Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Eklat um Papstbesuch“ (ZDF), „Kulturkampf in Rom“ (SZ), „Italien im Stillstand“ (L’espresso):
Toleranz und Pluralismus in einer modernen laizistischen Demokratie

Zur feierlichen Eröffnung des neuen akademischen Jahres möchte ‚La Sapienza‘, wie die Stätte des Wissens in Rom sich nennt, auch in Sachen Sittlichkeit und Moral glänzen. Das macht was her, und der Rektor von Europas größter Universität hat eine schöne Idee, die erst recht was hermacht: Der Papst, die größte Autorität, die in diesen Disziplinen zu haben ist, soll als Festredner das Forschen und Denken der neuen Saison einläuten. Eine verschwindende Minderheit von Professoren findet diese Idee nicht so gut und schreibt dem Rektor einen Brief. Mit der wissenschaftlichen Kompetenz des Papstes sei es wohl nicht so weit her, meinen sie, bedenkliches Murmeln über Galileo Galilei und Giordano Bruno macht die Runde; einer wendet ein, dass sich der Papst zur Weihnachtsmesse ja auch keinen Vortrag über Teilchenphysik bestelle. Auch einigen Studenten geht der Mann mit dem, was er von Berufs wegen so von sich gibt, auf die Nerven; und zwar schon so, dass sie ihm dies, wenn er denn an ihre Uni kommt, auch gerne zu verstehen geben wollten. Da zieht der Papst es vor, zum Festakt nicht zu erscheinen.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Gliederung

Eklat um Papstbesuch (ZDF), Kulturkampf in Rom (SZ), Italien im Stillstand (L’espresso):
Toleranz und Pluralismus in einer modernen laizistischen Demokratie

Zur feierlichen Eröffnung des neuen akademischen Jahres möchte ‚La Sapienza‘, wie die Stätte des Wissens in Rom sich nennt, auch in Sachen Sittlichkeit und Moral glänzen. Das macht was her, und der Rektor von Europas größter Universität hat eine schöne Idee, die erst recht was hermacht: Der Papst, die größte Autorität, die in diesen Disziplinen zu haben ist, soll als Festredner das Forschen und Denken der neuen Saison einläuten. Eine verschwindende Minderheit von Professoren findet diese Idee nicht so gut und schreibt dem Rektor einen Brief. Mit der wissenschaftlichen Kompetenz des Papstes sei es wohl nicht so weit her, meinen sie, bedenkliches Murmeln über Galileo Galilei und Giordano Bruno macht die Runde; einer wendet ein, dass sich der Papst zur Weihnachtsmesse ja auch keinen Vortrag über Teilchenphysik bestelle. Auch einigen Studenten geht der Mann mit dem, was er von Berufs wegen so von sich gibt, auf die Nerven; und zwar schon so, dass sie ihm dies, wenn er denn an ihre Uni kommt, auch gerne zu verstehen geben wollten. Da zieht der Papst es vor, zum Festakt nicht zu erscheinen. Eine geteilte Familie möchte er nicht besuchen, dafür lieber dem Rektor eine Botschaft zukommen lassen – und, man glaubt es nicht, fertig ist ein Skandal, der für Tage das öffentliche Leben im Land bestimmt: Ein Redeverbot für den Papst – was für eine Ungeheuerlichkeit in einer toleranten und pluralistischen Demokratie!

Redeverbot? Für den Papst? Einfach absurd.

