Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Sensation aus Davos: Schröder für Attac!

Beim Weltwirtschaftsforum in Davos steuert Bundeskanzler Schröder den Vorschlag einer Steuer auf spekulative Finanzgeschäfte, „hinter denen kaum noch realwirtschaftliche Vorgänge stehen“, bei. Diese Gelder sollen zur Entschuldung der ärmsten Länder eingesetzt werden – genau das, was Attac mit der „Tobin-Steuer“ schon seit langem fordert.

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Gliederung

Sensation aus Davos: Schröder für Attac!

Unter dem Motto den Zustand der Welt verbessern steht auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos in diesem Jahr die Armut in Afrika als Hauptthema auf der Tagesordnung. Dazu steuert Bundeskanzler Schröder – frei, gelassen und überaus professionell – den Vorschlag einer Steuer auf spekulative Finanzgeschäfte, hinter denen kaum noch realwirtschaftliche Vorgänge stehen (SZ, 29.1.), bei. Diese Gelder sollen zur Entschuldung der ärmsten Länder eingesetzt werden – genau das, was Attac mit der „Tobin-Steuer“ schon seit langem fordert. Damit schreckt Schröder die Wirtschaft (Spiegel Online, 28.1.) und hat seine Sensation.

Dabei stellt der neuestes deutsche Beitrag zum Kaleidoskop von Finanzierungsmöglichkeiten für den Unterhalt der armseligsten Mitglieder der modernen Staatenwelt – ebenso wie die kongenialen Einfälle aus Frankreich und Großbritannien, die in Davos gleichfalls die Runde machen – erst einmal ein bemerkenswertes

Eingeständnis

dar: Ein Haufen Staaten ist bankrott, ihre Bevölkerung geht vor die Hunde, Mittel zur Besserung der Lage stehen nicht zur Verfügung, schon gar nicht den verbliebenen Machthabern in den betroffenen Ländern, in gewissen „Problemzonen“ auf dem Globus ist das überlebensnotwendige Minimum an gesellschaftlicher Ordnung in Auflösung begriffen – das ist das Ergebnis der vor etlichen Jahrzehnten begonnenen und vor anderthalb Jahrzehnten vollendeten „Integration“ sämtlicher Länder und Völker dieser Erde „in die Weltwirtschaft“, so wie sie aus Berlin, Paris und London maßgeblich mit betreut wird; so was ist ein neuer Normalfall der freiheitlichen Weltordnung, für die Schröder und Kollegen sich in Davos zuständig erklären, weil ihre Staaten seit jeher für diese wundervolle Ordnung verantwortlich sind. Wie normal Gebilde dieser trostlosen Art mittlerweile sind, das verrät die neue Kategorie, die die Sprachkünstler des modernen Imperialismus eigens dafür geschaffen haben: Zur Welt von heute gehören in zunehmender Anzahl Exemplare der Gattung failing states.

Tatsächlich liegt es den großen politischen Akteuren der modernen Welt natürlich völlig fern, Eingeständnisse bezüglich der enormen Leistungsfähigkeit ihrer Ordnungsmacht und ihrer globalisierten Marktwirtschaft in Sachen totaler Verelendung ganzer Regionen abzuliefern. Ihr demonstratives Interesse am afrikanischen Desaster hat eine

Ansage

zum Inhalt: Sie kümmern sich. Aus ihrer Zuständigkeit ist kein Land auf der Erde entlassen, es mag noch so heruntergekommen sein. Sie haben ein Auge drauf, dass von den definitiv ruinierten Teilen ihrer Welt, wenn schon auf den sonst üblichen ordentlichen Wegen dort nichts mehr zu holen ist, wenigstens keine Störungen ausgehen, vor allem keine Gefahr der Ansteckung der restlichen Welt mit Terror und Aids – das sind schon so in etwa die zwei Dinge von weltpolitischer Bedeutung, die einem modernen Weltpolitiker heute zu einigen Dutzend jener Staaten einfallen, die vor noch gar nicht so langer Zeit hoffnungsfroh als „Entwicklungsländer“ etikettiert worden sind. Auf die Gefahr wird aufgepasst; und fürs Aufpassen wird ein Finanzbedarf veranschlagt, für den die Aufsichtsobjekte auf jeden Fall nicht einstehen können. Dem Finanzproblem gilt daher die Aufmerksamkeit der verantwortungsbewussten Aufsichtssubjekte. Die stellen allerlei Planspiele an – und lassen mit denen vor allem eine

