Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Tiefes Zerwürfnis zwischen der herrschenden Klasse und ihrem „geschäftsführenden Ausschuss“:
Wer ist hier unpatriotisch?

Die Unternehmerschaft, vertreten durch den Industrie- und Handelskammerpräsidenten Braun, rechnet mit der rot-grünen Bundesregierung ab. In einem bisher nicht gekannten Ausmaß nimmt die Regierung Aufsicht und Kontrolle gegenüber dem Geschäft und seinen Nebenwirkungen zurück; setzt ihre Macht andererseits ungeniert ein, um den Profit zu fördern. Diese Selbstkritik der Regierung stimmt die Herren Unternehmer nicht milde, sondern lässt ihre Ansprüche ins Maßlose wachsen.

Aus der Zeitschrift

Tiefes Zerwürfnis zwischen der herrschenden Klasse und ihrem „geschäftsführenden Ausschuss“:
Wer ist hier unpatriotisch?

Die Unternehmerschaft, vertreten durch den Industrie- und Handelskammerpräsidenten Braun, rechnet mit der rot-grünen Bundesregierung ab. Braun ist es leid, in Berlin immer neue Forderungen nach noch mehr und noch überzeugenderer Kapitalförderung zu stellen, und empfiehlt seinen Klassenbrüdern unverhohlen die Auswanderung: In diesem Staat und unter einer solchen Regierung ist den Kapitalisten die Jagd nach Profit einfach nicht mehr zuzumuten. Überall „Daumenschrauben“, Investitionshemmnisse, bürokratische Auflagen, die keinen anderen Sinn haben, als dem investitionslustigen Kapitalisten das Leben schwer zu machen. So jedenfalls sieht Ludwig Georg Braun den Standort Deutschland: Er rät den Unternehmern nicht auf eine bessere Politik aus Berlin zu warten, sondern lieber die Vorteile der EU-Osterweiterung zu nutzen.

Das hat die Regierung nun davon, dass sie den Unternehmern in den Arsch kriecht. Belehrt durch das halbe Jahrzehnt der Wirtschaftskrise bekennt sie sich wie keine vor ihr dazu, dass es auch aus staatlicher Sicht im Land keinen Gesichtspunkt gibt, der dem, dass das Kapital wachsen muss, auch nur entfernt das Wasser reichen könnte. Die rot-grünen Staatenlenker verstehen sich inzwischen zu einer regelrechten Staatskritik und machen sich bzw. ihren Vorgängern zum Vorwurf, was die Lobbyisten des Kapitals immer schon sagen: Dass nämlich der Staat mit Gesetzgebung und Verwaltung, Steuern und Auflagen nur die segensreiche Freiheit des Kapitals behindert, das unweigerlich Wachstum, Umsatz und Arbeitsplätze schaffen würde, wenn es nicht immerzu in seiner freien Betätigung beschränkt würde. Wirtschaftsminister Clement bläst zum Sturm auf eine alles bremsende Bürokratie und scheint selbst nicht mehr zu wissen, wozu das Land einmal Ladenschlussgesetze, Arbeitszeitregelungen, Tarifrecht und Umweltschutzbestimmungen eingeführt hatte. Kapitalismus ohne Staat – das wär’s! Westerwelles Blödsinn eines kapitalistischen Anarchismus findet Anhänger in der Regierung, deren alltägliche Verwaltung des Kapitalismus doch davon zeugt, wie viel Gewalt, Ordnung und Aufsicht es braucht, damit das Privateigentum Bestand hat, das Gegeneinander der Eigentümer zu einem Nationalprodukt zusammenwirkt und zur materiellen Grundlage eines nationalen Lebens taugt. Die Regierung will nichts mehr davon wissen, dass die staatliche Sicherung der Bedingungen des kapitalistischen Geschäfts dem Geschäft immer in der Form von Kosten, Beschränkungen und Auflagen gegenübertritt. Sie verschreibt sich dem Widerspruch, den Unternehmern förderliche Bedingungen zu verordnen, ohne dass die in solchen gesetzlichen Regelungen irgendeine Beschränkung entdecken können. Ihnen will sie das notwendige Moment von Gegensatz gegen das Profitinteresse ersparen und bemüht sich ganz im Sinn eines „geschäftsführenden Ausschusses der herrschenden Klasse“, nichts als deren aktuelle Interessen zum Staatsprogramm zu machen und der Gesellschaft aufzudrücken – auf Kosten nicht nur der sozialen Opfer der Profitmacherei, sondern auch des Staatshaushaltes selbst und all der Leistungen für den Wirtschaftsstandort, die aus ihm finanziert werden. In einem bisher nicht gekannten Ausmaß nimmt sie Aufsicht und Kontrolle gegenüber dem Geschäft und seinen Nebenwirkungen zurück; setzt ihre Macht andererseits ungeniert ein, um den Profit zu fördern: Aktiv bekämpft sie den nationalen Lohn, zwingt Arbeitslose in Billigjobs und bringt sie als Hebel gegen den Tariflohn zum Einsatz, demontiert das Standort-schädigende Niveau der sozialen Sicherungen und zieht unternehmerfreundliche Steuerreformen durch. Intern zerstreitet sie sich darüber, ob dem Kapital überhaupt noch gesetzliche Auflagen gemacht werden dürfen und nicht einfach alles, was als Forderung ans Kapital erscheinen könnte, von Übel ist.

