Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Deutsch-russische Einigung über Transferrubel:
Von der imperialistischen Kunst, aus einer sozialistischen Kennziffer Geld zu machen

Die BRD benennt die Rechnungseinheit des RGW in Geldsummen um. Daraus macht sie einen Hebel für ihren Imperialismus gegenüber Russland.

Aus der Zeitschrift

Deutsch-russische Einigung über Transferrubel:
Von der imperialistischen Kunst, aus einer sozialistischen Kennziffer Geld zu machen

Bei ihrem Treffen in Weimar, bei dem der deutsche und der russische Staatschef ihre Absichten zur wechselseitigen Funktionalisierung betont als bestes Einvernehmen inszenieren, unterstrichen durch Duzen, ständiges Grinsen und Alfred Biolek, bringen sie u.a. einen länger andauernden Streit über die Begleichung einer in Transferrubel bemessenen deutschen Forderung gegenüber Russland zu Ende. Schröder, versöhnlich, nachdem er die russische Zusage von Zahlungen einkassiert hat: Nie war klar, was ein Transferrubel ist. (FTD, 11.4.02) Nie? So lange ist es nun auch wieder nicht her, dass das soweit durchaus klar war, als man im Westen dieses Ding mit herzlicher Verachtung behandelt und als bloße Verrechnungseinheit, „keinesfalls vergleichbar“ mit unserem echten, guten Geld, eingestuft hat.

„Der transferable Rubel, der keinesfalls mit westlichen konvertiblen Währungen vergleichbar, sondern lediglich als Verrechnungsgröße anzusehen ist… Die ökonomische Funktion des TR ist in der Praxis stark eingeengt: Der Handel zwischen den RGW-Mitgliedern wird nach wie vor überwiegend auf der Grundlage von zweiseitigen Regierungsabkommen abgewickelt. Ein Guthaben von TR ermöglicht in diesem Rahmen nicht unmittelbar Käufe in einem anderen Nachbarland. Denn der Saldenausgleich erfolgt nicht durch die Verrechnung in TR, sondern muss jedes Mal in einem Handelsabkommen neu vereinbart werden. Aus diesem Grunde ist kein RGW-Land daran interessiert, im Intrablockhandel Überschüsse, d.h. Guthaben in TR zu erzielen. Außerhalb des Handelsverkehrs zwischen den RGW-Ländern repräsentiert der TR keine selbständige Kaufkraft.“ (DDR-Handbuch, herausgegeben vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Bonn 1975)

Und dieser jämmerlichen Verrechnungseinheit, die im alten RGW niemand haben wollte, soll es nun gelungen sein, sich so viel an „selbständiger Kaufkraft“ zuzulegen, dass aus 6,4 Milliarden Transferrubel nach der Rechnung der heutigen Bundesregierung erst einmal 7,6 Milliarden Euro und dann schließlich immerhin noch 500 Millionen Euro geworden sind? Und die Differenz, 7,1 Milliarden Euro, hat Schröder – zeigte sich nun von seiner großherzigen Seite (FAZ, 11.4.), erlässt Putin Milliarden-Schulden (HB, 11.4.), verzichtet auf Milliarden-Forderungen (Die Welt, 11.4.) – dem Russen nun einfach hergeschenkt? Weil der so schön deutsch spricht? Offensichtlich sind diesem Posten, nachdem er vom SED-Regime befreit worden ist, ganz neue Qualitäten zugewachsen.

