Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Winterkorns „17-Millionen-Gage“:
Verdienen „unsere“ Manager, was sie verdienen?
VW-Chef Winterkorn bekommt 17,4 Millionen Euro im Jahr, mehr als jemals zuvor ein Manager in einem Dax-Unternehmen. Viel! Zu Viel? Genau richtig? Anlässlich dieser neuen Bestmarke sind es vor allem Seinesgleichen, die Winterkorns Rekordgehalt kritisch beäugen. Nicht die Mehrheit der „ärmeren Zeitgenossen“ beschwert sich also, sondern jetzt „meutern die Kapitalisten. Investoren, Aktionärsschützer und Mittelständler empfinden die Stargage als Provokation“ (FAS, 17.3.12). So abgeklärt die Experten in den Wirtschaftsredaktionen einerseits davon ausgehen, dass es sich um ein Thema handelt, das immer mal wieder die Gemüter bewegt, um kurze Zeit später wieder folgenlos beerdigt zu werden – ein „Aufregerthema“ (SZ, 14.3.) –, so angeregt diskutieren sie mit. Denn hier wird von seriösen Leuten, die es wissen müssen – schließlich sind sie ja vom gleichen Stand: Besserverdiener –, die Frage aufgeworfen, ob mit 17 Millionen nicht wirklich eine „Grenze“ überschritten sei. Wird hier etwa das „Grundprinzip unserer Leistungsgesellschaft“, die Entsprechung zwischen Dienst und Verdienst, mit Füßen getreten?
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Winterkorns
17-Millionen-Gage
:
Verdienen
„unsere“ Manager, was sie verdienen?
VW-Chef Winterkorn bekommt 17,4 Millionen Euro im Jahr,
mehr als jemals zuvor ein Manager in einem
Dax-Unternehmen. Viel! Zu Viel? Genau richtig? Anlässlich
dieser neuen Bestmarke sind es vor allem Seinesgleichen,
die Winterkorns Rekordgehalt kritisch beäugen. Nicht die
Mehrheit der ärmeren Zeitgenossen
beschwert sich
also, sondern jetzt meutern die Kapitalisten.
Investoren, Aktionärsschützer und Mittelständler
empfinden die Stargage als Provokation
(FAS, 17.3.12). So abgeklärt die Experten
in den Wirtschaftsredaktionen einerseits davon ausgehen,
dass es sich um ein Thema handelt, das immer mal wieder
die Gemüter bewegt,[1] um kurze Zeit später wieder
folgenlos beerdigt zu werden – ein Aufregerthema
(SZ, 14.3.) –, so
angeregt diskutieren sie mit. Denn hier wird von seriösen
Leuten, die es wissen müssen – schließlich sind sie ja
vom gleichen Stand: Besserverdiener –, die Frage
aufgeworfen, ob mit 17 Millionen nicht wirklich eine
Grenze
überschritten sei. Wird hier etwa das
„Grundprinzip unserer Leistungsgesellschaft“, die
Entsprechung zwischen Dienst und Verdienst, mit Füßen
getreten?
In Gang kommt eine muntere Debatte, die sich allen
Ernstes um die Frage dreht, ob die Leistung eines
Managers mit 5, 10 oder 17 Millionen Euro adäquat
entlohnt ist. Und die akribische Suche nach einer
Scheidelinie, wo angemessene Bezahlung
zum
Gehaltsexzess
entartet, bringt zugleich die
interessantesten Theorien darüber hervor, woraus sich so
ein Millionengehalt eigentlich begründen sollte.
Dass diese Summen jedenfalls mit den Maßstäben des
Normalverdieners nicht zu verstehen
(Bild,
25.3.) seien, ist dabei die bereitwillige
Auskunft, die der Debatte wie selbstverständlich
vorausgeht. Und den besonderen Substantiven für
Winterkorns Entgelt – Boni
, Vergütung
,
Salär
usw. – ist ja auch leicht zu entnehmen, dass
da nicht von der gemeinen Welt des Arbeitens und
den sonst üblichen Entlohnungsformen (Zeitlohn/
Stücklohn) die Rede ist. Entsprechend haben, so die
allgemeine Auffassung, auch hinsichtlich der zu
vergütenden Leistung eines Winterkorn ganz
eigene Maßstäbe zu gelten: Dessen Gehalt habe
sich nicht einfach durch so ‚banale‘ Gesichtspunkte wie
körperliche Anstrengung, ein spezielles Wissen oder
ausgefeilte Fertigkeiten zu rechtfertigen, sondern durch
Leistungskriterien ‚höherer‘ Natur: Erfolg
,
Risiko
, Verantwortung
oder
Marktwert
. Um aus denen Einkommen abzuleiten,
braucht’s allerdings schon einen sehr eigenen Verstand –
ein kleiner Warentest absurder Entgelttheorien:
‚Erfolg‘
Als entscheidendes Kriterium für ein Entgelt à la
Winterkorn gilt allen Ur-Marktwirtschaftlern
, die
sich in die Debatte einmischen, der Erfolg des
Unternehmens, an dessen Spitze der Manager steht.
