Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
„Skandal!“ – Freispruch für „Havemanns Peiniger“

Strafrechtliche Würdigung von alten DDR-Richtern, die Regimekritiker verurteilt haben und die Enttäuschung der privaten Liebhaber der Rechtsgewalt.

Aus der Zeitschrift

„Skandal!“ – Freispruch für „Havemanns Peiniger“

Nicht ganz wie aus polit-moralischen Gründen gewünscht gelingt der Abschluß eines weiteren kleinen Kapitels der rechtsstaatlichen Bewältigung von DDR-Unrecht. Gleich nach dem schönen Prozeß gegen Krenz und andere Mitglieder aus dem SED-Politbüro stellt ein Gericht nach Würdigung der Beweislage im Fall Havemann fest, daß den alten Richtern der DDR bei ihrer Drangsalierung des Dissidenten Strafbares nicht nachzuweisen ist. Freispruch also, bedauerlicherweise, wie eine Öffentlichkeit anmerkt, der der Sinn einer politisch nicht weisungsgebundenen Justiz offenbar keineswegs immer einleuchtet. Dann jedenfalls überhaupt nicht, wenn deren Urteilssprüche einmal nicht so ausfallen wie gewünscht.

Dabei hat auch in diesem Fall die Justiz ihren Auftrag, für eine Aufarbeitung der DDR-Geschichte zu sorgen, ganz ordnungsgemäß erledigt – einfach dadurch, daß sie die längst begrabene Akte eines DDR-Rechtsfalls des gleichfalls längst begrabenen R. Havemann wieder ausgegraben und zu ihrem aktuellen Fall gemacht hat. Anliegen war, ein Unrecht zu sühnen, welches längst ausgemusterte DDR-Richter begangen hätten, als sie seinerzeit unter Anwendung des damals geltenden Rechts einem Oppositionellen das Leben schwer machten. Zweck der Befassung mit der ehemaligen DDR war also die strafrechtliche Würdigung eines Stücks DDR-Geschichte, was mit der Bildung eines Urteils über diese nicht zu verwechseln ist. Dem Zweck dieser Aufarbeitung entsprechend fällt ein Blick hinein in die DDR-Vergangenheit dann auch aus:

