Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
UNO-Konferenz zur „Entwicklungsfinanzierung“ in Monterrey / Mexiko:
Die „erste“ Welt beschenkt die Staaten der „dritten“ mit einer Perspektive als schuldenfreie Armutsverwalter
Der Westen beschließt offiziell die Nutzlosigkeit kreditierter Entwicklungsanstrengungen in der 3. Welt. „Gutes Regieren“ dort heißt Armut verwalten.
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UNO-Konferenz zur
„Entwicklungsfinanzierung“ in Monterrey /
Mexiko:
Die „erste“ Welt beschenkt die
Staaten der „dritten“ mit einer Perspektive als
schuldenfreie Armutsverwalter
Die UNO kümmert sich mal wieder um die Mehrzahl ihrer Mitglieder. Im mexikanischen Monterrey veranstaltet sie eine viertägige „Internationale Konferenz über Entwicklungsfinanzierung“. Auch die USA vergessen über ihrem Weltkrieg gegen den Hauptfeind der zivilisierten Menschheit, „den Terrorismus“, das Elend der 3. und höher nummerierten Welt keineswegs. Nachdem Erzfeind Castro aus Mexiko abgereist ist – er darf zur Eröffnung einen Hauch von antiimperialistischer Stimmung beisteuern –, reist ihr Präsident höchstpersönlich an, stimmt der „Kampfansage gegen die Armut in der Welt“ (FAZ, 25.3.) zu, die in Gestalt eines fertigen Schlussdokuments bereits seit Wochen vorliegt, und verdoppelt den zuvor angekündigten Beitrag seiner Nation zu der Jahrtausend-Initiative, die bis 2015 das Elend auf dem Globus schon mal halbieren soll: Verteilt auf die nächsten Jahre soll es 10 statt 5 Milliarden US-Dollar geben. Am Ende steht ein dermaßen machtvoller „Konsens“, dass man der Armut auf Erden keine Überlebenschance mehr einräumen möchte und sich eher schon fragt, woher sie eigentlich kommt und warum es sie immer noch gibt, wenn alle, die etwas zu sagen haben, so einhellig dagegen sind:
„Wir, die Staats- und Regierungschefs, die wir … in Monterrey … zusammengekommen sind, sind entschlossen, die Herausforderungen der Entwicklungsfinanzierung weltweit … anzugehen. Unser Ziel ist es, bei unserem Fortschreiten auf dem Weg zu einem alle einschließenden und gerechten Weltwirtschaftssystem die Armut zu bekämpfen, dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu erzielen und nachhaltige Entwicklung zu fördern.“ (Monterrey-Konsens, I.1.)
Der UNO-mäßige „Wir-alle“-Ton bügelt schon mal vorab jeden Verdacht nieder, es könnte beim „Fortschreiten“ irgendwie gegensätzliche Ziele, unvereinbare Interessen, einander ausschließende Methoden, Vorteilssuche auf Kosten anderer oder sonst wie unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten über Art und Inhalt der anstehenden „Herausforderungen“ geben. Und tatsächlich räumt das beschlossene Dokument mit seinen über 70 Punkten in drei Kapiteln alle derartigen Bedenken gründlich aus. Das allumfassende „Wir“ der Staatenwelt schließt sich voll und ganz den Erfolgsrezepten an, die die erfolgreichen Nationen denen, die das erst noch werden wollen, gerne verraten und im Geiste vorbehaltloser Völkerfreundschaft ans Herz legen:
„Um die international vereinbarten Entwicklungsziele einschließlich jener aus der Millenniumserklärung zu erreichen, bedarf es einer neuen Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Wir verpflichten uns zu einer sinnvollen Politik, guter Regierungsführung auf allen Ebenen und zu Rechtsstaatlichkeit. Wir verpflichten uns auch, einheimische Ressourcen zu mobilisieren, Anreize für den Zufluss internationaler Ströme zu schaffen, den internationalen Handel als Entwicklungsmotor zu fördern, die internationale finanzielle und technische Entwicklungszusammenarbeit zu erhöhen, eine tragfähige Schuldenfinanzierung zu erreichen und externe Verbindlichkeiten zu entschulden sowie die Kohärenz und Stimmigkeit des internationalen Finanz- und Handelssystems zu verbessern.“
