Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Eklat um Papstbesuch“ (ZDF), „Kulturkampf in Rom“ (SZ), „Italien im Stillstand“ (L’espresso):
Toleranz und Pluralismus in einer modernen laizistischen Demokratie
Zur feierlichen Eröffnung des neuen akademischen Jahres möchte ‚La Sapienza‘, wie die Stätte des Wissens in Rom sich nennt, auch in Sachen Sittlichkeit und Moral glänzen. Das macht was her, und der Rektor von Europas größter Universität hat eine schöne Idee, die erst recht was hermacht: Der Papst, die größte Autorität, die in diesen Disziplinen zu haben ist, soll als Festredner das Forschen und Denken der neuen Saison einläuten. Eine verschwindende Minderheit von Professoren findet diese Idee nicht so gut und schreibt dem Rektor einen Brief. Mit der wissenschaftlichen Kompetenz des Papstes sei es wohl nicht so weit her, meinen sie, bedenkliches Murmeln über Galileo Galilei und Giordano Bruno macht die Runde; einer wendet ein, dass sich der Papst zur Weihnachtsmesse ja auch keinen Vortrag über Teilchenphysik bestelle. Auch einigen Studenten geht der Mann mit dem, was er von Berufs wegen so von sich gibt, auf die Nerven; und zwar schon so, dass sie ihm dies, wenn er denn an ihre Uni kommt, auch gerne zu verstehen geben wollten. Da zieht der Papst es vor, zum Festakt nicht zu erscheinen.
Aus der Zeitschrift
Teilen
Systematischer Katalog
Eklat um
Papstbesuch
(ZDF), Kulturkampf in
Rom
(SZ),
Italien im Stillstand
(L’espresso):
Toleranz und
Pluralismus in einer modernen laizistischen
Demokratie
Zur feierlichen Eröffnung des neuen akademischen Jahres
möchte ‚La Sapienza‘, wie die Stätte des Wissens in Rom
sich nennt, auch in Sachen Sittlichkeit und Moral
glänzen. Das macht was her, und der Rektor von Europas
größter Universität hat eine schöne Idee, die erst recht
was hermacht: Der Papst, die größte Autorität,
die in diesen Disziplinen zu haben ist, soll als
Festredner das Forschen und Denken der neuen Saison
einläuten. Eine verschwindende Minderheit von Professoren
findet diese Idee nicht so gut und schreibt dem Rektor
einen Brief. Mit der wissenschaftlichen Kompetenz des
Papstes sei es wohl nicht so weit her, meinen sie,
bedenkliches Murmeln über Galileo Galilei und Giordano
Bruno macht die Runde; einer wendet ein, dass sich der
Papst zur Weihnachtsmesse ja auch keinen Vortrag über
Teilchenphysik bestelle. Auch einigen Studenten geht der
Mann mit dem, was er von Berufs wegen so von sich gibt,
auf die Nerven; und zwar schon so, dass sie ihm dies,
wenn er denn an ihre Uni kommt, auch gerne zu verstehen
geben wollten. Da zieht der Papst es vor, zum Festakt
nicht zu erscheinen. Eine geteilte Familie
möchte
er nicht besuchen, dafür lieber dem Rektor eine
Botschaft
zukommen lassen – und, man glaubt es nicht,
fertig ist ein Skandal, der für Tage das öffentliche
Leben im Land bestimmt: Ein Redeverbot für den
Papst
– was für eine Ungeheuerlichkeit in einer
toleranten und pluralistischen Demokratie!
Redeverbot? Für den Papst? Einfach absurd.
Um sein gutes Recht, wann immer und worüber er will das
Wort zu ergreifen, braucht sich Joseph Ratzinger schon
seit geraumer Zeit keine Gedanken zu machen; auch nicht
darüber, Gehör zu finden, womit auch immer er sich
vernehmen lässt. Er ist schließlich Papst, und die
Mission, stellvertretend für den Allerhöchsten bei dessen
Geschöpfen nach dem Rechten zu sehen, nimmt er beileibe
nicht nur auf seinem theoretischen Spezialgebiet in
Angriff. Neben der allfälligen Verkündung von
Glaubenswahrheiten
für seine christliche Gemeinde,
bei der er sich seiner Unfehlbarkeit rühmt – vollkommen
zu Recht: wie möchte man so ein Unding auch widerlegen?!
