Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
PDS-Parteitag in Münster:
Gysi & Co. sind ihre Basis leid
Die PDS-Basis widersetzt sich dem Antrag der Parteiführung, Kriegseinsätze im „Einzelfall“ zu billigen und setzt damit Gysis „Mission“ aufs Spiel, endlich eine stinknormale Partei anzuführen, die ein alternativloses Bekenntnis zur herrschenden BRD-Wirklichkeit ablegt. Das lässt sich ein demokratisch gereifter Politiker à la Gysi von seinen Genossen nicht bieten; er tritt zurück, inszeniert eine Führungskrise, um dem betroffenen Parteivolk klarzumachen, was ansteht: Die Erledigung linker Ideale.
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PDS-Parteitag in Münster:
Gysi & Co. sind ihre Basis
leid
Auf dem PDS-Parteitag lehnt die Mehrheit der Delegierten
den Antrag von Parteiführung und Fraktionsvorstand ab, im
Einzelfall
prüfen zu dürfen, ob im Ausnahmefall
der notwendige Stopp eines Völkermordes oder einer
Aggression mit militärischen Mitteln durch den
UN-Sicherheitsrat hingenommen oder akzeptiert werden
kann.
(Antragstext).
Parteivorsitzender Bisky und Fraktionsvorsitzender Gysi
kündigen an, nach Ablauf ihrer Amtszeit nicht noch einmal
zur Verfügung zu stehen. Die professionellen Beobachter
der demokratischen Parteienlandschaft wissen prompt
Bescheid: Die PDS schafft es einfach nicht, ‚normal‘ zu
werden.
„Der Parteitag gibt sich den Tränen von Frau Kaufmann hin und den Träumen von einer friedlichen Welt, in der die PDS sich als strenge pazifistische Partei gefällt. Ohne Rücksicht auf die Realität. Schlimmer kann ein Sieg der innerparteilichen Demokratie kaum ausfallen. Die Partei hat einen wichtigen Test nicht bestanden. Die vom Parteitag beschlossene Position macht die PDS politikunfähig… Denn was viele Delegierte als eine ‚Emanzipation der Basis‘ feierten, ist ein Misstrauensvotum: Die Partei traut ihrer Elite nicht zu, verantwortungsbewusst über mögliche UN-Einsätze zu entscheiden – ein Politikverbot.“ (SZ, 10.4.00)
Ein klarer Beweis politischer Weltfremdheit: Schließlich
gehört die Beteiligung an Kriegsaktionen vom Schlage des
Kosovo-Kriegs inzwischen zur Realität deutscher
Verantwortung in der Welt, was Einwände prinzipieller
Natur dagegen ja wohl von vornherein erledigt. Jede
Position, die sich nicht am gegebenen Stand deutscher
Interessen orientiert, die von der Senkung des nationalen
Lohnniveaus bis zur schnellen Eingreiftruppe für
allfällige Ordnungseinsätze reichen, und die sich nicht
an deren Durchsetzung konstruktiv zu schaffen macht,
denunziert ihre Vertreter als „politikunfähige
Träumertruppe“ (FR), die
nicht in den Kreis der Anwärter auf 5 und mehr Prozent
gehört. Und ein eklatanter Fall demokratischer Unreife:
Denn demokratische Parteitage sind in den Augen von
Kommentatoren, die sich gar nicht genug über die
‚Akklamationsveranstaltungen‘ der SED mokieren konnten,
nur dann gelungen, wenn die Basis demonstrativ auf das
Kommando der Parteioberen hört und es denen überlässt,
über das politisch Gebotene und für die Partei Beste frei
zu entscheiden. Nur durch die gelungene Inszenierung von
Geschlossenheit verdienen sich Parteien bei den
Sittenwächtern der Demokratie das Gütesiegel:
‚Glaubwürdigkeit‘. Und da hat der PDS-Parteitag einfach
auf der ganzen Linie versagt, weil ausgerechnet
ätzende dogmatische Linke aus Westdeutschland gemeinsam
mit ehemaligen SED-Kadern Gysi die Arbeit von zehn
Jahren
verderben. (Spiegel
16/2000) Man hat es ja schon immer gesagt. Die
einzig wirklich charismatische Figur der
Sozialisten
war eigentlich viel zu schade für diese
Chaostruppe
, Gysi hat nur mit seiner
Ausstrahlung viele Defizite übertünchen können.
(SZ, 10.4.) Mit seinem
Rücktritt kommt wieder mal ans Tageslicht, worüber sich
die Begutachter natürlich nie haben täuschen lassen: der
zweifelhafte Charakter dieser Partei.
Soweit die Öffentlichkeit. Der PDS-Mann mit dem
öffentlichen Charisma sieht das genauso. Gysi kommt
keinen Moment auf die Idee, dass mit dem Lob seiner
Persönlichkeit seine Partei schlecht gemacht werden soll;
er macht sie selber noch viel gründlicher schlecht:
Dass ein Parteitag sich von vier Leuten aus Hamburg
terrorisieren lässt, darf nicht noch einmal
vorkommen.
(Gysi, SZ-Interview,
11.4.) Und noch einmal für ‚Bild‘-Leser öffentlich
den pubertierenden Mensa-Genossen aus Hamburg, von
denen keiner Karl Marx verstanden hat,
ins Stammbuch
geschrieben: Das Recht einer Minderheit besteht nicht
darin, die Mehrheit zu tyrannisieren oder zu
dominieren.
