Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Luxusklasse bei VW:
Das Wolfsburger Alters-Teilzeitmodell – Ein maßstabsetzender „Generationenvertrag“ zwischen Gewerkschaft und Kapital

Das Unternehmen bietet seinen Alten ein paar Jahre Teilzeit für den Verzicht auf Lohn- und Rententeile. So spart es sich große Summen. Die IGM handelt ihm nichts ab, sondern bescheidet sich mit der Aussicht, dass ein paar Jüngere einen Job kriegen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen

Luxusklasse bei VW:
Das Wolfsburger Alters-Teilzeitmodell – Ein maßstabsetzender „Generationenvertrag“ zwischen Gewerkschaft und Kapital

Volkswagen AG und IG Metall einigen sich auf eine Regelung der Alters-Teilzeitarbeit im Unternehmen, die den betroffenen VW-Arbeitern finanzielle Einbußen weitgehend ausgleicht (Süddeutsche Zeitung). Letzteres finden sachkundige Kommentatoren bemerkenswert: eine komfortable Lösung (Bayern 5) – gemeint ist nicht: für VW, sondern: für die Mitarbeiter; Altersteilzeit de Luxe (Handelsblatt). Zum proletarischen Luxus zählt es heutzutage also, wenn die Alten bei VW in Zukunft zweieinhalb Jahre länger im Unternehmen bleiben als nach dem alten Modell, dafür auf fünf Jahre nur die halbe Arbeitszeit abliefern müssen und trotzdem bloß 15% von ihrem Lohn einbüßen und anschließend 10% von ihrer Rente. Selbstverständlich gilt das nur für diejenigen Älteren, denen das Unternehmen ein entsprechendes Angebot macht. Den Modus der Arbeitszeitverkürzung – zweieinhalb Jahre Vollarbeit, dann Freistellung; oder über die vollen fünf Jahre halbtags oder halbwöchentlich; oder wie auch immer – behält sich die Personalabteilung gleichfalls vor. Nach Mitteilung der Pressestelle spart das Unternehmen mit dieser großzügigen Regelung an jedem solchen Teilzeit-Alten im Vergleich zum Vorruheständler alten Typs stolze 150000,– DM.

Den Anlaß zu dieser Komfort-Regelung hat der vor eineinhalb Jahren gefaßte Regierungsbeschluß gegeben, die bis dahin immer häufiger praktizierte Methode, ältere Arbeitnehmer in die Obhut der Arbeitslosenkasse und einen anschließenden vorgezogenen Ruhestand zu entlassen und ihnen den dafür nötigen Verzicht auf ihren Kündigungsschutz mit einem finanziellen Zuschuß abzukaufen, zu unterbinden. Die ohnehin überstrapazierten Sozialkassen, so damals der Befund, würden von den Arbeitgebern auf diese Weise zur Umgehung des Kündigungsschutzes für alte und altgediente Betriebsangehörige mißbraucht. Die Vorruhestandsregelung für ältere Arbeitslose wurde daher suspendiert, außerdem die Regelung verschärft, wonach Abfindungszahlungen des Unternehmens vom Arbeitslosengeld abgezogen werden. Das Interesse der Unternehmer, bei der stets von neuem fälligen Verschlankung ihrer Belegschaften nicht ausgerechnet auf den ausgepowerten Alten sitzenzubleiben, bestand und besteht aber selbstverständlich fort und damit auch das wirtschafts- und sozialpolitisch unabweisbare Bedürfnis, das Kündigungsrecht, solange es denn noch gilt und die Entlassung ausgerechnet der verschlissensten Belegschaftsteile behindert, zu umgehen. Den Wink von höchster sozialstaatlicher Stelle, man sollte es doch mit der Einführung von Teilzeitarbeit versuchen, hat man bei VW nun aufgegriffen und ein Modell entwickelt, das die Unkosten, die das Unternehmen nicht mehr an die gesetzlichen Kassen für Arbeitslose und Rentner loswerden kann, in der angegebenen Weise auf die Leute abwälzt, deren Kündigungsschutz diese Kosten verursacht: Statt ausgeschiedenen Mitarbeitern das Arbeitslosengeld aufzubessern, zahlt das Unternehmen den ausgewählten Kandidaten gleich selber knapp die Mitte zwischen altem Lohn und Arbeitslosengeld weiter und verfügt dafür noch über deren halbe Arbeitszeit – für die die Leistungsfähigkeit eines dahingealterten Betriebsmitglieds ja wohl gerade noch reichen dürfte…

