Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Tudjman-Wahl in Kroatien
Demokratische Ressentiments gegen einen ,triumphalen Wahlsieger‘ und ihre imperialistische Bedeutung
Franjo Tudjman hat sich am 15. Juni zur Wahl zum Präsidenten
der Republik Kroatien gestellt, und seine Landsleute bereiten
ihrem „Väterchen Franjo“, wie sie ihren Kriegshelden und
Staatsgründer gelegentlich liebevoll nennen, seinen bislang
triumphalsten Wahlsieg
. Das nationale Programm der
Heimholung aller kroatischen Gebiete in die neue, möglichst
serbenfreie Republik scheint im Land so beliebt zu sein, daß
das Wahlvolk die Gegenkandidaten, die sachlich gar keine
Alternative aufmachen wollten, als matte Imitate des neuen
kroatischen Poglavar
(Führer), wie Tudjman auch
genannt wird, durchfallen läßt: Mehr als 20% sind für sie
nicht drin.
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Tudjman-Wahl in Kroatien
Demokratische Ressentiments gegen
einen ‚triumphalen Wahlsieger‘ und ihre imperialistische
Bedeutung
Franjo Tudjman hat sich am 15. Juni zur Wahl zum
Präsidenten der Republik Kroatien gestellt, und seine
Landsleute bereiten ihrem „Väterchen Franjo“, wie sie
ihren Kriegshelden und Staatsgründer gelegentlich
liebevoll nennen, seinen bislang triumphalsten
Wahlsieg
. Das nationale Programm der Heimholung aller
kroatischen Gebiete in die neue, möglichst serbenfreie
Republik scheint im Land so beliebt zu sein, daß das
Wahlvolk die Gegenkandidaten, die sachlich gar keine
Alternative aufmachen wollten, als matte Imitate des
neuen kroatischen Poglavar
(Führer), wie Tudjman
auch genannt wird, durchfallen läßt: Mehr als 20% sind
für sie nicht drin.
Statt der sonst üblichen Glückwunschtelegramme aus aller
Welt erntet der stolze Wahlsieger allerdings lauter
Vorbehalte gegenüber seiner erneuten Präsidentschaft. Ob
es bei dieser Wahl demokratisch mit rechten Dingen
zugegangen sei, wird allerseits in Zweifel gezogen. Dabei
gibt es am freien und geheimen Wahlvorgang selbst nichts
weiter auszusetzen. Die vorsorglich unter der
sachkundigen Führung eines amerikanischen Senators in den
Balkanstaat entsandten 120 internationalen Wahlbeobachter
konnten jedenfalls nach übereinstimmender Auskunft
keine nennenswerten Unregelmäßigkeiten feststellen
(FAZ 18.6.). Dennoch wollte sich keine rechte
Zufriedenheit mit der Prozedur einstellen. Korrekt soll
nämlich nur die Wahl, nicht aber der
Wahlkampf gewesen sein. Ein Sprecher der OSZE
läßt offiziell und unisono mit der amerikanischen
Außenministerin verlauten, daß
„der Wahlkampf die demokratischen Mindeststandards nicht erfüllt, weil Tudjman das staatliche Fernsehen für Wahlkampfzwecke mißbraucht habe.“
Die Fachleute in Sachen Freiheit & Demokratie haben nämlich penibel recherchiert und herausgefunden, daß
„über Tudjman in einem bestimmten Beobachtungszeitraum dreihundertmal häufiger in den Hauptnachrichten des Fernsehens berichtet worden ist als über seinen Herausforderer.“ (FAZ 18.6.97)
Bewiesen ist damit ein völlig unzulässiges
„Fernsehmonopol und die Demagogie des Autokraten, die seinen Gegenkandidaten keine Chance ließ“. (SZ 17.6.)
