Sozialstaatlicher „Systemwechsel“ in Deutschland
Die SPD verabschiedet sich mit der Agenda 2010 endgültig von ihrem Gründungsauftrag „Sozialstaat“, erklärt die von ihm abhängig Gemachten zum „strukturellen Krisengrund“ und damit den Sozialstaat als systemwidrig. Der Abbau des „Reformstaus“ erfordert Rücksicht auf immanente Hindernisse: – auf der Armut beruhende Geschäftssphären und Standesinteressen; – föderalistische Konkurrenz zwischen Bundes-, Länder- und kommunalen Institutionen; – gewerkschaftlicher Mitspracheanspruch beim Verarmen. Passend dazu die Revision „sozialdemokratischer Werte“: „soziale Gerechtigkeit“ heißt heute „gerecht ist, was in Lohnarbeit bringt“.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- I. Politische Überzeugungsarbeit für ein „neues Kapitel deutscher Sozialgeschichte“
- II. Der „Reformstau“: Immanente Hindernisse bei der Verwirklichung der Forderungen der Wirklichkeit und ihre sozialpolitische Produktivkraft
- Worauf rücksichtslose Reformer Rücksicht nehmen müssen, um Erfolg zu haben
- Lösbare Schwierigkeiten einer einfachen Reformaufgabe
- Nachteil und Nutzen einer föderativen und demokratischen Teilung der Macht für den Elan von Reformpolitikern
- Die Gewerkschaftsfrage: Ächtung und Entmachtung eines konstruktiven „Gegenspielers“
- III. Die Revision der „sozialdemokratischen Werte“: Von der sozialen zur neuen Gerechtigkeit
Sozialstaatlicher „Systemwechsel“ in Deutschland
I. Politische Überzeugungsarbeit für ein „neues Kapitel deutscher Sozialgeschichte“
Die SPD hält einen Sonderparteitag ab über die mit der „Agenda 2010“ der Bundesregierung angekündigten und bereits eingeleiteten Reformen der deutschen Sozialversicherungen, der „Arbeitsverwaltung“ und des Steuerwesens. Über die Bedeutung der anstehenden Entscheidungen lässt die Parteispitze keine Zweifel aufkommen: Der Generalsekretär der Partei kündigt in einem „vorläufigen Strategiepapier“ einen „Aufbruch für Neue Gerechtigkeit“ sowie den „Abschied vom Sozialstaat“ an (Der Spiegel, 21/03). Der Parteitag soll so etwas wie ein „zweites Godesberg“ für die Sozialdemokraten werden (Wirtschaftsminister Clement, ebd.).
Die haben dort vor Jahrzehnten satzungsmäßige Bekenntnisse zu Demokratie und Kapitalismus abgelegt und beschlossen, das von ihren Gegnern gepflegte Odium antikapitalistischer Systemgegnerschaft los zu werden. Als regierungsfähige, entschieden antikommunistische „Volkspartei“ offerierte sich die SPD seitdem nicht nur ihrer eher proletarischen Stammwählerschaft, sondern allen nationalen Sozialkollektiven als die sozial- und reformorientierte Alternative bei der politischen Betreuung sämtlicher anerkannten Interessen im System des aufstrebenden BRD-Kapitalismus. Seit „Godesberg“ hat die SPD „mehr Demokratie gewagt“ und am „Modell Deutschland“ gebaut. Und sie hat bewiesen, dass – ganz entgegen konservativer Denunziation – die „Freiheit“ des kapitalistischen Eigentums für sie keine Alternative zum „Sozialismus“ war, sondern der „demokratische Sozialismus“ der SPD der wahre Garant dieser Freiheit; dadurch nämlich, dass er die Interessen der „Arbeitnehmer“ staatsbürgerlich politisiert, sozialstaatlich organisiert und sie so für die Bedürfnisse ihrer Anwender und die der Republik nützlich zurechtreformiert.
Seinerzeit in Godesberg, so der SPD-Kanzler von heute,
habe die Sozialdemokratie eine programmatische Antwort
auf die Tatsache
gefunden, dass sich die soziale
Marktwirtschaft als die sinnvollste Organisationsform der
Ökonomie durchgesetzt hatte.
Nun sei eine Lage
eingetreten, in der Ähnliches, wenn auch nicht in
dieser historischen Dimension, wieder zu entscheiden
(ist). Der Beschluss, den der Parteitag am 1. Juni zu
fassen haben wird, muss den Kernsatz klar machen: Die SPD
ist der Auffassung, dass mit der ‚Agenda 2010‘ richtige
Antworten auf die Herausforderung gegeben sind, unter
radikal veränderten Bedingungen Substanz von
Sozialstaatlichkeit zu erhalten
(Schröder, Der Spiegel, 17/03). Die
Maßangabe hinsichtlich der historischen Dimension
hat Schröder später, anlässlich einer Pressekonferenz im
August über seine Reformpläne, noch revidiert und die
größte politische Anstrengung der deutschen
Sozialgeschichte
(n-tv,
13.8.) in Aussicht gestellt.
Von der Armenkasse des Proletariats …
Der Gründungsauftrag deutscher „Sozialstaatlichkeit“, von der man jetzt „Abschied nehmen“ (Generalsekretär Scholz) oder „Substanz erhalten“ (Schröder) soll, was offenbar den gleichen Sachverhalt meint, bezog sich von Anfang an auf ein nicht ganz einfaches Geschäft, dessen Schwierigkeiten vor allem die Klientel der Sozialkassen zu spüren bekam. Die Sozialabteilung der „sozialen Marktwirtschaft“ der BRD, grundgesetzlich als „sozialer Rechtsstaat“ verfasst, sollte etwas Unmögliches möglich machen: Der Lohn, der bei dem einzelnen „Arbeitnehmer“ neben der Deckung seines Lebensunterhalts nicht für die Vorsorge gegen die kapitalistischen Lebensrisiken Arbeitslosigkeit, Alterselend und Krankheit ausreicht, muss und soll in der klassenmäßig aufaddierten Summe dann doch genau dafür reichen. Und das schlicht dadurch, dass er mit der Gewalt des Rechts dafür haftbar gemacht wird: per Verstaatlichung von Lohnteilen zu Gunsten einer erzwungenen „Klassensolidarität“ und per Verweis der laufenden proletarischen Konsumbedürfnisse auf den verbleibenden „Netto“-Lohn. Dadurch wird für die produktiven Bedürfnisse einer schon immer „atmenden“ kapitalistischen Produktion die jeweils benötigte Menge an Lohnarbeitern – „just in time“ – bereitgehalten, auf Kosten der Klasse im Schadensfall repariert und der ganze Rest nach Verbrauch kostengünstig und sozialverträglich ver- und entsorgt. Die sedierenden Nebenwirkungen dieses Verfahrens auf das kollektive Gemüt der Geringverdiener wurden von Beginn an nicht gering geschätzt; sie waren so beabsichtigt wie willkommen: Die Härte, statt mit knappem Lohn im Fall von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter mit noch geringeren „Lohnersatzleistungen“ auskommen zu müssen, war nach Lage der Dinge eine Errungenschaft. Man überlebte immerhin, die „Sozialleistungen“ verhinderten „das Schlimmste“, wodurch die Armut von Arbeitslosen und Alten zur vergleichsweise gemütlichen Normalität werden konnte; sogar die massenhafte Zahlung von Sozialhilfe geriet, gemäß einer berühmten Beweisführung des einstigen Sozialministers Blüm, zum Beleg für die Abwesenheit von Armut. Hinzu kam die soziale Überzeugungskraft des Verfahrens, die Sozialbeiträge vom Lohn gleich „an der Quelle“ zu beschlagnahmen und zur Hälfte als „Arbeitgeber-“, zur Hälfte als „Arbeitnehmerbeitrag“ zu verrechnen, was zwar nichts an deren ökonomischer Qualität als Lohnbestandteil änderte, dafür aber unter dem Falschnamen „solidarische Finanzierung“ Einiges für den klassenübergreifenden Zusammenhalt des Gemeinwesens leistete: Allein deswegen, weil die Beitragspflichtigen seither nur einen Restlohn für ihre Arbeit ausbezahlt bekommen, erwarb sich der für die Sozialversicherung abgezogene Teil des Entgelts den haltbaren Ruf, erstens mit der abgelieferten Arbeit gar nichts weiter zu tun zu haben, zweitens und deswegen eine nicht vom Lohn abgezweigte, sondern vom Arbeitgeber – großzügiger-, wenn auch nicht ganz freiwilligerweise – extra bezahlte Zusatzkost zu sein, die Drittens die unternehmerische Rentabilitätsrechnung, in die „eigentlich“ nur der Netto-Lohn einzugehen hätte, in marktwirtschaftlich im Grunde gar nicht zu verantwortender Weise belastet. So hatte mit dem Märchen vom Arbeitgeber, der seiner Arbeitskraft die Hälfte ihrer Sozialkosten spendiert und damit alle üble Nachrede gegen den Kapitalismus Lügen straft, immer auch schon der interessierte Standpunkt der Geschäftswelt sein Recht im Rahmen des demokratisch-kapitalistischen Diskurses, wonach der Preis der Arbeit um den vom Staat weggenommenen Anteil zu hoch ist. Die immer währende Unzufriedenheit der Unternehmer mit den Kosten der Arbeit hatte damit neben dem geschätzten „Tarifpartner“ einen zweiten Adressaten in den verantwortlichen Organisatoren jener verstaatlichten Lohnanteile, die die Unternehmer – Lohnbestandteil der Arbeiter hin, Ökonomie her – aus tiefster Überzeugung nie aufgehört haben als ihr Geld zu betrachten.
… zum „strukturellen“ Krisengrund
Die neue „Herausforderung“, die nach den Worten des Regierungschefs nun eingetreten ist, eine „wirkliche politische Zäsur“ darstellt und einen „Kraftakt“ unter „radikal veränderten Bedingungen“, einen „Umbau der sozialen Sicherungssysteme jetzt – und zwar jetzt sofort –“ erfordern soll, ansonsten „der soziale Zusammenhalt in unserem Land gefährdet“ wäre (Schröder, Parteitagsrede), ist so neu nicht: Es ist „die Arbeitslosigkeit“, die Schröder seiner Partei einmal mehr als das Krisenzeichen des Standorts Deutschland benennt. Weil Unternehmer aus Gründen fehlender Rentabilität hartnäckig und massenhaft auf den Einsatz eines beträchtlichen Teils deutscher Arbeitskraft verzichten, „fordert“ er von der SPD
„den Mut, anzuerkennen, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland nicht nur aus konjunkturellen Gründen auf mehr als 4 Millionen angestiegen ist, sondern dass es dafür auch strukturelle Ursachen gibt. Diese Ursachen müssen wir erkennen und beseitigen.“ (ebd.)