–, erhebt er sein Wort, wann immer er meint, den Gang der
Welt im Allgemeinen und das Leben der Menschen
im
Besonderen auf Vordermann bringen zu müssen; und das
meint er recht oft, eigentlich immerzu. Dabei geht er
davon aus, dass seine Wortmeldungen auch von einer
weltlichen Wissensgesellschaft in etwa mit demselben
Respekt bedacht werden, den ihm sein gläubiger Anhang
schuldet, und auch dabei ist er erstaunlich unfehlbar.
Freilich rührt dieser Umstand nicht daher, dass von ihm
irgendwie Sensationelles oder auch nur Bemerkenswertes zu
hören wäre: Der Mann ist von Amts wegen eine Garantie
dafür, dass sein zahlreiches Publikum von ihm immer
dieselben Repetitorien der uralten, aber ewig taufrischen
und ehedem wie heute schon gleich unverzichtbaren
moralischen Anstandsregeln zu hören bekommt. Als eine
solche Autorität ist er angesichts der
Geistesverfassung, die heutzutage an Universitäten
herrscht, auch dort allemal der Ehrengast, doch
wie der Teufel es will: Ausgerechnet beim Heimspiel in
Rom wird ihm der Respekt vor seiner maßgeblichen Meinung
nicht so vollkommen erwiesen, wie dies allenthalben der
Fall ist und er es als selbstverständlich voraussetzt.
Sogar mit Gründen versehene Zweifel an seiner Autorität
werden vernehmlich. Die gelten ihr zwar offiziell nur in
Bezug auf die für unpassend befundene Wahl von Zeit und
Ort seines Auftretens. Sie reichen aber doch aus, die
Aura von Würde und Unwidersprechlichkeit anzukratzen, die
von ihm und seinem Lehramt gar nicht wegzudenken ist. Und
was macht da der Mann mit dem immer freundlichen
Habitus
, der so gerne mit anderen in Dialog
tritt
und gerade wegen seiner hohen Gelehrsamkeit als
Idealbesetzung seines Amtes gilt? Sehr einfach: Er ist
schließlich Papst, und wenn sich an der Alma Mater der
öffentliche Rahmen für seine Selbstdarstellung als zu
wenig passend erweist, dann lässt er die
Veranstaltung platzen – und organisiert mit der
Medienmacht, über die er verfügt, sich selbst
die Gesprächskultur, die ihm und seiner Botschaft würdig
ist: Die Stimme des Papstes und der Weltkirche
machen Radio Vatikan und Internet gleich weltweit
unüberhörbar, tags darauf steht auch noch in allen
Zeitungen, was er zu sagen hat, und beim akademischen
Festakt am selben Tag liest an seiner Stelle der
Prorektor dasselbe dann nochmals vom Blatt ab.
So geht päpstliche Überzeugungsarbeit im Wege
des Dialoges, erster Akt: Wenn die ‚Familie‘ an der
Universität ‚geteilt‘ ist, mobilisiert man als Papst
kurzerhand die ganze Öffentlichkeit als ungeteilte
Zuhörerschaft der eigenen Botschaft!
Die „ungehaltene Rede“, die jeder hört: „Was ist Wahrheit?“
‚Adaequatio rei et intellectus‘: Das wäre die Antwort,
auch noch formvollendet gefasst für den festlichen
akademischen Rahmen; aber das ist natürlich keine Rede,
schon gleich nicht für einen Papst. Also zerlegt er die
Frage nach der Wahrheit praktischerweise in zwei ganz
andere, bei deren Beantwortung er sich besonders gut
auskennt: Was ist Wesen und Auftrag des Papsttums?
Und: Was ist Wesen und Auftrag der Universität?
Was
ihn selbst betrifft, so ist er der Bischof von Rom. Der
Bischof, erklärt er, ist der Hirte
, der sich, mit
Überblick und Weisungsbefugnis ausgestattet, ums
Innere der gläubigen Gemeinschaft
kümmert; die
gläubige Gemeinschaft aber lebt in der Welt
,
woraus sich für einen Bischof von Rom wie von selbst
ergibt, dass er auch für das rechte Miteinander
aller anderen zuständig ist. Und das ist für ihn
gleichbedeutend damit, dass alles, was nach Maßgabe
seines moralischen Koordinatensystems für seine Gemeinde
zu gelten hat, auch für den Rest der Welt vernünftig ist.
