Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
ARD Weltspiegel
Sonntägliche Spiegelfechtereien: Die Welt als Panoptikum menschlicher Betroffenheit
Der Weltspiegel öffnet seit geschlagenen 45 Jahren jeden Sonntag Abend zu bester Familienunterhaltungszeit „ein Fenster zur Welt“ (Zitate aus www.daserste.de/Weltspiegel). Damit uns beim Blick auf die „Geschehnisse auf dem Globus“ die Fremde nicht fremd bleibt, werden wir angeleitet von den Auslandskorrespondenten der ARD, die Welt im Spiegel von „Weltoffenheit und Kompetenz“ zu sehen. Die Berichterstatter lieben Bogotá genauso wie Berlin, kennen sich in London genauso aus wie in Suchumi. Sie bringen uns unsere Welt näher, ganz frei vom Diktat politischer Brennpunkte, auch wenn uns manche Gegend aus der Tagesschau bekannt ist. Damit wir das, was auf der Welt geschieht, richtig verstehen, zeigen sie uns ganz authentisch, wie die Betroffenen, Menschen wie du und ich, mal recht, meistens schlecht in ihren Umständen zurechtkommen.
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Systematischer Katalog
ARD WELTSPIEGEL – Sonntägliche Spiegelfechtereien: Die Welt als Panoptikum menschlicher Betroffenheit
Der WELTSPIEGEL öffnet
seit geschlagenen 45 Jahren jeden Sonntag Abend zu bester
Familienunterhaltungszeit ein Fenster zur Welt
(Zitate aus www.daserste.
de/Weltspiegel). Damit uns beim Blick auf die
Geschehnisse auf dem Globus
die Fremde nicht fremd
bleibt, werden wir angeleitet von den
Auslandskorrespondenten der ARD, die Welt im Spiegel von
Weltoffenheit und Kompetenz
zu sehen. Die
Berichterstatter lieben Bogotá genauso wie Berlin, kennen
sich in London genauso aus wie in Suchumi. Sie bringen
uns unsere Welt näher, ganz frei vom Diktat politischer
Brennpunkte, auch wenn uns manche Gegend aus der
Tagesschau bekannt ist. Damit wir das, was auf der Welt
geschieht, richtig verstehen, zeigen sie uns ganz
authentisch, wie die Betroffenen, Menschen wie du und
ich, mal recht, meistens schlecht in ihren Umständen
zurechtkommen – wir können die Einsamkeit einer
Kolumbianerin nachfühlen, deren Mann Geisel der Farc ist
und die von ihren Politikern allein gelassen wird; wir
wissen, dass die fehlgeleitete Freiheitsliebe in
Abchasien wenig Hoffnung auf Frieden im Kaukasus macht;
wir spüren, dass es kein Deutschenhass ist, sondern bloß
die Freude am Spiel, wenn Polen einen Sieg über deutsche
Ordensritter in Szene setzen, und sind mit einer alten
Widerstandskämpferin in Südafrika enttäuscht über ihre
neuen, korrupten Führer. Sie zeigen uns auch Sachen,
die man sonst selten oder gar nicht sieht
, z. B.,
man glaubt es kaum
, wie sich Kinder fühlen, wenn
sie von verantwortungslosen Eltern, die am Rande der
Gesellschaft stehen
, in England zu regelrechten
Schlägern
ausgebildet werden und ausgerechnet in
Kickbox-Wettkämpfen, wie sie in Thailand üblich
sind
, Anerkennung und Erfolg erringen sollen. Für
manches haben wir da Verständnis, für vieles nicht, stets
aber erhalten wir detailliert und aus der Perspektive der
Zwischenmenschlichkeit Kenntnis von den
Hintergründen
großer und kleiner Konflikte überall
auf dem Globus. Die Korrespondenten, allesamt Garanten
journalistischer Qualität
, öffnen uns mit ihrem
seriösen
, weil unabhängigen und unvoreingenommenem
Blick die Augen – Namen wie Peter Scholl-Latour,
Dieter Kronzucker oder Gerd Konzelmann haben heute noch
Klang.
Das schätzen wir an ihnen –
Publikumsumfragen ergeben Spitzenwerte in puncto
Glaubwürdigkeit, Seriosität und Vielfalt
– und das
macht die Sendung zum unverwüstlichen
Erfolgsformat
.
„Kolumbien: Nach Betancourt – immer noch Geiseln bei der Farc“
Zum Einstieg in das Thema Kolumbien kommt dem
Weltspiegelmoderator die aktuelle Meldung des
Tages wie gerufen: Soeben wurde uns gemeldet, die
deutschen Geiseln sind frei
, die PKK hat sie
einfach laufen lassen
(alle
Zitate aus der Sendung vom 20.7.08). Wir
schalten nach Istanbul
– Peter Althammer berichtet,
dass es den Geiseln, soweit man das sehen kann, sprechen
durfte er noch nicht mit ihnen, gut geht, nichts
deutet auf einen Deal mit der PKK hin
– die
türkische Armee hat weitergekämpft, als hätte es die
Entführung nicht gegeben.
Eine schreckliche Sache hat
ein gutes Ende genommen – der Krisenstab hat gut
gearbeitet, Deutschland hat keine Zugeständnisse an die
Terroristen gemacht, sich ‚nicht erpressen lassen‘, und
trotzdem sind die drei Deutschen unverletzt geblieben.
Alles lief ‚ohne Gewalt‘ ab – auch wenn die Türken die
deutschen Unterhändler behindert, militärisch in der
Region weiter Jagd auf PKK-Kämpfer gemacht und so den
Erfolg eher gefährdet haben. Fazit: Die Geiseln wurden
nicht im Stich gelassen.
