Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Münteferings „Initiative 50plus“:
Was es heutzutage heißt, einer Problemgruppe anzugehören

Dass ein Alter von mehr als 50 Jahren gleich Unbrauchbarkeit bedeutet, verdankt sich keiner medizinischen Diagnose, sondern dem Vergleich, den die Unternehmen anstellen. Sie bedienen sich an dem freien Arbeitsmarkt mit seinen 5 Millionen Arbeitslosen: Die 50minus sind williger und billiger, deshalb sehen die 50plus alt aus und sind zu teuer.

Aus der Zeitschrift

Münteferings „Initiative 50plus“:
Was es heutzutage heißt, einer Problemgruppe anzugehören

Ein klasse Lebensabschnitt, den die 50-Jährigen heutzutage vor sich haben. Diese best ager, so heißen jetzt die 50- bis 65-Jährigen, sind nämlich in der letzten Phase des Erwerbslebens: Die Kinder sind aus dem Haus, Enkel werden geboren, Konsumwünsche sind zeitlich und finanziell erfüllbar (silverage.de) – Was will man mehr! Wir leben länger und zwar ziemlich gesund (Müntefering, Die Kraft der Erfahrung nutzen, Hrsg. BMAS, März 06) diagnostiziert der Arbeits- und Sozialminister und findet, dass es sich dabei um eine schlechte und eine gute Nachricht handelt. Die schlechte zuerst: Wenn die Alten später sterben, dann reicht die Summe, die er ihnen aus den sinkenden Einkommen der Jungen zubilligen will, heute und erst recht morgen nicht mehr. Dann die gute: Weil sie „ziemlich gesund“ sind, fällt es für die Alten nicht weiter ins Gewicht, wenn sie erst mit dem 67. Lebensjahr in Rente gehen, entsprechend länger die volle Arbeitsleistung erbringen und weniger Geld beanspruchen.

Die maßgeblichen Instanzen der Wirtschaft sehen das mit der geistigen und körperlichen Fitness der best ager aber gar nicht so: Nirgendwo anders (in Europa) haben 40-, 50- oder 60-Jährige so schlechte Chancen, einen Job zu finden. Sechs von 10 Unternehmen in Deutschland beschäftigen gar keine Menschen mehr, die älter als 50 sind. Die Gründe, dass es für sie vorbei ist, sich den Lebensunterhalt verdienen zu können, sind „höheres Krankheitsrisiko, zu hohe Tariflöhne resp. Gehälter, zu strenge Kündigungsschutzregeln, Unflexibilität, geringe Motivation, kurz, ältere Arbeitnehmer seien weniger kreativ, verbraucht, zu teuer.“ (SZ, 7.3.) Die Unternehmen müssen es ja wissen, schließlich waren sie es, die aus denen, die jetzt älter als 50 Jahre alt sind, in den vorangegangenen Jahren an ständig ertragreicher gestalteten Arbeitsplätzen immer mehr an geistiger und körperlicher Leistung herausgeholt haben. Dass das gleich Unbrauchbarkeit bedeutet, verdankt sich aber keiner medizinischen Diagnose, sondern dem Vergleich, den die Unternehmen anstellen. Sie bedienen sich an dem freien Arbeitsmarkt mit seinen 5 Millionen Arbeitslosen: Die 50minus sind williger und billiger, deshalb sehen die 50plus alt aus und sind zu teuer. Wobei das geregelte Ansteigen der Löhne und Gehälter mit zunehmenden Alter, also die Gepflogenheit, das niedrigere Alter zum Argument zu machen, den Jüngeren weniger Lohn zu zahlen, heute umstandslos gegen die Arbeitsmarkt-Teilnehmer höheren Alters gewendet wird.

Und deshalb bilden die über 50-Jährigen gleich eine ganze Problemgruppe, was zu dem Schlimmsten gehört, was einem heutzutage passieren kann. Zum Gegenstand sozialer Sorge werden sie nämlich nicht, weil sie Probleme haben – die haben sie genug –, sondern weil sie Probleme machen: Statt dem obersten Haushaltsführer die dringend gebrauchten Beiträge und Steuergelder zu erarbeiten, fallen sie diversen Kassen zur Last, und zwar zunehmend. Auch aufgrund gesetzlicher Regelungen, derer sich die beteiligten Sozialpartner bedient haben – mit sehr gegensätzlicher Schaden-Nutzen-Verteilung: „Betriebliche Sozialpläne und lange Zeitdauer beim Arbeitslosengeld I führten im Zusammenhang mit flexiblen Renteneintrittszeiten faktisch zu einem Ausscheiden zahlreicher Arbeitnehmer mit 54 Jahren und knapp darüber. Unter starker Nutzung der Sozialsysteme machten Unternehmen – besonders große – ihre Personalpolitik auf Kosten Dritter.“ Die bisherigen Regelungen zu Lasten der Sozialkassen waren 1. so gemeint, dass sich die Betriebe der älteren Arbeitnehmer entledigen konnten. 2. ist ihnen das auf Kosten der Beschäftigten gelungen – die haben sich angesichts der unmissverständlichen Ansage ihres Sozialpartners, dass Kosteneinsparung ein Gebot der Stunde ist, notgedrungen mit etwas Geld den Kündigungsschutz abdingen lassen, mit dem gegenüber vorher deutlich wenigeren Geld des ALG I vorlieb genommen und schließlich, um der Katastrophe des ALG II zu entgehen, saftige Abschläge – 0,3% pro Monat für die Zeit vor dem 65. Lebensjahr – in Kauf genommen, um früher in den Genuss ihrer mickrigen Rente zu kommen. Daraus wird jetzt 3. der praktische Schluss gezogen, dass dies in Zukunft nicht mehr „auf Kosten Dritter“ gehen darf, sondern ausschließlich auf Kosten der Problemgruppe.