So kommt es, wie es kommen muss: So ist der Papst
gerade als Hirte seiner Gemeinschaft immer mehr auch zu
einer Stimme der moralischen Vernunft der Menschheit
geworden
. Das wirft natürlich die nächste Frage auf:
Was ist Vernunft?
Die kann man, wenn man seinen
Habermas kennt, auch so formulieren: Wie weist sich
eine Aussage – vor allem eine moralische Norm – als
‚vernünftig‘ aus?
Das hat dann nämlich den Vorteil,
dass der Professor im Papst sofort die Antwort weiß:
Vernünftig sind die religiösen Lehren
, weil die
aus einer verantworteten und doktrinellen Tradition
heraus stammen, in der über lange Zeit hinreichend gute
Gründe für die jeweilige Lehre entwickelt wurden.
Für
eine Doktrin mit Tradition spricht, das ist logisch, als
allerbester Grund die lange Zeit
, während der für
sie gute Gründe
– irgendwelche, jedenfalls immer
hinreichend
gute – ausgedacht wurden, womit sich
hinreichend begründet eine Reihe weiterer
Gleichheitszeichen eröffnen lässt. Zwischen die
Weisheit der Menschen als solche
und die Weisheit
der großen religiösen Traditionen
gehört das
allererste gesetzt, das nächste zwischen Weisheit
und Schatz an moralischer Erkenntnis und Erfahrung,
der für die ganze Menschheit von Bedeutung ist
, bis
man wieder beim ersten angekommen ist, das wir schon
hatten, und der Papst sich nach einem Drittel seiner Rede
nur noch ein letztes Mal zu wiederholen braucht.
Er
– sagt er über sich – spricht in diesem
Sinne als Vertreter moralischer Vernunft.
Bleibt noch die Universität mit ihrem Wesen und Auftrag,
aber auch da ist beides nicht schwer zu ermitteln, wenn
man die Argumentationstechnik des rigorosen Abstrahierens
von allem und zielstrebigen Gleichmachens mit allem
beherrscht und außerdem einen unverwüstlichen Wunsch nach
guter Laune hat: Der Mensch will erkennen, er will
Wahrheit
, und was er dabei genau will, steht mit dem
Kapitel ‚Vernunft‘ schon fest: Wahrheit ist mehr als
Wissen
, und dieses Mehr ist das, was die Vernunft
vernünftig macht: Die Erkenntnis der Wahrheit zielt
auf die Erkenntnis des Guten ... Was ist das Gute, das
uns wahr macht? Die Wahrheit macht uns gut, und das Gute
ist wahr: Das ist der Optimismus, der im christlichen
Glauben lebt
, denn: bloßes Wissen macht
traurig.
Der Glaube ist dieselbe moralische Vernunft
der Menschheit, nach der man auf den Universitäten unter
der Überschrift ‚Wahrheit‘ sucht, und so herrscht nicht
nur eine gewisse Arbeitsteilung beim immerwährenden
Gottesdienst, den der menschliche Verstand betreibt, kaum
kommt er in die Gänge: Es stellt sich auch heraus, dass
ohne den rechten Glauben dem Wissen all das fehlt, was es
zu Wissen macht! Das war freilich, der Papst verschweigt
es nicht, bei der Grenzziehung zwischen den autonomen
Befugnissen der beiden Abteilungen nicht von Anfang an
jedermann so klar, wie es ihm heute ist: Manches, was
von Theologen im Laufe der Geschichte gesagt oder auch
von kirchlicher Autorität praktiziert wurde, ist von der
Geschichte falsifiziert worden und beschämt uns
heute.