(Gysi,
Bild-Interview, laut SZ, 18.4.) Der Mann hat die
bewährte Manier, beim Volk Stimmung gegen Linke zu
machen, blendend verstanden: Das sind gefährliche Spinner
und Sektierer – sie haben nämlich weder die ‚Realität‘
noch die ‚Mehrheit‘ hinter sich –, und damit erübrigt
sich jede Diskussion, die Parteigenossen sind öffentlich
zum Abschuss freigegeben. Und er beherrscht die Touren
demokratischer Politiker, die bei ihrer öffentlichen
Selbstdarstellung in Unis und anderswo gestört werden:
Bei einem Fototermin Gysis ein Transparent ‚Soldaten sind
Mörder‘ ins Bild halten – ein brutaler ‚Eingriff in seine
Persönlichkeitsrechte‘! Ihn durch die Überreichung einer
Banane lächerlich machen – ‚Terror‘ einer kleinen
radikalen Minderheit gegen die ganze Partei! Dagegen
gehorcht seine im Vorfeld des Parteitags öffentlich
ausgegebene Parole, diese Fremdkörper
in der
Partei zu isolieren
und abzustoßen
,
natürlich allen Maßstäben einer sauberen politischen
Auseinandersetzung!
Das ist nicht gerade der gewöhnliche Umgangston unter
Parteigenossen und nicht gerade ein Zeugnis von Respekt
gegenüber einem Beschluss, den ja immerhin die
überwältigende Mehrheit der Delegierten gefällt hat! Aber
offensichtlich in Gysis Augen keineswegs ein schlechtes
Vorbild für den ‚modernen undogmatischen Sozialismus‘,
den er der Partei ins Stammbuch schreibt. Es ist ja auch
kein normaler Parteitag, sondern eine Schicksalsstunde:
Gysis ‚Mission‘ steht auf dem Spiel. Die nennt der Mann,
der alle Register zieht, die Linke einmal mit ‚Springer‘
identifiziert haben, ganz unironisch: Den Deutschen
die Angst vor der Linken nehmen.
Da hat er viel zu
tun – und packt es nun seit 10 Jahren an.
Das politische Kampfziel, dem er sich verschrieben hat, heißt
„Akzeptanz“
Das ist für eine Mannschaft, die angetreten ist, für
Veränderung im Land
zu sorgen, schon ein
eigentümliches Anliegen. Es zielt nämlich nicht darauf,
durch Argumente möglichst viele für die eigene Kritik an
den Zuständen und deren praktische Durchsetzung zu
gewinnen; Anerkennung soll der eigenen Sache dadurch
verschafft werden, dass man sich die Zustimmung
derjenigen sichert, die sie anfeinden: Die Macher der
Partei haben sich die demokratische Weisheit zu Eigen
gemacht, dass es, wenn man politisch etwas erreichen
will, auf den Eindruck ankommt, den man erzeugt. Und für
diesen Eindruck, so Gysi, zählt nicht das, was man
einzuwenden hat, sondern das, was ankommt: Man muss
sich der Gesellschaft öffnen, wenn man will, dass sich
die Gesellschaft für einen öffnet, … nicht mehr primär
von Klassen reden, sondern in der Sprache der Leute,
sonst hören sie weg.
(Gysi,
Parteitagsrede) Also gilt es, das Bild richtig zu
stellen, das sich gestandene Nationalisten unter
Anleitung einer bundesrepublikanischen Öffentlichkeit von
der PDS-Opposition machen, damit sie ‚zuhören‘. Deshalb
schicken die Agitatoren der Partei jedem Einwand gleich
sein Dementi voraus, um klarzustellen, was damit nicht
gemeint ist, nämlich keinesfalls all die destruktiven
Absichten, die ihre Gegner ihnen unterstellen. Sie geben
der gediegenen Feindschaft der Öffentlichkeit – von wegen
‚Angst vor der Linken‘! – gegen alles, was sie als linke
Kritik identifiziert, recht – da handelt es sich um das
Erzübel eines ‚dogmatischen Kommunismus‘, der mit dem
Ostblock eigentlich endgültig untergegangen sein müsste
–, um den öffentlich gepflegten Verdacht, das treffe auf
die PDS zu, als ganz und gar unbegründet zu beweisen. So
kämpfen sie sich an dem – gewollten – ‚Missverständnis‘
ihrer Gegner ab, die PDS sei darauf aus, an den
bundesrepublikanischen Verhältnissen kein gutes Haar zu
lassen.
Dabei gelingen den Vorkämpfern der Partei manche
Klarstellungen über das, was sie im Land verändern
wollen: jedenfalls nichts Ungebührliches; zum Gelingen
beitragen wollen sie, ‚integrieren‘ statt ‚spalten‘. All
ihren Einwänden voraus geht die felsenfeste Überzeugung,
dass es darauf ankommt, Deutschland politisch mit zu
‚gestalten‘, ohne auch nur einmal die Frage zu erwägen,
ob das ‚System‘, die politischen und ökonomischen
Verhältnisse, in die die Ost-Bürger 1989 eingemeindet
worden sind, diese Mitwirkung überhaupt verdient.
