Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
FDP-Parteitag: Eine hochprozentige Veranstaltung
Die FDP beschließt auf ihrem Parteitag, bei der nächsten Bundestagswahl 18% der Wählerstimmen auf sich zu vereinen. Die FDP wirbt mit dem Willen zum Erfolg für ihren Erfolg beim Wähler.
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FDP-Parteitag: Eine hochprozentige Veranstaltung
Das Leben als „Mehrheitsbeschafferin“ war so schön: Im Durchschnitt 6 bis 9 Prozent Wählerstimmen und dennoch (fast) immer im Zentrum der Macht; zuerst an der Seite der christlichen Antifaschisten den Rechtsnachfolger Hitler-Deutschlands salonfähig gemacht, dann mit den Sozis die Nation modernisiert und zu einem „Modell“ ausgebaut, und wieder zurück zu den Wertkonservativen, um dem Saustall der Roten eine „geistig-moralische Wende“ zu verpassen. Immer war die kleine, aber feine Partei mit den liberalen drei Punkten auf der richtigen, nämlich erfolgreichen Seite des nationalen Zeitgeistes, den man an der Bestuhlung erkennt: den Regierungsbänken.
Und dann passiert das Malheur: Ein Regierungswechsel in Deutschland geht ohne die F.D.P. über die Bühne. Wer kann sich an sowas überhaupt erinnern! Die Partei setzt aufs falsche Pferd, versäumt es, rechtzeitig die Fronten zu wechseln, so dass andere ihre angestammte „Rolle“ übernehmen. Das ist bitter. Denn jetzt hockt sie da, wo keine vernünftige demokratische Partei Heimatgefühle entwickeln kann – auf den Oppositionsbänken –, und hadert mit dem Schicksal, dass ausgerechnet sie die Vernünftigkeit demokratischer Herrschaft belegen soll: Opposition kontrolliert Regierung. Da können Westerwelle & Co. nur lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Dabei ist keine Partei – nach Meinung der F.D.P. – so unverzichtbar für gutes Regieren im Land wie die F.D.P. Umso ärgerlicher findet sie die Lage, in der sie sich befindet: Auf der einen Seite ist auf diejenigen, die sich mit ihr als Mehrheitsbeschafferin sofort verbünden würden, aus Mangel an Erfolgsaussichten kein Verlass. Auf der anderen Seite zeigen diejenigen, auf die wegen ihrer Erfolgsaussichten Verlass wäre, keine ausgeprägte Neigung zum Bündeln; so ungerecht kann die Welt sein. Und aus eigener Kraft, das wissen die gelben Demokraten, schaffen sie den Status einer Regierungspartei nie und nimmer. Zum Glück haben sie aber nicht nur den Willen zur Macht, sondern auch kluge Köpfe in ihren Reihen, die diesen Willen in erfolgversprechende strategische Konzepte umsetzen. Einer von ihnen ist Jürgen Möllemann, lange Zeit als egozentrischer Schaumschläger und Scharlatan verkannt, nach seinem unerwarteten Wahlerfolg in NRW aber als ernst zu nehmendes politisches Talent wiederentdeckt. Er hat eine Idee, die so einfach gestrickt ist wie er selbst – und so genial wie sein Talent: Wenn Mehrheitsbeschaffung derzeit nicht drin ist, dann muss sich die Partei endlich von ihrem abgelutschten „Image“ des kleinen Trittbrettfahrers trennen und selber „groß werden“. Nur so kann sie sich wieder als unentbehrlicher Steigbügelhalter attraktiv machen und an die Macht kommen. Der Mann versteht was von Politik. Seine
„Strategie 18“
verdient ohne Zweifel irgendeinen Preis für Demokratie. Denn selten hat eine Partei Glanz und Elend demokratischer Überzeugungsarbeit so schlagend und einfältig auf den Begriff gebracht wie die F.D.P. auf ihrem Aufbruch-Parteitag in Düsseldorf. Aber der Reihe nach.
