Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Schröders wirtschaftspolitische Kompetenz
Erfolgreiche Präsentation des landläufigen Zynismus über Wachstum und Beschäftigung als Erneuerungsprogramm der SPD für Staat und Gesellschaft

Schröder demonstriert seine Wirtschaftskompetenz und bekennt sich rückhaltlos zur Freiheit des Kapitals. Vorwurf an die Kohl-Regierung, dass sie Wachstumshindernisse (Steuern, Gesetze, hohe Löhne) und damit das soziale Problem der „Arbeitslosigkeit“ nicht beseitigt.

Aus der Zeitschrift

Schröders wirtschaftspolitische Kompetenz
Erfolgreiche Präsentation des landläufigen Zynismus über Wachstum und Beschäftigung als Erneuerungsprogramm der SPD für Staat und Gesellschaft

Nachdem der niedersächsische Bewerber für die SPD-Kanzler-Kandidatur, Gerhard Schröder, die Sommerphase mit Einlassungen zur Verbrechens- und Ausländerbekämpfung bestritten hat, meldet er sich Anfang September von einem Arbeitskreis mit einem Thesenpapier zur Wirtschaftspolitik zu Wort, um wieder einmal das Feld „Wirtschaftskompetenz“ zu besetzen. Worin besteht seine Kompetenz?

„Die unzureichende ökonomische Flexibilität und der Reformstau gehen in erster Linie zu Lasten der Beschäftigung und trifft die Arbeitslosen und ihre Familien mit voller Wucht.“

Schröder präsentiert sich als Anwalt von Geschädigten, um denen auch gleich mitzuteilen, wovon sie betroffen sind – von einer Politik, die es an der Entschlossenheit fehlen läßt, das zu tun, was ihre Aufgabe ist: ihren Laden umzukrempeln – und worauf sie ein Recht haben: auf eine Politik, die den Laden den Anforderungen gemäß zurichtet, die die nationale Wirtschaft in der internationalen Konkurrenz zu bestehen hat:

„Die unter dem Begriff der Globalisierung zusammengefaßte neue Qualität der internationalen Arbeitsteilung hat nicht nur zu einem verschärften Wettbewerb auf den globalisierten Märkten für Kapital, Güter und Dienstleistungen geführt, sondern auch die Arbeitsmärkte in bisher nicht gekannter Weise internationaler Konkurrenz ausgesetzt. Der Schutz dieser Märkte durch nationale Politik ist weitgehend unmöglich geworden.“

Unter Berufung auf die internationale Konkurrenz, die für ihn einen Sachzwang darstellt, weil deutsche Unternehmer sich in ihr erfolgreich bewähren sollen, klärt er mit sozialdemokratischer Ehrlichkeit darüber auf, daß die Arbeitslosen leider ein notwendiges Produkt dieser Konkurrenz sind – er hätte ja so gerne die Arbeitsmärkte geschützt, bekennt sich aber freimütig dazu, daß nicht geht, was er nicht will – und ihnen nur eines helfen kann: mehr Erfolg in der Konkurrenz, welche die Unternehmer zu Lasten der Beschäftigung betreiben, wenn sie in Deutschland und anderswo rationalisieren und Arbeitsplätze weltweit ihrem Vergleich nach Kosten und Ertrag aussetzen. Schröders ganze Sorge gilt den Arbeitslosen und ihren Familien, er versteht die Zwangslage, in der sie sich als vom Konkurrenzerfolg der Unternehmer Abhängige befinden – und verspricht ihnen, alles zu tun, was sich in dieser Zwangslage für sie tun läßt. In seiner wirtschaftspolitischen Sicht gelten sie ausschließlich als Indikator für mangelndes Wachstum. Seine ökonomische Vernunft besteht in dem Imperativ, daß die Gesellschaft ohne soziales Wenn-und-aber den Konkurrenzbedürfnissen deutscher Unternehmer unterworfen werden muß. Das ist der Dienst, den die Arbeitslosen von der Politik erwarten können und dürfen.