Der Kanzler verlautbart an die Adresse seiner Partei eine
abschließende Entscheidung in der „Analyse“ der
„Ursachen“ der wirtschaftlichen und sozialen Missstände
im Land und teilt ihr schon vor dem Parteitag per
Spiegel-Interview mit, dass sie dort die Ergebnisse
dieser Entscheidung „anzuerkennen“ und die entsprechenden
Beschlüsse „zu fällen haben wird“. Die Entscheidung
lautet so, dass Hinweise auf die schlechte Weltkonjunktur
als Grund hartnäckiger massenhafter Arbeitslosigkeit, wie
er selbst sie nicht zu knapp von sich gegeben hat, ab
sofort als Ausrede zu gelten haben: als Ausflucht vor dem
fälligen Beschluss, dem wahren strukturellen
Grund
des Übels ins Auge zu blicken. Den sieht der Chef der
deutschen Sozialdemokratie freilich überhaupt nicht da,
wo diese Partei früher einmal einen gewissen Webfehler im
kapitalistischen System entdeckt haben wollte: in einem
„Recht auf Arbeit“, das ausschließlich bei den Benutzern
und Nutznießern der Arbeit anderer Leute liegt, denen die
Freiheit zum Gebrauch oder Nicht-Gebrauch von
Arbeitskräften garantiert und für den großen Rest den
Zwang zum Gelderwerb durch Arbeit mit der
Ohnmacht verbindet, das aus eigener Kraft auch
hinzukriegen. Eine solche „strukturelle Ursache“ kennt
der Parteivorsitzende noch nicht einmal als
Gegenposition, die er seinen Sozialdemokraten ausreden
oder notfalls verbieten müsste. Die Tapferkeit, die er
von denen verlangt, besteht darin, die eindeutige
Therapie, die er der nationalen Krisenlage
angedeihen lassen will, auch schon längst anwendet und in
der „Agenda 2010“ zum Regierungsprogramm für die
kommenden Jahre ausgearbeitet hat, als Diagnose
anzuerkennen und zur neuen Parteiräson zu
erheben. Nach dieser „Logik“ marschieren in der
Aufzählung der „strukturellen Ursachen“ von
Arbeitslosigkeit und Krise die inzwischen üblichen
Verdächtigen auf:
„Wir müssen zum Beispiel anerkennen, dass die Lohnnebenkosten von 32 Prozent im Jahre 1982 auf inzwischen 42 Prozent gestiegen sind…, die so unerträglich auf die Löhne und Gehälter drücken. Einerseits behalten die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer immer weniger von ihrem Bruttogehalt in der Tasche und andererseits wird es wegen dieser Entwicklung für die Unternehmer immer teurer, neue Arbeitsmöglichkeiten, die wir so dringend brauchen, zu schaffen. Wir müssen also an dieser Stelle handeln…“
„… anerkennen, dass wir inzwischen 62 Prozent unseres Bundeshaushalts für Schuldendienst und Sozialausgaben verwenden. Liebe Freunde, das ist zu viel…“
„…wir müssen anerkennen und aussprechen, dass, wenn wir jetzt nichts ändern, … unsere vorbildlichen Systeme der Gesundheitsvorsorge und der Alterssicherung schlicht nicht mehr bezahlbar wären. Da liegen die strukturellen Probleme, an die wir heranmüssen.“
Die Sache, auf die Schröder sich bezieht, ist
nichts weiter als die altbekannte schlechte Dialektik der
Krise des kapitalistischen Wachstums: Sie vermindert am
Standort die Anzahl der berufstätigen Beitragszahler,
lässt die der Anspruchsberechtigten wachsen, und deswegen
wird es bei der Verteilung der nationalen Lohnsumme, die
von immer weniger und immer billigeren „Aktiven“ verdient
wird, für das vergrößerte Lager der „Leistungsempfänger“
finanziell immer enger, je dringender die diese
„Leistungen“ brauchen. Tatsächlich redet der Mann also
von den „strukturellen“ Folgen eines Systems,
gemäß dessen Ökonomie des Sozialen so schlichte
Selbstverständlichkeiten wie Gesundheitsvorsorge und
Alterssicherung unbezahlbar sind. Mit so viel
Sachlichkeit kann ein Mann der Tat und staatlichen Macht
aber überhaupt nichts anfangen; umso mehr hingegen mit
der Verdrehung von Konsequenzen in Ursachen der
Krisenlage der Republik. Dann stellt sich nämlich heraus,
dass es in Wahrheit nicht etwa das Sozialwesen wegen der
systemeigenen Härten der Lohnarbeit gibt und einen so
großen Finanzbedarf der Sozialkassen wegen der auf die
Lohnabhängigen abgewälzten Lasten der Krise des
kapitalistischen Geschäfts, sondern die Krise wegen der
Belastung des Geschäfts durch die organisierte Betreuung
von Sozialfällen. Denn als „Lohnnebenkosten“ verrechnet,
übt der sozialstaatlich organisierte massenhafte Mangel,
den das System der Lohnarbeit so mit sich bringt, einen
„unerträglichen“ Druck „auf Löhne und Gehälter“
aus, der zwar Lohnzahler ebenso wie Lohnempfänger trifft
– netterweise nennt der Kanzler die Letzteren sogar
zuerst –, aber doch mit ganz unterschiedlichen Folgen –
sein Unterscheidungsvermögen ist Schröder vor lauter
Mitgefühl nicht abhanden gekommen –: Der
ausbezahlte Lohn kann immer noch einiges mehr an
„Druck“ vertragen; der Gesamtlohn ist
kapitalistischen Unternehmern einfach nicht mehr
zuzumuten. Richtig herum betrachtet ist ebenso klar, dass
die Summe aus Sozialausgaben und Schuldendienst im
Staatshaushalt nicht etwa Folge, sondern einfach zu
viel
und insofern Grund eines höchst
betrüblichen Zustands der nationalen Wirtschaftskraft ist
– wobei auch da zwischen den beiden Posten, die der
Kanzler so unbefangen zusammenzählt,[1] durchaus wieder differenziert
werden darf: Wenn es dem Aufschwung hilft, lassen sich
zusätzliche Schulden durchaus verantworten; nur muss
trotzdem die Summe aus höherem Schuldendienst
und Sozialausgaben runter. Und was die „Systeme der
Gesundheitsvorsorge und Alterssicherung“ selber betrifft,
so ist angesichts ihrer Unbezahlbarkeit festzuhalten,
dass sie nicht an der Masse von Elend scheitern, die sie
zu bewältigen haben, sondern an sich selbst, nämlich
ihrer ‚Vorbildlichkeit‘, und dass sie damit das
ganze Gemeinwesen in Zahlungsnöte stürzen. Womit die
Diagnose fertig wäre: Der Lebensstil derer, die als
Arbeitslose, Kranke und Rentner viel zu „vorbildlich“ aus
den Sozialkassen alimentiert werden, ist zu aufwändig und
im Ergebnis sozialschädlich. Er führt zu
Ausgaben, die die „Lohnnebenkosten“ so in die Höhe
treiben, dass das Arbeitgeben mehr Kosten als
angemessenen Ertrag verspricht und deswegen all zu oft
unterbleibt, er ruiniert den Staatshaushalt; und in
letzter Konsequenz untergräbt er sich selbst – wenn die
Staatsgewalt ihn nicht endlich „reformiert“.
Denn dass hier die Therapie ansetzen muss, liegt damit auf der Hand: Das soll die SPD „anerkennen“ und als altgediente „Reformpartei“ die entsprechende „Generalrevision“ des deutschen Sozialstaats zu ihrer großen Reformaufgabe erklären.
Die „Realität“ fordert den Systemwechsel…
Was der Kanzler von seiner Partei verlangt, ist in
der Sache eine klare Parteinahme für das materielle
Interesse der einen Klasse in der bundesdeutschen
Gesellschaft gegen dasjenige der anderen: gegen
den Lohn und diejenigen, die von seinen „Netto“- wie
seinen „Brutto“-Bestandteilen leben müssen;
für die Bereicherung derer, die ihn zahlen
müssen, um sich vermittels der gekauften Arbeit zu
bereichern. Diese Parteinahme erklärt er für
alternativlos notwendig und spitzt sie damit in der
Sache noch zu: All die anspruchsvollen Kriterien,
die Deutschlands Arbeitgeber an die Benutzung von
Lohnarbeitern anlegen und die so restriktiv wirken, dass
die Nation von ihren hohen Arbeitslosenziffern immerzu
nicht herunterkommt, soll die Sozialdemokratie sich zu
Eigen machen; bei deren Durchsetzung soll sie die
Eigentümer und Profiteure des nationalen Geschäftsgangs
bedingungslos, entschieden und erfolgsorientiert
unterstützen; und das nicht einfach bloß, damit es denen
gut geht, sondern weil der ganze Rest der
Gesellschaft, die Masse der Landesbewohner, davon
abhängt, dass deren Bereicherung klappt.
Weil sie alle Lebensregungen in der Gesellschaft
für sich in Dienst genommen, zu ihrem Mittel herabgesetzt
und für ihr „Wachstum“ funktionalisiert haben,
ausgerechnet deswegen soll die Partei mit Blick auf die
Manövriermasse nichts anderes mehr wollen, als den
Aktivisten des kapitalistischen Privateigentums alle
Geschäftshindernisse aus dem Weg zu räumen – das
Hindernis, dass die Manövriermasse eine gewisse Pflege
und dafür Geld benötigt, um wunschgemäß
verfügbar zu sein, an erster Stelle. Nach Jahren der
Massenarbeitslosigkeit, in denen sich die ganze Härte und
Gemeinheit dieses Abhängigkeitsverhältnisses wirklich
ausgiebigst gezeigt hat, ermuntert der Chef der SPD seine
„lieben Freunde“, endlich „die Wahrheit auszusprechen“,
„von der Realität zu reden“, „auszusprechen was ist“ und
diese Wahrheit öffentlich und parteiprogrammatisch
„anzuerkennen“: die „Wahrheit“, dass das
Bereicherungsinteresse der kapitalistischen Geschäftswelt
in diesem Laden das allein gültige ist, und dass es sich
mit der Sorte Lebensunterhalt, den der Sozialstaat für
die Masse von Bedürftigen aus dem Gesamt-Arbeitslohn
herausquetscht, schlechterdings nicht verträgt –
weswegen mitnichten das herrschende Interesse relativiert
gehört, sondern der Sozialstaat umgebaut
.
Dabei ist es ja wirklich nicht so, als ob die Sozialpolitik der BRD sich bislang an dem Bereicherungsinteresse der wirklich Reichen vergangen hätte. Mit der Bereitstellung einer bei brauchbarer Volksgesundheit befindlichen, grundausgebildeten und auch in Auszeiten gefütterten nationalen Arbeitsmannschaft hat sie im Gegenteil denen eine Bedingung ihres Geschäfts und insofern nichts als ihr eigenes wohlverstandenes Gesamtinteresse aufgenötigt. Mit diesem Zwang jedoch haben sich die Profis in den Chefetagen nie wirklich abgefunden, geschweige denn je anfreunden können. Die sehen noch alle Mal in ihrem ganz speziellen Nutzen – nicht umsonst heißt ihr Reichtum Eigentum – die beste Garantie für ihr allgemeines Wohl, in jeder Rücksicht auf ihren lohnabhängigen „Faktor Arbeit“ eine Zweckentfremdung von Mitteln, die eigentlich der Mehrung ihrer Erträge zu dienen hätten; und die öffentliche Armutsverwaltung nach den Vorschriften von Reichsversicherungsordnung und Sozialgesetzbuch ist für sie schon gleich nichts anderes als eine „soziale Hängematte“ für unnützes Pack – ganz ungeachtet dessen, dass im „Freizeitpark Deutschland“ (H. Kohl) mit seinen Krankenhäusern, Altersheimen und Arbeitsämtern proletarischer Saus & Braus schon immer von Staats wegen am Überschäumen gehindert wurde. Jetzt gibt der sozialdemokratische Kanzler ihnen darin Recht; und er legt seine Partei darauf fest, den Unternehmern der Nation dieses Recht zu verschaffen.
Um seine Sozialdemokraten auf diese klare Generallinie einzuschwören, spitzt Schröder seine Parteinahme für den Erfolg des kapitalistischen Reichtums und gegen die Kosten der Armut geradezu ultimativ zu: Er wirft die Systemfrage auf; die nach dem bundesrepublikanischen Sozialsystem im Speziellen und die daran hängende generelle nach dem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem überhaupt, nach „Wohlstand“, „sozialem Zusammenhalt“ und den „gewaltigen Chancen“ Deutschlands in einem „starken Europa“. Und er beantwortet sie auch gleich – genau spiegelverkehrt zu der ihrerseits bereits grundverkehrten Art, auf die seine Partei sich während der ersten hundert Jahre ihrer Geschichte mit dieser „Frage“ befasst hat. Noch bis gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts haben Sozialdemokraten nicht wahrhaben wollen, dass die Produktionsweise auch schon für die Verteilung des geschaffenen Reichtums, also auch für die beständige Reproduktion nützlicher wie unnützer Armut sorgt; sie haben es als ihre historische Mission betrachtet – und diese Linie gegen Kommunisten und andere Linksabweichler unter der Überschrift „Reform statt Revolution“ nicht bloß theoretisch legitimert, sondern auch praktisch mit all der Gewalt, über die sie jeweils verfügten, durchgesetzt –, das Wirtschaftssystem der kapitalistischen Bereicherung und kostengünstigen Ausnutzung von Lohnarbeitern durch ein Sozialsystem der organisierten Mängelverwaltung akzeptabel zu machen. Zu Beginn des neuen Jahrhunderts dekretiert der Chef aller deutschen Sozialdemokraten als neue Leitlinie der Partei die überhaupt nicht resignative, sondern durch und durch affirmative „Einsicht“, dass für das Wirtschaftssystem die überkommenen Sozialsysteme schlechterdings inakzeptabel sind und dass es deswegen nicht bloß überflüssig, sondern systemwidrig und somit von Übel ist, in die selbsttätige marktwirtschaftliche Verteilungsgerechtigkeit eingreifen, sie gar korrigieren zu wollen und für die „Sozialverträglichkeit“ des Kapitalismus und die Betreuung seiner lohnabhängigen Klasse Geld aufzuwenden, das dafür gar nicht da ist.[2]
Für diese Antwort, die alle Systemfragen ein für alle Mal
beendet, argumentiert Schröder ohne Scheu vor
Wiederholungen mit der Realität, die sowieso
keine andere Möglichkeit offen lasse als sie
„anzuerkennen“ – eine sehr passende Beweisführung; denn
mit ihr verweigert er jedes Argument, weist jegliche
Nachfrage nach einer Begründung zurück und fordert auf
die Art die bedenken- und bedingungslose
Anerkennung der Interessen, die ihm wichtig sind.
Freilich ist es einigermaßen dreist, die
Geschäftsinteressen der Kapitalisten und zusätzlich das
Bedürfnis der Staatsgewalt nach frei verfügbaren
Haushaltsmitteln umstandslos als „Wahrheit“, „Realität“,
„ökonomische und demographische Wirklichkeit“ usw. zu
präsentieren. Offensichtlich geht das aber völlig in
Ordnung in einem Staatswesen, dessen Sachwalter über die
Macht verfügen, ihre Anliegen zur Existenzbedingung für
alle anderen zu machen, also die Lage
zu
definieren, auf die ein jeder sich beziehen muss – und in
dem sich niemand findet, der ihnen diese Macht und den
zynischen Verweis auf die Unumgehbarkeit der von ihnen
geschaffenen Fakten wirksam bestreitet. Die Partei
jedenfalls, die Schröder auf seine „Realität“ einschwört,
sträubt sich dagegen nicht. Die hat längst ihre Lektion
gelernt, die der Welt- wie die ihrer Parteigeschichte: Im
globalen Maßstab und im gesamtdeutschen noch einmal extra
hat die Marktwirtschaft gesiegt; „Wirtschaft“ geht
vernünftigerweise und erwiesenermaßen gar nicht anders
denn als Wirtschaft des konkurrierenden privaten
Eigentums; die „realsozialistische“ Systemalternative hat
nach Jahren der Bekämpfung bis an die Schwelle des
Atomkriegs ihren „Wettbewerb“ mit dem Kapitalismus in
aller Form verloren gegeben, jeder Wirtschaftsplanung
abgeschworen und ihren eingestandenen „Misserfolg“ mit
Selbstmord quittiert; und die Aktivisten und Anhänger des
siegreichen Lagers haben viel dafür getan, ihre und die
Völker der Welt mit diesem historischen Spielstand zu
beeindrucken und ihn für irreversibel zu erklären. Das
überzeugt; schon gleich eine demokratische Partei, die in
mittlerweile zwei erfolgreich bestandenen nationalen
Wahlgängen erlebt hat, dass kein geringerer als der
demokratische Wähler den „Realismus“ ihres Kanzlers ins
Recht setzt. Der zögert auch nicht, seine Gefolgsleute an
diese Erfolgsgeschichte zu erinnern und ihnen in seiner
Parteitagsrede die Lehre vorzubuchstabieren, die daraus
für ihr sozialdemokratisches Partei-Ethos folgt:
Nicht was sie durchsetzen will, macht das
Sozialdemokratische an der SPD aus, sondern dass
sie es ist, die verantwortlich „gestaltet“, was
sonst die andern dem Bürgervolk aufherrschen würden:
„Das ist es doch, wofür ich werbe und wofür wir alle, die in der Parteiführung und in der Regierung sind, kämpfen, nämlich für das, was Sozialdemokraten immer ausgemacht hat: Wir wollen gestalten – nicht zuletzt (!) durch Regierungsmacht – und wir wollen uns eben nicht beiseite drücken lassen.“
… und die Kinder und die Freiheit fordern ihn auch
Damit es bei dem schönen Erfolg bleibt, langt es freilich nicht, dass „die Realität“ ihr Werk tut; und auch die Folgsamkeit der Partei ist noch kein Wahlsieg. Dafür kommt es schon darauf an,
„die Menschen davon zu überzeugen, was jetzt notwendig ist, sie auf unserem Weg mitzunehmen und sie für die neuen Chancen, die wir diesem Land eröffnen wollen, auch zu begeistern“.
