Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wahlkampf in Berlin vor und nach dem 11.9.
Eines bleibt, wie es ist: „Wahlen sind das Edelste, was es in einer Demokratie gibt“
Was Wahlkandidaten alles „mitzubringen“ und woran sie sich zu bewähren haben: das lässt sich an dem CDU-Mann Steffel und dem PDS-Kandidaten Gysi studieren. Bei beiden kann man nicht wegdiskutieren, dass ihnen etwas fehlt: der Amtsbonus, den Wowereit nach dem 11.9. mit entschlossenem Einsatz für die innere Sicherheit nutzt.
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Wahlkampf in Berlin vor und nach dem
11.9.
Eines bleibt, wie es ist: „Wahlen
sind das Edelste, was es in einer Demokratie gibt“
Erst neulich, im Frühsommer des Jahres 2001, gab es in
der deutschen Hauptstadt den bis dahin größten
„Finanzskandal“ der deutschen Nachkriegsgeschichte. Es
stellte heraus, dass die jahrelange spekulative
Vorfinanzierung des erhofften Hauptstadtbooms
durch die Berliner Stadtregierung und ihre Berliner
Bankgesellschaft nicht zu dem erwünschten Erfolg geführt
hat: Anstatt den vielen von Stadt und Bank mobilisierten
Kredit mit einem grandiosen Wirtschaftsaufschwung zu
rechtfertigen, die Stadt als europäische Metropole in
einen Zustand zu versetzen, der der Nation
angemessen
(SZ) ist und
den städtischen Haushalt zu sanieren, platzte die
Spekulationsblase. Die Folge waren neue
Milliardenschulden der Stadt zur Rettung ihrer
zahlungsunfähig gewordenen Bank. Die Hauptstadt stand
damit vor einer angeblich existentiellen
Haushaltskrise
und vor aller Welt als
Konkurskapitale
(SZ,
23.10.01) da. Wie stets, wenn Geschäfte scheitern,
die alle ihr Recht auf Erfolg haben, zumal
solche der „öffentlichen Hand“, eröffnet der
Misserfolg nicht etwa den Blick auf die
Schönheiten kapitalistischer Reichtumsvermehrung und
-vernichtung. Er offenbart vielmehr einen Abgrund an
Unfähigkeit und Pflichtvergessenheit der
Geschäftsleute und verantwortlichen
Politiker. Weil Politiker ihre Berechnungen nach
genau diesen Gesichtspunkten einrichten, trennt sich die
jahrelang mitregierende SPD, um die Verantwortung für die
peinliche Lage hinreichend klar zu stellen,
reaktionsschnell von ihrem christdemokratischen
Koalitionspartner. Sie lässt einen eigenen Mann mit Hilfe
von PDS und Grünen zum Regierenden Bürgermeister wählen
und schreibt Neuwahlen aus, in der Hoffnung, von der
geschätzten Wählerschaft anstelle der als alleinige
Filz- und Bankrottpartei
dastehenden CDU und
obendrein ausgestattet mit dem „Bonus“ der regierenden
Amtsinhaber den Auftrag zur Führung der politischen
Geschäfte in der Hauptstadt zu erlangen.
Auf Grundlage dieser Vorgeschichte sieht sich jede der konkurrierenden Parteien genötigt, echt frische Kräfte in den Wahlkampf zu schicken. Der vorläufige Misserfolg des nationalen Großprojektes, die wiedervereinte Hauptstadt als rundum prosperierende Metropole eines europäischen Führungsstaates mit weltweiten Ansprüchen zu etablieren, schürt eben Zweifel an der Führungsqualität des Personals, das den Erfolg dieses Projektes gegen Wirtschaftskrise und zusammenbrechende Grundstücksspekulation nicht herbei zu regieren vermochte – Zweifel, die der Fortgang der politischen Konkurrenz der Parteien in der Stadt dann durch den Amtsverlust der Diepgen-Mannschaft endgültig bestätigt: Wer unfreiwillig der Macht seines Amtes verlustig geht, kraft deren er noch gestern ein demokratischer Herrenmensch war, der ist allein dadurch auf sein „Normalmaß“ zurechtgestutzt: er bietet den traurigen Anblick eines entmachteten Funktionärs, eines abgehalfterten Politikers, der keinen Respekt mehr, wohl aber irgendwie seinen Abgang verdient hat, wenn er sich nicht an der Macht halten konnte.
