Sahra Wagenknechts Hit
„Freiheit statt Kapitalismus“ – damit der „kreative Sozialismus“ den Kapitalismus wieder auf Vordermann bringt!
In der Tat, der moderne Kapitalismus ist kein schöner Anblick.
Beste Gewinnlage, steigende Dividenden, immer mehr Millionäre auf der einen Seite; unsichere Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und befristete Jobs, die den Mann nicht ernähren und Aussichten auf eine solide Altersarmut eröffnen, und andere Schönheiten der Berufswelt mehr auf der anderen: Arbeit und Reichtum scheinen sich in diesem Wirtschaftssystem eigentümlich komplementär zu verteilen. Auch vom Bildungswesen hört man wenig Gutes; irgendwie trägt es das Seine dazu bei, dass die Ungebildeten nicht weniger werden. Usw. usf. Und? Warum ist das so? Weil es, erfahren wir, eigentlich gar nicht sein müsste. Denn das soziale Elend, über das Wagenknecht stellvertretend für so viele Klage führt, ist dem Kapitalismus, der es schafft, im Grunde genommen ganz wesensfremd: „Der Kapitalismus versagt nicht nur sozial. Er versagt vor allem vor seinen eigenen Ansprüchen.“
Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gliederung
- Eine Einladung zum Dialog mit „offenen und fairen Marktwirtschaftlern“
- Der Skandal: „Unproduktiver Kapitalismus“! Und warum?
- Weil erstens die kapitalistischen Produzenten ihren Auftrag vergessen haben
- Weil es ihnen und vielen anderen zweitens nur um „Zockerprofite“ geht
- Weil drittens statt dessen die Produktivität des Kreditgewerbes „völlig unverhältnismäßig“ geworden ist
- Weil viertens mit dem Kapitalismus zwar etwas ganz anderes versprochen war ...
- ... aber fünftens seit Ludwig Erhard gegen alle Regeln des marktwirtschaftlichen Gleichgewichts verstoßen wird
- Der „kreative Sozialismus“: Wiederbelebung des „Modells der sozialen Marktwirtschaft“
Sahra Wagenknechts Hit
„Freiheit statt Kapitalismus“ – damit
der „kreative Sozialismus“ den Kapitalismus wieder auf
Vordermann bringt!
Eine Einladung zum Dialog mit „offenen und fairen Marktwirtschaftlern“
In der Tat, der moderne Kapitalismus ist kein schöner Anblick:
„Kein Arbeitsplatz ist mehr sicher, nicht einmal im Wirtschaftsboom, seit es als normal angesehen wird, dass Firmen auch bei bester Gewinnlage tausende Stellen streichen und die Dividenden im Gleichschritt mit der Zahl der Leiharbeiter steigen... Über die Hälfte aller neuen Jobs sind befristet, immer mehr werden so jämmerlich bezahlt, dass man von ihnen nicht leben kann. Wer ein kleines Unternehmen gründet, wird immer öfter vom Kreditgeiz der Banken in die Pleite getrieben... Noch nie gab es in Deutschland so viele Millionäre und noch nie so viele Tafeln und Suppenküchen, vor denen sich in immer größerer Zahl die Ausgestoßenen und Fallengelassenen drängen... Und auch ein sorgenfreier Lebensabend ist nur noch für den gesichert, der reich genug ist, privat Vermögen anzusparen... Die Zahl derer, die die Schule verlassen, ohne je richtig lesen und schreiben gelernt zu haben, und die bei Goethes ‚Faust‘ eher an die geballte Rechte eines Boxers denken, wächst...“ (Vorwort, S.7 ff; alle folgenden Zitate mit Seitenangabe aus: Sahra Wagenknecht, Freiheit statt Kapitalismus, Frankfurt/M, 2011)
Beste Gewinnlage, steigende Dividenden, immer mehr
Millionäre auf der einen Seite; unsichere
Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit und befristete Jobs, die
den Mann nicht ernähren und Aussichten auf eine solide
Altersarmut eröffnen, und andere Schönheiten der
Berufswelt mehr auf der anderen: Arbeit und Reichtum
scheinen sich in diesem Wirtschaftssystem eigentümlich
komplementär zu verteilen. Auch vom Bildungswesen hört
man wenig Gutes; irgendwie trägt es das Seine dazu bei,
dass die Ungebildeten nicht weniger werden. Usw. usf.
Und? Warum ist das so? Weil es, erfahren wir, eigentlich
gar nicht sein müsste. Denn das soziale Elend, über das
Wagenknecht stellvertretend für so viele Klage führt, ist
dem Kapitalismus, der es schafft, im Grunde genommen ganz
wesensfremd: Der Kapitalismus versagt nicht nur
sozial. Er versagt vor allem vor seinen eigenen
Ansprüchen.
(Ebd.)
Versagen kann jemand oder etwas nur bei Dingen, die
jemand sich vornimmt bzw. für die etwas da ist. Ein Auto
versagt nicht, wenn es nicht schwimmt. Ein
Kapitalstandort versagt nicht, wenn er Arbeitslose
verelenden lässt. Ob eine führende Intellektuelle der
Linkspartei versagt, wenn sie das nicht weiß? Oder gehört
das gar nicht in ihren selbstgestrickten Aufklärungsplan?
Modernes linkes Denken auf der Kommunistischen Plattform
hat die Erläuterungen von Marx jedenfalls ersichtlich
weit hinter sich gelassen. Es hält sich nicht lange auf
mit Einsichten in Grund, Zweck und innere Notwendigkeit
dieser seltsamen Sorte Reichtumsproduktion, die ihren
Produzenten nicht gut bekommt, sondern kommt mit einem
einzigen falschen Urteil zur Sache, genauer: zu einer
erschütternden Anklage: Das System der Ausbeutung bleibt
die guten Dienste schuldig, für die es irgendeiner wohl
erfunden haben muss!
Mit diesem negativen Urteil trennt die Autorin die Phänomene, die ihr am Kapitalismus unangenehm auffallen, von ihm selbst ab, um so nicht den, den es gibt, sondern den eigentlichen, besseren Kapitalismus zu bedenken, und schon stellt sich die nächste verkehrte Frage: Warum bleibt er aus und die Erfüllung aller sozialen Wohlstands- und sonstigen Glücksversprechungen schuldig, die in seiner Natur begründet liegen sollen? Offenbar deswegen, weil es bei ihm wie beim Beton ganz darauf ankommt, was man daraus macht:
„Die Sozialsysteme wurden unter dem Druck mächtiger Wirtschaftslobbys politisch zerschlagen... mächtige Global Players (haben) sich Märkte und Politik unterworfen. Der Privatisierungs- und Liberalisierungsirrsinn hat die Grundversorgung deutlich verschlechtert und teilweise außer Kraft gesetzt... Die weltwirtschaftliche Krise schleppt sich dahin. Unbewältigt. Ungelöst. Die Regierenden haben kein Konzept... Die Regierenden haben keine Ideen mehr, ebenso wenig wie die Ex-Regierenden, die heute mühsam Opposition spielen, obwohl sie sich mit der Regierung in allen wesentlichen Fragen einig sind. Wie oft in niedergehenden Systemen besteht der letzte Ausweg überforderter Politiker in clownesker Realitätsverweigerung... Soll es so wirklich immer weitergehen?“ (Ebd.)
Die beklagenswerten sozialen Verhältnisse rühren also aus
dem Umstand her, dass die Regierenden im Land
bei ihrer politischen Aufgabe versagt
haben, aus dem Kapitalismus die Wohlstandsmaschine für
die Menschen zu verfertigen, die mit ihm versprochen ist:
Die Macht, die man ihnen eigens zu dem Zweck verliehen
hat, haben sie sich entweder wegnehmen lassen oder sich
gleich selbst um sie gebracht, weil sie einem
Irrsinn
verfallen sind. Und was die Verheerungen
betrifft, die die Krise des Systems im Leben der
Gesellschaft zusätzlich anrichtet, so sind auch die nur
ein Verweis auf denselben Mangel höheren Ortes, den die
sozialistische Kritikerin ausgemacht hat: In den Kreisen
der Regierung weiß man nicht weiter, hat kein
Konzept
, keine Idee
und, Gipfel aller
handwerklichen Inkompetenz, steckt den Kopf, über den
einem die Krise schon längst gewachsen ist, einfach in
den Sand...
Endlich gehört der Kapitalismus gescheit
regiert! In diesen staatsbürgerlichen Stoßseufzer
nach guter Herrschaft überführt diese Kritikerin alles,
woran sie im Namen der Interessen Anstoß nimmt, die in
der Klassengesellschaft unter die Räder kommen. Deren
Einrichtungen und damit das gesellschaftsbildende Prinzip
eines Reichtums, der auf Kosten seiner Produzenten
zustande kommt, spricht sie von jeder Kritik ebenso
grundsätzlich frei wie eine herrschaftliche Gewalt, die
im Privateigentum und seiner erfolgreichen Mehrung ihre
Raison hat und eine ganze Gesellschaft zu den dafür
funktionellen Diensten zwingt. Mangelndes Geschick
beim politischen Management des Kapitalismus, heißt
der Einwand, um ein zum Himmel schreiendes
Versagen
der sozialpolitisch Verantwortlichen zu
brandmarken: Dazu erstattet die
wirtschaftspolitische Sprecherin der Linken Bericht zur
elenden Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland. Den
Vorwurf mangelnder Ideen
und Konzepte
wird
sie ausgerechnet an die Adresse derer los, die mit ihren
Spar-, Bankenrettungs- und sonstigen Programmen
eindrucksvoll unter Beweis stellen, wie wenig sie bei der
Rettung ihres Systems überfordert
sind: Die packen
sie über die gnadenlos weiter vorangetriebene Verelendung
ihres Volks tatkräftig an. Und dass mit dieser
Vordenkerin der Linken keine Absage an das
System, sondern wirklich nur ein Geist unterwegs
ist, der sich an der Verbesserung der kapitalistischen
Welt zu schaffen machen will, sagt sie dann auch noch
selbst:
„Ich weiß, für viele Pseudokonservative und Pseudoliberale bin ich der Gottseibeiuns, die finstere Kommunistin, die zurück will in die alte DDR. Ich habe auch deshalb zunehmend gespürt: Es wird Zeit, einen positiven Gegenentwurf zu schreiben, zumindest diesen Entwurf zu beginnen. Es wird Zeit, den typischen FDPlern, die von Ökonomie nicht mehr verstehen als die auswendig gelernten Sprüche aus ihren eigenen Wahlwerbungsprospekten, entgegenzuhalten, wie Marktwirtschaft tatsächlich funktioniert. Und es wird Zeit zu zeigen, wie man, wenn man die originären marktwirtschaftlichen Ideen zu Ende denkt, direkt in den Sozialismus gelangt, einen Sozialismus, der nicht Zentralismus, sondern Leistung und Wettbewerb hochhält.“ (Ebd.)