Doch haben die Autodafés von gestern auch ihr
Gutes für heute getan. Die Geschichte der
Heiligen
, aber auf ihre Weise eben auch die
verbrannten Hexen, Philosophen und andere Ketzer haben
den Glauben in seinem wesentlichen Kern
verifiziert
– und ihm damit genau die Funktion
gesichert, die ihn heutzutage und bei den neuen
Dimensionen des Wissens
so unverzichtbar macht:
„Von der Struktur der Universität her gesagt: ... Wenn die Vernunft aus Sorge um ihre vermeintliche Reinheit taub wird für die große Botschaft, die ihr aus dem christlichen Glauben und seiner Weisheit zukommt, dann verdorrt sie wie ein Baum, dessen Wurzeln nicht mehr zu den Wassern hinunterreichen, die ihm Leben geben ... Auf unsere europäische Kultur angewandt heißt dies: Wenn sie sich nur selbst aus ihrem Argumentationszirkel und dem ihr jetzt Einleuchtenden konstruieren will und sich aus Furcht um ihre Säkularität von den Wurzeln abschneidet, von denen sie lebt, dann wird sie nicht vernünftiger und reiner, sondern zerfällt.“
Das ist der tiefere Sinn der Freiheit von politischen
und kirchlichen Autoritäten
, die der Papst der
Universität als Stätte der Wissenschaft gerne spendiert:
Ohne die Weisheit des Glaubens gibt es sie ja gar nicht!
Wir dürfen festhalten: Nie und nimmer würde der Papst
andere in autoritärer Weise zum Glauben zu nötigen
versuchen. Allein schon deswegen nicht, weil das ja auch
ganz schlecht hinzukriegen ist heutzutage. Diese weise
Zurückhaltung ist aber auch schon das einzige
Zugeständnis, das er dem Menschen
und seiner
Freiheit in Tun und Denken macht. In denkbar autoritärer
Weise die Leute zu dem hinzuquatschen, was sie seinen
moralischen Vorstellungen nach zu tun und zu lassen haben
und was sie seinen theologischen Überzeugungen nach
ohnehin schon immer tun: Nichts ist ihm
selbstverständlicher als das. Dem Kodex moralischer
Vorschriften entnimmt er nicht nur den Inbegriff dessen,
wozu es der Mensch in seiner Vernunft allenfalls bringt:
Aus den großartigen Verdiensten, die sich sein Verein bei
der Verbreitung und Verankerung von Sitte und Moral
erworben hat, leitet er auch gleich noch ab, dass der
Artikel, für den er missioniert, die maßgebliche
Instanz aller Wahrheitsfindung ist. So wird der Glaube an
den Herrn dann wieder für jedermann verbindlich,
der sich an Universitäten oder sonst wo über etwas den
Kopf zerbricht, das in das große Kapitel mit der
Überschrift das Leben des Menschen
passt – und was
passte in das schon nicht hinein?! Da der Begriff
‚Fundamentalismus‘ für die missionierende Konkurrenz aus
dem Morgenland reserviert ist, müssen wir das wohl
christliche Prinzipienfestigkeit nennen. Diese auch ohne
persönliches Erscheinen an der ‚Sapienza‘ eindrucksvoll
unter Beweis zu stellen, war der 2. Akt der päpstlichen
Performance.
Der abgesagte Auftritt: Eine Schande für Italien, für die Demokratie und die abendländische Kultur überhaupt
Den 3. Akt übernehmen – schon wieder: – stellvertretend
für den Papst persönlich dann alle, die für die
öffentliche Vernunft im Lande und die Maßstäbe, an denen
sie sich auszurichten hat, zuständig sind. Die goldenen
Worte des Papstes sind zwar garantiert keinem entgangen;
aber dass der sie nicht so hat herbeten können
wie vorgesehen, wird von den Repräsentanten der
weltlichen Herrschaft als Anschlag auf alles empfunden,
was ihnen als Kämpfer für die Freiheit der Rede
hoch und heilig ist: Die Staatsregierung ist
schockiert
; der Staatspräsident drückt Ratzinger
schriftlich sein persönliches Bedauern
aus,
spricht von einer unzulässigen Manifestation von
Intoleranz
, die mit einer freien und unaufgeregten
Diskussion unvereinbar
sei; der Ministerpräsident,
äußerst traurig
, hält das angespannte Klima
für untragbar
, das da zwischen einer
ideologisierten Minderheit
von Professoren und
Studenten auf der einen und dem Klerus auf der anderen
Seite eingerissen sei; solches mache keine Ehre für
die Tradition der Bürgertugenden und der Toleranz in
Italien
. Volksvertreter aller Parteien beklagen sich
über die heftige Manifestation von Intoleranz
,
über eine intolerante Minderheit, die Voltaire
vergisst
; sie haben bei solchen Lehrern ihrer Kinder
Angst vor unserer Zukunft
, sehen ein Zeichen der
desolaten Verfassung der italienischen Universität
und konstatieren eine tiefe Verletzung des
Bewusstseins aller Italiener, seien sie katholisch oder