Die IG Metall hat an dieser Regelung konstruktiv mitgewirkt; und auf das Ergebnis ist sie stolz. Sie mißt es erst gar nicht an den Lohn- und Renten-Prozenten, die den Betroffenen in Zukunft fehlen, und erst recht nicht an dem Kündigungsschutz, den sie für den Betrieb leichter handhabbar macht, sondern lobt und preist sich dafür, daß mit der Halbierung der Arbeitszeit nicht auch das Einkommen der Halb-Entlassenen glatt halbiert wird. Auf vollem Lohn bis zum gesetzlichen Rentenalter zu bestehen – was angesichts dieses Alters und der Lohnhöhe schon alles andere als ein Luxus wäre –, käme ihr wohl, wenn sie es überhaupt in Betracht ziehen würde, als eine Geschäftsschädigung vor, derer sie sich auf keinen Fall schuldig machen wollte. Für ihre Bereitschaft, die Älteren auf Einkommen verzichten zu lassen, hat sie außerdem aber noch einen ganz gewerkschaftseigenen Grund, der zwar geheuchelt sein mag; soweit ehrlich gemeint, ist er aber nur um so schlechter: VW verspricht für die halben Entlassungen alter Mitarbeiter die Einstellung der halben Zahl neuer – und deren Interessen hätte die Gewerkschaft ganz schlecht vertreten, wenn sie für die andern nicht die vom Betrieb verlangten Einbußen vereinbart hätte. Daß in dieser Kalkulation alte gegen arbeitslose Lohnabhängige stehen, die Lohninteressen der altgedienten Arbeitskräfte gegen die Not anderer, überhaupt benützt und bezahlt zu werden, das nimmt die Gewerkschaft als feststehende Prämisse, von der sie bei ihrem Interessenvertretungsgeschäft selbstverständlich ausgehen muß. Daß es dieses Gegeneinander nur gibt, weil das kapitalistische Unternehmen im Kampf gegen seine Lohnkosten Lohnabhängige um Beschäftigung konkurrieren läßt und die Bezahlung der einen Abteilung Arbeitskräfte von der Nicht-Bezahlung einer anderen abhängig macht, geht in diese gewerkschaftliche Sicht der Dinge erst gar nicht ein; und schon gar nicht begreift die IG Metall die ‚Vertretung von Arbeitnehmerinteressen‘, die sie monopolisiert hat, so, daß sie die vom Kapital zum Konkurrieren gezwungenen Lohnabhängigen vom Konkurrieren abbringen und gegen das Kapital zusammenschließen müßte, um irgendetwas Nützliches zu erreichen. Statt dessen hat die Metall-Gewerkschaft es zu ihrer Aufgabe gemacht, in die einander ausschließenden Konkurrenzinteressen der Lohnarbeiter eine gewisse Ordnung hineinzubringen, das allgemeine Gegeneinander also etwa auf den Gegensatz zwischen jüngeren Arbeitslosen und älteren Beschäftigten zuzuspitzen, um dann zwischen denen auf einen gerechten Ausgleich hinzuwirken: auf ein Halbe-Halbe zwischen konkurrierenden Untergruppen, die mit ihren jeweiligen Lohninteressen nur deshalb ausschließend gegeneinander stehen, weil das Kapital mit seinem Lohnkostenstandpunkt unterschiedslos gegen sie alle steht. Gewerkschaftlichen Zusammenschluß versteht und organisiert sie als Kompromiß zwischen Konfliktparteien. Auf die Analogie zum Sozialstaat, die sie damit praktiziert – Sache der Staatsgewalt ist es ja, nie Partei zu sein, sondern Interessengegensätze erst herzustellen und dann zu einem funktionellen Einvernehmen zu zwingen –, bildet sich die IG Metall ausdrücklich enorm viel ein: Sie lobt das VW-Modell der Alters-Teilzeit als hervorragendes Beispiel für einen sozialverträglichen Generationenvertrag!