Deswegen braucht es zum „Realismus“ doch auch noch ein gewisses Quantum moralische Überhöhung. Auch das hat der oberste Sozialdemokrat anzubieten, in doppelter Ausfertigung sogar:
– Dass die zu einem ganzen Wirtschaftssystem verfestigten Klassen- und Staatsinteressen, für die der Kanzler sich stark macht, die bisherigen Standards der sozialen Mängelverwaltung nicht mehr dulden, das lässt sich gut und mit sittlichem Gewinn an den kleinsten und garantiert unschuldigen Opfern dieser unschlagbaren Wirtschaftsweise ausdrücken, die zugleich das teuerste Gut der Nation, nämlich ihre Zukunft verkörpern: Der Nachwuchs hat die Folgen auszubaden! Mit den Worten der Parteitagsrede:
„Wir dürfen nicht heute all das aufessen, wovon sie“ ( sc. die „Jüngeren, die nach uns kommen“) „morgen auch noch leben wollen! Das wäre nicht fair künftigen Generationen gegenüber.“
Klar, was man heutigen Rentnern und Kranken vorenthält – am besten gar nicht erst produzieren lässt, schon gar nicht von unbezahlbaren Arbeitskräften, damit es auch ganz bestimmt nicht aufgegessen wird –, daran können sich dann spätere Generationen gütlich tun; wenn man hingegen heutige Arbeitslose trotz ihrer Arbeitslosigkeit aufessen lässt, was sie aus Rentabilitätsgründen gar nicht erst produzieren, dann fehlen den Leuten später die Esswaren und wahrscheinlich sogar die Arbeitsplätze…[3] Sachlich genommen spricht der Kanzler nur aus, dass die Bevölkerung seines Ladens auch in Zukunft nichts zu lachen haben wird, weil dann nach wie vor die Masse der Leute so billig benutzt wird, wie es geht, und trotzdem nach wie vor mit dem verdienten Lohn für den Erhalt der Ausgemusterten haftbar gemacht wird. Diese „realistische“ Aussicht sieht aber schon ganz anders aus, wenn man die gegenwärtigen und demnächst anfallenden Sozialfälle mit ihrem Lebensunterhalt ad personam für die Kosten haftbar macht, die demnächst für sie anfallen: Dann ist es einfach ein Gebot der Kinderliebe, der „sozialen Marktwirtschaft“ den Aufwand für Alte, Kranke und Arbeitslose zu erlassen.
– Die „Realität“, mit der der Kanzler „argumentiert“, ist die mit aller staatlichen Ordnungsgewalt garantierte Abhängigkeit der Masse der Leute vom kapitalistischen Eigentum anderer; was er mit seiner Reform-Agenda geltend macht, ist ihre Abhängigkeit von den Verfügungen und Einrichtungen des Sozialstaats. Lässt man das Erste sowie den Grund für das Zweite weg, dann bleibt eine Gleichung von hoher moralischer Qualität übrig: Vom Sozialstaat Geld zu kriegen, bedeutet Abhängigkeit – und das ist in einem freien Land doch eigentlich unter aller Menschenwürde! Dafür, dass diese Gleichung praktisch aufgeht, sorgt die Regierung selber, indem sie Leuten, die keine Alternative haben, Geld wegnimmt und auch noch Einverständnis damit zumutet, weil wenigstens der Rest ihnen bis auf weiteres „sicher“ ist. Was in sittlicher Hinsicht aus ihr folgt, erläutert der Regierungschef in seiner Rede:
„Oberstes Ziel“ sozialdemokratischer Politik sei es, „Menschen in Erwerbsarbeit zu bringen“ und „nicht zuzulassen, dass sie dauerhaft von staatlicher Unterstützung leben müssen. Das schafft keine Freiheit… Hunderttausend junge Menschen, die wir aus der Sozialhilfe in Arbeit vermitteln können … sind hunderttausend Chancen zur Teilhabe an der Gesellschaft und an der Demokratie.“
Sozialhilfe ist quasi Gewalt gegen Abhängige – sagt der, der sie auf ein Niveau drückt, dass eine „Teilhabe an der Gesellschaft“ illusorisch wird. Lohnarbeit dagegen macht frei – das ist das neue Credo der deutschen Sozialdemokratie.
Die SPD-„Linke“ weint ihrer „sozialdemokratischen Identität“ nach
Bedenken gegen die Neudefinition der SPD als „Reformpartei“ gibt es dann doch. Es gibt Einwände in der Sache, aber auch gegen den „Stil“, in dem Schröders „Agenda“ zum neuen Programm der Sozialdemokraten gemacht wird. Eine „linke“ Minderheit kommt angesichts der großen Wegwerfaktion ins Grübeln, ob man das angestammte Politikfeld der SPD, die sozialstaatliche Organisation der Ausbeutungsfolgen zwecks funktionellem Erhalt der Lohnarbeit, auf dem man in Sachen Machterwerb und -erhalt lange Jahre so erfolgreich war, tatsächlich mit der vom Kanzler vorgeschlagenen Radikalität verlassen sollte. Diese „Linken“ sind daran gewöhnt, dass der Respekt vor der arbeitsamen Basis der Marktwirtschaft, der Stolz auf die Integration der Lohnabhängigen ins demokratische Gemeinwesen, der Lobpreis des Lebensstandards der eigentlich mehr auf Armut festgelegten Bevölkerungsmehrheit als soziale Errungenschaft, lauter Standpunkte, die alle Welt mit „Sozialdemokratie“ assoziiert, einen festen und geachteten Platz in der politischen Kultur ihrer Republik haben, und sehen nicht ein, warum das alles aus dem pluralistischen Meinungsspektrum der Nation gestrichen werden soll. Sie fürchten ganz im Allgemeinen eine Verarmung der ach so produktiven Vielfalt politischer Positionen im Land und im Besonderen den Verlust ihrer „Identität“ als soziale Reformpartei, was in der politischen Konkurrenz mit den Konservativen und Liberalen doch immer ihr unterscheidendes Markenzeichen war, und fragen sich, wer oder was die Sozialdemokratie denn nach der angesagten Wende der Führung noch Besonderes sei. Also stellen sie erst einmal die kühne Behauptung auf, sie – und nicht ihre politischen Chefs – seien überhaupt „die Partei“, und erzwingen den Sonderparteitag. In dessen Vorfeld denken sie öffentlich darüber nach, warum sie gerade in der Partei noch „arbeiten“ sollten, wenn der Sozialstaat, der alte Hauptgegenstand ihrer nationalen Verantwortlichkeit, nicht nur ausgedient haben, sondern in Zukunft sogar als Hindernis deutschen Vorankommens in der Oberliga der Nationen übel beleumundet sein soll und sie nicht mehr für Rücksichtnahme auf die Armen plädieren dürfen, die ihre „sozialpflichtige“ Wirtschaftsordnung so reichlich produziert. Angesichts schlechter Landtagswahlergebnisse und „katastrophaler“ Umfragewerte für ihre Partei sehen sie im Übrigen demnächst endgültig den Verlust der Macht im Staat voraus; und außerdem fühlen sie sich durch den Stil des Umgangs mit der Basis, zu deren Vertreter sie sich erklären, bei der Behandlung so wichtiger Fragen ziemlich „übergangen“.
Die „Realität“, die ihr Chef ihnen verkündigt, wollen die Partei-„Linken“ mit all dem nicht in Frage gestellt haben. Dass die Bedürfnisse von Lohnabhängigen und Sozialfällen auf der einen, diejenigen „der Wirtschaft“ und des Staatshaushalts auf der anderen Seite in Widerspruch zueinander stehen und wie der Widerspruch aufgelöst gehört, ist auch ihnen geläufig; den Ersteren im Kapitalismus zu ihrem Recht zu verhelfen, war schließlich immer Parteiprogramm. Dass dieser Gegensatz mehr im Sinne „der Wirtschaft“ und tendenziell gegen deren Opfer geregelt werden muss, wenn er, statt allmählich hinzuschwinden, mit den glanzvollen Fortschritten der globalen Marktwirtschaft sich wieder einmal verschärft, das ist ihnen auch nichts Neues; oft genug waren sie ja gefordert und haben sich dafür hergegeben, noch jedes unglückselige „Dilemma“ zu Lasten der privaten Haushalte aufzulösen. So sieht der Sprecher der „Linken“, Otmar Schreiner, auch auf dem Parteitag „niemanden in diesem Raum, der gegen Sozialreformen ist“, wohl wissend, wofür das Stichwort „Sozialreformen“ „in diesem Raum“ steht. Er möchte nur, das aber immerhin, zu bedenken geben, dass sogar die „Sozialeinkommen“ mehrere Seiten haben; nicht bloß die schlechte, weil Kosten-Seite und die andere menschlich-schicksalsmäßige, sondern sogar rein ökonomisch neben der belastenden eine gute: Es sind
„Einkommen, die auf dem deutschen Binnenmarkt voll nachfragewirksam sind… Es ist nicht nur ökonomisch falsch, ausgerechnet in der Konjunkturkrise die Sozialeinkommen deutlich und drastisch zu beschneiden. Das führt nicht zu mehr Beschäftigung, das führt zu mehr Arbeitslosigkeit.“
Man sieht, auch der sozialdemokratischen „Linken“ ist völlig klar, wie, nämlich wie bedingt materielle Interessen von Lohnabhängigen in der schönen Welt von Demokratie und Marktwirtschaft überhaupt zählen: als abhängige Variable, die nur so viel wert ist wie der Dienst, den sie den wirklich gewichtigen Interessen leistet. Sie findet nichts daran auszusetzen, denkt sich überhaupt nichts Böses dabei, wenn sie daran erinnert, dass der Lebensunterhalt zahlloser Menschen auch im perfektesten Sozialstaat völlig seiner Funktion für die Realisierung von Warenkapital untergeordnet ist, „Versorgung“ also gar nicht um der „Versorgten“, sondern um des Geschäfts der „Versorger“ willen stattfindet und ökonomisch sonst überhaupt nichts für „Sozialeinkommen“ spricht. Sie fühlt sich im Gegenteil argumentativ unheimlich stark, wenn sie daraus ein Argument für diese Einkommensart macht oder jedenfalls für Schranken bei der programmierten Verarmung. Auch an der anderen Seite der marktwirtschaftlichen Zuteilung von Armut und Reichtum haben Schröders Kritiker nichts auszusetzen, finden es im Gegenteil gut, dass es neben den „sozial Schwachen“ auch „breite Schultern“ gibt, die problemlos einiges an Abgabenlast tragen könnten – dass Reichtum nicht die Quittung für hervorragende Persönlichkeit ist, sondern das Resultat von Bereicherung an der nützlichen Armut anderer: selbst dieses rudimentäre Wissenselement hat sich aus dem Fundus „links“sozialdemokratischer Weisheiten verloren –; ganz problemlos könnten sie sich nämlich einen Solidarbeitrag der Bessergestellten für den Erhalt der Armutsverwaltung vorstellen und fänden das überhaupt moralisch ganz prima:
Wenn man denjenigen, die ohnehin nicht viel haben,
sagt, ihr müsst den Gürtel enger schnallen, muss auch ein
Beitrag der anderen sichtbar werden.
(Andrea Ypsilanti, Hessische
SPD-Landesvorsitzende, FTD, 7.4.) Sehr schön
sichtbar würde er z.B. durch eine Belebung der
Vermögenssteuer für Reiche als Akt der Gerechtigkeit.
(Andrea Nahles) Und damit
niemand das missversteht: Wir sind bereit zu
Einschnitten. Es gebe aber das Gefühl, dass diese bisher
ungerecht verteilt sind, dass bei denen oben nicht
zugelangt wird.
(Pronold,
Bayerischer Juso-Vorsitzender, SZ, 15.4.)
Mit diesem schönen Vermittlungsangebot trennt sich der Ruf nach ausgleichender Gerechtigkeit bereits von der Illusion, mit Solidarbeiträgen der Reichen ließen sich den Schlechterverdienenden resp. -verdienthabenden wenigstens zusätzliche Entbehrungen ersparen. Aber das macht nichts: Moderne SozialdemokratInnen finden die Psyche ihrer Klientel mindestens genauso wichtig wie das Geld, das man den Leuten geben sollte, damit sie das Wachstum fremden Reichtums ankurbeln, und noch viel pflegebedürftiger:
„Was soll in den Köpfen dieser Menschen vorgehen, wenn sie in ihrer Frühstückszeitung lesen dürfen, dass der 55-jährige Manager im Versagensfall mit einer millionenschweren Euroabfindung in Frühpension geht?“ (Schreiner in seiner Parteitagsrede)
Und vor allem: Wen wählen die dann? So nähert sich die „Linke“ nämlich dem schlagendsten Argument, das sie gegen ihren Kanzler meint in petto zu haben: Wie soll die SPD „die Menschen begeistern“, wenn sie nicht einmal mehr die Empörung der „kleinen Leute“ über reiche Leute schüren darf, von deren exorbitanten Altersruhegeldern bei Gelegenheit die Boulevard-Presse berichtet?
„Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sorgen uns um die Zukunft unserer SPD. Wir sind überzeugt davon, dass wir nur mit einem klaren sozialdemokratischen Profil Erfolg haben können… Wir melden uns zu Wort, weil Korrekturen notwendig sind, um als SPD Erfolg zu haben…“ (Schreiben an den SPD-Parteivorstand) „Wir haben seit vielen Monaten sehr schwache Umfragewerte. Die Frage ist ja: Woran liegt das? Und meine feste Überzeugung ist, wenn es nicht zu einem deutlichen politischen Kurswechsel, oder zumindest zu einer Kurskorrektur kommt, wird das auch in den nächsten Jahren so bleiben, damit ist niemandem gedient. Ich will mit dazu beitragen, dass wir auch auf mittlere Sicht regierungsfähig bleiben.“ (Ottmar Schreiner, ZDF, Frontal21, 27.5.)
Der Kanzler weist den Weg – sein Wahlverein macht den Diener
Müßig die Frage, ob die widerspenstigen Schröder-Kritiker ihre Sorgen um die nächste Wahlniederlage nur heucheln, weil sie ihre alte Klientel sozialstaatlich rücksichtsvoller behandelt sehen möchten, oder ihr soziales Gewissen nur vorschützen, weil sie um den Erfolg der Partei fürchten: Für sie fällt beides sowieso in eins. Und in beiden Punkten holen sie sich bei ihrem Chef und Kanzler eine gnadenlose Abfuhr. In der Sache lässt der überhaupt nicht mit sich reden – schließlich ist er der Anwalt der „Wirklichkeit“, seine Kritiker dagegen sind die Lobbyisten des bloß „Wünschbaren“, und wirklich wünschbar ist das natürlich nicht einmal. Schröder will die Maßstäbe weg haben, an denen die „Linken“ ihn und seine Politik irgendwie immer noch messen wollen. Es hilft gar nichts, dass sie gar nicht darauf aus sind, ihn daran zu blamieren, dass sie vielmehr alles tun würden, um Gesichtspunkte zu finden, unter denen sich sogar die angesagte Reformpolitik noch auf alt-sozialdemokratisch loben ließe: Solches Lob, selbst solches Lob möchte der SPD-Kanzler nicht mehr hören, weil es seinem Reformprojekt das falsche Gütesiegel aufdrängen würde und nicht das Einzige, auf das er Wert legt: Radikalität bei der „Anpassung“ Deutschlands an sämtliche harten Überlebensbedingungen, die die kapitalistische Geschäftswelt mit den verheerenden Fortschritten ihrer weltweiten Konkurrenz setzt; Kompromisslosigkeit bei der Befreiung der Staatsgewalt von einstmals gewährten und festgeschriebenen Ansprüchen der „sozial Schwachen“, die diese Überlebensbedingungen zunehmend weniger aushalten. Schröder will genau das, was seine Kritiker befürchten: Die Auffassung, eine wenigstens der Idee nach rücksichtsvolle, auf „Integration“ berechnete Behandlung von Lohnabhängigen und Sozialfällen wäre eine bewahrenswerte Errungenschaft, wäre unter dem Titel „soziale Gerechtigkeit“ als Norm sogar fürs Regieren anzuerkennen – die Auffassung soll aus dem Spektrum ehrenwerter, zu einem modernen Staatswesen durchaus dazugehöriger Minderheitsmeinungen verschwinden. Was an Parteinahme für die „sozial Schwachen“ allenfalls noch erlaubt und in der Form dann sogar gefordert ist, das ist der Ruf nach ihrer kapitalistische Benutzung und folglich nach Arbeits- und Entlohnungsbedingungen, die einem global konkurrierenden Arbeitgeber einfach gefallen müssen. Mit einem davon abweichenden Ethos der sozialen Gerechtigkeit ist es definitiv vorbei; zur Klarstellung denunziert der regierende Ex-Juso-Chef die Schäbigkeit dieses Ideals:
„Die landläufige Meinung, ihr dürft als Sozialdemokraten eine Aufgabe, die unabweisbar ist, nur dann in Angriff nehmen, wenn ihr anderen auf den Deckel haut, ist keine rationale Politik.“ (Schröder im Spiegel-Interview)
„Rational“ ist Politik nämlich dann und nur dann, wenn
sie sich ausschließlich am Kriterium des Erfolgs
orientiert, ohne die Frage wobei?
überhaupt
zuzulassen; die ist durch „die Realität“ ohnehin
erschöpfend beantwortet. Wichtig ist allein, dass
wir
es sind, die ihn haben – und die Welt schaut
zu dabei:
„Ich komme gerade aus Petersburg, wo sich die EU mit Russland getroffen hat. Auch die Chinesen und die Inder waren dabei, der amerikanische Präsident zudem. Ich habe heute Abend in Evian beim Wirtschaftsgipfel zu sein. Meine Bitte lautet, liebe Freundinnen und Freunde, dass ich dorthin fahren kann und sagen kann: Diese Regierung, von deutschen Sozialdemokraten gebildet und gestützt, hat die Zeichen erkannt; wir sind die Kraft, die in Deutschland reformfähig und reformbereit ist. Ich möchte das mit Stolz auf meine Partei sagen können, liebe Freundinnen und Freunde.“ (Schröder, Parteitagsrede)
Wenn die „Linken“ diese Apotheose stören, weil sie fürchten, der sozialdemokratische Wähler könnte sich verarscht vorkommen und die Partei die nächsten Wahlen verlieren, dann stellt der Kanzler sie vor die Alternative, mit der neuen Linie der „Agenda 2010“ die Wende in der „Wählergunst“ zu schaffen oder ohne sie, und damit auch ohne ihn, Schröder, gleich aus der Regierung zu fliegen. Die Stilfrage ist damit auch schon erledigt. Zusätzlich erteilt die Parteitagsleitung den Genossen, die mittlerweile in den zivilen Stand „lieber Freundinnen und Freunde“ aufgerückt sind, Lektionen in sozialdemokratischer Diskussionskultur –
„Diskussion heißt nicht, dass man nach einem Wortbeitrag davon ausgeht, dass die Regierung das jetzt gefälligst so ändert, wie man es soeben vorgetragen hat. Das ist ein falsches Verständnis von Debatte. Und entschieden wird später.“ (Müntefering, SZ, 19.-21.4) –
und in sozialdemokratischer Überzeugungsarbeit:
„Wer gegen die Agenda 2010 stimme, über dessen Bundestagsmandat muss man bei der Aufstellung für die nächste Wahl dann nachdenken. Er sei aber sicher, dass SPD-Fraktionschef Franz Müntefering Überzeugungsarbeit in diesem Sinne liefern werde.“ (NRW-SPD-Chef Harald Schartau, FTD, 1.6.)
Derlei luzides Argumentieren überzeugt am Ende die Partei
mit so überwältigender Mehrheit, dass eine Zeitung titeln
kann: SPD-Parteitag: Des Kanzlers Diener
(FTD, 2.6.)
Trotzdem bleibt ein gewisses Problem. Die Partei ist zwar auf Linie gebracht; der Zuspruch der Nation lässt jedoch zu wünschen übrig. Nicht, weil ihr die „traditionellen sozialdemokratischen Werte“ abgehen würden. Aber „der Wähler“, auf welcher Ebene auch immer gefordert und bezüglich der Bundespolitik Monat für Monat befragt, reduziert sein Vertrauen in den regierenden Macher und seinen gleichgeschalteten Verein auf kaum 30%. Die Öffentlichkeit in all ihrem Pluralismus ist durch die Bank unzufrieden. Sämtliche Verbände meckern; abwechselnd oder gleichzeitig. Die Opposition sieht sich von einem Wahlerfolg zum nächsten und Umfrage für Umfrage in ihrer beleidigten Auffassung bestätigt, dass Schröder den ihr allein zustehenden Wahlsieg gestohlen hat. Dabei gibt es weit und breit keine prominente Stimme, die dem Reformprogramm des Kanzlers inhaltlich widerspricht. Einen Haken scheint die Sache trotzdem zu haben.
II. Der „Reformstau“: Immanente Hindernisse bei der Verwirklichung der Forderungen der Wirklichkeit und ihre sozialpolitische Produktivkraft
Alten Leuten die Rente wegnehmen, anderen zusätzliches Geld für ihre medizinische Versorgung abnötigen und wieder andere durch die Umorganisation von Sozial- und Arbeitslosenhilfe in Rekordzeit vom Status des „Normalverdieners“ an den Rand des Pauperismus schicken: Das alles ist in einem ordentlichen Staat, wo Respekt herrscht vor Recht und Gesetz, einerseits eine leichte Übung. Ein Parlamentsbeschluss und dessen Verkündung im Bundesgesetzblatt reicht, und Kranke müssen mehr zahlen. Rente und Rentenanwartschaft gewinnen oder verlieren auf demselben Weg an Wert; der entsprechende Bescheid legt das Leben jenseits der Altersgrenze auf Heller und Cent fest. Ein Gesetzestext oder eine schlichte Verordnung zum Rechtsbegriff der Zumutbarkeit schmeißt die Lebenskalkulation von Millionen Entlassenen über den Haufen. Und in einer Republik wie der deutschen ist die Sache damit nach der Seite hin gelaufen. Die Betroffenen setzen sich nicht zur Wehr, organisieren schon gar nicht einen Widerstand gegen rechtsförmliche Zumutungen, sondern fragen ihren Arzt oder Apotheker, Rentenberater oder Sozialamtsbetreuer, Betriebsrat oder, wenn’s hoch kommt, den Anwalt von der Rechtsschutzversicherung, was ihnen zusteht.
Worauf rücksichtslose Reformer Rücksicht nehmen müssen, um Erfolg zu haben
Diese enorme Bequemlichkeit rechtsstaatlichen Regierens hat andererseits ihren Preis. Indem sie per Gesetz Lebensbedingungen diktiert und Bedürfnisse in rechtliche Regeln zwängt, erteilt die Politik eben auch Berechtigungen, stiftet einen jeweils aktuellen Stand von Ansprüchen und Pflichten, legt sich selbst auf die Anerkennung der damit beschränkten, aber auch freigesetzten Interessen der Anspruchsinhaber fest; ein förmliches neues Gesetzgebungsverfahren wird nötig, wenn der Regierung die Auswirkungen der geschaffenen Rechtslage nicht passen und sie daran etwas ändern will – insoweit noch eine lockere Übung. Um freilich mit dem Erlass rechtlicher Bedingungen, unter denen private Interessen sich betätigen dürfen, wirklich die erwünschten Ergebnisse zu erzielen, hat der soziale Rechtsstaat ein ganzes System untereinander verschränkter und voneinander abhängiger Berechtigungen und Verpflichtungen geschaffen, das gewünschten Änderungen allein dadurch einen gewissen Widerstand entgegensetzt, dass Modifikationen an einer Stelle an ganz anderen als den eigentlich gemeinten Verhältnissen womöglich gar nicht erwünschte Effekte hervorrufen[4] – das Ideal, eine ganze Gesellschaft auf dem Rechtsweg zur marktwirtschaftlichen Erfolgsmaschinerie herzurichten, verwirklicht sich notwendigerweise in einem zunehmend komplexen Instrumentarium für hoheitliche Strippenzieherei, das bei den Strippenziehern selbst periodisch die Sehnsucht nach radikaler Vereinfachung weckt.[5] Auf alle diese Rechte und Pflichten passen – drittens – lauter wohlorganisierte Verwaltungsapparate auf; jede größere Korrektur am System der rechtlich zurecht-organisierten gesellschaftlichen Interessen ist daher ein Eingriff in institutionalisierte Zuständigkeiten und löst unweigerlich Kompetenzstreitigkeiten im Behördenapparat aus, um die Auf- und Zuteilung von Finanzmitteln womöglich; dann ist am Ende das Verhältnis zwischen Bund und Ländern tangiert.[6] Wo Interessen von Staats wegen als Recht, und zwar als Anrechte auf verstaatlichte Geldsummen anerkannt werden und Sozialkassen Milliarden-Beträge einsammeln, um der lohnabhängigen Mehrheit zu einem Überleben im Kapitalismus zu verhelfen, das die meisten sich eigentlich gar nicht leisten können, da kann es – viertens – gar nicht ausbleiben, dass noch ganz andere, viel gewichtigere Interessen als die Notdurft der Betroffenen ins Spiel kommen; nämlich machtvoll organisierte Geschäftsinteressen – das viele Geld, das auf Seiten der Leistungsempfänger zur Finanzierung eines rechtlich wohlorganisierten Mangels dient, ist auf der Seite der „Leistungsanbieter“ eine Quelle florierender Vermehrung privaten Reichtums und soll das auch sein; die wollen dann aber auch mit jeder Reform entsprechend bedient sein. So werden sozialpolitische Vorhaben, die bloß in allseitigem Einverständnis die Armen noch ärmer machen sollen, zum Material für gesellschaftliche Machtkämpfe, in denen die eigentlich Betroffenen überhaupt nichts zu melden haben, umso mehr dafür Unternehmer, die an den „Sozialtransfers“ gutes Geld verdienen, aus Sparmanövern des Staates zusätzliche Chancen für sich herausholen wollen und es überhaupt nicht zynisch finden, wenn sie sich für ihre Belange auf die Nöte derer berufen, für die es weniger Geld geben soll.[7] Wo auf die Art Machtfragen aufgeworfen und Lobbys aktiv werden, da schlägt schließlich – fünftens – die Stunde der parlamentarischen Opposition. Die sammelt kraft ihres demokratischen Amtes alle Einwände ein, von welcher Seite auch immer und um Widersprüche unbekümmert, bisweilen kokettiert sie sogar mit Sympathie für die Betroffenen. Denn alle zirkulierenden Bedenken dienen ihr als Mittel für den einen großen Zweck: Sie zweifelt unerbittlich an der Effizienz der Reformen, die die Regierung plant, und verspricht der Nation, sie könnte viel effektiver haargenau das erreichen, was die Regierenden mit dem Zusammenstöpseln einer neuen Rechtslage zu erreichen suchen.
So geraten nach und nach alle möglichen politischen und gesellschaftlichen Interessen mitsamt ihren innerstaatlichen Organisationsformen ins Blickfeld des Reformeifers und von da auf die Agenda des Kanzlers. Dessen kritisch prüfendem Blick stellen sich diese Verhältnisse als eine Welt von Behinderungen dar, und die angestrebte Sozialreform geht in einen Machtkampf über, der zur Beschränkung, aber auch zur entgegenkommenden Berücksichtigung der unterschiedlichsten geschäftlichen und ständischen Ansprüche führt – nur nicht zur viel beschrieenen „Verwässerung“ des zentralen Reformanliegens.
