Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Hilfe und Wiederaufbau für Afghanistan“
Über die Zählebigkeit eines verlogenen Titels für einen fortdauernden Weltordnungskrieg
„Seit Ende 2001 sind westliche Truppen nun schon in Afghanistan im Einsatz. Sie kamen, um dem Terror Einhalt zu gebieten, und versprachen, beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. Doch richtig gelungen ist weder das eine noch das andere. Vor allem scheint es an Geld und Soldaten zu fehlen. Umso mehr richten sich die Hoffnungen jetzt auf die Afghanistan-Konferenz, die an diesem Donnerstag in Paris stattfindet.“ (SZ)
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
„Hilfe und Wiederaufbau für Afghanistan“: Über die Zählebigkeit eines verlogenen Titels für einen fortdauernden Weltordnungskrieg
Mitte Juni findet die 3. Geberkonferenz
für
Afghanistan in Paris statt. 65 Geberstaaten
verhandeln mit Afghanistan über einen mehrjährigen
Finanzplan; es geht wieder einmal um Milliarden für die
Regierung Karsai. Die ‚Süddeutsche Zeitung‘ nimmt bei
dieser Gelegenheit den internationalen ‚Problemfall‘ am
Hindukusch mal etwas genauer unter die Lupe und widmet
der Konferenz ein Thema des Tages
unter dem Motto:
„Seit Ende 2001 sind westliche Truppen nun schon in Afghanistan im Einsatz. Sie kamen, um dem Terror Einhalt zu gebieten, und versprachen, beim Wiederaufbau des Landes zu helfen. Doch richtig gelungen ist weder das eine noch das andere. Vor allem scheint es an Geld und Soldaten zu fehlen. Umso mehr richten sich die Hoffnungen jetzt auf die Afghanistan-Konferenz, die an diesem Donnerstag in Paris stattfindet.“ (alle Zitate aus der SZ vom 9. und 12.6.2008)
Wenige Worte, gewiss, aber doch eine vollständige
Einordnung der weltpolitischen Daueraffäre Afghanistan:
Warum stehen dort seit bald 7 Jahren mehrere zehntausend
NATO-Soldaten und führen Krieg? Weil dort und
von dort aus fanatische Gewalttäter beim friedlich
gesonnenen Rest der Welt Angst und Schrecken –
Terror
eben – verbreiten. Das ist der
böse, nicht weiter klärenswerte Anfang
aller Gewalt. Dem muss die westliche Staatengemeinschaft
selbstverständlich und mit vollem Recht Einhalt
gebieten
– mit überlegener Kriegsmacht, man muss sich
schließlich wehren dürfen und das Volk am
Hindukusch und die Welt von dieser Terrorherrschaft
befreien. Die Gewalttaten von USA und NATO haben mit
‚Terror‘ nichts zu tun; sie sind nur die notwendige
Reaktion und insofern voll gerechtfertigt –
freilich leider noch nicht vollendet. Wenn das ein
Großteil der Bevölkerung da hinten und nicht wenige im
Rest der Welt genau umgekehrt sehen, dann sind sie
verbohrt. Darüber hinaus zahlt die westliche Gemeinschaft
seit sieben Jahren Geld an den afghanischen
Staat – leistet also, so das Stichwort,
Afghanistan-Hilfe
beim Wiederaufbau
dieses
vom Krieg zerstörten Landes. Für den Krieg und seine
Zerstörungen sind selbstverständlich wieder die Taliban
verantwortlich, während die westlichen Kriegsmächte, die
die bisherigen Machthaber weggebombt und gegen deren
Widerstand eine neue Herrschaft mit fügsamen Figuren
etabliert haben, sich umgekehrt nach Kräften um
Beseitigung der Schäden bemühen – ein bisschen Wohlstand
und Leben in Frieden fürs Volk, soll man sich wohl
denken. Davon haben „wir“ dann legitimerweise auch etwas:
Wenn die Afghanen erst in ihrer wiederaufgebauten neuen
Nation leben, dann haben auch „wir“ im Westen endlich
Ruhe vor den Anschlägen talibanischer Terroristen ...
