Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Krisenwahlkampf im Superwahljahr:
Frau Schwan warnt vor sozialen Unruhen – und stiftet Unruhe in der Öffentlichkeit
Die Kandidatin der SPD für das Präsidentenamt gerät in die Kritik. Sie hat eine Warnung des DGB-Chefs Sommer aufgegriffen und öffentlich geäußert, sie könne es sich vorstellen, „dass in zwei bis drei Monaten die Wut der Menschen deutlich wachsen könnte“. „Wenn sich dann kein Hoffnungsschimmer auftut, dass sich die Lage verbessert, dann kann die Stimmung explosiv werden.“ Andere werfen ihr darauf hin vor, „zu zündeln“und „Unruhen herbei zu reden“, wie tatsächliche Verantwortungsträger der Republik melden sich zu Wort und mischen sich in den Streit ein, während die Stimmung der Menschen mehrheitlich heiter und gelassen bleibt.
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Krisenwahlkampf im Superwahljahr:
Frau
Schwan warnt vor sozialen Unruhen – und stiftet Unruhe in
der Öffentlichkeit
Die Kandidatin der SPD für das Präsidentenamt gerät in
die Kritik. Sie hat eine Warnung des DGB-Chefs Sommer
aufgegriffen und öffentlich geäußert, sie könne es sich
vorstellen, dass in zwei bis drei Monaten die Wut der
Menschen deutlich wachsen könnte
. Wenn sich dann
kein Hoffnungsschimmer auftut, dass sich die Lage
verbessert, dann kann die Stimmung explosiv werden.
(SZ, 23.04.2009) Ideelle wie
tatsächliche Verantwortungsträger der Republik werfen ihr
daraufhin vor, zu zündeln
und Unruhen herbei zu
reden
, während die Stimmung der Menschen im Lande
mehrheitlich heiter und gelassen bleibt. Was ist da los?
Krise – eine einzige Chance für politische Vertrauenswerbung!
Politiker aller Parteien, Wirtschaftsweise und sonstige
Fachleute kündigen es an: Die Bewältigung der tiefsten
Krise seit den dreißiger Jahren
geht auf jeden Fall
auf Kosten der einfachen Leute, die Folgen werden nicht
verschwiegen: Mit Millionen weiteren Arbeitslosen und
einer erheblichen Verschlechterung der sozialen Lage
großer Teile der Bevölkerung ist zu rechnen – für die
Betroffenen in der Tat eine Menge zusätzlicher Gründe,
die schäbige Rolle aufzukündigen, für die sie in der
Marktwirtschaft verplant sind. Dem Ernst der
Lage
stellen sich hierzulande jedoch andere, und zwar
die, die sie ihrem Volk bescheren. Für demokratische
Politiker ist die Verschärfung des Elends in weiten
Kreisen ihrer Bevölkerung auch ein Grund für Besorgnis –
darüber nämlich, ob womöglich die ungebrochene
Zustimmung des Volks zu seiner Führung Schaden
nehmen könnte. Und da sie nicht nur die Macht, sondern
auch das Sagen haben, befassen sie sich ausgiebig mit den
maßgeblichen Sorgen, die sie in einem Wahljahr
haben, und ihr Volk gleich mit dazu, damit es mitbekommt,
welche Sorgen es selbst sich in seiner
Betroffenheit zu machen hat. Die
Präsidentschaftskandidatin der SPD macht den Auftakt. Sie
erinnert sich daran, wie gut ihre Partei mal damit
gefahren ist, dem tiefen Seufzen nach Gerechtigkeit ihr
Ohr zu leihen, das sich in den ‚harten Zeiten‘ regt, die
die Marktwirtschaft der Mehrheit ihrer Insassen schon im
Normalfall beschert. Das kann jetzt, wo die Zeiten noch
härter werden, keinesfalls verkehrt sein. Also hört sie
ganz genau hinein ins Volk und aus dem prompt das
Unbehagen über die wachsende soziale Kluft
(Schwan, SZ 23.4.) heraus,
das die sozialen Demokraten schon immer unmittelbar in
einen an sie adressierten Auftrag zur Ausübung der
Regierungsgewalt zu übersetzen wussten. Dieses Unbehagen
bestehe zwar schon seit Jahren in Deutschland
–
genau genommen schon seit der Gründung der SPD -,sorge
aber jetzt dafür, dass die Stimmung explosiv
zu
werden drohe, was es selbstverständlich – wer mag so
etwas schon? – zu verhindern gilt. Und wie macht man das?