Die Idee ist, wie gesagt, ein so genialer
Kurzschluss, dass man sich fragt, warum die Liberalen
nicht schon früher darauf gekommen sind: Wenn eine
Partei sich klein macht, dann bleibt sie auch klein!
(Westerwelle) Und wer will
das schon! Die F.D.P. jedenfalls nicht: Die Partei ist
es leid, als eine Partei zweiter Klasse betrachtet zu
werden. Wir wollen in die 1. Liga.
(Möllemann) Wie man dahin kommt, ist dem
Fallschirmspringer mit Abitur klar. Nach dem Motto ‚You
can do it if you try!‘ nennt er bloß eine Zahl: 18.
Dieses Schlitzohr! Achtzehn meint Prozent und soll die
Losung für die nächste Bundestagswahl sein, denn nur wer
sich großkotzig gibt, kann Großartiges erreichen: Wir
können und wir wollen, aber nur dann werden wir auch die
18% erreichen.
(Möllemann) Sicher, die Zielvorgabe ist
nicht von Pappe, ungefähr das Zehnfache dessen, was die
Partei in manchen ostdeutschen Provinzen an Wählerstimmen
holt; andererseits aber nur das Dreifache ihres über die
Jahre gerechneten durchschnittlichen Erfolgsquotienten.
Es ist diese Mischung aus verwegenem Realismus und
utopischer Angeberei, die die willkürliche Zahl 18 so
sexy
(ders.) macht.
Der Erfinder der Strategie hat sich natürlich auch in
eigener Sache etwas dabei gedacht. Zusammen mit Freund
Westerwelle und mit Unterstützung anderer selbstloser
Parteifreunde hat er die Entmachtung des
Parteivorsitzenden betrieben, der von modernem
Politikmanagement einfach keine Ahnung hatte. Deshalb
erwartet er vom dynamischen Nachfolger des „biederen“
Gerhard, der für die alte – die kleine F.D.P. – steht,
soviel Dynamik, wie die neue – die große FDP – braucht:
Als Gegenleistung und gewissermaßen als Patentrecht auf
sein geistiges Eigentum, das Trikot mit der Nr. 18,
verlangt Möllemann den Status des
Kanzlerkandidaten für die nächste Wahl. Der Mann
denkt konsequent: Wir sind genauso gut wie die
anderen. Und dann ist es nur konsequent, dass wir auch
einen Kanzlerkandidaten wie die anderen aufstellen.
Recht hat er. Denn der demokratische Wettbewerb um Erfolgskonzepte wird allemal dadurch beflügelt, dass Erfolgstypen vom Schlage Möllemanns die Gelegenheit kriegen, ihre Ideen in die allgegenwärtige Machtkonkurrenz einzubringen, welche das demokratische Gemeinwesen so wohltuend von autoritären Herrschaftsformen unterscheidet. Aus dem gleichen Grund hat Freund Westerwelle gewisse Vorbehalte. Er mag es nicht, dass ein „Kanzlerkandidat“ Möllemann den frisch gewählten Parteivorsitzenden durch Kompetenzteilung „beschädigt“. Und so hat der Parteitag die doppelte Aufgabe, den „Aufbruch“ der Partei zu neuen Ufern zu inszenieren und den Machtkampf ihrer exponierten Führungsknalltüten zu entscheiden. Um es vorweg zu sagen: sie „schafft“ es. Dank der leidenschaftlichen Überzeugungsarbeit der beiden Protagonisten, die ihre persönlichen Interessen ganz in den Dienst der Partei stellen und dem Wähler ein Versprechen geben:
Wenn ihr uns wählt, gewinnen wir. Also wählt uns!
Das ist das Programm, auf das sich die Partei
ohne Zwistigkeiten einigt. Strittig bleibt der „Weg“ zum
Ziel. Deswegen verbringen die Delegierten das verlängerte
Wochenende damit, die beiden „Konzepte“ abzuwägen, die
ihre Häuptlinge ihnen darlegen. Der Fallschirmspringer
versucht ihnen einzuhämmern, was der Wähler von den
Liberalen erwartet. Wer „achtzehn“ schreit und sich dann
ziert, die dazugehörige Visage zu plakatieren, macht sich
unglaubwürdig. Also braucht es dieses „Bild“ vom „eigenen
Kandidaten“: Nur dann nehmen uns die Wähler auch ab,
dass wir es ernst meinen. Ein Bild sagt mehr als tausend
Worte.