*
Die frische Kraft der CDU, der unglückselige
(Tagesspiegel)
Steffel, kommt, wie das im Prinzip jeder
demokratische Wahlkandidat tut, zu seiner
Spitzenkandidatur als Nutznießer eines innerparteilichen
Intrigenspiels. Wo allerdings die menschlichen
Gemeinheiten der internen Willensbildung freiheitlicher
Politikvereine üblicherweise halbwegs verdeckt ablaufen,
öffentlich nur, soweit es einer der konkurrierenden
Positionen nützt, und mit einer echt harmonischen
Kandidatenkür – möglichst nicht unter 90% Zustimmung –
abgeschlossen werden, läuft das bei Steffel, liebevoll
von den Medien begleitet, eher ungünstig: Nachdem
zunächst der Ex-CDU-Chef Schäuble auf Vorschlag der
Bundesvorsitzenden schon fast Kandidat ist, wird, auf
Druck und als Protegé des Ex-Ex-CDU-Chefs Kohl und des
vormals regierenden Berliner CDU-Klüngels, einigermaßen
überraschend Steffel gewählt. Der Kandidat ist damit eine
Figur, vermittels derer innerparteiliche
Rechnungen beglichen werden und nicht das siegreiche
Subjekt eines Postenschachers, den er mit
eigenem Machtwillen und überzeugendem Erfolgsversprechen
für sich entschieden hätte. Das ist keine gute
Ausgangslage, muss aber nicht heißen, dass schon alles
verloren wäre. Schon mancher Kandidat hat mit gut
geschnittenen Haaren und Anzügen und „Themen“, die den
gerade empfindlichen Nerv des nationalistischen
Wählergemüts treffen, davon überzeugen können, dass in
seinen zupackenden Händen das Wohl des Gemeinwesens am
besten aufgehoben wäre. Das will dem CDU-Mann gar nicht
recht gelingen. In dem eher dahinplätschernden
Wahlkampf
(FAZ) macht er
nur wenig von sich reden, und wenn, dann so, dass ihm das
in den Augen des Publikums eher schadet: Erst versteckt
er sich feige, tausendfach fotografiert, vor fliegenden
Eiern hinter dem Rücken des bayerischen
Ministerpräsidenten. Das gibt kein gutes Bild ab von
einem Mann, der sich auch als Garant der inneren
Sicherheit ums Amt bewirbt und beherzt Chaos und Chaoten
entgegentreten sollte. Dann gräbt irgendjemand aus, dass
der jugendliche Steffel aus seiner
jungchristlichen Verachtung für Bimbos und Kanaken kein
Hehl gemacht und sich entsprechender Ausdrücke für diese
fremdländischen Mitgeschöpfe bedient hat. Das wird dem
erwachsenen Kandidaten Steffel als äußerst unkorrekt
vorgehalten. So entspinnt sich eine kleine
Wahlkampfkontroverse, die getragen ist von dem
politmoralischen Gesichtspunkt einer korrekten
Sprachregelung für ein gerade laufendes politisches
Projekt, auf der man gegen den inkriminierten Lapsus des
Kandidaten bestehen will. Die Nation nimmt sich gerade
die Freiheit, ihre personellen Bedürfnisse aus dem
weltweiten Angebot der besten Köpfe
und
brauchbaren Hände zu befriedigen und die
Zuwanderung
des unnützen Rests zu
begrenzen
, der nicht hierher gehört und deshalb
auch nicht zu „uns“ passt. Mit dieser nachhaltigen
Sortierung von Zuwanderern
nach dem Kriterium der
Nützlichkeit wird der volkstümliche Rassismus von Staats
wegen mit einer neuen, funktionell verfahrenden
politischen und rechtlichen Selektionspraxis
konfrontiert. Da sollte doch, so lautet das
Anforderungsprofil der öffentlichen Moral, gerade den
Vertretern der „politischen Klasse“, die sprachliche
Grenzziehung zwischen einem dergestalt korrekten
Standortpatriotismus und völlig überlebtem, nach
heutigen Maßstäben national schädlichem
Privatrassismus, der einfach keine Neger leiden kann,
geläufig sein. Ihnen immerhin obliegt es ja, diesen
staatlichen Standpunkt den reichlich völkisch fühlenden
