Spanien seit 2005 stagnieren oder zurückgehen[1] und die deutschen Exportüberschüsse immer neue Höchststände erreichen.

Dazu haben auch die Kapitalistenkollegen vom Maschinenbau, der Chemie und der ganze süße Mittelstand mit seinen zahllosen ‚hidden champions‘ beigetragen. Alle zusammen haben sie nicht nur in ihrem europäischen Exklusivmarkt mit seinem Spezialgeld die Zahlungsfähigkeit auf sich gezogen, sondern in Jahrzehnten eines immer freier werdenden Welthandels, rundum meistbegünstigt wie sie waren in einer weltmächtig beaufsichtigten, ‚regelbasierten‘ Weltordnung, sich weltweit in der Leitwährung dieser schönen Ordnung dumm und dämlich verdient. Dabei haben sie ihrem heimischen Gemeinwesen immer besser dotierte Staatshaushalte beschert, die neuerdings und heuer schon wieder ohne neue Schulden auskommen...

So weit, so vertraut. Eine nicht zu überhörende Neuerung betrifft den Tonfall, in dem die Erfolge, zu denen die Automobilbauer so wesentlich beitragen, im Jahr 2018 verkündet werden. Exakt die Statistiken, die bis neulich noch zu ungeteiltem nationalem Stolz Anlass gaben, der Fragen nach den näheren Umständen des Zustandekommens wie nach Details der Verteilung von Nutzen und Wirkungen der bildschön aggregierten Triumphe sowieso nicht kennt, werden immer mehr zum Gegenstand sorgenvoller Betrachtung. Neuheiten wie die ‚E-Mobilität‘ werfen die Frage nach dem Schicksal der ‚alten‘ deutschen Schlüsselindustrie auf und die, ob der große Dieselbeschiss nicht schon ein Hinweis auf schwindende Konkurrenztüchtigkeit sei. So müssen sich die Deutschen, die gewohnheitsmäßig auch Exportüberschüsse, bei deren Herstellung sie nur als kollektive Produktionsfaktoren beteiligt waren, dem überlegenen Ingenieursgeist ihres Menschenschlages und dessen beispiellosem Fleiß zuschreiben, damit vertraut machen lassen, dass die großartigste ihrer Industrien womöglich ein Klumpenrisiko (WirtschaftsWoche) darstellt: dass nicht nur die Kfz-Branche, sondern das deutsche Wachstum überhaupt zu sehr am Export hängt, was gefährlich und ungesund sein soll, wie der IWF, die EU-Kommission und der amerikanische Präsident, jeder auf seine Art, rügen.

Die ersten beiden haben es weltweit resp. in der EU kredit- und europapolitisch mit notleidenden Standorten zu tun, von denen manche durch die Exportwucht der Handelsweltmeister Schaden genommen haben; der dritte dringt als Chef der so unfair behandelten Weltwirtschaftsmacht USA auf eine Korrektur der internationalen Warenströme im Allgemeinen, der deutschen Warenströme im Besonderen und der deutschen Autoexporte im ganz Speziellen und geht damit nicht nur der deutschen Erfolgsbranche, sondern gleich den politisch Zuständigen auf die Lebensnerven.

Unüberhörbar ist, dass sich aufkommende Beschwerden und Bedenken deutlich auf unterschiedliche Bedrohungen der kapitalistischen Macht Deutschlands beziehen, auf die künftige Haltbarkeit dieses monströsen, auf die ganze Welt ausgreifenden Erfolgsmodells, das sich, als Führungsmacht des ‚alten Kontinents‘ in der Mitte Europas hockend, den eigenen Standort und seine EU-Umgebung ohne Rücksicht auf Verluste zurechtgemacht hat und danach trachtet, seinen kapitalistischen Erfolgsweg auch global fortzusetzen, ohne aber Macht über dessen Bedingungen zu haben. Die mitfühlend parteiliche Erörterung wachsender deutscher ‚Verwundbarkeit‘, die Befürchtung, die Aneignung wesentlicher Anteile der weltweiten Kaufkraft, die der Exportnation nach und nach ihre brachiale ökonomische Durchschlagskraft verschafft hat, könnte jetzt als ‚Exportabhängigkeit‘ in ihre große Schwäche umschlagen, und der nationale Ratschlag darüber, was jetzt und ganz schnell zu tun sei, gibt der Nation viel zu denken. Alle anderen können sich fragen, wovon dieser deutsche Imperialismus wirklich lebt und worauf seine ökonomische Macht eigentlich beruht.

Die Auto-Nation: Rentabler Wahnsinn – solange Überproduktion das Problem der anderen ist

Das Geschäftsmodell ‚Autostandort‘ mit all dem materiellen, gebrauchswertmäßigen Irrsinn, den es folgerichtig zu Hause und auf dem ganzen Erdkreis anrichtet, bezeugt gerade mit der Art und Weise, wie dieser Industriezweig ganze kapitalistische Gesellschaften nach seinen Bedürfnissen bewirtschaftet, zurechtmacht und dabei in ziemlich absurde Verhältnisse versetzt, seine beispiellosen Erfolge.

