Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Weltklimakonferenz in Den Haag:
Der grüne Umweltminister versöhnt Ökonomie und Ökologie – im Konkurrenzkampf mit Amerika
Die wichtigsten Weltwirtschaftsmächte sind besorgt über den Klimawandel bzw. dessen mögliche Rückwirkungen auf ihre Wirtschaft. Der deutsche Umweltminister inszeniert sich als Anwalt der weltweiten Beschränkung von Schadstoffemissionen, verlangt die Übernahme der deutschen „Klimaleitkultur“ durch den Rest der Welt – und leistet so den deutschen Konferenzbeitrag zum Wettstreit darum, bei der Reduktion von Treibhausgasen national möglichst billig davonzukommen und vor allem dem deutschen Umwelttechnologie-Geschäft möglichst große Anteile bei der Bewirtschaftung des globalen Energiebedarfs und -verbrauchs zu sichern.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Weltklimakonferenz in Den
Haag:
Der grüne Umweltminister versöhnt
Ökonomie und Ökologie – im Konkurrenzkampf mit
Amerika
Auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in
Rio „akzeptieren“ die maßgeblichen Wirtschaftsmächte
erstmals die Warnung von Wissenschaftlern, dass die
giftigen Emissionen ihrer kapitalistischen
Nationalökonomien alarmierende Veränderungen
des
Klimas verursachen. 5 Jahre später einigen sie sich dann
bereits auf eine Lastenverteilung
, die
verbindliche Reduktionsziele für die einzelnen Nationen
festlegt. Im Kampf gegen die Aufheizung der
Atmosphäre
wollen sie bis zum Jahr 2012 den Ausstoß
von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen weltweit um
durchschnittlich satte 5,21% – bezogen auf das
vereinbarte Stichjahr
1990 – vermindern. Drei
Jahre später sind trotz dieser Zusagen von Kioto
die Kohlendioxid-Emissionen weiter gestiegen
– „die Schere zwischen der Realität und den Zielen von Kioto öffnet sich immer mehr“; „kein Industrieland hat das Protokoll bislang ratifiziert“ (FAZ).
Gleichzeitig bekräftigen die versammelten Emissionsmächte
auf der diesjährigen sechsten Weltklimakonferenz in Den
Haag, dass sie entschlossen sind, die Erwärmung des
Erdklimas effektiv zu bekämpfen
. Auf der Agenda steht
nun der verbindliche Einstieg
in konkrete
Schritte
zur wirklichen Reduktion
der
Treibhausgase. Das neuerliche Ringen um die Rettung
des Erdklimas
dreht sich um die Lösung
einer
Unmenge noch offener
, aber eben für die
verhandelnden Staaten heikler
Fragen;
insbesondere, welche flexiblen Mechanismen
und
marktwirtschaftlichen Instrumente
von den
kapitalistischen Emissionsmächten in Anschlag gebracht
werden dürfen, um die zugesagten Reduktionsziele zu
erfüllen:
„Wie viele Treibhausgase speichern Wälder und Fluren? Wenn künftig weniger tief gepflügt und dadurch Kohlendioxid gebunden wird, darf das künftig auf die Verpflichtung angerechnet werden? Wenn die Russen ihre Emissionsrechte nicht brauchen, dürfen sie diese verkaufen? Darf ein Industrieland in einem Entwicklungsland ein Atomkraftwerk bauen, um sich die dadurch eingesparten Treibhausgase anrechnen zu lassen? Wer soll das alles kontrollieren? Und was passiert, wenn jemand seine Verpflichtung nicht einhält?“ (FAZ, 24.11.)