Interessant, wenn man sich mal anschaut, was da alles auf
Winterkorns herausragende Leistung
zurückgeführt
wird:
„Die Aktionäre sind glücklich, die Mitarbeiter auch: Zehntausende Leute hat Winterkorn als VW-Chef neu eingestellt, eine halbe Million Mitarbeiter und ein Dutzend Automarken fügen sich zu einem großartigen Gesamtwerk. Mehr geht nicht: Mehr Gewinn kaum. Mehr Gehalt auch nicht. Das ist sein Problem.“ (FAS, 17.3.)
Ein wirklich schönes Problem – das hätte manch anderer gerne! Winterkorn hat obendrein die FAS auf seiner Seite, die einen bemerkenswerten Beitrag zu dessen Lösung leistet, indem sie mit allerhand schönfärberischen Auskünften über Winterkorns Leistung aufwartet. Unter ihrer rosaroten Optik verwandelt sich der gesamte Prozess von der Kapitalinvestition über die Produktion bis zum Verkauf der Autos in lauter Mosaiksteine, die sich durch Winterkorns Wirken zu einem idyllischen Gemeinschaftswerk fügen, in dem jeder an seinem Platz vom Unternehmenserfolg profitiert. Lauter Gewinner also, die Winterkorns Regie hervorgebracht hat – wer wird da noch ernsthafte Zweifel an seinem Gehalt haben? Ein doppelter Schwindel:
Von wegen Gemeinschaftswerk! Tatsächlich
partizipieren die Aktionäre am Unternehmensgewinn, der im
Gegensatz zum Lohn- und Lebensinteresse der
Mitarbeiter steht: Die Anteilseigner investieren in eine
Geldquelle, die umso heftiger sprudelt, je länger und
intensiver die Mitarbeiter in deren Dienst stehen; der
Gewinn ist umso höher, je größer die Differenz zwischen
dem Wertprodukt ist, das die Mitarbeiter herstellen, und
der Lohnsumme, die sie erhalten. Weil der Lebensunterhalt
der Beschäftigten also eine Kost in der Gewinnrechnung
des Kapitals ist, fallen immer wieder einige von ihnen –
die Konkurrenz ‚zwingt‘ zu Rationalisierungen, heißt es
dann – gleich ganz aus diesem großartigen
Gesamtwerk
raus. Umso größer, so die zynische Logik,
das Glück
derer, die weiter Teil dieses
Gesamtwerks sein dürfen oder auch in besonders
erfolgreichen Zeiten neu eingestellt
werden – und
umso überzeugender nach Auffassung der FAS auch die
Leistung des Mannes, der an dessen Spitze steht.
Von wegen persönliche Leistung! Ob die Finanzierung von Rationalisierungen oder die Eröffnung neuer Standorte, die Eroberung aufstrebender Märkte oder die Einführung neuer Marken – alle Maßnahmen, mit denen VW seinen Ausbeutungsapparat auf Weltmarktniveau bewirtschaftet, um die Fortschritte in der internationalen Konkurrenz zu bestimmen, dokumentieren die Schlagkraft, über die ein Kapital mit seiner Größe verfügt. Leute wie Winterkorn sind nichts anderes als die in Nadelstreifen gekleideten obersten Repräsentanten dieser ökonomischen Macht, und die ist es, die die Entscheidungen solcher Typen so wirksam macht. Deren ganzer Erfolg hängt an dem, worüber sie gebieten, und er gründet nicht zuletzt auf dem Staat, der mit Wirtschaftspolitik und Infrastrukturmaßnahmen den deutschen Standort für seine ‚Global Player‘ vom Range VWs pflegt.