laizistisch
. Berlusconi entdeckt in den Vorkommnissen
eine Schandtat
, die nicht den Papst verletzt
und erniedrigt, sondern die italienische Universität und
insgesamt den Staat
, und der offizielle Sprecher des
Vatikan fasst die Welle der Empörung so zusammen:
„Wir haben es mit einer Art kulturellem Fundamentalismus zu tun, der sich in dieser grundsätzlichen Ablehnung gezeigt hat – eine Dialogverweigerung. Allerdings ist es meines Erachtens unmöglich, Religion und Theologie aus dem gesellschaftlichen Dialog auszuschließen. Deswegen glaube ich, dass diese Angelegenheit nicht so sehr ein Tiefpunkt im Dialog mit der Religion ist, sondern sie ist insgesamt ein Tiefpunkt in der Kulturgeschichte.“
Man fasst es nicht. Ein christlich-klerikaler
Fundamentalist sieht sich durch Professoren, die sich vor
ihm nicht auf den Bauch werfen wollen, und durch die
furchtbare Konfrontation mit ein wenig anti-autoritärem
Studentenulk dermaßen in seiner Ehre beschnitten, dass er
demonstrativ verstummt. Ersatzweise sucht und findet er
sofort andere öffentlichkeitswirksame Kanäle für die
Verbreitung seines Monologs über die Untrennbarkeit von
Glauben und Wissen, Kirche und Welt – und die profanen
Regenten einer Demokratie beziehen das
Kommunikationsproblem mit der weltlichen Gemeinde, das
er sich berechnend macht, unmittelbar auf
sich. Sie sehen die höchsten demokratischen
Heiligtümer der Meinungsfreiheit und Freiheit der
Wissenschaft, der Toleranz und des Pluralismus
angegriffen, für deren Schutz sie stehen – und
zwar nicht durch einen religiösen Dogmatiker,
dem ‚Toleranz‘ absolut wesensfremd ist, der als Kämpfer
für Moral und Sitte einen Dauerkrieg gegen alles führt,
was unter ‚Pluralismus‘ segelt und in eine Kultur der
Beliebigkeit
(Ratzinger)
ausartet, und dem ein Wissen, das die Autorität des
Glaubens zersetzt, ohnehin so verhasst ist wie dem Teufel
das Weihwasser. Nein, die Handvoll von Leuten, die noch
über so viel Restverstand und Bürgertugend verfügen, dass
sie sich nicht auch noch an der Universität vom Oberhaupt
des Katholizismus exorzieren lassen wollen und das auch
laut sagen: Die ausgerechnet wären die
kulturellen Taliban
, die der modernen Zivilisation
einen Tiefpunkt
bescheren!
Das wirft ein schönes Licht darauf, was demokratische
Machthaber an der Tugend der Toleranz und der
Meinungsfreiheit so überaus schätzenswert
finden, die sie ihren Untertanen verordnen. Offenbar ist
den weltlichen Initiatoren und Kontrolleuren der
demokratischen Meinungsbildung von den vielen
Überzeugungen, die sich im bunten Spektrum der erlaubten
‚pluralistischen Meinungsvielfalt‘ tummeln, an einer
‚privaten Meinung‘ ganz besonders gelegen, und zwar an
der, für deren Verbreitung und Verfestigung an vorderster
Front der Heilige Vater unterwegs ist. Atheist darf
durchaus jedermann sein, wenn er mag, den Glauben
verordnen sie keinem; auch selber müssen sie weder
gläubig sein noch sich sonst ausdrücklich für die
kirchliche Botschaft verwenden, obwohl sie das manchmal
schon auch gerne tun, nebenberuflich. Doch darauf, dass
im weltlichen Rechtsstaat und auf Basis einer bleibenden
‚Trennung von Kirche und Staat‘ die christlichen
Seelsorger bei der Kundenwerbung möglichst ungehindert
zum Zuge kommen, passen sie schon auf, und dafür haben
sie ihren guten Grund. Sie schätzen den ideellen
Nutzen, den der Christ aus seinem Glauben für
sich zieht, weil der eine einzige
herrschaftliche Produktivkraft für sie und die
reibungslose Abwicklung aller ihrer Anliegen ist, bei
denen sie ihr Volk einspannen: Nichts Schöneres gibt es
für sie und die Freiheit ihres Regierens, als ein
fügsames Volk, das sich aus freien Stücken auch noch zu
einem sittlich-moralisch gut in Schuss gehaltenen
Kirchenvolk organisiert! Denn wer sich mit sich
und seinen Lebensumständen, über die mit der sehr
irdischen Macht des staatlichen Rechts verfügt wird,
seinen inneren seelischen Frieden verschafft und sich
seinen trostlosen Lebensalltag in nicht mehr zu
überbietender Duldsamkeit auch noch als von Gott
auferlegte Bewährungsprobe zurechtinterpretiert, hat aus
seinen schlechten Erfahrungen einen noch schlechteren
Schluss gezogen – und ergänzt die Opfer, die ihm von den
weltlichen Herren beschert werden, auch noch willig durch
das Verzichtsprogramm, das ihm von vielen Hirten
stellvertretend für den Allerhöchsten auferlegt wird.
