Kommunisten, wie wir sie mögen (I) Die PDS heute
Von den vergeblichen Anpassungsleistungen einer unverbesserlichen Nachfolgepartei

„Gnadenlos normaler“ Nationalismus – von unten, von links und vor allem vom Osten her! Dagegen steht die Einheitsfront der Demokraten mit ihrem Verfassungsschutz-Patriotismus. Denn die PDS stört wg. Erfolg und sie vertritt den Zoni – das ist verdächtig und hat Konsequenzen.

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Kommunisten, wie wir sie mögen (I)
Die PDS heute
Von den vergeblichen Anpassungsleistungen einer unverbesserlichen Nachfolgepartei

10 Jahre nach dem Anschluß ist die Nachfolgerin der ehemaligen Staatspartei der DDR in der politischen Landschaft des anschließenden Staates eine feste Größe. Erneut ins Parlament gewählt, erstmals an einer Landesregierung beteiligt: Ihre Anhänger halten das für einen schönen Erfolg, ihre Feinde – alle Träger des demokratischen „Verfassungsbogens“ in Regierung und Opposition – für einen unerträglichen Zustand. Was die PDS treibt, ist eine Sache: Sie ist bei allen Problemstellungen und -lösungen, die diese feine Nation kennt, wenn nicht mit Tat, so doch stets mit Rat dabei. Daß die PDS es ist, die das treibt und überall dabei ist, die andere – und entscheidende. Die nicht, lautet das einstimmige und vernichtende Urteil der politischen und öffentlichen Front gegen „Honeckers Erben“ – in Rat und Tat. Die einen strengen sich an, jede Abweichung vom allgültigen Konsens der gewachsenen Nation, die man ihr vorwarf oder die sie selbst als Mangel verspürte, zu tilgen; die maßgeblichen Vertreter der Republik halten an dem prinzipiellen Vorbehalt fest, daß eine parteiliche Anwältin der menschlichen Erbmasse des einkassierten „Unrechtsregimes“ in diesem Gemeinwesen nichts zu suchen hat. – Ein schwer auflösbarer Konflikt.

Die Politik der PDS: „Gnadenlos normaler“ Nationalismus

Mit dem Wiedereinzug in den Bundestag, diesmal in Fraktionsstärke und unter einer rot-grünen Regierung, sieht die PDS-Spitze die Zeit gekommen: Nicht krasse Opposition, sondern antreibende Unterstützung (Gysi) steht auf ihrer Tagesordnung. 39mal Beifall aus den Reihen der PDS während der Regierungserklärung Gerhard Schröders, zählt die Frankfurter Rundschau und zitiert Lothar Biskys Herzenswunsch: Nach der Phase der Ausgrenzung beginne nun die Zeit der ‚gnadenlosen Normalität‘. Wobei das Moment von Zumutung, auf das der Vorsitzende anspielt, offenbar geringer wiegt als die erhoffte Prämie der neuen Oppositionsrolle: Von der Ankündigung solidarischer Klapse für das neue Herrschaftspersonal, zu dem sie eine „größere Nähe“ als zu Kohl verspürt, erwartet die PDS ihre Anerkennung als gnadenlos normale Partei. Unter Erinnerung an ihre ehedem ein wenig krasser vorgetragene Kritik an „pur“ kapitalistischen Lebensverhältnissen und „un“demokratischer Machtverteilung sieht sie sich da angekommen, wo sie immer hin wollte: Die Partei ist auf dem guten Weg zur Mitverantwortung.

Und das nicht etwa, weil sie mit der Kritik gebrochen hätte; sie hat sie nur konsequent zu Ende gedacht: Wer immerzu mit Verbesserungvorschlägen in Sachen Leitung der Nation aufwartet; wer die Politik von der sozialfürsorglichen Verwaltung der Armut über den zweckmäßigen Gebrauch des Steueraufkommens und der Staatsschuld bis hin zum garantiert friedlichen Einsatz nationalen Gewichts in der Außenpolitik für rundum verbesserungsfähig, also auch verbesserungswert hält; der muß sich bald selber die Frage stellen, ob er krampfhaft auf den alternativen Seiten seines praktizierten Nationalismus besteht oder lieber am ‚Machbaren‘ mitstrickt, das zwar immer nur ‚vorläufig‘, dafür aber bestechend ‚konkret‘ ist. Die Chance, Politikfähigkeit nachzuweisen, ist jetzt da – die PDS wird in zwei ostdeutschen Landtagen von der SPD zum Regieren gebraucht, erhält eine Bundestagsvizepräsidentin und darf im Vorsitz des Petitionsausschusses Beschwerdebriefe ihrer Landsleute beantworten –, wird weidlich genutzt und ruft zugleich das innerparteiliche Gewissen auf den Plan. Die Süddeutsche Zeitung berichtet vom Berliner Parteitag 1999:

„Jungkommunistin Sahra Wagenknecht fürchtet um die sozialistische Identität der Partei. Sie warnt vor dem Verlust von Glaubwürdigkeit: ‚Wenn das unser Weg ist, Genossen, wo gehen wir dann hin? Mir graut vor dem Tag, an dem die PDS ihren Schily und ihren Fischer hat!‘“

Irgendwie muß die Frau etwas verpaßt haben. Ihr verbissenes Engagement für Glaubwürdigkeit läßt sie einfach nicht glauben, was kaum zu übersehen ist: Die PDS geht nirgendwo hin, sie ist längst angekommen; nicht eines gruseligen Tages wird sie ihren Schily und ihren Fischer haben, sie hat einen Bisky und einen Gysi. Und die haben – wie es gute demokratische Sitte ist, sofern sie in keiner DDR-Volkskammer stattfindet – die Mehrheit, also das Sagen, also recht: Sahra hat rhetorisches Talent, aber sie hat keine Mehrheit. In einer Partei kommt es darauf an, was sich durchsetzt, nicht so sehr darauf, was es alles gibt (Gysi).

Was sich in der PDS durchsetzt: Das sind tiefe Einsichten in die Kunst verantwortlichen Handelns. Was sie – per Zustimmung in Bonn, im Magdeburger „Tolerierungsmodell“ oder als Koalitionspartner in Meck-Pomm – an der Macht zum Wohle der Nation anstellt, das ist sie ihren Wählern schuldig. Den doppelsinnigen Gebrauch von ‚Verantwortung‘ beherrscht die PDS wie jede andere Partei; nicht normal ist lediglich der zusätzliche Rechtfertigungsbedarf, der davon rührt, daß die PDS von woanders herkommt:

„PDS – das heißt: Politik von unten, von links und vom Osten her!“ (Biskys Parteitagsrede).

Erstens: Von unten!

Mit der Programmatik fiel die PDS einerseits noch nie groß aus der Rolle, weil auch keine andere Partei auf die Idee käme, mit der Selbstverständlichkeit zu werben, „Politik von oben“ zu machen. Woher denn sonst? Für das Unten, für wen denn sonst, als dessen Oben sie sich regelmäßig ermächtigen lassen, machen Volksparteien Politik, was ein einziges Angebot ist: Wir regieren das Land und seine Leute, und das sogar besser als die Konkurrenz. Andererseits war das „von unten“ bei der PDS als zunächst notorischer Oppositionspartei immer etwas anders gemeint: Die Macht hätte gerade dem einfachen Volk eher zu geben als von ihm zu nehmen. Dieses wohlmeinende Dogma aus der Schatzkiste gutpolitisierter Untertanen ist nun umzudefinieren. Denn die Freunde des Unten mögen sich zwar immer noch mehr der Broiler- als der Kaviarperspektive verbunden fühlen, sind aber zweifelsfrei oben: In den Anstalten demokratischer Herrschaftsausübung eben – und deren Maßstäbe bilden jetzt die Richtschnur ihres Handelns. Die Hoffnung auf den Staat als Erfüllungsgehilfen eines besseren Lebens muß die PDS dafür nicht einmal kritisieren; der Standpunkt der Obrigkeit erniedrigt jedes persönliche Bedürfnis schon ganz von selbst zum bloß ‚Wünschbaren‘, dessen Erfüllbarkeit vom wirklich ‚Machbaren‘ abhängt. Zur Erklärung dieses Übergangs bemüht die PDS in der Tat den Blickwinkel „von unten“; die volkstümliche Ideologie von der begrenzten Haushaltskasse des Staates, die genauso leer sei wie die meisten Sparbücher in DM-Besitzer verwandelter Arbeiter und Bauern, ist zur Selbstdarstellung einer linken Partei ‚in der Verantwortung‘ – die nie so kann, wie sie will, das aber feste! –, wunderbar geeignet:

Zweitens: Von links!