1.

Die Selbstkritik der Regierung stimmt die Herren Unternehmer nicht milde, sondern lässt ihre Ansprüche ins Maßlose wachsen. Je mehr sie hochoffiziell zur Rücksichtslosigkeit bei der Verfolgung ihrer Interessen – auch gegen Voraussetzungen und Bedingungen des eigenen Geschäfts – ermächtigt sind, desto konsequenter greifen ihre Vertreter jede dann doch von der Regierung unverzichtbar gefundene Verpflichtung und Rücksicht als unerträgliche Freiheitsberaubung des Unternehmerstandes an, die der sich nicht bieten lassen kann. Sie bestehen auf der unumschränkten Gleichsetzung ihrer privaten Bereicherungssucht mit dem Gemeinwohl der Nation, die ihnen von Staat und Öffentlichkeit ja wohl konzediert worden ist. Drei Streitfälle einer Woche:

  • Eine neue Gesetzesinitiative zur Bekämpfung der Schwarzarbeit stößt auf entschlossene Ablehnung der Wirtschaft: Die Bundesregierung verfolgt mit dem Gesetz nur eine repressive Strategie verschärfter Abschreckung und schärferer Verfolgung. Da es sich bei der Schwarzarbeit aber um den Versuch handelt, Steuern und Sozialabgaben zu sparen, müsse die Senkung von Steuern und Abgaben der Kern jedes gesetzlichen Handelns sein. Nur so ließen sich die Nutznießer der Schwarzarbeit von ihrem Tun abbringen.(FAZ, 24.3.04) Mit größter Selbstverständlichkeit rechtfertigen die Unternehmerverbände die immer schon verbotene Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben beim Arbeitgeben als eine Art Notwehr, zu der sich ihre Mitglieder durch die Abgaben gezwungen sehen, die sie zu bezahlen hätten. Die coolen Lobbyisten halten der Regierung ihre Ohnmacht gegenüber dem illegalen Arrangement von Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor Augen und belehren sie darüber, dass rechtliche Zwangsmaßnahmen vielleicht beim niederen Volk angebracht sein mögen, nicht aber bei ihrem ehrenwerten Stand: Der kann von illegalen Geschäften nicht durch Verbot und Strafandrohung, sondern nur dadurch abgebracht werden, dass der Staat den Anreiz zum Rechtsbruch beseitigt: Legale Arbeit müsste ebenso billig und ohne alle Auflagen zu haben sein wie die illegale, dann würden die Nutznießer zuverlässig auf die Benutzung der Schwarzarbeit verzichten. Rotzfrech warnen die Wirtschaftsverbände die Bundesregierung vor einer Kriminalisierung der Arbeitgeber. „Eine Kriminalisierung der (Schwarz-)Arbeitnehmer“ könnten sie sich wohl vorstellen. Wenn aber Arbeitgeber Gesetze übertreten, die sie bei ihrer Profitmacherei stören, dann disqualifiziert das nicht die Rechtsbrecher, sondern die Gesetze! Solche Gesetze gehören übertreten; sie sind eigentlich selbst illegal! Unter vernünftigen Gesetzen, dann nämlich, wenn das Recht sich nach den Bedürfnissen der Kapitalisten richtet und nicht umgekehrt, können die ja gar nicht kriminell sein.
  • Volles Contra für Trittins Emissionsrechte beim klimaschädlichen Kohlendioxid: Da gibt sich die Regierung alle Mühe, die als nötig erkannte und international vertraglich zugesicherte Reduktion der Emission des Treibhausgases in einer Weise durchzusetzen, die der Wirtschaft ja nichts abverlangt, was sie belasten könnte. Bei der erlaubten Höchstmenge des CO2 –Ausstoßes orientiert sie sich an einer früheren Selbstverpflichtung der Industrie und die Art und Weise der Beschränkung gestaltet sie so wirtschaftsfreundlich wie