Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Der wahre Skandal an der Verarmung durch Hartz IV:
Die unverdienten „Nebenverdienste“ derer, die sie ins Werk setzen!
Passen – wo doch gerade Hartz IV ist! – die hohen Gehälter mancher Parlamentarier eigentlich in die politische Landschaft?
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Der wahre Skandal an der Verarmung
durch Hartz IV:
Die unverdienten „Nebenverdienste“
derer, die sie ins Werk setzen!
Die Regierung hält ihr Versprechen, die politischen
Reformen im Alltag der Bürger zu verankern
(Schröder), und pünktlich zum
Jahresanfang haben Massen von Arbeitslosen, Rentnern und
Kranken mit ganz neuen Formen ihrer Armut zu tun. Die
Öffentlichkeit jammert über die Arbeitsplätze
, die
sich nicht einfinden wollen, obwohl die vielen Armen sie
bräuchten. Sie nimmt Anteil, wenn Leute mit Alg II,
1-Euro-Job und Ich-AG ihr Zurechtkommen organisieren,
zeigt so, wie normal heute in Deutschland Armut
ist
(SZ), und das tröstet
manchen. Und dann platzt, als ob ihn wer bestellt hätte,
mitten in die Arien vom Schicksal namens Armut ein Fall
hinein, der aus dem Elend der Vielen auch noch einen
richtig schönen demokratischen Skandal macht. Im Zuge der
CDU-internen Intrigenwirtschaft werden ansehnliche
Nebeneinkünfte
des Sozialexperten Arentz und des
Herrn Generalsekretärs erst ruchbar, dann für die weitere
politische Karriere beider für untragbar
befunden
– und die Republik hat die Frage, an der sich
der Gerechtigkeitssinn geschädigter Bürger austoben darf:
Passen
– wo doch gerade Hartz IV ist! – die
hohen Gehälter mancher Parlamentarier eigentlich in die
politische Landschaft?
(SZ)
*
Die Frage ist in jeder erdenklichen Hinsicht einfach nur
dumm. Erstens will sie von der ‚politischen Landschaft‘,
vom Sinn und Zweck einer Politik, die für die
kapitalismustaugliche Standortrevision ihrer Gesellschaft
die sozialverträgliche Abwicklung einer neuen
Massenarmut
(SZ)
verordnet, sowieso nichts wissen. Zweitens stehen gar
nicht die hohen Summen der Herren Volksvertreter zur
Diskussion, die sie für das schwere Geschäft kassieren,
anderen das Leben schwer zu machen: Dass sie
über ihre Diäten hinaus auch noch etwas
verdienen, wird für bedenklich befunden. Dies drittens
aber gar nicht grundsätzlich, denn was ihre
Nebeneinkünfte
betrifft, verbietet sich jeder
Verdacht, die Burschen wären womöglich etwas korrupt:
Dass sie alles für die Wirtschaft
und die
Arbeitsplätze
tun, die fehlen, geht
selbstverständlich in Ordnung, dass sie dazu die Kontakte
zu denen oft und gut pflegen müssen, die die
Wirtschaft sind, daher auch. Und dass Kapitalisten für
sie nützliche Dienste entgelten, ist auch dann nur billig
und gerecht, wenn ihre Dienstleister zufällig im
Parlament sitzen. Viertens also besteht der ganze Skandal
von Leuten, die herrschaftlich mit einem Federstrich über
Lebenslagen von Millionen befinden, genau genommen darin,
dass sie neben ihrem üppigen staatlichen Salär womöglich
ganz unverdient so viel dazu verdienen, wie sie
es tun: Haben sie denn etwas geleistet
für die
monatliche Apanage, die sie von VW, RWE, Siemens und
anderen Konzernen überwiesen bekommen? Oder wird das
Volk, das es sich gerade in der neuen sozialen
Landschaft der Hartz-IV-Republik
(FAZ) bequem machen darf, gar nicht von
seinen Vertretern regiert? Stattdessen von
Nichtstuern
, Raffkes
und Abzockern
(Bild)? Wenn diese
Geldgeschichten sich zum Bild vom Politiker als einem
Zeitgenossen addieren, der viel vom Gemeinwohl spricht,
aber erst einmal das ganz persönliche Wohlergehen im
Blick hat
(Spiegel):
Deutet da nicht einiges auf eine Degradierung des
Parlaments zur Interessenslobby der Wirtschaft
(SZ) und eine unheimliche
Interessensymbiose von Staat und Wirtschaft
(Die Zeit) hin?
*
Natürlich nicht. Nach allgemeinem Dafürhalten gilt auch
bei den Volksvertretern der Grundsatz des bürgerlichen
Vertragswesens, wonach Geld nur für nützliche Leistungen
bezahlt wird, die Herrschaften also schon etwas tun
für ihr Geld
(FAZ).