Nein, da kommt kein kommunistischer Wolf im Schafspelz
der ökonomischen Fachautorität daher: Das Wesen, das in
dem steckt, bekennt sich ganz ehrlich zu seiner
grundguten Natur. Damit die Brüderles und Schäubles der
Welt von kompetenter Seite endlich einmal erfahren, wie
das Ding funktioniert, das sie regieren: Zu diesem Zweck
schreibt die Frau ihr Buch, das soll man ihr glauben und
kann man auch. Freilich soll ihr Werk auch anderen etwas
geben, kritischen Zeitgenossen zum Beispiel
nachvollziehbar machen, wie man
die
Marktwirtschaft zu Ende denken muss, um bei einem
Sozialismus zu landen, der die Ideale der
kapitalistischen Konkurrenz preist. Das Angebot haben wir
aufgegriffen.
Der Skandal: „Unproduktiver Kapitalismus“! Und warum?
Weil erstens die kapitalistischen Produzenten ihren Auftrag vergessen haben
Was den Kapitalismus in Gestalt seiner realen
Wirtschaftstätigkeit
betrifft, ist über diesen von
seiner linken Kritikerin zu hören, dass die Berufsgruppe,
nach der die Produktionsweise heißt, nicht mehr so recht
zu wissen scheint, wofür sie eigentlich da ist:
„Vor allem große börsennotierte Unternehmen pflegen seit Jahren ein Geschäftsmodell, das nicht nur den sozialen Zusammenhang der Gesellschaft untergräbt, sondern in zunehmendem Maße auch ihre wirtschaftliche Basis. Nicht genug, dass Rekordprofite mit rücksichtsloser Lohndrückerei einhergehen und Entlassungswellen von steigenden Aktienkursen belohnt werden. Die Weltkonzerne haben sichtlich auch immer weniger Interesse an den Kernaufgaben eines Wirtschaftsunternehmens: an Forschung und Innovation, an langfristigen Investitionen, an höchster Qualität, an den Kundenwünschen...“ (83)
Ein sehr interessantes Geschäftsmodell
, das die
Autorin da entdeckt hat und das seit Jahren
dabei
ist, seine eigenen Geschäftsgrundlagen zu unterminieren.
Insbesondere den großen Unternehmen soll es dem Vernehmen
nach darum gehen, dass das Geld, das sie in Löhne und
Arbeitsmittel investieren, mit möglichst viel
Profit zu ihnen zurückfließt. Dagegen ist für sie im
Prinzip nichts einzuwenden. Dass es dem privaten Eigentum
in Unternehmerhand um seine Vermehrung geht, das
Produzieren eine Geldanlage ist, die sich zu
rentieren hat, geht für sie schon in Ordnung, so ist
nun einmal die Welt, in der wir leben: Das
entscheidende Motiv der kapitalistischen Produktion ist
die Erzielung von Profit.
(146) Problematisch wird für die
Kritikerin die Sache offenbar dann, wenn Kapitalisten
dabei zu weit gehen und ausgerechnet an den
Kosten sparen, deren produktive Verausgabung sich
für sie doch rentieren soll: Dann gibt es
rücksichtslose Lohndrückerei
. Dann erwirtschaften
sie zwar Rekordprofite
, lassen dafür aber die
Kernaufgaben
liegen, für die Eigentümer von
Produktionsmitteln nach Auffassung einer sozialistischen
Volkswirtschaftsexpertin vorgesehen sind: Auftragsgemäß
sind sie mit nichts weiter befasst als mit der
Herstellung von Dingen ..., die das Leben angenehmer und
leichter machen sollen
(81), haben zur bestmöglichen
Befriedigung der vielen Kundenwünsche
zu forschen,
zu investieren und Höchstleistungen in Sachen Qualität zu
erbringen, lauter feine Sachen also, gegen die einer nun
wirklich nichts sagen kann – und dann geht es ihnen doch
glatt um alles andere als diese, weil nur um
ihren Profit. So also ist der Kapitalismus Gegenstand
linker Kritik: Der Zweck, um den es ihm ausschließlich
geht, wird zu einem neben alle Geschäfte, in denen er
exekutiert wird, getretenen Geschäftsmodell
verselbständigt, bei dem die Ökonomin all die schönen
Zwecke, die sie in den Kapitalismus hineinliest,
einfach nicht mehr wiederfindet, und dies ist auch schon
der ganze Inhalt dieser Kritik. Erschwerend kommt hinzu,
dass dieses ‚Modell‘ überhand nimmt:
„Statt den Unternehmenserfolg langfristig durch überlegene Produktqualität oder innovative Spitzenleistungen zu sichern, geht es um kurzfristige Rendite, von Quartal zu Quartal. Um diese auf das von den Börsenanalysten erwartete Maximum zu heben, werden leistungsfähige Unternehmen so lange durch die Kostenmangel gedreht, bis von ihnen nur noch ein ausgezehrtes, ideenloses Gebilde übrig bleibt.“ (85) „Statt Neuheiten in einem mühsamen und risikoreichen Prozess selbst zu erfinden, greift man zu, sobald eine vielversprechende Idee am Markt erscheint.“ (89) „Anstelle überlegener Qualität werden Größe und Weltmacht angestrebt, statt zu investieren Unternehmensmonopoly gespielt.“ (9)
Die Frau besichtigt die von ihr geschätzte reale Welt der
Wirtschaft, die Abteilung des Kapitalismus also, in der
nach ihrem Verständnis wirklich Wert
geschaffen
wird, und mag sich nicht erklären, warum es in dieser
Welt so zugeht, wie sie es aufschreibt. Sie nimmt Notiz
von den Gemeinheiten einer Produktionsweise, in der die
Produzenten des Werts, um dessen möglichst erfolgreiche
Vermehrung in privater Hand sich alles Wirtschaften
dreht, als Kosten verbucht werden – nur um das sich dabei
folgerichtig einstellende Resultat, die Zerstörung der
Lebensgrundlagen von vielen, für äußerst ideenlos
zu befinden; weil nämlich die Unternehmer mit der
Entlassung ihrer Mitarbeiter vor allem Sachverstand
und Professionalität
wegsparen
(85 f.)! Stur beharrt sie darauf, dass
der gute Sinn, den sie in das
kapitalistische Investieren hineinlegt, auch die
ökonomischen Praktiken der Firmen anzuleiten hätte – und
wo immer sie zur Kenntnis nehmen muss, dass sich die
private Verfügungsmacht über die Mittel der Produktion
nach ihren wohlmeinenden Maßstäben schlicht und
ergreifend nicht richtet, diese also weder die
entscheidenden Mittel noch die Zwecke des
kapitalistischen Geschäfts sind, bekennt sie sich
entschlossen zur eigenen interessierten Sicht der Dinge:
Mit Oppositionen wie Qualität
contra Größe
,
selbsterfunden
versus aufgekauft
,
lang-
im Unterschied zu kurzfristig
und der
inflationären Verwendung von Konjunktionen, mit denen
sich ohne jede nähere Begründung über das Eintreten eines
anderen als des von ihr gewünschten Umstands prima
Beschwerde führen lässt – anstatt
,
anstelle
, statt
... –, weist die Kritikerin
den verschiedensten Geschäftstätigkeiten negativ und
positiv besetzte Attribute zu und sortiert sie damit in
solche, die sie gut findet, und solche, die ihrer
Auffassung nach nun wirklich nicht sein müssten.
Weil es ihnen und vielen anderen zweitens nur um „Zockerprofite“ geht
Derart unsachlich geht die Urteilsbildung auch bei anderen Geschäftspraktiken vonstatten, die sich nach dem Geschmack der Autorin gleichfalls viel zu wenig um die menschenfreundlichen produktiven Leistungen verdient machen, für die sie eingerichtet sind. Der Kredit zum Beispiel, mit dem Unternehmen wirtschaften, erfreut sich einer Unterscheidung ganz nach Maßgabe der Wertschätzung, die von ihrer Seite dem Verwender oder Verwendungszweck zuteil wird:
„Statt Maschinenbauer oder Waschmaschinenproduzenten kreditieren die Ackermänner ... lieber andere Banken“ (39), „zum Kerngeschäft gehören Finanzwetten statt Firmenkredite.“ (36)
Sie selbst weiß ganz gut, dass die Banker bei dem von ihr so geschmähten „Investmentbanking“ gar nicht anders rechnen als beim Investment für Hausgeräte: „Die Entscheidung der Großbanken, ihr Geld nicht länger in Fabriken und Kanalbauten zu versenken (...), war wohlkalkuliert (…): Spekulative Finanzwetten sind nicht nur lukrativer, sondern – für die Bank! – auch weniger ‚gefährlich‘ als Firmenkredite.“ (42) Ob groß oder klein: Für jede Bank ist jedes Investment eine Angelegenheit, die sie nach Rendite und Risiko kalkuliert. Aber das spielt bei einer Urteilsbildung ersichtlich keine Rolle, der es um die Verurteilung für unzweckmäßig befundener Geschäfte von Banken geht. Auch auf Seiten ihrer Geschäftspartner aus der Realwirtschaft denkt unsere Kritikerin den ihr bekannten Umstand entschlossen weg, dass die nur dann eine Waschmaschine herstellen, wenn sie mit ihr einen Gewinn erzielen, dessen Höhe den Vergleich zu alternativen Renditen besteht. Dass es ohne anständige Profitrate in dieser Welt keinen einzigen Besen gibt, ist für die wirtschaftspolitische Fachkraft der Linken kein weiteres Aufheben wert. Aber dass Profit glatt auch mit spekulativen Wertpapieren und nicht nur mit Besen und solchem Zeug gemacht wird: Das findet sie nicht in Ordnung. Sie selbst erzählt einem, dass und wie in beiden Sektoren der kapitalistischen Bewirtschaftung des gesellschaftlichen Lebensprozesses dasselbe Prinzip regiert, und will im selben Zug von der gemeinsamen Rechnungsweise von produktiven und Geldkapitalisten nichts wissen. Deren Geschäfte in gute, nämlich mit der Erzeugung von Gebrauchsgegenständen verbundene, und schlechte, die sich einfach nur auf Geldvermehrung kaprizieren, auseinander zu sortieren: Das ist die Leitlinie, die sie bei ihrem Durchgang durch die Phänomenologie des Kapitalismus im Kopf hat und nicht verlässt. Mit der hat sie einen klaren Kompass auch bei ihrer Beurteilung der höheren Formen des Geldvermehrens, die in der Welt der „Realwirtschaft“ gang und gäbe sind. Die Börse zum Beispiel ist für sie eigentlich eine feine Einrichtung, um beim Publikum Geld einzusammeln, damit „zur Finanzierung der Investitionen (in produktiven Unternehmen) beizutragen“ und auf diesem Weg schöne Dinge herzustellen. Aber was muss sie feststellen: „Statt die verfügbaren Ressourcen für Forschung, Neuerungen und Investitionen zu verwenden, wird die Unternehmensführung am kurzfristigen Shareholder-Value ausgerichtet und die Unternehmenssubstanz durch hohe Dividendenausschüttungen und Aktienrückkäufe ausgezehrt.“ (109) „Um den Anleger steuersparend mit Cash und Kursgewinnen zu verwöhnen, ... werden per Saldo von den Unternehmen immer mehr Aktien zurückgekauft als neue ausgegeben, eine völlige Pervertierung der Funktion, die die Aktienmärkte eigentlich erfüllen sollten.“ (95 f.)