möglich. Sie macht das Recht zur Emission zu einem Handelsartikel und stiftet mit der unvermeidlichen Schranke gleich eine neue Geschäftschance; findige Unternehmenslenker können ausrechnen, ob es billiger ist, die eigenen Anlagen energie-effizienter und ungenutzte Emissionsrechte zu Geld zu machen, oder ob es sich mehr lohnt, alte Technik weiter und vermehrt zu nutzen und entsprechende Luftverschmutzungsrechte dazu zu kaufen. Das von ihren Lobbyisten hochgelobte marktwirtschaftliche Lenkungsinstrument würden die Unternehmer schon akzeptieren, aber nur wenn der Umweltminister ihnen kostenlos mehr Emissionsrechte zuweisen würde, als sie gegenwärtig nutzen können. Nicht benötigte Lizenzen könnten sie ins europäische Ausland verkaufen und so aus politischen Entscheidungen direkt Geld machen. Da die Regierung die Rechte aber knapp bemessen wollte, damit sie ihrer offiziellen Sinngebung entsprechend zu – und sei es noch so moderaten – Rückgängen der Emissionen anreizen, steht die Antwort der Unternehmer fest: Sie drohen mit der Abwanderung und bestehen darauf, dass sich die politische Macht nach ihren Interessen zu richten hat, und nicht etwa sie sich nach Bedürfnissen des Staates. Allein der Emissionshandel werde Zigtausende Stellen in Deutschland kosten, wenn er so eingeführt werde, wie es Umweltminister Trittin plane. Die Arbeitslosigkeit hat eine Farbe: Sie ist grün! Wenn Herr Trittin die Unternehmen noch weiter belaste, werden sie noch schneller abwandern. (Rogowski, FAZ, 23.3.04)
  • Bloß keine Ausbildungsplatz-Abgabe! Die Regierungspartei diskutiert ganz vorsichtig, ob die Unternehmer der Nation einen Dienst schuldig bleiben, den sie verlangen kann. Das duale System der Berufsausbildung funktioniert nämlich so, wie es für die Unternehmer funktioniert, für den Bedarf des Staates nicht mehr. Dabei hat der Staat sein Ziel, die Abgänger der Volksschulen möglichst komplett in die Berufsausbildung zu überführen und zu gut erzogenen Lohnarbeitern herzurichten, immer schon so verfolgt, dass er es dem Geschäftssinn der Unternehmer überantwortet, Lehrlinge nach Bedarf anzuheuern und anzuwenden. Ausbildung im Ausgebeutet-Werden geht daher so, dass Lehrherren die Jugend in den Arbeitsprozess ihrer Läden, Werkstätten etc. eingliedern, nach und nach voll mitarbeiten lassen und dafür keinen Lohn, sondern eine Art Taschengeld bezahlen. Deshalb musste sich der Staat jahrzehntelang nicht um Lehrstellen sorgen, sondern allenfalls darum, dass die Lehrlinge außer Gehorchen und Sich-Anpassen an die Anforderungen ihres besonderen betrieblichen Arbeitsplatzes überhaupt noch lernten, was eine überbetriebliche Qualifikation, das „Berufsbild“ eben, verlangt und eine allgemeinere Verwendbarkeit des Ausgelernten als nur bei diesem einen Lehrherrn eröffnet. Dafür sorgt im dualen System erstens die Berufschule und zweitens eine Ausbildungsordnung, die dem Betrieb zwar einen Kanon der Lehrziele vorgibt, dessen Einhaltung aber kaum überprüft wird. Beim heutigen Überangebot an Arbeitskräften und zugleich sinkender Nachfrage ändert sich auch das „natürliche“ Interesse der Unternehmer an Lehrlingen. Sie finden für jeden möglichen Bedarf mehr als genug ausgebildete Arbeitskräfte mit Berufserfahrung auf dem Arbeitsmarkt vor – und das oft für Löhne, die nicht weit über den Ausbildungsvergütungen der