Freilich könnten die Parlamentarier ein wenig dazu
beitragen, der Öffentlichkeit die grundsätzliche
Unschuldsvermutung in Sachen ‚Abzocken‘ zu erleichtern:
Sie bräuchten ja nur offen zu legen
, von wem sie
wofür wie viel kassieren, schon wäre die Sache aus der
Welt. Doch kaum wird das Ansinnen unter dem Schlachtruf
Transparenz!
vermeldet, dürfen die Bürger nicht
nur mit dem erstaunlichen Phänomen Bekanntschaft
schließen, dass dieses Wort steigerungsfähig ist: Sie
erfahren auch, dass Durchsichtigkeit bei Kontenbewegungen
von Volksvertretern zwar moralisch wünschenswert
(Gabriel, SPD), im Grunde
aber ein Ding der Unmöglichkeit ist. Denn
selbstverständlich gilt auch fürs Parlament der
erzkapitalistische Grundsatz, dass Spitzenleistungen nur
zu Spitzenpreisen zu haben sind, umgekehrt also nur hohe
Einkünfte des Parlamentariers die Premium-Qualität seiner
Politik verbürgen können. Daher sollen die Mandatsträger
nicht nur ihre berufliche Verwurzelung
(Thierse) als Beamter,
Rechtsanwalt oder sonst freiberuflich Tätiger beibehalten
– andernfalls würden sie ja, wie einer von ihnen
bierernst zu Protokoll gibt, den Bezug zur realen Welt
missen
: Sie sollen auch zu einem Tarif entlohnt
werden, der ihrer Klasse entspricht, denn: Sie glauben
doch nicht, dass ein Mandat im Bundestag für einen
Mittelständler heute finanziell interessant ist?
(Mann aus der Wirtschaft bei
Christiansen) Also hat die erwünschte
Verbindung von beruflicher Kompetenz und Mandat
(Köhler) finanziell
interessant zu sein, und das ist sie bei den verehrten
Freiberuflern im Volksauftrag ausschließlich dann, wenn
auch für sie in ihrer privaten Geldgier dieselben Regeln
gelten wie im Wettbewerb in anderen Berufsgruppen
,
etwa in der Konkurrenz von Managern, Unternehmern oder
Chefredakteuren
(Thierse). Und weil da die Offenlegung
von Einkünften glatt der Rufschädigung eines
Offenbarungseids
gleichkäme, weil in dem Hauen und
Stechen des freien Wettbewerbs grundsätzlich davon
auszugehen ist, dass jeder eine schwere
Benachteiligung
erleidet, bei dem die
Konkurrenten unter den Rubriken ‚Soll‘ und ‚Haben‘ die
Zahlen nachlesen könnten
(ein
MdB der CDU), sind daher auch Parlamentarier von
einer derart geschäftsschädlichen Ausforschung
in
Schutz zu nehmen. So wünschenswert
ein ‚gläserner
Abgeordneter‘ also wäre: Wie die überhaupt nicht
unheimliche, sondern ausgiebig dargelegte
Interessenssymbiose
von Politik und Kapital nun
einmal eingerichtet ist und zum Wohl aller Beteiligten
funktioniert, ist er leider nicht zu haben. Im Übrigen
verstößt er, wie die vielen im Parlament sitzenden
Rechtsanwälte auch ohne Griff zur Gebührentabelle sofort
herausfinden, gegen so gut wie jedes Persönlichkeits-,
Standes-, Gebühren-, Steuer- und Verfassungsrecht und ist
daher streng verboten.
*
Das heißt freilich nicht, dass man für die gute Sache
‚Transparenz‘ nicht doch etwas tun könnte: Mit
sicherem Gespür für die politische Brisanz des Themas
machte Angela Merkel die dringend notwendige Verschärfung
der Nebenjob-Regeln jetzt zur ‚Chefsache‘
(Bild). Damit ist die ganze
Angelegenheit endgültig dort, wo sie hingehört, nämlich
bei den Chefs, die hier den Laden schmeißen. Wenn schon
die sich darum kümmern, hat das Volk den Beweis, dass es
mit seiner bescheuerten Aufgeregtheit über die
Kontenführung seiner parlamentarischen Vertreter in
Sachen ‚politischer Brisanz‘ den Nagel wieder mal genau
auf den Kopf getroffen hat. Und kann in dem Bewusstsein,
dass sein Drang nach Gerechtigkeit bestens aufgehoben
sind, wieder unbeschwert seinen politisch total
unbrisanten Alltagsgeschäften in der Hartz-IV-Republik
nachgehen.