Lösbare Schwierigkeiten einer einfachen Reformaufgabe
– Bei der Altersversorgung ist in diesem Sinne bereits mit der „Riester-Rente“ der geniale Doppelschlag gelandet worden, die Entlastung der Bruttolöhne und der Staatskasse mit der Einrichtung eines ganz neuen Geschäftszweigs für das im Versicherungsgewerbe engagierte Geldkapital zu verknüpfen: Die „Lohnnebenkosten“, also die Preise für Arbeit dürfen sinken, weil das, was davon für die Rente beschlagnahmt wird, in Zukunft gar nicht mehr dem Anspruch genügen soll, für einen Lebensunterhalt im Alter zu reichen; am Nettolohn sollen private Versicherer mit Angeboten zur Kompensation dieser Versorgungslücke verdienen. Bei der gesetzlichen Programmierung der neuen Altersarmut ist mittlerweile schon einiges erreicht, nämlich durch ganz immanente Korrekturen am Rentenrecht eine Reduktion der Leistungen der gesetzlichen Rentenkasse um insgesamt 40 Prozent seit 1992; ein Erfolg, den die Regierung ihrem Volk unerklärlicherweise verschweigt, weshalb der amtlich berufene Rentenexperte Rürup mit dieser frohen Botschaft endlich einmal an die Öffentlichkeit geht (siehe SZ und andere Zeitungen vom 11.8.), um anschließend seinen Plan vorzulegen, wie „bis zum Jahr 2030 für einen Neurentner die Rente auf unter 50 Prozent“ vom durchschnittlichen Nettolohn „abzuschmelzen“ wäre. Dass es tatsächlich so weitergehen soll, ist Konsens zwischen den Staatsparteien der Republik und ihren Expertengremien, was den Streit über das kostengünstigere Design des Lebensunterhalts heutiger und künftiger Rentnergenerationen im Einzelnen nicht verhindert. Am einfachsten ist noch eine Einigung über anstehende „Nullrunden“ bei den Rentenerhöhungen zu erzielen. Wie hoch der Abschlag auf die künftigen Ansprüche sein soll, der ihnen zum Ausgleich für ihr zu langes Leben aufgebrummt werden muss, und ob er „demographischer“ oder „Nachhaltigkeitsfaktor“ heißen soll, ist schon schwieriger zu vereinbaren. Bei der Verlängerung der Lebensarbeitszeit und der Festlegung daraus resultierender Abschläge bei deren Unterschreitung durch Frühverrentung; bei Modellen für die künftige Besteuerung der Renten; bei den prozentualen Abzügen für Eigenanteile an Kranken- und Pflegeversicherung; bei der Verringerung der Bezüge als Lohn dafür, dass man in seiner aktiven Zeit nur unterdurchschnittliche Gehaltssteigerungen erzielt hat, was sich in weniger „Entgeltpunkten“ niederschlägt; usw.: Bei alldem kann sich die Kreativität der Reformer frei entfalten. Die Bundesregierung steuert dazu ihren Unwillen bei, weiterhin mit steigenden Bundeszuschüssen die Zahlungsfähigkeit der Versicherer zu erhalten, außerdem die Sprachregelung, hier läge ein Fall von „Unfinanzierbarkeit“ dieses Postens aus einem ohnehin „Not leidenden Bundeshaushalt“ vor, und den heutigen Aktiven sei die Finanzierung der zukünftigen Alten – dass sie das selber sind, fällt dabei unter den Tisch – einfach nicht mehr zuzumuten; beides zusammen eine unmissverständliche Ansage, dass den Rentenbeziehern nicht nur ihre wirklichen Ansprüche, sondern gleich auch noch die moralischen aus dem berühmten „Generationenvertrag“ gekündigt werden. Das führt schnell zu einiger Enthemmung bei den „angedachten“ Quantitäten der Verarmung quer durch die Reihen öffentlichkeitsbewusster Wissenschaftler und Jungpolitiker, die Altersgrenzen für Prothesen und Gebisse fordern und aufgeregten Protest gegen die untaugliche Form ernten, in der sie ein so ernstes und wichtiges Problem ansprechen, hinter dem eine alles in allem unabweisbare Forderung stehe; anschließend warnt dann alle Welt vor einer Entsolidarisierung der Generationen. Diese ganze Debatte lebt davon, und die eingeleiteten Maßnahmen zeugen mit ihrer Härte ganz praktisch davon, dass mit der Verarmung der alten Leute ernsthafte, also Geschäfts-Interessen und Standort-Belange nicht angegriffen sind. Die sind hingegen tangiert, wenn die heutigen Aktiven trotz düster ausgemalter Zukunftsperspektiven einfach nicht bereit sind, größere Teile ihres zusammengeschrumpften Nettolohns in eine private Lebensabend-Versicherung zu stecken. Da tut noch mehr Aufklärung not, und die SPD-Fraktion kommt schon mal vorsichtig auf Riesters alten Vorschlag zurück, vielleicht doch eine Haftpflicht-Versicherung fürs gestiegene Durchschnittsalter gesetzlich verpflichtend zu machen.
– In der gesetzlichen Krankenversicherung liegen die Verhältnisse deutlich anders. Die Mitglieder beschränken sich zwar auch hier auf die Rolle betroffener Zuschauer, die die Aufkündigung eines Teils ihrer bisherigen Versorgungsansprüche bei Zahnersatz und Brillen, Medikamenten, Krankenhausaufenthalten oder beim Krankengeld zur Kenntnis nehmen, um sich darauf einzustellen – schließlich ist ihnen oft genug klar gemacht worden, dass das alles nur zu ihrem Besten geschieht, anderenfalls sie mit noch viel Schlimmerem zu rechnen hätten. Die ganze Sphäre ist jedoch durchgängig als Geschäftsgelegenheit für ganze Gewerbezweige organisiert; und die bestehen auf ihrem rechtsförmlich anerkannten Interesse an einem weiterhin guten Schnitt. Sie halten ihren Vorteil für – mindestens – genauso erstrangig wie die Sparinteressen der öffentlichen Hand, wehren sich gegen die Herabstufung ihrer Geschäftsgrundlage zum bloßen Kostenfaktor und finden in der Politik genügend überzeugte und als „Lobbyisten“ käufliche Anhänger dieses Standpunktes, die in der Lage sind, die reformerischen Entlastungsangriffe in wichtigen Punkten auf dem richtigen Kurs zu halten bzw. darauf zu bringen. Wo eifrige Reformer die Kassen von Zahlungen für Medikamente von zweifelhafter Wirksamkeit freistellen und nationale Kartellpreise für Pillen mit Zwangsrabatten senken wollen, schreit die Pharmaindustrie auf, droht mit Geschäftsrückgang, Zurückfahren von Forschungsaktivitäten und Arbeitsplatzabbau, und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie eine Positivliste für erstattungsfähige Arzneien unterbleiben. Wo Regierung und Opposition sich auf eine Gebühr für den ersten Arztkontakt im Vierteljahr einigen, da rechnen sich Haus- und Fachärzte einen drastischen Rückgang der Besucherzahlen in ihren Wartezimmern aus, verwahren sich gegen die Zumutung, als Inkasso-Stelle der Krankenkassen zu fungieren – auch noch gratis! –, und ihre Lobby probt den Aufstand gegen den monströsen bürokratischen Aufwand, der mit dem Einsammeln von 10-Euro-Scheinen am Praxiseingang verbunden wäre. Solche Interessen haben immerhin den Vorzug, im Unterschied zu denen der „Leistungsempfänger“ als respektable Argumente zu gelten.
Auf der anderen Seite hat der bundesdeutsche Sozialstaat mit seinen gesetzlichen Versicherungen eine Art rechtlich ermächtigten Gesamt-Kunden der Gesundheitsindustrie geschaffen, der dem Kriterium der Kostensenkung, auch zu Lasten einer freien Preisgestaltung der Leistungsanbieter, ein gewisses Gewicht verleiht. Da darf also gestritten werden, bis alle Seiten das Ergebnis als fair anerkennen. Unstrittig ist hingegen, dass die versicherten Patienten nichts mehr „umsonst“ kriegen – denn dass sie in Gestalt ihrer Beiträge schon vorab einen Haufen Zeug pauschal bezahlt haben, zählt in dem Moment gar nichts, wo sie etwas davon wirklich brauchen. Ganz in diesem Sinne fällt auch der Kompromiss aus, auf den rotgrüne Regierung und oppositionelle Ersatzregierung sich hier geeinigt haben, übrigens ohne sich in ihrem demokratischen Kampf um den praktischen und demonstrativen Nachweis überlegener Führungskraft etwas zu vergeben. Beide Seiten sind sich von Beginn an einig in dem Ziel, über die Absenkung der Kassenbeiträge eine spürbare Verbilligung der Arbeit zu erreichen, damit aber nicht die Geschäftsbasis der Gesundheitswirtschaft zu schmälern, das Ersparte vielmehr aus den Netto-Einkommen herauszuholen. Die SPD hat hierfür den Spezialeinfall zu bieten, am „Tabu“ der „paritätischen Finanzierung“ zu „rütteln“: Sie will die rechnerischen Kosten des Krankengeldes aus den Bruttolohnkosten herausnehmen und nur noch als Minderung des Nettolohns wirksam werden lassen; das trägt sie vor wie eine sozialdemokratische Position, die man der Christenunion abringen müsste. Die ihrerseits hat dasselbe mit dem Zahnersatz vor und besteht zugleich darauf, an einer diesbezüglichen Versicherungspflicht die privaten Versicherer mitverdienen zu lassen. Beschlossen wird beides, und beide Seiten können sich zum Sieger im Wettbewerb um sozialpolitische Gestaltungskompetenz erklären: eine bemerkenswerte Variante der demokratischen Regel, dass die Parteienkonkurrenz immer dafür gut ist, die schärfsten Maßregeln gegen die minderwertigen Geldinteressen der sozialversicherten Klientel auf den Weg zu bringen und dabei einen Ausgleich zwischen den und zu Gunsten der gesellschaftlich hochwertigen Bereicherungs- und Sparinteressen zu finden.
– Noch komplexer und noch radikaler geht es in der Arbeitslosenversicherung und bei der Sozialhilfe zu. Die „Zumutbarkeitsregelung“ wird noch einmal verschärft und die Pflicht des Arbeitslosen zur Annahme wirklich jeden Jobs weiterhin um die Freiheit der Arbeitsverwaltung ergänzt, ihm anderenfalls die Stütze zu streichen. Von den Arbeitslosen wird das Zurechtkommen mit verkürzten Bezugszeiten beim Arbeitslosengeld gefordert und durch Senkung und Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe die Überführung von immer mehr Arbeitslosen in den Bodensatz des Arbeitsmarktes gefördert. Langzeitarbeitslose und Sozialhilfeempfänger fasst der Bund unter seiner Regie zentral zusammen und nimmt sich seine relative Überbevölkerung mit einer im Nachkriegsdeutschland bisher unbekannten und deswegen öffentlich goutierten Brutalität vor. Die drückt sich schlicht in der amtlich verabreichten Geldsumme aus, von der solche Leute zu leben haben; und in der Hetze, mit der das Herunterdrücken der Stütze als „Anreiz zur Aufnahme von Arbeit“, also als Maßnahme gegen Drückeberger gerechtfertigt wird, die in diesem Kollektiv offenbar besonders häufig zu vermuten sind. So ist die Reformregierung, wenn sie sich von einst gewährten finanziellen Ansprüchen der dauerhaft erwerbslos Gemachten freistellt, auch moralisch auf der sicheren Seite.
Der Elan der Reformer geht allerdings noch weiter, als es die zur Staatsdoktrin erhobene marktwirtschaftliche Verelendungs-„Theorie“ gebietet. Die Regierung will durchsetzen, dass auch wirklich mehr Bundesbürger aus ihrer Arbeitslosenstatistik verschwinden, dafür auf irgendwelchen Lohnlisten auftauchen, dort dem Aufschwung nützen, sobald er kommt, statt den Staatshaushalt Geld zu kosten, das der lieber in den Aufschwung stecken möchte und für seine Sozialfälle sowieso nicht mehr übrig hat; und prompt rührt sie ganz andere Interessen auf als die Sorgen der Arbeitslosen und die kläglichen Berechnungen von Schwarzarbeitern. Dass der Staat seine altgedienten Arbeitsämter aufmischt, ist dabei noch das Wenigste; eine gut eingespielte Bürokratie übersteht notfalls die absurde Direktive, sich zu entbürokratisieren und Leute in Stellen zu vermitteln, die es nicht gibt; sie kriegt es auch hin, staatliche Gelder an „Personal-Service-Agenturen“ statt an die Träger von „Arbeitsbeschaffungs-“ und „Weiterbildungsmaßnahmen“ zu verteilen. Mit dem geplanten Großangebot an degressiv subventionierten Leiharbeitskräften greift die neue „Bundesagentur für Arbeit“ aber massiv und mit unabsehbaren Folgen in die segensreichen Erpressungsverhältnisse ein, die auf gut marktwirtschaftlich „Arbeitsmarkt“ heißen. Sie inszeniert in großem Stil den von „der Wirtschaft“ schon längst geforderten Billigstlohnsektor; durchaus im Wissen und in der Absicht, dass es bei einem „Sektor“ gar nicht bleibt, sondern von diesem aus ein quasi selbsttätiger „Sachzwang“ zur generellen Absenkung des nationalen Preisniveaus für Arbeit wirksam wird; so macht sie sich zum Agenten der systemeigenen Notwendigkeit, dass Massenarbeitslosigkeit die Löhne unter die gewohnten minimalen Lebenshaltungskosten – unter den „Wert der Ware Arbeitskraft“, hätte Marx dazu gesagt – hinunterdrückt. Die Geschäftswelt wird also bestens bedient, aber dann doch nur einerseits. Andererseits stört sie sich daran, dass das große Leiharbeitsangebot von einer Staatsagentur mit Staatsgeldern in die Welt gesetzt wird. Das Dumping-Angebot der „Service-Agenturen“ ist dann eben doch keine „echte“ Senkung des Preises der Arbeit, sondern ein subventioniertes Kunstprodukt, das sich garantiert totläuft, wenn die Firmen nach ihren Kriterien darauf einsteigen und die eigenen Belegschaften Stück um Stück entlassen, um sie von einer notfalls selbst gegründeten „PSA“ zurückzuleasen – so kennen die Unternehmervertreter ihre Kapitalisten! –; bis dahin verzerren solche „Mitnahmeeffekte“ jedoch die Konkurrenz… Lauter ehrbare Einwände von Arbeitgeberseite stehen dem Projekt entgegen, Arbeitslose nicht nur immer billiger verfügbar zu machen, sondern mit staatlicher Gewalt in irgendein Beschäftigungsverhältnis hineinzubugsieren.