Von der albernen Idee, in ihrer Abmachung mit VW wären, genau besehen, Jung und Alt miteinander über alle Gegensätze hinweg handelseinig geworden – die Alten verzichten, damit die Jungen auch was vom Arbeitsleben abkriegen –, ist denn auch, konsequenterweise, soviel wahr, daß dem kapitalistischen Unternehmen jedenfalls nichts abgehandelt worden ist: Was die Volkswagen AG betrifft, so hat die Metallgewerkschaft ihr den geschäftsdienlichen freien Umgang mit dem noch bestehenden sozialgesetzlichen Kündigungsschutz verbilligt – sonst gar nichts. Die produktive Leistung der Gewerkschaft besteht allein darin, daß sie diesen Kündigungsschutz als ein Privileg der Altgedienten auffaßt, das diese gefälligst mit dem Nachwuchs zu teilen hätten, und ihn entsprechend großzügig behandelt; darüber ist sie sich mit dem Unternehmen einig geworden. Daß sie damit etwas hergibt, zugunsten des Arbeitgebers ein Arbeitnehmerinteresse streicht, kommt ihr überhaupt nicht in den Sinn. So rückt umgekehrt das VW-Werk in die Position eines Verbündeten der IG Metall, der mit seinem Angebot, halbierte Arbeitszeiten mit 85% Lohn zu vergüten und sogar noch Rentenverluste zu mildern, in vorbildlicher Weise einen Interessenausgleich zwischen den Generationen finanziert. Mit ihrer Konzession bringt die Gewerkschaft das Unternehmen einmal mehr in den Ruf einer unglaublich sozialen Einrichtung, die ihre Luxusarbeiter mit Geld und Freizeit verwöhnt…

Für den öffentlichen Zeitgeist in seinem Fanatismus der Streichung arbeitnehmereigener Besitzstände gerät VW damit freilich fast schon in Verruf. Und die Kollegen von der Arbeitgeberfront, allen voran der mit gleichartigem Regelungsbedarf befaßte Metallarbeitgeberverband von Baden-Württemberg, haben das VW-Modell gleich als nicht übertragbaren, firmenspezifischen Abschluß vor einem bestimmten wirtschaftlichen Hintergrund eingestuft. Was dieser Verband in seinen Verhandlungen um eine preiswerte Handhabung des Kündigungsschutzes für Alte anstrebt, sind firmenspezifische Abschlüsse und ein freiwillig anzuwendender Tarifvertrag. Im Klartext: Die Betriebe sollen sich dazu verpflichten, sich auf nichts festzulegen, sondern frei nach Geschäftsbedürfnis entscheiden zu können, zu welchen Konditionen und Preisen sie ihre altvorderen Beschäftigten loswerden. Die Abmachung bei VW ist für sie dabei maßstabsetzend in einem ganz eindeutigen Sinn: Für alle anderen Metallbetriebe gilt es die anstehenden Verjüngungskuren billiger auszuhandeln. Daß das zu haben ist, steht für die Unterhändler der Kapitalseite völlig außer Zweifel: Schließlich betont die Gewerkschaft selber lauthals, was für eine einmalige gewerkschaftliche Errungenschaft sie in Wolfsburg hingekriegt hat. Da kommen die Arbeitgebervertreter doch gar nicht umhin auszutesten, was die Sorge um Arbeitsplätze anderswo an zusätzlichen Rücksichten auf die Kostenbelastung der Betriebe gebietet.

So hat die Regelung bei VW alle Chancen, wirklich ziemlich einmalig zu bleiben und als Teilzeit de Luxe in die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einzugehen.