Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wettermoderator Kachelmann und IWF-Direktor Strauss-Kahn wegen Vergewaltigung vor Gericht:
Prominente Männer ficken namenlose Frauen – wie ist die Rechtslage?

Das interessiert die Menschheit in ihrer Rolle als Zuschauer des eigentlichen Lebens brennend. Die ähnlich gelagerten Rechtsfälle bieten dem Publikum wirklich spektakuläre Bilder: Reiche, mächtige, beliebte Männer in Handschellen und Gefängniszellen, weibliche Klägerinnen von zweifelhafter Glaubwürdigkeit und dazu jede Menge schmutziger Wäsche, die eine ihren Lesern verpflichtete Presse ausgräbt. Die Affären bieten den Zeitgenossen, was einst das klassische Drama bot: Unterhaltung und moralische Erbauung.

Aus der Zeitschrift
Systematischer Katalog

Wettermoderator Kachelmann und IWF-Direktor Strauss-Kahn wegen Vergewaltigung vor Gericht:
Prominente Männer ficken namenlose Frauen – wie ist die Rechtslage?

Das interessiert die Menschheit in ihrer Rolle als Zuschauer des eigentlichen Lebens brennend. Die ähnlich gelagerten Rechtsfälle bieten dem Publikum wirklich spektakuläre Bilder: Reiche, mächtige, beliebte Männer in Handschellen und Gefängniszellen, weibliche Klägerinnen von zweifelhafter Glaubwürdigkeit und dazu jede Menge schmutziger Wäsche, die eine ihren Lesern verpflichtete Presse ausgräbt. Die Affären bieten den Zeitgenossen, was einst das klassische Drama bot: Unterhaltung und moralische Erbauung.

Das Interesse eines Millionenpublikums finden die sexuellen Eskapaden der beiden – anders als der gewalttätige Familienvater in der Nachbarschaft oder die bedrängende Anmache im Bekanntenkreis –, weil es sich bei ihnen um Promis handelt: Leute, die dort stehen, wo andere gerne stünden, ganz weit vorn nämlich im deutschen und internationalen ‚Who is Who‘, im Hauptprogramm des Abendfernsehens oder gleich an den Schaltstellen der internationalen Politik. Die Positionen, die sie erklommen haben, weisen sie als überlegene Menschen aus. Sie müssen über Eigenschaften und Fähigkeiten verfügen, die den Erfolg in Beruf und Leben verbürgen, nach dem alle streben: Jörg Kachelmann, der aus dem Wetterbericht eine Show gemacht hat, beweist einen sicheren Instinkt dafür, was ankommt beim Publikum; Dominique Strauss-Kahn rangiert noch höher: Er ist der Elitemensch schlechthin, ein Sinnbild dieses Landes und ein Exzellenzprodukt französischer Eliteerziehung. Hochintelligent, geistreich, charmant, ehrgeizig, lässig, durchsetzungsfähig, kultiviert, jovial, mächtig, betucht und dennoch etwas animalisch – was will man mehr? Hätten die Franzosen vergangenen Samstag ihren Präsidenten wählen dürfen, sie hätten ihr Kreuz bei Strauss-Kahn gemacht. (SZ, 01./02.07.11) Mit jeder einzelnen dieser wunderbaren menschlichen Eigenschaften ist er Vorbild für die Jugend und Objekt des Neides der Älteren, die es nie zu so beeindruckenden Ellenbogen, solchem Reichtum, so demonstrativer Überlegenheit verbunden mit unangestrengtem Auftreten bringen, auch wenn sie sich noch so sehr um eine ihrem Rang angemessene Nachahmung bemühen: Erfolgstypen auf allen Feldern der alltäglichen Konkurrenz wollen sie ja alle sein.