– Die pure Verarmung von längerfristig Arbeitslosen
ist demgegenüber unumstritten und leicht zu haben; doch
auch da sind neben den erwünschten Wirkungen noch
allerlei komplexe Nebenwirkungen zu beachten. Die Frage,
wie jemand mit 340 Euro eines noch einmal gesenkten
Sozialhilfesatzes denn eigentlich so „zurechtkommt“,
interessiert mit Ausnahme derer, die diese „Aufgabe“ zu
bewältigen haben, wirklich kaum jemanden. Hochinteressant
sind dagegen die Auswirkungen der Sozialhilfereform auf
gewisse innerstaatliche Kompetenz- und
Finanzverhältnisse. Die Überführung der als
arbeitsfähig beurteilten Sozialfälle der untersten
Kategorie aus der kommunalen in die Zuständigkeit der
„Job-Center“ und des „Arbeitslosengeldes II“ bewirkt
nämlich eine Entlastung der Kommunal-Haushalte,
die sich seit längerem lautstark und publikumswirksam für
überschuldet erklären und das nicht zuletzt damit
begründen, dass sie als bislang zuständige Finanziers der
Sozialhilfe die teure Armut der Ärmsten mit öffentlichen
Almosen ausgestattet haben, ohne dafür selber mit
ausreichenden Einkünften ausgestattet worden zu sein. Um
die Höhe der Entlastung, für die sowieso „eigentlich die
Länder und nicht der Bund zuständig wären“ (Schröder), entbrennt natürlich sofort
ein großer Streit; die Regierung fordert von den Kommunen
die „Gegenleistung“, endlich wieder mehr zu investieren
und weniger Schulden zu machen; die Kommunen ihrerseits
ergreifen die Gelegenheit, ihr trotz aller
Entlastung immer noch himmelschreiendes Elend in
den Vordergrund zu rücken und – dann könnten sie fleißig
investieren – regelmäßigere Einkünfte, z.B. aus einer
fein reformierten Gewerbesteuer, zu fordern. Sie
wüssten auch schon, wen sie gut anzapfen könnten: Noblen
„Freiberuflern“, die sich in früheren Zeiten den Ausdruck
staatlicher Anerkennung ihrer „höherwertigen“ Tätigkeit
in einem Steuerprivileg hatten bescheinigen lassen, droht
da plötzlich der Abstieg in die Niederungen des
steuerpflichtigen Gewerbes – was die Opposition völlig
unzumutbar findet, nachdem die Regierung dafür ist. Das
Gewerbe, das eigentlich schon längst
gewerbesteuerpflichtig ist, mit seinen erlaubten
Bilanzierungskünsten und Möglichkeiten zur
„Steuergestaltung“ diesen kommunalen Einnahmezweig aber
hat „wegbrechen“ lassen, soll nach Wunsch der
Bürgermeister und Stadtkämmerer in Zukunft auch dann
zahlen, wenn es keinen Gewinn ausweist – das finden
Kanzler und Finanzminister wiederum ausgesprochen
wirtschaftsschädlich, halten es für keine gute Lösung,
wenn Unternehmen auch dann Steuern zahlen, wenn sie keine
Gewinne machen
, denn sie wollen ihre
Gemeinde- und sonstige Steuerreform durchsetzen, ohne
die Wirtschaft unnötig zu belasten
(Eichel, SZ, 19.8.). Sie kennen eben eine
Hierarchie der gesellschaftlichen Interessen und
behalten es sich vor, deren Berechtigung anzuerkennen und
zu bestreiten. Darüber geraten sie freilich endgültig mit
den Ländern in Konflikt; und außerdem müssen sie
sich sagen lassen, dass ihre ganze schöne Agenda
einschließlich ihrer Steuerpläne angesichts einer zu
allem entschlossenen Opposition und der
„Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat“ ziemlich alt
aussieht. So steht die Regierung, wo immer sie mit ihrem
sozialpolitischen Reformwerk, dem im Grundsatz
alle Welt zustimmt, zur gesetzgeberischen Tat schreitet,
vor einem demokratisch-rechtsstaatlichen
Durchsetzungsproblem.
Nachteil und Nutzen einer föderativen und demokratischen Teilung der Macht für den Elan von Reformpolitikern
Das Problem besteht freilich dann doch nur darin, dass der Willkür des nationalen Führers Grenzen gezogen sind: Schröder kann nicht machen, was er will; er kann nicht einmal seine „Agenda 2010“ umstandslos im Gesetzblatt abdrucken und wirksam werden lassen, weil erstens die Ministerpräsidenten der Bundesländer, zweitens die Oppositionsparteien mit ihren dauernden Konkurrenzmanövern und ihrer Machtposition im Bundesrat ihm in die Quere kommen. Für den Kanzler der Bundesrepublik Deutschland ist das ein großes und ärgerliches Problem; es ist aber auch schon sein größtes: Das Gewaltmonopol selber ist intakt; von irgendeinem Widerstand der sozial zurückgestuften und geschädigten Mehrheit der nationalen Bürgerschaft findet sich keine Spur. Im Gegenteil: Die Botschaft von der „Realität“, die einfach nicht mehr zulässt, dass sozialpolitisch und mit der Lohnarbeit alles so „massenfreundlich“ weitergeht wie bisher, ist in der nationalen Öffentlichkeit so gut angekommen, dass von dieser nur mehr eine dafür umso heftigere Forderung an den Kanzler ergeht: Es soll endlich überhaupt „etwas geschehen“ und „vorangehen“, fast schon egal, was – die für unabdingbar erklärten und in Aussicht gestellten Verschlechterungen im Lebensstandard der lohnabhängigen Mehrheit natürlich; doch deren Inhalt tritt zunehmend zurück hinter dem Imperativ, dass der Kanzler handeln muss, mit erkennbarer Rücksichtslosigkeit. Für den taktischen Umgang der Schröder-Regierung mit den untergeordneten Ebenen der Staatsgewalt und mit der Opposition ist das so etwas wie eine Steilvorlage: Schröder macht die Reformen, die er durchsetzen will, zum Material für die Demonstration und die demonstrative Exekution seiner Führungsqualitäten. Durch die Widerstände, die er dabei zu überwinden hat, gewinnt seine Koalition zwar zu ihrem großen Leidwesen – noch – nicht unbedingt an Statur und Anerkennung. Aber die geplanten sozialpolitischen Gemeinheiten gewinnen dadurch noch beträchtlich an Schärfe.
So führt der „Dialog“ zwischen Bundesregierung und Länderchefs nie dazu, dass die viel gepriesene „vertikale Gewaltenteilung“ dem sozialpolitisch traktierten Volk irgendeine Zumutung erspart. Stattdessen kommen alle erdenklichen „Schwachstellen“ bei der Umsetzung der Reformen auf den Verhandlungstisch. Wo sich dabei die Gefahr abzeichnet, die Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern selber könnte so eine Schwachstelle sein, da gerät der Föderalismus der BRD selber in die Kritik. Der Kanzler trifft auf Verständnis, wenn er auf einer Pressekonferenz zu seinem Regierungsprogramm zu Protokoll gibt, er würde „auch lieber nach meinem Gusto regieren“ als sich dauernd mit irgendwelchen „Landesfürsten“ herumärgern zu müssen. Das heilige Grundgesetz höchstpersönlich muss sich sagen lassen, dass es angesichts dessen, was Not täte, um Deutschland unter starker und unbehinderter Führung aus der Krise zu bringen, ziemlich „verstaubt“ wirkt und „Reformen blockiert“ (Spiegel-Titelgeschichte, 20/03).[8] Denn egal, ob man des Kanzlers Vorhaben im Einzelnen teilt und ihm Erfolg gönnt oder nicht: darüber, dass „mehr herauskäme“, wenn das Regieren in Krisenzeiten durch weniger Formalitäten behindert würde, ist man sich ziemlich einig. Deswegen legen auch umgekehrt die Ministerpräsidenten ebenso viel Wert wie auf die föderativen „Formalitäten“ auf den praktischen Beweis, dass diese eine starke Bundesregierung an gar nichts hindern, vielmehr einen produktiven Wettbewerb um größte Effizienz bewirken.
Seine Schärfe bekommt dieser Disput freilich erst dadurch, dass die parteipolitische Färbung des Bundesrats der christlichen Opposition eine denkbar starke Position verschafft: Kaum eine Reform, bei der es nicht auf ihr Plazet ankäme. Und wie es sich gehört, nimmt sie die „Agenda“ des Kanzlers unter genau dem generalisierend-zuspitzenden Gesichtspunkt unter Beschuss, unter dem der sie propagiert und betreibt: Wo Schröder „die Realität“ als Kronzeugen für die Notwendigkeit einer bedenkenlosen sozialpolitischen Wegwerfaktion anruft, da bemängelt die christliche Prominenz „Realitätsverweigerung“ und Inkonsequenz. Wo der SPD-Chef seine Partei umpolt und damit einen Standpunkt aus der politischen Kultur der BRD entfernt, der darin einen festen und geachteten Platz hatte und als Inbegriff des Sozialdemokratischen galt, da entdeckt die Union nichts als Feigheit vor den „Traditionalisten“ in seinem Sozi-Club. Und weil der Kanzler das gesamte Reformwerk als Fähigkeits-, nämlich als Regierungsfähigkeitsnachweis seiner Partei wie seiner eigenen Wenigkeit, als Dokument unschlagbarer Kompetenz in der Handhabung der Macht, überhaupt als Gütesiegel seiner Herrschaft inszeniert, tun Merkel, Stoiber, Koch & Co alles, um den Glorienschein erfolgreicher Machtausübung zu zerstören, Niederlagen der Koalition und ihres Häuptlings zu arrangieren und so die Unfähigkeit der Rotgrünen zu Standort-gemäßer Herrschaft nachzuweisen. Dabei legt die Opposition genügend demokratischen Zynismus an den Tag, um im Interesse einer Blamage der Regierung Vorschläge zurückzuweisen, die sie selber irgendwann mal gemacht hat. Umgekehrt funktioniert das Erfolgsrezept des Kanzlers genauso: In der Sache steht er den Forderungen der C-Gruppen, denen kein Eingriff in die „sozialen Besitzstände“ der Lohnabhängigen weit genug geht, in nichts nach; und den Zynismus, soeben noch publikumswirksam zurückgewiesene Vorstellungen der Gegenseite zu übernehmen, bringt er locker auf. So konsequent ordnet die Regierung ihre eigenen „Lösungsvorschläge“ dem Kriterium des Erfolgs bei ihrer Durchsetzung im Gesetzgebungsprozess unter, dass Rücksichtslosigkeit gegen die „sozial Schwachen“ und Rücksichtnahme auf Standes- und Geschäftsinteressen von Gewicht sich immer eindeutiger verteilen. Dabei vermeidet Schröder sorgfältig den Anschein, er hätte eigentlich etwas ganz Anderes gewollt und wäre vor den „Rechten“ mit ihrer Bundesratsmehrheit „eingeknickt“ – und ist in dem Punkt sogar völlig ehrlich: Das Ziel der Reformen steht ohnehin fest, und das Maß seines Reformeifers ist tatsächlich durch die Entschlossenheit des Kanzlers bestimmt, sich als erfolgreichen Macher vorzuführen und sich dafür alle nötigen Mehrheiten zu beschaffen. Unter so kundiger Führung bewähren sich alle demokratisch-rechtsstaatlichen Umstände und Umständlichkeiten rotgrünen Regierens sozialpolitisch auf die drastischste Weise: Das Augenmerk stur auf das Kriterium erfolgreicher Machtdemonstration und machtvoll demonstrierter Erfolge gerichtet, steigern Regierung und oppositionelle Nebenregierung sich wechselseitig in eine Reform-Orgie hinein. Ganz ohne dass ein fertiges Rezept am Anfang gestanden hätte – „Planwirtschaft“ gibt es im freiheitlichen Gemeinwesen auch in dieser Hinsicht nicht –, ohne regierungsamtlichen „Masterplan“ kommt auf die Art ein Kompromiss zustande, der den Betroffenen nur insofern etliche Zumutungen erspart, als zwischendurch noch viel mehr und viel größere ins Gespräch gebracht worden sind, und der im Übrigen den bis auf Weiteres gerechten Ausgleich zwischen den ehrenwerten Interessen all derer schafft, die mit dem umverteilten Mangel geschäftlich zu tun haben – die Verwalter des gesamten Betreuungsapparats ebenso wie Stände und Firmen, die an der sozialstaatlichen Organisation der Armut verdienen –, die mit vollem Recht von den Verschlechterungen für die jeweilige Klientel eine Verbesserung ihrer Geschäftsbedingungen erwarten und die in den verschiedenen politischen Parteien jeweils ihre besonderen Anwälte haben.