Einheimischen als angesagte Sichtweise jetzt gültigen
nationalen Anstands nahe zu bringen. Steffel scheint –
vom Standpunkt des erfolgreichen Wahlkämpfers aus – alles
falsch zu machen: Er verleiht den Vorwürfen Wichtigkeit,
indem er sich auf sie einlässt und sie bestreitet. Zeugen
seiner jugendlichen Entgleisungen treten auf, und der
Kandidat kriegt die Sache einfach nicht los. Er ist
offenbar nicht souverän
genug, die Kritik unter
Verweis auf stadt- und staatspolitisch Wichtigeres als
bösartige Erfindung und durch seinen persönlichen und
politischen Reifungsprozess sowieso überholt abzutun. Das
tut dem Standing des Kandidaten in der
Öffentlichkeit nicht gut, so dass irgendwann das
Schlimmste eintritt, was einem demokratischen
Wahlbewerber passieren kann: Weite Kreise des Wahlvolks,
keinen Deut heller als der Kandidat selbst, gelangen zu
der Ansicht, dass sie diesen Steffel nicht als Staatsmann
und potentiellen Vertreter ihrer demokratischen Obrigkeit
ernst zu nehmen brauchen, ihn sogar, mit Bestätigung
durch einen erheblichen Teil der Medien, doof und
lächerlich finden und ihm, dem Hanswurst, der sich um ein
hohes Amt bewirbt, den üblichen untertänigen Respekt
verweigern dürfen. Das wirft ihn auf den ganz harten Kern
seiner Wählerschaft zurück und raubt ihm seine
Siegeschancen. So wird dem CDU-Mann gar nicht der
Korruptions- und Haushaltsskandal, der als Auslöser am
Anfang des ganzen vorzeitigen Wahlspektakels stand, zum
„Verhängnis“ für seine hochfliegenden Absichten, dafür
interessiert sich während des Wahlkampfes nämlich kaum
ein Schwein:
„Ein Thema – das Thema, die Haushaltsnotlage – wurde wegdefiniert.“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, (FAS) 7.10.)
Vielmehr schaden ihm seine Verstrickung in eine
Korrektheitsdebatte, in der er die nötige
Durchsetzungsfähigkeit und taktisches
Geschick vermissen lässt, und ein für einen
Politiker unverzeihlicher Verstoß gegen den
Lokalnationalismus, als er München statt Berlin zur
schönsten Stadt Deutschlands
erklärt. Soweit
überhaupt seine Person zum Thema wird, wird sie es bald
nicht mehr als Inkarnation eines möglichen demokratischen
Führers, sondern als Ensemble von Eigenschaften, wie man
sie an einem Regierenden Bürgermeister der Hauptstadt
lieber nicht sehen will. So ähnlich betrachten das auch
die Exegeten seines Misserfolges, wenn sie nach der Wahl
eine Art politischen Finanzskandal als dessen
Ursache ausmachen:
„Die Berliner CDU war in einer Stadt auf Pump eine Partei auf Pump. Dafür hat sie nun das Urteil erhalten. Die Wähler haben die politische Zahlungsunfähigkeit der Partei festgestellt.“ (SZ, 22.10.)
Demokratische Parteien pflegen eben ihre weitere Teilhabe
an der Macht, die ihre politische
Zahlungsfähigkeit
ausmacht, mit dem Kredit,
sicherzustellen, den ihre Kandidaten als Erfolg
versprechende Sachwalter der Staatsnotwendigkeiten bei
ihren Wählern abzurufen verstehen: der persönlichen und
damit politischen „Glaubwürdigkeit“ Diese Sorte Kredit zu
sichern, ist – vorangegangener Skandal hin oder her, Koch
in Hessen lässt grüßen – Aufgabe eines Wahlbewerbers in
einem demokratischen Wahlkampf. Und das hat Steffel nicht
geschafft.
*
Während Steffel erfolglos gegen den kurzen Amtsbonus
des so plötzlich bekannt gewordenen Wowereit
(FAZ, 18.6.) ankämpft, und es
ihm auch nicht gelingt, bei der Bekämpfung der Konkurrenz
von der PDS dem notwendigen Antikommunismus eine
moderne, elegante und weltoffene Gestalt zu geben
(FAZ, ebd.), ist der Kandidat
Gysi diesbezüglich entschieden weiter.