Interessanter noch als die souveränen und glanzvollen Auf- sind freilich die Fehltritte der Promis. Bei ihren Vorbildern sieht die Welt eben etwas genauer hin. Wenn die tun, was sich eigentlich nicht gehört, will schließlich entschieden sein, ob den Ausnahmemenschen erlaubt ist, was dem Normalo nicht ziemt (Quod licet Jovi non licet bovi – sagt der Lateiner). Oder ob umgekehrt das Vorbild den Bonus missbraucht, den die Welt ihm gibt, und deshalb doppelt verurteilt und geächtet gehört. Die Entscheidung darüber steht einer demokratischen Fangemeinde gerechter Weise zu: Wen sie anhimmeln und nachäffen bestimmen freie Menschen eben selbst. Und so stark ihr Bedürfnis ist, sich an ihrer eingebildeten Vertrautheit mit den Reichen und Schönen hochzuziehen, so stark ist auch ihr Bedürfnis, die Objekte ihrer Verehrung zu sich herunter- und vor den egalitären Richterstuhl ihrer moralischen Menschenkenntnis zu ziehen. Auf dem Stuhl sitzt das verehrte Medien-Publikum nun – aber zu welchem Spruch kommt es?

I.

Jenseits der Frage, die auch die Gerichte nicht klären können, der Frage nämlich, was genau in den diversen Schlafzimmern geschah, bringen polizeiliche Ermittler und journalistische Schnüffler über die Angeklagten manches Unstrittige ans Licht: Die bewunderten Promis teilen die Meinung ihrer Bewunderer über ihre Person, schließen selbst von Amt und Rang, die sie erreicht haben, auf ihre Vortrefflichkeit und halten sich für genau die erfolgssicheren, gewinnenden und attraktiven Persönlichkeiten, die die Welt in ihnen verehrt. Entsprechend selbstbewusst treten sie gegenüber Untergebenen und Fremden auf, und gehen davon aus, dass man ihnen keinen Wunsch abschlägt und sich ihren Ansprüchen nicht in den Weg stellt. Das gilt selbstverständlich auch für die Frauen, auf die sie ein Auge werfen. Sie halten sich nicht nur als Finanz- oder Wetterkundler, sondern schlicht als Mann für unwiderstehlich, berechtigt, sich zu nehmen, wonach ihnen der Sinn steht: Für die nicht wenigen Frauen, die sie sich zwischen ihrem öffentlichen Wirken genehmigen, muss das Interesse, das so außergewöhnliche Personen an ihnen nehmen, ohnehin eine Ehre sein.

Die Frauen, auf die sie stoßen, scheinen das weithin auch so zu sehen: Geld und Macht machen sexy – und TV-Prominenz schon gleich. Einen echten Promi, und sei es nur ein wenig, an sich zu binden und auf sich zu verpflichten, hebt den Selbst- und vielleicht auch den Marktwert der Frauen, die nach Höherem streben. Solchen Männern gilt ihre Sehnsucht, die leider oft enttäuscht wird, so dass sich die Sehnenden missbraucht vorkommen. Ganz zufällig ist es also nicht, „wo die Liebe hinfällt“: Männliche Prominenz macht Frauen gefügig; und die konkurrieren, mit allem, was sie zu bieten haben, um ein Stück Teilhabe am glanzvollen Leben ihrer Don Juans. So sieht das bewunderte Erobern und Erobert-Werden bei den Reichen und Schönen aus, das die weniger glanzvolle Mehrheit nach Kräften kopiert.

II.