Die Gewerkschaftsfrage: Ächtung und Entmachtung eines konstruktiven „Gegenspielers“
Eine gesellschaftliche „Gegenmacht“ außerhalb dieses demokratisch legitimen Machtkampfes zwischen gleich gesinnten Staatsparteien ist schließlich noch zu erwähnen, weil sie es zu dem Ruf gebracht hat, ein starker Hort der Reformfeindlichkeit zu sein, sich mit angemaßter Macht zum Paten aller „verkrusteten Strukturen“ in der Gesellschaft zu machen und zeitweise sogar die Regierung, wenn nicht den ganzen Staat im „Würgegriff“ zu halten: die Gewerkschaften. Die verstehen und betätigen sich als Lobby eines wirtschaftsverträglichen, sozialstaatskompatiblen Lohns, als Anwalt all der ordentlichen und außerordentlich Armen, die das Lohnsystem so mit sich bringt, und in diesen beiden Funktionen als wirtschafts- und sozialpolitischer Akteur, der seine Macht und insoweit auch sein Recht auf Einfluss aus seiner eigenen, selbstorganisierten Massenbasis bezieht. Trotz ihrer entschieden konstruktiven Allgemeinwohlorientierung wurden die Gewerkschaften in den Wirtschafts- und Regierungskreisen, denen sie als autonome Interessenvertreter und Verhandlungspartner gegenübertreten, nie wirklich gemocht, auch wenn ihre Verdienste um den „sozialen Frieden“ bei der Ausbeutung kaum jemand ernsthaft bestritt. Politiker können es nun einmal nicht leiden, wenn ihre demokratisch erworbene Freiheit bei der Festlegung dessen, was dem Gemeinwesen gut tut, dauernd mit konkurrierenden Vorschlägen von Arbeiterführern begleitet wird, die sich auf eine ganz besondere Nähe zu den „kleinen Leuten“ und damit zur Mehrheit der Gesellschaft berufen, von der doch sie an die Macht gewählt worden sind. Wirtschaftsführer fühlen sich auch von noch so wohlmeinenden gewerkschaftlichen Forderungen und Verhandlungsangeboten sowieso nur behindert in ihren per se Gemeinwohl-dienlichen Bestrebungen um die Mehrung betrieblichen Eigentums: Was dafür nötig ist, müssen sie sich von niemandem sagen lassen, schon gar nicht von den „Funktionären“ der Gewerkschaft. Dass dieser Verein in der Bundesrepublik sein eifriges Vorschlags- und Kritikwesen immer eindeutiger unter der Vorgabe betrieben hat, das nationale Lohnniveau und das daran hängende „Soziale“ so funktional für das nationale Geschäft und seine sozialpolitische Betreuung zu gestalten, dass jeder Beteiligte das Seine und sein gutes Recht bekäme, hat aber immerhin dazu geführt, dass aus anfänglicher Duldung über die Jahrzehnte und speziell in den Jahren sozialliberaler Herrschaft in der BRD seine bedingte politische Anerkennung als proletarische Standesorganisation geworden ist: ein gesellschaftlicher Status, für den die Gewerkschaften sich mit viel Kooperationsbereitschaft auch da, wo es – wie beim „Bündnis für Arbeit“ oder bei der Ausgestaltung der neuen Bundesländer zum tarifpolitischen „Mezzogiorno im Osten“ – direkt um die Schädigung von Lohninteressen ging und geht, erkenntlich erwiesen haben und den sie auch zunehmend an Stelle des kämpferischen Engagements ihrer Mitglieder als die entscheidende Grundlage ihrer Verhandlungsmacht und ihres Einflusses betrachten und in Anschlag bringen.
Ohne dass sich daran etwas geändert hätte, sind Deutschlands Gewerkschaften nun also in Verruf geraten: Der Standpunkt, den sie repräsentieren, ebenso wie die Tatsache, dass sie diesen Standpunkt immer noch irgendwie als autonome, durch ihre Mitgliederbasis legitimierte Organisation vertreten, passt einfach nicht mehr. „Gewerkschaft“ steht nun einmal für das – wahrlich alles andere als umstürzlerische – Interesse, bei der Lohnarbeit auch auf bekömmliche Arbeitsbedingungen und auskömmlichen Lohn achten zu dürfen; und auch wenn die real existierenden deutschen Gewerkschaften für dieses Interesse gar nicht mehr einstehen, so langt der letztliche Existenzgrund dieser Vereine doch alle Mal für ihren Ausschluss aus einem nationalen Reformprojekt, das den Lohnabhängigen überhaupt kein anderes Interesse mehr zugesteht als das, überhaupt von einem Arbeitgeber benutzt zu werden. Die Gewerkschaften sind aus dem Geschäft – es sei denn, sie machen sich wirklich und eindeutig zum Vorkämpfer dieses und keines anderen Interesses, also zum Liquidator aller ihrer bisherigen „Errungenschaften“. Und soweit sie noch mit einem Anspruch auf Autonomie auftreten, gehören sie in einem reformierten neuen Deutschland überhaupt wenn schon nicht verboten, so auf alle Fälle entmachtet; das fordern nicht bloß die Scharfmacher von der Opposition im Klartext. Das kündigt der Kanzler selber mit der Ermahnung an, die Gewerkschaften möchten doch bitte in Zukunft ihre Tarifvereinbarungen mit einer Generallizenz zur Abweichung für jeden Arbeitgeber ausstatten, damit er ihnen das nicht per Gesetz vorschreiben muss. Sie sind damit vor die Wahl gestellt, entweder als Feind des Wiederaufschwungs, damit ihrer eigenen Klientel und aller Mitwirkungswilligen einflusslos und geächtet zu werden; oder unter Verzicht auf jede Gegenmacht, dafür aber in einer nationalen „Koalition der Willigen“, der eigenen Mitgliedschaft die Bedürfnisse der „Realität“ zu verdolmetschen.
Die Antwort der Gewerkschaften fällt differenziert aus. Den Reformvorhaben der Regierung fügen sie vorweggenommene Armutsberichte über deren unausbleibliche Folgen hinzu, womit sie sich ihren Ruf als ewiggestrige Reformverweigerer erhalten. In der Grundsatzfrage, was aus ihnen werden soll in einer Republik, in der ihr überkommener und irgendwie noch gepflegter Standpunkt eines besonderen, autonom zu vertretenden Arbeiterinteresses definitiv fehl am Platz ist und machtvoll ausrangiert wird, beschließen sie Selbstkritik.[9]
III. Die Revision der „sozialdemokratischen Werte“: Von der sozialen zur neuen Gerechtigkeit
Von ihrem überkommenen Standpunkt als Partei der „kleinen Leute“, der jede „leider notwendige“ Maßnahme gegen deren „Lebensstandard“ unendlich Leid tut, hat die SPD sich frei gemacht; für die Handlungsfreiheit der Regierung in Sachen Reform hat sie das Ihre getan. Diese neue Freiheit will sich der Schröder-Verein auch auf ideologischem Gebiet nicht mehr nehmen lassen. Deswegen schreitet die SPD unter Führung des Kanzlers und des von ihm beauftragten Parteisekretärs Scholz dazu, den Wertevorrat der Partei zu entrümpeln. Zur Entsorgung stehen alle die Titel an, die zur Rechtfertigung einer innerparteilichen Linie dienen könnten, die den „Systemwechsel“ in der Sozialpolitik nicht umstandslos mitmachen will, und die damit außerhalb der Partei Unsicherheit über die Notwendigkeit der angegangenen „strukturellen Reformen“ und die Geschlossenheit der Partei hinter dem Kanzler schüren könnten. Nach Bekanntwerden erster Entwürfe aus der Grundsatzkommission und entsprechender Äußerungen des Generalsekretärs und des Kanzlers kommt es zu Klagen darüber, dass künftig die „soziale Gerechtigkeit“ nicht mehr als „Parteiziel“ der Sozialdemokraten gelten solle, der Kanzler in seiner Parteitagsrede kein einziges Mal von ihr, sondern immer nur von „Gerechtigkeit“ – ohne „sozial“! – gesprochen habe; und nun soll sogar noch der „demokratische Sozialismus“ aus dem Parteiprogramm fliegen.
Innerhalb wie außerhalb der Partei werden sorgenvolle
Nachfragen laut: Warum das denn – und gerade jetzt – sein
müsse, nach so vielen guten Jahren mit der
Sehnsuchtsformel demokratischer Sozialismus
(SZ, 16./17.8.) im Programm;
und was denn die SPD dann noch von anderen Parteien
unterscheide, wenn sie derartig säkularisiert
(Nahles, MdB) werde, dass man
nicht mehr wisse, was der Unterschied sei zwischen
ihrer Gerechtigkeit und deren Gerechtigkeit
(SZ, ebd.). Teile der Partei
berufen sich auf die guten Dienste, die die
höheren Zielvorgaben im traditionellen Jargon der „Partei
der Arbeiter“ und sonstigen „kleinen Leute“ beim Erwerb
der Macht und ihrer Ausübung immerhin geleistet haben:
Mit ihrer Hilfe wurden die Resultate eigenen Regierens,
die ja für diese Klientel immer in der sozialpolitischen
Neuorganisation der Ausbeutungsfolgen bestand, schön
geredet und die Maßnahmen der Konkurrenzparteien in
Grund und Boden kritisiert. Was von der „Wirtschaft“ per
Lohn und von der Regierung mittels „Lohnersatzleistungen“
ihren Manövriermassen zugemessen wurde, hatte
seinen ideologisch hohen Maßstab in der im Gemeinwesen
herrschenden Idee einer ausgleichenden
Gerechtigkeit. Was also für die arbeitende Klasse
von dem Reichtum, den sie in ihrem täglichen
„Arbeitsleben“ für fremde Privathand produziert, abfällt
und was bei absolutem Ungenügen von Sozialstaats wegen
zum Überleben zurechtorganisiert wird, das wurde per
Vergleich mit anderen und besser gestellten Kreisen als
„schon in Ordnung“ oder „noch mangelhaft“ bewertet; und
beide Prüfresultate mündeten stets in den strengen
Auftrag der SPD an sich selbst, ihre Erfolge bei der
Herstellung gerechter Armut in Zukunft zu sichern und zu
wiederholen und etwa verbliebene soziale Defizite und
Gerechtigkeitslücken demnächst weg zu regieren. Die
„soziale Gerechtigkeit“ als ständiger – also nie ganz
realisierter – Regierungsauftrag und der „demokratische
Sozialismus“ als immer schon fast erreichtes, aber
unerreichbares Fernziel sollten sozialdemokratischer
Amtsausübung und möglichst auch ihren Opfern die höhere
Sinnhaftigkeit und die
Werteorientierung geben, die die konkurrierenden
C-Gruppen für ihre himmelsgestützte Programmatik
reklamieren. Die Klage über die „Säkularisierung“ der SPD
anlässlich der Beseitigung der speziell
sozialdemokratischen Jenseitsorientierung und ihrer
sinnstiftenden Funktion liegt also nicht ganz daneben.
Kein Wunder, dass bei Wegfall dieses altehrwürdigen
demokratisch-sozialistischen Opiats in den Reihen der SPD
Phantomschmerzen
(SZ,
20.8.) befürchtet werden – obwohl genau genommen
die umgekehrte Diagnose fällig wäre: Das altgediente
Phantom – eine „soziale Gerechtigkeit“, mit der
der Sozialstaat „ausgleicht“, was die Lohnarbeit immer
nicht hergibt, was dann aber auch genug ist, und
ein „demokratischer Sozialismus“, in dem der Kapitalismus
vor lauter Demokratie gar nicht mehr wehtut – wird
entsorgt, damit die Regierung nicht mehr unter der
Erinnerung an derartige ideologische Jugendsünden der
Partei leiden muss.
Die Führung der SPD will im ideologischen Fundus des
Partei aber nicht nur alten Plunder wegräumen. Darüber
hinaus will die Parteileitung durchaus auch neue
Perspektiven
bieten, die den aktuellen
Herausforderungen gerecht
werden (Olaf Scholz, „Gerechtigkeit und Solidarische
Mitte im 21. Jahrhundert“, Thesen für die „Umgestaltung
des Sozialstaats und die Zukunft sozialdemokratischer
Politik“). An die Stelle der alten, falschen
Komplimente an die Adresse des Sozialstaats hat die neue
SPD bittere Anklagen und manche Selbstkritik eigener
früherer „Torheiten“ und „Irrtümer“ gesetzt, die zwar
keinen Deut richtiger sind als die Komplimente, aber
dafür die Richtung eindeutig angeben: Der Sozialstaat
soll die Menschen dauerhaft in Abhängigkeit gebracht,
sie entmündigt oder ihnen die Selbstachtung genommen
haben. Aus heutiger Sicht ist das weder gerecht noch
freiheitlich
. Im „Nachkriegsdeutschland“ war dieses
beklagenswerte Ergebnis offenbar noch nicht so recht
voraussehbar. Damals war die „Gerechtigkeit“ noch fraglos
und selbstverständlich „sozial“ und ist angeblich vor
allem als die Frage der gerechten Verteilung des
Zuwachses an Wohlstand und Einkommen
, also als
Verteilungsgerechtigkeit diskutiert
(Scholz, ebd.) worden. Das hat dazu
geführt, – darauf hat sich die Sozialdemokratie
traditionell konzentriert –, dass den ‚kleinen Leuten‘
ein größerer Anteil am gesellschaftlichen Reichtum
gesichert wurde und die Verteilungsgerechtigkeit in
Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten weit
vorangekommen ist.
(Scholz,
FR-online, 6.8.) So weit, wie man heute weiß, dass
die „großen Leute“ den einen oder anderen
Mittelstandsbetrieb oder Großkonzern abbekommen haben,
die „kleinen“ hingegen massenhaft Kühlschränke, Autos und
Sozialhilfeansprüche akkumulieren konnten. Damit soll es
aber auch genug sein in Sachen
„Verteilungsgerechtigkeit“. Denn erstens gebe es
insgesamt, so der Generalsekretär, in der
Bundesrepublik eine ‚gewaltige Umverteilung von oben nach
unten.‘ So stamme über die Hälfte des Gesamtaufkommens
der Einkommenssteuer von dem Bevölkerungszehntel, das am
meisten verdiene.
Die da oben konnten also gerade
noch genug von ihrem gerechten Anteil am
gesellschaftlichen Reichtum vor der Umverteilung nach
unten retten, dass sie die darauf anfallenden Steuern
zahlen können. Zweitens aber und überhaupt haben
Globalisierung, verfestigte Massenarbeitslosigkeit,
wissensintensive Wirtschaft, demographischer Wandel
und noch zahlreiche andere Gründe ein so beispielloses
Problemgemenge
geschaffen, dass ein auf weitere
Umverteilung zwischen den Klassen setzender
Gerechtigkeitsbegriff
dadurch ad absurdum
(Scholz, Thesen) geführt
werde: Es wird nichts mehr „verteilt“, und
deswegen gibt es auch nichts mehr zu verteilen.