Um sein gutes Recht, wann immer und worüber er will das Wort zu ergreifen, braucht sich Joseph Ratzinger schon seit geraumer Zeit keine Gedanken zu machen; auch nicht darüber, Gehör zu finden, womit auch immer er sich vernehmen lässt. Er ist schließlich Papst, und die Mission, stellvertretend für den Allerhöchsten bei dessen Geschöpfen nach dem Rechten zu sehen, nimmt er beileibe nicht nur auf seinem theoretischen Spezialgebiet in Angriff. Neben der allfälligen Verkündung von Glaubenswahrheiten für seine christliche Gemeinde, bei der er sich seiner Unfehlbarkeit rühmt – vollkommen zu Recht: wie möchte man so ein Unding auch widerlegen?! –, erhebt er sein Wort, wann immer er meint, den Gang der Welt im Allgemeinen und das Leben der Menschen im Besonderen auf Vordermann bringen zu müssen; und das meint er recht oft, eigentlich immerzu. Dabei geht er davon aus, dass seine Wortmeldungen auch von einer weltlichen Wissensgesellschaft in etwa mit demselben Respekt bedacht werden, den ihm sein gläubiger Anhang schuldet, und auch dabei ist er erstaunlich unfehlbar. Freilich rührt dieser Umstand nicht daher, dass von ihm irgendwie Sensationelles oder auch nur Bemerkenswertes zu hören wäre: Der Mann ist von Amts wegen eine Garantie dafür, dass sein zahlreiches Publikum von ihm immer dieselben Repetitorien der uralten, aber ewig taufrischen und ehedem wie heute schon gleich unverzichtbaren moralischen Anstandsregeln zu hören bekommt. Als eine solche Autorität ist er angesichts der Geistesverfassung, die heutzutage an Universitäten herrscht, auch dort allemal der Ehrengast, doch wie der Teufel es will: Ausgerechnet beim Heimspiel in Rom wird ihm der Respekt vor seiner maßgeblichen Meinung nicht so vollkommen erwiesen, wie dies allenthalben der Fall ist und er es als selbstverständlich voraussetzt. Sogar mit Gründen versehene Zweifel an seiner Autorität werden vernehmlich. Die gelten ihr zwar offiziell nur in Bezug auf die für unpassend befundene Wahl von Zeit und Ort seines Auftretens. Sie reichen aber doch aus, die Aura von Würde und Unwidersprechlichkeit anzukratzen, die von ihm und seinem Lehramt gar nicht wegzudenken ist. Und was macht da der Mann mit dem immer freundlichen Habitus, der so gerne mit anderen in Dialog tritt und gerade wegen seiner hohen Gelehrsamkeit als Idealbesetzung seines Amtes gilt? Sehr einfach: Er ist schließlich Papst, und wenn sich an der Alma Mater der öffentliche Rahmen für seine Selbstdarstellung als zu wenig passend erweist, dann lässt er die Veranstaltung platzen – und organisiert mit der Medienmacht, über die er verfügt, sich selbst die Gesprächskultur, die ihm und seiner Botschaft würdig ist: Die Stimme des Papstes und der Weltkirche machen Radio Vatikan und Internet gleich weltweit unüberhörbar, tags darauf steht auch noch in allen Zeitungen, was er zu sagen hat, und beim akademischen Festakt am selben Tag liest an seiner Stelle der Prorektor dasselbe dann nochmals vom Blatt ab. So geht päpstliche Überzeugungsarbeit im Wege des Dialoges, erster Akt: Wenn die ‚Familie‘ an der Universität ‚geteilt‘ ist, mobilisiert man als Papst kurzerhand die ganze Öffentlichkeit als ungeteilte Zuhörerschaft der eigenen Botschaft!