Die Problemlage
Zum Glück für die Bergsteiger haben sich damit weitere
Abwägungen des Krisenstabs, ob ‚deutsche Interessen‘ am
besten durch ‚Nachgeben‘ oder durch ‚Härte‘ zu wahren
seien, erübrigt, auch wenn journalistische Sorgen, ob da
womöglich nicht doch ein Deal
abgelaufen ist, noch
nicht ausgeräumt sind. Die Farc in Kolumbien beharrt,
anders als die PKK, auf Gegenleistungen für die
Freilassung ihrer Geiseln, Forderungen, denen die
Regierung in Bogotá nicht nachgibt. Dass die Farc Geiseln
in ihrer Gewalt hat, ist der Regierung als offenkundiger
Beleg, wie wenig sie Herr über Land und Leute in
Kolumbien ist, ständiger Dorn im Auge. Unter tatkräftiger
Mithilfe der USA ist sie mit einigem Gewaltaufwand
unterwegs, diesen unhaltbaren Zustand zu beseitigen – sie
hat jetzt gerade mit einer ‚krimireifen‘ Aktion einige
Geiseln, darunter auch die ehemalige
Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und einige
Amerikaner, gewaltsam befreien lassen. Die unnachgiebige
Wahrung ‚kolumbianischer Interessen‘ war es ihr wert,
dass das ‚spannende‘ Drehbuch der Maßnahme einschloss,
dass die Geiseln zu jedem Moment hätten draufgehen
können.
Dem nachfolgenden weltweiten Beifall schließt sich
WELTSPIEGEL nicht an. Die
‚spektakuläre‘ Geiselbefreiung ist für ihn Anlass, sich
in Kolumbien genauer umzuschauen, und er muss
konstatieren: Auch nach Betancourt
sind immer
noch Geiseln bei der Farc
, 700 bis 2000
, aber
genau weiß das keiner
. Das ist hart, denn
Geiselnahme, das heißt auch permanente Erniedrigung,
das erzählt die berühmteste aller Geiseln, Ingrid
Betancourt. Heute Nachmittag hat sie vor einigen Tausend
Anhängern in Paris an die übrigen Geiseln erinnert. Wie
geht es diesen Geiseln, werden sie vielleicht vergessen,
nachdem die berühmtesten frei sind?
Eine Befassung
mit der Situation des Landes, mit den Gründen für eine
‚sozial‘ motivierte Rebellenbewegung und deren
gewaltsamen Kampf gegen die herrschenden Verhältnisse wie
mit denen für die Unversöhnlichkeit der Staatsmacht beim
Umgang mit dem inneren Widerstand: Das ist nicht im
Angebot der Reportage. Im Gegenteil: Mit der Verwandlung
von Kolumbien in ein einziges Geiseldrama wird von den
entscheidenden nationalen Interessen und Streitfragen
abstrahiert und werden die unter das persönliche
Schicksal der ohnmächtig von Erniedrigung
Betroffenen subsumiert. Damit macht der WELTSPIEGEL die Lage dort immerhin
übersichtlich: Angesichts des großen menschlichen Leids
sieht er sich vor die Frage gestellt, wie
menschlich eigentlich die kolumbianische Regierung
im Umgang mit den Opfern der gewalttätigen
Auseinandersetzung mit der Farc ist! Entsprechend lautet
der Maßstab zur Beurteilung der politischen Zustände in
diesem Land: Hat sie – wie die Weltöffentlichkeit –
womöglich die vielen unbedeutenden Geiseln
vergessen
?
Als Kronzeugin für die wohlwollende Sichtweise, dass sich
Politiker und ihre kritischen Sachwalter in den
Redaktionen doch eigentlich um diese armen Leute kümmern
müssten, dient dem WELTSPIEGEL die berühmteste aller
Geiseln, Ingrid Betancourt
, die, der
Weltöffentlichkeit sei Dank, von der Regierung befreit
wurde. Sie, die sich offenbar bereits wieder im Wahlkampf
um das Präsidentenamt befindet, beglaubigt und
rechtfertigt mit ihrer ‚Prominenz‘ die politmoralische
Behauptung, die kleinen Leute wären doch die Wichtigsten,
um die es zu gehen hätte, als Wahrheit über das
Weltgeschehen – eine Behauptung, die freilich der
sachkompetenten Unterstützung bedarf: Das angesprochene
Publikum des WELTSPIEGELs
ist angesichts seiner entgegenstehenden praktischen
Erfahrungen durchaus eher geneigt, dem Gang der Dinge im
Alltag zu entnehmen, dass ‚die da oben‘ doch eh’ machen,
was sie wollen, und sich nicht um ‚die da unten‘ scheren.
Also nimmt sich der WELTSPIEGEL im Gestus der
(Selbst-)Kritik von Politik wie Öffentlichkeit die
Mahnung von Frau Betancourt, ‚Prominenz‘ sei nötig, um
nicht vergessen
zu werden, als Anwalt auch der
‚weniger berühmten‘ Geiseln sehr zu Herzen: In seiner
kritischen Haltung gegenüber den Mächtigen, die ihren
Untertanen nicht damit Ungemach bereiten, was sie ihnen
abverlangen, sondern damit, was sie unterlassen, erfüllt
der Bericht den selbst verordneten sittlichen Auftrag des
Journals, sich um die Vergessenen zu kümmern, indem an
sie erinnert
wird.
Ganz in Sorge um die Gekidnappten schickt der WELTSPIEGEL Herrn Schaaf extra aus Mexico City nach Bogotá, damit der den Zuschauer mitnimmt bei der
Recherche vor Ort
Die von der Geiselnahme betroffenen Angehörigen sollen
von ihrem bewegenden Schicksal authentisch Auskunft
geben. Die in ihrem Leid Befangenen sind die Adresse, die
Auskunft gibt über die Gewaltaffären des Landes, gemäß
der Devise: Wenn man wissen will, wie es in Kolumbien
aussieht, fragt man am besten die Frauen der
Farc-Geiseln. Mitternacht
geht es ins Rathaus
von Villavicencio
, wo soeben eine ungewöhnliche
Sendung beginnt – fünf Stunden können Angehörige von
Geiseln zu ihren Liebsten sprechen, die irgendwo im
Urwald von den Farc-Rebellen gefangen gehalten werden.
Denn nachts lassen die Rebellen meistens ihre Geiseln
Radio hören.
Manche der Angehörigen sind seit Jahren
von ihren Liebsten
getrennt. Sie haben aber die
Hoffnung nicht verloren, sondern sind im Geiste bei den
Inhaftierten, senden ihnen unverdrossen ihre
Botschaften der Hoffnung in die Dunkelheit
– sogar
ein gesungenes Geburtstagsständchen
ist dabei.