Diese Industrie hat sich eingehaust in das Grundbedürfnis der Nation und ihrer Insassen nach ‚Mobilität‘ als einer unverzichtbaren Eigenschaft von Arbeitnehmern und Geschäftemachern, die allen als Anforderung des Berufs- und Wirtschaftslebens entgegentritt. Sie bedient mit ihren Produkten aller (Fahrzeug-)Klassen gegen ein heftiges Entgelt alle individuellen Mobilitätsnotwendigkeiten aller ins private Geldverdienen verstrickten Kollektive: Mit lückenlosen Schlangen von LKWs gibt sie scharf rechnenden Fabrikanten die Gelegenheit, ihre Lager auf die Autobahnen zu verlegen, und Logistikkonzernen die Möglichkeit, alles nötige Zeug just in time an die Fließbänder zu liefern. Auch bei der Verrücktheit der höchstpersönlichen, ungeplanten Motorisierung des Berufsverkehrs für eine planvoll immer flexiblere Arbeitswelt lässt es der automobile Kapitalismus nicht bewenden, denn die schöne Welt der Kompensation für berufliche Anstrengungen in Freizeit und Urlaub ist ohne Sport- oder Familienautos aus den Werken der Autobauer ebenfalls nur eingeschränkt erfahrbar, und selbst in den luftigen Sphären der Persönlichkeitspflege sollen ‚emotionale‘ Karossen mit breiten Reifen hilfreich sein.

So macht der in einer kapitalistischen Geldvermehrungswirtschaft gar nicht so selbstverständliche überragende Erfolg eines bestimmten Gebrauchswerts aus Deutschland einen ‚Referenzmarkt‘ für das Automobilkapital und seine internationalen Konkurrenzanstrengungen, auf dem die ganze Gesellschaft, politisch orchestriert von einer Führung, die weiß, was sie an ihrer Autoindustrie hat, stolz und genervt zugleich, den tagtäglichen Bezug auf die Spitzenprodukte ihres Standortes lebt. Dass die Freiheit im Land mit der Abwesenheit allgemeiner Tempolimits auf Autobahnen assoziiert ist und eine übermäßige Förderung des Personen- und Warenverkehrs auf der Schiene eher als ökologische Nischenidee gilt, ist eine ideologische Folge davon, die ihre praktische Entsprechung darin hat, wie inzwischen auf verheerende Ökobilanzen und städtische Massenvergiftung der Bevölkerung, die lange als Alarmismus von Medizinern und Ökos abgetan wurden, reagiert wird: Es wird nicht das Ende des Individualverkehrs ausgerufen, sondern dringlich seine – keinesfalls geschäftsschädigende – technische Entgiftung, smarte digitale Steuerung und Förderung des Straßenbaus gefordert, in deren Gefolge dann wieder immer mehr Güter von der Schiene weg auf die Straßen verlegt werden, die einschließlich sämtlicher Brücken vom Schwerverkehr schneller zermahlen werden als man sie erneuern kann, auf immer mehr und längere Lastwagen usw.

Insgesamt hat der automobile Kapitalismus mit seinem Wachstum einen Zustand erreicht, vor dem der alte Club of Rome noch gar nicht warnen konnte, weil er ihn sich gar nicht vorstellen konnte: Hier hat man es mit einer Industrie zu tun, die es zu einer Überproduktion in einem absoluten, materiellen Sinn gebracht hat, sodass in einem maßgeblichen Teil der gesamten Verkehrszeit die Straßen der für den kapitalistischen Individualverkehr hergerichteten Länder schlichtweg überfüllt sind und die vielen dort verkauften Autos immer öfter einfach hintereinander auf den Straßen stehen. Und der Platz auf den viel zu engen Straßen, die deshalb immer weiter ausgebaut werden, wird nicht dadurch mehr, dass die Autos immer größer werden, weil damit die Gewinnmargen steigen und noch die zartesten Personen ihre unmündigen Kinder in tonnenschweren Wagen durch den Stau zur Schule bringen, um dann auf dem Rückweg zusammen mit allen anderen Individuen des Individualverkehrs ca. ein Drittel des gesamten in den Städten verbrauchten Treibstoffs bei der Parkplatzsuche zu verbrennen und dann festzustellen, dass die gewinnträchtigsten Produkte der heimischen Industrie in den Tiefgaragen, mit denen die Städte unterwühlt werden, immer weniger nebeneinander und in heimische Garagen hineinpassen.