Klar, „sinnvolle Politik“ ist sinnvoller als jede andere;
auf „allen Ebenen“ gut zu regieren ist besser als gar
nicht oder nur auf einer; und wenn man den Welthandel
unbedingt „als Entwicklungsmotor“ betrachten will und
fördert, dann ist der Bedarf an „neuer Partnerschaft“
zwischen Ländern mit und solchen ohne Industrie schon so
ziemlich gedeckt. Zur ‚Mobilisierung einheimischer
Ressourcen‘ empfiehlt sich darüber hinaus „eine aktive
Arbeitsmarktpolitik“: Sie kann dazu beitragen, die
Beschäftigung zu steigern
, und das ist zweifellos
besonders wichtig für Länder, in denen die halbe
„erwerbsfähige Bevölkerung“ erwerbslos herumhängt. Wenn
die zuständigen Regierungen dafür kein Geld haben,
sollten sie sich der Notwendigkeit bewusst
sein,
den inländischen Finanzsektor zu stärken
, was
gerade dann, wenn man nichts hat, am besten funktioniert,
wenn man sparsam ist:
„Sparprogramme sind wichtig zur Erhöhung der sozialen und wirtschaftlichen Wirksamkeit des Finanzsektors.“
Um nur ein Beispiel anzuführen:
„Hauptziel von Rentenversicherungen ist die soziale Absicherung, aber wenn sie erst einmal eingerichtet sind, können sie auch eine Quelle für Ersparnisse darstellen.“
Sollte das nicht reichen, dann sind unter Umständen – zumindest indirekt, multilateral, bedingt und im Konjunktiv – durchaus auch die Staaten mit viel Geld zu einer Sparprämie bereit:
„Die multilateralen und regionalen Entwicklungsbanken … sollten zur Bereitstellung eines ausreichenden Finanzierungsangebots für diejenigen Länder beitragen, die sich mit Armut konfrontiert sehen, eine sinnvolle Wirtschaftspolitik betreiben und womöglich unzureichenden Zugang zu den Kapitalmärkten genießen.“
Sind diese Bedingungen erfüllt, dann müssen die „Finanzierungsangebote“ aber auch richtig verwandt werden, um das Übel der Armut an der Wurzel zu packen. Und das heißt vor allem: Die Anpassungsfähigkeit der betroffenen Bevölkerung muss gesteigert werden. Denn daran fehlt es – wäre sie sonst arm? Also:
„Investitionen in die wirtschaftliche und soziale Basisinfrastruktur, in soziale Dienste und soziale Absicherung, einschließlich Bildung, Gesundheit und Ernährung, in Unterkunft und soziale Sicherungsprogramme – die besonderen Schutz für Kinder und Alte bieten“ und überhaupt „alle benachteiligten Gruppen voll einschließen – sind von entscheidender Bedeutung für die Befähigung der Bevölkerung, insbesondere der in Armut lebenden Menschen, sich an im Wandel begriffene wirtschaftliche Bedingungen und Chancen besser anzupassen und diese besser zu nutzen.“
Und so weiter. Ein mustergültiges UNO-Konsens-Papier liegt da wieder einmal vor: ein umfassendes Kompendium der wirtschaftspolitischen Albernheiten – nach dem Muster der sozialpolitischen Zynismen: gegen Arm-Sein hilft Reicher-Werden! Anpassen statt Verhungern! – und der bewusst ignoranten Bekenntnisse zum reibungslosen Funktionieren von Handel und Kreditgeschäft, so als wäre das nicht längst flott in Gang und als bestünde die Weltwirtschaft, in der gerade die halbe Menschheit schön langsam zu Grunde geht, überhaupt aus etwas anderem als einem weltweit funktionierenden Kapitalkreislauf. Insofern also nichts Neues aus Mexiko: Das große internationale „Wir“ aller verantwortlichen Regierungen wird sich einmal mehr darüber einig, in seinem weltumspannenden Kampf gegen die Armut die ganze alte Scheiße fortzusetzen.