Über die Gründe und Hintergründe solch schlimmer Entgleisungen ist sich ein demokratischer Journalist gleich im Klaren: Der mit über 60% frei gewählte Präsident hat sich offensichtlich
„noch keineswegs von den Attitüden des Ancien régime gelöst“, ist „in finsteren Traditionen verhaftet“ und „herrscht mit einer Machtfülle und einem Personenkult wie kein anderes Staatsoberhaupt seit dem Ende des Kommunismus in Europa“. (Der Spiegel 24/97)
Es ist immer wieder rührend zu sehen, wie sich die hartgesottenen Profis des demokratischen Showgeschäfts, die sich von keinem Wahlkämpfer einseifen lassen, weil sie dessen Kniffe längst kennen und alles als „Manipulation“ durchschaut haben, in der Beurteilung auswärtiger Mann- und Machenschaften bei Bedarf in Anwälte demokratischer Redlichkeit und Apostel eines gerechten Chancenausgleichs zwischen Regierung und Opposition verwandeln. Es ist auch unglaublich originell, daß ihnen noch immer zu jeder erzdemokratischen Unanständigkeit im Osten prompt der erhellende Einfall kommt, das könne nur an dem Kommunismus liegen, den es dort nicht mehr gibt – Nationalisten sind ja bekanntlich gegen Personenkult immun und demokratische Führer eher fernsehscheu, jedenfalls was die Berichterstattung der Hauptnachrichtensendungen über ihre aufopfernde Tätigkeit betrifft. Vor allem aber verdient die schlafwandlerische Sicherheit Bewunderung, mit der die freie und ganz persönliche Meinungsbildung unvoreingenommener demokratischer Berichterstatter zielgenau die Urteile widerspiegelt, zu denen sich die maßgeblichen demokratischen Machthaber jeweils durchgerungen haben.
Die haben also beschlossen, daß der Wahlsieger Tudjman insofern in Ordnung geht, als es ja keinen besseren gibt, daß dessen Selbstdarstellung jedoch, die ihm den Wahlsieg gebracht hat, nicht zu billigen ist. Die Wahl hat ihn zwar legitimiert; aber die Legitimation ist fragwürdig – der Zweifel am Werbeverfahren begründet einen grundsätzlichen, jederzeit aktivierbaren Vorbehalt gegen das Ergebnis. Notgedrungen bleibt Tudjman zwar ihr Mann; aber wofür er vor seinem Wahlvolk einsteht und von ihm gewählt worden ist, damit machen sich die berufenen Aufseher nicht gemein.
Das ist eine klare Botschaft an den wiedergewählten
Präsidenten. Sie verbindet die Bestätigung seiner Macht –
ohne die sein glorreicher Wahlsieg nicht viel wert wäre –
mit einer grundsätzlichen Warnung vor – weiteren –
Eigenmächtigkeiten. Denn von denen gibt es nach
westlichem Urteil schon viel zuviele: Der oberste
Repräsentant des kroatischen Nationalismus verfolgt in
dem Herrschaftsgebiet, das ihm konzediert ist, seine
eigene Bevölkerungspolitik; er hat sich zum Vertrag von
Dayton nötigen lassen und hält ihn nach wie vor für ein
Diktat, das kroatische Rechte unterminiert; er sabotiert
das bosnische Staatsprojekt und soll sich in dieser
Angelegenheit bereits 47mal zu Geheimverhandlungen mit
dem serbischen Präsidenten getroffen haben
(Spiegel
24/97). Und überhaupt steht es ihm nicht an, sich mit
seinen genehmigten Staatsgründungskriegen so aufzuführen,
als hätte er sie geführt, gewonnen und damit das Recht,
den Nationalismus seiner Kroaten zu monopolisieren – in
dem allgemeinen Punkt fällt der kritisierte Wahlkampfstil
vollends zusammen mit der mißbilligten Sache. Tudjman
soll gefälligst zur Kenntnis nehmen und sich danach
richten, daß er kein Führer von eigenen Gnaden, sondern
eine Kreatur des Westens ist: Das machen ihm die
amerikanisch-europäischen Instanzen klar, die den
kroatischen Nationalismus unter seiner Führung zur
Zerstörung des alten Jugoslawien ermächtigt, die den
kriegerischen Fanatismus seiner Anhänger mit Waffen und
Disziplin ausgestattet und zur Zerschlagung serbischer
Machtpositionen benutzt haben. Das war eben keine
Waffenbrüderschaft, unter Gleichen womöglich; das war und
bleibt ein eindeutiges Auftragsverhältnis, in dem die
eigenen Ziele und Berechnungen des kroatischen
Nationalismus nur soviel Recht haben, wie ihnen
zugestanden wird. Die Auftraggeber finden es überfällig,
ihr Geschöpf daran zu erinnern.