Der Stoff füllt die Illustrierten und geht seelisch und moralisch voll in Ordnung, bis eine Frau das Tauschgeschäft nicht mehr (oder nicht genug) lohnend findet, der unwiderstehliche Lustmolch sich aber nicht bremsen lässt. Dann kippt das Liebesidyll um in einen Straftatbestand. Denn auch der intimste Lebensbereich ist verrechtlicht. Das hält niemand für eine moderne Barbarei, geschweige denn für ein Symptom gesellschaftlicher Barbarei, sondern für den Vormarsch von Freiheit und Respekt im Geschlechterverhältnis; wie sonst sollte Rücksicht in der Liebe Einzug halten, wenn Rücksichtslosigkeit nicht verboten wäre? Der Rechtsschutz der Geschlechter voreinander ist allerdings eine heikle Sache: Der Tatbestand der Vergewaltigung ist nicht erfüllt, wenn der Eroberer nur drängt und hinhaltenden weiblichen Widerstand mit Hartnäckigkeit überwindet, um an sein Ziel zu kommen; auch das Sich-Zieren der Frau oder ein ungutes Gefühl, das sie beschleicht, reichen dafür nicht. Verlangt ist eine unmissverständliche Willenserklärung, dass dieser Verkehr gegen den Willen einer der beteiligten Rechtspersonen zustande kommt. Dann, nur dann versteht das aufgeklärte Recht unserer Tage keinen Spaß. Ansonsten ist in Sexfragen von Staats wegen alles erlaubt. Das Recht kennt keine Perversion mehr, selbst Gewalt gegen den Geschlechtspartner im Sado-Maso-Zirkus ist juristisch nicht zu beanstanden, sofern sich zwei geschäftsfähige Willen aus freien Stücken miteinander einlassen. Strafwürdig und entsprechend moralisch tabuisiert sind nur noch Sexpraktiken, bei denen diese Willenserklärung geschäftsfähiger Erwachsener nicht vorliegt: Vergewaltigung eben und Pornographie oder Sex mit Kindern. Das moderne Recht – das ist der staatlich relevante Gehalt der sexuellen Befreiung – enthält sich der moralischen Bewertung der sexuellen Vorlieben der Bürger und beschränkt die Aufsicht ganz auf seinen freiheitlichen Kern. Als wollte es Kants brutal unsentimentale, stets abgelehnte Definition der Ehe als „Vertrag zum wechselseitigen Gebrauch der Sexualorgane“ rehabilitieren, fasst das Recht heute das ganze, auch nicht-eheliche Liebesleben als eine Interaktion und wechselseitige Benutzung potentiell gegensätzlicher Willen, deren Freiheit durch diesen Verkehr gefährdet wird und den Staat als ihren Hüter braucht.

III.

Der staatliche Schutz der Freiheit der Person im Intimbereich fällt dann freilich enttäuschend aus. Denn dem Segen, dass auch das Lotterbett dem Recht erschlossen wird, steht im Streitfall der Fluch der Beweislast gegenüber: In diesem Bereich sind weder dokumentierte Willenserklärungen noch Zeugen üblich. Mit wenig eindeutigen Indizien und zwei entgegengesetzten Einlassungen der Beteiligten konfrontiert, sieht sich das Gericht oft außer Stande, den Sachverhalt nach den Regeln der Strafprozessordnung aufzuklären. So bleibt der mögliche Vergewaltiger ungestraft, die möglicherweise böswillige Verleumdung aber auch. Das ist nämlich die andere Seite des schwer zu beweisenden, aber auch schwer zu widerlegenden Vorwurfs der Vergewaltigung: Er eignet sich bestens für Rachefeldzüge abgelegter Gespielinnen. Das Image des treulosen Prominenten wird auf jeden Fall ruiniert. Womöglich taugt eine Anzeige aber sogar als Instrument der Bereicherung sowie für politische Intrigen.

IV.

Die Unfähigkeit der Justiz, Schuld oder Unschuld festzustellen, hindert die öffentliche Moral natürlich nicht, ihr Verdikt zu sprechen – pluralistisch, wie es sich gehört. Dabei eint die kontrovers urteilenden moralischen Sachverständigen eines: Es ist ihnen gleichgültig, ob die Angeklagten im Sinne des Gesetzes schuldig sind. Ihnen geht es um Höheres – und da interessieren die Prominenten, für die sich das Publikum so brennend interessiert, selbst nur noch als allegorische Figuren, als Personifikationen gesellschaftlicher Sitten und Unsitten. Die journalistischen Volkserzieher be- und verurteilen moralische Gesinnungen, die sie in den vor Gericht verhandelten Taten betätigt sehen – egal, ob die auch stattgefunden haben.

Für den furchtbaren Moralisten Wagner von Bild ist Kachelmann sowieso schuldig. Mag er seine Ex-Geliebte nicht im Wortsinn vergewaltigt haben, was er verbrochen hat, ist nicht weniger schlimm: Er hat den schönsten Satz der Welt vergewaltigt.