‚Dogmatisch‘ ist das natürlich nie und nimmer, im
Gegenteil: verantwortungsvoll gegenüber der Partei; die
wäre ja sonst ‚weltfremd‘, weil ohne Teilhabe an der
Macht. Anders kann Gysi sich Politik nämlich nicht
vorstellen: Wir stehen vor der Frage, ob wir uns den
Realitäten des Lebens in Deutschland und in Europa
stellen oder uns in einer Art und Weise ideologisieren
wollen, dass wir uns eine eigene Scheinrealität schaffen,
die uns zum Fremdkörper werden lässt. Ein Fremdkörper
kann die Gesellschaft nicht verändern, er wird abgestoßen
und kann bestenfalls ein Sektendasein führen.
(Gysi-Brief an die
Delegierten)
Die Kritik an den Zuständen im Land gilt daher vor allem
anderen der Stellung der eigenen Partei in ihm: Ich
denke, dass Lothar Bisky und ich eine historische Aufgabe
hatten, die PDS in die BRD einzuführen.
(Gysi, SZ-Interview) Gemeint ist
natürlich nicht die BRD als solche – da ist die Partei ja
seit der Wende politisch unterwegs, von den regierenden
Demokraten nach Kräften angefeindet, also voll
„eingeführt“ –; gemeint ist die „bundesrepublikanische
Parteienlandschaft“, der Kreis der politisch Zuständigen,
die die Ausübung der Macht unter sich konkurrierend und
koalierend regeln und sich vom Wähler dazu beauftragen
lassen. Mit der unentwegt wiederholten Parole, die Partei
müsse endlich und endgültig in der Gesellschaft
ankommen
, signalisieren ihre Macher den Willen, sich
in dieser Sphäre einen anerkannten Platz zu erobern. Sie
machen also kein Hehl daraus, dass sie sich dort
einbringen wollen, wo die nationalen Entscheidungen
getroffen werden, und dass deswegen möglichst noch ihre
ärgsten Gegner anerkennen sollen, dass die PDS kein
Angriff auf die nationale Szene, sondern ein Segen für
sie ist: Es würde doch Sinn machen, die PDS auch als
Bereicherung zu empfinden. Ich will keine Bundesrepublik
ohne eine Partei wie die CDU… Es wäre schon ein
Fortschritt, wenn Herr Müntefering sagen würde: Es ist
okay, dass es in diesem Land auch Sozialisten gibt.
–
Worauf sich der SPDler mit seiner Sicht der Dinge nicht
lumpen lässt: Darauf können Sie aber lange warten. Die
Bundesrepublik braucht keine Partei wie die PDS.
(Streitgespräch, taz 4.3.)
Das ist sie, die Haltung, gegen die die PDS-Oberen
ankämpfen. Sie wollen zugelassen werden zum Kreis der
nationalen Macher und wissen auch, wie das zu erreichen
ist: indem sie so viel Beteiligung erobern, dass ihre
politischen Gegner mit ihnen in Parlamenten und Kommunen
kalkulieren müssen. Also gilt es, möglichst viele im
Lande für sich einzunehmen durch die gelungene
Selbstdarstellung von Willen und Fähigkeit, konstruktiv
mitzuwirken am Geschäft der Politik – „normal“ zu werden,
wie die Öffentlichkeit es ausdrückt, demokratisch normal
nämlich. Und das ist für die PDS nach Einschätzung und
Auskunft derjenigen, die es ja wissen müssen, eine enorm
schwierige und verantwortungsvolle Aufgabe, weil sie eine
ganze Welt voller Zweifler von der Ernsthaftigkeit des
eigenen Willens zu überzeugen hat, aus Unzufriedenheit
ein Mittel der Verbesserung und kein Hindernis deutscher
Politik zu machen.
Diesen langen Marsch zu nennenswerter Akzeptanz
erst im Osten und dann im Westen verfolgt die Partei nun
seit 10 Jahren mit Erfolg. Sie hat sich ein passendes
Profil
als aufstrebende politische Kraft im Lande
zugelegt - sozial, jung, dynamisch,
links, aus eigener Kraft zur Spitze!
Sie hat die
Kunst gelernt, für das eigene Bild in der Öffentlichkeit
national wichtige ‚Themen zu besetzen‘: Frieden
,
soziale Gerechtigkeit
und Aufbau Ost
. Und
sie hat für sich in der Parteienlandschaft auch einen
passenden Platz entdeckt – links von der SPD
nämlich, wo glücklicherweise Themen frei sind, um sich
genügend zu unterscheiden: Die Befürchtung, die PDS
würde sozialdemokratisch, halte ich nicht für sehr
begründet. In all den Jahren haben wir immer noch unsere
Akzente gefunden und am eigenen Profil gearbeitet. Die
PDS gilt heute als die Partei der sozialen Gerechtigkeit.
Wenn die Sozialdemokratie ihre traditionellen Werte
fallen lässt, dann wird viel Platz auf der linken Seite
frei. Wir wären bescheuert, wenn wir das nicht nutzen
würden.
(Bisky, Neues
Deutschland, 15.9.99) Die Partei hat also
erfolgreich die alte SPD-Tour zu ihrem Markenzeichen
gemacht, dass man immer noch Anderes und Besseres für
Deutschland und seine Bürger vorhat, als man an
praktischer Politik mitverantworten will. Der
„charismatische“ Mann an der Spitze lässt allerdings in
aller Bescheidenheit keinen Zweifel daran, dass dieser
Erfolg nicht so sehr an der Partei und ihrem Programm,
sondern an der Überzeugungskraft seiner Persönlichkeit
liegt, die er nur ins rechte Licht rücken musste: Das
Kalkül, durch die Talkshows zu tingeln, ist aufgegangen –
nur so hat in den ersten Jahren die von den
Nachrichtensendungen weitgehend verschwiegene PDS bekannt
werden können.