Also rundheraus nur gute Absichten, welche die
internationale Staatenwelt unter Leitung der USA mit
Militärs und Dollars verfolgen – wenn, ja wenn nur die
aktuelle Bilanz nicht so schlecht wäre. Es steht
schlechter denn je um Afghanistan; aber das kann nie und
nimmer an dem Kriegsprogramm selber liegen: Fatale
Fehlentwicklungen
, Fehler
und
Versäumnisse
haben aus dem Afghanistan-Projekt
eine Tragödie
gemacht. Verloren ist das Projekt
für die SZ-Redaktion freilich noch nicht: Umso mehr
richten sich die Hoffnungen jetzt auf die
Afghanistan-Konferenz ...
– klar, nach Petersberg
2001 und London 2006 gehen nun auch in Paris die
Anstrengungen um die Vollendung des humanitären
Kunstwerks am Hindukusch weiter, mit Geld und
Soldaten
, womit auch sonst, wenn mächtige
Staaten grenzüberschreitend zur Hilfe
eilen. Bleibt nur die Frage: Warum hat sich die
Wirklichkeit so weit entfernt von den Blaupausen und
Pakten
? Warum ist da soviel schief gegangen in der
Afghanistan-Hilfe
, wenn sich immerhin die
reichsten und mächtigsten Staaten dafür zusammentun? Die
‚Süddeutsche Zeitung‘ hat dafür ein paar Erklärungen.
*
In dem Artikel Betteln auf großer
Bühne
fühlt der Auslandskorrespondent
Kröncke den Konferenzbeteiligten auf den Zahn: Wie
steht’s um die Freigebigkeit der Geberstaaten
, und
was hat der afghanische Präsident Karsai mit dem Geld
eigentlich so zustande gebracht? Die Bilanz ist
dürftig
– in jeder Hinsicht. Die Geberstaaten
knausern – wie so oft, wenn Staaten großspurig Hilfe
versprechen, das kennt man ja leider: Wirklich gezahlt
worden ist weniger als versprochen, etwa 2 Milliarden pro
Jahr, und das ist zum guten Teil zurückgeflossen an
die Geberstaaten, so dass für den afghanischen Haushalt,
der sich zu 90 % aus ausländischer Hilfe finanziert,
wenig hängen bleibt.
Offenbar ist der gute Ruf der
‚Geberstaaten‘ von der schäbigen Praxis ihrer ‚Hilfe‘
nicht totzukriegen: Wenn die reichsten Staaten der Welt
erbittert um ihren und der anderen Geldbeitrag feilschen,
den ihnen das gründlich ruinierte Land wert ist, und
eifersüchtig über den Rückfluss der Gelder in ihre
eigenen Kassen wachen, dann entdeckt der Autor nur
dürftige Spenderlaune! Dabei könnte man dem Gefeilsche
und den aufgewendeten Summen – 65 Staaten lassen den
Jahresumsatz eines größeren Betriebs springen,
Deutschland steht für 125 Millionen pro Jahr ein – doch
durchaus entnehmen, dass hier die machtvollen ‚Helfer‘ ,
offensichtlich nicht dem Land großzügig etwas
‚spendieren‘, sondern mit eigenen Mitteln, weil die dort
gar keine haben, ein Ordnungsprogramm installieren, das
ganz an ihren Berechnungen und dem Aufwand hängt, den sie
dafür zu treiben gewillt sind, vornehmlich eben für die
Finanzierung der eigenen Ordnungskräfte.