Die „ungehaltene Rede“, die jeder hört: „Was ist Wahrheit?“

‚Adaequatio rei et intellectus‘: Das wäre die Antwort, auch noch formvollendet gefasst für den festlichen akademischen Rahmen; aber das ist natürlich keine Rede, schon gleich nicht für einen Papst. Also zerlegt er die Frage nach der Wahrheit praktischerweise in zwei ganz andere, bei deren Beantwortung er sich besonders gut auskennt: Was ist Wesen und Auftrag des Papsttums? Und: Was ist Wesen und Auftrag der Universität? Was ihn selbst betrifft, so ist er der Bischof von Rom. Der Bischof, erklärt er, ist der Hirte, der sich, mit Überblick und Weisungsbefugnis ausgestattet, ums Innere der gläubigen Gemeinschaft kümmert; die gläubige Gemeinschaft aber lebt in der Welt, woraus sich für einen Bischof von Rom wie von selbst ergibt, dass er auch für das rechte Miteinander aller anderen zuständig ist. Und das ist für ihn gleichbedeutend damit, dass alles, was nach Maßgabe seines moralischen Koordinatensystems für seine Gemeinde zu gelten hat, auch für den Rest der Welt vernünftig ist. So kommt es, wie es kommen muss: So ist der Papst gerade als Hirte seiner Gemeinschaft immer mehr auch zu einer Stimme der moralischen Vernunft der Menschheit geworden. Das wirft natürlich die nächste Frage auf: Was ist Vernunft? Die kann man, wenn man seinen Habermas kennt, auch so formulieren: Wie weist sich eine Aussage – vor allem eine moralische Norm – als ‚vernünftig‘ aus? Das hat dann nämlich den Vorteil, dass der Professor im Papst sofort die Antwort weiß: Vernünftig sind die religiösen Lehren, weil die aus einer verantworteten und doktrinellen Tradition heraus stammen, in der über lange Zeit hinreichend gute Gründe für die jeweilige Lehre entwickelt wurden. Für eine Doktrin mit Tradition spricht, das ist logisch, als allerbester Grund die lange Zeit, während der für sie gute Gründe – irgendwelche, jedenfalls immer hinreichend gute – ausgedacht wurden, womit sich hinreichend begründet eine Reihe weiterer Gleichheitszeichen eröffnen lässt. Zwischen die Weisheit der Menschen als solche und die Weisheit der großen religiösen Traditionen gehört das allererste gesetzt, das nächste zwischen Weisheit und Schatz an moralischer Erkenntnis und Erfahrung, der für die ganze Menschheit von Bedeutung ist, bis man wieder beim ersten angekommen ist, das wir schon hatten, und der Papst sich nach einem Drittel seiner Rede nur noch ein letztes Mal zu wiederholen braucht. Er – sagt er über sich – spricht in diesem Sinne als Vertreter moralischer Vernunft.

Bleibt noch die Universität mit ihrem Wesen und Auftrag, aber auch da ist beides nicht schwer zu ermitteln, wenn man die Argumentationstechnik des rigorosen Abstrahierens von allem und zielstrebigen Gleichmachens mit allem beherrscht und außerdem einen unverwüstlichen Wunsch nach guter Laune hat: Der Mensch will erkennen, er will Wahrheit, und was er dabei genau will, steht mit dem Kapitel ‚Vernunft‘ schon fest: Wahrheit ist mehr als Wissen, und dieses Mehr ist das, was die Vernunft vernünftig macht: Die Erkenntnis der Wahrheit zielt auf die Erkenntnis des Guten ... Was ist das Gute, das uns wahr macht? Die Wahrheit macht uns gut, und das Gute ist wahr: Das ist der Optimismus, der im christlichen Glauben lebt, denn: bloßes Wissen macht traurig. Der Glaube ist dieselbe moralische Vernunft der Menschheit, nach der man auf den Universitäten unter der Überschrift ‚Wahrheit‘ sucht, und so herrscht nicht nur eine gewisse Arbeitsteilung beim immerwährenden Gottesdienst, den der menschliche Verstand betreibt, kaum kommt er in die Gänge: Es stellt sich auch heraus, dass ohne den rechten Glauben dem Wissen all das fehlt, was es zu Wissen macht! Das war freilich, der Papst verschweigt es nicht, bei der Grenzziehung zwischen den autonomen Befugnissen der beiden Abteilungen nicht von Anfang an jedermann so klar, wie es ihm heute ist: Manches, was von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns heute. Doch haben die Autodafés von gestern auch ihr Gutes für heute getan. Die Geschichte der Heiligen, aber auf ihre Weise eben auch die verbrannten Hexen, Philosophen und andere Ketzer haben den Glauben in seinem wesentlichen Kern verifiziert – und ihm damit genau die Funktion gesichert, die ihn heutzutage und bei den neuen Dimensionen des Wissens so unverzichtbar macht:

„Von der Struktur der Universität her gesagt: ... Wenn die Vernunft aus Sorge um ihre vermeintliche Reinheit taub wird für die große Botschaft, die ihr aus dem christlichen Glauben und seiner Weisheit zukommt, dann verdorrt sie wie ein Baum, dessen Wurzeln nicht mehr zu den Wassern hinunterreichen, die ihm Leben geben ... Auf unsere europäische Kultur angewandt heißt dies: Wenn sie sich nur selbst aus ihrem Argumentationszirkel und dem ihr jetzt Einleuchtenden konstruieren will und sich aus Furcht um ihre Säkularität von den Wurzeln abschneidet, von denen sie lebt, dann wird sie nicht vernünftiger und reiner, sondern zerfällt.“

Das ist der tiefere Sinn der Freiheit von politischen und kirchlichen Autoritäten, die der Papst der Universität als Stätte der Wissenschaft gerne spendiert: Ohne die Weisheit des Glaubens gibt es sie ja gar nicht!

Wir dürfen festhalten: Nie und nimmer würde der Papst andere in autoritärer Weise zum Glauben zu nötigen versuchen. Allein schon deswegen nicht, weil das ja auch ganz schlecht hinzukriegen ist heutzutage. Diese weise Zurückhaltung ist aber auch schon das einzige Zugeständnis, das er dem Menschen und seiner Freiheit in Tun und Denken macht. In denkbar autoritärer Weise die Leute zu dem hinzuquatschen, was sie seinen moralischen Vorstellungen nach zu tun und zu lassen haben und was sie seinen theologischen Überzeugungen nach ohnehin schon immer tun: Nichts ist ihm selbstverständlicher als das. Dem Kodex moralischer Vorschriften entnimmt er nicht nur den Inbegriff dessen, wozu es der Mensch in seiner Vernunft allenfalls bringt: Aus den großartigen Verdiensten, die sich sein Verein bei der Verbreitung und Verankerung von Sitte und Moral erworben hat, leitet er auch gleich noch ab, dass der Artikel, für den er missioniert, die maßgebliche Instanz aller Wahrheitsfindung ist. So wird der Glaube an den Herrn dann wieder für jedermann verbindlich, der sich an Universitäten oder sonst wo über etwas den Kopf zerbricht, das in das große Kapitel mit der Überschrift das Leben des Menschen passt – und was passte in das schon nicht hinein?! Da der Begriff ‚Fundamentalismus‘ für die missionierende Konkurrenz aus dem Morgenland reserviert ist, müssen wir das wohl christliche Prinzipienfestigkeit nennen. Diese auch ohne persönliches Erscheinen an der ‚Sapienza‘ eindrucksvoll unter Beweis zu stellen, war der 2. Akt der päpstlichen Performance.

Der abgesagte Auftritt: Eine Schande für Italien, für die Demokratie und die abendländische Kultur überhaupt

Den 3. Akt übernehmen – schon wieder: – stellvertretend für den Papst persönlich dann alle, die für die öffentliche Vernunft im Lande und die Maßstäbe, an denen sie sich auszurichten hat, zuständig sind. Die goldenen Worte des Papstes sind zwar garantiert keinem entgangen; aber dass der sie nicht so hat herbeten können wie vorgesehen, wird von den Repräsentanten der weltlichen Herrschaft als Anschlag auf alles empfunden, was ihnen als Kämpfer für die Freiheit der Rede hoch und heilig ist: Die Staatsregierung ist schockiert; der Staatspräsident drückt Ratzinger schriftlich sein persönliches Bedauern aus, spricht von einer unzulässigen Manifestation von Intoleranz, die mit einer freien und unaufgeregten Diskussion unvereinbar sei; der Ministerpräsident, äußerst traurig, hält das angespannte Klima für untragbar, das da zwischen einer ideologisierten Minderheit von Professoren und Studenten auf der einen und dem Klerus auf der anderen Seite eingerissen sei; solches mache keine Ehre für die Tradition der Bürgertugenden und der Toleranz in Italien. Volksvertreter aller Parteien beklagen sich über die heftige Manifestation von Intoleranz, über eine intolerante Minderheit, die Voltaire vergisst; sie haben bei solchen Lehrern ihrer Kinder Angst vor unserer Zukunft, sehen ein Zeichen der desolaten Verfassung der italienischen Universität und konstatieren eine tiefe Verletzung des Bewusstseins aller Italiener, seien sie katholisch oder laizistisch. Berlusconi entdeckt in den Vorkommnissen eine Schandtat, die nicht den Papst verletzt und erniedrigt, sondern die italienische Universität und insgesamt den Staat, und der offizielle Sprecher des Vatikan fasst die Welle der Empörung so zusammen:

„Wir haben es mit einer Art kulturellem Fundamentalismus zu tun, der sich in dieser grundsätzlichen Ablehnung gezeigt hat – eine Dialogverweigerung. Allerdings ist es meines Erachtens unmöglich, Religion und Theologie aus dem gesellschaftlichen Dialog auszuschließen. Deswegen glaube ich, dass diese Angelegenheit nicht so sehr ein Tiefpunkt im Dialog mit der Religion ist, sondern sie ist insgesamt ein Tiefpunkt in der Kulturgeschichte.“

Man fasst es nicht. Ein christlich-klerikaler Fundamentalist sieht sich durch Professoren, die sich vor ihm nicht auf den Bauch werfen wollen, und durch die furchtbare Konfrontation mit ein wenig anti-autoritärem Studentenulk dermaßen in seiner Ehre beschnitten, dass er demonstrativ verstummt. Ersatzweise sucht und findet er sofort andere öffentlichkeitswirksame Kanäle für die Verbreitung seines Monologs über die Untrennbarkeit von Glauben und Wissen, Kirche und Welt – und die profanen Regenten einer Demokratie beziehen das Kommunikationsproblem mit der weltlichen Gemeinde, das er sich berechnend macht, unmittelbar auf sich. Sie sehen die höchsten demokratischen Heiligtümer der Meinungsfreiheit und Freiheit der Wissenschaft, der Toleranz und des Pluralismus angegriffen, für deren Schutz sie stehen – und zwar nicht durch einen religiösen Dogmatiker, dem ‚Toleranz‘ absolut wesensfremd ist, der als Kämpfer für Moral und Sitte einen Dauerkrieg gegen alles führt, was unter ‚Pluralismus‘ segelt und in eine Kultur der Beliebigkeit (Ratzinger) ausartet, und dem ein Wissen, das die Autorität des Glaubens zersetzt, ohnehin so verhasst ist wie dem Teufel das Weihwasser. Nein, die Handvoll von Leuten, die noch über so viel Restverstand und Bürgertugend verfügen, dass sie sich nicht auch noch an der Universität vom Oberhaupt des Katholizismus exorzieren lassen wollen und das auch laut sagen: Die ausgerechnet wären die kulturellen Taliban, die der modernen Zivilisation einen Tiefpunkt bescheren!

