Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wahlen in Nicaragua:
Mit amerikanischer Nachhilfe alles richtig gemacht!
Womit sich Ortega die Feindschaft Amerikas zugezogen hat und wie Amerika in den Wahlkampf in Nicaragua eingreift, um den Kandidaten Ortega als Wahlsieger zu verhindern.
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Wahlen in Nicaragua:
Mit amerikanischer Nachhilfe alles
richtig gemacht!
Zufriedenheit „im Ausland“ (NZZ), im maßgeblichen Ausland, versteht sich, bei den USA also und all jenen, die sich zum US-Freundeskreis der „freiheitsliebenden Völker“ zählen. Bei den Präsidentenwahlen hat der Richtige gewonnen, Enrique Bolaños, Kandidat der „rechtsgerichteten Liberalen“, dessen „Regierung Gewähr bietet für Kontinuität des Wirtschaftsprogramms des nach Haiti ärmsten Staates Lateinamerikas“. (NZZ, 7.11.) Dabei wird kein Hehl daraus gemacht, was da mit schöner Kontinuität weitergeht. Der neue Mann, bisher Vizepräsident, beerbt seinen Förderer, Präsident Arnoldo Alemán, der als „autoritär und korrupt verschrieen“ (NZZ), einem „ausgeklügelten Macht- und Bereicherungssystem“ (FAZ) vorstand, „dem nachgesagt wird, mehr Geld gestohlen zu haben als jeder andere Präsident in Nicaraguas Geschichte, der berüchtigte Anastasio Somoza eingeschlossen.“ (The Guardian, 2.11.) Aber schon der alte Präsident, der Familienfeiern gerne in der US-Botschaft abhielt, und jetzt sein nachrückender Vertrauter haben ein unschlagbares Verdienst – die Zustimmung Amerikas: „Washington … lobte Bolaños als ausgewiesenen Demokraten, dessen persönliche Integrität außer Zweifel stehe und dessen Erfahrung als Unternehmer Nicaragua nur nützen könne.“ (NZZ) Und dieses Lob aus der Zentrale von ‚freedom & democracy‘, die es ja wissen muss, führt selbstverständlich nicht zu dem Schluss, dass das Regieren im amerikanischen Interesse und durch Amerikas ausgewiesene Wunschkandidaten dann offensichtlich gar nicht anders geht als so: dass all das, was da als „eklatante Korruption, beschämende Vetternwirtschaft und Klüngeleien aller Art“ (NZZ) aufgespießt wird, eben die Normalität des Regierens im amerikanischen Hinterhof ist; dass die Organisation der Herrschaft als Präsidentenklüngel die passende Regierungsform und die Rücksichtslosigkeit der Regierungsfiguren gegenüber den Massen die erste Herrschaftstugend; dass also die Kontinuität der Armut unausweichlich ist, wenn man sich das auswärtige und insbesondere das amerikanische Vertrauen erwerben und dauerhaft sichern will… Vielmehr herrscht „allgemeine Erleichterung im Ausland“ und Amerika ist zufrieden – das qualifiziert den Mann.
