Bilanz der Tarifrunde 1994
Tarifverträge über Beschäftigungssicherung
Standortgemäßer Lohn – vertraglich verankert

Die Gewerkschaft antwortet auf die Forderung der Unternehmerverbände nach einem – wörtlich – „Umbruch“ im Verhältnis von Lohn und Leistung, indem sie selber den Lohn ins Verhältnis zum Mangel an „Beschäftigung“ setzt und statt der üblichen „Anpassungen“ – wg. Inflation etc. – tarifvertragliche „Beschäftigungssicherung“ verlangt, durch Umverteilung von weniger Arbeitszeit und Lohn auf alle. Kombiniert mit den Ansprüchen der Unternehmen als der Bedingung jeder „Beschäftigung“ zeitigt dieses Ideal tarifliche Lohnsenkungen, die weitere Flexibilisierung der Arbeitszeit und die „Öffnung“ der Tarifverträge zur Anpassung an die je betrieblichen Gegebenheiten. Die Gewerkschaft darf diese Entfaltung unternehmerischer Freiheit immerhin als ein Bemühen um „Beschäftigung“ würdigen.

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Bilanz der Tarifrunde 1994
Tarifverträge über Beschäftigungssicherung
Standortgemäßer Lohn – vertraglich verankert

Die Tarifrunde 1994 war noch gar nicht angelaufen, da hatten die gewerkschaftlichen Tarifexperten schon ihre Vorab-Bilanz vorgelegt: „Die Tarifpolitik ist im Umbruch“ (IG Metall-Vize Walter Riester).

Von der Notwendigkeit eines solchen Umbruchs hatten im Vorfeld der Tarifverhandlungen die Unternehmer gesprochen und damit ihre Vorgabe für den angestrebten Ausgang der Tarifrunde gemacht. Der „Umbruch“, den sie meinten, betraf sehr sachgemäß den ökonomischen Gegenstand des alljährlichen Vertragsabschlußes: den Preis der Arbeit, also das, was sie ihrer Belegschaft zahlen, und das, was sie für diese Zahlung an Arbeitszeit und Leistung von ihr verlangen. Ihre Zielrichtung war dabei klar: Sie meldeten ihr Interesse an, den Lohn auf breiter Front zu senken. Ausgedrückt haben sie diesen Anspruch auf Verbilligung der Arbeitskraft mit dem Vergleich der Arbeitskosten, die ihnen deutsche Arbeitnehmer verursachen, mit denen irgendwo im Ausland, vornehmlich in Südostasien und Osteuropa. Ganz müßig die Überlegung, ob sie wirklich ihr Kapital dort anlegen wollen. Es ging ihnen um einen Anspruch, der auf hier gemünzt war: weniger Lohn hier am Standort Deutschland. Unterstrichen haben die Arbeitgeber aus dem Metall-Bereich den Ernst ihrer Absichten mit der Kündigung des Tarifvertrags über die Dauer des Urlaubs und die Zahlung von Urlaubsgeld. Zeitgleich kündigten sie einen erheblichen Revisionsbedarf an in Bezug auf die Anzahl der Kräfte, die sie profitlich anwenden. Sie stellten klar, daß die kapitalgemäße Art, Leute zu beschäftigen, immer und zur Zeit erst recht einen großen Teil von denen überflüssig macht. Das hat zwar nichts mit dem Tarifvertrag zu tun – Entlassungen werden nicht vereinbart, sondern gemacht –, sollte aber schon auf die Verhandlungen hin gesprochen sein. Und zwar in dem Sinne, daß die Unternehmer einen notwendigen Zusammenhang zwischen den beiden Seiten ihres Änderungsbedarfs behaupteten. Sie vermeldeten, daß die angepeilten Entlassungen nur deswegen notwendig wären, weil die Löhne in Deutschland zu hoch ausfielen. Daß sie mit diesen Löhnen ihr legendäres Kapitalwachstum herausgewirtschaftet haben, stimmt zwar; aber als zu widerlegendes Argument war ihr Einfall sowieso nicht gedacht. Es ging ihnen um um ihr Interesse an billigerer Arbeit und die Heuchelei, weniger Lohn läge im wohlverstandenen Eigeninteresse der abhängig Beschäftigten selber.

Soweit die Vorgabe der Arbeitgeberseite. Der hat sich die Gewerkschaft gestellt mit der bereits zitierten Auffassung: „Die Tarifpolitik ist im Umbruch“. Sie verspürte – ganz das Spiegelbild des angekündigten unternehmerischen Angriffs auf den Lebensunterhalt der Arbeiterschaft – einen dringlichen tarifpolitischen Umstellungsbedarf. Wenn die Ansprüche derjenigen, die über Lohn und Arbeitszeit der gewerkschaftlichen Klientel verfügen, wachsen – dann müssen eben die Tarifverträge angepaßt werden! Im Gewerkschaftsdeutsch: „Wenn es aber so ist, daß das tarifvertragliche Regelungswerk den … Realitäten immer weniger entspricht, dann kann es nicht verwundern, daß einzelne Betriebe und Unternehmen aus diesem Tarifwerk ausbrechen…Es bedarf einer Neujustierung des Flächentarifvertrags“ (Riester).