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Das alles ist allerdings für einen nationalen Kapitalismus auch auf Dauer keine Schande und geht ökonomisch unter bestimmten geschäftlichen Umständen voll in Ordnung. Überproduktion im naiven sachlichen Sinn, die die verfügbaren Straßen zustellt, ist sowieso nicht das Problem, solange die Leute die vielen Autos kaufen, mit denen sie sich gegenseitig am Fahren hindern. Überproduktion im kapitalistischen Sinn ist dagegen seit vielen Jahren eine scharfe Waffe im Verdrängungswettbewerb auf überfüllten Märkten, wenn man es hinbekommt, sie für sich lohnend zu gestalten, d.h. mit dem eigenen Überangebot anderen die Märkte abzunehmen. Das haben die verbliebenen Großhersteller in den vergangenen Jahrzehnten vorgeführt und hören in der Zukunft nicht damit auf, ihre wachsende Kapitalgröße im Kampf um die limitierte Zahlungskraft der globalen Verkaufsstandorte, auf denen sie vertreten sind, gegeneinander in Anschlag zu bringen. So sind sie alle zugleich Aktivisten und Betroffene ihres eigenen Konkurrenzaktivismus beim Kampf darum, diese Konkurrenz zu beherrschen mit entscheidenden Fortschritten in der Produktionstechnik und der Entwicklung von vermarktungsfähigen Gebrauchswerten, die das eingesetzte Kapital der Mitbewerber alt aussehen lassen. Dabei machen sie ihre Heimatländer und ihre auswärtigen Standorte nicht einfach als Exportnationen, sondern als Heimat von globalen Multis von ihren Erfolgen und Misserfolgen betroffen: Sie machen den Entwicklungsstand ihrer Fabrikation mit dem Arbeitsvermögen früher nicht verfügbarer Teile der Weltbevölkerung kompatibel und wandern in Marokko und Rumänien, in Tschechien und die Slowakei, in Mexiko und die USA mit kompletten Fabriken ein, um dort überall und von dort aus mittels billiger Löhne und freihändlerischen Marktzugangs den überall gleichen Irrsinn und seine unternehmerische Ausnutzung anzuzetteln.

Probleme aus kapitalistischer Sicht kommen erst in den Blick, wenn im Kampf um die Versilberung der eigenen Überproduktion auf Kosten aller anderen Kombattanten auf den engen Märkten Grenzen des Absatzes in Sicht kommen.

In den USA, dem mit China wichtigsten Automarkt der Welt, den per Export und lokaler Produktion vor allem mit dort konkurrenzlosen Dieselautos zu erobern der nationale Champion VW sich vorgenommen hat, stößt der deutsche Multi auf die Abgasgesetzgebung der amerikanischen Autonation, welche, aus welchen Gründen auch immer, die Vergiftung des gemeinen Amerikaners durch sowieso eher unamerikanische Dieselfahrzeuge in etwas engeren Schranken als in Deutschland organisiert. VW schätzt die Kosten gesetzestreuer Technik als zu hoch ein, setzt auf nur scheinbare, dafür aber billigere Erfüllung der Vorschriften und trifft nach dem Auffliegen des Betrugs auf strenge Richter. Die bewerten traditionell amerikanisches Leben und seine Schädigung und ausländische Verschwörungen gegen das amerikanische law mit gewaltigen Dollarbeträgen, die in Europa mit seiner viel vernünftigeren Schadensersatzkultur nur Kopfschütteln hervorrufen. Doch VW bezahlt die Milliardenbußen so geräuschlos wie möglich und legt angesichts einer kapitalistischen Absatzkatastrophe zwischenzeitlich mit neuen Modellen einen Neustart im Kampf um amerikanische Marktanteile hin, der die deutschen Parteigänger unserer Automultis vorerst aufatmen lässt: VW glänzt auf schwachem US-Automarkt. (n-tv, 1.8.18)

Dass VW die Strafzahlungen an die gehässigen Amerikaner so leicht wegstecken kann, verdankt sich nicht zuletzt dem Lieblingsmarkt des Konzerns und auch der anderen deutschen Hersteller in China. Um den haben sich die Deutschen frühzeitig gekümmert, sich allen lokalen Vorschriften bei Export und inländischer Produktion betreffend Eigentumsverhältnisse und Technologietransfer angeschmiegt und so den wichtigsten Auslandsmarkt von allen mitentwickelt. Dementsprechend sehen heute auch die chinesischen Verkehrs- und Luftverhältnisse in den dortigen Metropolen aus. Über Jahre haben die Deutschen die Kaufkraft der chinesischen Eliten auf ihre Luxusproduktion und der neuen Mittelklassen auf die billigere Massenware gelenkt; eine Kaufkraft, die bis heute den von den deutschen Herstellern beigesteuerten Teil zur Überproduktion auf dem globalen Kfz-Markt aufkauft, als marktkonform rechtfertigt und mitten in der Überakkumulation der weltweiten Autoindustrie im Zuge des flotten Aufbaus einer chinesischen Stau- und Luftverschmutzungskultur die deutschen Bilanzen vergoldet.