Es hätte nämlich auch ganz anders enden und der Gegenkandidat Ortega gewählt werden können. Man erinnert sich: Der Mann, der damals Anastasio Somoza, einen früheren Freund Amerikas entmachtet hat, der die Geschäftsfreiheit und das ganze eingespielte Herrschaftswesen angetastet hat, weil er die Massen sozial besser stellen und auf diese Weise eine ordentliche Herrschaft mit einem Volk schaffen wollte, das sich in ihr aufgehoben fühlt und den Staat trägt. Er machte nicht bloß Schluss mit der alltäglichen Gewalt gegen die Bevölkerung, sondern verstaatlichte Betriebe, wollte die auf Export ausgerichtete Monokultur beenden und führte ein paar „eher milde soziale und ökonomische Reformen durch…: ein bisschen Volkserziehung und Gesundheitsfürsorge, ein Stückchen Landreform“. (The Guardian, 2.11.) Das brachte im Innern die Eigentümer und bisher herrschenden Kreise gegen ihn auf – vor allem aber brachte es ihm die erbitterte Feindschaft der USA ein. Sie belegten das Land mit Wirtschaftssanktionen, initiierten und förderten den bewaffneten Kampf der Contras sowie die Opposition der sonstigen Widersacher Ortegas und sorgten so dafür, dass die Sandinisten keine Gelegenheit bekamen, das Land in ihrem Sinne zu regieren. Ortega fiel schließlich nichts besseres ein, als 1990 unter den Bürgerkriegsverhältnissen ausgerechnet Wahlen abhalten, um sich – so seine Idee – neuerlich demokratisch korrekt ermächtigen zu lassen und seine Gegner zum Schweigen zu bringen – und verlor. „Washingtons siegreiche Kandidatin Violeta Chamorro verzichtete auf die 14 Milliarden Dollar, zu deren Zahlung der Internationale Gerichtshof in Den Haag die USA verurteilt hatte, als Entschädigung für illegale terroristische Akte – darunter die Verminung und Bombardierung von Häfen“. (The Guardian, 2.11.) Auch wenn mit diesen Dollars ohnehin nicht zu rechnen war – damit war die amerikanische Lesart der sandinistischen Regierungszeit als eines Verbrechens gegen die USA offiziell anerkannt. In diesem Geiste wird seitdem in Nicaragua regiert.
Aber den Gefallen, das genauso zu sehen und ein für alle Mal von der politischen Bühne abzutreten, hat Ortega seinen Gegnern nicht getan. Stattdessen tritt er seitdem mit einer zur Wahlpartei gewandelten sandinistischen Bewegung als Konkurrent um das Präsidentenamt an. Von seinem alten nationalen und sozialen Kampfprogramm hat er allerdings gründlich Abstand genommen. Von einer Beschränkung der paar einheimischen Geschäftemacher oder irgendeines auswärtigen Interesses ist keine Rede mehr. Stattdessen verspricht er, „die sozialistische Misswirtschaft der 80er-Jahre nicht zu wiederholen“, legt „ein Bekenntnis zur Marktwirtschaft, zur Bekämpfung von Drogenhandel und Terrorismus“ und – so floskelhaft wie alle anderen Politiker auch – „zu den Prinzipien der sozialen Gerechtigkeit“ ab, unterschreibt also ziemlich vollständig die von Amerika erwünschte Tagesordnung für ordentliches Regieren in Nicaragua. Von seinem damaligen nationalen Aufbruchsprogramm ist nichts übrig geblieben – außer dem Versprechen, er sei angetreten, um endlich die Einheit der Nation zu stiften und alle Gegensätze zu versöhnen. Dabei zielt die darin enthaltene Kritik, dass das Land immer noch irgendwie gespalten sei, nicht einmal so sehr auf die regierenden Kreise mit ihrem allgemein bemängelten Herrschaftsgebaren, sondern auf ihn selber und sein sandinistisches Verbesserungsprogramm: Alles, was einmal dazu gedacht war, einen nationalen Zusammenhalt zu begründen – sozialstaatliche Armutsbetreuung, Einschränkung von Geschäftsfreiheiten und Kampf gegen die Unterwerfung des Landes unter amerikanische Interessen –, das sei in Wahrheit ein Beitrag zu der unseligen Spaltung gewesen, an der das Land immer noch leide. Und er höchstpersönlich, weil geläutert, ist dafür am besten geeignet, diesen Fehler endgültig zu korrigieren. Seinem alternativen nationalen Aufbruchsvorhaben hat er abgeschworen. Nichts von dem will er mehr, aber Nicaragua zu regieren und für dieses Programm die Leute als Wähler zu mobilisieren, dazu fühlt er sich nach wie vor berufen. In diesem Geist tritt er als zum Präsidenten berufene Persönlichkeit an, so wie eben Führungsfiguren sich präsentieren, die darum konkurrieren, dass die Wähler gefälligst ihnen vertrauensvoll ihre Stimme geben sollen: Mit rosa Hemd – statt wie ehemals im Kampfanzug – und Wahlplakaten, die „mit Hippieblümchen geschmückt sind“, präsentiert er sich unter der neuen rosa Parteifahne und stimmt die neue Hymne an: „Vereintes Nicaragua, auf ins Gelobte Land“. Kein Wunder, dass er mit seinem ganz am amerikanischen Vorbild orientierten mustergültigen Wahlkampfzirkus selbst bei ehemaligen Contras und anderen prominenten Amerikafreunden des Landes Anklang findet.
