Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Russland im Pariser Club
Ein Treppenwitz der Schuldengeschichte
Mit Russland wird ein Schuldnerstaat, der gar kein Geld kommandiert, in die Runde der Gläubigernationen aufgenommen. Die Russen sehen darin den Vollzug der gewünschten Anerkennung als „normale“ Weltwirtschaftsmacht. Die Imperialisten machen dieses Zugeständnis, damit Russland seinen Kurs der Entmachtung und wirtschaftlichen Zusammenarbeit fortsetzt.
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Rußland im Pariser Club
Ein Treppenwitz der
Schuldengeschichte
„Dabeisein ist alles.“
Das Gremium der Weltwirtschaftsmächte, in dem diese in
ihrer Eigenschaft als Hauptgläubiger-Nationen gegen den
Rest der Welt tagen und die Modalitäten der
Schuldenbedienung ausmachen, nimmt Rußland in seinen
erlesenen Kreis auf – immerhin dieselbe Nation, die dort
bis neulich noch in ihrer Eigenschaft als Schuldner
verhandelt wurde. Nichts von den russischen Schulden ist
gekürzt oder zurückgenommen worden; nichts hat sich daran
geändert, daß der Reichtum dieser Nation in erster Linie
zur Bedienung westlicher Forderungen zur Verfügung zu
stehen hat – aber jetzt sind sie beim „Club der
Gläubiger“ dabei. Das hat auch dessen Vorsitzender als
ein gewisses Paradox
gewürdigt.
Nicht, daß nicht auch diese Mächte als Gläubiger und Schuldner zugleich figurieren – die Schulden der USA z.B. stellen die russischen weit in den Schatten. Aber es gibt eben solche und solche Schulden. D.h. solche, die weltweit Vertrauen genießen, d.h. Kredit haben, so daß deren Urheber unentwegt neue Schuldtitel auflegen und ihre alten damit ohne Mühe bedienen. Und solche, deren Urheber für zahlungsunfähig erklärt werden, weil die Finanzwelt ihre Zahlungsversprechen als bloß das entlarvt und die Forderung aufmacht, daß sie ihre alten Schulden in echtem, nämlich fremdem, also echt verdientem Geld verzinsen und tilgen. Weil aber genau der Mißerfolg in der Weltmarktkonkurrenz, der den Zahlungsversprechen solcher Staaten die Glaubwürdigkeit als gültiges Geschäftsmittel bestreitet, auch deren Fähigkeit dezimiert, ihre Schulden in anerkanntem Geld zu bedienen, einigen sich die Hauptgläubigernationen über die Konditionen, unter denen sie den als solchen identifizierten Schuldnerstaaten alten Kredit stunden und neuen gewähren, damit diese weiterhin dem Weltmarkt und dessen Ansprüchen an ihre Benützbarkeit zur Verfügung stehen. Das Verfahren sorgt gemeinhin für eine klare Unterscheidung zwischen Schuldner- und Gläubigerstaaten, an der sich auch nichts ändert, wenn ein solcher Schuldnerstaat seinerseits über Forderungen gegen ähnliche Dritte verfügt.
Wenn der Vorsitzende des Pariser Clubs gegenüber der
internationalen Journaille ein Paradox einräumt, so
besteht das im Fall Rußland allerdings nicht nur darin,
daß ein anerkannter Schuldnerstaat in der Runde der
Gläubigernationen dabeisitzen darf – der Schuldnerstaat
selber fällt ziemlich aus dem Rahmen. Der Rubel genießt
nämlich nicht nur keinen Kredit als internationales
Zahlungsmittel, nicht einmal im Inneren Rußlands nimmt er
die Position eines ausschließlich benützten und durchs
nationale Wirtschaften vermehrten Geldes ein, was man den
regelmäßigen Meldungen aus dem russischen Reich entnehmen
kann. Unter dem begriffslosen Titel bargeldlose
Wirtschaft
wird hierzulande registriert, daß der
verbliebene Rest der russischen Industrie an der Maßgabe
scheitert, Rubel zu verdienen, weshalb die Rubel, die
verdient werden, auch nicht den Tatbestand eines soliden
Geldes erfüllen, und Rubelkonten sind deswegen auch kein
Ausweis von Zahlungsfähigkeit. Die Banken zählen im
wesentlichen nur zusammen, was die Wirtschaftsunternehmen
einander schuldig bleiben. Dasselbe erfährt man unter dem
eigenwilligen Gesichtspunkt, nach dem der russische Staat
Probleme beim Eintreiben von Steuern hätte: Nach wie vor
verfolgt er die 10 größten Unternehmungen als
Steuersünder
, während sich dieselben Unternehmen
unfähig erklären, weil ihre Rechnungen im Land nicht
beglichen werden. Schließlich kommt auch die Regierung
ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nach. Während die
russischen Vertreter in Paris stolzgeschwellt ihre
Beförderung zum Mitglied des Pariser Clubs
entgegennehmen, streiken zu Hause wieder einmal die
Bergarbeiter, weil sie seit Monaten keine Löhne zu sehen
bekommen haben. Daß ein Staat, der kein Geld kommandiert,
Kredit genießt, und zwar soviel, daß ihm in Paris ein
Stuhl unter den großen Geldmächten angeboten wird – das
ist das eigentliche Paradox, und an dessen Zustandekommen
sind zwei Seiten beteiligt.