15 Tage lang und selbst die Nächte hindurch feilschen die
Klimabevollmächtigten von 180 Staaten auf der
diplomatischen Großveranstaltung in Holland um eine
Ökologie des Klimawandels durch Klimahandel
, die
das gefährdete Klima mit den jeweiligen nationalen
Emissionsbedürfnissen versöhnt. Dann ist die
Schicksalskonferenz
gescheitert, die Schuldfrage
umso schneller geklärt:
„Die Amerikaner, Japaner, die Australier und die Saudis. Das ist der Block derjenigen, die zu Hause nichts tun wollen.“ (Forum Umwelt und Entwicklung)
Während also die anderen Staaten, allen voran die
CO2-Weltmacht Amerika
, mal wieder nur
egoistisch an ihre boomende Wirtschaft
gedacht
haben, hat Deutschland auf der Weltklimatagung
zweifelsfrei zu den Guten gehört
. In den anderen
Staaten fehlt einfach die am deutschen Standort geltende
Klimaleitkultur
, dem Klimaschutz im eigenen
Land einen echten Vorrang einzuräumen
(Trittin). Und – ein seltener Fall:
Ungeteilte Zustimmung bekommt der deutsche Umweltminister
Trittin für seine harte und unnachgiebige Haltung
.
Der grüne Umweltminister, der sonst nie den Verdacht los
wird, aus ideologischer Verblendung „gegen die Wirtschaft
zu regieren“, wird hier, wo es auf internationaler Ebene
ums globale Klima geht, für seinen kompromisslosen
Einsatz allseits gelobt. Selbst der Verbandschef der
deutschen Industrie, Henkel, der bekanntermaßen den
Umweltminister schon aufgrund seines Amtes für ein
Standortrisiko hält, fordert von Trittin ein
anspruchsvolles Ergebnis der Weltklimakonferenz
, weil
in dem Fall die ökologischen und die ökonomischen
Interessen weitgehend deckungsgleich
wären –
vorausgesetzt freilich, die Milliardenbeträge, die die
europäischen Unternehmen und allen voran die deutsche
Wirtschaft aufwenden, um den Ausstoß von Treibhausgasen
zu verringern
, werden nicht durch
Wettbewerbsnachteile zu Lasten des
CO2-Reduktionsweltmeisters
bestraft. Und
auch Umweltschutzverbände und eine kritische
Öffentlichkeit, sonst eher skeptisch, ob der Minister
nicht doch immer wieder vor dem Kanzler der Bosse in die
Knie geht, zeigen sich in diesem Fall restlos zufrieden:
Deutschland hat bei den Klimaverhandlungen eine
Vorreiterrolle gespielt und damit gezeigt, dass
Klimaschutz ein ernsthaftes Anliegen ist.
(Greenpeace)
„Ich stehe fürs Reduzieren…“
Da inszeniert sich der deutsche Umweltminister als Anwalt
der weltweiten Beschränkung von Schadstoffemissionen und
verlangt die Übernahme der deutschen „Klimaleitkultur“
durch den Rest der Welt – und ganz Deutschland findet
Gefallen daran und glaubt dem Minister aufs Wort, dass
man an seinem vorbildlichen und unnachgiebigen Vorgehen
auf der internationalen Bühne sehen könne, wie jetzt
endlich ernst gemacht wird mit Umweltschutz und
ökologischer Energiewende, seit das Umweltressort mit
einem Grünen besetzt ist. Die ganze Wahrheit
über die Tätigkeit des Ministers und den Stellenwert von
Umweltschutz in der ökologischen Musternation Deutschland
ist das sicher nicht. Die Übernahme eines Stücks
Regierungsmacht durch die grüne „Protestpartei“ bedeutet
nämlich überhaupt nicht, dass nun die Einwände von
gestern gegen „die Zerstörung der Lebensgrundlagen der
Menschheit“ durch „grenzenloses Wachstum“ die Richtlinien
der Umweltpolitik bestimmen würden. Umgekehrt: Als
nationale Standortverwaltung steht die rotgrüne Koalition
zuerst einmal und vor allem andern dafür ein, dass es mit
dem kapitalistischen System, das in der Nation einen so
