Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Sexualmörder: Wieder strafrechtliche Normalfälle
Abweichend von der bislang geübten Rechtspraxis erklären zwei Gerichte Sexualmörder für voll zurechnungsfähig. Wenn sie in den Beweggründen von Lustmördern keinen ‚menschlichen Defekt‘, sondern einen voll funktions- und lebenstüchtigen Willen sehen, der die ihm gezogenen Grenzen überschritten hat, dann gehen sie offenbar davon aus, dass sich das Motiv von Kinderschändern im Vergleich zu dem, das unbescholtene Bürger bei ihren sexuellen Vergnügungen leitet, so ‚abnorm‘ nicht mehr ausnimmt. Und da täuschen sie sich nicht.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Sexualmörder: Wieder strafrechtliche Normalfälle
In zwei Prozessen werden die des Sexualmords an kleinen Kindern überführten und geständigen Täter abweichend von der in solchen Fällen bislang geübten Rechtspraxis für voll zurechnungsfähig erklärt und zu lebenslänglichen Gefängnisstrafen verurteilt. In einem der Fälle lehnt das Gericht den Antrag des Kinderschänders, im Gefängnis einer psychologischen Therapie zugeführt zu werden, mit der Begründung ab, sein Wunsch verdanke sich der durchsichtigen Berechnung, möglichst bald wieder freizukommen.
Wenn die Justiz bei Delikten dieser Art psychologische Gutachter zu Rate zieht, gesteht sie gewissermaßen ein, daß sie mit ihrem Latein am Ende ist. Dieses beschränkt sich auf die paragraphengerechte Klärung der Schuldfrage: Die Justiz hat Rechtsverstöße festzustellen und zu prüfen, ob der Täter den Rechtsverstoß gewollt hat. Zur Schuld gehört der Vorsatz zur Rechtsverletzung, also ein Täter, der sich dem Recht unterworfen weiß: Der Kundenkreis der Strafjustiz sind Rechtssubjekte, die sich in der von der Justiz beaufsichtigten Welt konkurrierender Privatinteressen bewegen und sich dabei berechnend über die Grenzen des Erlaubten hinwegsetzen. Nur unter diesem Gesichtspunkt interessieren sich Juristen für Beweggründe. Sie wollen das Moment von Berechnung herausarbeiten, das die Schwere der Schuld begründet, für die der Täter verantwortlich zu machen ist. Und eben das ist der Punkt, an dem für die Justiz – wenigstens bislang – die perverse Lust am Kinderschänden in anderer Weise aus dem Rahmen fällt als das gewöhnliche Verbrechen. Sie hat es mit kapitalen Straftaten zu tun, tut sich aber schwer, die Täter unters Recht zu subsumieren. Deren Umtriebe lassen jedes Moment von Berechnung vermissen, das ihr von ihrer sonstigen Klientel her vertraut ist und auf das die Schuldfrage berechnet ist. Dieser Verstoß gegen alle Sitte und Moral, auf deren Boden der sonstige Mord und Totschlag stattfindet, macht das Verhalten der Psychoverbrecher für die Justiz so „unbegreiflich“, daß sie an ihnen ausnahmsweise einmal einen anderen Unterschied geltend macht als den von erlaubt/verboten bzw. schuldig/unschuldig. Sie sieht in diesen Typen klinisch zu erklärende Ausnahmen, keine rechtsfähigen Subjekte, sondern defekte Menschen, auf die die juristische Frage nach der Schuld im Grunde nicht paßt. Daher hat die Justiz solche Täter für unzurechnungsfähig und schuldunfähig erklärt und ihnen die Gnade widerfahren lassen, sie nicht in Gefängnissen, sondern in geschlossenen Anstalten wegzusperren.
Davon rücken die beiden Gerichte in ihrer Rechtsprechung
ab. Sie wollen auch die Taten von Lustmördern auf die
Quelle zurückführen, die vom Standpunkt des Strafrechts
aus allein maßgeblich ist und zählt: Nicht von einer
abartigen
oder krankhaften
Veranlagung
ihrer Täter gehen sie aus, sondern von
einem bösen Willen, der sie zur Tat verleitet
habe und dessentwegen sie der vollen Härte des
Gesetzes
zu unterziehen seien. Ganz aus dem Herzen
sprechen sie damit einerseits mit Sicherheit dem
Volkszorn. Die Bürger in ihrer Moral sehen in
den Kinderschändern ja unmittelbar und ausschließlich den
Inbegriff des Bösen, halten daher immer dafür,
diese „Monster“ möglichst ganz aus dem Verkehr zu ziehen.
Ihr Bedürfnis nach einer gescheiten Rache wird vom Recht
zwar auch jetzt noch nicht so bedient, wie sie es gerne
hätten – Rübe ab!
und so. Aber
Maximalstrafen
passen schon viel besser in ihr
moralisches Weltbild als die Vorstellung von
Kindermördern, die in Töpferkursen gesundgepflegt werden.