Einerseits die „Reformer“ in der Regierung, die sich von der nationalen Verwüstung, die sie anrichten, keineswegs daran hindern lassen, ihre Nation als eine Weltwirtschaftsmacht in spe zu begreifen. Mit beträchtlichem Selbstbewußtsein vertreten sie den russischen Standpunkt, nach dem ihre große Nation endlich „normal“ geworden ist, d.h. sich zu Marktwirtschaft & Demokratie bekehrt hat, sich deshalb – definitionsgemäß – auf dem Weg zum Erfolg befinden muß und deshalb ein Recht auf Anerkennung und Entgegenkommen in Anschlag bringen kann. Demonstrativ werden nicht nur die von der Sowjetunion ererbten Schulden wie ein Kapital in die neuen Weltmarktbeziehungen eingebracht, an dem man durch sachgerechten Umgang die neue Vernunft als Beweis für Kreditwürdigkeit vorexerziert. Auch an der Materie der von der Sowjetunion ererbten Forderungen demonstrieren die Tschubajs und Co. das, was sie für marktwirtschaftliche Vernunft halten. Mit dem Gestus: Jetzt rechnen wir genauso wie ihr…, fordern sie die Anerkennung der wirklichen Wirtschaftsmächte für ihren Willen zum wahren System ein und testen die u.a. an der Frage, wieweit diese sich hinter russische Forderungen gegen andere Nationen stellen.
Was man dem Pariser Club allerdings als Bestand an
Forderungen präsentiert, ist alles andere als „normal“.
Es handelt sich um eminent politische Posten aus
der russischen Vergangenheit, die nun einmal mit der
sowjetischen identisch ist: Rußland präsentiert sich als
Gläubigernation, indem es aus der antiwestlichen
Waffenbrüderschaft aus den Zeiten des Kalten Kriegs und
seiner „brüderlichen Hilfe“ für die damaligen
Bündnispartner offenstehende Forderungen zusammenrechnet.
Gegen Staaten wie Angola, Mocambique, Vietnam, Nicaragua,
Syrien, Indien… Die sozialistische Weltmacht hat damals
auch nicht darauf verzichtet, über ihre
Völkerfreundschaften
und die
anti-imperialistische Solidarität
in der Dritten
Welt, mit denen sie ihre Konkurrenz zum gegnerischen
Block in anderen Weltgegenden betrieben hat, Buch zu
führen und sie in Gestalt von „Kosten“ und Krediten zu
bilanzieren, obwohl von einem nach den Regeln des
Welthandels abgewickelten Geschäft mit profitträchtigen
Preisen für Militärgüter, von Bank- und sonstigen
Krediten für deren Finanzierung, mit Zinszahlen und
Säumniszuschlägen, bei dieser Sorte proletarischer
Internationalismus nicht die Rede sein konnte. Aber so
alternativ war die alternative Weltmacht dann doch nicht
gestrickt, daß sie nicht auch auf den Unterschied des
staatlichen ‚mein‘ und ‚dein‘ geachtet hätte. Allerdings
hat sie nur bedingt auf der Begleichung solcher
„Rechnungen“ bestanden, so weit war ihr dann doch, wegen
der eigenen strategischen Berechnungen, der Unterschied
zwischen Geschäft und politischer Bündnispartnerschaft
geläufig. Was aber davon an Ziffern stehengeblieben ist,
das machen sich die heutigen marktwirtschaftlichen Russen
zunutze und behaupten, daß sich hinter den
realsozialistischen Ziffern ehrwürdige aufgelaufene
Schulden verbergen. Und damit treten sie an.