vortrefflichen Standort gefunden hat, nach dessen eigenen
Maßstäben erfolgreich weitergeht. Das grüne
Umweltgewissen stellt sich nun, da es
Regierungsverantwortung trägt, den Aufgaben, die im Amt
fix und fertig definiert vorliegen: Es kümmert sich um
die politische Verwaltung der Mensch und Natur
ruinierenden kapitalistischen Praxis – und das ist das
Gegenteil von Be- oder gar Verhinderung. Das wird gerade
an den weitgefächerten Aktivitäten des Ministeriums
deutlich, auf die dessen Chef so stolz ist: Wenn Trittin
damit angibt, dass er mit dem ehrenwerten politischen
Geschäft des Reduzierens von Schadstoffen kaum noch
nachkommt, dann heißt das ja wohl auf der anderen Seite,
dass deren Ausstoß in dem von ihm betreuten Laden laufend
Hochkonjunktur hat. Genau dies: die systematische
Bedenkenlosigkeit im geschäftsdienlichen Umgang mit den
‚Springquellen allen Reichtums: Mensch und Natur‘, ist
die bleibende und politisch anerkannte Geschäftsgrundlage
seines umweltschützerischen Säuberns. Die schädlichen
Wirkungen der grundgesetzlich geschützten und politisch
nach Kräften geförderten Produktionsweise auf Land, Luft
und Leute sind sein Betätigungsfeld; und er braucht nicht
zu befürchten, dass ihm das jemals wegen „nachhaltig“
erfolgreicher Schadensvermeidung abhanden käme. Denn
umgekehrt rechnen auch unter einem grünen Umweltminister
geschäftstüchtige deutsche Unternehmer in
Schadstoffkonzentration pro Kubikmeter
und mit
Filtern und ähnlichem Zeug als purem Kostenfaktor, der
gering zu halten ist; nicht nur das Klima und die
Atmosphäre sind in ihrer Kalkulation als eine weitgehend
kostenlose und ziemlich unbegrenzte Müllhalde eingeplant.
Billig loswerden – so lautet am Standort des
Klimaschutzvorreiters
immer noch das oberste Gebot
in Sachen ökonomischer Vernunft, wenn es um die
Entsorgung der gasförmigen und festeren Abfälle einer
ungesunden Gewinnproduktion geht.
Das geht erstens grundsätzlich und zweitens solange in Ordnung, wie der geschäftsfördernde Umgang mit Land und Leuten nicht das Geschäftemachen selbst zu beeinträchtigen droht. Diese Gefahr – und nicht etwa der Schutz von Mensch und Natur vor ihrem ruinösen marktwirtschaftlichen Gebrauch – ist der Grund für das Amt eines Umweltministers und macht den Umweltschutz zur offiziell anerkannten und von der Politik zu berücksichtigenden Notwendigkeit. Die Aufgaben der Umweltpolitik stehen damit auch schon fest: Mit „Grenzwerten“, „Schutzzielen“ oder „Schadstoffhöchstmengenverordnungen“ wird festgelegt, ab welchem Ausmaß die grundsätzlich erteilte Erlaubnis zur nachhaltigen Verschmutzung und Vergiftung der natürlichen Lebensbedingungen rechtlich begrenzt werden muss, damit das Geschäft der einen nicht das produktive Eigentum anderer Unternehmer schädigt, d.h. seinen profitträchtigen Einsatz behindert oder am Ende sogar die Grundlagen des nationalen Geschäftslebens insgesamt versaut. Das in diesem Sinne ermittelte flexible Maß definiert nicht die Grenze, ab der die Luft aus den kapitalistischen Schloten erst für die Leute ungesund und zuguterletzt auch noch für ein intaktes Weltklima gefährlich wird. Es ist das Ergebnis einer politischen Verträglichkeitsrechnung, die dem Geschäftsstandort seine Naturbedingungen benutzbar erhalten will – unter der eindeutigen Maßgabe, dass das nationale Geschäft unter den harten Bedingungen eines globalen Konkurrenzkampfes keinen mehr als unbedingt notwendigen Schaden nehmen darf.