Gleich bei Amtsantritt hat sich die große Koalition daran gemacht und die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes gekürzt: „Wer älter als 55 Jahre ist … erhält Arbeitslosengeld nur noch für 18 Monate … Für alle anderen gilt generell: Arbeitslosengeld gibt es höchstens für 12 Monate.“ Denn von der vorherigen großzügigen Bezugsdauer-Regelung von 32 Monaten ging nach maßgeblicher Auffassung keinerlei Anreiz aus, sich rasch wieder um einen Job zu kümmern. (sueddeutsche.de, 26.1.) Wenn es für die Älteren keine Jobs mehr gibt, bedeutet das keineswegs, dass die sich nicht mehr um eine Anstellung bemühen müssen. Im Gegenteil, der Druck in diese Richtung wird erhöht: Mit der Kürzung der Bezugsdauer des ALG I ist die Erpressung mit dem drohenden ALG II vielleicht endlich doch einmal „Anreiz“, sich „rasch“ um einen „Job zu kümmern“! Klar gestellt ist damit auch die Höhe der Sozialhilfe als Maßstab für die Höhe des Lohns der alten Arbeitslosen – sie dürfen zufrieden sein, wenn sie einen Job finden, dessen Entgelt darüber liegt. Dabei hilft der Staat – den Arbeitgebern: Dem Appell, sie sollen „die Kraft der Erfahrung nutzen“, folgen nämlich Maßnahmen zur Verbilligung der Alten: Die Betriebe bekommen Lohnkostenzuschüsse für die Anstellung Arbeitsloser ab 50 Jahren und müssen bei der Einstellung von über 55-Jährigen keine Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlen. Außerdem wird die Qualifizierung ab dem 50. Lebensjahr durch Übernahme der Weiterbildungskosten von der Bundesanstalt gefördert. Und damit sich die für unbrauchbar Befundenen auch für die miesesten Löhne anbieten, kann die Differenz zwischen neuem und altem Lohn zu 50% ausgeglichen werden. Die von den Unternehmern monierten „zu strengen Kündigungsregeln“ – das kleine bisschen Sicherheit, nicht gleich auf die Straße gesetzt werden zu können und wenn, dann mit etwas Geld dafür abgefunden zu werden –, waren schon Gegenstand gesetzgeberischer Bemühungen der alten Bundesregierung – die Gesetzesformulierung war aber vom Europäischen Gerichtshof als nicht europarechts-konform beanstandet worden. Erleichterte Befristungsregelungen ab dem 52. Lebensjahr kommen jetzt, und zwar entsprechend europarechts-konform ausgestaltet.

Soweit die „Initiative 50plus“. Klar ist also heutzutage, dass das, was einem Arbeitnehmer so in seinem langen Arbeitsleben an Lohnniveau und Anrechten bislang zugestanden wurde, jetzt – weil Hindernis für lohnende Benutzung – abgeschafft wird. Keiner soll meinen, es handle sich um einen fest erworbenen Besitzstand – der ist, soweit es etwas in der Richtung gab, hinfällig. Die Regelungen, die bislang in der Lebensarbeitszeit und dem entsprechenden Lebenslohn in puncto Lohnhöhe, Notlagen und Altenteil enthalten waren, werden abgebaut, weil sie nicht mehr den Anforderungen von Staat und Unternehmern gemäß sind.

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Die Öffentlichkeit urteilt, dass die Richtung der Initiative stimmt, die angekündigten Maßnahmen aber zu matt sind, um richtig wirksam zu sein. Hier will die SZ Hilfsdienste leisten und mit einem Blick über die Grenzen zeigen, wie ein derartiges Vorhaben erfolgreich umgesetzt werden kann. Ihr erscheint es zu zögerlich, wenn Müntefering in der „Initiative 50plus“ verkündet, bei der Suche nach wirkungsvollen Regeln für existenzsichernde Löhne wird auch geprüft, ob die Idee des Kombilohnes zu Gunsten der Wiedereingliederung älterer Arbeitsloser genutzt werden kann – ist man da in Großbritannien doch schon weiter: Arbeit lohnt sich wieder (SZ, 1./2.4.). Die Kürzung staatlicher Beihilfen und die Arbeitsmarktprogramme haben viele Menschen in Arbeit gebracht, lässt die SZ einen englischen Professor schwärmen. Die Anreize, eine Arbeit anzunehmen, sind brutal, aber wirksam. Das staatliche Arbeitslosengeld ist mit umgerechnet 80 € pro Woche so niedrig, dass in den Großstädten kaum jemand davon leben kann, weshalb Großbritannien heute „eine der höchsten Beschäftigungsquoten in Europa“ hat. Das Arbeitslosengeld so niedrig, dass die Leute jede Arbeit annehmen, um überhaupt leben zu können, für einen Lohn, der dafür auch nicht reicht und deshalb durch Kombination mit staatlichen Zahlungen das Niveau erreicht, dass man „davon leben kann“! Also, es geht doch, die Sozialsysteme zu sichern vor den Ansprüchen derer, die sie benötigen.