Noch viele sind in Händen der Farc, man sieht es, es geht
zu wie im Bienenkorb. So eine Sendung, eine
Propagandaveranstaltung der Obrigkeit, die mit dieser
Hilfe
zynisch ihren Ruf aufpoliert, ist für Herrn
Schaaf ein gute Sache – so können die Geiseln im Radio
hören, dass man sie nicht vergessen hat. Auch den
Angehörigen tut es gut, dass ihre Sorgen nicht aus den
Augen verloren wurden und man ihnen ein Mikrofon in die
Hand gegeben hat. Aber nicht jedem wird diese
Aufmerksamkeit zuteil, obwohl es doch wirklich keine
große Affäre wäre, alle ans Mikrofon zu lassen: Miriam
Robles
, die der Zuschauer ins Rathaus begleiten darf,
erzählt, dass sie auch in dieser Nacht vergeblich
wartet
, zu ihrem Mann sprechen zu dürfen. Die
Regierung hilft nur Politikern und Soldaten, aber nicht
uns Zivilisten
– ja, dann wird es dieser Regierung
auch nur auf die ankommen, doch warum das so ist, ist für
den WELTSPIEGEL nicht von
Interesse: Er entdeckt darin eine zusätzliche
Ungerechtigkeit, die im Namen der Betroffenen beklagt
werden muss. Weiter geht’s, der Zuschauer darf mitfahren
mit Paula Gonzales und ihrer Mutter Miriam aufs Land
hinaus – sie wollen uns zeigen, wo der Geschäftsmann
German Arias vor 6 Jahren auf einem Fluss von der Farc
entführt wurde.
Nett auf dem Boot, auch die Gegend
ist malerisch. Doch Frau Robles zeigt jetzt auf die
Stelle am Ufer, wo es passiert ist: Er hat auf dem
Fluss mit Lebensmitteln gehandelt
und als er mit
einem Kommandanten der Farc aneinander geriet, wurde er
einfach entführt
. Ein einfacher Kaufmann, der die
Anwohner nur mit Lebensmitteln versorgen wollte, wird
wegen eines kleinen Streits gleich entführt – das darf
doch nicht wahr sein. Dass so etwas möglich ist, da kann
der Zuschauer, guter Mensch, der er ist, nur betroffen
sein. Nachdem er tatsächlich die Stelle gesehen hat, wo
es passiert ist, das familiäre Unglück, versteht er jetzt
die Bitterkeit
von Frau Robles – und wie schlimm
es ist, dass das Interesse nur einer Betancourt gegolten
hat. Und er versteht damit die politische Lage in dem
Land, was an der wichtig ist, und ist offen für kritische
Schlussfolgerungen: Der Triumph der Regierung macht
ihnen angst
. Denn es ist jetzt sehr gut möglich,
dass die Regierung in ihrem Vorgehen aggressiver wird und
die Farc militärisch besiegen will. Das gefährdet
natürlich das Leben der Geiseln.
Das weckt das
Mitgefühl des Betrachters: Einerseits wäre die
Entmachtung der Farc schon geboten; nicht weil sie
‚links‘ ist; überhaupt nicht aus politischen Gründen,
auch nicht der Staatsräson, die die Regierung vertritt –
sondern allein wegen dem Mann von Frau Robles. Die
Erfolge der Gewaltanwendung müssen schon sein,
andererseits aber bitte nicht mit Gewalt, auch wegen
Herrn Robles! Vielmehr so, wie es Frau Betancourt
vorschlägt. Sie, schon ganz werdende Präsidentin
aller Kolumbianer, ergreift die Gelegenheit, an
den militärischen Erfolgen der Regierung zu schmarotzen,
und fordert die Rebellen, jetzt mit Schützenhilfe des
WELTSPIEGEL, ganz von
Mensch zu Mensch auf, sich zu ergeben: Legt eure
Waffen nieder, auch ihr könnt ein Leben in Würde
leben
. Krieg und Geiselnahme sind nicht nur für die
Geiseln ein schweres Los, sondern auch für die
Geiselnehmer. Auch die, zumindest die guten Menschen
unter ihnen, leiden darunter, andren Menschen Leid
zuzufügen. Das darf bei aller berechtigten Abscheu über
diese Leute nicht außer Acht gelassen werden. Und
aussichtslos ist so ein Aufruf nicht, denn, so berichtet
eine ehemalige Farc-Kämpferin, die Moral bei der Farc
ist völlig am Boden und ich hoffe, dass meine früheren
Mitkämpfer das jetzt begreifen und aufgeben – für ihr
Volk, für ihre Familie.
Die haben zwar genau für
Volk und Familie
gekämpft, doch das ist nicht der
Rede wert. Zurück zu Frau Robles: Wenn sie alle paar
Wochen zur Staatsanwaltschaft geht, um sich nach dem Fall
ihres Mannes zu erkundigen
, dann sind die
zuständigen Abteilungsleiter
auf einmal nicht
auffindbar
oder sie erklären sich für nicht
zuständig
. Statt eine Akte anzulegen und ein
Verfahren einzuleiten und so der Frau in ihrer Not
beizustehen, also ihrer eigentlichen Zuständigkeit
nachzukommen, verstecken sich die Abteilungsleiter frech
und ignorieren ihre Pflichten! Dabei wäre das so wichtig
für Frau Robles, was der Zuschauer schon daran merkt,
dass sie es immer und immer wieder versucht. In
Kolumbiens Städten gibt es in diesen Wochen immer wieder
Solidaritätskundgebungen
, sehr erfreulich, wenn die
Öffentlichkeit den Namenlosen Namen gibt – für Frau
Robles aber wieder nur enttäuschend: Denn wenn die
Namen von Geiseln verlesen werden, ist der von German
Arias nie dabei.
So allein gelassen, vergessen von
Öffentlichkeit und Politik, bleibt ihr nur eins: Sie
wird weiter für ihren Mann kämpfen. Aber sie fühlt sich
in diesem Kampf sehr, sehr einsam.