Es ist also offensichtlich doch keine üble Nachrede, sondern schlicht ein Stück Wahrheit über die gewerkschaftliche Tarifpolitik, daß diese schon längst im Nachvollzug dessen besteht, was vom Unternehmerinteresse her an Korrekturen, den Preis der Arbeit betreffend, auf die Tagesordnung gesetzt wird. Für diesesmal entdeckte die Gewerkschaft – flächendeckend seit Beginn dieser Tarifrunde – den Lohn, so wie er in den vorangegangenen Tarifrunden fest- und fortgeschrieben wurde, als Hindernis für die Beschäftigung der Entlohnten. Die praktisch interessierte Ideologie des Unternehmerverbandes – zu wenig Beschäftigung wegen zuviel Lohn – avancierte damit zum gewerkschaftlichen Einstieg in die Tarifrunde; auf sie ist sie angesprungen mit ihrem Bedürfnis nach „Neujustierungen“ in Sachen Lohn und Arbeitszeit.

So kam der gesamtgewerkschaftliche Vorstoß auf den Tisch, diesmal ginge es in der Tarifrunde darum, Verträge über „Beschäftigungssicherung“ abzuschließen. Unter Verweis auf das „Modell VW“[1] startete die Gewerkschaft die Anfrage, ob nicht die beiden Tarifparteien, in Ansehung der wachsenden Arbeitslosenzahlen, dem „Beschäftigungsnotstand“ in den Betrieben Rechnung tragen müßten. Klar war ihr also von vorneherein, daß diese Tarifrunde in Anbetracht des ausgemachten „Notstands“ in puncto Lohn Zugeständnisse von ihrer Seite verlangte.

Neu war ihr „Beschäftigungs“-Antrag an die Unternehmerseite insofern, als sie ihr damit einen anderen Umgang in Bezug auf die angekündigten Entlassungen nahebringen wollte. Das Projekt einer „sozialen Arbeitszeitverteilung“ schlägt vor, die vom Kapital gewollte Verringerung der Lohnkosten nicht durch Entlassungen, also durch die Reduzierung der Gesamtbelegschaft zu realisieren, sondern dadurch, daß man die ganze Belegschaft oder Teile davon für weniger Geld kürzer arbeiten läßt und so die gewünschte Lohnkostensenkung zustandebringt. Die kleine Zwickmühle bei dieser gewerkschaftlichen Offerte besteht nun darin, daß die Unternehmer, die für diese Alternative eingenommen werden müssen, von sich aus gar keinen Mangel verspüren: Getreu der kapitalistischen Rechnungsart, daß sich der Preis der Arbeit rentieren muß, er ansonsten nicht gezahlt wird, entlassen sie – ob aus Krisengründen, ob aus Rationalisierungserwägungen – die Köpfe, die sich nicht rechnen. Deswegen geht die Gewerkschaft daran, vorzurechnen, daß ihre Alternative mindestens genauso gut, wenn nicht besser ist.

Auf alle Fälle, so Punkt 1 der Gegenrechnung, kommt mit ihrem Konzept der Arbeitgeber kostenmäßig genauso gut weg. Wenn die Leute kürzer arbeiten und anteilig weniger Lohn kriegen, so spart sich ja der Unternehmer die Lohnkosten, genauso wie im Falle der Entlassungen. Aber wo ist der Vorteil? Punkt 2: Man muß die Unternehmer an ihrem Geldbeutel und an ihrer Ehre packen. Und so legt die Gewerkschaft los: man spare sich Sozialplan-Kosten, die bei Entlassungen anfallen; man spare sich Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld; wer weniger arbeitet, arbeitet besser und „motivierter“ (also intensiver); wenn die Arbeitszeit neu auf die Köpfe verteilt wird, kann in neuen oder zusätzlichen Schichten flexibler gearbeitet werden. Die Gewerkschaft gerät ins Schwärmen: Und wenn der Betrieb wieder mehr Arbeitskräfte braucht, hat er seine eingespielte Mannschaft bei der Hand, die auf Knopfdruck dann wieder länger arbeiten kann. Mehr noch: Auch staatliche Kosten für Arbeitslosengeld können eingespart werden. Usw.usf. Lauter ausgepinselte Vorteile für die Unternehmer und die Staatskasse kommen da zusammen; die Auswirkungen solcher Alternativen auf den Lebensunterhalt der Arbeitermannschaft werden als Problem gewürdigt, das es nun also gibt und über das man sich so seine Gedanken macht: Daß die Arbeiter geschädigt werden, ist sowieso der gewußte und akzeptierte Ausgangspunkt der Chose.

Auf alle Fälle hat sich die Gewerkschaft mit ihren Verbesserungsvorschlägen in die Entlassungsabsichten der Unternehmer einmischen und für sich ein neues Feld der Regelung aufschließen wollen. Und zwar eben eines, das den angemeldeten Ansprüchen der Unternehmer genügt und dem gewerkschaftlichen Gesichtspunkt einer höheren volks- und betriebswirtschaftlichen Vernunft in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit gerecht wird.