  • Was das Opfer der staatlichen Verfolgung betrifft, so sind die Einfälle, mit denen Havemann sich in seinem Staat unbeliebt machte, natürlich überhaupt nicht Gegenstand des Prozesses. Ausgegraben wird der Mann ja nicht wegen seiner Idee, man solle doch den realen Sozialismus in einen humanen verwandeln, mit Reise- und anderen Freiheiten für alle Andersdenkenden. Interessant für die deutsche Justiz ist der Denker H. nicht unter dem Gesichtspunkt, weswegen er in seinem Staat seinerzeit verfolgt wurde, sondern wegen des Umstands, daß Stasi und andere Behörden hinter ihm her waren. Zusammen mit einigen anderen Figuren hatte er darüber nämlich das westliche Berufsbild des Dissidenten in der DDR mitgeprägt, das sich vorzüglich als Rechtstitel handhaben ließ, sich in die inneren Belange eines ohnehin als Unrechtsstaat und Völkergefängnis deklarierten Staatswesens einzumischen. Dieser Philosoph und Menschenfreund konnte so gedanklich verbrechen, was immer er wollte: Immer und ganz grundsätzlich war sein Wirken und der Umstand, daß er mit ihm seinem Staat auf die Nerven ging, Dokument eines ganz anderen Verbrechens, das schlicht DDR hieß und das dann an der Verfolgung der Person Havemanns bloß noch augenscheinlich wurde.
  • Für die Täter, in dem Fall alte Richter der DDR, die das staatliche Sanktionsinteresse gegenüber unerwünschter Kritik durchsetzten, ist daher die Schuldvermutung schon ausreichend begründet. Zwar mögen sie in ihren Urteilen ihres Amtes gewaltet und Recht gesprochen haben; zwar mögen sie auch mit der Tendenz ihrer Urteile auf viel Verständnis bei heutigen Richtern stoßen, die sich mit Querulantentum gut auskennen und schon einsehen, daß Havemann bestimmt nicht nett und leicht erträglich (SZ 1.10.97) war; aber erstens war ihre Rechtsprechung ohnehin immer nur Dienstleistung in einem riesigen Unrechtswesen, und zweitens beim Dissidenten Havemann schon gleich: Wer als Richter oder Staatsanwalt einen Regimekritiker der DDR mit Hausarrest belegt und die Wegnahme seiner Arbeitsmittel verfügt hat, zeigt ja nur, daß und wie parteilich er für diesen Staat war; er hat also niemals ein Recht gesprochen, das diesen Namen verdient, sondern Recht gebeugt, es willkürlich, weil politisch motiviert gehandhabt. Auch hier befaßt sich die deutsche Justiz überhaupt nicht mit den Gründen, derentwegen man sich im Staat der DDR auf die Kultur linientreuen Denkens verlegte, einen wie Havemann nicht zu widerlegen verstand, sondern sich mit seiner abweichenden Meinung so behalf, daß man ihn wegsperrte. Die Eigentümlichkeiten einer Überzeugungsarbeit, die auf die Tugend der Standpunkttreue großen Wert legte und das Bekenntnis zum vaterländischen Sozialismus schon für diesen selbst hielt, prowestliche Umtriebe entsprechend für Destruktion und Landesverrat, muß man eben nicht beurteilen, wenn es darum geht, aus ihrer schon feststehenden Verurteilung zu ahndende Rechtsverletzungen zu drechseln. Der ganze ideologische Überbau der DDR interessiert die neue deutsche Justiz während ihrer zweijährigen Nachforschungen nur unter einer Fragestellung: Läßt sich ihr ein Beweis dafür entnehmen, daß die Richter bei ihrem Dienst an der Säuberung der DDR-Ideologie das Recht über Gebühr dehnten, so daß es sich dazu eignete, als Waffe im politischen Kampf gegen den Gegner eingesetzt zu werden (SZ 1.10.97)?

Dieser Beweis kann nicht geführt werden, weil sich den DDR-Richtern ein Vorsatz zur falschen Rechtsanwendung nicht nachweisen läßt. Selbigen braucht es unter Zugrundelegung aller rechtsstaatlichen Spielregeln aber, damit aus einer – an sich grundsätzlich feststehenden – Schuld ein Vergehen wird, für das man auch belangt werden kann, und wo sich an den Tätern dieser Vorsatz nicht beweisen läßt, hat der Wille, die rechtliche Bewältigung von DDR-Unrecht in eine Strafe münden zu lassen, eben Pech gehabt. Für den Rechtsstaat geht diese Sorte rechtlicher Vergangenheitsbewältigung ganz in Ordnung, nicht aber für alle seine privaten Liebhaber. Die sehen sich bei einer ausbleibenden Verurteilung der ausgemachten Schuldigen glatt um ihr moralisches Hauptvergnügen gebracht, nämlich um die gerechte Rache an den Tätern betrogen. Sie – die Witwe Havemann, andere wohlgediente Dissidenten wie Biermann und mit ihnen eine große demokratische Öffentlichkeit – sind davon ausgegangen, daß ein Prozeß gegen DDR-Richter gerechterweise nicht ohne eine Verurteilung zuende gehen kann. Von der Täuschung, der bundesdeutsche Rechtsstaat wäre eigentlich die Vollzugsbehörde ihres Rachebedürfnisses, lassen sie nicht ab, sind also enttäuscht und halten den unerwarteten Ausgang des Verfahrens für skandalös, anstößig oder gleich ganz für eine Frechheit. Ein bißchen Rechtsbeugung hätte ihnen hier genau aus dem Herzen gesprochen.