Wenn der Transferrubel zu Zonenzeiten nach hiesigem Befinden eher ein lächerliches Pseudo-Geld, jedenfalls ökonomisch „stark eingeengt“ war (entgegen seiner anfänglichen Ermahnung kann sich das Handbuch selbst nicht zurückhalten und vergleicht ein bisschen), so lag das eben daran, dass er dort auch gar nicht in dem Sinne als Geld vorgesehen war, als definitiver Zweck jeder Warentransaktion und Ziel aller Anstrengungen zur Bereicherung von Nationen aneinander. Als „Verrechnungseinheit“ hatte er vielmehr die widersprüchliche Funktion, zusätzlich zu einem Außenhandel, bei dem sich die beteiligten Nationen auf der Grundlage einer gemeinsamen Planung wechselseitig mit Lebens- und Produktionsmitteln belieferten, die für die Versorgung der Bevölkerung und einen industriellen Aufbau gebraucht wurden, einen Maßstab zur Beantwortung der Frage zu liefern, ob es dabei denn auch gerecht zuging – eine Frage, die sich anhand der Gebrauchseigenschaften der diversen Güter, die allesamt benötigt werden, schlechterdings nicht entscheiden lässt, die daher zielstrebig auf eine Anleihe beim anderen System hinauslief, nämlich auf die Frage, ob denn annähernd gleiche Werte über die Grenze wechselten. So wie die Veranstalter dieser Sorte Planwirtschaft im Inneren nicht darauf verzichten mochten, ihre Produktionsdirektiven, ihre Ver- und Zuteilung von nützlichen Sachen immer auch noch in Geldgrößen umzudefinieren, um damit ihrer Planung den Schein einer höheren objektiven Gesetzlichkeit zu verleihen, an deren „Wirken“ die Staatsparteien dann schließlich auch noch selbst geglaubt haben, so ähnlich wurde auch der sozialistische Außenhandel gehandhabt. So viel an Sozialismus mochten sich die RGW-Partner nämlich nicht vorstellen, dass sie auf die zwischenstaatliche Unterscheidung von „mein“ und „dein“, auf nationales Bilanzieren verzichtet und ihre Produktivkräfte zusammengelegt hätten. Zur Entscheidung der Frage, ob das Abtreten von x DDR-Werkzeugmaschinen durch die Lieferung von y barrels sowjetischen Öls wirklich wettgemacht wird, wollten sie schon noch jenseits des materiellen Bedarfs einen „objektiven“ Maßstab bemühen. Und das auch deshalb, weil ihre Planung unter Zuhilfenahme von Geldnamen, die sich vor allem als Bremse bei der Entwicklung der Produktivkräfte auswirkte, auch den Gütertausch im RGW mehr zu einer leidigen Notwendigkeit geraten ließ als zu einer gelungenen internationalen Arbeitsteilung. So viel Planwirtschaft gab es andererseits dann aber doch, dass der Transferrubel auch nur beim ewig umstrittenen Ausrechnen „objektiver“ Preise und Aufstellen von Salden zur Verwendung kam, aber keineswegs das Recht verkörperte, sich mit einer entsprechenden Summe an der Güterwelt des Handelspartners zu bedienen, die war ja verplant. Deshalb war dann auch ein Guthaben in Transferrubel kein Glück, sondern ein Pech, wie das Handbuch zitiert.

Ganz anders gehen aber deutsche Finanzexperten die Sache an, nachdem sich die BRD die DDR einverleibt hat und deren Hinterlassenschaften in Verbrechen, allseitige Misswirtschaft und wenige „werthaltige“ Posten sortiert. Bei der Gelegenheit wurden auch ein paar Auskünfte über das im Osten unter dem Namen Geld zirkulierende Ding erteilt. Dass mit der Heimholung der Zone auch eine entsprechende Menge an „Aluchips“ in den bundesdeutschen Besitzstand überführt worden ist, wurde nämlich weniger als großartige Beute begriffen. Einig war man sich vielmehr, dass die DDR-Mark ziemlich wenig, genau genommen überhaupt nichts wert ist; ihre Erhebung zur Quasi-DM in diversen Verhältnissen zwischen 1:1, 2:1 oder 3:1 rechnete sich die BRD daher mehr wie ein großzügiges Geschenk an die „Brüder und Schwestern“ an, im Namen einer sozial-friedlichen und freudigen Unterstellung unter die neue Obrigkeit, faktisch war das die Methode der kapitalistischen Inbesitznahme. Nachträglich, nach der überraschenden Feststellung, dass das Zonen-Inventar nur zum geringsten Teil als weltmarkttaugliche Ausstattung der neuen Bundesländer zu verwerten war, galt der „Umtauschkurs“ in Kreisen von Wirtschaftsexperten dann auch wieder als kostspielige Fehlinvestition.

Wie dem bundesdeutschen Umgang mit den Aluchips und dem Streit um das passende Umtauschverhältnis zu entnehmen ist, bei dem die maßgeblichen Instanzen mit sich selbst ausgemacht haben, welche Rate sie für zweckmäßig hielten, handelt es sich bei dieser Umrechnung um etwas ziemlich anderes als um einen Tausch verschiedener Gelder, vielmehr um die sehr polit-ökonomische Bewertung der Recheneinheit eines anderen Systems. (Dass nur Gleichnamigkeit, aber eine ganz andere Sache vorliegt, ist schließlich auch daran abzulesen, dass das so genannte Geld es dort auch im Inneren nie zu einer „selbständigen Kaufkraft“ gebracht hat, weil es ja doch bloß die abhängige Variable mehr oder weniger gelungener Planerfüllung blieb, siehe die schlagende Systemkritik, was es alles nicht zu kaufen gab….) Die bundesdeutsche Bewertung dieses Geldwesens war denn auch nicht das Resultat der ansonsten für derlei zuständigen „Märkte“, sondern der freien Entscheidung der bundesdeutschen Politik, und ihre Gültigkeit verdankt sich ausschließlich der Tatsache, dass die Bonner Regierung das Kommando über die Zone übernommen hatte und in ihrer Eigenschaft als neuer Gewaltmonopolist ihre Bewertung dort dekretieren konnte.

Bei der Sichtung des Erbes hat man sich dann auch noch ein paar Aktiv-Posten herausgerechnet, „Forderungen“ gegen Dritte, im RGW und unter befreundeten Staaten in der Dritten Welt, die aus dem alten Verrechnungswesen stehen geblieben sind. Die werden jetzt eingetrieben, und Staaten wie Vietnam, Kuba oder Mocambique dürfen der Bundesrepublik die buchhalterische Fassung der damaligen sozialistischen Solidarität, sprich: den Aufbau eines sozialistischen Lagers gegen die imperialistische Hegemonie, mit echtem Geld bezahlen. Gegenüber Dritten hat die Sache mit der plötzlichen Geldgleichheit des alten Ostblockgeldes denselben Grund: Die dem sozialistischen Verrechnungswesen entnommenen Transferrubel-Ziffern sind nur so viel, aber genau so viel wert wie die Gewalt, die jetzt dahinter steht.