Das alles muss die FAS als Anhängerin großer
Unternehmenserfolge nicht interessieren. Ihr reicht der
Blick aufs Resultat: Wo sie im Falle des Misserfolgs
schon mal ‚Nieten in Nadelstreifen‘ entdeckt, zeichnet
sie hier, wo die Bilanz stimmt, das Bild einer Person,
die mit der Summe ihrer Charaktereigenschaften
den Erfolg geradezu verkörpert: Martin Winterkorn
entspricht so ziemlich dem Ideal von einem guten Manager:
vernarrt in das eigene Produkt, durchsetzungsstark,
erfolgsfixiert, integer.
(ebd.). So lächerlich dieser Rückschluss
angesichts dessen, worüber Winterkorn disponiert, auch
ist, so deutlich wird sein Beweiszweck: Die Winterkorns
dieser Republik haben, weil und solange sie erfolgreichen
Unternehmen vorstehen, ihr Topgehalt allemal verdient.
Eine Unschärfe ihrer Entgelttheorie bleibt den Kommentatoren allerdings nicht verborgen:
„Der 64-jährige VW-Chef ist ein fähiger Mann, der viel für VW, die Mitarbeiter und die Aktionäre getan hat. Aber ist der Ingenieur dreimal besser als BMW-Chef Norbert Reithofer, unter dem der Münchner Autokonzern ebenfalls regelmäßig Rekordzahlen liefert? Ist er zehnmal so gut wie der Vorstandsvorsitzende des Markenartiklers Beiersdorf?“ (SZ, 14.3.).
Ebenfalls ein schönes Problem: Mit dem Erfolgskriterium
können sie zwar Winterkorns Topgehalt
legitimieren, aber nicht die signifikanten
Gehaltsunterschiede zu anderen, genauso erfolgreichen
Managern begründen. Dass die Bezahlung an den
Unternehmenserfolg gekoppelt wird, um die Top-Manager zur
Hochleistung zu motivieren
(ebd.), hält die SZ zwar für richtig,
aber auch für ganz und gar unzureichend. Angesichts der
irrwitzigen Unterschiede in der Bezahlung
entdeckt
sie nämlich statt Erfolgsgerechtigkeit Willkür und
Zufall
. Das darf nicht sein, denn es schadet dem
guten Ruf unseres Top-Managers, dessen Redlichkeit
eigentlich außer Frage steht, und der daher sicher
seine Aufgabe in Wolfsburg genauso tadellos erledigt
hätte, wenn er nur halb so viel verdient hätte.
Für
die SZ ein klarer Fall: Brauchbare Kriterien für die
Gehälter
müssen also her – man will gar nicht wissen,
welche – damit wir Winterkorns Millionen einfach besser
nachvollziehen können und das angeschlagene
Ansehen
der Top-Manager nicht bald völlig
zerstört
(ebd.) ist.
Diese Sorgen hält Winterkorn selbst allerdings für völlig unangebracht, denn für ihn ist seine Integrität ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Seine Leistung muss man nämlich nur mal im Vergleich zu den fragwürdigen Geschäftspraktiken der Finanzkapitalisten betrachten, dann sieht man schon, was für ein feiner und verdienter Kerl er ist:
„Mit der Banker-Kaste möchte der VW-Chef erst gar nicht in einem Topf landen, schließlich basiere sein Gehalt auf einem ‚real erwirtschafteten Ergebnis‘: echtes Blech, ehrliches Geld also.“ (FAS, 17.3.)
VW-Manager stänkert gegen Banker, und keiner hält das für
einen schlechten Witz. Über den Zweck des VW-Konzerns,
samt Hausbank und Kreditabteilung, braucht er kein Wort
zu verlieren; im Vergleich zu ‚Bankstern‘, die –
wie heute jeder weiß – ‚unseren Wohlstand verzocken‘,
macht ihn die Behauptung, dass unter seinem Kommando
keine Blasen produziert werden, sondern
Gebrauchswerte – echte
Autos –, zum
anständigeren Manager, der deswegen alles verdient, was
er bekommt: Und das ist, ob ehrlich
oder nicht,
auf jeden Fall ganz viel Geld. Auch ihm wird ja
sein Anteil am real erwirtschafteten Ergebnis
nicht als echtes Blech
- beispielsweise in Form von
ein paar Tausend seiner feinen VWs – vor die Tür
gestellt, sondern landet als fette Geldsumme auf seinem
Bankkonto, wo es aller Wahrscheinlichkeit nach von den
dort tätigen und von ihm als Banker-Kaste
geschmähten Fachkräften angelegt und vermehrt wird.