Es ist dem SZ-Mann ja auch nicht unbekannt, dass da die
auswärtigen Mächte dem Land eine neue Führung verpasst
haben mit dem Auftrag, sich ihrem Interesse
gemäß und nach ihren Vorgaben um die Aufsicht
über die gründlich zerstörten Verhältnisse möglichst
weitgehend selber zu kümmern, um sie zu entlasten;
deswegen kalkulieren sie dann auch sehr scharf und immer
mit Blick auf die Konkurrenten, was ihnen ihr Einfluss
und die Kontrolle an eigenem Einsatz von Militär und Geld
wert ist. Das sieht das Weltblatt aus München bloß etwas
anders, nämlich als Berechtigung für ein paar Ansprüche,
die „wir“ mit unserer „Hilfe“ an den neuen Staat stellen
dürfen. Dort soll, das kann die Welt ja wohl erwarten,
gefälligst richtig, d. h. im Sinne derjenigen, die das
Land mit Soldaten und Geld beglücken, regiert werden;
damit aber steht es schlecht. Der Empfänger der
Hilfe bleibt da alles schuldig, weil die Regierung Karsai
und das Land überhaupt nichts tun:
Afghanistan will mehrere Milliarden Dollar, doch dafür
muss das Land auch etwas tun.
Sein Präsident, bis vor
kurzem noch „unser Mann in Kabul“, erscheint heutzutage
einem deutschen Journalisten offenbar als mehr oder
weniger unverschämter und unfähiger Bittsteller.
Er stellt einerseits verrückte Ansprüche an die
Geberstaaten
:Karsai erhofft angeblich 50 Mrd.
Dollar – eine illusorische Größenordnung nach Meinung der
Deutschen. ‚Die Afghanen müssen aufhören, immer neue
Wunschlisten aufzustellen‘, sagte ein
Regierungsmitglied.
Andererseits bringt er selber gar
nichts von den Ordnungsdiensten zustande, die er
gefälligst leisten sollte: Was tun sie gegen
Korruption, Kriminalität und Drogenhandel, wo sind die
Fortschritte beim Aufbau einer funktionierenden
Verwaltung und einer Justiz?
Fehlanzeige!, bekommt
der Leser mitgeteilt, dito im Kampf gegen
Taliban-Terroristen und Warlords: Die Regierung hat
auf dem Lande so gut wie nichts zu melden. Karsai muss
sich als ‚Bürgermeister von Kabul‘ verspotten lassen.
Aber in Paris agiert er auf großer Bühne.
„Wir“ zahlen und zahlen, und der Mann in Kabul bringt das
ganze Geld sinnlos durch, lässt in seinem Land alles
drunter und drüber gehen und stellt dann noch Ansprüche:
Das sitzt! Aber wenn es denn schon irgendwie um
Wiederaufbau
des Landes gehen sollte – wären dann
nicht viel mehr als 50 Mrd. nötig? Und warum sind denn
die geforderten Summen überhaupt so illusorisch
?
Weil es nicht mehr Mittel gibt – oder weil die
Geberstaaten
ihren Absichten gemäß nicht mehr
herausrücken wollen? Da zerschlagen die USA und ihre
Helfer mit ihrer überlegenen Gewalt die alte Herrschaft,
setzen in Kabul eine neue Mannschaft nach ihren
Vorstellungen ein, die ohne irgendeine nationale
Grundlage nur von der geliehenen auswärtigen Gewalt lebt
und im Land der Kräfte nicht Herr wird, die sie gegen
sich aufbringt, die also mit den Mitteln, die ihr die
ausländischen Aufseher zukommen lassen, das Ideal von
Volksgehorsam und Ordnung, das die von ihr erwarten,
nicht hinbekommt; obendrein sehen sich dieselben Mächte,
die derart ambitionierte Erwartungen hegen, bei ihrer
Sorte ‚Ordnungsstiftung‘ beständig zur Eskalation des
Krieges veranlasst, den sie im Land führen, haben also
alles andere im Angebot als materielle Verbesserungen,
die das Volk für die Herrschaft einnehmen könnten: Und
angesichts all dessen kolportiert der Mann von der SZ
ungerührt weiter die Lesart von der eigenständigen
Herrschaft, der man hilfreich unter die Arme greift,
damit sie selbstständig als Ordnungsmacht im Land
funktioniert! Da weiß er dann auch immer, welche Sorte
Herrschaftskritik dann am Platz ist, wenn Karsai nicht so
funktioniert, wie er soll: Der Mann verdient unsere
Unterstützung überhaupt nicht, und wenn er mehr von ihr
will, ist er nur unverschämt anspruchsvoll!