Ihn halten die Berliner von allen Wahlbewerbern am
ehesten für einen Siegertyp (34%; Wowereit 27; Steffel
13)
(SZ, 23.10.), und
sein Versuch, „im Wahlkampf eine Debatte über die
Zukunft der Hauptstadt zu inszenieren“
(SZ, 22.10.), wirft gleich
noch so manche Frage über die Zukunft der Nation auf, für
deren gedeihliche Lösung der Erfolg seiner
Kandidatur laut eigener Auskunft eine Schlüsselrolle
spielt: Gysi geht (es) um die innere Einheit
Deutschlands, die noch nicht hergestellt ist
(SZ, 22.8.), und er würde, um
die voranzubringen, gerne mit der inneren Einheit
Berlins
anfangen, wofür es gut wäre, wenn er
Regierender würde. Dann bekäme Deutschland eine starke
Hauptstadt
, die Deutschland als Motor der
Entwicklung braucht
. Dann wäre Berlin nicht nur
stark
, sondern, was die Stadt unbedingt werden
soll, eine europäische Metropole
. Vor
nationalem Dünkel
bei dieser glorreichen
Entwicklung warnt er, weil sowas nur zu
Provinzialität
führen würde, wohingegen er nichts
dagegen hat, mit Nationalbewusstsein … die europäische
Integration
zu gestalten
, außer dass er
Nationalbewusstsein lieber gesamtgesellschaftliches
Bewusstsein
nennen würde (SZ,
ebd.). An der Partei, die ihn zu ihrem
Spitzenkandidaten gemacht hat, lässt er nicht viele gute
Haare: Ein kleinbürgerlicher Verein mit faschistoiden
Neigungen, dessen historische Aufgabe … vor allem
(war), das Kleinbürgertum aus der DDR in die neue Zeit
mitzunehmen und vor den Rechtsradikalen zu retten
(SZ, 15.6.), dem ein noch
radikalerer Bruch mit der Vergangenheit
, als er
bisher schon stattgefunden hat, besonders gut täte:
…wenn die PDS als sozialistische Partei
Regierungsverantwortung in einer kapitalistischen
Metropole übernähme
– mit Gysi als Chef natürlich.
Fragen nach dem abendländischen Krieg in Afghanistan, den
seine Partei ablehnt, können ihn nicht in Verlegenheit
bringen. Er verweist – der Mann ist schließlich Anwalt –
auf den normalen Weg
, dessen Missachtung er mit
Sorge
konstatiert: Mit Haftbefehlen
,
ordentlichen Ermittlungsergebnissen
, die nicht nur
Tony Blair
, sondern ein Richter
würdigen
sollte, und anschließendem Auslieferungsersuchen
.
Würde diesem dann nicht stattgegeben, dann hielte er
begrenzte polizeiliche Kommandoaktionen durch Militär,
ausschließlich zur Ergreifung des Täters, für
legitim
, selbstredend ohne Gefährdung
Unschuldiger
. An der inneren Sicherheitsfront ist er
ganz offen für Vorschläge, die die innere Sicherheit
erhöhen und gegen blinden Aktionismus
, und an der
sozialen will er ein Bedürfnis der SPD bedienen: Die
SPD braucht uns als soziales Korrektiv.
(SZ, 22.08.) Zur Klarstellung verbreitet
sein Finanzexperte
, dass es keine Tabus beim
Sparen
gebe, in den nächsten Jahren 20000 Stellen
im öffentlichen Dienst gestrichen werden müssen
und
dass es keinesfalls wahr, vielmehr ehrenrührig sei, dass
die PDS und Gysi nur den Erhalt möglichst vieler
ABM-Stellen für ihre Klientel
(SZ, 23.10.) wollten.
So schafft es der Kandidat Gysi auf vorbildliche Weise,
den Anforderungen eines demokratischen Wahlkampfes
gerecht zu werden: Egal zu welchem Gegenstand er
sich äußer, er macht immer sich zum Thema. Der
nationalistische Gesichtspunkt bei der Beurteilung der
Lage der Welt im Allgemeinen und der Stadt Berlin im
Besonderen danach, was Deutschland, oder einfach
wir, brauchen, ist ihm so selbstverständlich wie
der großspurige Verweis auf sich als denjenigen,
der fähig und bereit ist, diese Bedürfnisse zu erfüllen:
Mich reizt die Tiefe der Krise.
(SZ, 22.8.) Er als
weltgewandter, unterhaltsamer, rundum interessanter
Dialektiker
(Gysi über sich,
taz, 25.6.), könnte die Stadt aus ihrer elenden
Provinzialität
führen; er wäre nach eigener
Beurteilung schon ein guter Bürgermeister
, auf den
die Leute stolz sein könnten, ich könnte die Stadt
vereinigen.