„‚Den Kachelmann machen‘ bedeutet, allen Frauen die wahre Liebe zu versprechen, damit man sie vögeln kann. Diese Frauen waren keine Schlampen, die jeden ranließen. Es waren Frauen, die an die Liebe glaubten, an die Ehe. An Kinder ... Ich weiß nicht, wie viel Schmerzen dieser Don Juan, dieser Verführer, Frauen zugefügt hat. Ich weiß nicht, wie vielen Frauen er gesagt hat: ,Ich liebe dich‘... Kachelmann hat diesen Satz vergewaltigt.“ (bild.de, 30.5.11)

Im Ton sachlicher, in der Sache identisch urteilt die ach so seriöse SZ:

„Deutliche Worte über Kachelmanns Umgang mit Frauen konnte sich auch der Richter nicht verkneifen. Von den ,manipulativen Fähigkeiten‘ des Angeklagten habe sich die Kammer ,ein umfassendes Bild machen können‘, sagte Seidling. Claudia D. habe allen Grund gehabt, an die Ernsthaftigkeit der Absichten Kachelmanns zu glauben, während dieser ,bewusst den Eindruck erwecken wollte‘, dass die Frau, mit der er fortwährend über den Wunsch nach gemeinsamen Kindern und einer gemeinsamen Wohnung geredet habe, nur an einem sexuellen Verhältnis interessiert gewesen sei.“ (SZ, 1./2.6.11)

Richter und Journalisten kennen sich in der bürgerlichen Seele aus. Männer, die „an einem sexuellen Verhältnis interessiert sind“, stoßen bei den Frauen, um die sie werben, bisweilen nicht auf ein gleichgelagertes Interesse; das ist Pech. Dass die Sache damit nicht erledigt ist, sondern erst so recht losgeht, ist nun aber nichts, was moralische Fachleute wundern oder abstoßen würde. Sie finden die Asymmetrie in der Partnerwahl selbstverständlich: Was der Mann will und was die Frau will, ist nicht dasselbe. Wenn er sie herumkriegen will, hat er etwas zu geben, und sie kann für ihre Gunst etwas verlangen. Und wenn sie schon nicht gleich die Ehe verlangt und sich bis zum rechtlich bindenden Eid aufspart, dann hat sie erst recht Anspruch darauf, Ehe, Kinder usw. in Aussicht gestellt zu bekommen. Die Sachverständigen kennen also das Gesülze, das Männer Frauen ins Ohr säuseln, um sich alle Türen zu öffnen, – und sie bezichtigen Kachelmann des Missbrauchs dieser wirkungsvollen Schlüsselworte. Ihr zynischer Einsatz durch den Verführer ist eine Schweinerei; die berechnende Zuneigung der Frau dagegen verdient Respekt und Schutz: Die halben und ganzen Eheschwüre, mit denen sie sich ins Bett schwätzen lässt, gehören eingelöst. Der Liebhaber hat sich wirklich und ernsthaft zu binden und für sein Vergnügen den fälligen Preis zu bezahlen. Nur Schlampen, weiß Herr Wagner, lieben ohne Zukunftsplanung.

Die einzige Alternative zum Vergewaltiger und zynischen Weiberheld, die er kennt und gelten lässt, ist das verlogene Bild vom arbeitsamen „Kleinen Mann“ und Vater, der sich für seine Familie opfert und nichts davon hat; außer natürlich die täglichen Titten auf Seite 1, die Bild ihm zum Ausgleich spendiert.

„Nicht alle Männer sind Kachelmänner. Vielleicht sind diese Männer langweilig, aber sie sind treu. Sie haben vielleicht einen Bierbauch, aber wenn es darauf ankommt, stehen sie da wie eine Eiche. Diese Männer sind nicht berühmt, sie arbeiten sich den Buckel krumm, sie arbeiten für ihre Familie, für ihre Kinder.“ (bild.de, 31.5.11)

Den abstoßenden Verführer-Charme der Kachelmänner hält das proletarische Massenblatt für eine prima Gelegenheit, das Hohe Lied allseitiger Selbstlosigkeit in der Familie anzustimmen. Oft bieten sich solche Gelegenheiten ja nicht: Normalerweise gilt das Interesse gerade von BILD ja den Verbrechensmeldungen aus jenem schönen Bereich, in dem der eine – oft eben bis aufs Messer – auf der Selbstlosigkeit des anderen besteht.