Trotzdem – einiges haben die auswärtigen ‚Helfer‘ mit
ihrem militärischen Engagement und ihrem Geld im Land ja
unternommen. Und so kann sich die SZ fragen, ob das, was
sie im Einvernehmen mit den Veranstaltern unter
‚Wiederaufbauleistungen‘ verbucht, auch gerecht
über das Land verteilt worden ist. Die Bilanz ist
zwiespältig: Glaspaläste und
Kriegsruinen
. Peter Münch schickt sich an zu
erklären, warum es Zwei Seiten des Wiederaufbaus
(Untertitel) gibt. Erst lässt
er den Leser staunen über verspiegelte
Glaspaläste
, modernste Handy-Netze und einen perfekt
funktionierenden internationalen Flughafen Kabul, dann
schweift der Blick über das gebirgige Land und ist
enttäuscht: ... in den Provinzen hat all das bislang
wenig Niederschlag gefunden, was auf den Geberkonferenzen
versprochen wurde ... heute überwiegt die Enttäuschung
... Zwei Drittel der Afghanen haben kein sauberes
Trinkwasser, ganze Provinzen sind ohne
Elektrizitätsversorgung, die Wirtschaft kommt nicht in
Gang, 70 – 90 % Arbeitslosigkeit ...
usw. usf. Von
einem Staatsaufbau in dem Sinne kann also keine Rede
sein, es fehlen die elementarsten Grundlagen für
irgendwie aushaltbare und schon gleich für irgendwie
ordentlich geregelte Verhältnisse für die Massen. Statt
dessen leistet sich das neue Regime ein paar
fremdfinanzierte Vorzeigeprojekte eigener Macht und
Herrlichkeit im Umkreis seiner Hauptstadt – und der
journalistische Begutachter entdeckt darin leider noch
immer nur sehr einseitige Fortschritte beim Aufbau eines
Staatslebens, wie wir es von uns her kennen.
Und warum soviel Schatten neben dem Licht?
Erstens ist der Wiederaufbau in einem Land, das in 30
Jahren Krieg bis auf die Grundmauern zerschossen wurde,
ein Projekt, das einen enorm langen Atem verlangt.
Allerdings, möchte man hinzufügen, schließlich waren ja
an dieser gründlichen Zerstörungsaktion die überlegenen
Waffen der edlen westlichen Aufbauhelfer nachhaltig
beteiligt und sind es weiterhin! Zweitens aber haben die
Afghanen eine der höchsten Geburtenraten der Welt
;
sie werden so schnell mehr, dass „wir“ mit unserem Geld
beim Aufbauen einfach nicht hinterherkommen. Wahrlich
eine bestechende Ursachenforschung: Wenn Bush, Merkel und
Co. nach dem militärischen Sieg über den Taliban-Staat
Kabul zur Herrschaftsmetropole herrichten, dann
ist das für Herrn Münch die – zugegebenermaßen
unzureichende, aber: – hoffnungsvolle eine
Seite; und wenn die afghanische Bevölkerung zur selben
Zeit vermehrt im Elend oder nur vom Drogenanbau lebt,
dann ist das die andere, nicht so schöne
Seite des Wiederaufbaus
, da muss künftig einfach
mehr passieren. Der Kenner in Sachen ‚nation building‘
hält also gnadenlos daran fest, den afghanischen ‚regime
change‘ und dessen Konsequenzen – von den
sichtbaren Protzbauten der neuen Herrschaft bis zu den
nicht minder sichtbaren Nöten der Bevölkerung, im
zerstörten Land zu leben und zu überleben – unter dem
Gesichtspunkt einer mehr oder weniger gut gelungenen
Aufbauhilfe zu beurteilen. Von da aus gibt es
dann natürlich immer auch Erfreuliches zu vermelden,
irgendetwas Nützliches muss das viele Geld ja bewirken,
das denen spendiert wird: Ganz ohne Erfolge sind die
milliardenschweren Aufbauprogramme aber natürlich nicht
geblieben. Vor allem im Bereich Bildung sind Fortschritte
zu sehen. Mehr als 3500 Schulen wurden gebaut, mehr als
sechs Millionen afghanische Kinder besuchen den
Unterricht – das sind achtmal so viele wie 2001.
