Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das Herbstgutachten
Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand bekräftigt die Lüge vom Wachstum als Mittel für mehr Beschäftigung.
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Länder & Abkommen
Das Herbstgutachten
Im Frühjahr und im Herbst treten die „führenden sechs Wirtschaftsforschungsinstitute“ an die Öffentlichkeit und kommentieren die wirtschaftliche Lage. Diesmal kündigen sie für das Jahr 1998 einen Anstieg des Wachstums und der Arbeitslosenzahlen an:
„‚Trotz Exportboom mehr Arbeitslose‘: Die Wirtschaft wächst, aber die Arbeitslosen haben nichts davon.“
Wieso eigentlich „trotz“ und „aber“? Mit ihrer Entgegensetzung von Wachstum und Arbeitslosigkeit unterstellen die Institute einerseits, daß Wachstum grundsätzlich mehr Beschäftigung bedeutet, andererseits sagen sie, daß das wieder einmal nicht stimmt. Natürlich wissen auch sie, daß die Methode, mit der die Unternehmer das Wachstum ihres Kapitals betreiben, darin besteht, die von ihnen angewandte Arbeit zu effektivieren, dadurch Arbeitskräfte überflüssig zu machen und deren Lohn einzusparen; die Wirtschaftsgutachter wären die letzten, die etwas daran auszusetzen hätten, wenn Unternehmer auf diese einzig sachgerechte Weise ihre Stückkosten senken, und zwar dermaßen erfolgreich, daß ihnen ein „Exportboom“ ins Haus steht. Weil sie diesem Wachstum aber trotz steigender Arbeitslosenzahlen weiterhin segensreiche Wirkungen auf die Beschäftigungslage der Nation nachsagen wollen, tun sie so, als wäre nicht ihre Behauptung, sondern die Sachlage ziemlich paradox. Damit angesichts der 5 Millionen Arbeitslosen, mit denen „die Wirtschaft“ nun ihr Wachstum hinkriegt, Zweifel an ihrem Dogma gar nicht erst aufkommen, nehmen sie den Einwand, daß von der versprochenen Wirkung wenig zu merken ist, in ihr Dogma auf. Wer ihnen mit der Frage kommt, wo denn nun die Arbeitsplätze bleiben, die das Wachstum angeblich schafft, wird von ihnen mit wissenschaftlichen Mitteln beruhigt. Sie haben da – kaum wächst „die Wirtschaft“ und mit ihr die Arbeitslosigkeit – bei der Analyse der „schnell wachsenden Ökonomien Neuseeland und USA“ eine neue Gesetzmäßigkeit entdeckt:
„Jenseits der Schwelle von 2,3% verringert, nach einer gewissen Übergangszeit, jedes Prozent Wachstum die Arbeitslosenquote um ein halbes Prozent.“
Wenn demnächst also in Deutschland, wie angekündigt, die Wirtschaft um 2,8 oder sogar um 3 Prozent wächst, darf wissenschaftlich begründet auf eine um ein sattes viertel Prozent niedrigere Arbeitslosenquote gehofft werden. Sollte daraus nächstes Jahr wider Erwarten doch nichts werden, muß es daran liegen, daß die Wirtschaft noch in der „gewissen Übergangsphase“ ist, in der die Unternehmen ihre vollen Auftragsbücher – ohne Neueinstellungen vorzunehmen – mit der alten Belegschaft bewältigen. Vielleicht ist bis dahin aber auch der Schwellenwert gestiegen, ab dem Wachstum gesetzmäßig zu mehr Beschäftigung führt. Denn eines zeigt das Gutachten überdeutlich:
„Das Gutachten der Wirtschaftsinstitute zeigt: Vor allem Wachstum schafft Arbeitsplätze.“
Die Leistung der Gutachter besteht also in der Empfehlung, auf das Wachstum als Mittel für mehr Beschäftigung auch dann weiterhin zu setzen, wenn es den ihm angedichteten Dienst offenkundig versagt. Denn auch dann ist und bleibt es, wie der Laden nun mal eingerichtet ist, das einzige Mittel, den auf Lohnarbeit Angewiesenen die Möglichkeit zu geben, ihren Unterhalt zu verdienen. Ohne Wachstum schaut es für die „abhängig Beschäftigten“ gleich ganz duster aus. Deswegen sollen sie auf mehr Wachstum hoffen, ohne damit den Anspruch zu verbinden, daß mit mehr Wachstum mehr Verdienstmöglichkeiten für sie entstehen. Es ist schon erstaunlich, welche Anstrengungen der bürgerliche Sachverstand unternimmt, um die arbeitende Klasse über ihre trostlose Lage im Kapitalismus aufzuklären.