*

Weibliche Moral-Sachverständige sind weniger aufgelegt, alte Ehe-Idyllen hochleben zu lassen; sie blicken auf die Vergewaltigungs-Affären vom Standpunkt der modernen Frau, des Feminismus. Auf je ihre Art bezeugen ihre Stellungnahmen, wohin es die einstige Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen, die die Frau zur unselbständigen „Reproduktionsgehilfin“ des Mannes verdammen, inzwischen gebracht hat. Alice Schwarzer verurteilt Kachelmann als Vertreter eines veralteten, aber leider noch virulenten Männerrechts.

„Erst 1997 trat das Gesetz in Kraft, nach dem die Vergewaltigung in der Ehe ein Verbrechen ist. Bis dahin war die Erfüllung der ,ehelichen Pflicht‘ ein Männerrecht. Und gleiches galt in den Köpfen der Menschen selbstverständlich auch für eheähnliche Beziehungen. Beziehungen wie die von Jörg Kachelmann mit seiner Ex-Freundin, die ihn beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben... 14 Jahre, das ist nicht viel Zeit. Da spukt noch in vielen Köpfen als Männerrecht, was ein Verbrechen gegen ein Menschenrecht ist... Es ging und geht auch um das Verhältnis unserer Gesellschaft zur sexuellen Gewalt. Ist die nur ein Ausrutscher – oder ein Verbrechen?“ (Alice Schwarzer, bild.de, 30.5.11)

Für Deutschlands Oberfeministin sind die frauenfeindlichen gesellschaftlichen Verhältnisse – inzwischen jedenfalls – nichts als eine verkehrte, diskriminierende Gesetzgebung. Seitdem die in Ordnung gebracht, das Vergewaltigen auch in der Ehe verboten und umfassende Gleichberechtigung verordnet ist, sieht Frau Schwarzer ihr Kampfziel im Prinzip verwirklicht – und zwar vom Staat. Dem Buchstaben des fortschrittlichen, weil von weiblichen Abgeordneten erkämpften Gesetzes aber entspricht die Rechtspraxis in von Männern dominierten Gerichten und gegenüber männlichen Angeklagten noch keineswegs. Dass ein Vergewaltigungs-Vorwurf gerichtsfest bewiesen werden muss, die Schmach der peinlichen Befragung der Klägerin und die ungewissen Chancen einer Verurteilung versteht Schwarzer als lauter Dokumente fortwirkender Macho-Gesinnung auf beiden Seiten der Gerichtsschranken. Noch unterdrückt der Staat die Machos, die zu langsam lernen, nicht konsequent, so dass Frauen trotz aller Erfolge des Feminismus die Opfer zwar nur noch eingebildeter, aber wirksamer männlicher Vorrechte bleiben.

*

Die Fortsetzung der alten Kritik an der Männerherrschaft erntet scharfen Widerspruch von Journalistinnen, die gegen den unvollendeten staatlichen auf dem vollendeten subjektiven Erfolg des Feminismus bestehen. Moderne, voll emanzipierte Karrierefrauen können es nicht leiden, dass ihr Geschlecht als schutzbedürftiges Opfer männlicher Übermacht porträtiert wird. Sie brauchen keinen staatlichen Beistand im Privatbereich; sie stehen ganz alleine ihren Mann. Dem Opfer eines Verführers lässt die Vertreterin des zeitgemäßen Frauenbilds die Opferrolle nicht durchgehen.