Und ihre pluralistische Öffentlichkeit ist prompt auf Linie. Seinem sachkundigen Publikum erläutert der „Spiegel“ die Sachlage so:
„Tudjmans Drang nach nationaler Größe stellt gegenwärtig die schwerste Bedrohung für den labilen Frieden auf dem Balkan dar. Wie ein zweiter Bismarck möchte der Präsident die politische Landkarte auf dem Balkan neu zeichnen – und das schmale hufeisenförmige Kroatien vergrößern, indem er Bosnien als Staat auslöscht.“ (Spiegel 24/97)
Als hätte sich Tudjman nicht schon seit Jahren mit
deutscher und schließlich gesamtwestlicher Unterstützung
um die derzeit gültige neue politische Landkarte des
Balkan verdient gemacht! Und als hätte sein „Drang nach
nationaler Größe“, solange er noch die volle
Rückendeckung durch den Spiegel
und sein als
Ordnungsmacht auftrumpfendes Heimatland besaß, den
Frieden in Jugoslawien stabilisiert! Aber das ist eben
der Unterschied: Bis neulich war der Fanatismus
kroatischer Größe funktional, also in Ordnung; jetzt ist
derselbe Fanatismus störend und kriegt einen Dämpfer. Die
politische Landkarte
des Balkan ist neu
gezeichnet; deswegen hat der Chef des hufeisenförmigen
Kleinstaats sich schleunigst von der Einbildung zu
trennen, er wäre der Designer gewesen und könnte den
seiner Meinung nach mißratenen Entwurf noch verbessern.
Der wahre zweite Bismarck
– das ist doch der
Tudjman nicht!
So unterrichten die Leute vom Spiegel
und nicht
nur sie ihr Publikum voller Stolz über die
imperialistischen Kräfteverhältnisse auf dem Balkan. In
der Sache lauter entlarvende Mitteilungen: Die
demokratischen Politiker, die sich um gerechte Wahlkämpfe
auswärts und um den Bestand der kroatisch-bosnischen
Grenze sorgen, sind das, was der machthungrige
Nationalistenchef in Zagreb nur gerne wäre. Sie
sind die wirklich entscheidungsbefugten Machthaber über
Ziele und Grenzen der Kriege, die Jugoslawien zerstört
haben – die Drahtzieher
, um im Jargon der
Kriegsberichterstatter und Hintergrundsaufklärer zu
bleiben. Die Instanzen, die immer nur im Namen
humanitärer Kontrolle der Gewalt unterwegs sind, sind die
eigentlichen Urheber der neuen politischen Landkarte,
also der Gewalt, mit der solche Landkarten nur
umzuzeichnen sind.
„Längst ist Tudjman nicht mehr der politische Liebling des Westens“,
vermerkt das Handelsblatt (12.6.) und legt damit immerhin
offen, wer schon immer Herr und wer Knecht war auf dem
kroatischen Kriegsschauplatz, wieso ein Mann wie Tudjman
sich zum kroatischen Führer und Kriegsherrn aufschwingen
konnte, wie wenig es dabei auf seine nationalen
Interessen ankam – und ganz nebenbei: wie heuchlerisch
die Demokratenmanier ist, die Zurechtweisung des
kroatischen Nationalinteresses als demokratiemethodischen
Vorbehalt gegen die Legitimation seines obersten
Sachwalters auszudrücken. Doch so gerne Journalisten
etwas entlarven: Daß sie mit ihren Anmerkungen die Rolle
des Westens und insbesondere ihrer Nation auf dem Balkan
bloßstellen könnten, kommt ihnen gar nicht in den Sinn.
Sie verschweigen nichts – sie sind einfach dafür, wie die
Machtverhältnisse, auf dem Balkan und anderswo, geregelt
sind. Wer was darf auf der Welt – nämlich „wir“ allen
anderen ihre Grenzen vorschreiben – und wer nicht –
nämlich eben diese andern irgendetwas Eigenmächtiges
anzetteln –, das ist für solche Meinungsmacher gar kein
Gegenstand irgendwelcher, womöglich kritischer
Überlegungen, sondern zur Betrachtungsweise verfestigt:
Sie nehmen die Welt gar nicht anders wahr als im Namen
der Rechte, die die imperialistischen Mächte haben und
die andern nicht. Für sie ist es nicht eine Frage der
Weltordnung
: für sie ist die Welt dann und nur
dann in Ordnung, wenn der wirkliche Bismarck Zwo
eine kollektive Figur und hauptsächlich in Washington,
bei der NATO und nicht zuletzt in Bonn ansässig ist.
Deswegen verstehen sie blind: Wenn ein Tudjman sich
aufführt, ist irgendetwas grundsätzlich nicht in Ordnung
– was: dafür findet sich schon die Sprachregelung.
So perfekt gehen Demokratie und Imperialismus zusammen.