‚Risiko‘
Dass Winterkorns unternehmerischer Erfolg ein derartig
herausragendes Gehalt legitimiere, leuchtet den
Lobbyisten deutscher Familienunternehmer gar nicht ein.
Sie empfinden seine 17-Millionen-Gage
als echte
Provokation
, die ihnen die Zornesröte ins
Gesicht treibt
. Es kann sich nur um einen
Gehaltsexzess
handeln, wenn auf dem Privatkonto
eines angestellten Managers
, der bloß mit dem
Geld anderer Leute wirtschaftet
, ein Vielfaches mehr
landet als auf dem ihren. Der Verdacht von Willkür liegt
in der Luft. Einig ist man sich in diesen Kreisen auf
jeden Fall darin, dass in dieser Differenz eine völlig
unangemessene
Bewertung eines Manager-Jobs zum
Ausdruck kommt. Dessen Leistung bestehe letztlich doch
bloß darin, einen vorgefundenen Apparat in neue Höhen
zu führen – ohne eigenen Kapitaleinsatz, mit dem einzigen
persönlichen Risiko, gefeuert zu werden.
(Zitate aus: Top-Manager verlieren ihre Freunde,
FAS, 17.3.)
Wo sie recht haben, haben sie recht! In ihrem
Standesbewusstsein offensichtlich schwer gekränkt, fällt
den Familienunternehmern glatt auf, dass die Profession
des Managers nur von einem lebt: Dass nämlich
Kapital in einen Apparat
, d.h.
Produktionsprozess investiert wird, um diesen in neue
Höhen
zu führen, d.h. ja wohl: immer höhere Gewinne
zu erwirtschaften.
Diesen Eigentümern kapitalistischer Ausbeutungsapparate ist es jedenfalls kein Rätsel, dass die Gewinnspannen, die den besonderen Fähigkeiten eines Winterkorn zugute gehalten werden, allein an der Kapitalgröße hängen, mit der VW seine Produktion organisiert. Ohne die Verfügung über Eigentum ist dessen Managerleistung nichts wert – und das gehört nun mal den Eigentümern! Dass die ihr Kapital investieren, erscheint ihnen als der entscheidende Beitrag zur Produktion des Gewinns, denn sie könnten das auch lassen und dann gäbe es ihn nicht. Wegen dieser interessierten Verwechslung von Bedingung und Grund kommt es ihnen selbstverständlich vor, dass sie als Investoren auch das Verfügungsrecht über die Resultate der kapitalistischen Reichtumsproduktion haben. Sie haben sich so sehr an die staatliche Garantie des Privateigentums gewöhnt, dass ihnen die gesellschaftliche Macht, die es denjenigen verleiht, die ein stattliches Geldvermögen ihr Eigen nennen, ganz natürlich vorkommt: Es versetzt sie in die privilegierte Lage, sich zwecks Vermehrung ihres privaten Eigentums die Dienste all derer einzukaufen, die erst Geld verdienen müssen – inklusive der Funktionäre der Ausbeutung, denen diese Nichtstuer dafür einen Teil des Gewinns abtreten.
An diesen von Staats wegen verbürgten Unterschied
zwischen Herr und Knecht bei der Kapitalvermehrung
knüpfen deutsche Familienunternehmer mit ihrer Beschwerde
an. Sie halten es im Kopf nicht gut aus, wenn der
Verdienst eines bloßen, wenn auch besser gestellten
Dieners der Wertschöpfung Dimensionen annimmt,
dass man glauben könnte, die Verwaltung fremden Eigentums
sei eine ertragreichere Quelle als das Eigentumsrecht
selber. Bei der Aneignung der Gewinne müsse doch noch
ersichtlich bleiben, dass es sich um eine
privilegierte Einkommensquelle von
Eigentümern handelt. Auch eine interessante
Entgelttheorie, mit der sie als „die wahre herrschende
Klasse“ gegen Winterkorns Topgehalt auftrumpfen: Wenn ein
VW-Manager, der bloß das Geld anderer
verwaltet,
mehr verdient, als sich Familienunternehmer vom Gewinn
abzweigen, kann was nicht stimmen. Denn nur, wenn die
Einkommen auch die Eigentumsverhältnisse und ihre damit
verbundene gesellschaftliche Sonderstellung
widerspiegeln, ginge es auch mit „ge“-rechten Dingen zu.