Das lässt sich machen – schließlich geht es nicht um das
unmögliche Unterfangen, gesundes Leben und
kapitalistische Rechnungsweise „deckungsgleich“ zu
machen, sondern um „Ökologie“ im Sinne des
wohlverstandenen allgemeinen und langfristigen
Eigeninteresses der „Ökonomie“. Auch das ist freilich
schwierig genug. Denn so sehr auch jede staatliche
Umweltauflage dem Erhalt der quasi natürlichen
Geschäftsbedingungen am nationalen Kapitalstandort gilt,
also alles andere als geschäftswidrig sein will und
entsprechend abgewogen ausfällt: um Restriktionen für das
laufende Geschäft handelt es sich doch; und das stört
allemal die Konkurrenzanstrengungen tüchtiger
Unternehmer. Genau hier jedoch, dafür steht Trittin mit
seinem marktwirtschaftlich-grünen Umweltgewissen ein, ist
– spätestens in Den Haag – der Durchbruch gelungen. Er
hat nämlich herausgefunden, dass ein
Weiterwirtschaften in den Industrienationen wie
bisher
nicht nur ökologisch verheerend
wäre,
sondern auch wirtschaftlich falsch
, da beim
Klimaschutz die schönsten ökonomischen Vorteile
winken, nämlich Wettbewerbsfähigkeit, Exportchancen
und Kostenreduktion in den Betrieben
. Ureigene
unternehmerische Zielsetzungen also arbeiten der
amtlichen Klimaschutzpolitik in die Hände und geben ihr
Recht – ein schöner Triumph, der noch dazu billig zu
haben ist. Denn praktisch wahr wird die stolz
verkündete Gleichung genau dadurch, dass, und in genau
dem Maße, wie die neue erfolgsorientierte grüne
Umweltpolitik erst gar nichts anderes bezweckt
als die Ausstattung kapitalistischer Konkurrenzerfolge
mit einer wohlwollenden ökologischen Interpretation. Da
braucht die deutsche Unternehmerschaft mit ihren
Investitionen in gesteigerte Energieeffizienz, in
Techniken der Kraft-Wärme-Koppelung u.ä. für gar nichts
weiter zu sorgen als für eine Senkung der Betriebskosten
ihrer Profitproduktion – aus Sicht des Umweltministers
setzt sich genau so der Klimaschutzgedanke durch. Die
Regierung braucht bloß stinknormale Standortpflege zu
betreiben, die Rationalisierungsbemühungen ihrer
Wirtschaft zu subventionieren und den Ausbau erneuerbarer
Energien zu fördern, damit die rohstoffarme Republik in
Sachen nationaler Heizkostenrechnung billiger davonkommt
und ein Stück weit unabhängiger wird von Öl- und
Gasimporten und deren Preisschwankungen – schon hat sie
das Ihre für die Rettung der Atmosphäre getan. Zwar zeugt
noch die vorweggenommene stolze Erfolgsmeldung des
Ministers – eine Entkoppelung von Wirtschaftswachstum
und Umweltverbrauch ist durchaus möglich
, das Kapital
kann also „durchaus“ wachsen, ohne unbedingt in gleichem
Maße Umwelt zu „verbrauchen“ – in Wahrheit davon, wie
unzertrennlich in der Marktwirtschaft Energieerzeugung
und Luftverschmutzung grundsätzlich zusammengehören. Doch
warum sollte man das so eng sehen? Interpretieren lässt
die Sache sich durchaus auch andersherum, im Sinne einer
ökologischen List der ökonomischen Vernunft – oder
umgekehrt…: Wo immer sich Einsparung von Energie als
Mittel der betrieblichen Kostensenkung erweist,
investieren Deutschlands Unternehmer im Grunde in den
Schutz der Umwelt; wo Investitionsgüterhersteller daran
verdienen, profitiert in Wahrheit der Klimaschutz.
Freilich ist mit dieser schönen Deutung umgekehrt doch
nur noch einmal das Eine ausdrücklich klargestellt:
Gesetzliche Auflagen zur Minderung der Treibhausgase, die
ökonomische Nachteile für das nationale
Wirtschaftswachstum mit sich bringen könnten, kommen auch
unter einem Trittin nicht in Frage. Daran ändern auch die
katastrophalen globalen Auswirkungen
einer
Erwärmung der Erde nichts, die sich so dramatisch
ausmalen lassen – schmelzende Gletscher
, im
Meer versinkende Inseln
, verheerende Dürren
,
Tropenkrankheiten, die dem Norden den Tod bringen
.