(FR,
12.4.) Volkstümlich, mit Sinn für Unterhaltung,
mit Schlagfertigkeit und Humor – dem kann einfach kein
noch so eingefleischter Linkenfeind widerstehen! So hat
Gysi erfolgreich auf dem Bonner und Berliner Parkett als
Politprofi Eindruck gemacht. Mit solcher und anderer
Überzeugungsarbeit ist die PDS zur etablierten Partei im
Osten geworden, an der ihre Konkurrenten nicht mehr
vorbeikommen – also endlich eine ‚akzeptierte Kraft‘ im
Lande, meinen ihre Organisatoren.
Erfolg verpflichtet – also Schluss mit der ‚linken Ossi-Partei‘!
Mit dem Ergebnis ihrer Bemühungen sind die Vorkämpfer der
Partei einerseits zufrieden – die Bundesrepublik ist mit
jedem Prozentpunkt schlagartig ein Stück annehmbarer
geworden, auch wenn sich sonst in Sachen ‚soziale
Gerechtigkeit‘ und so nichts geändert hat, außer dass die
Absagen an das soziale ‚Anspruchsdenken‘ des Volks durch
die Zuständigen immer radikaler geworden sind.
Andererseits stimmt der Erfolg der Partei sie zutiefst
unzufrieden – mit dem Zustand ihres eigenen Vereins. Denn
mit der gewonnenen ‚Akzeptanz‘ eröffnet sich für sie
selbstverständlich nicht die Gelegenheit, die eigenen
Einwände selbstbewusster und freier vorzubringen oder gar
ein bisschen von den guten Werken in die Tat umzusetzen,
die sie der Partei auf ihre Fahnen geschrieben haben. Mit
der erreichten Position wächst umgekehrt die Pflicht der
Partei, sich um ihre Stellung in der Parteienkonkurrenz,
also um den Beweis ihrer ‚Politikfähigkeit‘ und ihr
Erscheinungsbild zu kümmern. Prompt entdecken ihre
Vorreiter im Stand und Zustand der eigenen Partei einen
Mangel an ‚Normalität‘, der unmöglich länger hinzunehmen
ist, wenn man eine richtige, d.h. gesamtdeutsche
‚Volkspartei‘ sein und Nationalisten in Ost und West
davon überzeugen will, dass die PDS ein unschlagbares
Angebot an sie ist. Das Markenzeichen einer ‚bloßen‘
‚ostdeutschen Bürgerpartei‘ taugt einfach nicht mehr,
sobald man sich aufgerufen sieht, noch entschiedener den
Willen und die Fähigkeit zum verantwortlichen
gesamtdeutschen Mitregieren vorzuführen, um beim ganzen
Volk anzukommen: Als bloße Stimme entrechteter
Ostdeutscher haben wir kaum eine gesicherte Zukunft. Weil
aber Ost/West mittlerweile keine regionale Frage mehr
ist, sondern eine soziale, liegt unsere Chance in einer
erfolgreichen Westausdehnung.
(Bisky-Interview, SZ-Magazin)
Den Ruf, ‚bloß‘ die Unzufriedenheit der Anschlussbürger und mehr oder weniger radikal Enttäuschter zu vertreten, wollen die PDS-Oberen unbedingt loswerden, also auch die einschlägigen Erwartungen und Figuren. Sie wenden sich damit gegen ihre eigene Grundlage. Die PDS lebt ja davon, dass sie die Beschwerden von Ost-Bürgern verficht, sie würden als Deutsche zweiter Klasse behandelt und ihnen würde die gebührende Anerkennung als ordentliche Mitglieder der Nation versagt. Für diesen speziellen Nationalismus Marke Ost bietet sich die PDS als besonders glaubwürdige Adresse an: als politischer Verein, der sich um alle vernachlässigten Anliegen der Bürger kümmert, die mit ihrem Willen, dazu zu gehören, auch das Recht erworben zu haben meinen, sich gebührend einzubringen in das politische Leben der Nation, denen das aber verwehrt wird. In ihr haben all diejenigen eine politische Heimat gefunden, die sich gegen die offizielle bundesrepublikanische Lesart des Anschlusses verwahren, die Zonis seien bestens aufgehoben und statt einer Bereicherung eher eine Belastung für das Land, hätten also auf jeden Fall nichts zu fordern, sondern zufrieden zu sein und sich höchstens der Unzufriedenheit mit ihrem Beitrag zum Vorankommen Deutschlands anzuschließen; all diejenigen mithin, die meinen, die Republik müsste sie mit ihren politischen Auffassungen von sozialer Gerechtigkeit und Frieden erst noch zur Geltung kommen lassen, sich ihren moralischen Vorstellungen von guter Politik, der Erbschaft aus DDR-Zeiten, erst noch ein Stück gemäß machen, also erst noch ein besseres Deutschland werden, damit sie sich in ihm aufgehoben sehen können. So sind in der Partei alle versammelt, die gegen die gültige bundesrepublikanische Siegermoral der ‚Wessis‘ den Standpunkt hochhalten, dass die ‚Ossis‘ mit ihrer eigenen DDR-‚Biographie‘ als Volk nicht alles nur schlecht, sondern auch vieles gut gemacht haben; dass sie also durchaus gute, wenn