Modifikationen sind allerdings auch beschlossen worden; nicht ganz neue, aber auch noch nicht völlig durchgesetzte Richtlinien für eine endlich so richtig erfolgreiche „Entwicklungszusammenarbeit“, die vor allem bei Skeptikern und kritischen Gegnern der bisher unter dem Titel „Entwicklungshilfe“ praktizierten geschäftlichen Ausnutzung der „3. Welt“ viel Beifall finden und nur auf den Vorbehalt stoßen, sie gingen noch nicht weit genug und wären womöglich gar nicht ernst gemeint. Deren Ermahnungen, Einwände und Alternativvorschläge werden nämlich positiv aufgegriffen – bzw. sind von dem Vorbereitungsgremium in den Beschlusstext eingearbeitet worden –; und das nicht etwa bloß heuchlerisch, sondern ganz im Gegenteil: Die „neue Partnerschaft zwischen Industrie- und Entwicklungsländern“ stellt die humanitären Forderungen von Kirchen, NGOs, Globalisierungskritikern und anderen wohlgesonnenen Freunden der drittweltlichen Armut programmatisch vom Kopf auf die Füße und zeigt, was an kapitalistischer Substanz hinter den Einfällen steckt, mit denen besorgte Menschen „die Welt“, nämlich die kapitalistische, die es gibt, und keine andere verbessern wollen.
– Mit ihrem Monterrey-Konsens bekennt sich die UNO-amtliche „Entwicklungsfinanzierungs“-Politik erstens dazu, dass die darauf angewiesenen Länder das, was sie für nötig halten, in ungeschmälerter Eigenverantwortung selber machen sollen:
„Jedes Land trägt die Hauptverantwortung für die eigene wirtschaftliche und soziale Entwicklung, und die Rolle der nationalen Politiken und Entwicklungsstrategien kann nicht genügend betont werden.“
Wenn dabei nichts Großes herauskommt, ist das gar nicht schlimm, sondern genau das Passende: Es kann die „wirtschaftliche Wirksamkeit“ des „inländischen Finanzsektors“ nur „erhöhen“, wenn er sich auf das beschränkt, was er aus eigener Kraft allenfalls vermag – die
„Microfinanzierung für Micro-, Klein- und Mittelunternehmen, auch in ländlichen Gebieten und besonders für Frauen“.
Das lässt die Herzen aller Selbsthilfegrüppler und
Selbsthilfegrüpplerinnen entschieden höher schlagen und
bedeutet in der imperialistischen Wirklichkeit des 21.
Jahrhunderts doch gar nichts anderes, als dass Projekte,
mit denen ehrgeizige Machthaber die Absicht verfolgen,
ihr Land mit der Mindestausstattung für so etwas wie eine
funktionstüchtige „Nationalökonomie“ zu versehen,
definitiv nicht mehr unterstützt werden, also nicht mehr
in Frage kommen. Mancher grüne Christ mag das sehr schön
und umweltschonend finden; hartgesottene Touristen, denen
so etwas gefällt, gibt es auch. Als Urteil von Staaten
über Staaten bedeutet das aber eine pure Absage.
Nach der „Logik“, die auf dem Globus wirklich gilt, ist
die Maxime des bescheidenen Selbermachens nichts anderes
als das Verdikt, dass Länder, die für ihr politisches und
ökonomisches Überleben Finanzhilfe von außen benötigen,
nicht etwa zu bescheiden ausgestattet sind,
sondern zu gut leben wollen, sich
politökonomisch zu viel vornehmen, und dass
folglich die Reduktion ihrer staatlichen und
wirtschaftlichen Aktivitäten ansteht, eine „Anpassung“
nach unten, auf das Niveau einer
Micro
-Subsistenz.