Eher ist es umgekehrt: Die wirklichen
Auswirkungen steigender Temperaturen aufs
Kapitalwachstum, und zwar gerade dort, wo das Kapital am
erfolgreichsten wächst, auf den eigenen Standort also,
nehmen sich einerseits dann doch zu
vage und unbestimmt aus, als dass eine fürs
kapitalstandortmäßige Gemeinwohl verantwortliche
Regierung sich leichten Herzens dazu entschließen könnte,
ihren Unternehmern irgendetwas Restriktives in Sachen
Kohlendioxidausstoß vorzuschreiben. So viel
Reduktion an CO2-Emissionen, wie beim
Rationalisieren der Energiekosten nebenbei mit abfällt:
Im Prinzip ist genau das der vorbildliche und
ökologisch angemessene Klimaschutz, den der deutsche
Umweltminister seinem Kapitalstandort verordnet. Eine
„freiwillige Selbstverpflichung“ der Wirtschaft ist da
deswegen auch das passende umweltpolitische Instrument.
„… – weltweit!“ (Trittin)
Die Sache hat außerdem aber noch eine andere Seite. Den Regierungen der wichtigsten Weltwirtschaftsmächte ist der befürchtete „menschengemachte“ Klimawandel immerhin wichtig genug, um eine Weltaffäre daraus zu machen. Sie möchten nicht mehr ausschließen, dass sich auf längere Sicht doch auch für ihre blühenden Kapitalstandorte unliebsame Rückwirkungen, und sei es noch so indirekter Art, ergeben können, wenn die Anreicherung der Atmosphäre mit Dreck und Treibhausgasen hemmungslos so weitergeht wie bisher oder sogar noch mit jedem „emerging market“ auf der Welt massiv zunimmt. Sie rechnen also damit, dass sie demnächst Maßnahmen zur Schadensbegrenzung für unabweisbar befinden könnten. Jede Maßnahme jedoch, die ernsthaft auf Begrenzung dieses Schadens zielt, betrifft nichts geringeres als die Energieerzeugung und -verwendung in den Nationen, das Geschäft also mit dem materiellen Antriebsmittel des gesamten Geschäftslebens am nationalen Standort, und berührt insoweit immerhin dessen Konkurrenzfähigkeit insgesamt. Deswegen ist allen politisch Verantwortlichen gleich klar, dass Klimaschutz wenn überhaupt, dann nur international angepackt werden kann. Zur ideologischen Illustration dieser Notwendigkeit steuert das Objekt ihrer Besorgnis alles Nötige gratis bei: Bis dahin haben es die kapitalistischen Großmächte ja tatsächlich gebracht, dass die gasförmigen Exkremente ihrer nationalen Marktwirtschaften buchstäblich bis in die globale Stratosphäre hinauf zum Himmel stinken, „das Problem“ also „vor nationalen Grenzen nicht Halt macht“. Nur folgern sie daraus überhaupt nicht, dass es dann auch genau so beseitigt werden müsste, wie es entstanden ist, oder gar, dass sie zu einer gemeinsamen Säuberungsaktion schreiten sollten. Im Gegenteil: Wo kapitalistische Standortverwaltungen ein globales Problem ausrufen, da haben sie ihre globale Konkurrenz im Auge; bei grenzüberschreitenden gemeinsamen Aktionen denken sie an gar nichts anderes als daran, alle anderen Staaten in Haftung zu nehmen und rechtzeitig, nämlich noch vor jedem praktischen Eingriff dafür zu sorgen, dass aus eventuell wirklich unabweisbaren Restriktionen auf gar keinen Fall ihrer Nation ein Wettbewerbsnachteil erwächst.
Deswegen ist es auch nur folgerichtig, dass die aus gemeinsamer Sorge um das Weltklima zusammengerufene Staatenversammlung als erstes, noch vor jeder Absprache über Reduktionsziele, geschweige denn über Maßnahmen, eine grundsätzliche und grundlegende Vereinbarung getroffen hat: Aus dem Beitrag, den jede einzelne Nation bislang schon zur Veränderung der irdischen Lufthülle geleistet hat, ergibt sich deren jeweiliges Recht, damit fortzufahren. Dass das für die einen einer Lizenz gleichkommt, ihre nationale Bereicherung so hemmungslos wie bisher weiter voranzutreiben, andere Staaten hingegen auf dem Umweg über die Abgase auf den armseligen Stand ihres Energieverbrauchs und damit von Industrie und Verkehr in ihrem Land festgelegt werden, ist der keineswegs unbeabsichtigte Nebeneffekt dieser schönen internationalen Rechtslage und zugleich Ausgangspunkt für ein wenig ausgleichende Gerechtigkeit bei der Festlegung zukünftiger Verschmutzungsrechte: „Entwicklungsländer“ bekommen einen „Bonus“, die andern gestehen unterschiedliche Reduktionsquoten zu; so weit war man in Kioto gekommen. Bei der Folgekonferenz in Den Haag geht es nun darum auszuhandeln, mit welchen Methoden die ausgemachten Ziele erreicht werden müssen bzw. dürfen. Und da lebt logischerweise an jedem einzelnen Punkt die Konkurrenz zwischen den Weltwirtschaftsmächten auf.