nicht bessere Deutsche sind, die Entscheidendes beizutragen haben zu ihrer neuen Heimat, damit aber nur auf arrogante Ablehnung bei den Regierenden stoßen: ehemalige SEDler, die ihre politischen Auffassungen und Gemeinsamkeiten von gestern nicht umstandslos aufgeben wollen; Jugendliche, die in den neuen Verhältnissen für sich keine Perspektiven sehen; Mütter und Arbeitslose, die die versprochenen sozialen Leistungen vermissen; und Ost-Linke, die in und mit der Partei für eine grundsätzlich bessere nationale Alternative werben. Die PDS bietet sich diesen verschiedenen Vertretern einer berechtigten, aber nicht gewürdigten Ost-Identität als Sammelbecken und politisches Diskussionsforum an, organisiert also den moralischen Standpunkt enttäuschter Anschluss-Bürger, es ginge darum, bessere Politik im Lande durchzusetzen, und übersetzt die unterschiedlichen Auffassungen, was denn nun anders und besser werden müsste und welchen Beitrag die Ostler für ein fortschrittlicheres Deutschland zu leisten hätten, in das Versprechen, dieses Anliegen müsste nur richtig auf der politischen Bühne repräsentiert sein, dann sei Entscheidendes gewonnen. Daneben hat die Partei, weil sie eben immer schon mehr, gesamtdeutsche Kraft nämlich, sein wollte, andere von bundesdeutscher Politik Enttäuschte für sich gewinnen wollen und auch gewonnen: ein paar versprengte Linke im Westen nämlich, die in der neuen ‚sozialistischen Partei‘ die Chance erblicken, mehr zu sein als bloß eine isolierte linke Minderheit, weil man Teil einer politischen ‚Kraft‘ ist, auch wenn die ganz und gar nicht die eigenen Vorstellungen von ‚Sozialismus‘ auf ihre Fahnen geschrieben hat. Hauptsache, man gehört dazu, kann sich also einbilden, Einfluss zu nehmen, und kann die eigene ‚korrekte‘ politische Linie – möglichst lautstark – in einer Partei propagieren, die davon gar nichts hören will.
Diesen Charakter einer regional und ideologisch
‚beschränkten‘ Partei, also die Basis, der sie ihren
Erfolg verdankt, will die Führungsmannschaft jetzt
endgültig loswerden. Also gilt es erstens, das ‚Profil‘
der Partei zu verbessern; außer auf die Betreuung
sozialer Kleine-Leute-Themen
soll künftig auch auf
wachsende Akzeptanz bei Kleinunternehmern und
Selbständigen
gesetzt werden. Zweitens muss in der
Partei aufgeräumt werden, weil das Parteivolk und sein
kritischer Moralismus den veränderten ‚politischen
Realitäten‘ nicht mehr genügen, denen sich Gysi & Co.
unbedingt ‚stellen‘ wollen. Genau das soll die
Programmreform leisten, die dem Parteitag zur
Beschlussfassung vorliegt. Sie soll für die Ausprägung
des Profils der PDS als bundesweiter sozialistischer
Partei mit besonders starker Verankerung im Osten
Deutschlands und mit zunehmender Verantwortung im
Westen
(Antrag zur
Programmreform) sorgen. Mit der umstrittenen
Forderung, die bisherige Parteilinie in Sachen
‚Friedensmissionen der UN‘ zu ändern, nehmen die
‚Parteireformer‘ exemplarisch den – einzig verbliebenen –
Programmpunkt aufs Korn, mit dem die Partei einen
prinzipiellen Vorbehalt gegen die praktizierte Politik
anmeldet. Sie wollen jetzt den pazifistischen Standpunkt
zurechtrücken, den sie beim Irak- und Kosovo-Krieg noch
berechnend bemüht, bekräftigt und für die Profilierung im
Parlament funktionalisiert haben. Die strikte Ablehnung
von Kriegseinsätzen ist nach Auffassung der
Vorstandsmehrheit nämlich ein einziger Hemmschuh: Es
macht mich (im Parlament) nicht besonders glaubwürdig,
wenn alle wissen, dass die Antwort ohnehin feststeht.
(Gysi-Parteitagsrede) Ein
schönes Dementi der in den Anfangstagen der Partei noch
bemühten Phrase vom Parlament als ‚Bühne‘ für
sozialistische Propaganda! Die ‚Bühne‘ gibt zwingend den
Maßstab vor, was politisch geboten ist. Glaubwürdig ist
man dort nur, wenn man die eigenen Forderungen als
Material fürs politische Taktieren und Profilieren – und
im Ernstfall eben auch Koalieren – gebraucht. Also muss
die Basis begreifen, dass ein politisch verantwortlicher
parlamentarischer Einsatz für den Frieden die Freiheit
der politischen Berechnung einschließt, wann man
nationale Kriegsaktionen als humanitären Akt der
Friedensstiftung behandelt und wann nicht, und die
Führung von der Bindung an programmatische Beschlüsse
befreien, die sie nicht als Auftrag, sondern als Last
empfindet.