Ob der Tarifpartner von der Arbeitgeberseite der Gewerkschaft den Gefallen tut und ihren Gesichtspunkt anerkennt, das war dann einige Monate zwischen Beginn und Ende der Tarifrunde der eigentlich strittige Punkt. Kein Arbeitgeberverband ließ es sich im Verlauf der Verhandlungen nehmen, die wohlmeinende Gewerkschaft wenigstens einmal demonstrativ abblitzen zu lassen. Z.B. bei Stahl: „Die Forderung nach einer Beschäftigungssicherung in der Branche könne sich die IG Metall abschminken, gibt sich der Präsident des Unternehmerverbandes Ruprecht Vondran zu verstehen. Der Kostenrucksack müsse noch um einiges erleichtert werden. Ob es die Gewerkschaften gerne hören oder nicht, hier stehen die Personalkosten an erster Stelle“ (FR, 21.4.94, zwei Tage vor dem Tarifabschluß). Daß dann doch überall ein Tarifvertrag zustandekam, in dessen Präambel irgendwie die Rede von „Beschäftigungssicherung oder -förderung“ war, feierte die Gewerkschaft als ihren Sieg. Und in der Tat: Die Arbeitgeber ließen sich, gar nicht mal unumstritten in ihren eigenen Reihen, schließlich herbei, tarifvertraglich der Überprüfung zuzustimmen, ob im Einzelfalle so etwas wie das VW-Modell zu machen geht – und ansonsten dem gewerkschaftlich gewünschten Titel für das, was sie in dieser Tarifrunde dem materiellen Inhalt nach wollten und durchgesetzt haben, Respekt zu zollen.

Offensichtlich hat sich da die Einsicht durchgesetzt, daß – wer in der Sache seinen unversöhnlichen Standpunkt durchziehen kann – sich in der Methode ein Nachgeben leisten kann. Die Erinnerung an den unbestreitbaren Nutzen, der sich aus der bewährten tarifpartnerschaftlichen Neufestsetzung des Preises der Arbeit ergibt, hat da ihre Wirkung getan. Weil und insofern die Gewerkschaft den von der anderen Seite eingeforderten Umbau an der Lohn- und Arbeitszeitfront im Namen der in ihr vereinigten Arbeiter organisiert und so auf den rechtlich geregelten Vollzug dieses Umbaus achtet, ist sie benutzbar.[2] Also haben die Unternehmer letztendlich an der Inszenierung des Gewerkschaftsstücks „Umbruch der Tarifpolitik“ mitgewirkt – nicht ohne auch noch ihre diesbezügliche Berechnung mit zu Protokoll zu geben: „Die bewährte tarifliche Friedenspflicht darf nicht aufgegeben, die Tarifkonflikte dürfen nicht auf die Betriebe abgewälzt werden“ (Gottschol von Gesamtmetall).

So kamen sie denn zustande: die Tarifverträge über Beschäftigungssicherung.[3] Mit folgenden Konsequenzen:

Beschäftigungssicherung = weniger Lohn

„Vorrang der Beschäftigung vor Lohnprozenten“, so wird die praktische Absicht bekanntgemacht, der sich die Entdeckung des Lohns als Hemmnis für den Profit verdankt. Und da geht es nicht um irgendeinen „Vorrang“ vor dem Lohn (so als käme da noch was nach), sondern um ein klares statt, also auf Kosten des Lohns.

Der ideologische Bezug auf die Löhne als Grund der Arbeitslosigkeit tut seine praktischen Dienste. Der Tarifvertrag macht sich zur Aufgabe, das durchzusetzen, was Marx als den Nutzen erklärt hat, den die Arbeitgeber aus den von ihnen produzierten Entlassungen ziehen. Die Notlage von Arbeitslosen verschärft den Druck auf die Löhne der noch „Aktiven“: „Im großen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohns ausschließlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Zyklus entsprechen. Sie sind bestimmt … durch das wechselnde Verhältnis, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt“ (MEW 23, S. 666).

Und die Tarifparteien regulieren die praktische Gültigkeit dieser kapitalistischen Gesetzmäßigkeit. Sie schreiben die Lohnsenkung im Tarifvertrag fest. Mit dem diesjährigen Tarifergebnis zerbröselt endgültig der gewerkschaftlich genährte, während vergangener Tarifrunden noch mühsam aufrechterhaltene Anschein, das bisherige allgemeine Lohnniveau – als Grundlage einer ausgeprägten Lohndifferenzierung in x Lohngruppen – wäre so etwas wie eine ununterschreitbare Mindestbedingung für die Bezahlung von Arbeitskraft. Kaum entdecken die Unternehmer, genau das wäre eine einzige Schranke für sie, ist diese „Schranke“, die also gar keine ist, weg. Offensichtlich hält auch die Gewerkschaft ihre „Errungenschaft“ eines Tariflohnes mit tariflichen Zusatzleistungen für so etwas ähnliches wie eine „Schönwetterveranstaltung“, die heutzutage nicht mehr geht. Auf alle Fälle hat sie im Vorfeld der Tarifrunde damit begonnen, das kapitalistische Wachstum der Nachkriegszeit als Sonderlage und die in ihr herrschende „Vollbeschäftigung“ als Ausnahmezustand zu charakterisieren. Und das in der eindeutigen Absicht, das Zeitalter „ständig steigender Löhne“ für beendet zu erklären. Sie hat spitzgekriegt, daß diese Tarifrunde neue Lohnstandards auf Dauer setzen soll – und deswegen will sie diesmal erst gar nicht mehr wie früher einen verlogenen Wechsel auf die Zukunft (jetzt weniger Lohn, damit später wieder was geht) ausstellen. Lieber warnt der DGB-Vorsitzende am 1. Mai davor, sich von einem Konjunkturaufschwung weniger Arbeitslose zu erwarten.