Das versteht der
Zuschauer jetzt. Und schätzt den WELTSPIEGEL in seiner
Glaubwürdigkeit, Seriosität und Vielfalt
, weil er
seinen Teil zur Hoffnung beiträgt, dass Herrn Robles und
den anderen, die für den Zuseher namenlos geblieben sind,
die öffentliche Anteilnahme zuteil wird, die sie verdient
haben. Man ist übrigens nicht davor sicher, dass der
WELTSPIEGEL demnächst die
Gelegenheit ergreift und dem Zuschauer zeigt, dass es der
kleine Beamte in Kolumbien mit seiner unzufriedenen
Klientel auch nicht einfach hat, also auf seine Weise
auch von den Geiselnehmern der Farc betroffen ist. Aber
für heute war’s das. Nächster Beitrag.
„Georgien: Wofür haben wir gekämpft? – Krisenherd Abchasien“
Als weltpolitischer ‚Krisenherd‘ steht an diesem Sonntag
nicht ganz zufällig Abchasien auf dem Programm der
Sendung. Schließlich ist der deutsche Außenminister
Steinmeier zur selben Zeit in der Krisenregion unterwegs
in einer ‚mission impossible‘ in Sachen
Völkerverständigung. Unter allgemeinem öffentlichem
Beifall hat er ‚weltpolitische Verantwortung‘, also
ordnungspolitische Zuständigkeit für den ‚abchasischen
Vulkan‘, übernommen und dem ‚wieder aufgeflammten
blutigen Treiben‘ zwischen den abchasischen und
georgischen Volksmannschaften nicht mehr länger
‚zugesehen‘. Mit einem exklusiv deutschen Friedensplan im
Gepäck ist er in den Kaukasus gereist, um die
verfeindeten Völker von ihrem dysfunktionalen
Nationalismus abzubringen. Dieses politische Interesse an
der Region ist für den WELTSPIEGEL, dessen
Auslandskorrespondenten längst jeden politischen
Krisenherd des Globus wie ihre Westentasche kennen,
berechtigter Anlass, auch dem daheim gebliebenen
deutschen Fernsehpublikum mit Wissen aus erster Hand zu
versorgen: Lernen sie jetzt dieses kleine Abchasien
kennen. Thomas Roth zeigt es ihnen.
Dafür sind
deutsche Auslandsreporter schon mal eine Woche lang
unterwegs
, bis sie alle Elendshütten abgeklappert und
dort ‚hinter die Kulissen‘ des Konflikts
geschaut
haben und die unverwüstliche Gastfreundschaft vom Krieg
gebeutelter Abchasen dafür nutzen, um sie bei
traditionellem Maisbrei
nach ihrer ‚Stimmung‘ im
Allgemeinen und im Besonderen nach ihrer Lust auf
Wiederanschluss an Georgien und sicheren Frieden
hin zu befragen. Natürlich soll der Zuseher vorher
eingestimmt werden, welche Bedeutung die Bilder haben:
Die Anmoderation
des Filmbeitrags bedient das aufklärungsbedürftige
Publikum vorab schon mal mit einem knappen, aber
gründlichen und ganz vorurteilsfreien Problemaufriss über
die Gründe und Ursachen des weltpolitischen
Konflikts
.
„Vor 15 Jahren hat sich dieser Flecken Erde von Georgien abgespalten in einem ziemlich blutigen Krieg. Eigentlich wäre das Schnee von gestern. Doch inzwischen steigen wieder die Spannungen zwischen Georgien und der abtrünnigen Provinz so sehr, dass Außenminister Steinmeier in den vergangenen Tagen dorthin gereist ist. Georgien will nämlich in die Nato, was Russland mit allen Mitteln behindern will. Deswegen schürt es vermutlich den Konflikt um Abchasien. Solange es dort nämlich rumort, wird Georgien nicht in die Nato aufgenommen.“
So übersichtlich gestaltet sich die Welt dort hinten: Der
‚blutige‘ Rumor
eines abtrünnigen
Provinzvölkchens lässt sich für die zivilisierten
Freiheitsmächte nicht mehr länger als Schnee von
gestern
– so der seriöse
Qualitätsjournalismus
in seiner zynischen Abgebrühtheit – ad acta legen, weil
er inzwischen die strategischen Kreise der NATO in der
schönen Kaukasusregion empfindlich stört. Also versteht
es sich, dass das Rumoren
unter Kontrolle gebracht
werden muss. Und die Rolle deutscher Macht bei dieser
Ordnungsstiftung soll der so aufgeklärte Zeitgenosse als
eine Art Krisenfeuerwehr begreifen, die im Dienste der
Völkerverständigung Spannungen
abbaut, an deren
Verstärkung eine Macht namens Russland Interesse hat.
Wenn die NATO Georgien nicht in ihr Bündnis lässt,
solange es sich politisch nicht ‚stabilisiert‘, also mit
dem abchasischen Widerstand erfolgreich aufgeräumt hat,
dann schüren
logischerweise nicht die NATO-Mächte,
deren nicht unwesentliches Mitglied eine BRD immerhin
ist, den Konflikt
, sondern die Macht, die
gerade militärstrategisch eingekreist wird und
gegen die sich die NATO-Erweiterung richtet.
Russland ist der Störenfried und gehört in seinen
Interessen nicht beurteilt, sondern wegen seiner
vermutlichen
Einflussnahme verurteilt. Wo
es doch das gute und selbstverständliche Recht der
postsowjetischen Völker ist, in das Militärbündnis des
Reichs der Freiheit eingemeindet zu werden.
Der Blick auf den Konflikt
ist geschärft, also
kann der unterhaltsame Zug durch die Gemeinde mit
Einsichten in die widerspenstige Natur eines kleinen
Bergvölkchens, das uns mit seiner verkehrten Zuwendung zu
den Russen so große weltpolitische Sorgen bereitet,
endlich losgehen. Schon der erste, unschuldige
touristische Eindruck aus dem kleinen
Abchasien heute
, den unser Auslandsreporter – allein
schon aus journalistischer Sorgfaltspflicht heraus – dem
deutschen Zuschauer nicht ersparen kann, setzt uns ins
rechte Bild darüber, wie verwickelt und brisant die
politische Völkerfreundschaftslage dort ist:
Hinter der Kulisse einer der schönsten Küsten am
schwarzen Meer
tummeln sich an den Stränden – man hat
es sich ja beinahe schon gedacht – natürlich russische
Touristen
, ohne Visum
und von keinen
Spannungen abzuhalten
in ihrer Lust auf Billigurlaub.
