Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Das hat noch gefehlt:
PDS verklagt Regierung wg. Übergehens des Parlaments beim Entscheiden von Kriegsfragen

Verklagt wird die Regierung von der Bundestagsfraktion der PDS, und zwar mittels des Instruments der „Organklage“, mit dem das Öffentliche Recht Kompetenzstreitigkeiten zwischen Staatsorganen regelt. Gegenstand des Verfahrens: Die Bundesregierung habe, so die PDS, mit ihrer Zustimmung zur neuen Militärdoktrin der Nato, die diese auf ihrem Gipfel vom April 99 beschlossen hat, den Deutschen Bundestag in seinen Rechten verletzt

Aus der Zeitschrift
Gliederung

Das hat noch gefehlt:
PDS verklagt Regierung wg. Übergehens des Parlaments beim Entscheiden von Kriegsfragen

Mitte Juni beginnt vor dem 2. Senat des Bundesverfassungsgerichtes mit der Anhörung der betroffenen Parteien ein nicht alltägliches Verfahren: Beklagt – die Bundesregierung, zu ihrer Verteidigung angetreten – Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping. Verklagt wird die Regierung von der Bundestagsfraktion der PDS, und zwar mittels des Instruments der „Organklage“, mit dem das Öffentliche Recht Kompetenzstreitigkeiten zwischen Staatsorganen regelt. Gegenstand des Verfahrens: Die Bundesregierung habe, so die PDS, mit ihrer Zustimmung zur neuen Militärdoktrin der NATO, die diese auf ihrem Gipfel vom April 99 beschlossen hat, den Deutschen Bundestag in seinen Rechten verletzt. Besagte Doktrin sei ihrem Wesen nach ein neuer NATO-Vertrag, den die Regierung dem Parlament zur Ratifizierung hätte vorlegen müssen. Und wenn das schon sonst niemandem aufgefallen ist, so kommt jedenfalls die PDS mit ihrer Organklage einer hohen Verantwortung nach: „Es gilt zu verhindern, dass die Gewaltenteilung weiter zugunsten der Exekutive und zu Ungunsten der Legislative verschoben, dass Außen- und Sicherheitspolitik am Bundestag vorbei betrieben und die rechtlichen Grundlagen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr in eine unsichere Grauzone gebracht werden.“ (PDS-Zitate: www2.pds-online.de, „Dokumentensammlung Organklage“)

1.

Bemerkenswert an dieser Affäre ist zum einen, wie Kriegsgegnerschaft in Deutschland im Jahr 2001 geht: Der Skandal ist, dass in Fragen von Krieg und Frieden eines der allerhöchsten Staatsorgane übergangen worden ist! Anscheinend will der zeitgenössische Pazifist unbedingt auch noch die letzte Konsequenz aus seinem verkehrten Standpunkt ziehen – nämlich dem, Staat und Krieg für trennbare Angelegenheiten zu halten, die Obrigkeiten, die Kriege beschließen, zivilisieren, Staaten pazifizieren zu wollen und sich von ihnen zivilere Umgangsformen zu wünschen: Er versucht gar nicht erst mehr, für sein Anliegen Leute auf die Beine zu bringen, sondern sucht gleich im Recht des Staats sein Instrument.

Sein Mittel der Wahl besteht darin, eine Ermittlung zu beantragen, ob zwischen den Abteilungen der befugten höchsten Gewalt alles nach „rechtlichen Grundlagen“ zugegangen ist – also vom obersten Staatsgericht feststellen zu lassen, ob vielleicht der oberste Gesetzgeber in seiner Entscheidungskompetenz in Kriegsdingen vom obersten Exekutor juristisch unzulässig beschnitten wurde oder nicht. Und? Wenn nicht – ist dann auch für den Friedensmenschen mit dem Spruch aus Karlsruhe die Sache rum? Und wenn doch – nun, dann wäre die praktische Konsequenz aus einer vom Gericht angemahnten Einhaltung des demokratisch-rechtsstaatlichen Prozedere eben genau das Ausräumen „einer unsicheren Grauzone“. In jedem Falle eine runde Sache, vom Standpunkt unbehelligter Ausübung der Staatsgewalt aus: Mit der nach Verfassungslage korrekten Kompetenzzuweisung innerhalb der arbeitsgeteilten Staatsgewalt ist die Unan-fechtbarkeit ihrer Entscheidungsfindung in Sachen Krieg & Frieden bekräftigt, und „die rechtlichen Grundlagen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“, um die Gysi und Co. sich so rührend sorgen, sind wasserdicht. Von einer Bremsung bundesdeutscher Kriegskalkulationen also keine Spur.