Und so sehen sie aus, die neuen Standards:

a) Tarifrunde, das heißt – hieß zumindest bisher – die Vereinbarung einer Nominallohnerhöhung um eine allgemeingültige Zahl. Daß diese Zahl – mal 6%, mal 3%, in jedem Fall immer in Abhängigkeit von der Konjunkturlage und daran orientiert, was sich die konkurrenzmäßig schwächsten Kapitale leisten konnten – die Unternehmer nie gedrückt hat, ist daran kenntlich, daß sie in der Regel übertariflich das gezahlt haben, was ihnen in den Kram gepaßt hat. Doch für dieses Mal hatten die Unternehmer beschlossen, ein sichtbares Zeichen zu setzen: Eigentlich geht gar keine allgemeine Nominallohn-Erhöhung. Dem hat die Gewerkschaft sich angeschlossen. In der letzten der größeren Branchen, die zu verhandeln waren, in der Stahlbranche, hat denn auch die IG Metall den Ende April 1994 ausgelaufenen Lohn-Tarifvertrag gar nicht erst gekündigt, um auch der Form nach zu beweisen, was sie für den Standort Deutschland als unverzichtbar ansieht: am besten überhaupt keine Lohnforderung.

Dort, wo es eine gab, fiel sie quer durch alle Branchen rein symbolisch aus. 2% hieß die Ziffer. Und sie blieb als diese allgemeine Zahl unverrückbar stehen, auch wenn die Tarifparteien sich redlich mühten, dem Scherz gerecht zu werden, daß man auch dann noch von 2% jährlich sprechen kann, wenn es zumindest für 1 Monat diese 2% gibt. Es wurden, etwa von der ÖTV, bis zu acht Nullmonate sowie verlängerte Laufzeiten – also Nullmonate für die nächste Tarifrunde – verabredet.

Auch um die „Angleichung“ der Ost- an die Westlöhne haben sich die Tarifparteien verdient gemacht. Sie haben eine verschärfte Fortschreibung des subnationalen Lohngefälles beschlossen: Die Ostlöhne werden als Sonderlöhne unterhalb der Westlöhne durch die Vereinbarung von Trippelschritten der „Angleichung“ festgeschrieben (im ÖTV-Bereich z.B. jährlich um 2%). Kombiniert mit den Lohnvereinbarungen (West) wird sich der Westlohn schon noch an den Ostlohn angleichen!

Und zu noch etwas waren die 2% gut: Sie mußten „kompensiert“ werden, weil ja eigentlich die Null (in der tarifpolitischen Farbenlehre: die rote Null der Arbeitgeber und die schwarze Null der Gewerkschaft) anstand:

b) Die beiden vom Umfang her gewichtigsten tariflichen „Lohnzusatzleistungen“, die so heißen, weil sie die Arbeitgeber immer schon als gnädigen Zusatz zum „eigentlich“ angemessenen Lohn betrachteten, wiewohl sie längst zum Bestandteil des Lebensunterhalts der Arbeiter geworden sind, wurden per Tarifvertrag gekürzt: das Urlaubsgeld und die betriebliche Sonderzahlung (=Weihnachtsgeld bzw. 13. Gehalt).

Z.B. im Metall-Bereich so: „Für das Jahr 1994 wird die betriebliche Sonderzahlung in jeder Stufe um 10% abgesenkt“. Zusätzlich wurde auf zweifache Art und Weise die Berechnungsbasis für die Auszahlung verringert. Zum einen wird für Urlaubsgeld und betriebliche Sonderzahlung auf 3 Jahre hin die Tarifgröße zugrundegelegt, die vor der jetzigen Nominal-Erhöhung von 2% gilt (woran man sieht, wieviel der Gewerkschaft ihr Argument wert ist, eine – wenn auch hinausgeschobene – Lohnerhöhung würde dann wenigstens späteren Lohnzahlungen zugrundegelegt). Zum anderen werden, ebenfalls für drei Jahre, bei der Berechnung der betrieblichen Sonderzahlung die Mehrarbeitsvergütung und Mehrarbeitszuschläge nicht berücksichtigt. Daß dafür in bestehende (Mantel-)Tarifverträge eingegriffen wird – die also solange unveränderlich gelten, bis sie verändert werden –, ist ein tarifautonom beschlossener „Anpassungsbedarf“ und insofern mit einem staatlichen „Eingriff in bestehende Verträge“, der die Gewerkschaft sonst schon mal aufstöhnen läßt, nicht zu verwechseln.