Lehrlinge liegen – jede Ich-AG ist eine Konkurrenz für den Lehrling. So sinkt die Zahl der Lehrstellen; am wenigsten in den Bereichen, in denen Lehrlinge schon immer einen großen Teil der Arbeit erledigt haben – am Bau, bei Friseuren etc.; am meisten in der großen Industrie, die aus gutem Grund die Ausbildung von der Arbeit in der Produktion getrennt hat, indem sie Lehrwerkstätten betreibt, in denen sie den Nachwuchs auf seinen Arbeitseinsatz im dritten Lehrjahr vorbereitet. Die Konzerne finden die Züchtung einer für ihre Anforderungen tauglichen Stammbelegschaft inzwischen überflüssig und den bisherigen Aufwand dafür erst recht. Daher kommen, wenn das Kapital nach Maßgabe seines Bedarfs ausbildet, Jahr für Jahr größere Teile der Schulabgänger gar nicht erst in den Genuss einer Vorbereitung auf die proletarische Karriere. Ihnen gilt eine spezielle Sorge des Staates: Schulabgänger ohne Lehrstelle, Arbeit und Erwerbsperspektive entfallen nicht nur als vielleicht doch einmal gebrauchte Arbeitskraftreserve, sie könnten wegen der damit verbundenen Verwahrlosung auch aufhören, Teile des berechenbaren und rechtstreuen Volkes zu bleiben. Die Regierung hält es für nötig, dass auch ohne hinreichenden Bedarf der Wirtschaft, also ohne Aussicht auf Anstellung nach der Lehre allen Schulabgängern wenigstens der Erwerb der Qualifikation „Arbeitsmarktfähigkeit“ ermöglicht wird, d.h. der Fähigkeit und Berechtigung, sich überhaupt an der Konkurrenz um Arbeitsplätze zu beteiligen. Sie will die Unternehmer dafür gewinnen, ihre Rolle in der dualen Ausbildung in ausreichendem Umfang zu spielen, und erinnert sie öffentlich daran wie an eine Pflicht, die diese gegenüber dem Gemeinwesen eingegangen wären. Der nachdrücklichen Erinnerung dient das Kunstwerk eines Gesetzes, dessen Pfiff darin bestehen soll, möglichst nie angewendet zu werden. Die vage Drohung mit der Möglichkeit einer Abgabe, die nicht ihrer Größe entsprechend ausbildende Betriebe zugunsten der überproportional ausbildenden entrichten müssten, macht die staatliche Forderung an die Unternehmer zwar schon wieder zu einem Angebot an ihre Kalkulation – mit Ausbildung ließe sich unter dem neuen Gesetz also extra Geld verdienen! Dennoch soll es so weit nicht kommen. Das Gesetzesvorhaben hat das erklärte Ziel, von einer freiwilligen Vereinbarung mit der Wirtschaft überflüssig gemacht zu werden. Diese vorsichtige, in der SPD selbst heftig umstrittene, gesetzesförmige Ermahnung erfährt von Seiten der Unternehmer eine kompromisslose Absage: Die Strafsteuer ist ein neuer Schlag gegen personalintensive Unternehmen. Die Regierung zerstört das bewährte Modell und damit die hohe Ausbildungsquote der Bauwirtschaft. (Handwerkskammer-Präsident Philipp, FAZ, 24.3.) Das „bewährte Modell“ mag im Sinn seiner Handwerker funktionieren, dass es seine öffentliche Funktion nicht erfüllt, nimmt der oberste Handwerker nicht einmal zur Kenntnis. Für seinen Stand darf es so etwas wie eine Pflicht zur Ausbildung nicht geben. Wenn das Ausbilden nicht mehr ausschließlich ein Dienst am Interesse der Unternehmer sein und sich nicht ausschließlich nach ihrem Bedarf richten soll, dann bilden sie erst recht nicht mehr aus. Sie drohen, sich von ihrer Ausbildungspflicht freizukaufen. Dann kann die Regierung sehen, wo sie mit ihrer chancenlosen Jugend bleibt.