Daß Schröder da mit einer taufrischen Idee aufwartet, kann man nicht direkt behaupten. Aber Wirtschaftskompetenz beweist sich eben erst einmal in einem rückhaltlosen Bekenntnis zur Wirtschaft und ihren Erfordernissen, zum gültigen Standpunkt also, den alle Maßgeblichen in der Republik herbeten. Weil es ihm aber darum geht, damit seine Kompetenz unter Beweis zu stellen und mit der Wahlkampfpropaganda zu machen, ist die zweite Abteilung fällig: Vorwürfe an die Regierung, sie hätte auf diesem Feld versagt. In diesem Sinne präsentiert er Einfälle, die ihn und seine Mannschaft für jedermann als bessere Alternative ausweisen sollen.

Da macht es sich erst einmal gut, das eigene Bekenntnis zum Unternehmerstand in der Form abzulegen, daß man den Vorwurf an die Regierung heraushört, sie habe diesen Stand systematisch vernachlässigt und entmutigt:

„Wir werden unternehmerischen Geist und unternehmerische Tatkraft überall und bei jedem in Deutschland ermutigen und fördern. …“

Man spürt schon fast den Unternehmer in uns allen: den zu allem bereiten, tatkräftigen Geist, von dem unser aller Wohl abhängt. Aber Unternehmer sind auch eine ganz besondere Spezies Mensch: Mimosen, die von der Politik gehätschelt und „ermutigt“ sein wollen – dazu nämlich, daß sie ihre Geschäfte machen. Schröder stellt die Unternehmer so sehr als Diener am Gemeinwohl heraus, daß man schon fast vergißt, daß sie dafür auf dem Weg der Mehrung ihres Privateigentums zuständig sind. Daß die Politik diesem edlen Tatendrang bislang zahlreiche Hindernisse in den Weg gestellt haben soll, indem sie sie nicht beiseite geräumt hat, ist die kühne Behauptung dieses Sozialdemokraten, der sich hemmungslos zur Freiheit des Kapitals bekennt, im Staat lauter Wachstumshindernisse ausmacht, also weiß, was er zu tun hat.

  1. in Sachen Steuern:

    „Wir werden die Unternehmertätigkeit steuerlich entlasten und die Bereitstellung von haftendem Kapital für Unternehmen steuerlich begünstigen… Anhebung von Verbrauchssteuern.“

    Schröder hat entdeckt, daß der Staat seine Steuern bei den Falschen holt. Bei denen nämlich, die die Produktion und Vermehrung von Geld im Lande kommandieren. Diese werden durch Steuerzahlungen in ihrem wertvollen Tun entmutigt. Sie setzen ihr gutes privates Geld zum Nutzen von uns allen – als haftendes Kapital – glatt der Gefahr des Investierens aus, und die Allgemeinheit dankt es ihnen noch nicht einmal, sondern zieht ihnen stattdessen auch noch Steuern ab. Die sind also woanders abzukassieren. Bei der anderen Sorte Mensch namens „Verbraucher“, die ihr Geld ohnehin nur zum Fenster hinauswirft, da sie es nicht zu seiner Vermehrung einsetzt, sondern bloß von ihm lebt.

  2. in Sachen Gesetzgebung: Der Wirtschaftssachverständige aus der SPD ist sich sicher,
    „daß Regulierungen auf ihre Notwendigkeit… hin überprüft und entrümpelt werden müssen.“

    Als hätten Bonner Beamte aus schierer Lust am Regulieren jahrzehntelang ohne Sinn und Zweck Gesetze in die Welt gesetzt, plädiert er für eine Entrümpelungsaktion, die auf den Nachweis überflüssiger Notwendigkeiten ganz verzichten kann. Die Gründe besagter Regulierungen interessieren ihn nicht, weil er sie nicht mehr gelten lassen will. Er präsentiert sich so als ein Radikaler, dem die unternehmerische Tatkraft über alles geht und der die unsachgemäße Bevormundung dieses ehrenwerten Standes einfach nicht mehr mitansehen kann. Um seine verwegene Unterstellung plausibel zu machen, die Regierung hätte es an der von ihr seit Jahren versprochenen Rücksichtslosigkeit beim Deregulieren fehlen lassen, baut er einen Popanz nach dem anderen auf. Z.B. den einer angeblich weitverbreiteten und wirksamen ökologischen Fortschrittsfeindlichkeit:

    „Wir werden damit Schluß machen, daß naturwissenschaftliche und technologische Innovationen zunächst auf ihre Risiken abgeklopft werden, ehe man sich ihren Chancen zuwendet.“

    Maßlose Übertreibung ist geboten, wenn sich einer mit dem menschenfreundlichen Versprechen als wirtschaftskompetente Persönlichkeit hervortun will, erst mit ihm an der Regierung würden geschäftlich ausnutzbare Innovationen zunächst einmal in die Welt gesetzt, ehe man sich ihren negativen Wirkungen auf die Volksgesundheit und die Natur zuwendet; als wäre eben das nicht gängige Praxis, wähnt sich Schröder von lauter Miesmachern umgeben – noch dazu in maßgeblicher Stellung –, die naturwissenschaftliche und technologische Entwicklungen wegen angeblicher Risiken schlechtmachen und jeden Fortschritt systematisch blockieren. Bemerkenswert ist die Klarstellung aber schon, daß für seinen Geschmack selbst in dieser Bundesrepublik mit ihren AKWs, Giftmüllhalden und wöchentlichen Chemieunfällen noch viel zu viel Aufhebens von den Nebenwirkungen des kapitalistischen Gebrauchs von Naturwissenschaft und Technologie gemacht wird. Unter dem Titel Innovation erklärt er diesen Gebrauch für sakrosankt und grenzt sich wirtschaftskompetent von denjenigen in und außerhalb seiner Partei ab, die mit dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahme auf die Umwelt noch ein bißchen Parteiwerbung betreiben. Die denunziert er als Wachstumshemmnis und Arbeitsplatzvernichter:

    „Niemand kann ein hohes Lohnniveau versprechen, wenn er gleichzeitig die Entwicklung von mehr Produktivität schlecht macht.“

    Wer verspricht ein hohes Lohnniveau? Er etwa? Wer macht die Entwicklung von mehr Produktivität schlecht? Die Regierung? Wer macht beides zugleich? Mit dem Zusammenhang von Produktivität und Lohnniveau spielt Schröder auf ein Argument der Gewerkschaften aus längst zurückliegenden Lohnrunden an. Damals sollten gestiegene Gewinne – mehr „Produktivität“ – mehr Lohn rechtfertigen. Heute, wo keinem Gewerkschafter gestiegene Gewinne mehr als Argument für mehr Löhne einfallen, rekurriert er auf die alte Beziehung – allerdings in umgekehrter Absicht: Leute aus der Umweltecke müssen sich von ihm sagen lassen, daß sie die Produktivität in der Republik kaputtreden und kaputtmachen wollen und damit den wohlverdienten Lohn der ehrlich arbeitenden Menschheit gefährden.

    Umweltauflagen für wirtschaftsschädlich zu erklären, ergänzt sich in Schröders Kopf allerdings prächtig mit der pfiffigen Idee, Umweltprodukte – anderen – verkaufen zu wollen:

    „Große Entwicklungsreserven der deutschen Volkswirtschaft liegen… mittelfristig zweifellos im Bereich der Produkte und Verfahren, die mit den natürlichen Ressourcen schonender und/oder sparsamer umgehen und damit Grundlage einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung sind.“

    Wo immer der Freund der Wirtschaft Chancen für den Markterfolg deutschen Kapitals wittert, schlägt sein Herz höher. Und da hat der Titel „Umwelt“ in seinen Ohren auch seinen guten deutschen Klang. Schonender mit den natürlichen Ressourcen umzugehen und nachhaltiges Wirtschaften zu fördern, lohnt sich dann, wenn deutsche Kapitalisten daran verdienen.