„Da, wo die PDS in der Verantwortung stehe, könne ‚nur real vorhandenes und nicht virtuelles Geld aus vorerst nicht realisierten PDS-Konzepten‘ ausgegeben werden“ (Bisky, nach: Neues Deutschland). Bedauernd, aber entschlossen teilt er mit, daß die PDS die Wünsche ihrer Anhänger ausschließlich an der gebieterischen Macht des Geldes mißt und blamiert, genauer eigentlich: an den staatlichen Zwecken, für das es ausgegeben wird. Man mag Herrn Bisky zwar nicht fragen, ob er weiß, wieviele AKWs und Panzer schon mit virtuellem Geld bezahlt worden sind; sein neues Programm (die Revitalisierung des Kapitalismus: Eine Herausforderung für sozialistische Politik) sagt es aber auch so klar genug: Die Grundrechenarten (SZ) des Regierens im Kapitalismus, die alle Welt den Sozialisten abspricht, haben sie gelernt – und die gelten, als alternativlose Maxime ihrer Politik. Die sozialpolitischen PDS-Konzepte sind zwar schön, aber unbezahlbar; darum kann die PDS für sie nichts mehr tun; sie gehen „vorerst“ nicht, also nie. Als Mit-Regierungspartei erkennt sie an, daß auch sie sich für das Wachstum des Kapitals einsetzen muß und ihre Konzepte nur „real“ werden können bei sozialer Enthaltsamkeit. Daß es dann auch nicht mehr dieselben Konzepte sind, scheint die PDS eher zu freuen als zu befremden: Ob die Regierungsverantwortung ein heilsamer Lernprozeß (SZ) sei, bejaht ihr Gysi jedenfalls.

„Auf jeden Fall. Plötzlich rechnen unsere Leute mehr. Wir können im Bundestag keinen sozial- oder wirtschaftspolitischen Vorschlag mehr machen, ohne daß einer fragt: Was sagt eigentlich Ihr Regierungsvertreter aus Mecklenburg-Vorpommern dazu? Außerdem haben wir es mit einer anderen Regierung zu tun: Wenn die einen Sozialbeschluß macht, müssen wir darüber nachdenken, wie wir uns dazu verhalten. Wie erklären wir unseren Wählern, daß wir für eine so geringe Erhöhung des Kindergeldes stimmen?“

Eine sachkundige Klarstellung: Abweichende Vorstellungen vom Regieren mögen für eine Oppositionspartei noch angehen, gar nützlich sein; an der Macht angekommen, sind sie purer Luxus, der sich rasch abgeschminkt gehört. Also wird den „sozial Benachteiligten“ erklärt, daß die PDS zwar weiterhin unter Anspielung auf ihre materielle Lage gewählt werden will, auf deren Linderung, geschweige denn Beseitigung aber nicht verpflichtet werden kann. Das heißt, Azubis, Arbeitslosen, 630-Mark-Putzen und anderen mehrheitsfähigen Randgruppen klarzumachen, daß ihre Interessen zurückzutreten haben, weil das für den Bestand der Partei unerläßlich ist.

Das ist es, was von links bleibt: Eine endlich regierungsfähige Alternative müht sich um die Erklärung, warum das stinknormale Regieren bei ihr in den besten Händen ist. In der Zwickmühle, die die feixende Presse „nach 100 Tagen Schweriner Modell“ (SZ) registriert, stecken andere Parteien nämlich nicht: Die SED-Nachfolger müssen ihrer Klientel wehtun. Daß die Herrschaft ihrem Volk einiges zumutet, ist doch selbstverständlich; in Erklärungsnot geraten überhaupt nur Vereine, die einmal das politisch aberwitzige Versprechen abgegeben haben, die Leute hätten etwas davon, wenn sie (links) wählen. Inzwischen ist die PDS aber reif genug, die „Zwickmühle“ materieller Verheißungen und glaubwürdiger Regierungsarbeit elegant zu lösen. Die Frage ‚Wer braucht die PDS?‘ beantwortet sie in dieser Reihenfolge: „Der soziale Zusammenhalt, der Markt, die Demokratie, die Kultur, der Staat und Europa“ (Bisky, Schlußwort), kurz: die ganze zauberhafte Nation samt ihrer Klassengesellschaft und ihrem supranationalen Imperialismus.

Drittens und hauptsächlich: Vom Osten her!