Aber auch da kommen für die deutschen Exporteure und deutsch-chinesischen Hersteller in Form nationaler chinesischer Kalkulationen Bedingungen in die Welt, die die Fortdauer nicht nur der Erfolgsgeschichte auf dem China-Markt, sondern die der gesamten deutschen Auto-Kapitalmacht betreffen: Die politische Betreuung der fortschreitenden Verabgasung der städtischen Bevölkerung auch in China und der entschiedene Wille der chinesischen Führung zum Aufbau einer weltweit konkurrenzfähigen, chinaeigenen Autoindustrie kombinieren sich zu neuen restriktiven Vorschriften für den Verkauf von Verbrennungsmotoren und einer finanziellen und legislativen Förderung der konkurrierenden E-Mobilität. Die hat aus chinesischer Sicht den Charme, dass sie nicht wie die bisherige Technik von deutschen Kapitalen dominiert wird, die die in ihren Diensten stehende Ingenieurskunst bislang mehrheitlich auf die rentable Fortentwicklung der Verbrennertechnik verpflichtet haben. So sehen sich die chinesischen Hüter dieses deutschen Super-Marktes und ihre Kapitalisten angestachelt, die fälligen Auf- und Überholmanöver in Sachen Autoindustrie auf dem Feld der neuen E-Mobile zu starten, dort zu Weltmarkführern, insbesondere bei der für den Antrieb entscheidenden Batterie(zellen)entwicklung und -produktion, zu werden und die deutschen Produzenten tendenziell vor eine neue Konkurrenzlage zu stellen. Die angekündigte technische Revolution des Mobilitätswesens mag ja alles Mögliche mit sich bringen. Ziemlich sicher ist jedenfalls eine kapitalistische Folge: die irgendwann fällige Entwertung von jeder Menge in der Herstellung von Verbrennungsmotoren investiertem Kapital durch einen moralischen Verschleiß, dessen Urheber und Nutznießer diesmal nicht die sonst so innovationsfreudigen Herren des alten Autokapitals sind. Auch dann, wenn die sich schnell und erfolgreich genug der neuen Technik zuwenden sollten, ist gar nicht garantiert, dass damit das gedeihliche Zusammenwirken zwischen Nation und ihrer Autoindustrie wiederhergestellt wäre: Die kapitalistische Nation lebt ja von der Masse der Arbeit, die für die Produktion der neuen Mobile rentabel angewandt wird, und da verspricht die vergleichsweise einfache Produktion von Elektromotoren umfängliche Einsparungen, die sich der nationale Arbeitsmarkt gar nicht bestellt hat. Die öffentlichen Ausblicke auf dessen Zukunft schwanken zwischen Warnungen vor einer Beschäftigungskrise infolge der Umwälzungen in der deutschen Schlüsselindustrie und Hoffnungen auf ein ungeahntes Jobwunder rund um die automatisierten Produktionsstätten der künftigen E-Mobilität. Darüber, dass Deutschland abhängig ist von der Autoindustrie (WirtschaftsWoche), sind sich alle einig; also darüber, dass es ihr im Namen Deutschlands gelingen muss, Vorreiter und Gewinner einer global inszenierten Überproduktion in dieser Branche zu sein.

Dollars verdienen – bis Trump abwinkt

Auch wenn deutsche Unternehmen inzwischen weltweit als Exporteure von Kapital unterwegs sind und auf dem ganzen Globus über Produktionsstätten verfügen, die den konkurrenzfähigen Ruf von made in Germany schöpferisch mit exotischen Billiglöhnen und weltweiter ‚Kundennähe‘ verbinden: Ihren Status in der globalen Überakkumulation haben sie sich als deren Antreiber und Nutznießer vermittels des Exportes hochwertiger Waren – unter anderem Maschinen, Chemie und eben Massen von Automobilen – von ihrem extrem schlagkräftigen Standort erworben, der sich jedes Jahr und bis zum Erbrechen immer wieder selbst feiert für seine Spitzenplätze in der Rangliste der globalen Exportmächte. Zusammen mit ihren Konkurrenten auf den Weltmärkten und gegen sie haben sie in all der Freiheit, die sie auf ihnen genießen, eine Lage hergestellt, in der die Kapitale der verschiedenen Produktionssphären längst nicht mehr in wachsenden Märkten gegeneinander wachsen, sondern im Kampf um die wechselseitige Verdrängung fortwährend die Frage ausgefochten wird, welches von ihnen auf welchem Markt überzählig ist, weil es sich nicht mehr verwerten kann. In diesem erbitterten Ringen haben die deutschen Exporteure den meisten anderen Handelsnationen – dem Rest der Staatenwelt sowieso – mit ihren jährlich erneuerten und stetig wachsenden Erfolgszahlen einen negativen Saldo nach dem anderen beigebracht.

Eine Ausnahme stellt China dar, größter Lieferant nach Deutschland und drittgrößter Exportmarkt, das seit mehr als einem Dutzend Jahren bei stets wachsendem Handelsvolumen – nahe 190 Mrd. Euro im Jahr 2017 – gegenüber Deutschland stets einen aus deutscher Sicht ‚undramatischen‘ Bilanzüberschuss verzeichnet, ca. 13 Mrd. Euro in 2017. Viel mehr als an Deutschland hat China aber am Rest der Welt verdient, vor allem an Amerika. Mit seinen Exporten hat es weltweit und auf dem amerikanischen Markt Massen von US-Dollars erobert und produktiv gemacht durch ihre Weiterverwendung als Kapital. Jetzt macht sich China ohne offene Feindseligkeit gegenüber seinen Konkurrenten daran, seinem staatlich ins Werk gesetzten Kapitalismus politisch weitreichende Entwicklungsziele vorzugeben: das große „Seidenstraßenprojekt“ zur Erschließung westlicher Märkte, das offiziell verkündete Programm, bei ausgewählten technischen Produkten Weltmarktführer zu werden, und eben auch die Aufgabe, auf dem Feld der künftigen E-Mobilität Technologie- und Marktführerschaft auf dem Kfz-Sektor von den deutschen und japanischen Herstellern zu erobern. So macht sich die Staatsführung mit dem selbstbewussten Standpunkt, viel von dem teuer importierten Zeug auch selbst herstellen und gewinnbringend ausführen zu können, daran, mittel- und langfristig auch die Position der deutschen Exportchampions anzugreifen.

