Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Dreimal Sachverstand der SZ-Wirtschaftsredaktion
Der hohe Ölpreis – Problem, Gefahr, Segen und Chance zugleich!
Am 19. Juni beklagt die SZ, dass angesichts seit Monaten „rasant steigender Preise für Treibstoffe und sinkender Einkommen“ „Bürger in existenzielle Nöte“ geraten. Groß unterscheiden mag die Zeitung beim Generalsubjekt „Verbraucher“ nicht, ob es nun die Geschäftskalkulationen von Kleingewerbetreibenden wie „Spediteure, Fischer und Bauern aus ganz Europa“ sind, die durcheinander gebracht werden, oder ob „Bürger“ verarmen, bei denen Sprit- und Ölpreise kein Geschäftsmittel, sondern Abzug von ihrem Lohneinkommen sind. Was den Schaden selbst angeht, steht den Ökonomen der SZ der Sinn gleichfalls nicht nach differenzierenden Auskünften.
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Dreimal Sachverstand der SZ-Wirtschaftsredaktion: Der hohe Ölpreis – Problem, Gefahr, Segen und Chance zugleich!
Ein Auftrag zum Eingreifen einer bürgernahen EU: Auf
Seiten des Verbrauchers
Am 19. Juni beklagt die SZ, dass angesichts seit Monaten
rasant steigender Preise für Treibstoffe und sinkender
Einkommen
Bürger in existenzielle Nöte
geraten. Groß unterscheiden mag die Zeitung beim
Generalsubjekt Verbraucher
nicht, ob es nun die
Geschäftskalkulationen von Kleingewerbetreibenden wie
Spediteure, Fischer und Bauern aus ganz Europa
sind, die durcheinander gebracht werden, oder ob
Bürger
verarmen, bei denen Sprit- und Ölpreise
kein Geschäftsmittel, sondern Abzug von ihrem
Lohneinkommen sind. Was den Schaden selbst angeht, steht
den Ökonomen der SZ der Sinn gleichfalls nicht nach
differenzierenden Auskünften. Was es mit dem schwarzen
Gold
ökonomisch auf sich hat und wieso der
Marktpreis - in der Wirtschaftsredaktion sonst
Inbegriff regulierender wirtschaftlicher Vernunft im
‚Spiel von Angebot und Nachfrage‘ – so verheerende
Wirkungen zeitigt: darüber lässt einen die SZ im Dunklen.
So bleibt der Leser zwar dumm, die angesprochenen Opfer
des Ölpreises aber dürfen Hoffnung schöpfen. Die seit
Wochen
gegen ihre Staaten und deren Steuerpolitik
Protestierenden
sind nicht allein. Ihr Anliegen
ist bei eben diesen Staaten politisch in besten Händen,
denn laut SZ steht die EU voll auf Seiten des
Verbrauchers
und will gegen hohe Ölpreise
vorgehen
. Schon erstaunlich: Dieselbe EU, die sich
mit ihrem ‚gemeinsamen Markt‘ der Freiheit des
Warenverkehrs wie des Kapitals verschrieben hat, betätigt
sich als Unterstützungsverein für arme Verbraucher und
tritt gegen die Freiheit der Preisfestsetzung bei der
Ware Öl ein? Ausgerechnet Politiker, von denen die SZ
ansonsten zu berichten weiß, dass sie heimische Öl- und
Energiekonzerne als Garanten der nationalen Versorgung
fördern und den Treibstoffverbrauch als sprudelnde
Steuerquelle schätzen, blasen ab sofort zum Kampf gegen
hohe Ölpreise? Doch die SZ erlaubt sich den Scherz, die
politische Propaganda, die Verantwortlichen in Berlin und
anderswo in Europa bekämpften nach Kräften die steigenden
Energiepreise im Interesse der Konsumenten, einmal für
bare Münze zu nehmen – um dann ein paar Zeilen später
dieselbe Propaganda als ziemlich haltlose Angeberei zu
durchschauen: Die Europäische Union hat kaum Mittel
und noch weniger Macht, um Preise zu senken, die an
internationalen Märkten gebildet werden. Sie kann ihren
Bürgern, wenn sie ganz ehrlich bleibt, kein Ende der
Preissteigerungen versprechen
. Erst die EU groß als
Diener des gewöhnlichen Volks aufblasen und dann im Namen
der ‚Ehrlichkeit‘ die Luft wieder rauslassen –
untrügliches Markenzeichen des seriösen Journalismus aus
München!