Nämlich ungefähr soviel: Der schämt sich nicht
für sein Gesicht; der meint es ernst und will es wissen.
„Es“ meint Führen und sonst nichts. So
einer wird gewählt.
Die Gegenfraktion findet „achtzehn“ genauso „Klasse“, hat
aber die Sorge, dass der Schuss nach hinten losgehen
könnte. Klar, wenn die Partei in die Nähe ihrer
Zielvorgabe käme, das wäre schon „erhaben“; andererseits
– wenn nicht, macht sie sich „lächerlich“: Die Grenze
zwischen Erhabenem und Lächerlichem ist schmal.
(Lambsdorff) So schmal, dass
keine noch so flüchtige „Kunstfigur“ namens
„Kanzlerkandidat“ dazwischen passt. Der neue Vorsitzende
formuliert es noch pointierter und zeigt seinem
Kontrahenten, dass man ein Bild auch mit Worten
ausdrücken kann: Mit 18% den Kanzler stellen wollen,
das funktioniert nicht. Wenn man die Schraube eine
Umdrehung zu weit dreht, dann bricht das Gewinde.
Natürlich beherrscht ein Westerwelle, wenn er auch sonst
mit Talenten nicht wuchert, die Kunst der Übertreibung;
dass Möllemann Kanzlerkandidat der Partei sein
will und nicht meint, die Liberalen würden den nächsten
Kanzler stellen, braucht ihm niemand zu sagen. Aber genau
darum geht es. Denn die Kandidatenfrage, mit der
Möllemann seinen Führungsanspruch anmeldet, ist der
Angriff auf die Führungskompetenz des Parteivorsitzenden.
Der ist kein Kleingeist, der Angst vor der Courage seines
Konkurrenten hat und sich vor „achtzehn“ fürchtet.
Vielmehr besteht er mit seinem „Konzept“ auf
seinem Führungsanspruch – und der ist nur
glaubwürdig, wenn der Häuptling nur Indianer neben sich
duldet. Also steigt er in die Bütt, rafft seinen ganzen
Wortschatz zu dieser Botschaft zusammen, lässt sich von
seinen Ghostwritern überzeugen, dass Botschaften in
Kunstform immer noch die besten sind, und beglückt sein
liberales Fußvolk, das nach einem unangefochtenen Führer
dürstet, mit einem unvergesslichen Erlebnis – ‚Mann, der
konnte reimen‘: Auf jedem Schiff, das dampft und
segelt, gibt’s einen, der die Sache regelt! Und das bin
ich!
Tusch! Ovationen.
Die „Strategiedebatte“ ist entschieden und die Partei
kann hemmungslos und „geschlossen“ sich und ihren
Vorsitzenden feiern, denn es gibt nur Sieger an diesem
Wochenende. Möllemann hat ein bisschen gewonnen,
Westerwelle ganz viel und die Partei noch mehr. Am
meisten gewonnen hat aber der Wähler. Er kann Siegertypen
wählen, die ihm im Gegenzug ihren Erfolg versprechen.
Denn Wählen „lohnt“ sich ja gar nicht, wenn man Verlierer
wählt. Von diesem sagenhaften Angebot möchte die neue FDP
– ohne Pünktchen und Komma ganz modern – niemanden mehr
ausgrenzen. Sie ist für alle da, nicht bloß für die
„Besserverdienenden“; selbst Leute, die gar nichts
verdienen, dürfen und sollen sie wählen: Schluss mit
dem Vorurteil (!), die FDP sei eine Partei der feinen
Kreise. Sie ist die Partei für Leistungsbereite. Das ist
der Vorstandsvorsitzende genauso wie das 16jährige
Mädchen aus Mecklenburg-Vorpommern, das sich die Finger
wundschreibt, um einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Wir
wollen dieses Mädchen in der FDP!