Wenn der Anleger, weil sich das Investment für ihn zu
lohnen verspricht, sein Geld im Unternehmen abliefert und
sonst nicht weiter in Erscheinung tritt, gelten ihm
zufließende Dividenden und Kursgewinne als gerechte
Entlohnung für seinen monetären Beitrag zur Produktion.
Kommt allerdings die AG zu dem Schluss, dass sie ihre
Fähigkeit, auch in Zukunft Geld einzusammeln, durch eine
Kurspflege der Aktie fördert, die ein Investment in sie
für Anleger noch lohnender macht, fängt sich die
Betätigung der haargenau gleichen Geschäftsinteressen
aller Beteiligten aus der linken Ecke statt
funktional
das Prädikat pervers
ein. Auch
dieses Übel nimmt überhand, denn:
„Im Grunde lauert die Fratze der Shareholder-Value-Doktrin überall, wo Unternehmen als bloße Anlageobjekte für privates Kapital betrachtet werden... In all diesen Fällen ist der erwartete Profit und nicht der wirtschaftliche Nutzen eines Geschäftsprojekts die entscheidende Größe und Investitionen finden nur statt, wenn sie die angepeilte Zielrendite in Aussicht stellen. In all diesen Fällen ist somit nicht damit zu rechnen, dass mit den wirtschaftlichen Ressourcen sinn- und verantwortungsvoll umgegangen wird.“ (109)
Und was ist, wenn im Kapitalismus Unternehmen nur
deswegen als bloße Anlageobjekte
betrachtet
werden
, weil es in dem System gar keine anderen
Unternehmen gibt als solche, die eine produktive Anlage
privater Eigentümer sind und als solche
funktionieren? Wenn der „wirtschaftliche Nutzen
eines Geschäftsprojekts“ in gar nichts anderem
als dem angestrebten „Profit“ besteht? Wenn dieser
Gebrauch wirtschaftlicher Ressourcen, bei dem die
Produktion des materiellen Reichtums, von dem die
Gesellschaft lebt, das bloße Vehikel zur Vermehrung des
abstrakten in Geldgestalt ist, überhaupt nicht nur in
diesen Fällen
, sondern generell das Prinzip ist, dem
alles Produzieren unterliegt? Was macht die linke
Theoretikerin damit? Sie bleibt sich treu und stellt sich
konsequent ignorant gegenüber allen Tatsachen, von denen
sie Notiz nimmt: Echter Wert und damit etwas
auch von Sozialisten anzuerkennendes, wirtschaftlich
Sinnvolles kommt zustande, wo das Mittel dieses Zwecks,
ein feiner Gebrauchswert – der, wie man erfahren hat,
das Leben erleichtert
– mit im Spiel ist! Die Gier
nach Dividende, Zins und Unternehmergewinn ist ein nicht
weiter zu beanstandendes Motiv zur Produktion von
Waschmaschinen und sonstigen Gerätschaften – wo die nicht
in Sicht sind, ist sie ein Renditewahn
und als
dieser zu verwerfen! Den Profit liest sie als
Anreiz- und Belohnungssystem für das Schaffen von
Gebrauchswerten und nicht als den Zweck des Kapitals, und
wo immer sie bemerkt, dass ihre aparte Lesart nicht
zutrifft – wofür die wirkliche Welt ja reichlich Stoff
liefert –, wirft sie das den Kapitalisten als
Zockerprofit
und Perversion ihres
eigentlichen Auftrags vor. Es wird schon so
sein, dass bestimmte Hedge- und Private-Equity-Fonds mit
dem Aufkauf von Firmen eine andere Geschäftsstrategie
verfolgen als ein Unternehmer, der mit der Produktion –
sagen wir: – eines neuen Panzertyps Geld verdienen will
und dafür „Arbeitsplätze schafft.“ Aber wenn beides zu
den Dauereinrichtungen einer modernen Marktwirtschaft
gehört: Hätte die Aufklärung über dieses System dann
nicht über den – womöglich systemnotwendigen! –
Unterschied und Zusammenhang der beiden Varianten ein und
derselben Rechnung aufzuklären? Frau Wagenknecht schlägt
sich stattdessen da, wo ihr Interessengegensätze zwischen
Geschäftemachern auffallen, auf die Seite derer, die
Sachen machen lassen und dafür Arbeitskräfte benutzen,
gegen diejenigen, die direkt den Zweck aller
Unternehmerei – aus Geld mehr Geld machen –
bewirtschaften und dafür auch schon mal realen Reichtum
zerstören. Für diese Parteinahme im ewigen
Konkurrenzkampf der Kapitalfraktionen zitiert sie sogar
Marx: Im heutigen Kapitalismus gilt uneingeschränkt,
was Marx die ‚Herrschaft des Tauschwerts über den
Gebrauchswert‘ nennt
(144) – nur um dessen Kritik am Prinzip
des Kapitalismus in eine an einer angeblichen Entgleisung
desselben und in ein Plädoyer für die
Dienstbarkeit des Tauschwerts am Gebrauchswert zu
verdrehen, wie sie dereinst von der alten liberalen
Tradition
versprochen wurde: Die Möglichkeit zum
Eigentumserwerb sollte den Erfindungsgeist und die
Leistungsbereitschaft motivieren und so die Wirtschaft
insgesamt voranbringen
(ebd.) – glauben Linke heute allen
Ernstes an solche abgestandenen apologetischen
Spruchweisheiten? Wenn die Autorin gegen die Herrschaft
des Kapitalzwecks über die gesellschaftliche Reproduktion
polemisiert – maximale Rendite auf das eingesetzte
Kapital – egal wie
(100) –, ist das kein Urteil über
das Kapital, sondern eines über die
durchgeknallten
Abweichungen von seiner
produktiven Pflichterfüllung. Geld, Kredit, Kapital und
alle Einrichtungen, die es zum Zweck der Vermehrung des
abstrakten Reichtums gibt, erfahren ihre
pauschale Rechtfertigung durch die Idee, dass
sie im Prinzip nichts anderes sind als
dienstbare Mittel für eine Wertproduktion in der
Form, in der sich Reichtum anfassen und aufessen lässt;
findet der volksfreundliche Idealismus das in der
kapitalistischen Welt nicht vor, ist ebendies seine ganze
Kritik an ihr. Entsprechend machen die Verantwortlichen
und ihr Treiben auch sprachlich eine Metamorphose durch,
wenn Wagenknecht von der guten Art erzählt, das Kapital
anzuwenden. Dann werden aus Ackermännern und
Finanzhaien
gemeinschaftsdienliche
Kreditversorger
, aus Kapitalisten
werden
Unternehmensführer
und aus Dumping-Löhnen
wird, immerhin, ein Stück Kaufkraft
: Die entgilt
den redlichen Produzenten ihre Mühen und fließt ihnen als
Gewinn zu, sie ist umgekehrt das gerechte Entgelt für die
Produzenten des Reichtums, an dem sie dann als
Konsumenten teilhaben dürfen. Das böse Wort von
Ausbeutung kommt auch nicht mehr vor, weil es in den
Betrieben ja um Forschung, Innovation und Qualität
geht und nicht zuletzt um die Befriedigung von
Kundenwünschen
...
Weil drittens statt dessen die Produktivität des Kreditgewerbes „völlig unverhältnismäßig“ geworden ist
Ihren Ausgangspunkt hat die aktuelle schlechte Verfassung
des Kapitalismus in geschäftlichen Umtrieben des
Finanzgewerbes, denen sich die Expertin ausgiebig widmet.
Was die in Rede stehenden Finessen der modernen
Geldschöpfung
(67)
betrifft, ist sie äußerst fachkundig: Wie es in dem
Gewerbe zugeht, in dessen Händen Geld – Liquidität
heißt das bei ihr – seine eigene Vermehrung
repräsentiert, also mit einer bestimmten Menge
Liquidität eine unendliche Menge an Kredit und damit an
Schulden geschaffen werden, … also auch eine unendliche
Menge an Geldvermögen
(68), lässt sich ihrem Bericht durchaus
entnehmen. Aus Geld wird mehr Geld – Geldkapital
also - einfach dadurch, dass eine Bank einem Kunden
Kredit gewährt.