Deswegen muss ein neuer und umfassenderer Begriff von
Gerechtigkeit
her, demzufolge heutzutage einzig und
allein das als gerecht zu gelten hat, was die Menschen
in Erwerbsarbeit bringt
(Schröder, Parteitagsrede) und was
dadurch Menschen in die Lage versetzt, ihr Leben so zu
gestalten, wie sie es möchten
. Im Sinne dieser neuen
Gerechtigkeit hat die SPD die Befähigung und
Ermächtigung der Menschen zu einem selbstbestimmten,
eigenverantwortlichen Leben in den Vordergrund zu
stellen, …sie nicht in den Klammergriff von Verhältnissen
geraten zu lassen, über die sie keine Kontrolle haben…
Gerecht ist in diesem Sinne eine Politik, die immer
wieder die Voraussetzungen dafür schafft und erneuert,
dass Menschen ihre eigenen Pläne verfolgen können
(Scholz, Thesen), und dazu
befähigt, ihre Lebenschancen, Fähigkeiten und Träume
zu verwirklichen
(Schröder,
Parteitagsrede).
Wer als „Freund“ oder „Freundin“ des Kanzlers in dieser
Beschreibung nicht gleich die kapitalistische Lohnarbeit
wieder erkennt, dem fehlt es offenbar immer noch an der
Bereitschaft, der Parteiorder des Großen Vorsitzenden zu
folgen und die Realität anzuerkennen
. Dazu gehört
nämlich nicht bloß, alles brav als schlichtes,
unveränderliches Faktum hinzunehmen und abzuhaken, was
die Obrigkeit ihren guten Deutschen zumutet. Dazu gehört
für ein Parteimitglied auch, dass es sich ein bisschen
Mühe gibt, dieser „Realität“ zuzujubeln. Dass es
sich die reale Welt dafür ein wenig
zurechtlügen muss, liegt in der Natur der Sache
und gelingt leicht, wenn es sich sein Traum-Duo
Schröder/Scholz zum Vorbild nimmt, sich zugleich
zynisch und albern zur normalen
Lebenserfahrung stellt und die billigsten Phrasen über
Freiheit und Selbstbestimmung – auch die Erinnerung an
Bush’s „american dream“ ist hilfreich – genau dort
anbringt, wo sie der real existierenden Realität am
deutlichsten Hohn sprechen. Einem Sozialdemokraten, der
es bislang schon gewohnt war, die Realität des
bundesdeutschen Sozialstaats für einen ziemlich
verwirklichten Proleten-Traum zu halten, kann diese
Denkübung ohnehin nicht fremd sein. Es mag ihn zwar hart
ankommen, ausgerechnet bei diesem Gegenstand das
Umgekehrte gelten zu lassen und eine altehrwürdige
sozialdemokratische Lebenslüge so auf den Kopf zu
stellen, dass aus einer sozialen Wohltat ein
„Klammergriff der Verhältnisse“ wird. Andererseits hat
seine Partei für „Erwerbsarbeit“ als Methode der
Selbstverwirklichung ja auch schon bisher enorm viel
übrig gehabt; daran lässt sich anknüpfen. Und die
Denunziation des Sozialstaats als Freiheitsberaubung
fällt auch nicht mehr so schwer, wenn dessen „Umbau“ im
Sinne des Kanzlers und seines Parteisekretärs weitergeht
– auf diesem Gebiet müssen Sozialdemokraten heute
ihrem emanzipatorischen Anspruch und Erbe gerecht
werden
(Scholz) – und
eine Kombination aus Billigarbeitslager und Pauperismus
herauskommt, die endgültig eine geregelte „Erwerbsarbeit“
zum Traumziel werden lässt. Auch in der Hinsicht denken
die modernen Reform-Sozis den Sozialstaat nur konsequent
zu Ende.
Und in der wesentlichen Hinsicht sowieso: Auch die alte Tour der Armenbetreuung, an der die SPD so lange und hingebungsvoll herum reformiert hat, ist als Service-Veranstaltung für das nationale Kapital in die Welt gekommen und in diesem Sinn perfektioniert worden. Wenn das deutsche Wachstum heute neue Bedürfnisse entwickelt, dann ist es wohl angemessen, dass die Staatsmacht ihre Dienste und Mittel anpasst. Und wenn die federführende Partei ihren Werteschmuck aktualisiert, dann ist das nur gerecht.
[1] Der tiefere Sinn dieser Addition erschließt sich erst auf den zweiten Blick: Der Kanzler will seiner Partei die Vorstellung ausreden, die Zahlungsnöte der Sozialkassen ließen sich mit den Mitteln staatlicher Kreditschöpfung beheben oder dadurch entschärfen, dass mit dem Einsatz von Staatsschulden die so heiß ersehnten „Arbeitsplätze geschaffen“ würden. Mit seinem absurden, aber zweckmäßig konstruierten Junktim greift er die unter sozialdemokratischen Reformern beliebte Vorstellung auf, die Kredite, mit deren Bedienung der Staat Geldanleger reicher macht, wären ein gutes Instrument für Gunsterweise ans lohnabhängige Volk, um die Gleichung umzudrehen und den Sozialhilfen des Staates den Charakter einer toten Last zu bescheinigen, die um der Handlungsfähigkeit der Politik willen genauso reduziert werden müsse wie der Schuldendienst, für den der Finanzminister steigende Anteile seines Etats immer schon vorab wegzahlt. Geldkapitalisten, Kreditinstitute und Inhaber eines Bundesschatzbriefes müssen sich deswegen keine Sorgen machen: Dass ihnen bei den Zinsen Abstriche blühen könnten wie den Rentnern bei der Rente oder den Arbeitslosen beim Arbeitslosengeld, hat der Kanzler nicht gemeint. Zwischen den heiligen Rechten des Eigentums und den fragwürdigen „Besitzständen“ der gesetzlich alimentierten Armut weiß Schröder schon noch zu unterscheiden.
[2] In diesem
Zusammenhang fällt Schröder eine besonders gelungene
Anwendung des Systemgedankens ein. In seiner Partei
zirkuliert der Vorschlag, die „vorbildlichen“
Sozialsysteme der BRD dadurch finanziell abzusichern,
dass man bei den Besserverdienern oder auch bei den
Erben zusätzliches Geld hereinholt.
Das findet der
Kanzler aller Deutschen grundverkehrt: Für die
Sanierung der Sozialversicherung anderen Gruppen
etwas wegzunehmen, ist falsch
und keine
rationale Politik
. Einzig und allein richtig ist es
hingegen, den Leuten, die darauf angewiesen und
deswegen auch zu Zwangsbeiträgen verpflichtet sind, und
nur denen das Nötige wegzunehmen
; denn: wenn
man die sozialen Sicherungssysteme reformieren will,
weil sie nur so in der Substanz erhalten werden können,
dann muss man die Veränderung auch in diesem System
durchsetzen.
(Der Spiegel,
17/03) Wer das System der Mangelverteilung
retten will, auf das die deutsche Sozialdemokratie so
stolz ist, der darf vor allem nichts daran ändern, dass
auch bei steigendem Mangel nichts als dieser umverteilt
wird…: Wo er Recht hat, hat er Recht, der Kanzler.
[3] Seine ganze Schönheit entfaltet dieses Argument in Verbindung mit dem großartigen Lösungsvorschlag, die Versorgung künftiger Generationen von Sozialfällen vermehrt auf Kapitaldeckung umzustellen. Der Vorschlag kommt so daher, als wären es dann nicht mehr die zukünftigen Arbeitskräfte, sondern die sonst woher herabregnenden Zinsen, die den Armen der Gesellschaft ihr Auskommen sichern. Dabei macht man so in Wahrheit die zukünftigen Lohnarbeiter-Generationen noch viel unerbittlicher haftbar – freilich noch nicht einmal dafür, die Alten von ihrem Arbeitsentgelt mit durchzuziehen, sondern dafür, dass die in eine „Kapitaldeckung“ weggezahlten Beträge überhaupt als Kapital fungieren und sich so verzinsen, dass die Herren der Anlagefonds auch noch auf ihre Rendite kommen. ‚Weggegessen‘ wird den „Jüngeren, die nach uns kommen“, damit in der Tat nichts: Ein Haufen zusätzlicher Verpflichtungen kommt auf sie zu: Was auch immer die „Kapitaldeckung“ leistet, wird aus ihnen herausgewirtschaftet. Immerhin haben sie die Genugtuung, dass die dann angefallenen Alten und Ausgedienten sich ihre „Kapitaldeckung“ durch zusätzlichen Verzicht erworben – und insoweit ganz bestimmt weniger „aufgegessen“ haben…
[4] Dann will z.B. der Wirtschaftsminister die Billiglohnjobs verbilligen, und unversehens leiden die Krankenkassen; das alles will vorweg bedacht sein. Umgekehrte, nämlich positive Effekte lassen sich natürlich auch erzielen; so ist nach den letzten Ermittlungen der Rürup-Kommission die Sorge, bei einer Umstellung der Krankenversicherung auf gleiche Beiträge für alle Versicherten mit staatlichen Zuschüssen für Schlechtverdiener als sozialer Ausgleichskomponente würde der Staatshaushalt strapaziert, gegenstandslos, weil die abzudrückenden Beiträge vor ihrer Ablieferung zum steuerpflichtigen Einkommen gezählt würden und so ganz im Gegenteil das Lohnsteueraufkommen steigen würde…
[5] Musterfall hierfür ist die Steuergesetzgebung. Verantwortlich für deren viel beklagte unüberschaubare Kompliziertheit ist nicht etwa „die Bürokratie“, ohne die die regierenden Manipulateure mit ihrer Regierungskunst völlig aufgeschmissen wären, sondern deren Ideal, den nationalen Kapitalismus samt Staatshaushalt und Außenwirtschaft per Besteuerung – im anspruchsvollsten Sinn des Wortes – steuern zu können.
[6] Da will der zuständige Minister z.B. nur einmal gründlich an den Langzeitarbeitslosen sparen, und schon gerät die Aufteilung der Gewerbesteuer zwischen Bund, Ländern und Gemeinden ins Visier. Dazu gleich mehr.
[7] Ob es je einem gesetzlich Krankenversicherten nützt, wenn sich die Kassenärztlichen Vereinigungen zum Anwalt seiner medizinischen Versorgung, die Krankenkassen zum Hüter seiner Beitragsgelder und die Unternehmerverbände zu seinem Beschützer vor kostspieliger Kassen-Bürokratie aufwerfen, ist mehr als zweifelhaft. Unzweifelhaft ist nur, dass Beitragszahler und Patienten in einer so wohlorganisierten Marktwirtschaft wie der bundesdeutschen keine anderen nennenswerten „Fürsprecher“ haben. Gegen die Streichung des Sterbegelds z.B. hat sich tapfer, am Ende aber doch erfolglos niemand anders eingesetzt als die Steinmetz-Innung…
[8] Und schon wieder ist, mit ausgelöst durch den Parteienstreit um die effektivsten Sozialreformen, ein parteiübergreifender Konsens der Demokraten zu verzeichnen: Alle Parlamentsfraktionen einigen sich auf die Einrichtung einer „Föderalismuskommission“, die zur Kompetenzabgrenzung zwischen Bund und Ländern Reformvorschläge erarbeiten soll.
[9] Das Programm, das bei dieser Selbstkritik herauskommen soll und auch nur herauskommen kann, hat der Hauptgeschäftsführer von „Gesamtmetall“ Hans Werner Busch der IG Metall schon mal in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau aufgeschrieben: „Wir erwarten von der Führung der IG Metall zu allererst, die ökonomischen, gesellschaftlichen und demographischen Realitäten soweit zu respektieren, dass in der Leitungsebene … nie wieder jemand auf die Idee kommt zu verkünden: ‚Mit der IG Metall wird es die Globalisierung in Deutschland nicht geben!‘ Es geht ferner um die Erkenntnis, dass wir nur über eine ganz beschränkte Zahl von Optionen verfügen, um der Globalisierung unserer Wirtschaft, der Individualisierung unserer Gesellschaft (damit meint der Mann die gerade laufende Kündigung der Betreuung sozialer „Kollektive“ durch den Staat) und der Überalterung unserer Bevölkerung gerecht zu werden. Die Option ‚Weitermachen wie bisher‘, um eine höchstmögliche Zahl von sozialen Kulturgütern zu bewahren, gehört ausdrücklich nicht dazu. … Unsere zweite Erwartung … ist zugegeben etwas anspruchsvoll. Wir wünschen uns, dass die IG Metall ihr Selbstverständnis als sozialpolitischer Kampfverband mit einem sehr breiten parteiähnlichen Legitimationsspektrum überprüfen und als nicht mehr zeitgemäß befinden möge. … Drittens erwarten wir … die Bereitschaft zur instrumentellen Erneuerung des Flächentarifvertrags. … Über mehrere Jahre hinweg sollten die Lohnerhöhungen unterhalb der Belastbarkeit des Durchschnittsbetriebes bleiben, damit der Flächentarifvertrag in kleinen Schritten zu seiner ursprünglichen Funktion als Katalog von Mindestbedingungen zurückfindet (auch eine Art einzugestehen, dass die real praktizierten ‚Mindestbedingungen‘ in den Betrieben längst unter den Vorgaben des Tarifvertrags liegen). Zum andern müssen wir die Behandlung von Problemfällen mutiger als bisher an die Betriebsebene delegieren. Wer angesichts unserer langen und zugegeben anspruchsvollen Wunschliste auf die Idee kommen sollte, Gesamtmetall strebe eine freundliche Übernahme der IG Metall an, dem sei entgegengehalten: Gewerkschaften mit dem beschriebenen Anforderungsprofil sind keine Kopfgeburten von Arbeitgeberverbänden. Es gibt sie realiter in Skandinavien und, wie manche meinen, sogar mitten in Deutschland.“ (FR, 29.8.)