Für die USA macht Präsident Trump die Überschüsse der Deutschen im Handel mit Amerika, insbesondere die in der Kfz-Sparte, gleich als Frage des Anstands, der Fairness und eines internationalen Unrechts zu Lasten der USA dingfest, wie er das zuvor schon auf dem Stahl- und Aluminiummarkt getan hat. Er rechnet ein ums andere Mal vor, wie viel Geld die Deutschen den Amis wegnehmen, wenn sie so viele Autos in die USA verkaufen, so wenige aus den USA einführen und damit den amerikanischen Arbeiter schädigen, und macht die Konkurrenzlage der involvierten Autobranchen mittels staatlich angedrohter Strafzölle zur politischen Chefsache. Die sollen es künftig erschweren, wenn nicht unmöglich machen, dass deutsche Produzenten an amerikanischer Kaufkraft parasitieren und sich auf Kosten von US-Arbeitern und -Firmen auf dem heimischen Markt bereichern.

Wenn der US-Präsident mangelnde Fairness und ungerechten Handel als Grund für deutsche Erfolge ausmacht und die Kritisierten sich ungerecht behandelt fühlen, weil sie ihre Exportüberschüsse vielmehr ihren genialen Winterkörnern und der typisch deutschen Produktionseffizienz ihrer Autoschmiede zuschreiben – so ganz die Wahrheit ist beides nicht. Die gewaltigen Kapitalagglomerationen, mit denen die schwer unterscheidbaren organisatorischen und kriminellen Energien deutscher Manager operieren, um daraus unschlagbar effiziente Lieferanten auf global überfüllten Märkten zu machen, wollen schon zusammenverdient sein und auf stets wachsender Basis weiterwachsen. Den Stoff für diesen Kreislauf, dessen kapitalistische Welterfolge im Ranking der Exportländer national definiert werden, hat Deutschland im weltweit verfügbaren und verwendbaren amerikanischen Kreditgeld gefunden. Der in Dollar ausgemünzte Kredit der USA stellt außerhalb des abgeschirmten EU- und Euro-Marktes die Masse der globalen Zahlungsfähigkeit, die sich deutsche Exporteure aneignen und die wegen der unanfechtbaren Qualität dieses Geldes und seines weltmächtigen politischen Emittenten dann auch wirklichen Markterfolg repräsentiert – mit allen erfreulichen Folgen für das kapitalistische Recycling der eroberten internationalen Kaufkraft. Zur Qualität dieses Geldes gehört es, dass es überall für jeden für kreditwürdig befundenen Geschäftszweck massenhaft verfügbar ist und dabei weder unter seiner Massenhaftigkeit leidet noch darunter, dass mit der Ausweitung des amerikanischen Kredits fortwährend immer noch mehr davon in Umlauf kommt. So nutzt Deutschland die weltweite Gleichung von amerikanischem Dollarkredit und kapitalistischem Reichtum für sich aus und macht sich zum Nutznießer der weltweiten Überakkumulation: Es zieht als Exportmeister deutscher Nation andauernd globalen Reichtum an Land, der durch die und in der Geldform einer fremden Nation, eben der USA, garantiert ist, und erobert sich so seit Jahrzehnten Spitzenplätze in der Premier League der imperialistischen Länder – eine Art Schmarotzertum, das Trump bei seiner Klage über die unfairen Deutschen und ihre Autoindustrie eher nicht im Sinn hatte.

Neben der Fähigkeit zum Verdienen des US-Weltgeldes auf allen Märkten der Welt und den fraglosen kapitalistischen Qualitäten dieses Kreditgeldes hängt die Haltbarkeit der auf dieser Grundlage erzielten Exporterfolge selbstverständlich auch von der Erlaubnis des politischen Herausgebers dieser unschlagbaren Währung ab, zumindest seiner Duldung, dass sie, gleichgültig in wessen Hand und noch im hinterletzten Erdenwinkel, zum begehrten Ziel und zum dringend benötigten Hebel jeder kapitalistischen Geschäftstätigkeit gemacht wird. Diese politische Lizenz für die weltweite Verwendung des Dollars als universeller kapitalistischer Reichtum war seit dem Zweiten Weltkrieg keine Frage und im Geschäftsgang der kapitalistischen Weltordnung unterstellt. Sie beruhte darauf, dass die politisch und ökonomisch bilanzierten Resultate dieser Verwendung für die USA unter wechselnden Umständen immer so aufgegangen sind, dass sie diese Lizenz stets prolongiert haben: als einzige unbeschädigte Exportnation des Weltkapitalismus nach dem Krieg, als unwiderstehlicher Kapitalexporteur und am Ende als Heimatland eines weltumspannenden US-Finanzkapitals, das die globale kapitalistische Verwendung ständig wachsender amerikanischer Schulden vermittelt und zu seinem expandierenden Geschäft macht.