(67) Das
Geld, mit dem die Banken wirtschaften, besteht, hört man
von ihr, aus Spareinlagen
ihrer Kunden, aus
Krediten am Interbankenmarkt
, aus Geld, das sie
sich bei der Zentralbank leihen … und zur
Kreditvergabe verwenden
(ebd.), oder aus den staatlichen
Schulden
, deren Zustrom schon deswegen nie versiegt,
weil ein erheblicher Teil allein dafür vorgesehen ist,
Zinszahlungen zu finanzieren
(78). Es sind Schulden, die in
dieser Welt der Geldvermehrung als Kapital fungieren, und
der Frau vom Fach entgeht auch nicht, dass nicht nur
Staaten mit ihnen derart zu wirtschaften pflegen:
Dieselbe Art der Re-Finanzierung, die Ablösung alter
Verpflichtungen aus dem Kreditgeschäft durch das Eingehen
neuer, betreiben die Aktivisten des Finanzgewerbes auf
ihre eigene Weise. Um solvent
zu sein und zu
bleiben, brauchen die Banken Liquidität
; sind sie
liquide
, verfügen sie über Solvenz
, und zum
Bemeistern dieses schönen Zirkels eröffnen sie sich ihr
nächstes Geschäftsfeld. Der Risiken, die sie mit
ihrer Art von Geldschöpfung
begründen, und damit
auch der Schranken ihres Kreditgeschäfts pflegen sie sich
darüber zu entledigen, dass sie aus ihnen einen eigenen
Stoff finanzkapitalistischer Bereicherung verfertigen und
mit ihm untereinander Handel treiben:
„Investmentbanking-Abteilungen“ versorgen die Geldhäuser „mit immer neuen ‚Innovationen‘, die ihnen dabei helfen, mit geringstem Liquiditätsbedarf größte Volumina an allen möglichen Papieren zu kaufen, umzustricken und weiterzuverkaufen... Die Banken können sich gegenseitig zu mehr oder minder ‚innovativem‘ Eigenkapital verhelfen, mit diesem Eigenkapital neues Kreditgeld schaffen, mit dem Kreditgeld, wenn nötig, wieder Eigenkapital und so noch mehr Kredit.“ (74)
Die Autorin berichtet, wie die Profis des Gewerbes sich
sich auch noch mit Versicherungen gegen die
Ausfallrisiken ihrer Geschäfte Handelsartikel und damit
eine weitere Sphäre ihrer Geschäftstätigkeit verschaffen,
die einzig und allein dadurch, dass sie
funktioniert, die Solvenz
derer begründet, die in
dieser eigenen Welt des Reichtums tätig sind:
„Solange das funktionierte, wurde kein einziger dieser abstrusen Kredite faul. Es gibt auch kaum einen Staat, der zahlungsfähig bliebe, wenn ihm die Refinanzierung alter Kredite … durch neue Kredite versagt bliebe. Das Gleiche gilt für nahezu alle Finanzinstitute und die meisten großen Unternehmen. Der heutige globale Finanzmarkt ist ein großes Schneeballsystem.“ (80)
Sie lässt im übrigen auch keinen Zweifel daran, dass es
Reichtum ist, der in dieser Welt vermehrt wird:
Bei dem unendlich vielen Kreditgeld
, das in diesem
kapitalistischen Sektor zirkuliert, handelt es sich schon
um dieselbe Materie, mit der im Rest der
Marktwirtschaft gewirtschaftet wird: Hier werden (..)
nicht nur virtuelle Summen hin- und hergebucht, sondern
es entstehen Einkommen.
(76) Auch das Prinzip der
Geschäftstätigkeit ist hier wie dort dasselbe: Um die
Vermehrung von Geld dreht sich alles
Wirtschaftsleben im Kapitalismus, in der Welt des
Finanzkapitals nur eben anders als in der des
gewöhnlichen Erwerbslebens – das Geld, das aus dem
virtuellen Off der Festplatten hervorquillt, braucht
keine reale Wirtschaftsaktivität, um zu wachsen. Ihm
liegen kein realer Kauf und Verkauf irgendeines
nützlichen Gutes zugrunde, sondern der Mouseclick eines
Bankangestellten.
(80)
Doch schon mit dieser windschiefen Entgegensetzung von
„realer Wirtschaftsaktivität“ und „Mouseclick“ – ebenso
wie mit der Denunziation des Finanzgewerbes als
„Schneeballsystem“ – kündigt sich an, dass es der Autorin
nicht um die Erklärung der absurden
Leistungen dieser Branche geht, sondern um die
Demonstration ihrer Nichtsnutzigkeit – im Vergleich zu
redlicher Güterproduktion – und den „Schluss“ vom
fehlenden Nutzen auf die Nichtigkeit der Geldsummen (die
schließlich, um das mal zur Sache anzumerken, nur
deswegen ganz real aus den Bankcomputern
hervorquellen
, weil deren virtuelles Off
aus lauter Verträgen über Zahlungspflichten besteht,
denen staatliche Gewalt weltweit Gültigkeit verschafft).
Deswegen kommt die Aufklärung sehr rasch an ein
enttäuschendes Ende: Kaum hat die Autorin einem auf ihre
Weise nahegebracht, zu welchen produktiven Leistungen der
Geldvermehrung es die kapitalistische Marktwirtschaft
offenbar auch bringt; kaum ist sie mit der Story fertig,
wie vom Leihgeschäft der Banken ausgehend sich eine von
ihren materiellen Grundlagen und gegen sie
verselbständigte Quelle der Bereicherung auftürmt, reicht
sie demonstrativ die komplette Verweigerung nach, sich
selbst und ihren Lesern zu erklären, was man da vor sich
hat. Sie konfrontiert diese autonome Welt der
Geldvermehrung mit dem, was sie im VWL-Studium über die
nützlichen Funktionen von Geld und Kredit
gelernt hat, und hält alles, was sie aufgeschrieben hat,
für volkswirtschaftlich ... natürlich nicht
wünschenswert
, deswegen auch gleich für ein
volkswirtschaftlich komplett sinnloses Spiel
(76). Und für ein
Spiel
hält sie diesen seit drei Jahrzehnten
völlig unverhältnismäßig wuchernden Finanzsektor
(34), weil dieser Sektor
nicht in dem Verhältnis vor sich hin wuchert, in
dem sie seinen ganzen Sinn und Zweck sieht: Der
ist so hochproblematisch, weil er trotz (oder gerade
wegen!) seiner mittlerweile gigantischen Größe seine
eigentliche und wichtigste Aufgabe nicht mehr erfüllt:
die Ersparnisse der Menschen in halbwegs sinnvolle
produktive Verwendungen zu lenken
(ebd.).
Wie schon beim Durchgang durch die materielle Welt der
Geldvermehrung, bewährt sich auch bei der Betrachtung
ihres kreditwirtschaftlichen Überbaus in dieser
funktionalistischen Denkstrategie die Technik der
selektiven Wahrnehmung, und die gehorcht einer Logik und
ist kein physiologischer Defekt. Wer einen Gegenstand mit
seiner Funktion identifiziert, drückt eben auch nur seine
Zufriedenheit damit aus, dass es ihn gibt und er die
nützlichen Dienste verrichtet, die man an ihm schätzt:
Ein ganzer Finanzsektor
mit allem, was in ihm
getrieben wird, ist so mit der Danksagung an seine
Adresse auf den Begriff gebracht, eine wichtige
Aufgabe zu erfüllen, nämlich Geld, das irgendwer
übrig hat, dorthin zu tun, wo es sinnvolle
, weil
produktive
Verwendung findet. Was in
diesem Sektor
da eigentlich so schön funktioniert,
nach welcher Logik und warum es dies
überhaupt tut: Fragen dieser Art haben sich in der
Gleichsetzung dieses Wirtschaftens mit Geld mit einem für
gemeinnützlich befundenen Zweck, für dessen erfolgreiche
Bedienung es einzig da ist, komplett erledigt.
Funktioniert er dann nicht so, wie er soll, legt man sich
das Eigenleben, das dieser Sektor
unverkennbar
führt, konsequent als eine einzige
Zweckverfehlung zurecht, als
Unterlassung der Dienstleistungen, für die er in
der eigenen funktionalistischen Vorstellungswelt ja bloß
existiert, und diesem zweiten Fehler folgt der dritte
gleich hinterher: Was die VWL-Expertin für nicht
wünschenswert
bzw. sinnlos
befindet, hält sie
deswegen auch gleich für nicht
wirklich. Kaum hat sie einem erzählt, dass
es geldwerte Einkommen sind, die in dieser
Finanzwelt
geschaffen werden, bestreitet sie der
Geldvermehrung, die dort stattfindet, Vermehrung von Geld
zu sein: Einkommen, die in der Statistik als
Wertschöpfung gelten, obwohl ihnen kein einziger Euro
geschaffener Wert zugrundeliegt
(76), sind wegen dieses ‚obwohl‘, das in
der Vorstellungswelt des volkswirtschaftlich
Funktionellen und daher Sinnvollen nicht vorkommt,
keine wirklichen, sondern virtuelle
Einkommen
, fiktive Wertschöpfungen
und
reine Luftbuchungen
(82) oder eben Schaum statt Wert
,
wie die Autorin ihr Kapitel überschreibt. Das kommt davon
– um nochmal eine Bemerkung zur Sache anzufügen – dass
die Autorin trotz ihrer Marx-Lektüre Geld nicht als
gesetzlich geschützte vergegenständlichte
Kommandomacht über Güter und Dienstleistungen
aller Art kennt, sondern für so etwas wie die abstrakte
Fassung des Nutzens dieser Dinge hält. Deswegen hält sie
auch die Mehrung des abstrakten Reichtums in Geldform für
so etwas wie die – im Kapitalismus nun einmal gegebene –
Nebenbedingung der Hauptsache, nämlich Geld in
Investitionen
, Innovationen
und
schlussendlich produktives Wachstum
zu verwandeln;
und folglich erkennt sie im Geld, das sich durch die
verschiedensten Formen des Verleihens vermehrt, nicht das
rechtsförmige Gewaltverhältnis, das seine Macht über
Arbeit und Reichtum der Gesellschaft finanzgewerblich
professionell potenziert – und damit den Sinn und Zweck
des Geldkapitals in seiner schlagkräftigsten
Form –, sondern hält das alles für die Offenbarung
einer einzigen Zweckverfehlung. Eine gigantische
Separatwelt des abstrakten Reichtums führt ihre
Vorstellung praktisch ad absurdum, das Wachstum der
Gebrauchswerte wäre es, worum es im Kapitalismus ginge –
und sie greift sich demonstrativ an den Kopf und hält für
Schaum
, für bloß fingierte
Geldvermehrung, was da vonstatten geht.
Weil viertens mit dem Kapitalismus zwar etwas ganz anderes versprochen war ...