2.

Schröders Mannschaft fühlt sich ungerecht behandelt; sie ist ihrerseits unzufrieden – nämlich mit der Unzufriedenheit der Unternehmer mit ihr. Sie hätte erwartet, dass man ihr Bemühen würdigt, den Kapitalisten alle Lasten abzunehmen, sie nur noch zu fördern und gar nicht mehr zu fordern – und dann diese Rufschädigung durch den Stand, dem sie selbst das Recht aufs entscheidende Urteil über ihre Politik eingeräumt hat. Der sabotiert offen alles, womit die rot-grüne Regierung das Wachstum in Deutschland wieder in Fahrt bekommen will, er betreibt ihre Demontage und möglichst frühe Ablösung. Dagegen schlägt der Kanzler zurück: Immer noch repräsentiert der gewählte Regierungschef nicht nur eine Partei, sondern Deutschland – und wer Rot-Grün so angeht, schädigt Deutschland. Die Wirtschaft, die so tut, als hätte sie das Gemeinwohl gepachtet, zeigt selbst keine Verantwortung gegenüber dem Großen Ganzen: Wer den Standort schlecht redet, anstatt die Probleme hier zu lösen, handelt unanständig und verantwortungslos. Wer ins Ausland geht, ist kein Patriot. (Schröder, FAZ, 23.3.) Generalsekretär Benneter setzt noch eins drauf und belegt die Herren Unternehmer mit dem Schimpfwort, das vor 100 Jahren einmal und auch damals schon zu Unrecht den Sozialdemokraten gegolten hatte: Vaterlandslose Gesellen. An all den sozialen Schäden, die das Geschäft des Kapitals heute produziert und fordert, stören sich die regierenden Sozialdemokraten in einer Hinsicht: Deutschland hat nichts davon! Der Dienst, den die Nation sich für ihre Reformen und die sozialen Opfer, die sie damit schafft, vom Kapital erwartet hätte, lässt auf sich warten. Deshalb müssen sich die Herren Unternehmer schon einmal gefallen lassen, vom Kanzler daran erinnert zu werden, dass auch sie eine Bringschuld hätten – eigentlich. Tatsächlich kündigt der verbale Ausschluss aus dem Kreis der guten Volksgenossen, die den schuldigen Dienst am Vaterland leisten, keinen Kurswechsel in der Reformpolitik an, sondern fortgesetzte Anstrengungen, das Kapital doch noch mit dem Standort, den es so schlecht redet, zu versöhnen und für mehr Investitionen zu gewinnen. Der kalkulierten Verbalinjurie lassen Schröder & Co lauter neue Verwässerungen und Abschwächungen der geplanten Gesetze folgen. Für ein Deutschland, das die „Chancen der Globalisierung nutzen“ und an der Ausbeutung der ganzen Welt mitverdienen will, verbieten sich eben Verbote und Zwänge gegenüber landflüchtigen Unternehmern.