Um diese Sache ist es der PDS beim Einsatz der Methode „Organklage“ aber schon zu tun. Das merkt man der Methode zwar gar nicht an. Aber immerhin noch daran, dass diese Partei eine von ihren sämtlichen Parlamentarier-Kollegen abweichende Auffassung zur NATO von anno 99ff vertritt. Bloß welche! „Aus einem Bündnis zur Verteidigung der NATO-Staaten gegen einen Angriff von außen wurde ein Instrument, das mit militärischen Mitteln auf Krisen und andere Beeinträchtigungen der NATO-Interessen auch außerhalb des Bündnisgebiets und ohne Mandat des UNO-Sicherheitsrats reagiert.“ Mit der niedlichen NATO von damals, die ja zum schieren, hochanständigen Zweck der Verteidigung vom eigenen Bündnisgebiet aus einen kompletten Ostblock atomar und konventionell bedroht und „totgerüstet“ hat, hat die PDS von heute also ihren Frieden gemacht. Bleiben ihre Einwände gegen die NATO von heute. Bei deren Würdigung weiß man wieder einmal nicht, was man mehr bewundern soll: einerseits den Idealismus, der sich in guter pazifistischer Tradition just bei Gelegenheit der Deklaration einer zeitgemäß runderneuerten Kriegsdoktrin des machtvollsten Militärbündnisses aller Zeiten weigert, die in diesem Bündnis organisierte Militärgewalt mit den Interessen zusammenzuschließen, die seine Mitglieder daheim und auswärts als ihre notwendige Staatsräson verfolgen, und denen lieber zutraut, sie könnten doch genau so gut einer friedliebenden, rein verteidigungs- und UNO-orientierten „Außen- und Sicherheitspolitik“ nachgehen. Oder andererseits den Realismus, über den die in der Demokratie angekommene Partei des demokratischen Sozialismus mittlerweile verfügt: Sie wünscht sich grundgesetzkonforme Wege zur Gestaltung der internationalen Beziehungen und (!) der Entwicklung der NATO und kann sich auch völkerrechtlich einwandfreie und damit unanfechtbare Kriege – mit „Mandat des UNO-Sicherheitsrates“ und womöglich nach Ausschöpfung aller vormilitärischen Erpressungsmanöver à la Wirtschaftssanktionen und Waffenembargos – durchaus vorstellen.

Anders als mit dem Gesetz auf seiner Seite will sich der Pazifismus heute offenbar nicht mehr sehen lassen – und vermutlich hält er das auch noch für seine Stärke: Der will die moralische Dummheit, Staaten das Recht auf Krieg abzusprechen, partout in der absurden Form auf die Spitze treiben, dass er an den Stifter und Hüter des Rechts, den Staat, den Antrag stellt, er möge selbst buchstäblich juristisch an seinen Gesetzen entlang die (Un-)Rechtmäßigkeit seiner kriegerischen Aktivitäten feststellen: Alle rechtsstaatlichen Mittel müssen genutzt werden, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und den Rechtsbruch offen zu zeigen. Und wenn der sich dann doch etwas anderes als einen offenen Rechtsbruch bescheinigt, dann ist der demokratische Sozialismus in Deutschland beim Sensibilisieren der Bevölkerung für seine Anliegen wieder ein Stück weiter: Bis ins Letzte hat er dann darauf bestanden, dass auch in Kriegsangelegenheiten alles rechtsförmlich korrekt abgewickelt und damit abgesegnet wird. Da weiß man doch, was man an ihm hat!