Unwahr ist auf alle Fälle, daß das Urlaubsgeld-Abkommen, das die Kapitalisten gekündigt hatten (was die Gewerkschaft als ungerechtfertigtes Mißtrauensvotum in Bezug auf ihre Verläßlichkeit wertete), unverändert wieder in Kraft gesetzt worden ist. In ihrer Ehrpusseligkeit – Tarifverträge kündigen nur wir! – hat da die IG Metall ein bißchen getrickst. Sie zitiert in einer Mitteilung an ihre Mitglieder den Tarifvertrag so: „Die gekündigten Bestimmungen über Urlaub, Urlaubsvergütung und zusätzliches Urlaubsgeld werden … unverändert in Kraft gesetzt“. Die drei Pünktchen stehen für die oben angegebene Veränderung. Wahr ist: Gravierender als beim Urlaubsgeld fiel die Verschlechterung bei der betrieblichen Sonderzahlung aus; aber die war ja auch nicht von den Unternehmern gekündigt gewesen!

c) Die Bezahlung unter Tarif war bisher ein gewerkschaftliches Tabu. Das muß allerdings daran gelegen haben, daß es die Unternehmer bisher nicht gebrochen haben. Denn kaum ist die Tarifbezahlung von den Unternehmern als Schranke entdeckt, erweist sie sich als eine rein formelle Beschränkung, die auch wegfallen kann. Die IG Chemie hat in der Hinsicht Vorreiter gespielt: die Bezahlung unter Tarif ist jetzt Bestandteil des Tarifvertrags. Für Neueingestellte gilt: im ersten Beschäftigungsjahr kriegen sie weniger, und weil die Gewerkschaft nur zu gut weiß, daß das der Verarmung von Lohnarbeitern einen Schub gibt, vereinbart sie eine recht neue Art von sozialer Komponente: sie staffelt diesen Schub. So kriegen die unteren Lohngruppen weniger weniger (5%) als die oberen Lohngruppen (7,5%). Wer allerdings das Pech gehabt hat, sechs Monate arbeitslos gewesen zu sein, bekommt 10% weniger.

Mit dieser Vereinbarung ist das gesamte Lohnniveau auf Dauer abgesenkt und auch die sog. Lohnstruktur, also die Lohndifferenzierung, verändert: am unteren Ende der Lohnskala sind de facto die vor einigen Jahren unter einigem gewerkschaftlichen Getöse abgeschafften Niedrig-Lohngruppen wieder eingeführt – offenbar nahm damals schon die Gewerkschaft weniger Anstoß am Niedrig-Lohn als daran, daß das „Tarifgefüge“ gegen die vergleichende Gerechtigkeit verstößt. Jetzt verstößt es gegen die „Beschäftigungssicherung“.

Die Schlußbilanz der Arbeitgeber für die Tarifrunde 1994 (Abteilung Lohn) lautete nicht, wie bei der Gewerkschaft, auf „Sieg“, sondern auf Weitermachen: „Ich meine aber, daß wir schon bis zum Jahr 2000 brauchen werden, bis das deutsche Tarifmodell den internationalen Bedingungen angepaßt worden ist“ (Murmann im Handelsblatt, 25.3.94). Der Urlaub ist noch gar nicht aus dem Gespräch, die Betriebsrenten sind neu im Gespräch usw. Die Tarifautonomie hat sich ja modellhaft bewährt.

Währenddessen beklagt sich die Gewerkschaft vorsorglich darüber, daß ihr Tarifpartner schon wieder über Kürzungen redet, noch kaum daß die Tinte unterm Vertrag trocken ist. Dem ist zu entnehmen, daß sie wieder auf einiges gefaßt ist. Sie weiß eben nur zu gut, was auf die Leute noch alles zukommt; schließlich hat sie den lohnmäßigen „Änderungsbedarf“ unter dem anspruchsvollen Titel: „Tarifpolitik im Umbruch“ gerade selber mit in die Wege geleitet.

Beschäftigungssicherung = Entlassungen plus konjunkturflexible Arbeitszeiten

Die Verknüpfung von „Beschäftigung“ mit Lohn, die den alten gewerkschaftlichen Spruch: „Lohnverzicht sichert keine Arbeitsplätze“ konstruktiv verlängert in „…aber er sichert Beschäftigung“, erweist sich noch in einer zweiten Hinsicht als produktiv. Mit ihr wurden Arbeitszeitbestimmungen Gegenstand der Tarifrunde, die ansonsten – als Manteltarifvereinbarungen – dieses Jahr gar nicht zur Verhandlung gestanden wären. Unter der Überschrift „Absenkung der Arbeitszeit zur Beschäftigungssicherung“ standen sie dann zur Verhandlung.

Mit einem doppelten Resultat. Zum einen wurden bestehende Flexibilisierungsregelungen ausgebaut. Zum anderen wurden dort, wo die Unternehmer dem Antrag der Gewerkschaft stattgegeben haben, einer Alternative bzw. Ergänzung zu Entlassungen im Bedarfsfall zuzustimmen, neue Flexibilisierungsmöglichkeiten geschaffen.

Und die werden dann geschaffen, wenn sich der einzelne Betrieb entscheidet, bei der Abwicklung der beschlossenen Reduzierung des gesamtbetrieblichen Quantums an bezahlten Arbeitsstunden das gewerkschaftlich gewollte neue Verfahren einer „sozialen Arbeitszeitverteilung“ anzuwenden. Dann gibt es Vereinbarungen, die „die Betriebsparteien durch freiwillige Betriebsvereinbarungen“ (Verhandlungsergebnis Metall) treffen. Daß der Tarifvertrag dafür nur ein „Rahmenvertrag“ sein kann, der „vertraglich fixierte Optionen“ für alle möglichen Betriebsvereinbarungen enthält, das war der Gewerkschaft von Haus aus klar, als sie sich dieses neue Tariffeld unbedingt erschließen wollte. Denn was beim Lohn und bei der Festlegung eines Durchschnittsarbeitstages tarifvertraglich zu machen geht – eine Vorgabe für alle –, das ist bei dieser Verhandlungsmaterie für die Unternehmer von vorneherein ausgeschlossen. Die Sicherung der Beschäftigung der Belegschaft – wenn auch nur bedingt und befristet – allgemein vorzugeben, das geht auf keinen Fall mitten im Kapitalismus, dem es auf profitable Beschäftigung ankommt und der deswegen einen dauerhaft gesicherten Lebensunterhalt einfach nicht bieten kann. Nein, nach einer solchen Störung eines ehernen Grundsatzes der Marktwirtschaft steht garantiert niemand der Sinn im Standort Deutschland.