Ausschließlich auf ihr Interesse und die ihnen als
Eigentümern verliehene Macht wollen sie sich dann aber
doch nicht berufen. Wie alle Kritiker vermeintlich
obszöner
Gehälter sind auch sie um eine höhere
moralische Rechtfertigung ihrer systembedingten
Missgunst nicht verlegen. Ganz im Sinne der gängigen
Lüge, wonach sich besondere Verdienste aus besonderen
Leistungen ergeben, soll der kalkulierte Einsatz ihres
Geldes zum Zwecke seiner Vermehrung als ihre
Eigenleistung gewürdigt werden: Weil die gültige
Rechtsordnung nun mal keine Ertragsgarantie
beinhaltet, sondern der Ertrag vom Verlauf der Konkurrenz
abhängt, wollen sie das Investieren von Kapital
als ein Riskieren des privaten Vermögens
verstanden wissen. So gesehen setzt also ein tougher
Kapitalist sein ganzes Geld aufs Spiel, während der
Angestellte Winterkorn nur das Risiko trägt, gefeuert
zu werden
, und selbst dagegen sind die Vorstände
in den Dax-Konzernen abgesichert durch üppige Abfindungen
und üppig bemessene Renten
.
Diese Ungerechtigkeit bei der Reichtumsaneignung durch
Spitzenverdiener schreit doch geradezu nach einer
allgemeinen Regelung. Deshalb fordern die deutschen
Familienunternehmer die Festlegung einer verbindlichen
Obergrenze für Vorstandsgehälter: Fünf Millionen Euro
sind eine vernünftige Grenze!
So stellt sich ihr
Präsident also die heile Verdienstwelt vor: Eine
Gehaltskürzung von 12 Millionen für Herrn Winterkorn –
eine offensichtlich adäquate Degradierung von
Managern, die einer Aufwertung ihres Standes
gleichkomme.
Diesen Vorschlag zur gütlichen Beilegung eines elitären
Streits unter Reichsäcken verkaufen sie auch noch als
Förderung des Prinzips gesellschaftlicher
Verteilungsgerechtigkeit: Kein Top-Manager ist das
300- oder 400fache eines einfachen Angestellten wert:
Solch hohe Beträge verderben die Sitten und auch die
Gehaltsstrukturen.
Ein genialer Beitrag zu den guten
Sitten der Klassengesellschaft: Das 100-fache muss
reichen!
‚Verantwortung‘
Das Rechten über Winterkorns Ertragsansprüche findet seine Fortschreibung:
„Für Staatsmänner, die Verantwortung für Krieg und Frieden tragen, sei es schwer erträglich, dass ein Autoverkäufer das 50-fache von ihnen verdient. Muss Herr Winterkorn wirklich das 50-fache der Bundeskanzlerin verdienen...?“ (FAS, 17.3.)
Blech gegen Krieg! Die polemische Zuspitzung und die
gewollte Degradierung Winterkorns zum bloßen
Autoverkäufer
führt einen interessanten Maßstab
ein, an dem der Chef des Weltunternehmens mit der Chefin
des Landes vergleichbar wird: Inhalt und Reichweite
von Machtbefugnissen, also nichts Geringeres als die
Kommandogewalt über die Lebensbedingungen Dritter ist die
Ebene, auf der Winterkorn mit seinen Bezügen mit Merkel
verglichen wird! Letztere bestimme schließlich – so die
offenherzige Auskunft – mit ihrer hoheitlichen
Regierungsgewalt die existentiellen Lebensbedingungen
eines ganzen Volkes bis hin zu Krieg und Frieden
.