Nicht aber bei Amerika selber. Für dessen Regierung steht fest, dass Ortega der falsche Mann ist und dass er sich mit seiner Vergangenheit für Führungsaufgaben disqualifiziert hat; dass es sich deswegen bei seinen hartnäckigen Anstrengungen, dennoch Präsident werden zu wollen, nur um fortgesetzte antiamerikanische Machenschaften handeln kann. Die Weltmacht verzeiht eben nicht, dass sich in ihrem ureigensten Einflussbereich eine Bewegung offen gegen die amerikanisch gewollten, benutzten und betreuten Verhältnisse aufgestellt und eine ganze Weile behauptet hat, und sei es auch noch so lange her. Die amerikanische Vormacht stellt nämlich besondere Ansprüche an die Gefügigkeit und Verlässlichkeit auswärtiger nationaler Politiker, zumal in ihrer Hemisphäre, und diese Ansprüche sieht sie durch eine Figur wie den bekehrten Sandinisten keinesfalls gewährleistet. Egal, ob sich der Mann noch ernsthaft irgendeiner Anforderung an ‚vernünftiges‘ nationales Regieren im Sinne auswärtiger Geschäfts- und Einflussinteressenten verweigert – für Amerika ist er nicht vertrauenswürdig. Sein Standpunkt, es gelte in Nicaragua noch eine ‚nationale Versöhnung‘ hin- und damit das nationale Getriebe endgültig in Ordnung zu bringen, trifft sich zwar mit einem Anliegen, das die US-Regierung noch unlängst in lateinamerikanischen Staaten verfolgt hat: Mit Wahl- und Wahrheitskommissionen sollte die Bürgerkriegsvergangenheit „aufgearbeitet“ und die nationale Versöhnung im Innern und mit den USA zur Stabilisierung der Regime beitragen. Aber dieses Anliegen in den Händen, unter Anleitung und Führung eines ehemaligen Feindes der freien Welt, das darf nicht sein! Auf Versöhnungsangebote in Nicaragua haben nur die USA und ihre dortigen erprobten Gefolgsleute ein Recht. Für die amerikanische Regierung mit ihrem geschärften Misstrauen gegen einen von ihr nicht autorisierten Nationalismus ist von vornherein klar, dass Ortega mit seiner nationalen Einigungs- und Versöhnungspropaganda genau umgekehrt der Unzufriedenheit im Lande irgendwie Recht und Auftrieb gibt; dass die Massen mit seiner Person unweigerlich Hoffnungen auf irgendeine Änderung der politischen und ihrer Lage verbinden – kurz: dass er für die Kontinuität der Armutsverwaltung in Nicaragua, auf die Amerika ein Anrecht hat, einfach keine Gewähr bietet, sondern eine Störung darstellt. Das im übrigen schon deswegen, weil die Figur und ihre Vertrauten nicht mit den amerikanischen Bindungen und Verbindungen groß geworden sind, in denen die USA die Vertrauenswürdigkeit auswärtiger Politik personell gesichert sehen. Er steht mit Herkunft und Programm und trotz proamerikanischer Unterstützer in seinen Reihen einfach nicht bruchlos genug dafür ein, dass das Regieren im Land und die herrschenden Figuren sich ganz an Amerika ausrichten.