Insofern ist es der Sache schon angemessen, daß solche „Beschäftigungsmodelle“ von den Betriebsparteien, also den Geschäftsführungen und Betriebsräten, auf ihre zeitlich befristete betriebliche Machbarkeit geprüft und im Bedarfsfall abgeschlossen werden. Und die Gewerkschaft wäre nicht die Gewerkschaft, wenn sie nicht auch dies als „innovative Tarifpolitik“ feiern würde. Zur „Neujustierung“ des Tarifvertrages gehört nach ihrem Bekunden jetzt eben auch die betriebliche Anwendung und Gestaltung des Vertragswesens, also das, was sie bis gestern noch als Gefahr für den Einheitstarifvertrag ausgepinselt hat. Heute handelt es sich stattdessen um eine „Spiegelung dessen, was die Arbeitgeber und die Belegschaften wirklich wollen“ (IG Metall-Sprecher Barcynski).

Im einzelnen kann folgendes „gewollt“ werden:

a) In Bezug auf die Länge der Arbeitszeit ist das drin, was die Betriebsparteien für ihren jeweiligen Betrieb an Arbeitszeit haben wollen. Mit „Arbeitszeitkorridoren“ zwischen 30 und 40 Stunden sowie der Verlängerung der „Ausgleichszeiträume für die ungleichmäßige Verteilung der Arbeitszeit“ auf bis zu ein Jahr (in einem Fall auf bis zu drei Jahre) ist so gut wie jede tarifliche Wochenarbeitszeit zu haben. Und die einzelnen Gewerkschaften brauchen keine Angst mehr vor „tarifpolitischem Wildwuchs“ zu haben. Eine schon vor dem Tarifvertrag abgeschlossene Betriebsvereinbarung bei einem Maschinenbauer namens Schlafhorst ist jetzt als tarifvertraglicher Anwendungsfall wieder „eingefangen“: Die Firma läßt seit dem Januar 1994 die Arbeitszeit zwischen 32 und 48 Stunden schwanken. Damals war das noch ein Verstoß gegen den Tarifvertrag – von der Gewerkschaft schon zu diesem Zeitpunkt verständnisvoll so kommentiert: „Hätte die IGM einen Firmentarifvertrag abgeschlossen, so würde ein solcher Vertrag sich vielleicht in Einzelheiten unterschieden haben, aber das Ergebnis wäre ähnlich gewesen“ –, jetzt braucht es keinen Firmentarifvertrag, sondern die Sache ist durch die allgemeine Rahmenregelung hinreichend abgedeckt.

b) Um es den Unternehmern schmackhaft zu machen, ihr erprobtes „Rezept“ der Reduktion des gesamtbetrieblich verausgabten variablen Kapitals durch Entlassungen um andere Regelungen zu ergänzen, haben sich die einzelnen Gewerkschaften einiges an „Modellen“ einfallen lassen.

Im Metall-Bereich gibt es da die Wahlmöglichkeit zwischen der Arbeitszeitreduzierung für den Gesamtbetrieb bzw. für Betriebsteile, einzelne Abteilungen und bestimmte Beschäftigtengruppen. Da kann der Betrieb die eine Abteilung 32 Stunden arbeiten lassen (und dies z.B. für neue Schichtmodelle nutzen, Marke VW: „Arbeitszeitmodell gestartet. In Halle 54, wo 7000 Beschäftigte Autos montieren, wird teilweise in vier Schichten gearbeitet, also die ganze Nacht hindurch.“) und dies durch einen 40-Stunden-Tag in anderen Abteilungen ergänzen; für letzteres gibt es z.B. die Regelung aus dem vorletzten Tarifvertrag, daß das für 13% – 18% der Belegschaft von Haus aus geht. Und auch die Kombination mit Kündigungen ist eine geregelte Option. Das liest sich im Vertrag so: „Sollten im Einzelfall Kündigungen dennoch nicht zu vermeiden sein, so werden sich die Betriebsparteien darum bemühen (sic!), daß dem Arbeitnehmer infolge der verkürzten Arbeitszeit kein Nachteil bei dem Bezug von Arbeitslosengeld entsteht“. Na also: Auch fromme Wünsche lassen sich tarifvertraglich festschreiben.

Im ÖTV-Abschluß ist die Absenkung der Arbeitszeit von 40 auf bis zu 32 Stunden für die Ostzone vereinbart. Und sie ist für dort ausdrücklich deswegen vereinbart, um den „aufgeblähten“ Öffentlichen Dienst um 30% Personal(kosten) zu erleichtern. Die Teilarbeits-Regelung soll also dem Anliegen des staatlichen Sparens an den Kosten des Lebensunterhalts von mehreren tausenden Leuten Schützenhilfe leisten.