Weil die Öffentlichkeit in der Ablehnung des
Kosovo-Krieges durch die Mehrheit der Ostdeutschen eine
Bewusstseinsdeformation ausgemacht hat, gilt Gysi und
anderen der politischen Moralismus, der die Partei
auszeichnet und in dem sich das Parteivolk mit seiner
Führung einig wähnt, jetzt als ein lästiges Residuum aus
den Anfangstagen der Partei. Die friedensbewegte
Überzeugung, dass in den Kriegsaktionen der mächtigen
Nationen der versprochene Dienst an Menschen- und
Völkerrecht nicht zu entdecken ist und Krieg kein Mittel
der Politik sein dürfe, behindert sie bei ihrer
politischen Überzeugungsarbeit. Spätestens im Parlament
muss man einen solchen ‚weltfremden Rigorismus‘ ablegen
wie einst die Grünen die Turnschuhe. Und die
‚sozialistischen Positionen‘ müssen ein für alle Mal als
das kenntlich gemacht werden, was sie ohnehin längst
sind: als Arsenal eines schönen Wertehimmels, der nicht
das Handeln der Partei bestimmt, sondern das Bild
ausschmückt, mit dem sie ankommen will. Betätigung des
Idealismus bei ‚bürgernaher‘ Basisarbeit in Kommunen –
aber immer! Aber bitte nicht bei den großen
Entscheidungsfragen der Nation, wo es gilt, politischen
Gestaltungswillen ernsterer Natur zu beweisen! Alle
‚aufrechten Menschen‘ für die Partei eintreten lassen –
ja bitte! Aber gefälligst entsprechend den Vorgaben von
oben und ohne dem Verdacht Nahrung zu geben, hier sei ein
Volksteil noch nicht angekommen in der Republik!
Schließlich sind die Ost-Deutschen – soziale
Gerechtigkeit und Frieden hin oder her – inzwischen nicht
nur durch die PDS, sondern auch durch ihre Gegner bestens
bedient: Spätestens seitdem jetzt mit Angela Merkel
eine Ostfrau an der Spitze der CDU gelandet ist, müssen
doch alle sehen, dass die Bundesrepublik eine andere
geworden ist.
(PDS-Bundestagsabgeordnete Höll, SZ,
6.4.)
Mit der programmatischen Korrektur soll zugleich die Scheidung von Basis und Führung der Partei vorangetrieben werden. Die Mitglieder sollen endlich ‚normal‘ werden, d.h. sich in den Status eines bloßen Fußvolks versetzen, das seine Lichtgestalten gefälligst bei ihrem Kampf auf dem politischen Parkett nicht mit seinem Moralismus stört. Eine anständige demokratische Partei hat nämlich ihre Grundlage nicht in ihren Anhängern. Die Teilhabe an der Macht macht sie zur ‚Kraft‘. Sie entnimmt ihre Leitlinien also auch den Anforderungen an Glaubwürdigkeit, die die Öffentlichkeit formuliert und deren Erfüllung sie honoriert. Aus diesem Grundsatz ergeben sich für die Parteimitglieder ganz andere Aufgaben als eine ‚ideologische Wächterfunktion‘, wie Gysi sie den Linken vorwirft: Sie haben ihre Parteileitung nicht zu kritisieren, sondern mit demonstrativem Vertrauen deren ‚Kompetenz‘ zu beweisen und das Bild einer geschlossenen Anhängerschaft zu vermitteln, das bei mündigen Wählern so viel Eindruck macht. Also muss Schluss sein mit „Gysis bunter Truppe“, in der alle kritischen Menschen ihre Anliegen zur Sprache bringen können; jetzt müssen die basisdemokratischen Attitüden zurechtgerückt werden, mit denen die Partei sich von der SED abgesetzt und als Angebot an alle präsentiert hat, die sich in den etablierten Parteien nicht richtig vertreten sehen.
Deshalb muss – mit dem erklärten Blick auf das
gesamtdeutsche Wählervolk und die Öffentlichkeit – vor
allem mit den Linken in der Partei aufgeräumt werden:
Die dogmatische Linke hat leider einen beachtlichen
Anteil an der Diskreditierung sozialistischer
Vorstellungen. Sie macht Menschen Angst, statt sie zu
gewinnen. Sie will sie zu ihrem Glück zwingen, über sie
herrschen und neigt dazu, jeden auszugrenzen, der den
eigenen Vorstellungen nicht entspricht.
(Gysi, Brief an die Delegierten) Im
Gegensatz zu Gysi, der so gewinnend die Bürde
‚politischer Verantwortung‘ auf sich zu nehmen bereit
ist, welche Menschen glücklich macht, und der nicht
ausgrenzen, sondern die linken ‚Fremdkörper‘ nur
‚isolieren‘ und ‚abstoßen‘ will und der deshalb die
verschiedenen Linken in seiner Partei gleich in einen
Topf wirft: die linken Vertreter des in der Ost-Basis
anerkannten Standpunkts, es gelte in Deutschland gewisse
‚sozialistische Errungenschaften‘ durchzusetzen, und die
paar versprengten Radikalen aus Hamburg und anderswo, die
nicht mehr sind als eine schräge Begleitmusik zu einer
Parteimehrheit, die längst ganz woanders angekommen ist.