Man gibt dem Volk einmal ganz recht in seinem Unbehagen
über die Gerechtigkeitslücke
, die da klafft. Man
teilt ihm mit, dass dann, wenn Opfer schon unumgänglich
sind, dies schon auch für die gilt, denen man die Krise
zu verdanken hat – und schon hat er sich aufgetan, der
Hoffnungsschimmer
, der einen Bürger Elend gut
aushalten und sein Wahlkreuz vertrauensvoll der SPD
schenken lässt.
*
Einige Genossen von Frau Schwan halten ihren Einfall
zumindest für ergänzungsbedürftig: Der Vorsitzende der
SPD-Bundestagsfraktion, Peter Struck, kritisierte ihre
Äußerungen über mögliche soziale Unruhen im Land. ‚Es ist
nicht gut, wenn wir davon reden, dass hier Unruhen
ausbrechen könnten wie in Frankreich oder anderswo‘,
sagte Struck der Zeitung ‚Rheinische Post‘ und fügte
hinzu: ‚Das untergräbt die Bemühungen der
Bundesregierung, die ja gerade alles tut, um die tiefe
Krise für die Menschen abzumildern.‘
(FAZ, 24.4.) Sehr gut findet der Mann
natürlich die Idee, mit Verweis auf die Opfer, die die
staatliche Krisenpolitik den Bürgern beschert, selbige
als Dienst an ihnen und Milderung ihres Leidens zu
verkaufen. Für nicht gut
hält er es deswegen,
Folgen der Wirtschaftskrise zum jetzigen Zeitpunkt zu
dramatisieren
und Unruhen herbei zu reden
-
weil solches nämlich die ungute Entzweiung im
Vertrauensverhältnis zwischen Volk und Führung überhaupt
erst hervorruft, für deren Heilung die Anwärterin fürs
höchste Staatsamt sich stark macht. Und von einem
irgendwie gearteten Dissens zwischen beiden kann bei
einer Politik, die für die Menschen
und für sonst
gar nichts gemacht wird, ja wohl von Anfang an
grundsätzlich nicht die Rede sein.
*
Der amtierende Bundespräsident lässt sich die Gelegenheit
nicht entgehen, sich als bester Kenner von Stimmungslagen
der Nation zu profilieren. Wer öffentlich und auch noch
mit Verständnis ein Wort wie ‚Unruhe‘ in den Mund nimmt,
sorgt hierzulande jedenfalls fürs falsche geistige Klima.
Misstrauen in die begnadete Führungskunst der Führenden
kann die Demokratie nämlich schon gleich in der Krise
nicht gebrauchen: Natürlich ist die Krise
beherrschbar... Was nicht geschehen sollte, ist: uns
selbst erstens in Panik reden. Und zweitens in eine
Situation reden, als könnten wir diese Krise am Ende
nicht beherrschen – weder im Wirtschaftspolitischen noch
im Sozialen... Ich bin überzeugt davon, dass die
Demokratie in Deutschland feste Wurzeln gefasst hat. Und
deshalb denke ich, dass die Demokratie in Deutschland
auch diese Krise bestehen wird... Ich bin zutiefst
überzeugt davon: Die Deutschen sind nicht nur dann
Demokraten, wenn’s mehr zu verteilen gibt, sondern sie
haben dieses Wertekonzept der Demokratie aufgenommen und
werden dann auch mit dieser Krise entsprechend fertig
werden.
(SZ, 25.4.) Der
Ökonom kennt sich da aus: Wenn Krise ist, braucht es
Vertrauen, erstens überhaupt und zweitens speziell in das
Wirken derer, die stellvertretend für uns alle die Krise
zu bemeistern haben. Das ist ihr Auftrag und auch das
Wertekonzept der Demokratie: Die Regierenden muss man
regieren lassen, dann wird alles gut. Sicher, das eine
oder andere Opfer wird sich da nicht vermeiden lassen, wo
es nichts mehr zu verteilen gibt. Aber wenn jeder an
seinem Platz das Seine tut, die Verantwortlichen regieren
und das Volk ihnen für alles dankt, was sie in seinem
Namen tun, kann einfach kein Zweifel daran bestehen, dass
wir, wie überhaupt mit allem, auch mit dieser Krise
fertig werden.