Auch die Regelungen über die „Übernahme“ von Auszubildenden ist in dieser Hinsicht aufschlußreich. Sie findet unter der „Bedingung“ statt, daß die Betriebe sie sich leisten mögen – und sind von Haus aus auf befristete Zeitverträge abgestellt, also auf Entlassungen eingestellt: „Für mindestens 6 Monate“ heißt es im Metall-Tarifvertrag und im Bedarfsfall als Teilzeitregelung. Die Begründung der Gewerkschaft: so erwerben die Jugendarbeitslosen Anspruch auf Arbeitslosengeld!

Schlußendlich soll es künftig vermehrt Jahresarbeitszeitregelungen (entsprechende Verhandlungen beim Bau laufen an) und Regelungen für den Ausbau von Teilzeitarbeit (z.B. im Öffentlichen Dienst) geben. Und wenn dergleichen noch gar nicht so recht betrieblich eingeführt oder durchgesetzt ist – dann sieht sich die Gewerkschaft erneut „herausgefordert“. Und zwar auf die bewährte Weise, auf alle Fälle schon einmal einen Regelungsbedarf für solche Sachverhalte anzumelden. Ungefähr in diesem Sinne: Wo eine Regelung, da auch ein Bedarf. Umgekehrt kann dann schon ein Schuh draus werden.

c) Das bisherige Prinzip der lohnmäßigen Kompensation bei abweichenden Arbeitszeiten (Überstundenzuschläge für Überstunden, Lohnausgleich für Arbeitszeitverkürzung) ist aufgegeben. Hieß es noch kürzlich in der Gewerkschaftszeitung „metall“: „Unternehmer pressen von Belegschaften und Betriebsräten „freiwillige“ (mit Anführungsstrichen) Vereinbarungen ab, nach denen das Tarifeinkommen unter und die tarifliche Arbeitszeit überschritten wird“, so gilt jetzt ohne Anführungsstriche: Genau das geht tarifvertraglich.

Und es geht nach beiden Seiten hin ohne Lohnausgleich, womit der tarifliche Zusammenhang zwischen Normalarbeitstag und Normallohn gestrichen ist. Die Unterschreitung des Normalarbeitstages erfolgt entweder ganz ohne Lohnausgleich oder mit einem Teil-Lohnausgleich.[4]

Und die Überschreitung des Normalarbeitstags wird im erweiterten Umfange ohne Überstundenzuschläge abgewickelt: Bei der IG Chemie z.B. ist die Heraufsetzung der jetzt gültigen 37,5 Stunden-Woche auf 40 Stunden ohne Zuschlag zu haben.

Man sieht: Die Tarif-Epoche der Arbeitszeitverkürzung mit Lohnausgleich ist vorbei. Die Arbeitgeber haben während der Tarifrunde demonstrativ dem Antrag der Gewerkschaft, den vereinbarten letzten Schritt auf die legendäre „35“ doch um ein Jahr vorzuziehen, partout nicht stattgeben wollen, und zwar mit dem Hinweis auf den damals kontrahierten, aus Sicht der neuen Tarifvertragslage aber zum unverzeihlichen Fehler erklärten Lohnausgleich. (Dort, wo das Vorziehen passiert ist – im Stahlbereich –, wurden zum Ausgleich des Lohnausgleichs Kürzungen des Weihnachtsgelds verabredet).

***

Was das alles mit „Beschäftigungssicherung“ zu tun hat? Die Beschäftigung von Lohnarbeitern ist sicher, weil und solange die Leute vom Anwender ihrer Arbeitskraft gebraucht werden; sie bleibt in „Kurzarbeitszeiten“ sicher, wenn sie soviel weniger Lohn kriegen, daß sie die Unternehmer nicht entlassen – oder dann doch.

Daß „Beschäftigung“ dabei gar nichts anderes ist als der national anerkannte Titel für die Unternehmerfreiheit, über Lohn und Arbeitszeit flexibel zu verfügen, daß dieser Titel damit der ideologische Name für den diesbezüglichen Freibrief darstellt, das weiß die Gewerkschaft immer dann ganz genau, wenn sie über eine Maßnahme redet, die sie nicht zu verantworten hat; über das kürzlich verabschiedete Arbeitszeitgesetz fällt sie ein Urteil, das haargenau auf ihre Tarifrundenaktivitäten paßt: „Das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit wird durch die Formulierung: ‚…wenn nachweisbar die Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem Ausland wegen längerer Betriebszeiten beeinträchtigt ist und durch die Genehmigung der Sonn- und Feiertagsarbeit die Beschäftigung gesichert werden kann‘ praktisch aufgehoben. Durch diesen Freibrief ist Sonn- und Feiertagsarbeit jederzeit möglich.“ (Der Gewerkschafter, 3/94).