Und wer anders als ein – alten Sowjetzeiten
nachtrauernder – russischer Urlauber mit seiner privaten
Weltsicht und seinen persönlichen Nostalgien könnte
besser bezeugen, was ‚wir‘ seiner Regierung politisch so
alles zutrauen, woran also gerade der Kreml mit allen
Mitteln
schürt
? Es wäre schön, wenn
Abchasien wieder zu Russland gehörte, wir waren doch
früher in der Sowjetunion zusammen, aber die müssen
wollen, dass wir uns wieder vereinigen.
Darin besteht
dann die hohe Kunst seriöser
Auslandsreportage:
Der Korrespondent muss mit seiner Kamera nur richtig
hinschauen, die richtigen Fragen stellen,
und vor allem muss er die Menschen vor Ort
besser
verstehen wollen in ihren Gefühlen, ihrer ganz
persönlichen Betroffenheit und in ihrem nationalistischen
Reim auf die Lage, und schon ergibt sich aus dieser
Maulwurfsperspektive der in den Verhältnissen befangenen
kleinen Leute für das deutsche Publikum daheim ein ganz
konkretes Bild, also authentisches
Urteil über die doch sonst eher abstrakt
bleibende politische Lage im Kaukasus. In diesem Sinne
zur nächsten Station:
Hauptstadt Suchumi
Und was sieht man hier? Der Zuschauer soll sich auch hier
nicht von der Kulisse täuschen lassen und hohlen Schein
und wirkliches Sein gefälligst auseinanderhalten: Es
weht zwar die abchasische Flagge
, aber eine
schätzenswerte alte Kultur am schwarzen Meer
macht
deswegen noch lange keinen Staat und Eindruck auf einen
ausgewiesenen Kenner aller Bürgerkriegsverhältnisse im
Gefolge der Selbstauflösung der Sowjetunion. Ganz nach
der Logik der Qualtinger-Figur des Travnicek: Wo Ruinen
in Hauptstadt, da Herrschaft auch baufällig!, sieht man
sofort: Wohin man schaut, man sieht sofort, sie haben
es selbst in der Hauptstadt bislang nicht geschafft, die
Spuren des Krieges zu beseitigen. Und was man noch sieht
– sie haben hier viel Zeit. Arbeit gibt es kaum, die
meisten haben nur wenig Geld, wenn überhaupt, eine von
niemand anerkannte Unabhängigkeit haben sie auch, das
stimmt, aber sonst?
Ein gewisses Unverständnis und
Kopfschütteln schlägt beim deutschen
Auslandsberichterstatter langsam durch. Natürlich ist ein
Thomas Roth im Grunde nicht dagegen, dass auch ein
kleines Bergvolk, das ihm persönlich schon deshalb etwas
ans Herz gewachsen ist, weil er das
weltordnungspolitische Sorgeobjekt von Beginn an in
diesem sehr grausamen Krieg
als ARD-Korrespondent
betreuen durfte, Bedarf nach Freiheit und Unabhängigkeit
verspürt. Schon gleich nicht, wenn eine kaukasische oder
andere Landsmannschaft aus einem ‚Völkergefängnis‘ namens
Russland entfliehen will. Und dass Völker in ihrem
Wunsch, von einer garantiert eigenen Herrschaft regiert
werden zu wollen, sich bedingungs- und berechnungslos für
die nationale Sache aufopfern, das verschafft ihnen bei
alten WELTSPIEGEL-Haudegen wie Roth und
Vorgänger Peter Scholl-Latour glatt soviel Respekt und
Wertschätzung, dass diese bei Gelegenheit sich für ihr
zivilisiertes und verwöhntes Publikum daheim durchaus
eine Scheibe mehr von diesem schönen Charakterzug
aufmüpfiger wilder Bergstämme wünschen würden. Aber in
dem Falle, wo das Rumoren
dieses Nationalismus so
große weltpolitische Sorgen bereitet, könnten
berechnungslose Nationalisten wenigstens einmal zu
rechnen anfangen und sich ganz schön langsam zur Einsicht
vorarbeiten, wie unsinnig und unvernünftig unter solchen
Verhältnissen ein rücksichtsloser Separatismus ist. Auch
dafür eignet sich eine einfühlsame Bildberichterstattung
nach dem Motto: Aber wäre es nicht doch möglich, sich
– wie auch immer – wieder Georgien anzuschließen, um
wenigstens sicheren Frieden zu bekommen?
– die
umgekehrte Frage an einen Georgier, ob es denn nicht
möglich wäre, die Abchasen einfach ziehen zu lassen,
kommt den Leuten vom WELTSPIEGEL natürlich nicht in den
Sinn. Aber nicht einmal auf den Frieden ist dieses
widerspenstige Völkchen scharf: ‘Das ist völlig
unmöglich‘, sagt ein Mann auf dem Markt, ‚wieso hätten
wir dann für die Unabhängigkeit gekämpft. Nein,
ausgeschlossen. Soviel Blut vergossen und jetzt mit denen
leben? – Nein!‘
Die Antwort weckt dementsprechend
wenig menschliches Verständnis: Politische Vernunft? –
Fehlanzeige. Das ist einerseits erklärlich: der
Krieg
– und selbstverständlich nicht der nationale
Wahn – hat sich allen tief ins Gedächtnis
gebrannt
, so dass die Opfer des Nationalismus so
nachtragend sind und laufend das Bedürfnis nach ‚blutigem
Treiben‘ statt nach Verständigung verspüren. Andererseits
ist da etwas falsch gepolt: Man muss nur wieder
richtig hinschauen und zuhören, schon
entlarvt sich der abchasische Kampf um Freiheit und
Selbstbestimmung als ein klarer Fall von Fremdbestimmung,
die auch noch gewollt wird, was erschwerend hinzukommt:
‚Abchasien soll ein eigener Staat sein‘, so eine junge
Frau, und die Mutter ergänzt, ‚natürlich mit
Unterstützung Russlands‘. Und diese Unterstützung
bekommen sie. Wir beobachten selbst russische Soldaten
ganz offen
– ganz schön frech, diese Russen, sich bei
Aufräumarbeiten nicht einmal vor Deutschlands
investigativen Auslandsreportern zu verstecken – beim
Reparieren der nach wie vor vom Krieg zerstörten
Bahnstrecke ... Russland verschafft sich dadurch viel
Sympathien bei der Bevölkerung.
Klar: Wenn Russen
Gleise reparieren, wollen sie letzten Endes einen
politischen Direktanschluss nach Moskau verlegen. Darin
kennen sich unsere journalistischen Fachleute aus den
Humanitäts- und Hilfszentralen der freiheitlichen
Geber-Welt bestens aus: Hilfe zielt auf politischen
Einfluss. Also ist jedes Instandsetzen bedenklich und
Schrott, solange die falsche Macht daraus
Sympathien
schlägt.
Die Stimmung auf dem Land
ist auch nicht viel besser, was die Völkerverständigung angeht:
„Wir fahren hinaus aufs Land. Georgier und Abchasen haben hier bis zum Krieg viele Jahre friedlich zusammengelebt ... Und auch hier frage ich noch einmal, ist die Rückkehr in den georgischen Staat denkbar? ‚Nein‘ sagt Juri, ‚unsere Freundschaft mit denen ist definitiv beendet‘ ... ‚So viele von uns sind umgekommen, die haben viele umgebracht, nein‘ sagt Tschambull. ‚Was wir wollen, ist unsere eigene Republik, und das ist nicht nur meine Meinung, das denkt hier das Volk und will das so.‘“
Und das Fazit im Originalton von Thomas Roth: So ist
das
. Seine Juris und Tschambulls dürfen uns damit
nachdrücklich und authentisch darüber belehren, dass sich
alles, was sich dort hinten im Kaukasus abspielt zwischen
den verfeindeten Völkern, ganz sachgerecht erklärt aus
dem Reim, den sich die Leidtragenden vor Ort auf die
Interessen und Machenschaften ihrer politischen Führer
machen. Und darüber, dass es in letzter Instanz das
bornierte persönliche Bedürfnis nach Abrechnung ist, was
Abchasien zum politischen Krisenherd macht. Wenn sich in
dieser aussichtslosen Lage noch ein Moment der Hoffnung
auf Völkerfreundschaft auffinden lässt, dann ist es
logischerweise dort angesiedelt, wo der verbohrte
Nationalist ganz als trauernde Privatperson unterwegs
ist. Soldatenmütter, wer wüsste das besser als der
langjährige deutsche Live-Kommentator des
Kriegsgeschehens und intime Kenner des postsowjetischen
Bürgerkriegselends, sind der personifizierte Zweifel am
Sinn des Kriegs:
„Anneta und Jura gehen zu dem kleinen Friedhof auf ihrem Grundstück, dort haben sie nach abchasischer Tradition ihre beide gefallenen Söhne begraben. Jura schüttet Wein auf die Gräber und Anneta kämpft noch immer mit ihrer Trauer. Und vielleicht ringt die Mutter insgeheim immer noch um den Sinn des Todes ihrer Söhne.“
Was bleibt? Was hat der vom WELTSPIEGEL ‚hinter die Kulissen‘ des
Krisenherds Abchasien
geführte Zuschauer jetzt
gelernt? In diesem Fall steht das Aufarbeiten der
glaubwürdig bezeugten nationalistischen Borniertheit und
Widerspenstigkeit einer abchasischen Volksnatur für die
Schwierigkeiten wie für die Notwendigkeit der ‚mission
impossible‘ Steinmeiers, den unter Fremdeinfluss
stehenden Nationalismus eines aufmüpfigen Völkchens in
die richtige Richtung zu lenken. Die unterhaltsame Reise
in die Hintergründe des weltpolitischen Konflikts
ist hier eingespannt in die politische Botschaft und
evoziert sie wie von selbst: Wo die kaukasischen
Volksmannschaften so unversöhnlich zerstritten sind,
brauchen sie selbstverständlich übergeordnete
Verständigungshilfe. Also müssen ‚wir‘, unser Steinmeier
und die Merkel, dort hinten nach dem Rechten sehen.
Die Abmoderation
des Sendebeitrags kann insofern den kundig gemachten
WELTSPIEGEL-Zuschauer
nicht mehr groß überraschen: Den Friedensplan
Steinmeiers haben die Konfliktparteien in den letzten
Tagen abgelehnt. Die Gewalt geht also weiter.
Und das
lehnen ‚wir‘ wiederum ab. Die Fortsetzung der deutschen
Friedensvermittlung haben die kaukasischen Völker somit
nötiger denn je. Darin wissen wir in jedem Fall besser
Bescheid als diese selber. Nächster Beitrag.
„Polen: Holzschwert und Feindbild. Die Schlacht von Tannenberg.“
Ganz der Weltoffenheit
und Seriosität
verbunden, legt der WELTSPIEGEL Wert darauf, keineswegs
einfach das Bild zu bestätigen, das das Publikum
sich so landläufig von der Weltregion macht, die
Gegenstand der Berichterstattung ist. Immer wieder nimmt
er sich im Sinne seiner politmoralischen Verantwortung
heraus, gewohnte Vorstellungen oder Vorurteile durch
Konfrontation mit der authentischen Realität
zurechtzurücken.
Wenn daher unsere polnischen Nachbarn es vergnüglich
finden, alljährlich die Schlacht von Tannenberg, in der
vor 600 Jahren die Polen deutsche Ordensritter besiegt
haben, als historisches Spektakel aufleben zu lassen –
90 000 Zuschauer sind da, kein Wunder, in Polen kennt
jedes Schulkind diese Ritterschlacht
–, dann macht
der WELTSPIEGEL, um der
historischen Wahrheit willen, zwar darauf aufmerksam,
dass das seit nunmehr 600 Jahren der letzte
militärische Sieg über die Deutschen war
. Er
gestattet sich aber nicht die Bequemlichkeit, diese
Veranstaltung im Spiegel der gesicherten Einsicht zu
betrachten, dass solche nationalbewussten Feiern
vergangener Siege in aller Regel keinen anderen Zweck
haben, als aktuelle Feindbilder lebendig zu halten. Dabei
ist in diesem Fall – der WELTSPIEGEL hält damit nicht hinter
dem Berg – die Versuchung, den Polen einen
‚chauvinistischen‘ Fehltritt nachzuweisen, ziemlich
heftig: Haben doch die Polen kürzlich unseren Michael
Ballack als geköpften Ordensritter karikiert,
zweifelsohne um anzudeuten, dass Deutschland im EM-Spiel
von ihnen ebenso eins auf die Mütze kriegen werde wie
damals die deutschen Ordensritter (worauf unser Podolski
ja schon die passende Antwort gegeben hat!). Nein, gerade
hier verzichtet der WELTSPIEGEL auf jedes Revanchefoul und
untersucht vorurteilslos vor Ort, ob nicht auch diese
verdächtige Veranstaltung mit der deutsch-polnischen
Freundschaft kompatibel sein könnte. Also mischen sich
die Reporter unter die 90 000 Zuschauer und ihr genaues
Hinsehen und Zuhören wird belohnt. Es gibt sie, die
Äußerungen von Tannenbergstatisten, die eindeutig
belegen, dass die Polen mit ihren Holzschwertern wirklich
nur spielen wollen und das dazu Passende im Kopf
haben.
Tadeusz Ksiazky beispielsweise, der einen
polnischen Ritter gibt, dementiert nicht nur tapfer jede
unangebrachte Genugtuung über den militärischen Erfolg
von anno dunnemals, sondern rückt die historischen Fakten
durchaus passend zurecht. Ich sehe das nicht so, dass
auf der anderen Seite damals die Deutschen standen, die
Ritter kamen aus vielen Ländern, klar, es gab großen
deutschen Einfluss, aber Ordensritter waren Ordensritter,
ich sehe das nicht unter einem nationalistischen
Blickwinkel.
So gesehen waren die damals besiegten
Gegner der Polen gar nicht wirklich die Deutschen,
sondern eine Ordensritterbewegung, an der die Deutschen
allenfalls durch einen gewissen Einfluss beteiligt waren
– weswegen es keinen Grund gibt, dass sie heute die
Niederlage unter einem nationalistischen Blickwinkel
persönlich nehmen.
Noch entschiedener entzieht Jaroslaw Stuczynski,
im Spiel der Hochmeister des deutschen Ordens, der
seit 10 Jahren am Ende den Heldentod sterben muss
,
solchen möglichen Irritationen jede Grundlage: Es habe
sich, lässt er wissen, bei dem damaligen Geschehnis, ganz
objektiv betrachtet, um einen in Schlachtform erbrachten
deutsch-polnischen Beitrag zum europäischen Kulturerbe
gehandelt. Das ist unsere gemeinsame Geschichte, die
wir objektiv sehen sollten und so beurteilen, wie es
damals im Mittelalter war. Auch so eine Ordensburg in
Polen ist etwas ganz Natürliches, wir sind im vereinigten
Europa, das ist das Kulturerbe zweier Nationen.
Recht brauchbares Material also für die Korrektur der
Meinung, der Pole lasse sich gemeinhin von antideutschen
Ressentiments leiten. An dieser Stelle ist es ein Gebot
der journalistischen Redlichkeit, auch einen
deutschen Tannenbergstatisten zu Wort kommen zu
lassen, einen Stefan Bastigkeit, der – in
humoristischer Verfremdung – sich einen kleinen Hinweis
auf den wirklichen Status Polens gegenüber
Deutschland erlaubt: Der polnische König hat ein
letztes Angebot an die Deutschen: Wenn die uns ein paar
Autobahnen bauen, dann würden wir uns vielleicht ja auch
mal ergeben.
Letzte Zweifel werden endgültig beseitigt durch einen
Blick in das Tannenberg – Drehbuch, demzufolge der
sterbende Ordensmeister zu sagen hat: Schön ist es
hier im Himmel, hier herrscht Friede, es gibt keine
Deutschen, keine Polen mehr, noch nicht mal Russen.
,
worauf der WELTSPIEGEL,
ohne das Publikum auf diese Bewertung festlegen zu
wollen, zugesteht, dass die performance des
Tannenberg-plots doch ein Bemühen um
‚political correctness‘ erkennen lässt. Heute
scheinen diese martialischen Ritterspiele wohl eher ein
deutsch-polnisches Versöhnungsfest zu sein als eine
chauvinistische Siegesfeier.
Nächster Beitrag.
„Südafrika: Der ANC – Die Generation ‚Moral‘ dankt ab.“
Der WELTSPIEGEL blickt an
diesem Sonntag auch nach Südafrika. Die Ikone der
Anti-Apartheid-Bewegung hat Geburtstag: Mandela wird 90.
Dem Lebenswerk des Jubilars und dem aktuellen Zustand
seines Vermächtnisses gelten die Erkundigungen des
Reporters. Leider kann er nichts Positives vermelden.
Mandela ist zwar sehr alt geworden, aber mit seinem
ANC geht es bergab.
Die Recherche vor Ort belegt, was
der WELTSPIEGEL schon
vorab – prophetisch? – vermutet hat: Die Aufrechten in
der heutigen Regierungspartei, die ehemaligen Kämpfer
gegen Apartheid, sind alt und treten ab. Die Neuen, wie
der künftige Parteichef Jacob Zuma, gelten vielen im Land
als korrupt, vorbelastet, ohne Ideale.
Bei dieser
profunden Auskunft – früher gut, heute mies! – bleibt es
dann auch.