„Viola S. ist eine intelligente Frau von 32 Jahren... Soll man glauben, dass sie all die Jahre nichts von der Beschaffenheit des Mannes gemerkt hat, mit dem sie da zusammen war? Und all die anderen Frauen, die sich gegen Geld öffentlich als Kachelmann-Geschädigte vorstellten und den Wettermoderator mit Dreck bewarfen – sind sie Opfer dieses Mannes? Oder sind sie bloß ihrer eigenen Verblendung aufgesessen? ... Kachelmanns Methoden mögen verwerflich gewesen sein – undurchschaubar waren sie nicht. Deshalb verrät der Kachelmann-Prozess nicht nur viel über den Lebenswandel einer Bildschirmfigur, sondern auch über die weibliche Bereitschaft zum Selbstbetrug... Aber Selbstbestimmung bedeutet auch, Verantwortung für das eigene Leben zu tragen – für das, was einem widerfährt, und für das, was man sich gefallen lässt... Wollen die Frauen auf der einen Seite Menschen führen und sich gleichzeitig in Liebesdingen benehmen wie die kleinen Kinder, die noch das Abwegigste glauben, was man ihnen vorsetzt? ... Wer will solche Frauen ernst nehmen? Alice Schwarzer tut es. Aus der munteren Vorkämpferin der Frauenbewegung ist eine böse Großmutter geworden, die sich mit Personen solidarisiert, die würdelos handeln und die ihre intimsten Erlebnisse zu Geld machen.“ (Sabine Rückert, Zeit, 7.4.11)

Frau Rückert spricht Ekelhaftigkeiten moderner „Beziehungen“ an – die Aufreißer-Methoden eines TV-Typen, die weibliche Bereitschaft zum Selbstbetrug, die Sucht, sich mit Promi-Affären wichtig und entsprechende Erlebnisse zu Geld zu machen -; aber alles das ist ihr keinen Gedanken wert. Das ist „Realität“ – und die haben moderne Frauen selbstbestimmt zu bewältigen. Der Skandal, den die Zeit-Autorin anklagt, besteht darin, dass Frauen auf solche Typen hereinfallen und sich dann auch noch beklagen, anstatt sich für ihre Dummheit zu schämen und den Mund zu halten. Sie sind eine Schande für ihr Geschlecht, das sich heute zur Menschenführung, zum Kommandieren und Kontrollieren auch der Männer berufen fühlt. Die moderne Frau bekennt sich zur Konkurrenz in Wirtschaft, Gesellschaft und im Privatbereich: Dazu, dass der Vorteil des einen stets gegen andere erzielt wird, dass nur der vorankommt, der andere hinter sich lässt, dass es insgesamt darum geht, sich durchzusetzen. Sexuell befreite, selbständige Frauen wundern sich nicht über rücksichtslose Ausnutzung durch ihre Partner. Dem Krieg der Geschlechter fühlen sie sich gewachsen, ihn wollen sie auf Augenhöhe führen. Nur Jammern ist würdelos.

Alle Journalisten, die im Kachelmann-Skandal herumschnüffeln, gehen von den Gegensätzen des bürgerlichen Liebeslebens aus – und belehren ihre Leser darüber, wie man sich darin richtig benimmt. Sie bedienen und benutzen die an sich unfeine Sensationslust der Leser eben nur, um deren sittliches Niveau zu heben. Die Menschheit wird durch solche Lektüre immer besser.

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In Frankreich geht es nicht bloß um die Menschheit, sondern um Frankreich. Dort fordert die Untat, die Strauss-Kahn gegen ein New Yorker Zimmermädchen im Sinne der Anklage vielleicht doch nicht verbrochen hat, zum kritischen Vergleich der transatlantischen Sex- und Rechtskulturen heraus: Wird in Strauss-Kahn nicht direkt die europäische Lebensart und Lebenslust von amerikanischen Puritanern kriminalisiert, die es – drakonische Strafen zeugen davon – in Wahrheit noch viel schlimmer treiben? Aber eben mit schlechtem Gewissen und heuchlerischem Leugnen. Noch schlimmer als die sexuellen sind die juristischen Gebräuche der „uns“ ziemlich fremden Weltmacht: Die New Yorker Justiz demütigt und vernichtet einen hochgestellten Ehrenmann öffentlich, indem sie ihn auf Basis unbewiesener Vorwürfe in Handschellen vor die Fernsehkameras zerrt. Die europäische Unschuldsvermutung und die Diskretion der Strafverfolgungsbehörden sind in dem Land von Lynchjustiz und Todesstrafe wohl ganz unbekannt. Und diese Nation will uns Europäern sagen, was richtig ist?