Und um diese Gewalt kommen auch die Russen nicht herum. Nicht nur deshalb, weil sie erkannt haben, dass eine Staatsmacht, die als Mitmacher in einer imperialistischen Welt etwas zu sagen haben will, sich ihre Macht mit gutem Geld, statt mit unnützer Solidarität und wertlosen Verrechnungszetteln zu verdienen hat. Sondern auch deshalb, weil sich die Verwirklichung dieses Programms zuerst und vor allem in einem rasant angestiegenen Schuldenberg auf russischer Seite niedergeschlagen hat. Und ihr besonders guter Freund Schröder hat ihnen auf diesem Gebiet die Lektion erteilt, dass der Weltmarkt kein Tummelplatz der Nationen, sondern eine Frage der Zulassung ist und der Preis für die Zulassung unter anderem in der pünktlichen Bedienung und Begleichung von Schulden besteht.

Gelehrig, wie sie sind, haben die russischen Reformer alle Sowjet-Schulden rechtskräftig übernommen, um sich auf dem Weltmarkt als zuverlässiger Geschäftspartner vorzustellen, und haben nun auch nach längerem Streit den Saldo der verblichenen DDR als rechtskräftige Forderung der BRD anerkannt. Seitdem beteiligen sich russische Experten an der Umbenennung des Transferrubel-Saldos in echte Forderungen und Schulden, bemühen aber für ihre Rechnung die Bewertung des damaligen Güterverkehrs aus heutiger Optik, in der es sich bei den DDR-Maschinen eigentlich nur um minderwertigen Schrott, beim russischen Öl aber um weltmarktfähige Ware, mit sozialistischen Billigpreisen krass unterbewertet, gehandelt haben soll.

Auf dieser Ebene wird der Streit dann auch eingestandenerweise um Bewertungen geführt, worauf die Financial Times in einem Anfall von Sachlichkeit verweist:

„Jeder wusste, dass die Forderungen ohnehin fast wertlos waren… Es handelte sich nicht um Schulden im traditionellen Sinne. Die Summen lauten auf eine nicht konvertible Kunstwährung, weshalb jeder Umrechnungskurs willkürlich blieb.“ (11.4.)

Das mit der „Kunstwährung“ einmal dahingestellt – der Euro wächst ja auch nicht gerade auf Bäumen –, wie es bei aller Willkür dann doch zu dieser Entscheidung gekommen ist, verrät wiederum der Kanzler: Wir wollen uns nicht über das Maß hinaus mit der Vergangenheit beschäftigen. Wir haben einfach eine Paketlösung gemacht. (HB, 11.4.) Einerseits hat die Bundesregierung auch in Sachen Transferrubel ein Exempel statuiert, was die Unnachgiebigkeit im Eintreiben von Schulden angeht – so viel zur Beschäftigung mit der Vergangenheit; andererseits hat sie ihre Forderungen auf 500 Millionen Euro heruntergerechnet – wegen anderer Rechnungen: 1. sei das die Voraussetzung dafür gewesen, dass Russland seine Altschulden beim Pariser Club der staatlichen Gläubiger, zu dem auch Deutschland gehört, inzwischen sehr präzise, zum Teil sogar vorzeitig begleiche. 2. sei Russland ein gewaltiger Markt, der auch große Möglichkeiten für die deutsche Wirtschaft biete. (SZ, 11.4.) Wenn sich also zurzeit aus Russland im Unterschied zu vielen anderen Schuldnerstaaten echtes Geld und künftig noch viel mehr Geld herausholen lässt, ist der „Verzicht“ auf die ursprüngliche Transferrubel-Forderung glatt eine Investition in die Zukunft – um Russland darin zu bestärken, diese gedeihlichen Beziehungen fortzusetzen.

À propos deutscher „Verzicht“: Russland rundet seine 500 Millionen Euro zur Abgeltung der Transferrubel durch weitere 500 Mio Euro für ein geplatztes Fisch-Trawler-Geschäft auf. Die werden gezahlt, damit die Hermes-Bürgschaft nicht dafür in Anspruch genommen werden muss, so dass dann auch – nach den strengen Regeln, die sich die Bundesrepublik beim Umgang mit ihrem Kredit für andere selbst auferlegt – deren Rahmen erhöht werden „kann“: Deutschland genehmigt sich dank der russischen Zahlung die Erweiterung des Rahmens zur Kreditabsicherung für seine Geschäfte mit Russland… So viel zu der hartnäckigen Verwechslung von Kredit mit Geschenken.

Und was den Transferrubel und dessen erstaunliche Geldqualität angeht: Es gibt offensichtlich nicht nur eine Siegerjustiz, sondern auch Siegergeschäfte.