Absage

ergehen. Wenn der deutsche Kanzler der Reformen, der zuhause nichts Wichtigeres kennt als das Kapital zu entlasten, mit dem Vorschlag daherkommt, die obersten Abteilungen des Weltgeldkapitals zu belasten, nämlich die Gewinne der Finanzjongleure zu besteuern, die am Kreditüberbau der globalen Ausbeutung schmarotzen, dann ist das einerseits zwar nicht ohne Ironie – Spekulanten haften für die kommerziell absolut unproduktiven Unkosten des Weltgeschäfts, auf und mit dessen Konjunkturen sie spekulieren: ein kleiner Herrenwitz zum Thema ‚global ausgleichende Gerechtigkeit‘, den der Kanzler selbst schon nicht ganz ernst meint: „zur Einführung einer Anti-Armuts-Steuer sei ein Konsens unter den großen Industrienationen nötig. Er (Schröder) selbst bezweifelte, dass sich eine solche Übereinstimmung erreichen lasse“ (Spiegel Online, 28.1.), der aber trotzdem den weltwirtschaftswissenschaftlichen Sachverstand prompt zum Aufschäumen bringt: Eine solche Steuer ließe sich nur durchsetzen, wenn zumindest alle wichtigen Industrieländer sich beteiligten… Da der Währungstausch nicht an einen Ort gebunden ist, würde der Handel direkt dorthin wandern, wo der Aufschlag nicht erhoben wird (www.faz.net, 28.1.), was natürlich keinesfalls passieren darf; und außerdem: Wo liegt denn die Grenze zwischen ‚guten‘ (realwirtschaftlich motivierten) und ‚schlechten‘ (spekulativen) Währungsgeschäften? (SZ, 31.1.) Ähnlich charmant die französische Idee einer Kerosin-Steuer, mit der die Kundschaft der Fluggesellschaften zur Kasse gebeten werden könnte – Globetrotter zahlen die faux frais des Elends, über das sie so schön weit oben hinweg geflogen werden… Sehr klar und sehr ernst gemeint ist jedoch die andere Seite dieser Vorschläge, die die alternativen Freunde einer besseren Welt gleich auf reale Verbesserungen hoffen lassen: Eine zusätzliche Belastung der Staatshaushalte kommt auf keinen Fall in Frage. Ihre machtvolle Zuständigkeit lassen sich die politischen Herren des Weltgeschehens nicht nehmen – wenn irgendwo, und sei es im afrikanischen Busch, handfeste eigene Interessen auf dem Spiel stehen, französische z.B. in Elfenbeinküste, dann lassen sie sich auch nicht lumpen und sparen nicht, schon gar nicht an Militär –; aber was diese Zuständigkeit dort kostet, wo außer Aids- und Terror-Prävention gar kein Nutzen herausschaut und wo dieser Nutzen sich auch gar nicht national verbuchen lässt, das können sie ihren Steuerzahlern unmöglich zumuten. Diskutabel sind allenfalls so schöne Ideen wie die einer internationalen Finanzfazilität (International Finance Facility, IFF), die der britische Premierminister mitgebracht hat: Heute Kredit aufnehmen und ein bisschen staatliche Ordnung in den desolatesten Elendsregionen der Welt einkaufen; morgen die Tilgung aus „Entwicklungshilfe“-Mitteln bezahlen, die man dann ja nicht mehr braucht, weil die aufgepäppelten Zerfallsprodukte der Weltordnung bis dahin wieder funktionieren… Dieses Vorziehen von Entwicklungsmitteln auf Kosten der Zukunft nennt man neudeutsch ‚front-loading‘ (FAZ, 29.1.) und hätte nur den einen Nachteil, dass man sich für die Zukunft auf zwar nicht erhöhte, aber überhaupt auf Geldmittel für „Entwicklungshilfe“ festlegen würde – was einem freien Parlament eigentlich nicht zuzumuten ist…

Alle fiskalischen Bedenklichkeiten unterstreichen jedoch nur, was als

Botschaft

der europäischen Troika aus den Schweizer Bergen ’rüberkommen soll: Deutschland, Frankreich und Großbritannien präsentieren sich als Organisatoren eines guten Imperialismus: als Retter Afrikas und Freunde der „3.Welt“, die zivil und verantwortlich die wichtigsten Problemfelder der modernen Welt beackern und beherzt die Federführung bei der Konstruktion einer besseren Weltordnung übernehmen. Gegen wen das geht, ist gar nicht zu übersehen: Europas Führungsmannschaft setzt sich wohltuend vom amerikanischen Kriegsprogramm ab und als entgegenkommende Alternative zum Militarismus der USA in Szene. Es geht also schon wieder mal um Thema Nr. 1: die Konkurrenz der Imperialisten. Für die mag das Weltwirtschaftsforum in Davos, wo neuerdings einer entsprechend tief beeindruckten Öffentlichkeit ein milder, ethisch untermauerter Kapitalismus gepredigt wird (SZ, 27.1.), kein übermäßig wichtiger Schauplatz sein. Für das Bedürfnis des „alten Europa“, die Staatenwelt auf sich als die bessere, weil friedliche und einfühlsam problembewusste Weltordnungsinstanz aufmerksam und den übermächtigen amerikanischen Konkurrenten ein bisschen schlecht zu machen, ist aber jede Gelegenheit recht. Und wenn man es schafft, einen Vorschlag in die Welt zu tun, auf den andere mächtige Nationen und eventuell sogar die US-Regierung selber sich diplomatisch beziehen müssen, dann ist das in diesem neu eröffneten transatlantischen Konkurrenzkampf schon wieder ein kleiner Teilerfolg. Außerdem und ganz nebenbei kann man als deutscher Kanzler gar nicht oft genug feststellen, dass die veränderten weltpolitischen Verhältnisse endlich und unabweisbar einen ständigen Sitz Deutschlands im dringend reformbedürftigen Weltsicherheitsrat erfordern. Das ist es nämlich, was den „failing states“ und ihren Insassen zu ihrem Glück gerade noch fehlt.

PS.

Die Erfinder der Tobin-Steuer sind vom deutschen Kanzler begeistert:

„Dass die Regierung ihre Blockade gegen die Tobin-Steuer aufgibt, macht Hoffnung… Die Tobin-Steuer ist ein Schlüssel, um spekulationsbedingte Finanzkrisen zu verhindern und zugleich Gelder für Armutsbekämpfung und Entwicklung zu generieren.“ (P. Wahl, www.attac.de, Pressemitteilung, 28.1.)

Fragt sich nur: Kapieren die nicht, worauf es dem Kanzler ankommt, oder meinen sie es selber so?