Andererseits kommen in Frankreich Stimmen auf, die das Betatschen und Vernaschen von Untergebenen durch Vertreter der männlichen Elite auch nicht richtig finden.

„Libération zitiert eine amtierende Ministerin, die anonym bleiben möchte, mit den Worten: ,Wenn alle, die Macht und Sex vermischen, zur Rechenschaft gezogen würden, geriete die Hälfte unserer politisch Verantwortlichen in Schwierigkeiten.‘ ... ,Schürzenjägerei nach Domestiken‘ … Andere einflussreiche Männer müssen vor Enthüllungen zittern. ... So klagt Sportministerin Chantal Jouanno, sie wage sich nicht mehr im Rock in die Nationalversammlung, aus Angst vor Belästigungen. Andere Frauen erzählen von Politikern, die sich wie selbstverständlich an Mitarbeiterinnen oder Journalistinnen vergriffen. Besonders gefährdet sollen die Assistentinnen von Abgeordneten sein. ... Phallokratie“ (SZ, 8.6.11)

Das klingt wie Kritik, aber nur ein bisschen: Die Meinungsmacher diesseits wie jenseits des Rheins finden es nämlich viel interessanter, die Übergriffe, für die Strauss-Kahn steht, als Ausdruck nationaler Identität und Kultur zu nehmen und auf dieser Ebene zu fragen, erstens ob und zweitens warum solches Verhalten zu Frankreich und seiner Elite passt.

„Frankreichs Regenten residieren in Palästen, Tag für Tag, Jahr um Jahr. Da mag es passieren, dass der Schein das Bewusstsein bestimmt und mancher Staatsdiener das Gefühl bekommt, eigentlich diene der Staat ihm. Ist es den Männern der Macht – denn es sind fast alles Männer, die sich in diesen Palästen hochgearbeitet haben – zu verdenken, wenn sie anmaßend werden? Wenn sie das Gefühl fürs Volk verlieren und für das, was sich schickt in einer Demokratie? Wenn sie nach den Spielregeln eines Fürstenhofes leben, samt seiner Intrigen, Affären, Mätressen?“ (SZ, 21./22.5.11)

Sind die Täter selbst Opfer – etwa der Baulichkeiten, in denen sie ihre wichtigen Berufe ausüben? Oder der Geschichte?

„So entsteht, Mosaikstein auf Mosaikstein, das Bild eines Landes namens Machosistan, das von frivolen Faunen dominiert zu sein scheint. So übertrieben dieses Bild ist, so deutlich wird, dass das schwüle Klima des Versailler Königshofes in der Republik weiter wirkt. Noch immer maßen sich manche Mächtige eine Art jus primae noctis an; und noch immer blicken zu viele Franzosen mit einer schaudernden Faszination auf ihre Regierenden, was deren Kontrolle erschwert.“ (SZ, 8.6.11)

Ist das nun schlimm – oder eben französisch? Manche Wortmeldungen neigen doch zu ersterem, besonders, weil sie den Schaden, den die frivolen Faune anrichten, weit über die belästigten Frauen hinausreichen sehen:

„Im Zuge der Strauss-Kahn-Affäre wird deutlich, dass im Lande der égalité nicht von Gleichberechtigung gesprochen werden kann ... Nur 18,5 Prozent der Abgeordneten sind Frauen. In den Vorständen der großen Konzerne liegt der Frauenanteil bei 15 Prozent. Die Fragen, die sich Frankreich stellt, reichen über das Verhältnis von Sex und Macht hinaus.“ (SZ, 8.6.11)

Opfer der geilen Männerriege ist die Egalité selbst, die Republik, der Staat. Solange der Skandal trägt, fragt sich Europa, ob die französische politische Klasse überhaupt in der Demokratie angekommen oder im ancien regime stecken geblieben ist. Auch für kulturimperialistische Abrechungen und abgehobene Zweifel an der demokratischen Qualifikation der nationalen Elite ist Oralsex in einem New Yorker Hotel also gut.