– Die zweite Direktive für eine den modernen Zeiten angepasste „Entwicklungsfinanzierung“, die in Monterrey gleichfalls nicht erfunden, aber einmal mehr bekräftigt worden ist, bestätigt diese Perspektive von der anderen Seite her: Das Elend der Auslandsverschuldung soll ein Ende haben. Ausgerechnet die USA machen sich für eine Einsicht und einen Standpunkt stark, für die die Kritiker der „Schuldenfalle“, in der so viele Länder der „3. Welt“ sich verfangen hätten, schon längst eintreten:
„Finanzminister Paul O’Neill war es, der Bush davon überzeugte, dass es keinen Sinn hätte, die Kreditpolitik gegenüber den unterentwickelten Ländern aufrechtzuerhalten. ‚Die Kredite erhöhen die Verschuldung des jeweiligen Landes, normalerweise können sie nicht zurückgezahlt werden…‘“ (El País, 22.3.)
„Endlich schuldenfrei!“ denkt sich da mancher gute Mensch, der sich in die Nöte eines überschuldeten Staatshaushalts hineingefühlt hat – und übersieht vor lauter Erleichterung schon wieder, was für ein Urteil ein staatlicher Gläubiger damit über seinen staatlichen Schuldner fällt. Der spricht damit nämlich eine Kündigung seiner Geschäftsbeziehungen zu dem verschuldeten Partner aus; und den Grund sagt der ehrliche US-Finanzminister gleich dazu: Kredite bringen nichts ein, wenn sie dann doch nicht bedient werden. Dem Gläubiger nutzen sie nichts, schaden vielmehr: Am Ende muss er doch bloß „ein kostspieliges Schuldenerlass-Verfahren in Gang“ setzen – so weiter im Original Mr. O’Neill –, und das kann er sich gerade so gut sparen. Den Schuldnerstaaten, die bislang noch mit – letztlich uneinbringlichen – Schulden in amerikanischen Geschäftsbüchern stehen, wird damit nichts erleichtert, sondern eine doppelte, nämlich politische und ökonomische Absage erteilt: Auch für die Zukunft wird ihnen der Rang eines Kapitalstandorts abgesprochen, auf dessen Ertragskraft man sinnvollerweise setzen könnte; Kredite für sinnlos erklären, heißt nach dieser Seite hin so viel wie: die Aussicht, dass das Land es jemals dahin bringen könnte, als Verdienstquelle für auswärtige Kapitalanleger zu fungieren, abschreiben. Damit kürzt sich zugleich das Bedürfnis nach einer regulären politischen Standortverwaltung aus dem Kalkül mit solchen Ländern heraus; der ortsansässigen Staatsgewalt wird die Funktion eines politökonomischen Subjekts, das eine eigene Nationalökonomie unterhält, abgesprochen und so die Rolle eines Souveräns mit eigenen nationalen „Entwicklungs“-Ambitionen bestritten; ein Land, dem man das Kredit-Nehmen nicht mehr zutraut, wird damit auch politisch abgeschrieben.
– Zu diesem Verdikt steht nur scheinbar in Widerspruch, dass die dritte Handlungsmaxime, die der Konsens von Monterey mit Nachdruck unterstreicht, den Regierungen ohne „Industrie“ und Eigenmittel zur „Entwicklungsfinanzierung“ den freien Handel und die Öffnung des Landes für private Kapitalanlagen als Finanzquelle empfiehlt:
„Um die Vorteile des Handels voll auszuschöpfen, … bedarf es der Einführung bzw. Verbesserung von geeigneten Institutionen und Politiken in den Entwicklungs- und Transformationsländern. Eine sinnvolle Handelsliberalisierung stellt ein wichtiges Element der Strategie für nachhaltige Entwicklung eines Landes dar.“ usw.
Und noch einmal extra der US-Präsident:
„Die größte Summe für die Finanzierung der Entwicklung, unterstrich Bush in einem siebenminütigen Beitrag, kommt nicht aus der Hilfe, sondern aus dem Handel, aus den nationalen Kapitalen und den auswärtigen Investitionen.“ (El País, 23.3.)