Zielstrebig landet die eingangs vehement vorgetragene
Beschwerde über die Übel des heutigen Kapitalismus bei
einem Plädoyer für sämtliche Fundamente dieser
Ordnung, nur eben richtig angewandt:
statt
Größe Qualität, statt
kurzfristig
langfristig, statt
spielen investieren,
statt
wetten kreditieren, statt
raffen
schaffen. Als hoffnungslose Idealistin will eine
ambitionierte Wirtschaftspolitikerin mit all dem freilich
nicht belächelt werden. Sie legt daher gleich zu Beginn
ihrer Ausführungen Wert auf die Darlegung, dass die von
ihr im weiteren Fortgang vorstellungshalber unterbreitete
heile Welt der kapitalistischen Volksversorgung kein
weltfremdes Ideal ist. Als Kronzeugen ihres Realismus
lässt sie eine Parade marktwirtschaftlicher Ideologen aus
drei Jahrhunderten aufmarschieren – von Adam Smith über
Joseph A. Schumpeter bis zu Joe Stiglitz und allen voran
den Wirtschaftsminister und Nachkriegs-Kanzler Ludwig
Erhard. Die Nationalökonomen bestätigen ihre Sicht, denn
es ist deren eigene: Wie die moderne Sozialistin
verstehen und rechtfertigen auch sie alle Formen und
Instrumente des abstrakten kapitalistischen Reichtums als
Mittel des konkreten, die Unterwerfung der materiellen
Reproduktion unter die Geldvermehrung als raffiniertesten
Königsweg der Volksversorgung, die Ausbeutung der
Arbeitskräfte als Effizienz der Gebrauchswertproduktion,
die Konkurrenz der Eigentümer als optimale Form von
Allokation usf. Nur dass sie nicht meinen, all die guten
Funktionen der Geldgier gegen die schlechte Realität erst
noch einklagen zu müssen. Sie sehen das höhere
ökonomische Gesamtwohl durch die Bereicherung der Reichen
auf bestem Wege, wenn nicht schon verwirklicht. Und
Wagenknecht lässt diese Sicht auch gelten, aber nur für
eine – leider, leider – vergangene Epoche: Für sie
schien die Bundesrepublik bis zu Beginn der achtziger
Jahre auf dem besten Wege, Ludwig Erhards Versprechen
einer Wirtschaftsordnung, ‚die immer weitere und breitere
Schichten unseres Volkes zu Wohlstand zu führen vermag‘,
tatsächlich einzulösen.
(27)
1947 versprochen und ein ganzes Arbeitsleben später –
zwar nicht eingelöst, aber noch immer auf dem Weg: Das
macht einer standhaften Sozialistin die Sache mit
unserem Wohlstand
keineswegs verdächtig. Je
weniger von ihm zu sehen ist, desto gnadenloser besteht
sie darauf, dass er doch versprochen war, und wenn sie
ihren weltfremden Idealismus gleich am Anfang ihres
Werkes beerdigt – im realen Wirtschaftsleben sind alle
positiven Ideen der Marktwirtschaft tot
(8) –, dann nur, um ihm am Ende
wieder Leben einzuhauchen: Ludwig Erhard und der
Kapitalismus selbst rufen danach, die schönen Ideale vom
Markt zum vorerst letzten Mal zum Leben zu erwecken –
jetzt aber endgültig echt wirklich: Erhard reloaded.
Wohlstand für alle, nicht irgendwann, sondern jetzt!
(347). Den Nachweis,
warum der heutige Kapitalismus, die
Missbrauchsversion der Marktwirtschaft, und seine
Parteigänger in ihren Regierungsämtern an der aktuellen
Krisenbewältigung versagen müssen
, und wie
umgekehrt der einzige Ausweg aus dem Verhängnis geht,
führt Wagenknecht mit einer Theorie der Ökonomie, die
nichts Geringeres beansprucht als zu erklären, wie
Marktwirtschaft tatsächlich funktioniert
(12). Heutzutage bemüht der Sozialismus
die Theorie zur Rettung der sozialen Ideale des
Kapitalismus, und so sieht sie dann auch aus.
... aber fünftens seit Ludwig Erhard gegen alle Regeln des marktwirtschaftlichen Gleichgewichts verstoßen wird
Um die tieferen Gründe der nachlassenden Investitions-
und Innovationsdynamik im Kapitalismus
(127) zu erfassen, entwirft die
Wirtschaftsfachfrau ein Bild davon, wie man sich das
Funktionieren einer Volkswirtschaft jenseits aller
besonderen Wirtschaftssysteme vorstellen könnte. Das hat
zwar den Nachteil, dass man dann von vorneherein gleich
gar nicht mehr über den Kapitalismus nachdenkt, den es
gibt. Dem steht aber der wissenschaftliche Vorteil
gegenüber, ihn als Funktion denken und auf seine
Tauglichkeit hin überprüfen zu können, wie gut ihm die
Lösung der Aufgabe gelingt, eine Volkswirtschaft in ein
Gleichgewicht zu bringen. Diese Aufgabe kennt der
Kapitalismus nicht, dafür hat sie die
Volkswirtschaftslehre ausschließlich zum Thema, also
verhilft zum angepeilten Erkenntnisfortschritt nur ein
kleiner volkswirtschaftlicher Exkurs
(ebd.):
„Das versteht man, wenn man sich die Volkswirtschaft wie einen großen Kuchen vorstellt. Dieser Kuchen ..., der das Volkseinkommen ausmacht, hat drei große Teile, die wir der Einfachheit halber das Lohnstück, das Staatsstück und das Profitstück nennen wollen. Da die Einkommen wertlos wären, wenn ihnen nicht entsprechende Güter und Leistungen gegenüberstünden, kann man sich die drei Kuchenstücke auch als Bündel solcher Güter und Leistungen vorstellen. In dem Lohnstück befindet sich also alles, wofür der Normalbürger im Jahresverlauf sein Geld ausgibt... In dem zweiten Stück, dem Staatsstück, befindet sich alles, wofür der Staat seine Einnahmen verwendet... Im dritten großen Stück, dem Profitstück, befindet sich alles, was mit ausgeschütteten oder nichtausgeschütteten Gewinnen gekauft wird. Zum einen all jene Luxusgüter, mit denen sich die Oberschicht ihr Leben versüßt, zum anderen die Investitionsgüter.“ (128 f.)
Eigentümlicherweise tauchen in dieser allgemeinen Volkswirtschaft lauter Dinge auf, die nur in einer Marktwirtschaft zu Hause sind: Einkommen, Geld, Lohn und Profit. Immerhin wird so das durch die Interpretation der Wirtschaft als Kuchen schon heftig strapazierte Abstraktionsvermögen nicht gänzlich überfordert. Vor allem aber kann man es sich damit ersparen, diesen ökonomischen Kategorien irgendwie auf den Grund zu gehen: Man kann es getrost als gegeben ansehen und als Selbstverständlichkeit akzeptieren, dass die Hauptsache in jeder Wirtschaft darin besteht, mit Geld zu wirtschaften. Dieses Geld scheint vom Himmel zu fallen und sich nach den Gesetzen der Schwerkraft auf drei Haufen zu verteilen, damit man es zusammenzählen kann, doch hat die Natur dabei offenbar einen Plan gehabt. Die Einkommen in den Abteilungen Lohn, Profit und Staat wären, so hört man, für sich ja ganz wertlos, stünden ihnen nicht Güter und Leistungen gegenüber – und genau das tun sie, und zwar justament so, dass den jeweiligen Geldbesitzern exakt auf den Leib geschneidert gegenübersteht, was sie kaufen, und das ist dann schon äußerst sinnvoll eingerichtet. Jeder bekommt das Seine und für alle ist von Allem alles da, aus den Händen der drei unterschiedlichen Sorten von Geldbesitzern fließt immer genau so viel Geld zu den Waren, wie es Waren gibt, die für ihre speziellen Käufer reserviert sind und zu ihnen fließen, der Kapitalismus ist ein einziger wunderschöner Kreislauf: Das Lohn-, Staats-, Profitstück in Geld kauft das ihm entsprechende Lohn-, Staats-, Profitstück in Kuchenform weg, die Kuchenstücke umgekehrt sammeln die ihnen entsprechenden Geldstücke ein, weil alle Stücke in Geld- und Kuchenform ja nur dazu da und dazu bestimmt sind, mit ihren jeweiligen Entsprechungsstücken den Platz zu tauschen...
Da zeigt die Doktorandin der VWL, was in ihrer
Wissenschaft im Allgemeinen und in ihr im Besonderen
steckt. In ihrer Disziplin ist es üblich, die Gegenstände
der Ökonomie – Ware, Geld, Lohn, Profit – nicht als das
zu erläutern, was sie sind, sondern sie als Gegebenheiten
zu würdigen, die zum systematischen Gelingen eines großen
Gesamtsystems beitragen, als dessen sich ergänzende und
wechselseitig füreinander dienstbare Elemente sie
umgekehrt definiert sind. So bilden sie das vom Erfinder
selbst so bezeichnete Modell
, mit dessen Hilfe man
sich vorstellen können soll, wie die Wirtschaft als ein
System im Gleichgewicht funktioniert. Und so ein Modell
lässt sich offenbar auch ganz ohne die in diesem Fach
sonst üblichen mathematischen Kompliziertheiten und
graphischen Hilfskonstruktionen ausdenken. Ein
bescheuertes Bild aus der Vorstellungswelt von Kindern
leistet dazu denselben guten Dienst, und so wird man
konsequent weiter in die Theorie eines vorstellbaren
Optimums auf einem Backblech eingeführt, die einem über
die Geheimnisse des Kapitalismus Aufschluss gibt:
„Ob und wie stark der Kuchen wächst, hängt von zwei Faktoren ab. Erstens von den Investitionen, die darüber entscheiden, wie viel Teig in einem Jahr aufs Backblech kommt und wie viel Kuchen also maximal gegessen werden kann. Zum anderen aber haben sich am Jahresende nur die Teile des Kuchens tatsächlich in Einkommen verwandelt, die auch wirklich von irgendwem gegessen wurden. Bleibt etwas übrig, ist die Summe von Lohnstück, Profitstück und Staatsstück kleiner als der gebackene Kuchen, und im nächsten Jahr wird dann wahrscheinlich auch weniger Teig aufs Blech gepackt.“ (129)
Nur wenn alle brav aufessen, was auf den Tisch kommt, aber auch nicht mehr wollen, als da ist, fließt das Geld dahin, wo es her kam und wieder hin soll; dann geht das Karussell weiter und kann wachsen. Die gute Nachricht: „Bei dem Lohnstück und dem Staatsstück bleibt normalerweise kein Krümel übrig“, die Funktionäre dieser Stücke würden zwar gerne mehr ausgeben, doch eine Normal-Beschränkung bei ihren Einkommen leistet dagegen positiven Vorschub. Die schlechte:
„Anders sieht es beim Profitstück aus. Sind die Investitionen hoch ..., wird das Profitstück allein durch diese weitgehend aufgezehrt. Was aber, wenn die Investitionen niedrig sind? Was dann tun mit den endlosen Milliarden, die den Firmeneignern, den Aktionären und Geldvermögensbesitzern so unbarmherzig aufs Konto gepackt werden?“ (Ebd.)