Die neuerliche Kandidatur von Ortega hat die amerikanische Regierung deshalb nicht ruhen lassen, zumal die Zustände im Land mehr als 10 Jahre nach seiner Rückkehr zu ‚ordentlichen Verhältnissen‘ alles andere als zufriedenstellend sind und Ortega deshalb gute Aussichten gegeben werden, eine Mehrheit unzufriedener Wähler für seine Präsidentschaft einzunehmen. Also spendet die Bush-Regierung der Bevölkerung im Land Hilfe, Wahlhilfe nämlich. Ohne falsche Scheu vor Einmischung lässt Jeb Bush, Gouverneur von Florida und Bruder des amerikanischen Präsidenten, eine ganzseitige Anzeige in der nicaraguanischen Tageszeitung La Prensa schalten, in der er Ortega als „Feind von allem, was die Vereinigten Staaten darstellen“, denunziert. Der 11. September schärft auch in dieser Angelegenheit den amerikanischen Blick und Ton: Washington habe „ernste Vorbehalte gegen den FSLN wegen seiner Vergangenheit, in der er die bürgerlichen Freiheiten mit Füßen trat, die Ökonomie zerstörte und Verbindungen unterhielt mit Unterstützern des Terrorismus“, lässt Colin Powell verlauten. Für die Regierungspartei in Nicaragua willkommene Gelegenheit zu einer Aufklärungskampagne im Fernsehen: „Deren zentrale Sequenz, die alle Viertelstunden zur Hauptsendezeit wiederholt wird, zeigt ein Foto von Osama Bin Laden, bewaffnet mit seinem AK 47-Gewehr, während der Sprecher sagt: ‚Wenn er in Nicaragua wählen könnte, würde er den Commandante Daniel Ortega wählen.‘“ (El País, 4.11.) Erinnert werden muss selbstverständlich auch an Ortegas „Nähe zu den Parias der Staatengemeinschaft wie Fidel Castro, Saddam Hussein oder Muhammad Gaddafi“ (FAZ, 12.11.). Botschaften dieser Art werden von einem ganzen „Strom von US-Politikern und ehemaligen Amtsinhabern“ (The Guardian, 3.11.), darunter Leute, die schon in den Kämpfen gegen die Sandinisten Regie geführt haben, wochenlang durch Nicaragua getragen und mit Klarstellungen garniert, was es heißt, sich gegen Amerikas erklärten Willen zu vergehen. Nach der Devise: Der eine Kandidat „nützt Nicaragua“, der andere schadet ihm, droht Washington mit dem Schaden, den es im Verein mit Weltbank und IWF dem Land antun kann und wird, wenn in Nicaragua der Falsche ins Amt kommt. Kurz: Washington macht „während des Wahlkampfs massiv gegen Ortega mobil“, wie die NZZ es zustimmend ausdrückt.
Die Wahlhilfe nutzt; der nicaraguanische Wähler versteht die Mahnung mehrheitlich und wählt den gewünschten Mann. So funktioniert mit amerikanischer Unterstützung die Demokratie in Nicaragua: Im Land herrschen dieselben Zustände wie unter Somoza, aber das verelendete Volk geht brav zum Wählen und hält sich an die politischen Vorgaben; die bekehrte Opposition bekennt sich ihrerseits prinzipiell zu den ehernen Abhängigkeiten und beißt sich zugleich am amerikanischen Einspruch die Zähne aus; und ein Somoza ist überflüssig, weil eine nationale Alternative zum traditionellen Armenhausdasein eines amerikanischen Hinterhoflandes nicht mehr unterwegs ist. Dass irgendetwas, was an eine solche Alternative auch nur erinnert, nicht wieder aufkommt, darauf kann man nach dem Geschmack amerikanischer Politiker deswegen aber auch gar nicht genug aufpassen.