„Handelsliberalisierung“, Freiheit und „Anreize“ für „private internationale Kapitalströme“, „Vermeidung von Doppelbesteuerung, gute Unternehmensführung“ – im Klartext heißt das alles dasselbe: Die für drittweltliche Armut zuständigen Regierungen sollen sich aus den weltwirtschaftlichen Aktivitäten, die ihr Land betreffen, heraushalten, sollen Handels- und Finanzkapitalisten machen lassen. Denn so und nur so kommt der Nutzen zu Stande, der sich aus ihren Ländern überhaupt herausholen lässt, der daraus aber auch durchaus heraus geholt werden soll.
– Dasselbe lässt sich viertens noch einmal andersherum verdeutlichen; und auch da spricht die UNO-Konferenz jedem anständigen Weltverbesserer aus dem Herzen und zugleich Klartext: In den „Entwicklungsländern“ muss vor allem andern, „prioritär“ die Korruption bekämpft werden. Dieses „Erzübel“ verhindert nämlich jegliche Entwicklung; was man ganz leicht schon allein daran sieht, dass dortige Regierungen sich in die Finanzströme, die – als Kredit, als Investition oder per Handelsgeschäft – ihren Zuständigkeitsbereich irgendwie berühren, glatt einklinken und Geld abzweigen, obwohl ihr eigenes Land doch gar nicht als brauchbare Geldquelle funktioniert und dazu auch gar nicht wird: ein klarer Fall von missbräuchlicher Zweckentfremdung finanzieller Mittel. Entkräften können die Machthaber diese Beweisführung letztlich nur dadurch, dass sie entweder endlich erfolgreich sind, wofür sie aber vorsichtshalber gar kein Geld in ihre unsauberen Finger kriegen, oder nachweislich selber kein Geld haben, sich selbst also radikal aus allen Kapitalkreisläufen herauskürzen, denen sie ihr Land zur Verfügung stellen und auch weiterhin zur Verfügung stellen sollen. Das wäre dann die „gute Regierungsführung“, auf die das große „wir alle“ von Monterrey sich verpflichtet hat.
– Erfüllen bedürftige Potentaten der „3. Welt“ diese Bedingung, dann winkt ihnen immerhin eine schöne Belohnung gemäß einer fünften Leitlinie zeitgemäßer „Entwicklungs“-Politik, die auf der Konferenz bekräftigt worden ist und endgültig den ungeteilten Beifall aller Anwälte einer „zivilgesellschaftlichen“ und womöglich sogar antikapitalistischen Metamorphose der Staatenwelt findet. An Stelle von Krediten, die nach gut menschlicher Lesart den Schuldnern nichts nützen, aus Sicht der einsichtig gewordenen Gläubiger ihnen selber schaden, sollen an Regierungen, die der „Korruption“ entsagen, aus einem eigens gestifteten „Millenniumsfonds“ regelrechte Geldgeschenke fließen, und zwar zweckgebunden zur lokalen Armutsbekämpfung. Auch dafür machen sich vor allem die USA stark,
„ausgehend von der klaren Vorstellung, dass es notwendig sei, die Kredite durch verlorene Zuschüsse zu ersetzen und deren Verwendung zu kontrollieren“ (El País, 22.3., zitiert „aus Kreisen der (US-) Administration“); „‚es ist leichter, Hilfe zu gewähren, ohne ihre Rückzahlung zu erwarten, und zu fordern, dass sie gut verwandt wird‘, sagte O’Neill auf der Versammlung des Weltwirtschaftsforums in New York.“
Die Amerikaner stiften also nicht bloß – angeblich in einem Anfall von Wurstigkeit, „aufs Geratewohl“ – 10 Milliarden Dollar für den großen internationalen Almosen-Fundus; sie stellen auch gleich die damit verbundene Absicht klar. Indem sie, statt als Kreditgeber, als Geschenkeverteiler auftreten, behalten sie a) die Kontrolle über die „verlorenen Zuschüsse“ und verschärfen auf diesem Wege b) ihre Kontrolle über die Empfängerländer, die zu den Geldern des „Millenniumsfonds“ nur dann „Zugang“ erhalten, wenn sie
„die drei Anforderungen erfüllen: gute Regierung, erhebliche Investitionen in Erziehung und Gesundheit und Förderung der Werte des Kapitalismus.“ (El País, 22.3.)