Auch solche Posten aus der Zeit des Kalten Kriegs lassen sich geschäftsmäßig geltend machen – wenn und in dem Maße, wie die westliche Diplomatie das zuläßt. Und die macht das glatt. Der Rüstungsaufwand des alten Gegners für den Kalten Krieg fällt nicht in Bausch und Bogen in die Abteilung „Verbrechen“, die wir auf den Misthaufen der Geschichte werfen; vielmehr genehmigen die Staaten der damaligen und heutigen Nato mit der Aufnahme Rußlands in ihren Pariser Club die Kriegskosten der Sowjetunion als anerkannte Gläubigerpositionen und Schuldforderungen des Rechtsnachfolgers. Gegen den Verdacht, in diesen Kreisen sei man auch einmal milde gestimmt und um Versöhnung bemüht, sind sie aber in Schutz zu nehmen.
Sie haben nämlich schon darauf geachtet, daß diese
Forderungen, als gültiger kapitalistischer Reichtum
betrachtet, ein Witz sind. Als Bedingung für die
Zulassung der Russen zum Pariser Club sind sie, erstens,
gründlich zusammen gestrichen worden, von 110 Mrd. $ auf
30 bis 35 Mrd. Nicht alle dahergelaufenen Schulden
figurieren in der Weltmarktkonkurrenz als Schulden, dazu
bedarf es der internationalen Anerkennung, die in diesem
Fall das schöne Argument bemüht, es habe sich zumeist um
Waffenlieferungen, also nicht um Entwicklungshilfe in dem
Sinn gehandelt. Zweitens haben sich die Ansprüche im
Einzelfall – nach den Regeln, die sich die
Gläubigernationen im Umgang mit einer Welt von
Schuldnerstaaten zurechtgelegt haben – um 50 bis 80% zu
vermindern, weil nämlich (da sieht man doch, daß es eine
historische Gerechtigkeit gibt) die meisten der Länder,
gegenüber denen sich Rußland in die neue Rolle des
marktwirtschaftlich anerkannten Gläubigers wirft, ganz
immanent „marktwirtschaftlich“ unter die Kategorie der
allerärmsten Länder
fallen. Dafür hat der
Freiheitskampf der westlichen Welt doch immerhin gesorgt,
der Vietnam z.B. nach der damaligen amerikanischen Parole
in die Steinzeit zurückbombardieren
sollte. Auch
die Marktwirtschaft kennt solche Habenichtse, denen
gegenüber sie uneinbringliche Forderungen als
uneinbringlich gelten läßt – jedenfalls fürs erste.
Aber als Symbol für den gelungenen Frontwechsel der
Russen ist die Anerkennung von einem Bruchteil der
sowjetischen Forderungen dann doch ganz brauchbar. Nach
dem Prinzip der internationalen Schuldenverwaltung, nach
dem eine zahlungsunfähige Nation dem Geschäftsbedürfnis
ihrer Gläubiger uneingeschränkt zur Verfügung zu stehen
hat, wird auch mit Rußland verfahren. Und die eher
außergewöhnliche Form, daß das russische
Abbruchunternehmen in Gestalt eines mordsmäßigen
Aufbruchs auf dem Weltmarkt, inkl. Rückkehr auf die
Weltfinanzmärkte
, vorgeführt wird, verdankt sich nur
der außergewöhnlichen Substanz: Zur Verfügung halten soll
sich eine abgedankte Weltmacht nicht nur für den
fortgesetzten Ausverkauf ihrer „natürlichen Reichtümer“,
sondern auch, damit man ihr zu weiterem Abdanken
verhelfen kann. Und damit das neue Rußland das Verfahren
mit Hilfestellung für seine neue
Weltwirtschaftsmächtigkeit verwechselt und trotz der
unvermeidlichen Verstimmungen, die bei der Demontage
seiner Weltmächtigkeit auftreten, bei Laune bleibt,
befördert man dann auch schon einmal einen Staat, der gar
kein Geld sein eigen nennt, zu einem „Mitglied“ im Kreis
der Gläubigerstaaten. Stören können die Russen in Paris
sowieso nicht, und falls sich die ehemaligen sowjetischen
Völkerfreundschaften für ein bißchen mehr russische
Schuldenbedienung bezahlt machen, ist das auch nicht
verkehrt.