Sie ihnen einfach wegzunehmen, wäre an sich prima: Frau
Wagenknecht gerät regelrecht ins Schwärmen bei der
Vorstellung, was der Staat da alles für gute Werke tun
könnte, von mehr Bildung
bis zu besseren
Renten
, und das auch noch schuldenfrei. Auch
Konsumenten würden sich freuen über mehr
Kaufkraft
, doch leider ist diese überaus
plausible Lösung
nicht zu haben, denn:
„Es sind die Bezieher von Profiteinkommen, die in einer privaten Wirtschaft über die Investitionen entscheiden, niemand sonst. Und sie entscheiden nicht unter dem Gesichtspunkt, ob die gegenwärtigen Gewinne zur Finanzierung der Investitionen ausreichen, sondern ob die Investitionen in Zukunft die gewünschte Rendite erwarten lassen. Ganz egal, ob es für diese Rendite dann wieder eine sinnvolle Verwendung gibt.“ (132)
Ihrem eigenen Vernehmen nach findet sich also das
Wachstum im Kapitalismus als Resultat einer
Kalkulation ein, die Eigentümer in Bezug auf die
Aussichten der Rentabilität ihrer Investments anstellen:
Die Innovationen
und Investitionen
, die
diese Freundin des Wachstums so schätzt, finden statt,
damit sie sich für die Investoren lohnen, also auch nur
dann, wenn sie dies absehbarerweise tun. Damit bringt sie
zwar ein weiters Mal nur den Sinn und Zweck einer
Produktionsweise zur Sprache, bei der das Wachsen des
stofflichen Reichtums der Gesellschaft daran hängt, dass
sich der abstrakte in privater Hand erfolgreich vermehrt
– aber auch in diesem Fall nur wieder zu dem Zweck,
ihr Interesse an den volkswirtschaftlich so
überaus wünschenswerten Effekten dieses
Profitstrebens
zum Thema zu machen. Sie zerlegt
den Zweck des kapitalistischen Investierens und
Produzierens in eine positive Bedingung auf der
einen Seite, die fürs Zustandekommen des Reichtums
verantwortlich ist, den sie allein als wirklich
anerkennt, und die dann vorliegt, wenn das
Profitstreben privater Unternehmer das Kapital
tatsächlich in die wachstumsträchtigsten Bereiche
leitet und so dafür sorgt, dass die kapitalistische
Ökonomie dynamisch, produktiv, innovativ
(134) ist. Und in eine negative
Bedingung auf der anderen, die darüber auf die Welt
kommt, dass die Profiteuere einfach keine Lust mehr
verspüren, mit Investitionen nach mehr Profit zu streben,
weil sie von dem schon zu viel haben und es für
unwahrscheinlich
erachten, dass der sich weiter so
gut vermehren lässt:
„Je größer das in den vorhandenen Maschinen und Anlagen investierte Kapital, desto größer sind die sich sich hinter einer bestimmten Zielrendite verbergenden Profite und desto unwahrscheinlicher wird es, dass es für all diese Profite wiederum eine investive Verwendung gibt.“ (135)
Das ist zwar schlimm – hält der Investitionsmotor
nicht mehr mit den Profiten Schritt, ist die Dynamik zu
Ende
–, aber so schlimm auch wiederum nicht,
weil die Marktwirtschaft eigens für diesen Fall einen
Ersatzmotor eingebaut hat: Dann gibt es entweder eine
tiefe Krise, die so viel Kapital vernichtet, dass der
Investitionsbedarf wieder hochschnellt.
Oder aber
auch dieser Motor tut seinen Dienst nicht mehr – und dann
wird es doch schlimm:
„Oder die Marktmacht der Unternehmen ist bereits groß genug, um die Entwertung ihres Kapitals zu verhindern. Dann treibt das fortbestehende Streben nach einem großen Profitstück im Volkswirtschaftskuchen die ökonomische Entwicklung nicht mehr an, sondern zieht sie nach unten. Das Profitprinzip ist aus einem Wachstumstreiber zu einem Killer von Wohlstand, Entwicklung und Produktivität geworden.“ (135)
Auch noch der systemeigenen Verrücktheit, der
Form des Reichtums seinen Inhalt zu
opfern, periodisch stofflichen Reichtum und zusammen
mit dem auch seine menschliche Quelle zu entwerten, damit
die Geldvermehrung sich wieder rechnet, gewinnt die
sozialistische Volkswirtin einen guten Sinn ab: Nichts
schöner als eine Krise, weil es ja nicht zuletzt diese
Zerstörung bereits investierten Kapitals durch
Innovation
ist, die für die Restaurierung jener
selbsttragenden Investitionsdynamik
(ebd.) sorgt, die es Wagenknecht so
angetan hat! Leider aber sind der Marktwirtschaft die
offenen Märkte
abhanden gekommen, auf denen sich
Kapitalisten derart ums ewige Wachstum verdient machen
könnten. An deren Stelle regiert eine
Platzhirschökonomie
, deren Agenten sich hartnäckig
der Einsicht verschließen, dass eine vorfristige
Entwertung ihrer Investitionen
(147) doch nur in ihrem ureigenen
Interesse ist, und die dank der Größe ihres Vermögens
auch die Macht
besitzen, sie zu verhindern
(135) – und damit will
Wagenknecht den Webfehler des zeitgenössischen
Kapitalismus erfasst haben: Solange in der
Marktwirtschaft alles im Gleichgewicht ist, entpuppt sich
das Profitprinzip
, von dem sie regiert wird, als
ein wahrer Segen. Von ihren reichlichen Investitionen und
Innovationen werden die Eigentümer mit immer mehr Profit
beschenkt, mit dem sie sich schöne Sachen kaufen, die
ihnen das Leben erleichtern, mit dem sie vor allem aber
immer mehr von diesen Innovationen und Investitionen
tätigen, weil die ihnen ja immer mehr Profit schenken,
und darauf kommt es an – das Profitstück muss … immer
weiterwachsen.
(132)
Darum aber, dass dann Schritt für Schritt auch alle
anderen Stücke auf dem Kuchenblech der sozialistischen
Volkswirtschaftskonditorei weiterwachsen müssen, soll
diese schöne Dynamik
weiter ihr gutes Werk tun,
kümmern sich die Profiteuere einfach nicht. Statt
langfristig
die Pflege ihrer Erfolgsbedingungen im
Auge zu behalten, geht es ihnen möglichst
kurzfristig
um ihren Erfolg. Dazu senken sie Löhne
und sparen sich Steuern, erzeugen damit eine
Wirtschaft mit schrumpfendem Lohnstück und
Staatsstück
(133),
berauben sich darüber selbst aller Aussichten, die von
ihnen erwünschte Zielrendite
für wahrscheinlich zu
halten, und lassen deswegen das Investieren einfach
bleiben. Das wäre es, was Wagenknecht als Widerspruch
des Systems durchschaut haben will, zumindest seiner
ersten Hälfte nach: Die Logik des
Profitstrebens
, das für das schöne Wachstum der
Volkswirtschaft sorgt, verlässt die Pfade der
volkswirtschaftswissenschaftlichen Logik, nach
der allein eine Wirtschaft auf Dauer wachsen kann –
der Kapitalismus kann ohne Wachstum nicht
funktionieren, er kann aber nur wachsen, wenn dies
ausreichend Profite abwirft, und an dieser Stelle tappt
er in seine selbstgestellte Falle.
(147)
Die zweite Hälfte dieses Systemfehlers des Kapitalismus,
eigenmächtig die Proportionen im Volkswirtschaftskuchen
zu verschieben, kam oben schon vor: Der gerechten Rache
der Marktwirtschaft für die Verletzung ihrer
Gleichgewichtsregeln entziehen sich die Kapitalisten
schlicht und verschließen sich der volkswirtschaftlich
einzig sinnvollen
Lösung, nämlich ihr Eigentum auf
das vernünftige Maß zu reduzieren, von dem aus sie sich
dann wieder mit frischem Mut und vielen innovativen
Investitionen an seine Vermehrung machen und die sich
selbsttragende Wachstumsdynamik
von neuem
ankurbeln könnten. Statt dessen halten sie daran fest,
dass Profit einfach nur dazu da ist, mehr zu werden, und
nachdem sie sich in den Augen der Expertin die
Möglichkeit selbst verbaut haben, dies per Wachstum zu
tun, verlegen sie sich darauf, dann eben ohne Wachstum zu
wachsen. Die Bedingung dieser Möglichkeit ist, man ahnt
es schon, eine Welt, in der das nach ihrer Vorstellung
ohnehin regelmäßig der Fall ist, die Welt der
Geldmaschinen
, in der Geld virtuell
vermehrt wird:
„Immer mehr Einkommen aus dem Profitstück fließt in einem solchen Umfeld in den virtuellen Kreislauf der Finanzsphäre. Der Finanzmarkt wird so zur Möglichkeit, ohne Umweg über die lästige Güterwelt und ohne reale Käufe und Verkäufe Profiteinkommen zu beziehen. Hier muss also gar niemand mehr Kuchen essen. Vielmehr wird das Profitstück auch deshalb immer voluminöser, weil der Kuchen an dieser Stelle immer größere Blasen schlägt, in denen sich nichts als heiße Luft befindet. Das hier skizzierte Modell trägt den globalen Kapitalismus jetzt seit fast drei Jahrzehnten.“ (133)
In diesem Resümee zahlt sich theoretisch aus, dass die
wesentliche Bestimmung des Finanzsektors, die die Autorin
geliefert hat, in einer Negation besteht:
„ohne Umweg...“, „ohne reale Käufe und
Verkäufe...“ Ihre Unwirklichkeit ist von
vorneherein der Begriff der Leistungen, die
diese Branche mit ihrer auf sich selbst bezogenen
Geschäftstätigkeit erbringt – zu dieser Erkenntnis kommt
nichts mehr hinzu und braucht auch nichts mehr
hinzuzukommen, um dem Finanzkapitalismus der Gegenwart
das denkbar schlechteste Zeugnis auszustellen. Als
vorläufigen Ertrag der Erläuterungen können wir also
festhalten: Passen in der Welt des Kredits Angebot und
Nachfrage nicht so zusammen, wie es volkswirtschaftlich
sinnvoll ist, ist zu viel Kredit da und dann
schafft das Geld Geldeinkommen in Form einer großen
Geldblase. Passen in der Welt der Realwirtschaft die
Profite nicht so zu den Investitionen, wie sie passen
sollen, ist zu viel Profit da und schafft
Profiteinkommen, mit denen die Geldblase noch größer
aufgeblasen wird. Während sich bislang der halbwegs
gebildete Zeitungsleser die Dezimierung von Geldvermögen
in der einen und die Krise in der anderen Welt allenfalls
damit erklären konnte, dass diese Blase irgendwann einmal
einfach hat platzen müssen – wie man schließlich ja
gesehen hat –, weiß er dank Frau cand. Dr. oec.
publ. Wagenknecht nun endlich, was in der überhaupt drin
war: Nichts als heiße Luft
!