Das wirft ein schönes Licht darauf, was demokratische Machthaber an der Tugend der Toleranz und der Meinungsfreiheit so überaus schätzenswert finden, die sie ihren Untertanen verordnen. Offenbar ist den weltlichen Initiatoren und Kontrolleuren der demokratischen Meinungsbildung von den vielen Überzeugungen, die sich im bunten Spektrum der erlaubten ‚pluralistischen Meinungsvielfalt‘ tummeln, an einer ‚privaten Meinung‘ ganz besonders gelegen, und zwar an der, für deren Verbreitung und Verfestigung an vorderster Front der Heilige Vater unterwegs ist. Atheist darf durchaus jedermann sein, wenn er mag, den Glauben verordnen sie keinem; auch selber müssen sie weder gläubig sein noch sich sonst ausdrücklich für die kirchliche Botschaft verwenden, obwohl sie das manchmal schon auch gerne tun, nebenberuflich. Doch darauf, dass im weltlichen Rechtsstaat und auf Basis einer bleibenden ‚Trennung von Kirche und Staat‘ die christlichen Seelsorger bei der Kundenwerbung möglichst ungehindert zum Zuge kommen, passen sie schon auf, und dafür haben sie ihren guten Grund. Sie schätzen den ideellen Nutzen, den der Christ aus seinem Glauben für sich zieht, weil der eine einzige herrschaftliche Produktivkraft für sie und die reibungslose Abwicklung aller ihrer Anliegen ist, bei denen sie ihr Volk einspannen: Nichts Schöneres gibt es für sie und die Freiheit ihres Regierens, als ein fügsames Volk, das sich aus freien Stücken auch noch zu einem sittlich-moralisch gut in Schuss gehaltenen Kirchenvolk organisiert! Denn wer sich mit sich und seinen Lebensumständen, über die mit der sehr irdischen Macht des staatlichen Rechts verfügt wird, seinen inneren seelischen Frieden verschafft und sich seinen trostlosen Lebensalltag in nicht mehr zu überbietender Duldsamkeit auch noch als von Gott auferlegte Bewährungsprobe zurechtinterpretiert, hat aus seinen schlechten Erfahrungen einen noch schlechteren Schluss gezogen – und ergänzt die Opfer, die ihm von den weltlichen Herren beschert werden, auch noch willig durch das Verzichtsprogramm, das ihm von vielen Hirten stellvertretend für den Allerhöchsten auferlegt wird. Diesen Dienst beschert der Glaube ans Jenseits den Regenten des Diesseits als Gratisgabe, und damit er das auch weiter tut, lassen die über den Papst nichts kommen. Wie gesagt: Den gleich so als unbedingte Autorität über sich anzuerkennen, wie es der katholischen Gemeinde in ihren Riten gestattet ist, verlangt man in einem laizistischen Staat keinem ab. Doch dafür haben die Laien auch ein wenig dankbar zu sein – und ihre reservierte Haltung gegenüber dem Papst und dem von ihm repräsentierten Glauben als ihre ureigene Privatsache gefälligst bei sich zu behalten. Die oberste Instanz der so überaus staatsnützlichen sittlichen Gesinnungspflege des Volks durch öffentliche Distanzierung in ihrer Autorität anzukratzen, mag zwar nicht verboten sein, ist aber für eine wahre laizistische Republik und lebendige Demokratie untragbar. Und wie untragbar so etwas ist, darüber klären dann die namhaft gemachten Schutzgüter von der Nation bis zur abendländischen Kultur auf, die dieser Akt der Intoleranz verletzt haben soll. Italiens Zukunft steht mit dieser kleinen anti-papistischen Aufwallung gewiss nicht auf dem Spiel; aber wenn die Vorsteher der Republik das einmal für zwei Tage so sehen wollen, dann geben sie damit zu verstehen, dass die Missbilligung und Ächtung eines öffentlichen Protestes gegen den Papst im Namen der Nation geboten ist – obwohl die in ihren imperialistischen Alltagsgeschäften nun wirklich überhaupt nicht auf den Pfaden des Herrn lustwandelt.

Dieses Interesse, das an ihnen und ihrem Wirken seitens der weltlichen Macht besteht, ist den Pfaffen natürlich nicht entgangen, und wo sie einmal recht haben, haben sogar sie recht: So, wie sie sich mit ihrer Kirche in der modernen demokratischen Kultur und ihrem gesellschaftlichen Dialog überall eingenistet haben, handelt es sich in der Tat um einen Tiefpunkt der Kultur, wenn dem Papst einmal eine seiner gewichtigen Wortmeldungen nicht so reibungslos wie gewohnt gelingt.

Und dann noch ein Angelus vom Feinsten

Geduldig und sanft, wie ein Lamm Gottes nun einmal ist, lässt der Papst seine zutiefst beunruhigte Nation wissen, dass er in der Angelegenheit zwar schon verbittert, ansonsten aber durchaus gefasst und ruhig sei. Gerne würde er, nachdem das an der Universität ja nicht ging, beim nächsten Angelus ein Paar Worte an seine Gläubigen richten, und die bereiten ihrem obersten Hirten dann in der Tat die Demonstration der Freude, die der PR-Stab des Vatikan in Auftrag gibt: Mindestens 100 000 Römer stehen ihrem Idol zur Seite und halten Schilder hoch, auf denen Benedetto, la sapienza sei tu! steht.

Geht er also doch noch, der freie und heitere Meinungsaustausch mit dem Papst, den Italiens Staatspräsident stellvertretend für alle Gläubigen und Laien so schmerzlich vermisst hat.