Wenn Trump in der Causa „Autoexporte“ die himmelweit auseinanderklaffenden Verkaufszahlen der deutschen Hersteller in den USA und umgekehrt der Amis auf dem deutschen Markt kritisiert, unterscheidet er von Anfang an nicht zwischen der deutsch-nationalen Schlüsselindustrie und deren politischen Paten, sondern nimmt sie als ein und denselben Gegner. Dem wirft er vor, als nationaler Standort, insgesamt als Nation eben, in und an der ganzen Welt mehr Geld zu verdienen, als er den Rest der Welt, und vor allem die USA, an sich verdienen lässt. Wie heuchlerisch und dreist zugleich diese Deutschen den US-Automarkt, den Trump als nationalen Besitzstand betrachtet, den es zu verteidigen gilt, in ihrem Dauerprogramm zur Versilberung ihrer Kfz-Überproduktion verplanen und davon ausgehen, dass die USA bei der Verteilung von Nutzen und Schaden in der Autobranche weiter stillhalten, kann der Präsident gar nicht leiden. Und er ist auch als politischer Chef aller Amis nicht länger bereit, das hinzunehmen, auch wenn ihm die Europäer nahelegen, er solle sich doch die negative Handelsbilanz der USA mit der Kenntnisnahme der internationalen Erfolge der US-IT-Riesen schönlesen. Mit der Androhung staatlicher Strafzölle macht er aus dem Problem der internationalen Überakkumulation der Automobilkapitale ein politisches, und mit der Behinderung des Verkaufs deutscher Autos auf dem US-Markt stellt er aus politischen Gründen an einer prominenten Stelle die Lizenz zum Dollarverdienen in Frage, die die Lebensgrundlage des deutschen Exportgeschäfts ausmacht. Der Status der Nationen innerhalb der internationalen Akkumulation und Überakkumulation, der sonst Gegenstand von Handels-, Zahlungs- und Leistungsbilanzen ist, wird von Trump politisiert, vom Standpunkt America first! kritisch auf die einzelnen Nationen bezogen und zum Streitgegenstand zwischenstaatlicher Politik gemacht. So werden sie vermittels dieses ökonomischen Status zu Subjekten und Objekten einer politischen Krisenkonkurrenz. Die hebt die von den internationalen Kapitalen er- und bewirtschaftete Lage, den Stand ihrer ökonomischen Konkurrenz eben, auf die Ebene politisch auszutragender und zu entscheidender Streitigkeiten, in denen die verfügbaren nationalen Druck- und Machtmittel in Anschlag gebracht werden. Ist die ökonomische Weltlage erst einmal in die Krisenkonkurrenz von Staaten übergegangen, findet sie auch mit der gebührenden Giftigkeit und brisanten Feindseligkeit statt, derer Nationalisten aus dem Stand auch gegenüber alten ‚Freunden‘ und Bündnisgenossen fähig sind.

Deutschland hat immer alles dafür getan, seinen unternehmerischen Bürgern politisch die Welt zu erschließen, und stets darauf gesetzt, dass die von ihm geförderten Kapitale in einer Weltwirtschaft des US-Kredits und der US-Weltmacht in aller Freiheit die Wucht deutsch-kapitalistischer Wirtschaftskraft zur Anwendung bringen können, wenn es um den Erwerb der materiellen Grundlagen der Nation und ihrer Macht geht. Wenn jetzt die Frage aufgeworfen wird, ob und unter welchen Umständen die Fortführung bislang erfolgreichen kapitalistischen Geschäfts noch erlaubt ist, das Verdienen guten Geldes – vor allem des besten – in und an der Weltwirtschaft unter einen generellen politischen Genehmigungsvorbehalt der US-Vormacht gestellt wird und die einschlägigen Genehmigungen im Rahmen der Staatenkonkurrenz als politische Machtfragen entschieden werden: dann zeigt sich einerseits, wovon das deutsch-kapitalistische Erfolgsmodell so komfortabel gelebt hat; andererseits aber auch, dass Deutschland, das über diese Grundlagen schon bisher zwar sehr erfolgreich, aber nicht souverän verfügt hat, auch im Übergang zu einer weltweiten politischen Krisenkonkurrenz, die für die Exportnation außerhalb des EU-Marktes maßgeblich von den chinesischen Verhältnissen und der Politik Amerikas bestimmt wird, nicht der Garant seiner ökonomischen Macht und der Herr seiner außenhändlerischen Erfolgsbedingungen ist.