Der „kreative Sozialismus“: Wiederbelebung des „Modells der sozialen Marktwirtschaft“
Bei so gut wie jeder Fehlentwicklung
, die die
Autorin bei ihrem Durchgang durch die Welt des Kapitals
diagnostiziert, bleibt sie die Antwort auf die Frage, wie
es zu der jeweils hat kommen können, selbstverständlich
nicht schuldig. In allen Fällen, die sie zur Sprache
bringt, zeichnen Fehler des über den
Kapitalismus politisch Regie führenden Aufsichtsorgans
dafür verantwortlich, dass es um den so schlecht bestellt
ist, und alle diese Fehler fassen sich in ein und
demselben zusammen: Die Regierenden sind vom Pfad der
volkswirtschaftlichen Vernunft abgewichen und
haben zugelassen, dass ihre Wirtschaft dermaßen
aus dem ihr einbeschriebenen Gleichgewichtstakt gerät.
Bei Banken und anderen Finanzinstituten haben sie mit
ihren Deregulierungen
einen
Verbriefungswahn
freigesetzt, ein unreguliertes
System von Schattenbanken
(45) auf der einen, ein Oligopol von
Großbanken
(56) auf der
anderen Seite geschaffen und mit dem dafür gesorgt, dass
Macht statt Markt
(55)
herrscht. Das neo-liberale Programm
(147), das dieselben Regierungen für den
Rest der Wirtschaft vorsahen, hat in der zu ähnlichen
Verwerfungen bei den Sitten des Wettbewerbs geführt, wie
sie in den marktwirtschaftlichen Lehrfibeln stehen.
Gleich nach dem Niederreißen aller Schranken für
freien Kapitalverkehr und globale
Investitionstätigkeit
(87) griffen Marktmacht statt
Leistung
(89),
Unternehmen als Cash-Kühe
(96), Renditehungrige
Familienclans
(106) und
überhaupt volkswirtschaftlich desaströse
Unternehmensführung
(107)
um sich und haben den Kapitalismus dermaßen pervertiert,
dass auch der in der Marktwirtschaft gegen seine Krise
eingebaute Korrekturmechanismus nicht mehr funktioniert.
Nicht nur, dass Kapitalisten die Gesetze der
Marktwirtschaft missachten und sich gegen die Entwertung
ihres Vermögens sträuben, die längst fällig ist: Sie
halten sich an gar keine Gesetze mehr und kaufen sich
die Politik, die ihnen nützt
(168) – und das alles haben die
rot-grünen und schwarz-gelben Propheten der
Liberalisierung
fahrlässig geschehen lassen.
Mit nichts von dem, was die derart gescholtenen Politiker mit ihren Gesetzgebungsakten bezweckt haben, befasst die Frau sich. Die absichtsvolle Ignoranz, die sie bei ihrem Durchgang durch den Kapitalismus an den Tag gelegt hat, setzt sie bei der Beurteilung der Werke des politischen Standorthüters fort. Sie will einfach nichts wissen davon, warum und wie der sich um seine Finanzmacht kümmert, weshalb er deswegen so sehr an einem regen Geschäftsleben des Finanzkapitals auf der einen, an Marktmacht und Größe des produktiven Kapitals auf der anderen Seite und da natürlich insbesondere an konkurrenzlos billigen Lohnstückkosten interessiert ist. Mit all dem ist sie mit ihrer Deutung einer Politik, die einzig dem Auftrag verpflichtet ist, die Marktwirtschaft bei ihrer optimalen Gleichgewichtsfindung zu betreuen, von vorneherein fertig, weil mit der wissenschaftlich fundierten Lagedefinition ‚Ungleichgewicht!‘ für sie die politische Inkompetenz feststeht, die in der Republik regiert: Die hat es zu dem ja kommen lassen! Dafür kann sie die aktuelle politische Lage im kapitalistischen Gemeinwesen schon wieder mit einem derart dummen Bild auf den Begriff bringen, dass sie allein dafür von Aladin mit dem Besen verprügelt gehört:
„Es waren die Zauberlehrlinge der neoliberalen Politik, die die multinationalen Monster, mit denen wir es heute zu tun haben, aus der Flasche gelassen haben. Und sie wussten, was sie tun. Zumindest hätten sie es wissen können.“ (171) „In der Folge stehen die Staaten heute unter der Aufsicht der Märkte.“ (175)
Aber man versteht auch so gut, wofür es steht. Die Staatsmacht, der Hebel aller Hebel zur Reparatur, ist noch da. Sie muss nur von endlich kompetenten Könnern und Kennern der Materie übernommen werden. Die muss man machen lassen, damit sie die Wirtschaft wieder unter Aufsicht nehmen und die politische Regelungskompetenz zurückerobern. Solche Leute gibt es, die Partei Die Linke hat sie sogar im Vorstand sitzen. Wähler brauchen nichts weiter zu tun, als der das Kommando über sich zu erteilen. Dann wird der Kapitalismus wieder repariert, alles, was in ihm entgleist ist, wieder ins Lot gebracht, und sie haben keinen Grund mehr, über irgendetwas Beschwerde zu führen.
Der erste Schritt: Den Staat befreien – durch Kapitalvernichtung mit gerechtem Antlitz
Als erstes muss selbstverständlich die
Staatsschuldenkrise gelöst werden, und zwar keinesfalls
so, wie die Verantwortlichen dies aktuell versuchen,
nämlich durch rabiate Streichkonzerte und Totsparen
der Fähigkeit zu demokratischer Politikgestaltung.
(181) Wie wäre es, wenn die
Eurozone zum Zweck, sich der Aufsicht der Märkte
zu entledigen, einfach ein einziges großes Streichkonzert
gibt und, nur zum Beispiel, die Größenordnung ist nicht
so wichtig, 50 oder 75 oder auch 100 Prozent ihrer
Altschulden streicht
? Das wäre vor allem unter dem
Gesichtspunkt der Gerechtigkeit prima:
„Eine Entschuldung der EU-Staaten wäre vermutlich mit Massenpleiten von Hedge-Fonds und anderen Spekulationsvehikeln verbunden. Das wäre zu begrüßen, denn eine solche Entwicklung würde ihren Teil dazu beitragen, die Vermögensblase bei den Reichsten – nur sie investieren in solche Fonds – zu entwerten.“ (198 f.)
Denn das wäre ja noch schöner, wenn Staatsschulden nur Vermögensbesitzer reicher machten, als sie es ohnehin schon sind. Die haben sich diese Papiere ja nur zu diesem Zweck in ihr Portfolio gelegt, wollen mit ihnen also bloß an jeder sinnvollen Wirtschaftstätigkeit vorbei reich werden – also weg damit, zumal ihr Vermögen ohnehin nur eine Blase ist. Damit ist der Staat seine Schulden los und kann befreit gute Werke tun, Schwimmbäder bauen, für Massenkaufkraft sorgen, freilich aber auch dafür, dass in der Geldwirtschaft das Geld weiter ein Geschäftsartikel bleibt:
„Die Großbanken und Versicherungen allerdings müssten – um unkontrollierte Kettenreaktionen und eine Entwertung der Spargelder zu verhindern – verstaatlicht, rekapitalisiert und restrukturiert werden.“
Verstaatlichen, um das Finanzgewerbe zu retten: Diesem
Sozialismus verweigert sich gewiss kein offener
Marktwirtschaftler
. Blöd dabei ist nur, dass dem
Staat mit der Massenpleite seiner größten Gläubiger auch
die Investoren flöten gehen, mit deren Geldern er zu
wirtschaften pflegt. Aber das macht nichts:
„Die Rekapitalisierung wiederum wäre auf relativ einfache Weise dadurch möglich, dass über eine einmalige Abgabe jene Vermögen haftbar gemacht werden, die ihr Wachstum den Fehlentwicklungen der letzten Jahrzehnte verdanken: die Vermögen der oberen Zehntausend... Das ist die Vermögensblase, die der Schuldenblase gegenübersteht... Es träfe nicht die, die gespart, sondern die, die geerbt oder gezockt oder beides haben.“ (Ebd.)
Aus den Vermögenswerten von der Vermögensblase, die man
gerade entwertet hat, macht man also einfach eine
einmalige Abgabe
und schenkt sie den Großbanken,
damit die auch weiterhin für Kleinsparer Gutes tun können
– in der Tat genial einfach
, der moderne
Sozialismus!