*
Die Zuversicht des Sparkassendirektors steckt an. Die
Kanzlerin ist voll des Lobes für ein Volk, das sich so
pflegeleicht regieren lässt, und bedankt sich ihrerseits
dafür, dass die Menschen
brav aushalten, was so
auf sie zukommt. ,,Sehr besonnen verhalten“ sie
sich, lassen sich nicht von übertriebenen Warnungen
vor Unruhe
von unverantwortlichen
Möchtegern-Führern verunsichern
:An deren
Adresse ergeht die Aufforderung, sich an der
Besonnenheit der Deutschen
ein Beispiel zu nehmen
(Merkel und Guttenberg, FAZ, 25.4.). Das wiederum hört
Frau Schwan nicht gerne – sie ist ja nun wirklich die
Letzte, die an der demokratischen Reife des Volkes
zweifeln würde: Die Deutschen könnten es verkraften,
wenn die Realitäten offen angesprochen würden
(Schwan, FAZ 27.4.). Die
Härten, die man vom Volk verlangt, offen aussprechen;
Verständnis für möglicherweise laut werdendes Gemurmel
von Unzufriedenheit demonstrieren; Missstände und
Schuldige gnadenlos beim Namen nennen, eimerweise Mitleid
mit den unschuldig in Not Geratenen heucheln und
ansonsten tun, was zu tun ist: Nur so gelingt es doch in
Krisenzeiten, die wachsende Lücke zwischen den
unerhörten Vorgängen in der Wirtschaft und der
Gerechtigkeitsfrage zu schließen
(Wirtschaftshistoriker Abelshauser), nur
so vermag man einem Volk überzeugend zu vermitteln, wer
seine wahren Vertreter sind, also die, denen sein
unbedingtes Vertrauen gebührt. Meint zumindest die
Fraktion, die gerne den Finger auf eine Wunde
(Künast, FAZ, 27.4.) legt, um
sich so dem Patienten als Pflegedienst zu empfehlen und
zum Regieren ermächtigen zu lassen. Die andere meint,
dass man zum selben Zweck besser gar nicht erst die
Sorgen beschreibt
, die angesichts der
Wirtschaftskrise alle haben
, sondern unerschütterlich
wie das Volk selbst Optimismus verstrahlt und so die
rechte Orientierung
(Heil,
FAZ, 28.4.) bietet, die Oben und Unten
zusammenschweißt. Es ist aber auch möglich, sich für
keine der beiden Alternativen zu entscheiden – und für
grenzenloses Vertrauen in die politischen Herren zu
werben, egal, womit im einzelnen sie sich das
verdient haben wollen: Wir sollten Frau Schwan,
unserem Bundespräsidenten Köhler und allen anderen, die
nachdenklich reden, aufmerksam zuhören.
(Wulff, CDU) Da hat der nachdenklichste
aller dieser Redner schon recht mit seiner Vermutung, die
Deutschen hätten die Demokratie perfekt verinnerlicht.
Anders jedenfalls ist es nicht zu erklären, dass mitten
in dieser Krise sich alle Parteien beim Wahlvolk mit
ihrer jeweiligen Antwort auf die Frage profilieren, auf
welche Weise man dem Volk am überzeugendsten deren
Bewältigung als Gemeinschaftswerk zusammen mit seiner
Führung nahe bringen kann – um es vor Unruhen zu
schützen, die womöglich von ihm ausgehen könnten, wäre es
nicht so vernünftig, wie seine Führung es ihm mit
Selbstverständlichkeit unterstellt!
*
Fehlt in einer derart perfekten Demokratie nur noch die
linke Opposition, die ja dazu da ist, im Volk berechtigte
Unzufriedenheit mit der ‚sozialen Lage‘ zu schüren. Auch
ihr Chef weiß, worauf es in schweren Zeiten ankommt: Vor
Rechtsextremisten
gilt es für Lafontaine die
Demokratie zu retten, weil die amtierende Regierung
“nicht genug gegen die steigende Arbeitslosigkeit
tue. Die Regierung schaue ‚ziemlich tatenlos‘ zu, sagte
er der ‚Leipziger Volkszeitung‘. Er forderte für den Fall
einer weiteren Verschlechterung der Lage den politischen
Generalstreik als Protestmaßnahme.“ (FAZ, 24.4.2009)
Notwendig und wünschenswert
ist daher für einen
Parteikollegen ein sozialer Protest, weil das Beispiel
Island zeige, dass er eine Regierung stürzen, Neuwahlen
erzwingen und neue gesellschaftliche Hoffnung erzeugen
könne, also: In diesem Sinne ruft die Linke zu
sozialen Unruhen auf.