Zu einer wahlwerbenden Grußadresse an die arg enttäuschte sozialdemokratische Wählerbasis taugt die Kapitalistenschelte freilich schon: Seinen Wählern lässt der Kanzler erst gar keine Chance, sich patriotisch daneben zu benehmen und etwa ihre materiellen Interessen über die der Nation zu stellen, wenn er sie mit seiner Agenda 2010 verschärft fürs Kapital in den Dienst nimmt. Dafür dürfen sie sich ihre erzwungene Verarmung als einen Akt der Verantwortung für Deutschland zugute halten und ein kleines Ressentiment gegen die Unternehmer pflegen, die sich nicht ebenso selbstlos der Nation zur Verfügung stellen wie die, die gar nicht gefragt werden. Die Unversöhnlichkeit, mit der die Regierung selbst den Gegensatz der Interessen von Kapital und Arbeit exekutiert, ergänzt sie damit, dass sie den Opfern ihrer Politik gegenüber die Ideologie vom „Großen Wir“ aufwärmt, dem alle zum Wohle aller Opfer zu bringen hätten.

3.

Damit hat der Kanzler einen feinen Streit losgetreten. Die Unternehmer lassen sich nationale Pflichtverletzung nämlich nicht nachsagen und bestehen neben allem anderen auch noch darauf, dass ihrem Geschäft mit der Ausbeutung höchste sittliche Anerkennung zusteht. Wenn Volk und Regierung schon von ihrer Geldvermehrung abhängig sind, sollen die sie gefälligst auch achten: Erstens tun die Unternehmer nur, wozu sie berechtigt sind, wenn sie die größere Armut im Ausland nutzen und Leute für einen Bruchteil des deutschen Lohns ausbeuten. Zweitens tun sie auch das aus lauter Verantwortung für Deutschland – schließlich will die Nation erfolgreiche Firmen im Land haben: Die Wirtschaft ist globalisiert, deutsche Firmen müssen sich im internationalen Wettbewerb behaupten, sie können nicht mehr im nationalen Rahmen kalkulieren. Drittens mögen die Unternehmer die moralische Heuchelei, dass der Abbau von Arbeitsplätzen stets der Rettung der Arbeitsplätze dient, die nicht abgebaut werden, so sehr, dass sie diese Formel ihres Dienstes an der Allgemeinheit zur kompletten Karikatur treiben und sogar auf ihre profitsteigernde Auswanderung anwenden: Unternehmer sollen die Chancen nutzen, die in der Osterweiterung liegen. Das ist ein Rezept, um Arbeitsplätze und Lehrstellen in Deutschland zu sichern. (DIHK-Präsident Braun, FAZ, 23.3.) Denn die Chefs können sich die unsinnig hohen deutschen Löhne nur leisten, wenn sie Teil einer Mischkalkulation mit slowakischen Hungerlöhnen sind. Und daraus folgt viertens, dass die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften aus Verantwortung für deutsche Arbeitsplätze ihre Löhne gefälligst auf das slowakische Niveau herunterschleusen müssen: Hohe Löhne sind unpatriotisch.

Wer sagt’s denn mal wieder: Vaterlandslos sind Arbeitnehmer, die nicht bereit sind, längere Arbeitszeiten zu akzeptieren und starre Tarifregelungen aufzulösen, – und dann japanische Autos kaufen (Glos, CSU) – anstatt dass sie so billig arbeiteten wie die Slowaken und ihre Löhne für teure deutsche Autos verausgabten – das wäre Patriotismus! Und wer ist schuld an dem ganzen verkehrten Lohn- und Sozialniveau? Vaterlandslos ist eine Regierung, die mit wirtschaftsfeindlicher Überregulierung das Kapital ins Ausland treibt. (Merz, CDU) Aber damit landen wir ja nur wieder am Anfang der Endlosschleife des aktuellen demokratischen Dialogs.