Zweifellos eine Erfolgsmeldung – und mit dem Stichwort
Bildung
ist nebenbei noch ein Beweis der
grundguten Absichten der Westmächte erbracht. Wenn die am
Hindukusch sind, dann kümmern sie sich darum, dass
Afghanenkinder mit dem ABC lernen, was modern und
zivilgesellschaftlich ist und wo gut und böse in dieser
Welt stehen.
Auch anderweitig entdeckt die SZ nicht geringe Probleme:
Die Kunst des Überlebens
ist
schwierig – gemeint sind damit nicht die Afghanen mit
ihren Lebenssorgen. Der einschlägige Artikel widmet sich
vielmehr der schwierigen Mission der Europäer, in
Afghanistan eine Polizeitruppe aufzubauen
, und
schildert einfühlsam das vordringliche Problem
afghanischer Sicherheitskräfte, im Alltag talibanische
Angriffe zu überleben
. Deren Aufbau bleibt hinter
den westlichen Ankündigungen zurück: EU und Nato
hinken anderthalb bis zwei Jahre hinter dem Plan her, ein
wirklicher Ausbau der afghanischen Nationalpolizei ist
kaum realisierbar ... zu wenig gepanzerte Fahrzeuge,
Computer usf. ... Man braucht quasi Paramilitärs, die
auch kämpfen können. Und dabei überleben.
Warum man sich die Sorge um die Aufstellung
einer schlagkräftigen Truppe machen soll, die mit
‚Polizei‘ nach Auskunft der SZ eigentlich nicht gerade
passend gekennzeichnet ist – um die polizeiliche Aufsicht
über ein rechtlich ordentlich geregeltes öffentliches und
privates Leben geht es ja nicht, sondern um die Kontrolle
über ein Volk, in dem lauter gewaltbereiter Widerstand
unterwegs ist –, diese Frage geht selbstverständlich
völlig an der Sache vorbei. Die erfolgreiche Verankerung
der westlich definierten Herrschaft gehört sich einfach,
das ist die ‚Hilfe‘, die das Volk dort verdient, auch
wenn es sich offensichtlich mehrheitlich gar nicht danach
sehnt; also ist der Aufbau eines flächendeckenden
militärischen wie polizeilichen Gewaltapparates schlicht
eine, ja die allererste Dienstleistung für das
afghanische Volk. Und man darf und soll mitleiden, dass
den Ordnungskräften das Leben so schwer gemacht wird,
weil sie den Respekt nicht genießen, den sie doch
eigentlich verdient haben. Daran ist – da wird die SZ
kritisch – die ungeschickte Kriegsführung der USA schuld,
die einfach zuviel – falsche – Opfer fordert: Dutzende
Zivilisten getötet
. Die Rücksichtslosigkeit, mit der
ein Volk da tagtäglich befriedet wird, denunziert nicht
das Hilfsprogramm, das der Westen dem afghanischen Volk
beschert; das gefährdet nach Auffassung des SZ-Schreibers
den eigentlich verdienten guten Ruf „unserer“
Sicherheitskräfte bei den Afghanen, das sorgt
für Glaubwürdigkeitsverlust des Westens bei der
afghanischen Bevölkerung
, macht also die
Ordnungsbemühungen des Westens noch schwerer, als sie es
ohnehin schon sind: 6000 kriegerische Zwischenfälle,
das bedeutet Gewalt fast im Stundentakt.
Deren Opfer
sind die Ordnungskräfte, die von ihren Initiatoren in
Washington und Europa nicht zu einer echten Kampftruppe
hochgerüstet werden, deren Dienst damit zur Kunst des
Überlebens
gerät. Opfer ist damit letzten Endes der
Westen selber mit seinem Anspruch auf ein gefügig
gemachtes und verlässlich unter Kontrolle gebrachtes
Volk. Dass diese Schilderung von anhaltender
Feindschaft der behaupteten guten Absicht – wir
schenken den Afghanen eine Polizei, die sie gut brauchen
können – ein wenig widerspricht, stört die SZ-Redaktion
nicht weiter. Die alltäglichen Anfeindungen verbucht sie
als schwierige Bedingung für Ordnungsstiftung, als ein
weiteres ‚Problem‘ mithin, das nach einem Mehr an
Hilfe
für Polizei und Militär verlangt.
