Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Rot-Grün ist der Wechsel – auch in Europa!
Neue Töne aus Bonn: Unter Kanzler Schröder stellt die Vor- und Führungsmacht der EU klar, dass sie entschiedener als die Vorgänger Brüssel für Deutschland zu benutzen und weniger zu zahlen gewillt ist. Schadet dem Ansehen Deutschlands, kommentieren die jetzt oppositionellen Nationalisten der C-Parteien.
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Rot-Grün ist der Wechsel – auch in Europa!
Auch in seiner Europapolitik will sich der neue Kanzler mit seinem Vorgänger nicht verwechseln lassen. Zwar findet er die politische Tagesordnung, die da abzuarbeiten ist – Euro, Agenda 2000, Osterweiterung –, schon fix und fertig vor. Auch die deutschen Interessen in und an Europa braucht er nicht zu erfinden, auch da macht er einfach nur dort weiter, wo Kohl und Waigel aufhören mußten. Nur eben wie er dies tut: Das zeigt, von welcher unverbrauchten Kraft Deutschland nunmehr regiert wird.
Ganz richtig hat einer nach dem ersten Auftritt des
Europapolitikers Schröder erfaßt, was den von seinem
Vorgänger unterscheidet: Das ist ein neuer Stil
(Spiegel/51). Selbiger kommt erst einmal darüber
zustande, daß der neue Kanzler sich einen uralten Hut
aufsetzt: Auch ihm kommen die Kosten des europäischen
Gemeinschaftswerks höchst ungerecht verteilt vor, auch er
hält eine Beitragsreduktion für Deutschland
NZZ,
11.12.) für dringend erforderlich. Dann aber macht er
deutlich, daß unter dem Hut keinesfalls der Kopf von
Waigel oder Stoiber steckt. Die finanzielle Entlastung
Deutschlands
, die er will, erklärt er zu seiner
Hauptsache
und zum wesentlichen Bestandteil
der Agenda, die unter seiner Präsidentschaft zu
beschließen sein wird. Dabei gibt er zu verstehen, daß
die Staaten Europas seiner Auffassung nach einfach zu
billigen haben, was er im Namen Deutschlands als Recht
anmeldet. Daß er mit seiner demonstrativ vermeldeten
Rücksichtslosigkeit gegenüber der Interessenslage im Rest
der Union auf Widerstand trifft, macht ihm keinen
Eindruck. Nach seiner Sicht hat es sein dicker Vorgänger
nämlich nur deswegen zum großen Europäer
gebracht,
weil er jedem ordentlichen Streit ums Geld mit den
anderen Nationalisten in Europa aus dem Weg gegangen ist.
Ausgerechnet Kohl & Waigel seien im Dauergeschäft des
wechselseitigen Erpressens, das europäische Politik nun
einmal ausmacht, die größten Schlappschwänze gewesen,
hätten die auf dem Tisch liegenden Probleme mit dem
Scheckbuch gelöst
und jeden vaterländischen Mumm
missen lassen. Eine interessante Umdeutung der Manier
Kohls, im Namen der Gleichung „Wir“=„Europa“ andere
Nationen zur Union zusammenzuschmieden – als wäre dabei
sein Auftrumpfen als Vorsteher der EU-Führungsmacht reine
Selbstlosigkeit gewesen. Aber diese Art hat ja nun ihren
Dienst getan. Also kann jetzt auch Schluß sein mit ihr:
Entschlossenheit
heißt das Markenzeichen der neuen
deutschen Europapolitik. Was garantiert keiner seiner
Vorgänger getan hat: Das Wohlwollen der Nachbarn mit
Geld zu erkaufen
– das schließt er für sich
ausdrücklich und gleich vorweg aus. Den Klabautermann
deutschen Duckmäusertums baut er auf, um dann mit einer
sozialdemokratischen Streitkultur zu brillieren, in der
offen und ehrlich über alles geredet
wird. In der
es vor allem unbefangener
zuzugehen hat, was die
Anmeldung deutscher Interessen betrifft – auch als Vor-
und Führungsmacht des Vereins hat man schließlich
nationale Interessen zu vertreten. Sollen deutsche
Nationalisten sich nicht zu vertreten trauen, was sie für
ihr Recht halten – nur weil andere vom furor
teutonicus
schwadronieren? Wo gibt’s denn sowas. Bei
ihm jedenfalls nicht, und das laut zu versprechen ist der
ganze Stil
, der Rot-Grün unverwechselbar macht.
Immerhin etwas.
*
Die Nationalisten, die bis vor kurzem noch für deutsche
Europapolitik zuständig waren, erkennen hinter dem
offenen Visier
, mit dem Schröder für deutsche
Rechte in Europa kämpft, freilich nur wieder, womit sie
sich schon immer gegen ihre Konkurrenten in der
Gemeinschaft aufgestellt hatten. Nur ist es eben jetzt
der Sozialdemokrat Schröder, der ihren schönen Begriff
vom Nettozahler
erfolgreich besetzt
und mit
der Gunst der Lage, daß Europa ein Stückchen mehr
deutsche Rücksichtslosigkeit verträgt, gesamtdeutsch
Ernst macht. In der dummen Lage, eine Politik schlecht
machen müssen, die sie selbst weder besser machen könnten
noch wollten, wissen sie sich zu behelfen. Sie machen
sich an eine Kritik des neuen Stils
, und es kommt
zu dem Treppenwitz, daß rechte Nationalisten den
regierenden linken den Vorwurf machen, überhaupt keine
Politik, sondern bloßen Populismus
(Schäuble) zu
betreiben. Nur beim Volk und seinen nationalistischen
Ressentiments, die sie selbst mit ihrer Agitation erzeugt
haben, würde Schröder sich anbiedern wollen, und einer,
der das vertritt, was sie als deutsches Recht schon immer
vertreten haben, muß sich von ihnen anhören, dem
Ansehen Deutschlands zu schaden.