  3. Wirtschaftshindernis: Der Lohn.
    „Der Faktor Arbeit ist bei uns zu teuer gemacht worden. Deshalb werden wir in enger Abstimmung mit den Tarifvertragsparteien eine Kostenentlastung des Faktors Arbeit herbeiführen…“

    Schröder will nicht behaupten, daß die Arbeiterklasse in Saus und Braus leben würde und ihr Verzicht gut zu Gesicht stünde. Nein, der Lohn als das, wovon die meisten Leute leben müssen, ist dem Wirtschaftssachverständigen einerlei. Sein Gesichtspunkt ist einfach ein anderer: Die Damen und Herren Lohnarbeiter werden als Faktor Arbeit angesprochen, der zu teuer ist. Wofür ist keine Frage – das sieht doch jeder: Die Unternehmer wenden große Portionen von diesem Faktor nicht an. In enger Abstimmung mit den Tarifvertragsparteien – ein Schröder gibt damit an, daß er es als wirtschaftskompetenter Sozi mit beiden kann! – will er die Unternehmer deswegen auch noch von den Belastungen befreien, die ihnen die von ihnen ausrangierten Arbeitskräfte, kaum haben sie deren Lohn durch Rationalisierungen erfolgreich eingespart, unter der Rubrik Lohnnebenkosten für die von ihnen Weiterbeschäftigten dann doch noch bereiten. Daß der Staat durch Umverteilung von Lohnbestandteilen dafür sorgt, daß die Arbeitslosen vom Lohn der Beschäftigten leben, hält dieser Sozialdemokrat für einen Skandal: Nicht, weil der Staat damit seine Arbeiterklasse darauf festlegt, auch dann mit nichts anderem als dem verdienten Lohn auszukommen, wenn immer größere Bestandteile dieser Klasse gar keine Gelegenheit mehr bekommen, einen Lohn zu verdienen, sondern weil er mit seiner Lohnumverteilung ein Hindernis institutionalisiert, die Arbeit für Unternehmer billiger zu machen. Deswegen ist Schröder für einen anderen staatlichen Umgang mit den Arbeitslosen. Als kompetenter Wirtschaftsfachmann verkauft er seinen theoretischen Beitrag zur Verelendung der Massen freilich nicht unter dem Motto: Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen, sondern in der modernen Fassung:

    „Wir werden Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren.“

    Schröder kann den ökonomischen Wahnsinn, den er vorgefunden haben will – die Arbeitslosigkeit wird mit Staatsgeldern nun wirklich nicht gefördert –, einfach nicht fassen und läßt keine Zweifel daran, worauf er mit seinem Appell an den gesunden Menschenverstand hinauswill: Statt ökonomisch völlig unsinnig Leute mit staatlichen Zahlungen zu unterhalten, die die Wirtschaft ausgemustert hat, und den Unternehmern damit Kosten zu verursachen, plädiert er dafür, das Lohnniveau zu senken und dafür Staatsgelder fließen zu lassen:

    „Neben steuerlichen Erleichterungen für Niedriglohngruppen werden wir für eine Übergangszeit Einkommensbeihilfen bis zur Höhe eines Familien-Existenzminimums zahlen („negative Einkommensteuer“) … Im Gegenzug zu diesen Lohnsubventionen werden wir die nach geltendem Recht schon möglichen Sanktionen bei der Ablehnung zumutbarer Arbeit voll ausschöpfen.“

    Wenn es nach den Vorstellungen Schröders geht, sollen die überflüssig gemachten Leute also Arbeitsverhältnisse annehmen, die mit einem Lohn entgolten werden, der sie nicht ernährt, so daß sie von staatlichen Zuschüssen abhängig werden. Dabei darf aber nie vergessen werden, daß es sich bei diesen Zuschüssen um eine Lohnsubvention handelt, und Zahlungen, die als Subventionen etikettiert werden, sind bekanntlich von Übel. Für diese Subvention, die genaugenommen der Kapitalist des Niedriglöhners erhält, muß der Staat folglich – im Gegenzug – den Arbeitslosen die Bereitschaft abverlangen, jede Zumutung zu akzeptieren: Wer die Arbeit ablehnt, wird vom Staat mit der Streichung staatlicher Bezüge bestraft.