(Westerwelle) Also komm, Mädchen, zier
dich nicht! Dafür geht der Westerwelle extra in den
Container, um „auch noch andere Tabus zu brechen“: Es
ist unsere Aufgabe, dorthin zu gehen, wo die jungen
Menschen sind und sie dort abzuholen.
Bleibt nur noch ein Problem: Die einzige Gefährdung
ist, dass die Menschen den Eindruck bekommen, dass wir
nur an die Macht wollen.
(Westerwelle) Diesen Begriffsstutzigen
kann geholfen werden. Nachdem die Führungsknöpfe der
Partei drei Tage lang von morgens bis abends nichts als
ihre Machtgeilheit inszeniert haben, kommen sie dem
Seufzen nach „Inhalten“ gerne nach. Studierte
Analphabeten, die vor keiner Peinlichkeit zurückschrecken
und das mit „Leistung“ verwechseln, drohen der Jugend der
Nation, sich mehr um deren „Bildung zu kümmern“!
Damit der „Kindergarten“ nicht unter sich bleibt und der Wettbewerb der Peinlichkeiten auch jeden deutschen Haushalt erreicht, dafür gibt es
Die freie Presse
Die sorgt im Verein mit dem freien Fernsehen für die
Medienpräsenz, also die Bühne, auf die die
Selbstdarstellungskünstler des deutschen Liberalismus
scharf sind. Die Journalisten nehmen ihre Aufgabe ernst.
Sie notieren die Geistesblitze eines Westerwelle –
Wenn Sie auf 18% aus sind, genieren Sie sich nicht, in
der Öffentlichkeit eine Flasche Bier zu trinken.
–
und drucken sie glatt ab. Sie halten sie nämlich für
erläuterungsbedürftig und sehen ihre Aufgabe darin, dem
staunenden Wahlvolk den vernünftigen Sinn solcher
Großkampftage des demokratischen Lebens zu
verdolmetschen. Dabei fällt manch kritisches Wort. Die
Süddeutsche Zeitung fühlt sich anlässlich des Parteitags
an „Motivationsseminare für Manager“ erinnert, in denen
die „Technik der Autosuggestion“ eingeübt wird. Die
Frankfurter Rundschau warnt: „Solche Selbstgewissheit
grenzt an Hybris.“ Natürlich zweifeln die Herren und
Damen Redakteure nicht an der hybriden Nützlichkeit von
„Motivationsseminaren“; dass Erfolg eine Kombination von
Wille und Charakter ist, ist ihnen ebenso geläufig wie
den Managern, die den Erfolg „trainieren“. Das gilt
natürlich auch in der Politik.
Deswegen überprüfen sie, ob die Angeber der Macht auch
das „Format“ haben, ihre Prognosen mit Taten, sprich in
zählbaren Stimmen, zu belegen: Mit der
‚Jetzt-kommt-der-Guido-Show‘ ist nun Schluss. Fortan wird
sich Westerwelle an Ergebnissen messen lassen müssen
(SZ) Die müssen stimmen, und
die Öffentlichkeit verspricht, ganz genau hinzuschauen.
Wenn die Kindergärtner nämlich den Erfolg hinkriegen, den
sie so großspurig beanspruchen, dann verzeiht ihnen die
Öffentlichkeit jeden „Kindergarten“. Und
deswegen warnt sie noch einmal vor der eigenen Warnung:
Wer jedoch den ehrgeizigen Anspruch nur als lächerlich
abhakt, unterschätzt die Infektionswirkung von
Überzeugungen. Die äußeren Bedingungen sind immerhin so
übel nicht für die FDP.
(FR) Nichts ist in der Politik so
„spannend“ wie der Erfolg und nichts so „lächerlich“ wie
Mißerfolg. Nur um die Dummheit braucht sich niemand zu
bemühen. Die hat in der Demokratie eine feste Bank.