Was das bedeutet, erklärt der US-Präsident noch einmal extra auf seine kindgemäße Art:
„Bush war am Mittwoch so dezidiert wie unklar beim Versuch zu erklären, wie sein Plan aussieht. ‚Ich habe kein Interesse, Korruption zu finanzieren, und Schluss‘, versicherte er. ‚Wenn ein Land glaubt, es könne Geld von den Vereinigten Staaten erhalten, und uns beklaut, bekommt es kein Geld aus dem Milleniumsfonds, und ich hoffe, auch aus keinem anderen Fonds.‘“ (El País, 22.3.)
„Unklar“ findet das spanische Weltblatt übrigens
„die Details. Wonach wird beurteilt, welche Länder die drei von Bush vorgetragenen Erfordernisse erfüllen? Wie wird die Vergabe humanitärer Hilfe mit Unterverträgen organisiert?“
Als wäre das Erste, die Beurteilung von Almosenempfängerstaaten, eine irgendwie offene Frage, wenn die USA sich „dezidiert“ bereit erklären, darüber zu entscheiden, wer sie zu beklauen versucht und wer sich anständig genug aufführt, um etwas abzukriegen. Und was das Zweite betrifft, die Organisation der Almosenver- und -zuteilung vor Ort, da macht die UNO ihren „zivilgesellschaftlichen“ Parallel- und Konkurrenzorganisationen eine echte Freude:
– Komplementär zur Misstrauenserklärung gegen drittweltliche Regierungen mit Ambitionen auf eine von ihnen selbst definierte und verantwortete „Entwicklung“ wird in Monterrey, natürlich einvernehmlich, der Beschluss bekräftigt, verstärkt „Selbsthilfeorganisationen“ der „Zivilgesellschaft“ für die Armutsbetreuung heranzuziehen, die in den hilfebedürftigen Ländern als einzige öffentliche Aufgabe übrig bleibt. El País merkt natürlich, wie das gemeint ist:
„Die Idee, zu Ende gedacht, würde den reicheren Ländern ermöglichen, bestimmte Hilfsprogramme für Entwicklungsländer an Suborganisationen zu vergeben, unter Verzicht auf die Regierungen der besagten Länder. Als Beispiel wurde ein hypothetischer Fall vorgetragen, in dem eine Geldsumme einer Organisation wie ‚Ärzte ohne Grenzen‘ übertragen wird, damit eine bestimmte Zahl von Kindern in Afrika geimpft wird.“ (22.3.)
Ob dann geimpft wird oder nicht: Den Regierungen der „besagten Länder“ ist damit ihr Platz und ihr Stellenwert zugewiesen. An der Seite von und in Konkurrenz zu mildtätigen Vereinen, die das Vertrauen imperialistischer Geld- und Auftraggeber genießen, dürfen sie noch die Funktion einer Armenhausverwaltung erfüllen. Sonst haben sie ja nichts weiter zu tun: Nachdem die „1. Welt“ ihnen mangels Erfolg den Kredit streicht, steht definitiv fest, dass aus ihren Ländern nie mehr etwas anderes wird als eine Aufbewahrungsanstalt mit angeschlossenem Lazarett für die kapitalistisch nutzlosen Landesbewohner. Die bekommen umgekehrt von den Oberaufsehern der Staatenwelt – vom großen UNO-„Wir alle“ – eine Aufsicht spendiert, die sich im Zeichen „guter Regierungsführung“ fest vornimmt, aus ihrem Land gar nichts anderes zu machen als ein sauber geführtes Armenhaus, in dem sozial gesinnte Ärzte ihren Impfstoff an den Mann bringen können.
Das immerhin muss sein. Almosen aus dem „Millenniumsfonds“ und redliche Armutsverwaltung sind nämlich nicht bloß eine milde Gabe; auch das arbeitet die Konferenz von Monterrey – auch das nicht zum ersten Mal, aber wieder mal – erfreulich deutlich heraus. Das Schlagwort von der „guten Regierungsführung“ steht für das Kontrollregime, das weniger die Insassen dieser Länder als vielmehr die vorbildlich „entwickelten“ Weltmächte brauchen.