(Der Spiegel,
42/01) Er wäre ein repräsentables Aushängeschild
der Metropole, in der es zwar künftig noch ein paar Arme
mehr geben wird, die sich dann aber alle zusammen, ohne
Ausgrenzung der Ostberliner, in einer
gemeinsamen ost-westlichen Stadtheimat wohlfühlen
dürften, unter einem Bürgermeister, der „an Berlin
hängt, eine Affinität zu ihr (der Stadt) hat und
ihre wechselvolle Geschichte kennt… etc., etc.“
(taz, ebd.). Klar, dass die
Anbiederung an jeden nationalen oder lokalpatriotischen
Blödmann, die wahlkämpferische Bedienung angeberischer
Westler und national frustrierter Ostler, des
gewerblichen Mittelstands und der Freunde des
antiislamischen Kreuzzugs ebenso wie der diesbezüglichen
„Skeptiker“, manchmal nicht ohne Überschreitung der
Ekelschwelle geht. Doch auch daraus macht Gysi noch einen
Stich für sich, wenn er, so, dass es der Reporter hört,
nonchalant seufzt, dass man sich manchmal selber nicht
mehr hören kann.
Aber die Größe der Aufgabe ist es
einfach wert. Seine Wahl, die eines Ostlers, der so
clever ist wie ein Westler; der seine DDR-
Schmuddelpartei gebührend schlecht behandelt, für die
Gesamtnation dienstbar macht und doch in ihr als Ossi
verankert ist; der es schafft, nur als Jurist
gegen den Krieg, sonst aber dafür zu sein und den Armen
der Stadt, ohne seine Sympathiewerte zu
beschädigen, so glaubwürdig mit der Sanierung des
Haushalts droht, dass kaum noch jemand auf die Idee kommt
zu fragen, was denn an diesem scharfzüngigen,
genussfreudigen, weltgewandten und jüdischen
Intellektuellen, der so wenig zu seiner Partei passt
(SZ, 15.6.), eigentlich noch
links
sein soll: Seine Wahl – so empfiehlt er sich
– wäre doch nichts weniger als die Vollendung der
inneren Einheit. Deshalb bewertet er auch das
Ergebnis der Wahl, das der Partei in Gesamtberlin mit
über 20 Prozent den zweiten Platz nach der SPD bringt und
im Osten fast die absolute Mehrheit, zielsicher als
Aufschrei aus dem Osten
. Auch wenn seine
Ostberliner Landsleute, demokratisch zivilisiert wie sie
inzwischen sind, heute nicht mehr mit Transparenten
lautstark um die Kirchen ziehen, um eine bessere
Obrigkeit einzufordern, sondern eher lautlos mit ihren
Kreuzchen in der Wahlkabine aufschreien, Gysi
hört sie und versteht, wonach sie lechzen. Danach, von
ihm mitregiert zu werden: Wer die PDS jetzt bei der
Regierungsbildung übergeht, verzichtet auf die innere
Einheit der Stadt!
(SZ,
23.10.)
*
Derjenige, der die PDS übergehen könnte,
Wowereit von der SPD, ist nicht als
Kandidat in den Wahlkampf gegangen, sondern
gleich als Chef des Ladens und Regierender Bürgermeister.
Dass das einen großen Unterschied zu den Bewerbern macht,
die eben nur Kandidaten sind, lässt sich der
Bürger, je länger der Wahlkampf dauert, immer mehr
einleuchten, so dass sich nach und nach die Umfragewerte
immer mehr zugunsten der amtierenden Stadtregierung
verschieben. Ganz zu Anfang, nachdem er mit seinem
Überraschungscoup das Amt ergattert hat, lässt er auch
das Eine oder Andere über den geplanten Berliner
Neuanfang
verlauten und kündigt harte
Einschnitte
im Sozial- und öffentlichen Personalwesen
an. Ansonsten vermeidet er es konsequent, seine
konkreten Absichten auszubreiten
(SZ, 20.10.), und setzt sich
dadurch dem Vorwurf aus, er sei
politisch-programmatisch so leer wie die Kassen
Berlins
(FAS, 7.10.). Der
neue Bürgermeister ist dagegen offenbar der Meinung, dass
er selbst als Programm eigentlich
ausreichend ist. Wenn es ihm gelingt, mit dem Angebot,
das seine Person als neuer Bürgermeister
darstellt, alle Bedürfnisse nach Konkretheit
und
politischer Programmatik
zu erfüllen, dann sind
die vielen Einzelheiten, die beim Regieren so anfallen,
für einen großen Teil seines Wahlvolkes ohnehin nicht
mehr so sonderlich interessant. Dann setzt es eben eher
darauf, dass es erstens überhaupt halbwegs ordentlich,
also ohne große „Skandale“, und zweitens von möglichst
sympathischen Leuten regiert wird. Darunter fällt in
Berlin anscheinend, dass man sich mannhaft zu
abweichendem Sexualverhalten bekennt, ein echter
Berliner
ist, deshalb auch wie fast alle Berliner
in die Pandabären Yan und Bao Bao im Zoo vernarrt
ist
und Golf spielt, weil das „ein sehr fairer und
demokratischer (wegen des Handicaps!) Sport
ist“, bei dem man Demut lernen kann.