Zwar führen sich ‚Kommunistische Plattform‘ und
‚Marxistisches Forum‘ keineswegs als permanente
ideologische Kontrollinstanzen über diejenigen auf, die
von früh bis spät Politik für die PDS machen
(Brief an die Delegierten),
sondern diskutieren mit Vorliebe Alternativen im
Irrealis. Aber das ist denen, die in der Partei ‚Politik
machen‘ und unbedingt auch gestandene SPD-Wähler in Ost
und West beeindrucken wollen, einfach zu wenig
bedingungslose Gefolgschaft. Es reicht eben schon, dass
Sarah Wagenknecht und andere nicht umstandslos den
Standpunkt teilen, man müsse sich die Akzeptanz in
Talkshows und durch den heftig demonstrierten Willen zur
‚Politikfähigkeit‘ sichern. Also wollen sie nichts
anderes als potentielle PDS-Wähler „abschrecken“. Anders
denn als mutwilligen Angriff auf das ehrenwerte Ziel,
anzukommen, kann die gewinnende Führungsfigur die
abweichenden Anliegen der Parteilinken nämlich nicht mehr
verstehen. Innerparteiliche Kritik an der politischen
Linie ist mithin ein einziger Angriff auf ihn und seinen
unvergleichlichen Dienst für die Partei. Statt dass
alle in der PDS verstanden hätten, dass die Zunahme
meiner Akzeptanz außerhalb der Partei auch eine Chance
für sie ist, gab es eine größer werdende Gruppe, die dies
immer nur denunziert hat. Das kotzt schon an.
(SZ-Interview)
Gysis Abschied – ein ultimativer Denkzettel an die Basis
Die Basis verweigert auf dem Parteitag die verlangte
radikale Korrektur. Statt die eigenen politischen
Anliegen selbstkritisch den Notwendigkeiten ihrer
professionellen Vertretung anzupassen sowie die Linken
mundtot zu machen und so die Geschlossenheit und
Führungskraft der Partei zu beweisen, stellt sich die
Mehrheit der Parteitagsdelegierten – aus
unterschiedlichen Gründen – quer. An einen ‚Aufstand der
Basis‘, wie ihnen öffentlich unterstellt wird, denken sie
bei ihrem Votum nicht. Die Mehrzahl der Delegierten will
nur an diesem zentralen Punkt ihrer ‚politischen
Identität‘ festhalten und beruft sich dabei auf den
unbedingten Friedenswillen, dem man sich doch gemeinsam
verpflichtet wisse. Ein Fall von Destruktivität
,
wie die Antragsteller meinen, weil die Delegierten mit
ihrer Auffassung von Glaubwürdigkeit einfach nicht
begriffen haben, dass jetzt endlich der Schritt von einer
regionalen Oppositionspartei hin zu einer anerkannten
Volkspartei ansteht.
Deswegen verabschiedet sich Gysi von der Parteibasis,
nicht ohne ausgiebige öffentliche Erläuterungen, dass das
als Erpressung gemeint ist, jetzt endlich zur ‚Vernunft‘
zu kommen: Solange ich da vorn stand, konnte man in
der Partei machen, was man wollte. Selbst meine
entschiedensten Gegner haben sich immer darauf verlassen,
dass ich schon für die Akzeptanz sorge, die sie auch
benötigen. Das fällt nun plötzlich weg.
(SZ-Interview) In aller Bescheidenheit
teilt Gysi der Partei also mit, welche Last er ihr bisher
erspart hat und was jetzt auf sie zukommt: Sie muss sich
jetzt selber darum kümmern, die Meriten zu erwerben, die
bisher ganz auf sein Konto gingen. Der Beitrag, den er
dafür leistet, besteht darin, ihr die richtige Richtung
zu weisen: Ohne sein Charisma muss endgültig Schluss sein
mit dem schädlichen linken Unsinn. Der undogmatische
Sozialist versteht sich darauf, die ‚guten Menschen‘ in
der Partei, die ihm mehrheitlich die Gefolgschaft versagt
haben, in Schutz zu nehmen, indem er sie für unmündig
erklärt: Sie haben keinesfalls wirklich gewollt, was sie
beschlossen haben, sondern ihn, also auch sich
terrorisieren und sich zu einem falschen Votum hinreißen
lassen. Er setzt also auf die Ressentiments seiner
Ost-Delegierten – ‚Wir lassen uns nicht von linken
Besser-Wessis entmündigen!‘ –, um so dem Parteivolk
klarzumachen, was ansteht: Die Linken loswerden, mit
denen man sich öffentlich unmöglich macht. Und damit auch
nicht der geringste Zweifel aufkommt, wie das zu
verstehen ist, gibt er dezente Hinweise für die
Erledigung der paar Hamburger Störenfriede durch
symbolische Akte
: Die PDS-Satzung sieht auch
andere Möglichkeiten vor als
Parteiausschlussverfahren.
(Gysi, SZ, 12.4.). Wenn die
Parteimitglieder das endlich begreifen, haben sie den
Test auf ihre demokratische Reife bestanden.
Andere machen klar, wer sonst noch alles in der Partei
nichts mehr verloren hat: Wir haben der alten
Funktionärselite der DDR ein Friedensangebot gemacht. Wir
haben gesagt: Wir nehmen euch mit, wir stoßen euch nicht
aus, wir verteidigen auch eure Rechte. Aber nur unter
einer Bedingung, dass ihr die Klappe haltet. Ihr könnt
den Kommunismus ausleben, ihr bekommt eure Wärmestube –
aber nur in der Partei. Ihr habt kein Recht, die Partei
nach außen zu vertreten und die Reformentwicklung in
Frage zu stellen… Soll doch die Kommunistische Plattform
eine KP gründen… Die bekämen bei Landtagswahlen ja nicht
einmal ein Prozent.