Dabei sind die Gegensätze im „Lager“ der großen Nationen nicht zu übersehen. Die Europäer präsentieren ihr Kontrollbedürfnis mit Vorliebe in seiner heuchlerischen Variante: Sie rufen zum Großangriff auf die globale Armut mit dem Argument auf, dass nur so der Sumpf des weltweiten Terrorismus trocken zu legen wäre – und befürchten offenbar keinen Moment lang, dass ihr kritisches heimisches Publikum oder sonst irgendwer den Zynismus bemerkt und sich davon abgestoßen findet, an der Armut nichts als die Gefahr einer davon womöglich ausgehenden Störung des friedlich Armut erzeugenden Weltgeschehens bekämpfenswert zu finden. Die deutsche Ministerin für „Entwicklungs-Zusammenarbeit“ und der britische Schatzkanzler, der französische Staatspräsident und der Chef der EU-Kommission sind sich darin jedenfalls einig:
„Es gibt eine wachsende Übereinstimmung darin, dass wir genau so, wie wir gemeinsam gegen den Terrorismus kämpfen, auch gemeinsam gegen die Armut kämpfen müssen.“ (Gordon Brown, Schatzminister in England)
„Der Vorschlag einer weltweiten Koalition gegen die Armut analog zur internationalen Koalition gegen den Terrorismus, explizit vorgetragen in der Rede von Chirac und angedeutet in der Rede von Prodi, stellt ein weiteres, der aktuell in Washington vorherrschenden Geschmacksrichtung fremdes Element dar.“ (El País, 21.3.)
Dieses „Element“ aus dem Fundus ureuropäischer Humanität ist den Amerikanern zwar gar nicht so fremd; auch ein US-Präsident ist durchaus zu so einem komplexen Gedanken fähig:
„Bush, der dringlich forderte, mit vereinten Kräften gegen den Terrorismus vorzugehen, versicherte, dass er den Kampf aufnehmen werde gegen ‚die Armut und die gescheiterten Regierungen, die so oft eine Basis abgegeben haben zum Vorteil der Terroristen‘, und anerkannte die Notwendigkeit, die Handelsschranken, die die reichen Nationen für die Rohstoffe der unterentwickelten Welt errichtet haben, zu reduzieren.“
Nur findet der Oberbefehlshaber der Freien Welt und ihres Feldzugs gegen das terroristisch Böse nun wirklich überhaupt nichts Anstößiges daran, den ohnehin bloß metaphorischen Kampf gegen „die Armut“ gleich als einen wirklichen gegen „die gescheiterten Regierungen“ vorzubuchstabieren. Er hält es vielmehr für seine Pflicht, gerade in Monterrey, auf einer UNO-Konferenz zur „Entwicklungsfinanzierung“, die Gleichung zwischen Armutsbekämpfung und globalem antiterroristischem Säuberungskrieg in der imperialistisch einzig korrekten Reihenfolge vorzulesen:
„Bush unterstrich, dass der Kampf gegen den Terrorismus ‚Millionen von Menschen, die Gefangene der Armut sind, befreien wird‘.“ (El País, 23.3.) – wovon auch immer.
Umgekehrt versteht das mittlerweile sogar die deutsch-christliche Friedensbewegung; nur hätte die es lieber süß und klein und nicht bloß militärisch:
„Die Institutionen, die Entwicklung erst möglich machen, müssen aufgebaut oder gestärkt werden: Polizei, Justiz, Verwaltung. Aber auch zivilgesellschaftliche Institutionen…“ – und das geht „in manchen Ländern vermutlich nur, indem eine – möglicherweise kleine Interventionstruppe der Vereinten Nationen den Kern der neuen Staatlichkeit schützt.“ (Erhard Eppler im Interview mit der Süddeutschen Zeitung, 8.3.)
Gewalt muss sein, damit die „Entwicklung“ der verkommensten Staaten der „3. Welt“ zu ordentlichen Elendsanstalten „möglich“ wird. Wer wollte da widersprechen!