2

Interessant an der Affäre ist zum anderen die Reaktion der beklagten Regierung. Klar ist schon mal, dass sie sich empört darüber äußert, mit einer Klage von der PDS belästigt zu werden. Wenn diese Immer-noch-NATO-Abweichler sich dieses Mittels bedienen, dann ist das schließlich etwas anderes, als wenn, wie vor etlichen Jahren, die F.D.P. den Klageweg beschreitet, und zwar mit dem erklärten Zweck, eine „rechtliche Grauzone“ beseitigen zu lassen und mit der Gutheißung des Dienstes von Bundeswehr-Soldaten in AWACS-Flugzeugen über dem Kriegsschauplatz Bosnien dem „grundgesetzkonformen“ Einstieg der deutschen Bündnisarmee ins aktive Kriegsgewerbe „außerhalb des Bündnisgebiets“ den Weg zu bahnen. Da die amtierende rot-grüne Regierung, die von dieser rechtlichen Pioniertat profitiert hat, nun aber schon mal als beteiligte Prozess-Partei sich zu dem von der PDS losgetretenen Verfahren einlassen muss, bestreitet sie ihre Stellungnahme mit einer sachgerechten Klarstellung über die Qualität der Entscheidungsfindungsprozesse, die in Kriegsdingen selbstverständlich auch in demokratisch-gewaltenteiligen Staatswesen die einzig wahren sind: Nicht bloß, dass man auch in Demokratien beim Thema Krieg das Volk nicht befragen kann; auch die Volksvertreter haben sich, obwohl sogar Teilhaber an der Macht, in den Bereichen nicht einzumischen – denn wo die allerobersten Führer der Nation sich ihrer höchsten Verantwortung stellen und, gewöhnlich noch unter dem Druck einer nationalen Stress-Situation, vom Zentrum der Macht aus für ihre Volksgenossen minderen Ranges Kriegsfragen entscheiden müssen, da dürfen sie ungeteilte Gefolgschaft erwarten (so sagt es übrigens auch die einschlägige Gesetzeslage). Doch der Außenminister weiß bei seinem Plädoyer für den Primat der Exekutive in Kriegsangelegenheiten nicht nur auf ‚Gefahr im Verzuge‘ hinzuweisen, wo die nationale Führung sich womöglich mal rasch umentscheiden muss; auch das Gegenteil, die Kontinuität nationaler Verteidigungspolitik spricht für dasselbe – nämlich dafür, den „außenpolitischen Spielraum der Bundesregierung“ nicht ungebührlich zu beschränken:

Fischer beschwor das ‚größte Risiko, dass existierende Bindungen gelockert werden könnten‘, und befürchtete, dass ein Machtvakuum entstehen könnte. Seine Sorge gelte einem möglichen Ende des amerikanischen Engagements auf dem Balkan. (SZ, 20.6.) Die außenpolitische Staatsräson der Bundesrepublik, die sich heutzutage und bis auf weiteres als Bündnisräson in NATO und WEU präsentiert, weil Deutschland für seine ausgreifenden außen-, und das heißt immer zugleich sicherheitspolitischen Interessen auf die Mit-Nutzung der militärischen Leistungsfähigkeit hierin überlegener Partner angewiesen ist und dafür umgekehrt als verlässlicher Partner und Beiträger zur Bündnismacht aufzutreten hat – dieser Eckpfeiler der Macht des imperialistischen Deutschland um die Jahrtausendwende ist zu wichtig, als dass man ihn Parlamentariern, die nach Lust und Laune wechselnde Mehrheiten fabrizieren, überantworten dürfte. Meint der amtierende Exekutor und derzeitige Garant der Intaktheit der außenpolitischen deutschen Staatsräson – und spricht da ganz als Charaktermaske der Macht, indem er ausdrücklich darauf besteht, dass ihn von den gewählten Volksvertretern im Parlament die Inhaber der mit seinem Amt verbundenen Staatsmacht unterscheidet.

3

Gegenüber der Initiative der PDS haben ihm im Juni praktisch alle Sachverständigen für Deutschlands Außen- und Sicherheitspolitik Recht gegeben, was die SZ (20.6.) mit Häme gegen die politischen Außenseiter so resümiert: Der Bundestag wiederum, dessen Rechte auf verfassungswidrige Weise verletzt sein sollten, fühlte sich gar nicht verletzt. Und selbst der außenpolitische Sprecher der PDS-Bundestagsfraktion W. Gehrke weiß dem Umstand, dass der Bundestag bisher noch jedem Regierungsvorhaben in Sachen Balkan-Krieg seinen Segen erteilt hat, bloß den angeblichen Nutzen einer von der PDS ausgelösten wuchtigen Debatte entgegenzusetzen: Leider habe ich überhaupt keinen Zweifel, dass der Bundestag zustimmen würde. Aber wir würden ihm eine sehr umfangreiche Sicherheitsdebatte aufzwingen. (junge welt, 7.7.)

Und die hat die Nation ja nun auf der allerhöchsten Ebene eines methodischen Räsonnierens über die Notwendigkeiten und Entscheidungskompetenzen in letzten Fragen der Staatsräson: Ist die Bundeswehr überhaupt genügend gerüstet? Und ist nicht zur Stärkung der Handlungsfreiheit der Regierung in Krisenlagen – wie die bewährten CDU-Außenpolitiker Schäuble und Lamers fordern – schon längst eine Grundgesetzänderung zur Abschaffung des Parlamentsvorbehalts fällig? Ob das die Debatte ist, die die PDS sich gewünscht hat? Dummerweise lässt sich das bei Deutschlands demokratischen Sozialisten noch nicht mal ausschließen.