(Dietmar
Keller, Berater des PDS-Fraktionsvorstandes, Spiegel
16/2000) Ein schönes Bekenntnis zum Zynismus, mit
dem führende PDSler ihren politischen Verein gegründet
und geführt haben: Die Berechnung, die politische
Hinterlassenschaft der SED für die Partei zu
instrumentalisieren, kommt wie eine Gnade an Alt- und
Jungstalinisten daher, sich in der Partei ein
nostalgisches Nest einzurichten, solange man nicht stört.
Damit soll jetzt Schluss sein, weil die Macher der Partei
endlich eine ordentliche, in die Parteienlandschaft
passende, also wirklich ‚etablierte‘ Partei stiften
wollen und deswegen an ihrer Existenzgrundlage leiden.
Also kündigen sie das berechnende Einverständnis mit
ihrer Basis auf und dringen auf Sortierung – so
dogmatisch und gehässig, wie es nun einmal in einer
demokratischen Partei zugeht, zumal wenn
innerparteiliches Säubern ansteht. Und die Mehrheit der
Partei ist nicht aufgebracht über ihre Führung und
entzieht ihr nun erst recht die Zustimmung, sondern ist
enorm betroffen über die ‚Führungskrise‘, in die sie die
Partei durch ihr eigenes Votum gestürzt sieht. So
bestehen gute Aussichten, dass die Botschaft doch
ankommt.
Die Führung besteht auf der Unvereinbarkeit von Demokratie und Sozialismus – die Linken wollen sie nicht wahrhaben
Mit dieser ‚Krise‘ liefert die PDS ein Lehrstück in Sachen Demokratie. Mit ihrem innerparteilichen Kampfprogramm machen die Organisatoren einer ‚modernen linken Kraft im Lande‘ nämlich klar, dass demokratische Interessenvertretung ohne ein alternativloses Bekenntnis zur politischen ‚Realität‘ und deren Sachzwängen nicht glaubwürdig, also nicht zu haben ist. Sie bekennen sich dazu, dass der Anspruch, eine politikfähige Partei zu sein, sich mit Forderungen nach besserer Politik und mit Vorstellungen von Alternativen, also mit ‚Sozialismus‘ nicht verträgt. Je mehr der Verein, der sich diesem Programm verschrieben hat, sich einen Platz im demokratischen Getriebe erobert hat und weiter erobern will, umso weniger lässt sich von den Versprechungen halten, für die anzutreten er behauptet. Solche Vorstellungen radikaler Verbesserungen taugen bestenfalls als Markenzeichen einer Opposition, die sich neu einführen will in den Kreis der politischen Macher und deswegen damit wirbt, dass sie es ernst meint mit dem politischen ‚Neugestalten‘. Mit zunehmendem Erfolg aber müssen sie der neuen Rolle einer mitgestaltenden Kraft, die die Partei anstrebt und mit der sie wirbt, angepasst werden. So geht sie, die freiwillige Gleichschaltung in einer funktionierenden Demokratie, die nach den Grünen jetzt auch die PDS vorexerziert. So gründlich, dass die Öffentlichkeit und die Partei selber bei der verrückten Frage landen, ob es die Partei mit ihren programmatischen Dementis, sie sei auf radikale Alternativen aus, überhaupt noch braucht, wenn sie letztlich doch nur das will, was andere auch schon, und sogar schon in der Regierungsverantwortung, vertreten.
Die angefeindeten Linken aber wollen diese Klarstellung
einfach nicht zur Kenntnis nehmen, sondern stellen sich
als ‚Linke‘ im Namen einer ‚sozialistischen Alternative‘
fest auf den Standpunkt einer fiktiven gemeinsamen
Verantwortung für Wohl und Wehe der Partei. Die
‚Kommunistische Plattform‘ zum Beispiel denkt gar nicht
daran, mit den Parteioberen zu brechen, sondern wirft
Gysi und Bisky im Gegenteil vor, sie hätten mit ihrem
Doppelrückzug völlig überzogen und unverantwortlich
reagiert, nämlich den Eindruck eines prinzipiellen
Zerwürfnisses erzeugt, für den es gar keinen Grund gibt:
Trotz des Respekts vor dem Beitrag der Genossen Bisky
und Gysi am Erhalt und an der Entwicklung der PDS und
ungeachtet der Verletzungen, die auch uns zugefügt
wurden, sei es fahrlässig, sich zur gleichen Zeit in
einer Situation faktisch zu verabschieden, die es vor
allem den Medien ermöglicht, dies in unmittelbare
Verbindung mit einer grundlegenden politischen
Entscheidung zu bringen.
(Erklärung der Kommunistischen Plattform, junge
Welt 12.4., zitiert nach FAZ, 14.4.) Wenn es nach
dieser Parteifraktion gegangen wäre, wäre das
Erscheinungsbild der Partei jedenfalls nicht so
nachhaltig beschädigt worden; es hätte nämlich überhaupt
keine Konsequenzen geben müssen – außer gegen die
Hamburger Radikalen, von denen sich die ‚Kommunistische
Plattform‘ viel mehr ‚verletzt‘ sieht als von Gysi.
Diesen Linken geht ihre bescheidene politische Rolle als
das bessere Gewissen der PDS über alles – an der halten
sie fest, solange sie gelassen werden.