Um eine gute Sache ging es damals – mehr muss man vom ANC, seinen Anliegen und denen der Staatsmacht, die er bekämpfte, nicht wissen. Denn der Krieg um die Herrschaft über die Townships ist geadelt durch seinen Erfolg und die Farbe, die den Präsidenten mit dem Großteil seiner Untertanen nun verbindet. Dagegen ist das Südafrika von heute, der Staat, den sich Mandela mit seinem Verein erkämpft hat, nicht mehr gut. Die Hinterlassenschaft besteht gegenwärtig aus Korruption, Verbrechen, Pogromen, und das ist schon das Wesentliche, was man sich 2008 zum Land ums Kap der Guten Hoffnung zu denken hat: Früher stand es irgendwie besser um es!
Ein Bericht fürs Fernsehen wird daraus, wenn sich
Freiheitskämpfer von damals finden, die diese traurigen
Erkenntnisse über den Wandel von einst zu heute bezeugen.
Es gibt sie glatt: Mit der üblichen professionellen
Sorgfalt, was die Auswahl seiner Kronzeugen betrifft,
fällt der Reporter gleich mit der Tür ins Haus einer der
berühmtesten Frauen aus dem Widerstand, die ihrer tiefen
Enttäuschung und Sorge über das Heute Ausdruck verleiht
und wehmütig an die Zeit des Befreiungskampfes
denkt. Damals galten noch die Ideale von Gleichheit
und Ehrlichkeit. Sie bedauert es, dass sie damals den
Kopf hingehalten hat für die korrupten Beamten des
heutigen Südafrika. ‚Nein! Dafür habe ich nicht
gekämpft.‘
Korruption bis auf die unterste
Ebene
– fügt der Korrespondent hinzu, um deutlich zu
machen, wie sehr die Moral in Südafrika auf den Hund
gekommen ist. Daher erwähnt er zwar die zweite, noch viel
berühmtere Frau, Winnie Mandela, nimmt aber Abstand
davon, sich mit ihr zu treffen. Obwohl als erste Ehefrau
Mandelas zur ‚guten, moralischen Generation‘ gehörend,
hat sie sich mit ihrem späteren, überhaupt nicht mehr
idealen Lebenslauf eindeutig selber diskreditiert; und
mit den Bösen wird nicht geredet.
Besser passen die nächsten Zeitzeugen, ein agiler
74jähriger, der damals zuständig war für den Bau von
Bomben und Handgranaten und von den erfrischenden und
aufregenden
alten Zeiten schwärmt, sowie ein
weiterer würdiger Herr
(ohne
Altersangabe), der ebenfalls das Vermächtnis
seines damaligen Weggefährten Mandela kultiviert.
Schlechte Noten bekommt hingegen der letztes Jahr
gewählte Jacob Zuma, denn: Hier geht es um Macht,
nicht um Ideale.
Zuma drohen Korruptionsprozesse und
ein Vergewaltigungsprozess, der nur aus Mangel an
Beweisen ausgesetzt
ist, und das stellt hinlänglich
klar: Eine so ideale Lichtgestalt wie Mandela ist der
Mann keinesfalls. Ob er der Richtige für das Erbe
Mandelas ist? So soll man sich ganz voreingenommen fragen
und sich die richtige Antwort geben. Etwas anderes über
Zuma und Kollegen braucht man anscheinend nicht zu
wissen.
Trotzdem – so rundum vernichtend will der Reporter sein
Bild der Zustände nicht enden lassen. Ausgewogen, wie
man’s ihm beigebracht hat, empfiehlt er, ganz im Einklang
mit dem ehemaligen Bombenbauer, nicht nur die dunklen
Wolken über dem Politikhimmel zu sehen
und der
Herrschaft eine Chance zu lassen. Denn sogar der findet
heute – altersmilde – rechtfertigende und entschuldigende
Worte für sein Regime: Viele Befreiungskämpfer von
damals glauben, dass man es ihnen schuldig ist, sie mit
Macht und mit Posten auszustatten. Als Kompensation
gewissermaßen. Aber das macht unsere Politiker von heute
auch nicht schlimmer als die anderer Länder. Ich glaube,
wir haben heute noch ganz fähige Leute. Ich glaube aber
auch, dass wir durch eine schwierige Zeit des Übergangs
gehen.
Nicht ganz ohne Hoffnung also, aber schwierig
und unsicher ist die Zukunft von Südafrika jedenfalls.
Nur eines ist nach diesem Bericht glasklar: Besser,
schöner, edler, moralischer war’s natürlich früher. Aber
was kann man schon machen, wenn eine ganze Generation
Moral
abdankt. Da wird es wohl noch ein wenig dauern,
bis dort so regiert wird, wie es uns gefällt.
Die Botschaft des WELTSPIEGEL
liegt in der Methode: Er macht konsequent ernst mit der verkehrten Gleichsetzung von ‚authentisch‘ und ‚objektiv‘ und der Verwechslung von ‚abstrakt‘ und ‚konkret‘. Die Wahrheit über das Weltgeschehen liegt für den WELTSPIEGEL in der Betroffenheit der Leute, nicht darin, worin sie verwickelt sind, sondern wie sie davon in Mitleidenschaft gezogen werden, und die Annäherung an den Kern der Sache erfolgt sachgerecht, indem verantwortungsvolle Journalisten die Menschen als Leidtragende ins Bild setzen. Darauf, dass ein verletztes Gerechtigkeitsempfinden den Leitfaden abgibt, ist absolut Verlass, notfalls hilft der WELTSPIEGEL mit entsprechenden Fragen nach. Damit sind die aufgegriffenen Interessen perfekt eingeordnet, nämlich ein einziger Auftrag für mehr Gerechtigkeit überall auf der Welt. Was dabei als anständig und anerkennenswert zu sehen ist, überlässt die Redaktion nicht einfach den Betroffenen – auch die können falsch liegen bei dem, was sie als gut für sich empfinden. Das bemisst sich im Regelfall an der ausdrücklichen Vorgabe, die sich dem Standpunkt des politischen Interesses Deutschlands entnehmen lässt, manchmal auch dem, was sich die Redakteure als deutsche Interessen vorstellen. So bleibt beim Zuschauer die Botschaft hängen: Wenn sich die Zuständigen mehr um ‚die Menschen‘ kümmern würden, dann wäre die Welt doch das, was sie sein sollte: Heimat, wie geschaffen für uns! Das wäre doch nicht zu viel verlangt und auch ohne größeren Aufwand möglich.