Die dreht sich zum einen um die Verteilung
eventueller Lasten, wobei von europäischer Seite
schon mal vorweg klargestellt wird, dass gemeinsamer
globaler Klimaschutz ohne die Zustimmung der USA
unmöglich
ist. Damit sind die Fronten abgesteckt im
Streit darum, welche Berechnungsweisen für den
Schadstoffausstoß und welche Methoden zur
Umsetzung der Reduktionspflichten erlaubt bzw.
verboten sind. Natürlich wird dieser Streit in der
diplomatisch gebotenen Form abgewickelt: Man verlange von
den anderen ja bloß den gleichen gerechten Beitrag, den
man selbst bereit ist, fürs globale Klima zu leisten.
Deswegen kommt man freilich nicht darum herum, die
rechnerischen Manöver
und fingierten
klimaschonenden Leistungen
der anderen
kritisch aufzudecken – logischerweise erkennen alle in
den Vorschlägen der anderen Regierungen die nationalen
Vorteilsrechnungen
wieder, die sie selber anstellen:
Deutschland berechnet sich den ausgebliebenen
Kapitalaufschwung Ost als Verzicht auf
CO2-Emissionen und lässt sich den so erzielten
„wallfall-profit“ auf der Guthabenseite seines
Umweltschutzkontos verbuchen. Die USA verlangen die
Wertung ihrer natürlichen Wälder und Bodenflächen
als kohlendioxidbindende Senken
, weil das ergeben
würde, dass Amerika seine
CO2-Minderungspflichten von 7% bis 2012 heute
schon mehr als erfüllt hätte
. Daneben geht es um
Regeln für den Freihandel mit den
Emissionsgutschriften
, die die Entwicklungsländer
für das bei ihnen nicht vorgesehene Wachstum bekommen und
durch deren Verkauf an die Industrieländer sie sich
eine erhebliche zukünftige Einnahmequelle
erhoffen
. Und spätestens an so interessanten
Streitfragen wie der, ob eine ums Weltklima besorgte
Atommacht sich den Export eines KKW auf ihre
CO2-Reduzierungspflicht anrechnen lassen kann,
wird überdeutlich, dass der Kampf um die Lastenverteilung
zwischen den „Industrienationen“ nur der eine,
gewissermaßen defensive Teil des edlen
marktwirtschaftlichen „Wettbewerbs“ ist, der unter dem
Titel „Weltklima“ tatsächlich ausgetragen wird.