Der zweite Schritt: Kapitalgröße sorgfältig dosieren – der süße kleine Unternehmer
Vom produktiven Eigentum hat man bislang von der Autorin
zweierlei erfahren: Es ist ein wahrer Segen, wenn es sich
im Rahmen der Bedingungen des Gleichgewichts betätigt,
die für die Dynamik
des marktwirtschaftlichen
Wachstums sorgen. Es ist andererseits ein Fluch für
ebendiese Dynamik, wenn das Eigentum zu groß und
darüber zu mächtig wird, und so macht sich der
moderne Sozialismus an eine kreative Bereicherung der
geltenden Eigentumsordnung. Mehr brauchen die, die keines
haben, einfach nicht, was man daran sieht, dass am
Eigentum das Eigentum selbst bloß die Nebensache ist:
„In der ersten Unternehmensphase schafft Eigentum tatsächlich noch Identifikation und die Kreativität, Power und meist auch Selbstausbeutung des Eigentümers sind vielfach Basis der Unternehmensentwicklung... Deshalb gilt für einen kreativen Sozialismus: Der echte Unternehmer darf nicht gegängelt und unterdrückt, er muss gefördert und unterstützt werden.“ (334)
Dass Eigentum irgendwie entfernt was mit Ausbeutung zu tun hat, muss einer kreativen Sozialistin die Sache mit ihm ja nicht vermiesen. Unter funktionalem Aspekt lässt sich beides vereinen, ohne dass Ausbeuter und Ausgebeuteter zueinander in Gegensatz stehen müssen. Besonders wirksam ist das Eigentum nämlich für den Zweck seiner Vermehrung, wenn es den Eigentümer auf Gedeih und Verderb mit ihm zusammenschweißt: Am ertragreichsten wirkt es in Personalunion, weil ein Selbstausbeuter ja immer weiß, warum er sich das antut. Kritisch wird die Symbiose von Selbst und Ausbeutung für die Sozialistin erst dann, wenn der Geschäftserfolg ausbleibt. Aber insofern unter sozialistischer Obhut wieder der Markt und nicht die Marktmacht regiert, kommen alle einschlägigen marktwirtschaftlichen Gesundungsprozesse wieder voll zum Zug:
„Natürlich gibt es auch in kleinen und mittleren Unternehmen Missmanagement, Fehlentscheidungen und Knatsch. Nur sind die Folgen ohne größeres volkswirtschaftliches Gewicht. Das betrifft dann 10 oder 20 Beschäftigte (für die das natürlich bitter ist), aber es sind nicht hunderte oder tausende, und in keinem Fall hängt die Investitionsentwicklung ganzer Branchen von den Launen der Eigentümer einzelner Unternehmen ab.“ (313)
Der Schaden hält sich bei den Kleinen also noch in Grenzen, und eine Krokodilsträne für die Betroffenen ist im linken Angebot auch mit drin. Die nötige Schadensbegrenzung durch Redimensionierung des kapitalistisch produktiven Eigentums hat allerdings selber ihre Schranken – auch eine sozialistische FDP-Alternative weiß Bescheid darüber, was es für den geschäftlichen Erfolg in der marktwirtschaftlichen Konkurrenz gemeinhin braucht:
„Moderne Technologien verlangen in vielen Bereichen ein weit über das Niveau eines Mittelständlers hinausgehendes Kapitalminimum. Unterhalb einer Mindeststückzahl lohnen sich hohe Ausgaben für Forschung und Entwicklung nicht.“ (315)
Größe ist also schon auch eine gute Sache, freilich nur
dann, wenn sie auch wirklich gut ist und nicht schon
wieder nur dazu taugt, einem Unternehmen die
Marktmacht zu verleihen, seine Konkurrenten zu
erledigen und nötige Krisen im eigenen Fall einfach nicht
stattfinden zu lassen. Dass diese so unschuldig und
menschenfreundlich daherkommenden Ausgaben für
Forschung und Entwicklung
die Waffen des
Unternehmens in seiner Konkurrenz gegen andere sind, sein
Erfolg in dieser mit dem Misserfolg eines anderen
einhergeht, dessen Ausgaben
dann einfach für die
Katz’ waren: Diese kapitalistische Logik der
Investitionsentwicklung ganzer Branchen
hält die
Frau für sturzvernünftig, das bucht sie unter der Rubrik
kreative Zerstörung
(124) zu den oben besprochenen
Selbstheilungskräften der Marktwirtschaft ab, die in
darin für Dynamik
sorgen. Nur fair muss
es dabei zugehen. Möge beim Einsatz des Wissens als
Vehikel der Kapitalvermehrung wirklich nur immer der
Bessere gewinnen: Das ist der wahre olympische
Geist, der nach Frau Wagenknechts Geschmack in einer
kapitalistischen Konkurrenz zu herrschen hat, und so
steht eine Grenzziehung an zwischen dem, was noch als
Großunternehmen in gemeinwohldienlichem Auftrag
durchgehen kann, und dem, was ein gemeinwohlschädliches,
weil den Wettbewerb verzerrendes Monopol
ist. Das
ist eine ganz schwierige Definitions-, weil nämlich eine
wirtschaftspolitische Ermessensfrage, und bei der ist die
Balance zwischen oppositioneller Radikalität und
regierungsfähiger Seriosität so einfach auch nicht immer
zu halten:
„Monopolistische Positionen und öffentliche Güter gehören in jedem Fall in die öffentliche Hand. Schwieriger zu definieren ist die Grenze, ab wann Branchendominanz oder Marktmacht im Bereich kommerzieller Unternehmen nicht mehr mit privatem Eigentum vereinbar ist. Relativ offenkundig ist das bei Wirtschaftsgiganten mit über 10 Milliarden Euro Umsatz oder mehr als 50 000 Beschäftigten.“ (325)
Wie im einzelnen auch immer: Viel frischer Schwung kommt
so auf jeden Fall in die Sondergutachten der staatlichen
Monopolkommission, so dass schon mal die äußerst
produktiv
wird.
Der dritte Schritt: Eigentum ordentlich verteilen
Für die Crux der heutigen Wirtschaftsordnung
hält
die sozialistische Expertin das Problem, was mit dem
vielen Geld im Eigentum weniger geschehen soll
(132), womit sich das
Problem, was mit dem Elend geschieht, das diese
Wirtschaftsordnung den vielen beschert, erfreulicherweise
gar nicht erst stellt. Dass mit der
Produktionsweise des Reichtums auch seine
Verteilung geregelt ist, geht für den modernen
Sozialismus jedenfalls in Ordnung: Das sind die
Verhältnisse
, die er keinesfalls ändern möchte. Auf
deren Basis sind dann allerdings schon Änderungen
denkbar, zum Beispiel folgende:
„Vorgeschlagen wird die Erhebung einer Vermögenssteuer von 5 bis 10 Prozent auf alle Vermögen oberhalb von 1 Million Euro, die im Falle von Betriebsvermögen nicht an den Staat, sondern durch Übertragung entsprechender Unternehmensanteile in stiftungsähnlich organisiertes unveräußerliches Belegschaftseigentum abzugelten ist… Grundsätzlich verändern würde dies die Verhältnisse nicht. Denn die Rendite auf große Vermögen liegt in der Regel bei über 5 Prozent, so dass eine 5-prozentige Besteuerung die Substanz kaum treffen würde.“ (338)
Mehr geht nicht, alles andere wäre sozialistische
Enteignung und keinesfalls mehr mit privatem Eigentum
vereinbar
. Also wird mit modelltheoretisch geschultem
Blick in die Welt geschaut und danach gesucht, bei wem
man sich schadlos bedienen kann und auch darf, weil er
volkswirtschaftlich nicht verdient, was er wirklich
verdient:
„Mit Blick auf Produktivität, Innovationsgeist und Leistungsorientierung einer Volkswirtschaft wiederum gibt es nur Gründe, die gegen große Erbschaften sprechen, und keinen einzigen dafür… Vielfach wurden sie selbst bereits ererbt. Und ganz sicher beruhen sie nicht auf einer Leistung der Erben... Erbschaften sollten aus diesen Gründen generell auf 1 Million Euro begrenzt werden. Darunter sollte gar keine Erbschaftssteuer erhoben werden. Alles, was darüber ist, sollte mit einer Steuer von 100 Prozent belastet werden.“ (345)
Vollkommen klar: Je größer die Leistung eines
erfolgreichen Unternehmers, desto mehr verbietet es sein
gesellschaftsdienlicher Beitrag, ihn am Unternehmen zu
hindern, umgekehrt verdirbt es den Erfolg, wenn einer
ohne eigene Leistung gleich Kapitalist sein will. Das zu
vererbende Kapital gehört deswegen in die Hände derer,
die im verwaisten Unternehmen schon bewiesen haben, dass
sie ihren Beitrag zu leisten fähig sind, und das in dem
Zug geschaffene Belegschaftseigentum
bringt das
volkswirtschaftlich Nutzbringende dieser
Wiedereinführung des Haftungs- und
Leistungsprinzips
zur vollen Entfaltung:
„Für Belegschaftseigentümer wäre die Strategie, die Unternehmenssubstanz durch kurzfristige Ausschüttungen – in diesem Fall: überhöhte Löhne – zu plündern, so dass die Existenz des Unternehmens in Gefahr gerät, völlig irrational.“ (331)
So überträgt der Sozialismus kreativ auch auf große Betriebe die identitätsstiftende Funktion des Eigentums, die er an den kleinen selbstausbeuterischen Unternehmern zu schätzen gelernt hat. Am oberen Ende der Hierarchie freilich muss die leistungssteigernde Abhängigkeit vom Betrieb auf andere Weise herbeireguliert werden:
„Das Prinzip Haftung spricht übrigens auch gegen überhöhte Managergehälter: Wer so viel verdient, dass er nach wenigen Jahren fürs Leben ausgesorgt hat, der hat natürlich eine wesentlich geringere Motivation, Höchstleistungen zu erbringen, als der, dessen Wohlstand daran hängt, dass das Unternehmen sich auch in Zukunft gut entwickelt“ (330)
– es geht doch nichts über diese geniale Erfindung einer
Einrichtung namens Lohnarbeit: Bei der sorgt gerade der
geringe Verdienst, den einer sein ganzes Leben erwirbt,
ganz von selbst dafür, dass er in seiner Motivation zur
Erbringung der Höchstleistungen nie nachlässt, mit denen
sich das Unternehmen auch in Zukunft gut
entwickelt
– auch wenn es beim Management natürlich
mehr um Anreiz als um Erpressung mit dem
Lebensnotwendigen gehen muss. Auf jeden Fall stellt
Wagenknechts moderner Sozialismus so den Kapitalismus vom
Kopf auf die Füße: Beim Proletariat sorgt das kollektive
Eigentum für Lohnzurückhaltung; in der Elite sorgt
vergleichsweise Zurückhaltung beim Verdienst für
motivierte Leistung – gerechter
geht es kaum.
*
Das ist er dann, der kreative Sozialismus: Einfach.
Produktiv. Gerecht
. Für die Superreichen
ändert sich viel: Die sterben langsam ab, dann gibt es
sie nicht mehr, auch ihre Erben haben nichts zu lachen,
was gut ist für den Finanzminister und die Laune aller,
die ohnehin nichts erben. Für die Kuchenesser vom
Lohnstück ändert sich nicht viel: Sie sterben garantiert
nicht aus, es gibt sie ewig weiter und ihren Erben haben
sie weiterhin im wesentlichen nur ihr eigenes Schicksal
zu hinterlassen. Sie können sich an ihrem
Belegschaftseigentum erfreuen, es aber nicht versilbern,
freuen sich also ausschließlich darüber, von jetzt
geringer verdienenden Managern zu Höchstleistungen
geführt zu werden, und sind als Mitinhaber ihres Betriebs
nunmehr selbst an der Lohnzurückhaltung interessiert, die
sie vorher auch schon an den Tag gelegt haben. Denn von
der hängt er nun einmal ab, der Wohlstand, den der
Erfinder des Wirtschaftswunders versprochen hat. Das
bescheinigt der real existierende Kapitalismus der
tiefroten Regierungsalternative im Startloch schon heute.
Und exakt das bescheinigt die Vordenkerin dieser
Alternative mit ihrer brillanten Analyse
, mit der
sie Ludwig Erhard beim Wort nimmt
(Klappentext), allen ihren Lesern. Dass
diese Analyse eine einzige pro-kapitalistische
Schönfärberei ist, ekelhaft parteilich für Herrschaft und
Marktwirtschaft und wissenschaftlich unter aller Sau, ist
bei dem geistigen Ziehvater, der da beim Wort genommen
wurde, nur folgerichtig.