    Schröder ist von seiner Idee, durch die Kombination von Lohnsenkung und Entzug staatlicher Zahlungen Beschäftigung zu schaffen, so begeistert, daß er sich auch außerhalb des Unternehmenssektors nach Gelegenheiten umgeschaut hat, Leute auf Niedriglohnarbeitsplätze zu zwingen; schließlich findet auch anderswo der ökonomische Unsinn statt, daß staatliche Gelder an Leute gehen, die nicht arbeiten. Also entwickelt er auch für Sozialhilfeempfänger Perspektiven, wie sie die an sie gehenden staatlichen Leistungen durch eigene Arbeit rechtfertigen können:

    „Wir werden dafür sorgen, daß mehr Menschen von personenbezogenen Dienstleistungen leben können… Das setzt eine Neuformulierung der Ziele, Regeln und des Niveaus im System der Sozialhilfe voraus, die wir unverzüglich in Angriff nehmen.“

    Häusliche Putz- und Pflegedienste u.ä. als Beitrag zur Bewältigung der Massenarbeitslosigkeit – das bringt es. Das hat sozialdemokratischen Stil, wie die Partei Schröders an ihre Anfänge zurückkehrt, wo ihr auch schon der Privatdienst als Hausmädchen besonders am Herzen lag. Im ausgehenden 20. Jahrhundert erblickt ein zum Kanzleramt strebender Sozialdemokrat in solchen Beschäftigungsverhältnissen freilich nicht mehr einen mit der Menschenwürde irgendwie nicht zu vereinbarenden besonderen Skandal. Er ist fest entschlossen, von der Fürsorge abhängige Elendsfiguren auf schlecht bezahlte häusliche u.a. Jobs zu verpflichten, um ihnen die Würde arbeitender Menschen wiederzugeben, und will dementsprechend die Regeln für die Sozialhilfe schärfen.

    Mit dem Wachstum der Armut im Lande hat Schröder also kein Problem. Über die Wirkungen seiner wirtschaftspolitischen Programmatik, mit Mut und neuer Kraft für Innovation und Wachstum in Deutschland zu sorgen, macht er sich nichts vor. Er geht davon aus, daß, wie er den Laden kennt, sowieso nichts daran vorbeiführt, daß

    „in spätestens 15 Jahren nur noch die Hälfte aller Beschäftigten einen arbeits- und sozialrechtlich abgesicherten Vollzeitarbeitsplatz hat…“

    Er weiß also erstens, daß er sich unter dem Motto Innovation und Wachstum zu einer Wirtschaftsweise bekennt, die den Pauperismus in bisher nicht gekanntem Ausmaß vorantreibt. Er weiß zweitens aber auch, daß nichts anderes als mehr Wachstum als Antwort auf die massenhafte Arbeitslosigkeit in Frage kommt: Wie das Kapital zur Schaffung seines Wachstums mit seinem Arbeitsvolk umgeht, hält er ökonomisch für derart vernünftig, daß er der Auffassung ist, der Staat sollte sich daran ein Vorbild nehmen. Nach dem Motto, daß man kein Geld für Leute ausgibt, die sich nicht lohnen, und die Leistung derjenigen, die gebraucht werden, billiger werden muß, verspricht er, auch den Staat auszumisten:

    „Jeder muß sich darauf einstellen, daß wir in Zukunft auch staatliche Dienstleistungen mit weniger Menschen bereitstellen müssen.“

    Wenn schon „lean“, dann muß doch wohl auch der Staat sein Personal ausdünnen! Schröder kommt ganz ohne Berufung auf eine Sparnotwendigkeit aus, wenn er fordert, auch der Staat solle seinen Beitrag zur Steigerung der Arbeitslosenzahlen leisten. Er hält das einfach für effektiv.