Auf den Wettstreit darum, bei der Reduktion von Treibhausgasen national möglichst billig davonzukommen und statt dessen die Wettbewerbslage der Konkurrenten tunlichst zu verschlechtern, pflanzt sich sofort das viel weiter reichende offensive Anliegen drauf, weltweit neue Geschäftsfelder zu okkupieren. Denn mit dem Kohlendioxid steht unweigerlich das materielle Kernstück der globalen Marktwirtschaft: das Geschäft mit der Energieversorgung sämtlicher Kapitalstandorte, zur Debatte; und die Energie-Industriellen und Umweltminister der Weltwirtschaftsmächte sind die letzten, die das übersehen könnten. Jede internationale Vereinbarung, gleich welcher Art und welchen Inhalts, über die gasförmigen Abfälle der Weltwirtschaft begründet automatisch zumindest ein Recht auf wechselseitige, und das heißt in der Praxis: nach Kräften einseitige Begutachtung der nationalen Energiewirtschaft anderer; und für die Aktivisten des Welthandels ist das gleichbedeutend mit einer Generalermächtigung und einer zusätzlichen Handhabe für ihre sowieso heftig vorangetriebenen Bemühungen, sich in die industrielle Entwicklung und das Verkehrswesen aller anderen Länder einzumischen und deren Energieversorgung und -verbrauch zum „Markt“ für die eigenen Unternehmer herzurichten. Speziell der geplante Welthandel mit „Verschmutzungsrechten“, für sich schon eine sehr hübsche ökologische Perversion des marktwirtschaftlichen Denkens, bedient keineswegs bloß das Interesse gewisser Nationen, sich von eingegangenen Verpflichtungen freizukaufen – weshalb sollten sie dann überhaupt derartige Verpflichtungen eingehen?!: Wer solche Rechte kauft, macht sich damit ganz praktisch zuständig für den Antrieb des Wirtschaftslebens im Verkäuferland und schafft damit freie Bahn für alle eigenen Geschäftszweige, die sich mit Energieversorgung und -verbrauch befassen. Um deren Konkurrenzerfolg geht es aber überhaupt an allen Punkten, an denen darum gestritten wird, wo und wie CO2-Emissionen reduziert werden sollen: Das hohe Ziel des globalen Klimaschutzes ist der Titel für eine gewaltige Offensive im Kampf um nationale Anteile an der Bewirtschaftung des globalen Energiebedarfs und -verbrauchs.
Hier fühlen sich die Deutschen besonders stark – und
damit klärt sich endgültig das kleine Geheimnis um die
bemerkenswert herzliche Allianz zwischen den Lobbyisten
eines nicht wenig verschmutzungsintensiven
Wirtschaftswachstums am deutschen Standort und dem grünen
Anwalt des Weltklimas. Deutschland, das sich aufgrund
seiner speziellen nationalen energiepolitischen
Kalkulationen und mit seinem „wallfall-profit“ in der
glücklichen Lage befindet, sein CO2-Soll
leichter als andere erfüllen und damit die anderen nerven
zu können, entdeckt in verbindlich gemachten
Klimaschutzzielen seinen Hebel zur Beförderung
seines Geschäfts mit „Umwelttechnologie“. In der
Pose des einzig aufrechten und unermüdlichen Kämpfers
fürs bedrohte Weltklima verwahrt Trittin sich gegen
Schlupflöcher, mit denen die anderen ihre
Verpflichtungen erfüllen wollen, ohne etwas zu
ändern
, und tritt für fest überprüfbare
Vereinbarungen mit Sanktionsmechanismen
ein, weil er
sich davon günstige Geschäftsgelegenheiten für deutsche
„Umweltprodukte“ verspricht:
„Welche Produkte haben auf den Märkten der Zukunft wohl größere Chancen? Spritschleudern oder energieeffiziente Fahrzeuge und hocheffiziente Maschinen.“ (Trittin)
Und genau deswegen ist das Scheitern der Konferenz für
Deutschland und seinen Umweltminister so
enttäuschend
: damit reduziert sich der Druck
bei einer Reihe von Ländern, bei ihrer Entwicklung
energieeffizient vorzugehen
(Trittin). So
ginge nämlich die neue ökologische
Versöhnungslogik
des Grünen, der die ökonomischen
Vorteile beim Umweltschutz erkannt hat
, tatsächlich
auf: Deutschlands Konkurrenten tragen die furchtbar
lästigen Kosten zur Rettung des Erdklimas als globale
kapitalistische Geschäftsbedingung; dazu kaufen sie
deutsche Technologie; leisten also nicht nur den
notwendigen kapitalistischen Tribut ans globale Klima,
sondern auch noch einen Beitrag zur Verbesserung der
deutschen Konkurrenzposition auf den „Märkten der
Zukunft“. So wären Ökonomie und Ökologie
wirklich versöhnt und deckungsgleich – für
Deutschland. Und durch die schöne Rechnung haben
die Schmutzfinken aus Amerika einen Strich gemacht!
Doch noch ist das Weltklima nicht verloren. Der Schacher geht weiter. Demnächst in Bonn am Rhein.