Die andere – und eigentlich interessante – Seite des neu
entdeckten Bösen im Kinderschänder liegt in der
Anerkennung, die das Recht damit auch dem
Willen des Täters widerfahren läßt. Der ist
nämlich zu entnehmen, daß für das Strafrecht das Schänden
von Kindern gar nicht mehr so weit weg ist von der Welt
der normalen Bürger, mit der es in seiner alltäglichen
Routine befaßt ist. Wenn es in sexuellen Übergriffen mit
Todesfolge allein noch das Kapitalverbrechen für
beachtlich hält, das die Perversen an Kindern begehen,
erkennt es in den Beweggründen von Lustmördern eben nicht
mehr einen Abgrund
, sondern – wie in allen seinen
normalen Rechtsfällen auch – einen voll funktions- und
lebenstüchtigen Willen, der die ihm gezogenen Grenzen
überschritten hat. Den belangt es wegen der
Rechtswidrigkeit seiner Tat – und grenzt so den
Mord zwecks Lustgewinn von allen anderen
willentlichen Betätigungen ab, die unbescholtene Bürger
bei ihrer sexuellen Vergnügungsstiftung inzwischen so an
den Tag legen. Offenbar geht das Recht davon aus, daß die
allgemeine Motivlage von Kinderschändern sich im
Vergleich zu diesen so unbegreiflich
gar nicht
mehr ausnimmt. Und da täuscht es sich nicht.
Denn besieht man sich die Schritte, die einer hinter sich
hat, der in der Vergewaltigung von Kindern sein Vergnügen
findet, stößt man auf dem bürgerlichen Individuum
vertraute, gesellschaftlich respektable und auch
überhaupt nicht strafbare Quellen dieses Lustempfindens.
Daß sexuelle Befriedigung erstens im Leben furchtbar
wichtig ist und die Person zweitens darauf ein
Recht hat, ist eine höchst geläufige Auffassung
unter allen anständigen Bürgern. Daß mit der Verweigerung
dieses Rechts sich die ganze Persönlichkeit
selbst infragegestellt und gedemütigt
sieht, leuchtet ihnen drittens schon aus eigener
Erfahrung ein. Viertens wissen sie, daß es deswegen
darauf ankommt, sich für das andere Geschlecht möglichst
so unwiderstehlich zu machen, daß man es auf sich
verpflichtet und dabei selbst souverän
bleibt: Der liebe Partner soll es sein, der ohne einen
selbst nicht leben kann
, weil man einfach ein
unglaublich toller Hecht ist. Davon kündet auch die
Angeberei mit den Eroberungen, die man vorzuweisen hat,
und mit der Anzahl derer, die eine/einer an jedem Finger
der Hand haben könnte, wenn sie/er nur wollte. Solange
diese nette Begeisterung füreinander zwischen
geschlechtsreifen Erwachsenen stattfindet, findet
fünftens keiner etwas dabei, daß der sexuelle
Genuß schon nicht mehr im geschlechtlichen Objekt
der Begierde gesucht wird, sondern in der Macht,
die die eine Seite ausübt, und in der
Abhängigkeit der anderen, die sie genießt. Das
ist so normal, daß inzwischen nicht wenige die
spielerische Inszenierung des sexuellen Machtspiels als
Lustquelle schätzen und für ihre Psychologie auch
außerhalb der heimischen Folterkammern Anerkennung
verlangen: Auch Leder und Latex, Sado und Maso wollen
sehr ernst genommen, öffentlich begutachtet und in
Talk-Shows diskutiert werden. Neben manch anderer
Raffinesse gelten die schöpferischen Nachstellungen des
Verhältnisses von Herrschaft & Knechtschaft in ziemlich
weiten Kreisen mittlerweile als eine respektable Form der
sexuellen Selbstverwirklichung von ganz freien Personen.
Nicht unnormal ist es deshalb sechstens, daß manche
Interessenten sich für ihre Lust gleich ein
Objekt aussuchen, das den Selbstgenuß der
Überlegenheit garantiert, ein Objekt also, vor dem
man sich nicht blamieren kann und von dem Abweisung weder
zu fürchten noch zu respektieren ist: Der
kommerzielle Markt für
Kinderpornographie und
Kinderprostitution ist – wie man nicht nur aus
Belgien und dem Internet erfährt – ziemlich groß. Daß es
dann – siebtens – auch Leute gibt, die außerhalb der
Sphäre von Kauf und Verkauf über ein Kind herfallen, es
entweder unmittelbar durch den Gebrauch umbringen, den
sie von ihm machen, oder zu dem Zweck, nicht entdeckt zu
werden, ist der Sache nach notwendig.
Für das Recht offenbar auch, weswegen es sich eben dazu veranlaßt sieht, eine Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem zu ziehen. Wenn bei der sexuellen Selbstverwirklichung das Rechtsgut Leben auf der Strecke bleibt; wenn dabei – eine Stufe vorher – die Altersschwelle zur freien Rechtsperson ignoriert und sich an Kindern vergangen wird: Dann hört für das Recht der Spaß beim Umgang der Geschlechter miteinander auf. Auf die allerletzten Blüten des ganzen Sumpfes, in dem die Bürger ihren Lüsten nachgehen, bezieht es sich als Taten, die aus dem rechtlich geduldeten Rahmen fallen – und wegen dieser Perversion werden die Täter dann belangt.
In welcher Abartigkeit auch immer also alle anderen ihr Vergnügen an dieser Front suchen und finden: Solange sie sich dabei ans Erlaubte halten, sind und bleiben sie ganz normal. Viel Spaß.