Die prekäre Lage des Euro-Kredits – in deutsche Wirtschaftsmacht verwandeln

Umso wichtiger nimmt Deutschland den Erhalt des Euroregimes und die Rettung des in Euro denominierten europäischen Kredits gegen die Fährnisse einer drohenden neuen Finanzkrise und die Folgen der letzten, die weder in den Haushalten der Euro-Länder noch im europäischen Bankensystem mit seinen 800 Mrd. Euro an non-performing loans bewältigt ist. Die europäische Währung wird von ihren deutschen Hütern gerade wegen der bestehenden Abhängigkeit vom weltweiten Dollargeschäft als die entscheidende, deutsch-europäische Quelle ökonomischer Macht und unverzichtbare Grundlage deutschen Erfolges genommen und gegen jede Relativierung ihrer Bonität und jeden Anschein von Schwäche von deutschen Finanzministern mit und ohne CDU-Parteibuch verbissen verteidigt.

Immerhin handelt es sich bei der gemeinsamen europäischen Währung um das zweite der beiden überragend wichtigen Gelder, die Deutschland international verdient. Mit dem einen, dem US-Dollar, sichert es seinen Nutzen aus der weltweiten Überproduktion von Automobilen, Maschinen und anderen großartigen deutschen Produkten in China, den USA und sonstigen außereuropäischen Märkten. Mit dem anderen, dem Euro, okkupieren die deutschen Exporteure wesentliche Teile der Kaufkraft des Gemeinsamen Marktes und verdienen den Handelsbilanzüberschuss der Nation auf den nationalen Teilmärkten der EU zusammen, auf Kosten der anderen Unionsländer mit ihren Defiziten gegenüber Deutschland. Auch da legen Deutschland und seine Außenhändler größten Wert darauf, ihre Siege in der Konkurrenz in gutem Geld zu bilanzieren. Dessen Güte hängt allerdings auf den Kampfplätzen der europäischen Konkurrenz nicht an den Garantien einer fremden Macht, schließlich findet in Europa Wachstum im gemeinsamen Geld der Europäer statt, verdienen die Deutschen also im umliegenden Ausland ihr eigenes Geld. Damit dieses Geld ein erstklassiger Wertausdruck deutscher Siege im europäischen Wettbewerb ist und bleibt, entlässt Deutschland die Nationen, die seinen Erfolgsweg mit der Akkumulation von entsprechenden Defiziten begleiten, politisch und ökonomisch keinesfalls aus der Verantwortung für die Kreditverbindlichkeiten, die sie als Standorte minderer Wettbewerbsfähigkeit aufgehäuft haben: Es geht darum, im Rahmen der politischen Betreuung der Gemeinschaftswährung gegenüber und an den Defizitländern die Bedingungen dafür durchzusetzen, dass ihre trostlosen Schuldenstände den soliden Wertstoff Euro, in dem diese Verbindlichkeiten gezählt werden und letztlich zu bezahlen sind, keinesfalls beschädigen, das gemeinsame Geld, das die Deutschen mit ihrer überlegenen Konkurrenzmacht den anderen wegverdienen, also seinen Wert behält.

Wie engagiert die deutschen Finanzpolitiker sich darum sorgen, haben sie am Fall der griechischen Staatsschulden im Streit um die ‚Schuldentragfähigkeit‘ Griechenlands exemplarisch vorgeführt. Gegen alle Anträge des IWF und anderer kreuzvernünftiger wirklicher oder ideeller Schuldenmanager, man solle doch einfach einen Teil der sowieso ‚uneinbringbaren‘ griechischen Euroschulden streichen, um dem bankrotten Land zu einem überschaubaren, wenigstens theoretisch bedienbaren, also ‚tragbaren‘ Schuldenstand gegenüber seinen Gläubigern zu verhelfen, auf dessen Grundlage es von vorne anfangen könne, sich auf den Finanzmärkten zu verschulden, hat Deutschland stets gegen eine Schuldenstreichung und für eine Prolongierung der Zahlungsfristen votiert. Wo die Anwälte des Teilerlasses von Altschulden an Stelle einer grotesken Streckung der Rückzahlungsfristen um Jahrzehnte auf teilweise Streichung von Schulden plädieren, kommt es den deutschen Oberzuständigen für den Eurokredit gerade auf den für sie entscheidenden finanzkapitalistischen Unterschied zwischen den beiden Verfahrensweisen an: Sie halten den auch nur teilweisen Ausfall von Staatsschulden eines Eurolandes für ein manifestes, weltöffentliches Eingeständnis der Schwäche des gesamten Schuldensystems. Sie wollen den Wegfall einer staatlich emittierten Tranche Schulden in der Gemeinschaftswährung nicht dulden, sondern die Fiktion der Fortgeltung dieser Schulden als ein Stück fiktives Kapital in der Welt des globalen Finanzkapitals ums Verrecken aufrechterhalten: Schließlich sollen auch funktionell uneinbringbare griechische Schulden, indem sie bis in eine noch so ferne Rückzahlungszukunft als fiktives Kapital weitergelten, zusammen mit allen anderen Staatsschulden der Euroländer als grundsolide Basis eines unangreifbaren gemeinschaftlich-europäischen Kreditgeldes fortwirken.