Ein aufgelegter Schwindel sind die Verlautbarungen der
Verantwortlichen in den Augen der SZ dennoch nicht. Wenn
bei den europäischen Beratungen über Maßnahmen gegen
steigende Preise
nichts herauskommt, so ist das noch
lange keine politische Mogelpackung
, ganz im
Gegenteil. Auch wenn die Beschlüsse der zweitgrößten
Wirtschaftsmacht der Welt zu allem anderen als zu
billigem Sprit und Heizöl für die Bevölkerung führen, so
ist ihr ideeller Wert für die Verbraucher in
Geld gar nicht aufzuwiegen, zeigt die EU doch den
Menschen – ganz ehrlich
–, wie sehr sie auf ihrer
Seite steht. Wer die Leute derart fürsorglich verarscht
und den Bürgern sagt: Wir kennen eure Sorgen. Wir
kümmern uns darum
, hat jedenfalls ihr Vertrauen
verdient!
Mag Europa bei der Durchsetzung des Interesses des
Verbrauchers in den Augen der SZ zwar gutwillig,
aber machtlos sein: um im weltweiten Ölgeschäft
ein gewichtiges Wort mitzureden, verfügt die Union nach
SZ-Meinung dann doch wieder über genügend Macht. Die
sollte sie auch gefälligst einsetzen und mehr Druck
auf die Erzeuger und Verkäufer von Öl (ausüben). Das
betrifft sowohl ... Erdölförderstaaten als auch ...
einzelne Konzerne wie die russische Gazprom
.
Unbeschadet ihrer entdeckten Ohnmacht gegenüber den
‚internationalen Märkten‘ fordert die SZ jetzt die EU zu
machtvoller Einflussnahme auf diese Märkte und ihre
Agenturen – renitente Ölstaaten und auswärtige
Energiekonzerne – auf sowie zum politischen Eingreifen
gegen die öffentlich ausgemachten Preistreiber, die
Spekulanten
. Dieselben Politiker, die national wie
international den Finanzmärkten alle Freiheiten und
materiellen Förderungen gewähren und
Spekulationsgeschäfte als Beitrag zum nationalen Wachstum
verbuchen, sind also dazu ausersehen, diesem Treiben
Schranken zu setzen. Die journalistischen Sachkenner
können sich offensichtlich nichts Überzeugenderes
vorstellen als eine EU, die zielgerichtet gegen
vermutete Spekulationsgeschäfte vorgeht, indem sie
Aufsichtsbehörden bei der Kontrolle von Börsen
unterstützt
, und mit ihrer politischen und
ökonomischen Macht nicht-europäischen Konzernen
klarmacht, was Europas Standorthüter unter einem
gerechten Wettbewerb verstehen: Vor allem kann Brüssel
darüber wachen, dass auf dem europäischen Binnenmarkt
tatsächlich alles wettbewerbsgerecht zugeht. Insofern ist
die Ankündigung der EU, die Produzenten von Öl und
Ölprodukten ganz genau zu kontrollieren, möglicherweise
bald bares Geld wert. Die Wettbewerbshüter der Kommission
haben sich bisher auch bei solchen Giganten wie Microsoft
nicht zimperlich gezeigt, Wettbewerbsverstöße mit hohen
Geldbußen zu belegen
. Eine von den eigenen
Staatsagenten im nationalen Interesse überwachte
Konkurrenz um ordentliche Preise und Gewinne – das ist es
also, womit dem Verbraucher am besten gedient ist.
Ein Hilfsmittel gegen den Wahn von Konsumenten: Gegen
die Vollgas-Mentalität
Tags darauf – die rasant steigenden Preise für
Treibstoffe und sinkende Einkommen
sind wieder um ein
paar Cent gestiegen – schaut es mit dem Fluch des hohen
Ölpreises ganz anders aus: Es hat auch sein Gutes, wenn
sinkende Einkommen auf hohe Preise treffen, denn der
Verbraucher ist nicht nur ein armes, sondern vor allem
auch unbelehrbares Öko-Schwein. Der Wirtschaftsexperte
der SZ kann es nicht fassen: Wieso bestehen die
aufgebrachten Lenker aller Fahrzeugklassen
auf
individueller Fortbewegung
, wo sie sich das
Autofahren doch gar nicht mehr leisten können? Otto
Normalverbraucher
ist einfach nicht bereit,
weniger Auto zu fahren
, und meint immer noch, ein
Recht auf billigen Kraftstoff zu haben
. Klar: Auch in
München erwartet man von den arbeitenden Menschen
selbstverständlich jede Menge ‚berufliche und räumliche
Mobilität‘. Aber davon kann man ja auch mal absehen und
dann zeigt sich sofort, was in Wahrheit Sache ist: All
das ist rational nicht mehr erklärbar
, also in
höchstem Maße irrational, und das will natürlich erklärt
sein. Der Fachmann kann es: Der Mensch
fährt nicht
Auto, weil er irgendwohin muss oder will, er pflegt
vielmehr beim Fahren den Wahn des letzten kaufbaren
Mythos auf dieser Welt, der die Träume von Freiheit,
Aufbruch und Flucht in sich vereint
. Getankt wird
wegen einer fixen Idee, und gemeinschaftsschädlich ist
sie obendrein: Niemand hat das Recht, die Natur und
künftige Generationen zu belasten.