*
Die Schilderungen der SZ ergeben, recht besehen, also ein
ziemlich schonungsloses Bild: Sieben Jahre nach dem Sieg
über das Taliban-Regime berichtet das Blatt von
Geberstaaten
, die um die Lasten einer
fortdauernden gewaltsamen Aufsicht streiten; von einer
machtlosen und unberechenbaren Marionettenregierung in
Kabul, deren Regime dem Volk ein paar Denkmäler
westlichen Reichtums und sonst nichts beschert und
bestenfalls bis an die Grenzen der Hauptstadt reicht; von
einem verelendeten Volk, das sich, wenn überhaupt, vom
Drogenanbau ernährt und in großen Teilen nach wie vor
oder mehr denn je als ‚Sumpf‘ der Taliban fungiert; von
‚Ordnungsmächten‘, die laufend ohne viel Rücksicht, es
sei denn auf die eigenen Kosten und Lasten, um
militärische Kontrolle über Land und Leute kämpfen, so
dass die Störungen und Zerstörungen weitergehen; von
einer Lage, wo ohne Aufstockung der Besatzungstruppen und
laufende kriegerische Einsätze das westliche Regime vor
Ort unweigerlich zusammenbräche.
Den Schluss, dass es bei der Afghanistan-Hilfe
dann um nichts anderes als eben diesen Anspruch auf
Unterordnung der dortigen Herrschafts- und
Lebensverhältnisse geht, der auf anhaltenden Widerstand
in Afghanistan stößt und laufend mit Gewalt durchgekämpft
wird, zieht die SZ allerdings nicht, im Gegenteil. Fester
Ausgangspunkt ihrer kritischen Lageanalyse bleiben all
jene verlogenen Formeln, mit denen die NATO-Mächte seit
2001 ihren Dauerkrieg und ihr Besatzungsregime
rechtfertigen: Hilfe
im Kampf gegen den
Terror
und beim Wiederaufbau
, mit der man der
afghanischen Nation und ihrem Volk beispringt. Die
zerstörerischen Wirkungen und störenden Umstände des
fortdauernden Weltordnungskrieges, den die USA und die
mitwirkenden Weltaufsichtskonkurrenten in Afghanistan
veranstalten, verbucht das Weltblatt aus München
ungerührt als eine immer länger werdende
Mängelliste bei der Umsetzung eines ehrenwerten
Gemeinschaftswerks im Dienste des afghanischen Volkes und
der ganzen Weltgemeinschaft.
Diese ideologische Glanzleistung steht im Übrigen in
einer ehrwürdigen Tradition – allerdings mit umgekehrten
Vorzeichen: Zu den Zeiten, als der damalige
Weltmachtkonkurrent und Feind Sowjetunion in
Afghanistan als Ordnungsmacht aktiv war, haben deutsche
Journalisten jeder Einweihung eines neuen Schulgebäudes
oder einer Frauenklinik, jeder Maßnahme zur
Stabilisierung einer afghanischen, natürlich
pro-sowjetischen Volksregierung, jeder Ausweitung
russischer Truppenkontingente genauso wie den zunehmenden
Anschlägen auf die sowjetischen Truppen durch die –
damals vom Westen geförderten – Taliban immer nur das
Eine entnommen: Die Lüge der Sowjets, es ginge
ihnen darum, Afghanistan zu einer ordentlichen Herrschaft
zu verhelfen und zu befrieden. Was seinerzeit eine
verbrecherische Unterdrückung des freiheitsliebenden
afghanischen Volkes durch russische Imperialisten war,
ist heute eine Hilfe zum Wiederaufbau
,
Imperialismus der Freiheitlichkeit eben, also keiner.