Und auf dieser Ebene wird Winterkorn nicht einfach als
ein Autonarr
in produktionsleitender Funktion zur
Kanzlerin ins Verhältnis gesetzt, sondern als
Kommandeur über Arbeit und Einkommen – auch wenn
er sich als „bloß“ ökonomischer Sachwalter an
Merkels viel weitreichender, weil politischer
Kommandogewalt relativieren lassen muss. Was sind nämlich
schon – eben so betrachtet – Winterkorns halbe Million
Mitarbeiter
gegen Merkels 80 Millionen „Untergebene“
und die ökonomische Verfügungsmacht über bloß Einkommen
und Job gegen die hoheitliche Macht einer
Bundeskanzlerin, die mit ihrer Regierung gleich so gut
wie alle wesentlichen Lebensbedingungen der Leute
bestimmt?!
Der Sache nach eine Rechterei auf höchstem Niveau: Wie
viele Leute muss man kommandieren, um wie viel Gehalt zu
beanspruchen?! Soll man mehr bekommen, wenn man Kriege
befehligt oder wenn man Frieden hält? Wenn man Leute
einstellt oder wenn man Leute entlässt? Aber so
will es ja natürlich wieder keiner gesagt haben und
verstanden wissen. Vielmehr darf gegeneinander abgewogen
und gewürdigt werden, dass und in welchem Maße sich hier
Leute in besonderer Weise für das Gemeinwesen
verdient machen. Die ökonomische und politische
Entscheidungsmacht, die beide offensichtlich und
wie selbstverständlich besitzen und aufgrund der sie mit
einem Federstrich über das Schicksal der von ihnen
Abhängigen gebieten, wird zur Entscheidungslast
verklärt – und damit zur moralischen Verantwortung
für diejenigen aufgeblasen, die ihnen zu Diensten sind.
In dieser veredelten Form wird Macht allen Ernstes zu einem Entgeltkriterium und es dauert nicht lange bis dem Nächsten einfällt, dass man der Sache nur gerecht wird, wenn man in Betracht zieht, dass die ökonomische Kommandogewalt eines Autoverkäufers vom Kaliber eines Winterkorn eigentlich so wuchtig ist, dass sie letztlich auch ganz schön politisch ist:
„Wenn VW Erfolg hat, bekommen das direkt und indirekt zehn Millionen Menschen in Deutschland ebenso zu spüren, wie wenn es schlecht läuft. Einer davon ist Finanzminister Wolfgang Schäuble. Deswegen: Deutschland braucht mehr Winterkorns.“ (BamS, 25.3.)
Für Bild steht also fest:
Erfolgreiche Manager sind für Deutschlands Wohlstand
und Wachstum
(ebd.)
absolut unverzichtbar, ihre Gehälter, egal wie hoch,
daher über jeden Zweifel erhaben! Von dieser eindeutig
politischen Tragweite ihrer Wirtschaftsmacht ist
Bild gleich aus mehreren
Gründen überzeugt: Erstens erstreckt die sich gar nicht
bloß auf eine mehr oder weniger große
Betriebsbelegschaft, sondern auf einen beträchtlichen
Teil des gesamtnationalen Kollektivs; denn zweitens
befähigt sie die politischen Verantwortungsträger
überhaupt erst zu ihren gemeinnützigen Diensten, indem
sie die dafür nötigen finanziellen Mittel herbeischafft.
Und drittens sorgen
Winterkorn und sein Team
mit dafür, dass Deutschland im Gegensatz zu England ein
führendes Industrieland ist und deswegen so viel besser
durch die Krise gekommen ist.
(ebd.) Das macht die Winterkorns
natürlich wirklich unentbehrlich: Sie bringen Deutschland
in der internationalen Konkurrenz in Stellung.
Deshalb steht und fällt mit ihnen ‚unser aller
Wohl‘, einschließlich der Dienste der Merkels & Schäubles
daran! Mit dem schlichten Deuten auf seine Leistung für
den deutschen Standort kürt Bild Winterkorn hier zum
Nationalhelden, der es allemal mit den Verantwortlichen
für Krieg und Frieden aufnehmen kann: Er & Team sind
‚unsere‘ Waffe im globalen Wettbewerb, erkämpfen
und verteidigen nämlich deutsche Erfolge gegen
die staatlichen Mitkonkurrenten dort. Für
Bild ist er also auf
seine eher feine ökonomische Art auch so etwas wie ein
Kriegsherr, der nicht nur ausnahmsweise, sondern
tagtäglich seine Kommandogewalt über große Teile des
hiesigen Gemeinwesens für selbiges wirken lässt. Alle
Achtung! Das ist nun wirklich ein fraglos
politischer Dienst, der Winterkorns 17 Millionen
allemal rechtfertigt!