(BamS, 7.10.) Ansonsten
genügt es zunächst, als neuer ‚Regiermeister‘ Wowereit
allüberall
(FAS, ebd.) präsent zu sein, den
Regierenden Bussi-Bär
(taz) und Schmuse-Linken
(Der Spiegel) zu markieren
und leise
zu regieren: Durch derlei Präsentationen
gewinnen demokratische Politiker, so auch nach
übereinstimmender Medien-Auskunft Wowereit, an
Format
. Das wächst sprunghaft ins geradezu
Staatsmännische hinüber, als das Schicksal in Gestalt der
arabischen New-York-Attentäter dem schwulen Softie eine
Bewährungsprobe beschert, die ein Regierungschef gar
nicht vergeigen kann (wenn er sich nicht gerade
zur Unzeit mit einem alten Grafen im Swimmingpool
fotografieren lässt): Er bekommt die Gelegenheit zu
beweisen, dass die neue Regierung der Stadt schnell
und besonnen auf schwierige Sicherheitslagen
reagieren
(SZ, 18.9.)
kann, darf alle Vorkehrungen treffen, die Hauptstadt
sicher zu machen. Und dafür steht Wowereit, im Fernsehen,
auf Podien, bei Kundgebungen. Überall sein Gesicht.
(SZ, 15.10.) Er verstopft
Berlin mit viel Polizei und ein wenig
Bundesgrenzschutz
(ebd.),
läuft mit Schily und Schröder durch die Gegend und
verkündet, mit viel Vollzugspolizei auf den Straßen …
den Terrorismus schon im Vorfeld zu bekämpfen.
(SZ, 18.9.) Der
sanfte Bürgermeister darf jetzt überall die
Macht und die Sicherheit der wehrhaften
Demokratie mitrepräsentieren, nützt das zur Demonstration
von Kompetenz und Fürsorglichkeit, und das tut seinem
Renommee offenkundig so gut, dass er am Ende die relativ
meisten Stimmen und damit den Auftrag zur
Regierungsbildung gewinnt.
*
Überhaupt dieser 11.9., der mitten in
den Wahlkampf hineinplatzt: Für musikalisch empfindsame
Gemüter ist der Wahlkampf, der vorher
dahinplätschert
, seit dem 11.9. plötzlich in
Moll
(SZ, 18.9.)
gestimmt. Es ist eben nichts mehr, wie es war. Die Wahl
aber muss trotzdem stattfinden, weil Wahlen das
Edelste sind, was die Demokratie hat.
(SPD-Wahlkampfleiter, SZ, 18.9.) Da es
die Terroristen bekanntlich gerade auf unser Bestes
abgesehen haben, wollten sie vermutlich auch die Berliner
Wahlen verhindern. Das ist ihnen, Gott sei Dank,
misslungen. Die Berliner Wahlberechtigten sind nämlich zu
über 70% zur Wahl gegangen. Davon wiederum ca. 80% haben
durch die Wahl der richtigen Parteien einen
entschieden antiterroristischen Akt gesetzt. Nur die
Ossis haben sich mal wieder gründlich daneben benommen
und eine Partei gewählt, die gegen den Krieg in
Afghanistan gestimmt hat, also für den
Terrorismus ist. Nur den Grünen und der
FDP ist es zu verdanken, dass die
Situation in der Hauptstadt gerettet werden konnte: Die
Grünen haben mit ihrer extrem geschickten Arbeitsteilung
zwischen dem Fischer-Flügel (Weiter bombardieren im Namen
der Humanität!) und dem Roth-Flügel (Kurze Bombenpause
wg. Humanität!) doch wieder ein so breites
Spektrum an Wählern abdecken können, dass ihnen der
Wiedereinzug ins Parlament und vielleicht sogar die
Regierung gelungen ist. Und auch die FDP hat mit dem
zündenden Argument: Lieber Rexroth als rot-rot!
eine ausreichende Anzahl mündiger Stimmbürger von ihrer
Regierungsfähigkeit überzeugen können. Feine Leistung.