Diesen Dienst beschert der Glaube ans Jenseits
den Regenten des Diesseits als Gratisgabe, und damit er
das auch weiter tut, lassen die über den Papst nichts
kommen. Wie gesagt: Den gleich so als unbedingte
Autorität über sich anzuerkennen, wie es der katholischen
Gemeinde in ihren Riten gestattet ist, verlangt man in
einem laizistischen Staat keinem ab. Doch dafür haben die
Laien auch ein wenig dankbar zu sein – und ihre
reservierte Haltung gegenüber dem Papst und dem von ihm
repräsentierten Glauben als ihre ureigene Privatsache
gefälligst bei sich zu behalten. Die oberste Instanz der
so überaus staatsnützlichen sittlichen Gesinnungspflege
des Volks durch öffentliche Distanzierung in ihrer
Autorität anzukratzen, mag zwar nicht verboten sein, ist
aber für eine wahre laizistische Republik und lebendige
Demokratie untragbar. Und wie untragbar so etwas
ist, darüber klären dann die namhaft gemachten
Schutzgüter von der Nation bis zur abendländischen Kultur
auf, die dieser Akt der Intoleranz
verletzt haben
soll. Italiens Zukunft
steht mit dieser kleinen
anti-papistischen Aufwallung gewiss nicht auf dem Spiel;
aber wenn die Vorsteher der Republik das einmal für zwei
Tage so sehen wollen, dann geben sie damit zu verstehen,
dass die Missbilligung und Ächtung eines öffentlichen
Protestes gegen den Papst im Namen der Nation
geboten ist – obwohl die in ihren imperialistischen
Alltagsgeschäften nun wirklich überhaupt nicht auf den
Pfaden des Herrn lustwandelt.
Dieses Interesse, das an ihnen und ihrem Wirken seitens
der weltlichen Macht besteht, ist den Pfaffen natürlich
nicht entgangen, und wo sie einmal recht haben, haben
sogar sie recht: So, wie sie sich mit ihrer Kirche in der
modernen demokratischen Kultur und ihrem
gesellschaftlichen Dialog
überall eingenistet
haben, handelt es sich in der Tat um einen
Tiefpunkt
der Kultur, wenn dem Papst einmal eine
seiner gewichtigen Wortmeldungen nicht so reibungslos wie
gewohnt gelingt.
Und dann noch ein Angelus vom Feinsten
Geduldig und sanft, wie ein Lamm Gottes nun einmal ist,
lässt der Papst seine zutiefst beunruhigte Nation wissen,
dass er in der Angelegenheit zwar schon
verbittert
, ansonsten aber durchaus gefasst und
ruhig
sei. Gerne würde er, nachdem das an der
Universität ja nicht ging, beim nächsten Angelus ein Paar
Worte an seine Gläubigen richten, und die bereiten ihrem
obersten Hirten dann in der Tat die Demonstration der
Freude
, die der PR-Stab des Vatikan in Auftrag gibt:
Mindestens 100 000 Römer stehen ihrem Idol zur Seite und
halten Schilder hoch, auf denen Benedetto, la sapienza
sei tu!
steht.
Geht er also doch noch, der freie und heitere Meinungsaustausch mit dem Papst, den Italiens Staatspräsident stellvertretend für alle Gläubigen und Laien so schmerzlich vermisst hat.