An der Hartnäckigkeit, mit der die Deutschen um die Aufrechterhaltung dieser Fiktion von Solidität kämpfen, ist unschwer ihre Sicht auf ihre Abhängigkeit von einem finanzpolitisch korrekten Recycling der europäischen Kreditschöpfungen abzulesen. Für die übernehmen sie eine ökonomische und politische Garantenstellung, die auf der Kreditmacht der deutschen Staatsgewalt im Eurosystem beruht. Diese beziehen sie nur auf die Garantie des Kreditgeldes, das die Staaten Deutschland und einander schulden, und bekommen es hin, ihre gegenüber allen anderen Eurostaaten erdrückende Gläubigerposition als deren Schulden aufrechtzuerhalten, die verschuldeten Staaten auf ihre Position als ernsthafte, für ihre nationale Verschuldung allein verantwortliche Schuldner festzunageln und ihre Garantiezusagen für den Euro von deutschen Leistungen für einzelne Schuldnerstaaten oder Zusagen über die Vergemeinschaftung von Schulden zu trennen. Staatshaushalte, die die europäischen Schuldengrenzen nicht einhalten, und faule private Bankschulden sind – ohne dass irgendwer sagen könnte, wie das gehen sollte – in nationaler Zuständigkeit zu sanieren, bevor Deutschland dem Projekt einer europäischen ‚Bankenunion‘ und einem gemeinsamen Euro-Wertpapier zur Schaffung neuer, erstklassiger Schulden näher tritt. Und die Gründung eines „Europäischen Währungsfonds“ zur dauerhaften Betreuung zahlungsunfähiger Staaten in europäischer statt in IWF-Zuständigkeit kommt für die Deutschen nicht in der Hand der EU-Kommission, sondern nur in der der EU-Staaten als zusätzliches Kontrollinstrument gegenüber Ländern in akuten Kreditnöten in Frage.

In ständigen kleinteiligen Verhandlungen auf allen politischen und ‚Arbeitsebenen‘ wird über das Unding einer Erhaltung und künftigen Zurichtung der Konkurrenzverlierer für die Bedürfnisse der Konkurrenzführer beraten, mit dem Resultat, dass die Deutschen sich im Zusammenwirken mit der EZB als dem zuständigen Geldschöpfer den ganzen Rest des Kontinents als Kontrolleure des Euro-Kredits zuordnen und die Schuldnerländer dafür büßen lassen, dass ihre Schulden in Wert gehalten werden. Mit der beharrlichen Weigerung, auch noch den abenteuerlichsten Massen an Euro-Staatskredit ihre Kapitalqualität abzuerkennen, sorgen sie dafür, dass auch alle anderen Gläubiger im System sich über den Fortbestand ihrer Außenstände bei ihren jeweiligen Schuldnern freuen und alle zusammen weiter bei deutschen Exporteuren einkaufen können, so gewaltig die Fehlbeträge im innereuropäischen Zahlungsverkehr, die berühmten Target-2-Salden, auch immer anschwellen mögen. Solange das deutsche Machtwort das alles hinbekommt, machen die Garanten des Euro-Kredits sich auch nichts aus der Absurdität, den eigenen Gewinn zu kreditieren. So verleihen sie dem absurden Kreisverkehr der EZB, in welchem die, whatever it takes, immer neue Schuldpapiere der Euro-Staaten aufkauft, durch den Aufkauf in Wert hält und die Menge staatlich gestifteten fiktiven Kapitals immer weiter vermehrt, bis auf Weiteres Seriosität.

Die ist auch dringend nötig für eine gedeihliche Gestaltung des Verhältnisses zur Weltmacht USA und zu ihrem für Deutschland als Exportnation so wichtigen Geld. Die Deutschen begegnen jeder Konfrontation von amerikanischer Seite heuchlerisch freundlich, pochen auf „gemeinsame Werte“ und die „alte transatlantische Partnerschaft“ und wollen dabei opportunistisch konstruktiv, anders als die Franzosen, die Eskalation des Streits möglichst nicht über Harleys und Bourbon hinaustreiben. Sie arbeiten sich an dem Widerspruch ab, mit dem sie zurechtkommen wollen, weil er entscheidend ist für den Fortbestand deutschen Erfolges: Die Stabilität des Euro-Kredits, die Deutschland mit aller Macht sichern will, ist eine entscheidende Bedingung für die erfolgreiche Bewirtschaftung der Abhängigkeit vom Dollargeschäft – während das im globalen „Dollarraum“ verdiente US-Geld umgekehrt Deutschland überhaupt erst die wirtschaftliche Machtstellung verschafft, mit der es für den Euro einsteht, den man in Europa selber schafft und als Kapital verantwortet, und der Deutschland und der EU irgendwann zur Emanzipation vom Dollarweltgeld verhelfen soll.

[1] Zahlen nach WirtschaftsWoche vom 27.7.17 und Handelsblatt vom 14.9.17