In diesem Sinne,
wohlgemerkt, und dieser Aufruf passt einfach wunderbar in
diesen Laden: Kurz vor der Wahl einen politischen
Generalstreik fordern; durch ihn erzwingen, was ohnehin
im Programm ist; als gesellschaftliche Hoffnung Hartz
IV-Empfängern mit der Erhöhung ihres Satzes auf € 500.-
winken und Billiglöhner mit einem Mindestlohn von € 2,50
über dem Vorschlag der SPD von den Rechtsradikalen
fernhalten – Respekt! Da können die Sozialrevolutionäre
von der Caritas nur vor Neid erblassen.
Unruhen, die nirgends in Sicht sind – eine einzige Gelegenheit, einmal grundsätzlich über Volk, Führung, Demokratie und sozialen Frieden überhaupt zu räsonieren!
Das Thema ist ein gefundenes Fressen für die Betreuer des
Zeitgeistes in Zeitungs- und sonstigen Redaktionen.
Nichts schöner als sich damit zu befassen, wie Volkes
Stimmung im Lande ist und auf welche Weise sie politisch
betreut gehört. Die Bildzeitung hat wie immer ihr Ohr
ganz nah bei den Massen und erledigt ihre Aufgabe in
gewohnter Genialität: mit einer einzigen Überschrift und
ganz wenig Text. Der aber sagt alles: Müssen wir
wirklich Angst vor sozialen Unruhen haben? ... Erst die
Schockprognose der führenden
Wirtschaftsforschungsinstitute, schlimmster
Konjunktureinbruch seit 1949. Und jetzt die Angst: Löst
die Krise Unruhe aus?
(Bild,
24.4.) Man muss dem Volk nur die einzig richtige
Frage in den Mund legen, und schon ist klar: Der Krise
allergrößtes Ungemach erwächst ihm allein daraus, dass es
in seiner Unzufriedenheit über die demokratischen Stränge
schlägt. Also ist es nur logisch, wenn man die, die
allenfalls das Subjekt sozialer Unruhe sein könnten, als
Opfer der Unruhe, die da eventuell gestiftet werden
könnte, anspricht. Schlechte Nachrichten braucht das
Blatt seinen Lesern daher überhaupt nicht zu ersparen:
Gegenwehr gegen irgendetwas ist der größte Schaden fürs
Gemeinwesen, den man sich denken kann, dessen Insassen
können daher nur froh sein, wenn ihr Leib- und Magenblatt
ein paar Zeilen später in Gestalt eines Sachverständigen
wie folgt Entwarnung gibt: ‚Die Gefahr von sozialen
Unruhen sehe ich nicht‘ ... ‚Die Deutschen verlassen sich
auf den Staat und erwarten, dass er das in Ordnung
bringen kann und wird.‘
(Bild,
24.4.) Ja, diese Deutschen. Irgendeiner hat mal
gemeint, dass dieses Pack sich Bahnsteigkarten kauft,
bevor es eine Revolution macht. Dabei legt es einen roten
Teppich unter die grüne Minna der Bullen, wenn die aus
seinen eigenen Reihen Randalierer abholen.
*
Im Unterhaltungsprogramm fürs bessere Publikum ist die
heiße Frage ‚Sind Unruhen zu befürchten?‘ natürlich auch
ein großer Hit. Nicht, dass man dort nicht auch an die
Harmlosigkeit der deutschen Massen glaubte. Aber wenn man
sich an den letzten deutschen Aufruhr vor 80 Jahren
erinnert, wird man ja wohl mal das Problem in gebotener
Grundsätzlichkeit angehen dürfen, wie man nicht
vorhandenen Unruhen am besten schon im Vorfeld begegnet.
Das hat den Vorteil, dass sich einem ganz ungeahnte
Möglichkeiten zur Entdeckung von Gefahren für die
sittlichen Höchstwerte von uns allen eröffnen – und
bietet den Wächtern der demokratischen Freiheit
entsprechend Gelegenheit zur Klarstellung, von was genau
ihr bevorzugtes Schutzgut die Alternative ist.
„Genügt es, sich provozierende Unkenrufe wie die von
Sommer und Schwan zu verbitten - oder braucht es
ein beherztes politisches Handeln zur sozialen Befriedung
einer beunruhigten Bevölkerung?“. Den Provokateuren
von Unruhen das Maul stopfen – oder Unruhen politisch
beherzt befrieden: Das sind die Koordinaten, zwischen
denen ein demokratischer Feingeist herumdenkt. Dem ist
daher auch sonnenklar, dass und warum man dem Sozialstaat
nicht nur den sozialen Frieden zu verdanken hat. Der ist
ja, genau betrachtet und die Sache mit der Befriedung
einmal grundsätzlich genommen, besser als jede Polizei:
Nicht die Polizei und nicht die Justiz waren
jahrzehntelang Garant des inneren Friedens in der
Bundesrepublik; nicht Strafrechtsparagraphen und
Sicherheitspakete haben für innere Sicherheit gesorgt. Es
war der Sozialstaat: Geschäftsgrundlage für gute
Geschäfte ... soziale Sicherheit seiner Bürgerinnen und
Bürger.
(Prantl, SZ
24.4.) Ein Volk, das man zu nichts zwingen muss,
das sich in aller Freiheit in die Dienste fügt, die
andere für ihre guten Geschäfte von ihm verlangen, und
das sich dann mit dem, womit es die entgolten bekommt,
auch noch selbst bestens bedient vorkommt: Ja, wofür
braucht es da noch eine Polizei?!
*
Bleibt noch die Erbauung für die kritische intellektuelle
Hautevolee, die vom Spiegel bedient wird. Der blickt wie
immer voll durch und kennt sich aus in der Welt: Auf
deutschen Straßen weitgehend ruhig...Gewerkschafter,
Globalisierungsgegner, Kapitalismuskritiker. Es waren
die, die immer kommen.
Der Spiegel (18/2009) weiß Bescheid: Wenn
die, die notorisch den Kapitalismus kritisieren, ihn
schon wieder kritisieren und dafür auf die Straße gehen,
dann sind es ja doch bloß sie und nicht die anderen, die
sie mit ihrer Aktion hinterm Ofen hervorlocken wollten,
aber nicht hervorgelockt haben. Die anderen blieben
zuhause trotz Krise.
Die Schafsnatur der
Daheimgebliebenen entlarvt die der Unruhestifter, denn
wer nicht erkennt, dass die Deutschen für seine Avancen
zu schafsköpfig sind, ist selber ein Schafskopf. Es ist
halt so: Deutsche mögen es harmonisch ... Frankreich
ist für Gewerkschafter das, was England für
Investmentbanker war, das Grenzenlos-Land
– der
Spiegel hält nun mal
weder was von gescheiterten Investmentbankern noch von
gescheiterten Volksaufrührern, und Misserfolg ist für ihn
etwas, das eigentlich bloß im Ausland beheimatet sein
kann. Soweit der Begriff der Lage, was die Zukunft
bringt, wird man sehen – nach der Agenda 2010
vielleicht eine Agenda 2020 ... Ob es dann zu großen
Protesten oder Gewalt kommen wird? Das wird auch davon
abhängen, ob noch mehr Politiker oder Gewerkschaften mit
dem Aufruhr der Massen drohen werden
-, hängt
jedenfalls ganz davon ab, wie gut es gelingt, die Gründe
für soziale Unzufriedenheit dadurch zu erledigen, dass
man diejenigen mundtot macht, die auf ihnen herumreiten.
Die ‚Zeit‘ ist
ausnahmsweise einmal zufrieden mit dem deutschen Volk.
Unter dem Titel ‚Lob des Sozialstaats‘ lobt sie nicht
diesen, sondern die Deutschen, die so wunderbar
gelassen, vernünftig und solidarisch
sind und sich
durch ein bisschen Abschwung nicht den Tag verderben
lassen
. Ihnen bescheinigt die Autorin, nicht
bestechlich zu sein
, denn sie machen ihre
Zustimmung nicht an Rentenformeln und
Hartz-IV-Sätzen
fest und lassen sich schon gleich
nicht vom Verzicht auf den Zweiturlaub
von ihrer
Loyalität dem Wertesystem gegenüber abbringen. Wer es so
lässig wegsteckt, dass es ihm ein bisschen weniger gut
geht, als es ihm nach den Maßstäben der Redaktion ohnehin
im Grunde geht, hat sich die fetteste Belohnung verdient,
die das Hirn eines demokratischen Journalisten sich
überhaupt vorstellen kann: Politiker, die keine Angst
vor ihren Bürgern haben
. (Zeit, 30.4.)