Ein weiteres Mal
muss sich der Herr Wirtschaftsredakteur ans Hirn greifen
– und staunt, dass sein kulturkritischer Blödsinn nicht
schon längst gesamteuropäisch Furore gemacht hat:
Erstaunlich, dass noch keiner auf die Idee kam, unter
die Werbeplakette der Autohersteller eine Information der
EU-Gesundheitsminister zu drucken: ‚Autofahren gefährdet
ihre Gesundheit. Es kann zu Fettleibigkeit und
Lungenkrebs führen‘.
Und was allein hält uns da noch
fit und schlank? Richtig, ein hoher Benzinpreis ist
gut
für die Lunge, denn nur so denken die
Verbraucher um
, anders geht es nicht
beim homo
oeconomicus der SZ. Der ist so dumm, dass er nur
vernünftig wird, wenn es ans Portemonnaie geht
.
Eine Herausforderung für den Konkurrenzerfolg deutscher
Unternehmen: Firmen versprechen schnelle Lösungen –
aber es gibt sie nicht
Wieder ein paar Tage später, immer noch rennt der
Ölpreis von Rekord zu Rekord
, ist dann Schluss mit
dem Hin und Her zwischen Fluch und Segen des Ölpreises
für den Verbraucher
. Die SZ kommt auf die
gewichtigen Subjekte und Sorgeobjekte zu sprechen, um die
es bei der Preisfrage wirklich geht: die
nationale Wirtschaft mit ihren Geschäftsrechnungen. Die
Unternehmer leiden unter den Kosten, und alle sind
betroffen
. Dass sich unter diesen Unternehmen die
Energieunternehmen befinden, die mit diesen
rekordverdächtigen Preisen ihr Geschäft machen, lässt uns
die SZ jetzt mal vergessen; genauso geht sie über die
marktwirtschaftliche Selbstverständlichkeit hinweg, dass
die Unternehmen die gestiegene
Energiepreisentwicklung
an ihre Kunden
„weiterleiten“, so dass am Schluss wieder der gebeutelte
Verbraucher vom 19.6. steht. Jetzt geht es schließlich um
den deutschen Unternehmerstand, um den ‚wir‘ uns alle
Sorgen machen sollen, weil an seinem Erfolg schließlich
unser aller Wohl hängt. Wenn dieser Berufsstand die Macht
hat, alle und alles von seinen Gewinnkalkulationen
betroffen zu machen, dann ist das schließlich
anerkanntermaßen kein Einwand gegen unternehmerische
Verfügungsmacht über Sein oder Nichtsein von
Arbeitsplätzen. Das rechtfertigt vielmehr den besorgten
Blick auf „unsere“ Kapitalisten, bei denen der
steigende Ölpreis die Konjunktur bremst und für
verstärkte Arbeitslosigkeit sorgt.
Das wirft aber
umgekehrt auch die Frage auf, ob deutsche Unternehmen es
verstehen, die Ölpreisentwicklung ordentlich
auszunutzen und mit dem Ölpreis als Mittel ihrer
Konkurrenz erfolgreich zu kalkulieren. Also
sieht sich der Fachmann zu kritischen Einschätzungen und
guten Ratschlägen bemüßigt, wie mit dieser
Herausforderung an den Geschäftssinn deutscher
Unternehmen fertig zu werden sei. Mit der Ausnutzung der
neuen Marktgegebenheiten schaut es hierzulande nach dem
Geschmack der SZ leider nicht so gut aus, wie es sollte.
Da gibt es eine Autoindustrie, die erst jetzt richtig
beginnt über die Zeit nach dem Öl nachzudenken. Bislang
waren die Entwicklungen halbherzig. Die
Mobilitätskonzepte, die ohne Öl auskommen, sind noch in
weiter Ferne
, statt dass dieser gewichtige nationale
Wirtschaftszweig mit neuen ‚Mobilitätskonzepten‘ vorne
dran ist und die Konkurrenz dominiert. Andere Branchen
tun sich nach Einschätzung der SZ von Haus aus schwer,
die Last des hohen Ölpreises als Konkurrenzchance zu
nutzen: Für die chemische Industrie gibt es überhaupt
kein Entrinnen. Sie ist komplett auf das Öl angewiesen
und kann in Zukunft bestenfalls verstärkt Kohle
einsetzen.
In jedem Fall kommt es darauf an, sich
unternehmerisch auf die neuen Konkurrenzgegebenheiten
richtig einzustellen, mit ihnen im Vergleich zu anderen
Ländern als Kostenfaktor besser umzugehen, die
neuen Gewinnchancen rechtzeitig zu ergreifen –
kurz: den gestiegenen Ölpreis zu einer nationalen
Erfolgsgeschichte in Sachen kapitalistischer
Bereicherung zu machen. Und das geht, wie wir jetzt
wissen, nur, wenn keinesfalls schnelle Lösungen
versprochen werden, die es nicht gibt.