    Und er weiß drittens, daß er mit dieser klaren Linie genau die geeignete Besetzung für den Führungsposten in diesem Land ist, die Vertrauen hat, weil sie Vertrauen stiftet:

    „Aber weil wir soviel an Veränderungen wollen und brauchen, werden wir denen, die ökonomisch von der Lohntüte leben und die keine lebenssichernden Vermögenswerte haben, das Vertrauen geben, daß sie in existentiellen Schwierigkeiten nicht allein gelassen werden…“

    Leutselig macht er die Zusage, daß er als sozialdemokratischer Regent das Volk auch dann noch regiert, wenn es noch massenhafter als bisher in existentiellen Schwierigkeiten steckt. Das gehört nämlich auch zu seiner wirtschaftspolitischen Kompetenz, dem Volk mit drastisch ausgemalten Elendsperspektiven, mit negativen Wahlversprechen, Respekt vor der niedersächsischen Ehrlichkeit abzuverlangen und keine falschen Erwartungen zu wecken. Als Ersatz für fehlende lebenssichernde Vermögenswerte bietet der Kandidat der SPD dem Volk als Lebensmittel ein gesundes Vertrauen in seine starke politische Führung an. Und das wird es brauchen.

    Weil ihm klar ist, daß mit dem feinen Wirtschaftssystem, dem er vorstehen möchte, eine Halbierung der sozialrechtlich abgesicherten Vollzeitarbeitsplätze ins Haus steht, die Arbeitsmannschaft gesamtgesellschaftlich also mit weniger Lohn auskommen muß, ist für ihn nämlich auch sonnenklar, daß es mit der staatlichen Armutsverwaltung in Sachen Rente nicht mehr so weitergeht. Und er ist um Alternativen nicht verlegen:

    „Wir (brauchen) neben einer existenzsichernden Grundversorgung mehr Eigenvorsorge und die Beteiligung der Arbeitnehmer am Kapitalstock der Wirtschaft.“

    Mit der Grundversorgung, die Schröder im Auge hat, kann es nicht weit her sein, wenn sie nur einen von drei Posten ausmacht, die er für nötig hält, um einen Rentnerhaushalt zu bestreiten. Deswegen soll der Arbeiterstand, dessen Lohn für die sozialstaatlich organisierte Rente nicht mehr reicht, vom Lohn rechtzeitig etwas fürs Alter auf die hohe Kante legen. Wenn’s dann immer noch nicht reicht, darf auf Arbeitgeber gesetzt werden, die der Idee etwas abgewinnen können, Lohnzahlungen an ihre Mitarbeiter durch das Angebot von Betriebsbeteiligungen zu ersetzen.

*

Und? Verrät nun Schröder mit dem Herausstellen seiner Wirtschaftskompetenz sozialdemokratische Positionen? Bloß um anzukommen? Was heißt hier „bloß“: Schröder macht keine Konzessionen an eine Wählerschaft, die lautstark nach einer wirtschaftspolitischen Umorientierung seiner Partei verlangt hätte. Er will mit dem ankommen, was er politisch für fällig hält, und gibt damit seiner Partei die Linie vor. Dabei stellt er unter Beweis, daß sich auch sein programmatisches Bekenntnis zur Freiheit des Kapitals sozialdemokratisch verkaufen läßt – als Antwort auf das soziale Problem „Arbeitslosigkeit“. Er demonstriert, wie lässig sich die reaktionärsten wirtschaftspolitischen Einlassungen mit dem sozialdemokratischen Standpunkt der Sorge um die sozial Minderbemittelten vereinbaren läßt. Wenn sich aus seiner Partei Stimmen rühren, die in guter, sozialdemokratischer Tradition den Verdacht ventilieren, Schröder würde, „bloß“ um Anklang zu finden, die eigentlichen Anliegen seiner Partei verraten, dann hält sich diese Partei wieder einmal ziemlich durchsichtig für besser als sie ist.