Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Arbeitslos, unzufrieden? Egal! NPD wählen gehört sich nicht!
Was der politische Anstand alles verlangt

Der Aufschwung der faschistischen Konkurrenz gilt den demokratischen Abonnenten der Regierungsgewalt als politisches Unglück, für das manche aber durchaus Zuständige benennen können. Das ist man als im Parteienwettbewerb stehender Demokrat diesem schönen System schuldig, das man einerseits vor den rechten Nicht-Demokraten „retten“ muss und andererseits vor der Unfähigkeit der demokratischen Mitbewerber, die die Rechten stark macht.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Arbeitslos, unzufrieden? Egal! NPD wählen gehört sich nicht!
Was der politische Anstand alles verlangt

Die NPD-Leute im sächsischen Landtag sollen angeblich sehr professionell arbeiten, gut vorbereitet und abgeklärt bei Themen mitreden, die man ihnen gar nicht zugetraut hätte, so eine Runde berufsmäßiger Politikbeobachter in der „Pressestunde“ der ARD. Hätten sie sich neulich nicht mit ihrem Spruch zum Bombenholocaust der Weltkriegsalliierten gegen Dresden und der Verweigerung des nationalen Gedenkens in Sachen Judenmord wieder einmal daneben benommen, man könnte sie von gewöhnlichen CDSPDlern kaum unterscheiden beim parlamentarischen Traktieren des lebendigen und sachlichen Inventars des sächsischen Standorts. Über die politischen Gesichtspunkte, unter denen sie sich kritisch mit der Lage der Nation auseinander setzen, die sie grade ein kleines bisschen mitregieren dürfen und gerne ganz von den Demokraten übernehmen würden, hört man eher wenig von Seiten der aufgescheuchten bürgerlichen Parteien und ihrer Öffentlichkeit.

Dafür aber umso mehr Forderungen nach politischer Auseinandersetzung mit den Rechtsradikalen, die alle demokratisch verantwortlich Fühlenden in Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Medien an sich selber und alle anderen richten. Und einiges über Schuld und Verantwortlichkeit, die Wahlerfolge der Rechten betreffend. Das gibt immerhin schon einmal Auskunft über die Gesichtspunkte der Demokraten beim Umgang mit den Folgen ihrer Regierungstätigkeit. Die Macht, mit der sie die Nation verwalten und die sie sich selbst grundgesetzlich zur exklusiven Nutzung verschrieben haben, wollen sie nach der Unterwerfung der Linken auch mit den Vereinen von der faschistischen Systemkonkurrenz keinesfalls teilen. Deren Aufschwung gilt den demokratischen Abonnenten der Regierungsgewalt vielmehr als politisches Unglück, für das manche aber durchaus Zuständige benennen können. Das ist man als im Parteienwettbewerb stehender Demokrat diesem schönen System schuldig, das man einerseits vor den rechten Nicht-Demokraten „retten“ muss und andererseits vor der Unfähigkeit der demokratischen Mitbewerber, die die Rechten stark macht. Diese Denunziation ist man dem Erfolg der eigenen Partei in diesem schönen System schuldig.

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Deswegen reibt der bayrische Möchtegern-Kanzler Stoiber dem regierenden Schröder einen „politischen Zusammenhang“ hin, der sich gewaschen hat: Der Kanzler sei nicht nur für fünf Millionen Arbeitslose, sondern auch – und deswegen – direkt verantwortlich für das Erstarken der Rechtsextremisten, deren Nährboden die Arbeitslosigkeit sei. (SZ, 10.2.05) Und auch der neue CDU-Generalsekretär Kauder möchte nicht versäumen, gesagt zu haben, dass die Menschen in Deutschland von Ängsten und Sorgen geplagt seien, auf die die Politiker eingehen müssten, da sonst hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit die Menschen zu extremen Parteien treibt. (SZ, ebd.)

Diese interessante Kritik bringt den zeitgenössischen demokratischen Extremismus gegenüber Wählern, die nicht umstandslos der freiheitlich-kapitalistischen Praxis der nationalen Führer anhängen, demokratischen Konkurrenzparteien, die man aus der Regierung verdrängen will, und gegen die Rechtsparteien, die man einfach gern los wäre, schön zur Anwendung:

Sie nimmt sich erst einmal nicht die Rechtsradikalen vor, sondern die Ängste und Sorgen der NPD-Wähler: Deren aus ihrer Lage geborene Unzufriedenheit gehört sich eigentlich nicht in einem gut regierten Gemeinwesen! Jedenfalls nicht so, dass sie sich für eine grundfalsche politische Richtung, also für ein irgendwie geartetes Dagegensein mobilisieren lässt! Tut sie das, so hat sie, wie im vorliegenden Fall, den Vorwurf des Nährbodens des Rechtsextremismus verdient und die Unzufriedenen im Lande finden sich unversehens als brauner Sumpf wieder, ausgegrenzt aus der demokratischen Volksgemeinschaft der Anständigen. Dass die Unzufriedenheit der rechten Wähler falsch, also nicht gerechtfertigt ist, sieht man daran, dass sie der NPD zu zählbaren Erfolgen verhilft. Sie gehört deswegen kritisiert und nach Möglichkeit kriminalisiert.

Richtige, also demokratisch legitime Unzufriedenheit würde nämlich auf die schlechte Arbeitsmarktpolitik der Rot-Grünen, die einen Unwillen hervorruft und zulässt, den es – wären die Christen am Ruder – gar nicht bräuchte, anders reagieren: Nicht mit der Wahl der falschen, sondern der korrekten Partei, hier selbstverständlich der CDSU. Insofern, aber auch nur so, ist die Unzufriedenheit der von ihrem demokratischen Regime traktierten Wähler ein Lebenselixier der Freiheit: Solange sie sich verlässlich in immergleichen Regierungsaufträgen an die von den demokratischen Parteien monopolisierten Wahlalternativen im Dienste eines rechtsstaatlichen, kapitalistischen Wachstums niederschlägt. Die von der Union erwünschte Kritik an der Regierungspolitik von unten gilt also nur dann etwas, wenn sie sich von Stoiber und Co ausnützen lässt und nicht von den Rechten.

Als Quintessenz dieser „politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus“ bleibt also übrig, dass dieser sich auf einen Unmut im Volke bezieht, der sich so einfach nicht gehört; und diese falsche Unzufriedenheit auch noch für seine politische Gegnerschaft zu „unserem“ freiheitlichen System ausnützt.

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In diesem Punkt ist sich die SPD mit ihren Kritikern von der Union einig: Die faschistische Systemalternative zu wählen ist in jedem Fall unanständig. Das wollen die Führer der SPD den Wählern auch in aller Deutlichkeit gesagt haben, die sich herausnehmen, die Art, wie ihnen von der Regierung im Zuge des nationalen Verarmungsprogramms für Aufschwung und deutsche Weltgeltung mitgespielt wird, mit dem Wählen falscher Parteien zu quittieren. Deswegen stellt der Parteivorsitzende Müntefering die Verantwortung in der causa NPD unmissverständlich klar:

Verantwortlich für die Erfolge der NPD sind allein die Wähler. Niemand hat das Recht, aus Protest die Rechtsradikalen zu wählen. (ARD-Tagesschau, 12.2.)

Nun weiß natürlich jeder, dass er das Recht hat, die NPD zu wählen, solange sie auf den Wahlzetteln steht. Jeder weiß aber auch, wie Müntefering das gemeint hat: In Deutschland, das die Abkehr vom Nationalsozialismus und seinen – national bilanziert – völlig erfolglosen Verbrechen zur Staatsräson gemacht hat; das nicht müde wird, die Taten der Nazis für so singulär zu erklären, dass sie mit dem eigentlich grundguten deutschen Wesen und Staatswesen als Unfall der Geschichte gar nichts mehr zu tun haben; und das seiner Geschichte die erzimperialistische Verpflichtung entnimmt, gegen alle anderen immer größer und stärker zu werden, um für alle Zukunft ein besonders wachsames Auge auf alles Böse in aller Welt haben zu können; in diesem Deutschland ist die Wahl der politischen Richtung, die die Nation schon einmal so gründlich vergeigt hat wie nie zu vor, eine Frage des moralischen Rechts, eine Frage des Anstandes also. Und der muss – Arbeitslosigkeit hin, Hartz IV her – auch in schwierigen Zeiten gewahrt werden. Politischer Anstand besteht heute wie immer darin, Gegnerschaft gegen die herrschenden Verhältnisse, für die es sowieso keinen guten – also von den Verteidigern dieser Verhältnisse anerkanntenGrund gibt, gefälligst bleiben zu lassen.

So reiben die Rotgrünen Stoiber und der CDU den Vorwurf hin, mit ihrem in bester denunziatorischer Absicht aufgebrachten Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und Rechtsradikalismus den NPD-Wählern ein ganz unangebrachtes Verständnis entgegen zu bringen und eine Rechtfertigung ihres völlig verfehlten Wahlverhaltens geliefert zu haben. Diesen politischen Fehler treten die Regierung und ihre Sympathisanten genüsslich breit, nennen ihn bösartig und fordern die Solidarität der Demokraten ein von den Christen: Darüber, dass es in der Demokratie kein Recht zum Dagegensein gibt ohne das Dafürsein für eine demokratische Alternative, war man sich doch bisher einig als gemeinsames Abgrenzungskriterium gegenüber den Radikalen! Und in einer mühelosen Verknüpfung von demokratischer Wehrhaftigkeit gegenüber den Rechten und Wahlkampfgemeinheit gegenüber der Konkurrenz erklärt Schröder Stoibers Schuldzuweisungen an die Regierung zur demokratisch unakzeptablen Argumentationshilfe für die, die im braunen Sumpf im Trüben fischen und die, die sie leisten, für völlig regierungsunfähig.

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Das ist ein Urteil, zu dem die NPD und ihre Anhänger hinsichtlich aller demokratischen Parteien schon lange gekommen sind und das sie mit Eifer verbreiten. Für sie ist das Elend der Volksgenossen und die grassierende Arbeitslosigkeit nicht so sehr ein persönliches Problem und auch kein soziales in dem Sinne, als sie auf die sozialverträgliche Lösung „marktwirtschaftlicher Probleme“ losgehen würden. Anspruchslose Bescheidenheit wissen sie am Arbeitsmann so sehr zu schätzen wie ihre demokratischen Gegner. Den Zustand der deutschen Arbeiterklasse halten sie eher für ein nationales Trauerspiel, weil Macht und Pracht der Nation, wovon die kostengünstige Würde der Schaffenden nur ein Abglanz ist, unter der Brachlegung großer Teile der nationalen Arbeitskraft leiden, die sie für eine wichtige Ressource für Volk und Staat halten. Wo die demokratischen Herren des Landes kapitalistisch korrekt die massenhafte Verbreitung von Armut, die heute wieder so heißen darf, als Aufbruchs-, Reform- und Aufschwungsbedingung propagieren, die Deutschland „fit für die Zukunft“ machen soll, insistieren die Rechten kapitalistisch unkorrekt darauf, dass es sich bei den obwaltenden Zuständen um eine nationale Schande handle. Denen, die für diese Zustände politisch verantwortlich sind, sagen sie nicht ganz zu Unrecht nach, dass sie sie schon auch so wollten, um sie dann, weil sie das arme Deutschland als das wahre Opfer der demokratischen „Systemparteien“ sehen, als Verräter an der Nation anzuprangern. Ihre Agitation geht darauf, den pflichtvergessenen demokratischen Führern die Gefolgschaft aufzukündigen und sich zur wahren Anständigkeit des guten Deutschen zu bekennen, die vor dem Aufbau der vollbeschäftigten und ausländerfreien Volksgemeinschaft erst einmal die Beseitigung der falschen Führung erfordert.

Dieser schöne Dialog darüber, was sich im Lande (nicht) gehört, wird konsequenterweise durch die jüngsten Überlegungen der Staatsmacht belebt, die sich im Besitz des besten Argumentes zur Entscheidung politischer Anstandsfragen weiß: Sie winkt einmal mehr mit der Waffe des gerichtlichen Verbotes des lästigen Vereins. So schwingt sich die „politische Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus“ zu angemessenen demokratischen Höhen auf. Manche Diskussionsbeiträge, so scheinen die Diskutanten im Lager der Freiheit über ihr Spiel mit dem

Für und Wider eines Parteienverbotes zu denken, sind einfach so gut, dass sie vielleicht schon manchen überzeugen, bevor man sie eingesetzt hat. Und wenn es hilft, so ihr Standpunkt, wer wollte dann darüber klagen, dass dieses Argument der Demokraten gegen die Rechten das einzig schlagende ist.