Von der weitgreifenden Verantwortlichkeit eines
Winterkorn geht übrigens auch die folgende Entgelttheorie
aus, die die Debatte in eine etwas andere Richtung lenkt:
Vorstandsgehälter müssen international
wettbewerbsfähig sein, um ein Abwandern von
Spitzenkräften zu verhindern.
(SZ, 14.3.) Über die Einstellung unserer
Manager zu ihrem verantwortungsvollen Job macht die SZ
sich also nichts vor: Den übernehmen sie nicht aus
nationaler Gesinnung, sondern aus handfestem
Eigeninteresse. Vergleichsweise nüchtern klingt daher
ihre Gehaltstheorie: Diesen vaterlandslosen Gesellen muss
man ihre Verantwortung fürs Gemeinwohl ausreichend
vergüten, damit sie sie wahrnehmen. Dass Managergehälter
hier denen der auswärtigen Konkurrenz Paroli bieten
können, ist für die SZ folglich keine Frage der
Einkommensgerechtigkeit, sondern eine
Notwendigkeit jenseits aller moralischer
Erwägungen.
‚Marktwert‘
Endgültig beendet wird das moralische Rechten
über Winterkorns Gehalt durch einen weiteren Vergleich,
der von mehreren Seiten mit unterschiedlicher
Ernsthaftigkeit aufgebracht wird: der mit den
Wahnsinnsgagen
der Superstars aus dem Sport und
Showbetrieb
(FAS, 24.3.).
Als einschlägige Referenzgröße gilt dabei Fußballstar
Lionel Messi, der mit 33 Millionen knapp das Doppelte von
Winterkorn verdient. Was zeigt diese neue
Gegenüberstellung? Einerseits spricht sie schlicht für
sich. Da verdient schließlich jemand mit einer bloßen
(wenn auch vielleicht der schönsten) Nebensache
der Welt deutlich mehr als einer, der für die
Hauptsache zuständig ist: Selbstredend eine
Ungerechtigkeit, die Winterkorns 17 Millionen ja wohl
mindestens gerecht sein lässt! Andererseits ist die Sache
nicht so einfach. Da ist z. B. die Frage zu klären:
Darf ein Manager in Gehaltssphären vordringen, in
denen sich sonst nur einzigartig begabte Ballvirtuosen
tummeln?
(ebd.) Schwierig
zu entscheiden: Ist die Einzigartigkeit eines Messi mehr
wert als die Leistung eines erfolgreichen
Wirtschaftsbosses? Ja und nein antwortet die FAS, nachdem
sie ein paar Grundweisheiten über unsere Wirtschaftsweise
zu Rate gezogen hat. In der Marktwirtschaft
, so
erfährt man von ihr, ist es nämlich so: Letztlich
entscheidet hier immer der Markt – gemäß seiner
Grundlogik, wonach Angebot und Nachfrage die Preise
bestimmen – was wie viel wert ist; da kann dann mal
wichtig sein, was die Arbeit anderen nützt
, aber
auch mal, dass es auf dem Globus etliche tolle
Konzernchefs ..., aber nur einen Lionel Messi
gibt –
ausschlaggebend bleibt, was die nachfragenden Akteure
dafür zu zahlen bereit sind, also wie viel
Geld sie dafür ausgeben
(ebd.). So wenig Entscheidungshilfe
dieser Befund der FAS-Experten auch ansonsten bietet, so
entschieden beantwortet er doch die eigentliche
Streitfrage: Ein Gehalt richtet sich nicht nach
vergossenem Schweiß ... nicht nach dem Grad der
Verantwortung … sondern nach dem Marktwert
(ebd.). Damit ist ein
wasserdichter, weil ‚wissenschaftlich‘ verbürgter
Schlusspunkt der aufgeregten Winterkorn-Debatte
formuliert: Er – wie jeder andere auch – verdient, was er
verdient, eben weil er es verdient, denn sonst würde er
es ja – nach den gültigen Marktgesetzlichkeiten – gar
nicht verdienen. Ein wirklich gerechtes Fazit!
[1] Siehe dazu: Mindestlohn vs. Managergehälter, in GegenStandpunkt 1-08: