Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Gerhard Schröders sozialdemokratischer Beitrag zur Verbrechensbekämpfung
Eliminatorische Gewaltphantasien

Schröders Plädoyer für entschlossenen Einsatz staatlicher Gewalt gegen Verbrecher, besonders ausländische, appelliert an den Idealismus, so könnte Verbrechen verhindert werden. Die SPD legt mit ihrem Bekenntnis zum Ausweisen ihr früheres Sozialarbeiter-Image ab.

Aus der Zeitschrift

Gerhard Schröders sozialdemokratischer Beitrag zur Verbrechensbekämpfung
Eliminatorische Gewaltphantasien

In der „Bild am Sonntag“ vom 20. Juli 97 meldet sich Gerhard Schröder zu Wort. Er kann nicht mehr länger schweigen zu einem Thema, das ihm und der Republik auf den Nägeln brennt: die steigende Kriminalität. Er hat Ursachenforschung betrieben und hat herausgefunden, warum die innere Sicherheit hierzulande schwer zu wünschen übrig läßt:

„Es zeigt sich zudem, der eiserne Vorhang hat die Bundesrepublik nicht nur getrennt vom Ostblock, sondern auch geschützt. Jetzt schwappt eine Welle von Verbrechen aus dem Osten nach Deutschland. Damit sind wir noch nicht fertig geworden.“

Tja, das hätten sich die kalten Krieger und Wiedervereiniger in Bonn halt früher überlegen sollen. Jetzt ist, wie man unter Verbrechensbekämpfern gerne sagt, das Kind in den Brunnen gefallen, und die gemütlichen Ostblock-Zeiten sind wohl ein für allemal vorbei. Um so wichtiger sind knallharte Analysen der Sicherheitslage:

„Zunächst mal eine klare und schonungslose Analyse. Selbst wenn es manche nicht gern hören: Beim organisierten Autodiebstahl sind Polen nun mal besonders aktiv, das Geschäft mit der Prostitution wird organisiert von der Russen-Mafia, Drogenkriminelle kommen besonders häufig aus Südosteuropa und Schwarzafrika. Man schützt die hier lebenden gesetzestreuen Ausländer nicht, indem man Ausländerkriminalität totschweigt. Wir dürfen nicht mehr so zaghaft sein bei ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht mißbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell.“

Da wird sich die deutsche Mafia aber freuen, wenn ihr eine entschlossene sozialdemokratische Hand die lästige Konkurrenz vom Hals schafft. Aber auch der soll es, wenn man Schröder nur machen läßt, künftig härter an den Kragen gehen. Wobei man von gewissen Ausländern durchaus was lernen kann:

„Lernen von New York kann man, daß wegsehen nichts mit Liberalität zu tun hat, lernen kann man, daß Verbrechensbekämpfung nicht Sozialarbeitern überlassen werden kann. Wir haben lange über die Ursachen von Kriminalität diskutiert und zuwenig über deren Bekämpfung.“

In Zukunft wird Schröder also heftig über die Verbrechensbekämpfung diskutieren. Und mit wem? Na klar doch: mit diesen Sozialarbeiter-Softis von der SPD. Denen wird er die Flausen schon austreiben und ihnen glasklar analysieren, wo die letzten brennenden sozialen Fragen der Nation einer sozialdemokratische Lösung harren:

„Betroffen sind vor allem die, die sich Sicherheit nicht einfach kaufen können. Deshalb muß das Thema innere Sicherheit wieder ein wichtiges Thema für Sozialdemokraten werden.“

Mehr Polizisten und Überwachungsinstrumentarien braucht das Land, damit alte Mütterchen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger, die sich keine body-guard leisten können, endlich wieder sicher sind in ihren Vorgärten – das ist moderne Sozialdemokratie!

Warum der Mann dieses Zeug erzählt, ist klar und war auch niemandem ein Geheimnis: Er will Kanzler werden, das heißt erst einmal Kanzlerkandidat seiner Partei. Dafür hat er den richtigen „Machtinstinkt“, was unter Demokraten allemal als respektable Eigenschaft gilt. Und mit diesem sicheren Instinkt hat er mal wieder seine altbekannte Masche durchgezogen: sich per Distanzierung von bisherigen Sprachregelungen der Sozialdemokratie als der wahre moderne Sozi zu profilieren. Ein „rechtes Thema“ sozialdemokratisch „besetzen“ – mit dieser von aller Welt leicht durchschauten albernen Tour ist er schon seit Jahren in den Schlagzeilen und wird immer populärer. Sie scheint also genau das Passende zu sein für eine Karriere in diesem unserem demokratischen Musterstaat.

So weit, so schlecht und eigentlich extrem langweilig. Immerhin bleiben drei Erkenntnisse allgemeinerer Natur:

1. Schröder spricht in seiner Selbstdarstellung als entschlossener Staatslenker dem staatlichen Gewaltapparat die Aufgabe zu, nicht nur Verbrecher zu fangen und ihrer Bestrafung zuzuführen, sondern das Verbrechen zu bekämpfen, also die Gesellschaft von dem Übel der Gesetzwidrigkeit, das in ihrer Mitte immer wieder entsteht, zu befreien, sie folglich grundlegend zu bessern. Was er damit fordert, ist keineswegs der private Fimmel eines unverbesserlichen Menschheitsverbesserers, sondern ein immerwährendes Ideal jeder Staatsgewalt: Das Verbrechen, dieses „Krebsübel“, mit dem die Gesellschaft ihrer Obrigkeit fortwährend auf die Nerven fällt, gehört beseitigt. Und zwar mit dem einzig tauglichen Mittel, das die Staatsgewalt für die Besserung ihrer Untertanen hat: dem umstandslosen Einsatz der Staatsgewalt – alle Vorstellungen vom Staat als ideellem Gesamt-Sozialarbeiter kann man getrost vergessen. Wo ein Politiker „law-and-order“ propagiert, da spricht er die prinzipielle Unzufriedenheit der Macht mit ihrer menschlichen Basis aus, erklärt dem Volk sein grundsätzliches Mißtrauen und bringt die Besserungsmittel in Erinnerung, über die die Obrigkeit das Monopol hat.

Wie Politiker diese Klarstellung über Oben und Unten an den Mann bringen, ist an Schröder gut zu studieren. Der Mann jongliert in seinem Propagandageschwätz mit der Doppeldeutigkeit von „Verbrechensbekämpfung“. Er erinnert an die alltägliche banale Tätigkeit des umfänglichen Polizei- und Justizapparats, von der der brave Bürger sich nicht betroffen weiß, weil sie ja den Abweichlern und Bösewichten gilt: Leute, die gegen gültiges Recht verstoßen haben, werden, so gut es geht, dingfest gemacht und bestraft. Er spielt auf die gute Meinung an, die der brave Bürger von der Tätigkeit der Staatsgewalt hat, wenn er sich vorstellt, ein Verbrecher wäre hinter ihm her und der Schupo rechtzeitig zur Stelle – so als wäre die öffentliche Gewalt der body-guard der kleinen Leute. Doch mit den Trivialitäten des Polizeigeschäfts, seinen Alltagsproblemen – geschweige denn mit den populären Täuschungen darüber – befaßt Schröder sich überhaupt nicht; er will nicht darauf hinaus, daß Polizisten polnisch lernen; das Ganze ist ja keine Rede vor einer Polizeiakademie. Und um die gesetzgeberische „Arbeit“ an den immerzu fälligen Gesetzesänderungen zur Ausweitung des Instrumentariums für Polizei und Justiz geht es ihm auch nicht, wenn er in der „Bild am Sonntag“ vom Leder zieht: Als tatkräftiger Ministerpräsident weiß Schröder erstens, daß die verschiedenen Pfeiler der „demokratischen Gewaltenteilung“ hierzulande in Sachen Verbrechensverfolgung und Bestrafung nichts anbrennen lassen; und zweitens gibt er sich als Profi der Gewalt ganz bestimmt nicht der Illusion hin, die Verfolgung und Bestrafung von Verbrechern wäre dasselbe wie die Verhinderung von Verbrechen – auch wenn er sicher nicht weiß (aber das ist ein ganz anderes Thema), mit welcher Notwendigkeit bürgerliches Recht und Rechtsbruch zueinandergehören. In seiner Agitation für nachhaltige Verbrechensbekämpfung tut er aber so, als wäre die Nation bereits durch kriminelle Machenschaften angefressen, der Staat in Gefahr und eine „Bekämpfung des Verbrechens“ in der zweiten Bedeutung des Eliminierens überfällig. Und damit bekennt er sich zu dem über alle polizeistaatliche Praxis hinausgehenden politischen Ordnungsstandpunkt, der mit der Daueraufgabe der bürgerlichen Staatsgewalt, ihre Verbrecher zu verfolgen, ein für allemal fertig werden möchte. Was Schröder propagiert, ist die Säuberung der Nation von obrigkeitswidrigem Unwesen: Deswegen gehören Verbrecher nicht bloß bestraft, schon gar nicht idealistisch gebessert, sondern mit der Radikalität, die ihnen gebührt, ausgemerzt! Nein, „Kopf ab!“ sagt Schröder nicht, das verbietet das Grundgesetz. Aber „kurzen Prozeß“, das meint er schon; diesen knackigen Standpunkt demonstriert er jedenfalls an dem Menschenschlag, der ganz ohne Grundgesetzverletzung auf Nimmerwiedersehen aus der deutschen Gesellschaft eliminiert werden kann: … raus und zwar schnell!

Wie gesagt, dieser Fanatismus des „Durchgreifens“ ist nicht Schröders Erfindung und auch nicht seine Spezialität – auch wenn Mann und Meinung besonders gut zueinander passen. Es gehört, bei allem bürgerlichen Pragmatismus und aller rechtsstaatlichen Selbstkontrolle, allemal zur obrigkeitlichen Gewalt dazu, daß sie Verstöße gegen sich gar nicht gut aushält, deswegen ihrem Volk höchst mißtrauisch gegenübersteht und immer von neuem dieselben Reinigungsideale und -programme entwickelt – der öffentliche Gewaltapparat ist sich über sein Verhältnis zu seinen Bürgern im klaren, auch wenn diese sich noch so sehr darüber täuschen. Und deswegen gehören Übergänge in den Wahn einer gewaltsam vom Verbrechen befreiten Gesellschaft zum Berufsbild des strebsamen Politikers – und zwar keineswegs bloß des faschistischen.

2. Konfrontiert mit derartiger Gewaltpropaganda, wendet sich das Wahlvolk keineswegs mit Grausen ab. Im Gegenteil, das Wahlversprechen, die verehrten Untertanen mit einem flächendeckenden, effektiven Gewaltapparat zu umsorgen, bis sich in der Gesellschaft kein Gesetzesbrecher mehr was traut, gilt nicht nur als Populismus, sondern ist auch populär. Und das nicht etwa, weil die angesprochenen Leute Schröders Kontrollideal mit einer Wohltat für ihr Privatleben verwechseln würden, sondern weil sie in ihrer Eigenschaft als Volk diesen Säuberungsstandpunkt nur allzu gut verstehen – und billigen. Volksgenossen, die sich von Schröders Anmache betören lassen, neigen nämlich nicht dazu zu überprüfen, ob die Polizeidichte im Lande tatsächlich zu wünschen übrig läßt. Sie rechnen auch keineswegs damit, daß sie unter einem Kanzler Schröder zum Schutze ihres Eigenheims oder Schrebergartens einen Polizisten zur Seite gestellt bekommen und damit endlich auch über eine Leibwache verfügen – so wie diejenigen, „die sich Sicherheit kaufen können“. So borniert ist das Volk auch wieder nicht, daß es die Botschaften seiner Politiker umstandslos auf seine persönlichen Lebensumstände beziehen würde. Echte Volksgenossen brauchen nicht einmal eigene Erfahrungen mit Verbrechern und Polizei – so wie ja auch Schröder nichts Sachdienliches zur wirklichen Polizeitätigkeit beizutragen braucht –, um den Standpunkt des obrigkeitlichen Ordnungsfanatismus einzunehmen und felsenfest überzeugt zu sein, daß in diesem Lande nichts so sehr fehlt wie Polizeipräsenz, umfassende Überwachungsapparate, zackig ohne falsche Skrupel aburteilende Richter…

Als Volk denken die Menschen offensichtlich gar nicht als Mitglieder der gesellschaftlichen „Basis“, mit der die Staatsgewalt ihre fortwährenden Ordnungsprobleme hat, derer die Staatslenker stets von neuem endgültig überdrüssig werden. Als Volk machen sie sich vielmehr die Sorgen ihrer Obrigkeit, teilen deren Sehnsucht nach definitiv regelndem Durchgreifen und sehen völlig davon ab, daß sie im Ernstfall gar nicht zu den Durchgreifern, sondern zu den Durchgegriffenen gehören: Daß das politische Bedürfnis nach Säuberung niemandem anders als ihnen gilt, fällt ihnen im Traum nicht ein – überwacht, verfolgt und verurteilt werden prinzipiell immer nur „die andern“…

Auch das hat übrigens seinen schlechten objektiven Grund, genauso wie der hoheitliche Ordnungswahn selbst. Als Volk sind die Menschen nichts weiter als das Material und Potential der staatlichen Macht; als deren Basis sind sie gefragt. Und wenn sie sich in dieser nur allzu real existierenden Eigenschaft ansprechen lassen, dann kommt eben auch nichts anderes heraus als das Selbstbewußtsein einer Manövriermasse.

3. Sowohl der Bezugnahme der Obrigkeit auf ihr Volk, die Schröder in seinem Werbefeldzug für law-and-order vorführt, wie auch dem Standpunkt des Volks zu seiner Obrigkeit, auf den er mit seiner Volksbetörung setzt, ist Fremdenfeindlichkeit immanent.

Um noch einmal an den Alltag der Justiz und der Polizeiarbeit zu erinnern, um den es Schröder gar nicht geht: Da wäre es einerseits ganz unzweckmäßig, eine spezielle Abneigung gegen Ausländer zur Richtschnur der Rechtspflege oder gar der Ermittlungen zu machen. Andererseits macht der Rechtsstaat selber in seinem praktischen Umgang mit Verdächtigen und Verbrechern an der Scheidelinie der Staatsbürgerschaft durchaus einen praktischen Unterschied: Ausländer werden nicht einfach „nur“ als Verbrecher bestraft, wenn sie sich etwas zuschulden kommen lassen. Hier gilt das Ausländerrecht, und das schließt den „kurzen Prozeß“ ein, den Betroffenen aus dem Staatswesen rauszuwerfen. Und das ist für das herrschaftliche Bedürfnis, aus dem eigenen Volk das Böse zu eliminieren, der entscheidende Anhaltspunkt. An den kriminellen Ausländern macht die Staatsgewalt nämlich ihr Säuberungsideal wahr und beantwortet den Fanatikern eines sauberen Volkes damit ganz praktisch deren Frage nach der Herkunft jenes gesellschaftlichen Krebsübels, das den Machthabern immer wieder das Wohlgefallen an dem Volk verdirbt, das zugleich doch die Basis ihrer Macht ist und noch dazu die einzige, die sie haben: Die andern sind’s; diejenigen, die „von Haus aus“ gar nicht so richtig zur heimischen Manövriermasse dazugehören. Nicht daß die damit pauschal entschuldigt wäre; im Gegenteil: Deren Verbrechern werden Missetaten noch viel weniger verziehen, weil sie ja eigentlich den ehrbaren Beruf des Volk-Seins im Paß und in den Genen haben. Den Ausländern im eigenen Land aber, das ist auch und erst recht klar, gebührt das Mißtrauen, das die Staatsgewalt schon ihrem eigenen Volk entgegenbringt, in noch viel größerem Maß und in allererster Linie. Der Umkehr-„Schluß“ liegt für Fans sauberer Verhältnisse auf der Hand: Wenn schon die Staatsgewalt Ausländer als Leute behandelt, die grundsätzlich nicht ihr gehören, dann können diese Leute sich ihrerseits doch auch gar nicht echt und ehrlich mit Haut und Haaren der Staatsmacht verschrieben haben, bei der sie bloß „zu Gast“ sind – womöglich haben sie mit ihrer angeborenen Fremdheit und ihren Drogen das heimische Volk überhaupt erst verdorben?! In diesem Sinne fällt Schröder die Forderung raus und zwar schnell! ganz logischerweise als erstes Essential einer wirklich ordentlichen Verbrechensbekämpfung ein…

Und das gute Volk versteht, was gemeint ist. Es hat sich als geborene Anhängerschaft seiner Obrigkeit schon immer gedacht, daß Kriminalität letztlich immer von denjenigen ausgeht, die sowieso nicht hierher gehören. Nun bekommt es also auch noch von dem niedersächsischen Obersozi recht!

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Interessant zu beobachten, daß eine Äußerung von Schröder im Sommer ’97 die Bemerkung aufkommen läßt, da wäre ein Sozi ziemlich rechts geworden und noch dazu aus populistischen Berechnungen. Als ob die SPD in den letzten 40 Jahren nicht schon etliche Modernisierungen hinter sich gebracht hätte.