Die Verträge über Beschäftigungssicherung machen ihrerseits etwas „jederzeit möglich“, was exklusiv in die Regelungskompetenz der Tarifparteien fällt: Jede Sorte Arbeitszeit ist drin – und vor allem: Sie ist ohne Lohnausgleich drin. Es gibt Beschäftigung, aber den üblichen Lohn, der für den Lebensunterhalt sorgen muß, den gibt es nicht mehr. Die Modelle der „sozialen Arbeitszeitverteilung“ sind von den Unternehmern nämlich unter die Vorgabe gestellt: Sie gehen, wenn ihr Prinzip unumschränkt gilt. Und das lautet: Aus der rentablen Arbeitszeit ergibt sich der Lohn und aus sonst gar nichts. Und die Gewerkschaften haben ihren Mitgliedern den Vergleich mit einem: „Sonst seid Ihr ganz arbeitslos!“ aufgemacht, haben also auf die Gültigkeit dieses Prinzips gedrängt.

So heben die Vereinbarungen ganz offiziell und gewerkschaftlich organisiert die Grenze zwischen der Arbeit – als Normalarbeitsverhältnis – und der Arbeitslosigkeit auf. Sie koppeln endgültig die Arbeitszeitveränderung (und zwar ihre Verkürzung und Verlängerung) von einem lohnmäßigen Ausgleich ab und greifen damit alle bisherigen Standards an, mit denen sich die Arbeiter im Schnitt ihre Zeit und ihr Geld eingeteilt haben. Zahlungen unterhalb des bisher bezogenen Lohnes sind dann nicht mehr nur auf die Zeiten der Arbeitslosigkeit beschränkt, sondern erstrecken sich auch auf die Zeit des Arbeitens unter den Bedingungen der neuen Arbeitsmodelle. Abstriche vom bisherigen Lebensstandard: So buchstabiert sich der Inhalt von Beschäftigungssicherung.

So kommt Tarifrunde für Tarifrunde der Umbau an der bundesdeutschen Lohnfront voran. Denn das hat mittlerweile Tradition: Die Gewerkschaften unterschreiben in ihren Tarifverträgen das, was die Lohnarbeiter auch so – als gäbe es diese Vereine gar nicht – von ihren Arbeitgebern an Lohn, Arbeitszeit und Leistungsanforderungen aufgebrummt bekommen.

[1] Das „Arbeitszeitmodell von VW“ analysiert der Artikel „Zuviel Kapital – weniger Arbeit – mehr Armut“ in GegenStandpunkt 4-93, S.91.

[2] Unübersehbar ist, daß die Arbeitgeberverbände da eine Doppelstrategie fahren. Sie wollen die Einzelgewerkschaften benutzen und klein machen zugleich. Letzteres läßt sich am Bundesverband Druck studieren: Während die Tarifrunde im großen und ganzen längst vorbei ist, wird sie in der Druckindustrie über Wochen und Monate hinweg am Laufen gehalten. Für Streit sorgt dort die demonstrative Weigerung der Arbeitgeber, mit der IG Medien, die nach ihrem Geschmack immer noch nicht entschieden genug auf der allgemeinen Gewerkschaftslinie ist, überhaupt über deren Forderungen in Bezug auf den Manteltarifvertrag zu verhandeln. Entsprechend grundsätzlich und gerade auch in der Methode unversöhnlich geht der Verhandlungsführer der Arbeitgeber dort zu Werk: „Aber Hensche (IG Medien-Vorsitzender) will im Grunde ein sozialistisches Modell und mißbraucht die Tarifpolitik…“ (FR, 29.4.94).

[3] Den Nachweis einer Nützlichkeit der Tarifabschlüsse für irgendein Arbeiterinteresse hat gerechterweise niemand versucht. Die Bild-Zeitung sah den Wert der Verträge gleich auf einer ganz anderen Ebene. Vom Standpunkt der „Politikverdrossenheit“, also von der Warte des unbefriedigten Nationalisten aus, lobte sie die Tarifparteien unter der Überschrift „Die wahren Hoffnungsträger“: „Die wirklichen Aktionsprogramme für die deutsche Wirtschaft werden ganz woanders geschrieben als in der Politik… Die Tarifpartner haben Verantwortungsbewußtsein, Phantasie und Handlungsfähigkeit bewiesen“. Einigkeit der Tarifparteien statt Streit und Streik, entschlossenes Handeln statt mangelnder Führungskraft, ehrliches Abverlangen von Opfern statt Taktiererei: das gefällt den Freunden einer auf Opfer gegründeten Volksgemeinschaft.

[4] Letzteres ist vereinbart im Metall-Tarifvertrag, der den bereits erwähnten Unterschied aufmacht zwischen einer Arbeitszeitreduzierung im gesamten Betrieb (bedingter Kündigungsschutz/kein Lohnausgleich) bzw. in einem Betriebsteil (kein Kündigungsschutz/Teillohnausgleich). Dafür gibt es pro Stunde der Reduzierung einen abgestuften „Ausgleich“ – das ergibt bei 30 Stunden einen Lohnausgleich von 7% für 17% Lohnsenkung. Interessant ist die Begründung der Gewerkschaft für die lohnmäßige Ungleichbehandlung der beiden Fälle: „Damit soll ausgeschlossen werden, daß Teile der Belegschaft mit Kündigungsschutz kürzer arbeiten, in anderen Unternehmenssparten aber (!) Kollegen gekündigt werden“. Da sei die Gewerkschaft und ihr Gleichbehandlungs-Grundsatz vor, daß irgendjemand einen (eingeschränkten) Kündigungsschutz kriegt und noch einen Teillohn-Ausgleich obendrauf!