Ärgerlich an dieser Nation ist darum nur eines: So richtig wiedervereinigt sei sie noch nicht. Die materielle Kluft zwischen Ost und West müsse verringert, die Verwahrlosung der frisch produzierten Erwerbslosen und die Verödung ganzer Gegenden verhindert, mehr Jugendclubs und High-Tech-Fabriken mit Arbeitsplätzen finanziert werden – Forderungen, an deren Nicht-Erfüllung die PDS immer dasselbe anklagt: So wird das nichts mit dem sozialen Zusammenhalt. Ungerecht und für den heiligen inneren Frieden gefährlich ist es, daß die Nation es ihr, der Sachwalterin ostdeutscher Interessen, die auf Integration des Ossis pocht, immer so schwer macht, ihrer Klientel das geile Gefühl zu vermitteln, in diesem erstklassigen Land nicht länger als Deutsche zweiter Klasse behandelt zu werden. Darauf hat sie den Sozialismus nämlich zusammengekürzt: Auf das demütige Begehr nach Gleichstellung – in Tariflöhnen und „gering erhöhtem“ Kindergeld; auf das Ideal einer Volksgemeinschaft ohne Erniedrigung der neuen Bürger – die als ein Volk auf den Ausländer herabblicken kann; auf die Hofierung beleidigter Patrioten – deren sämtliche Täuschungen über das Glück, ein Deutscher zu sein, sie bestätigt, wenn sie ihrer Enttäuschung schmeichelt und diese „vom Osten her“ vertritt. Kein Wunder also, daß die Hauptkampflinie der PDS weniger materiellen Forderungen gilt – für die (s.o.) eh keine Staatsknete lohnt, und wenn, dann stets für geknechtete neue Länder wie Sachsen und Anhalt erhoben werden –, als der Ehre des Ossis gewidmet ist, und da in erster Linie ihrer eigenen moralischen Rehabilitation.

Mit diesem Bedürfnis macht die PDS Schlagzeilen der besonderen Art: Sie betreffen ausschließlich ihre Stellung als SED-Nachfolgepartei zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Daraus, das rechtliche und moralische Erbe der SED angetreten zu haben, macht sie keinen Hehl, besteht aber auf ihrer grundlegenden Läuterung: Nicht antimarktwirtschaftlich, nicht antidemokratisch, nicht antimilitärisch – konstruktive Bedenken gegen „Auswüchse“ des Kapitalismus und „Fehltritte“ der Bundeswehr belegen das prinzipielle Pro in der Sache –; umso mehr erbittert die PDS, daß der westdeutsche Gesinnungs-TÜV ihr die Wandlung weder abnimmt noch honoriert. Dem begegnet sie auf zweierlei Weise:

Sie entschuldigt sich, gefragt und ungefragt, in Briefen an ehemalige Bundespräsidenten und öffentlichen Hemdzerreißaktionen; bricht pausenlos mit einer Vergangenheit, an der ein Teil ihrer Mitglieder bestenfalls in der Schulbank teilhatte, ohne die Gnade der späten Geburt zu genießen; säubert ihre Reihen von IMs, Ladendiebinnen und Verteidigern des Mauerbaus, was ungefähr dasselbe ist; und fragt dabei immerzu, ob und wann es endlich genug ist. Denn aufs Loswerden des Kommunismusverdachts ist dieser Teil ihrer politischen Glaubwürdigkeitsarbeit schon berechnet, auch wenn die Entschuldigung beim einzig senkrechten System dieser Welt und dessen politmoralischen Zensoren keineswegs nur berechnend ist. Eine Gegenleistung in Form einer Absolution der Sünden, wenigstens eines Schlußstrichs, sollte bitteschön sein; und da jene nicht kommt, drängt sich der PDS der Verdacht auf, ein Opfer vorsätzlicher Willkür zu sein. Ihr demonstratives Contra auf die staatliche Überwachung, Kontrolle und Belästigung von Parteimitgliedern und Ex-DDR-Bürgern dient diesem Beweis:

Sie kritisiert die Regelüberprüfung aller Kandidaten für den Staatsdienst und ostdeutschen Abgeordneten als überflüssige und unnötig mißtrauische Zwangsgauckung; wirbt um Verständnis für gebrochene Biographien, jugendliche Verfehlungen und andere Verstrickungen; verteidigt ihre rückwärtige Haltung zur DDR mit dem nicht übertrieben parteilichen Lob, daß in ihr nicht alles schlecht war; provoziert mit dem geplanten Beratervertrag für den verurteilten Spion Rupp; beantragt als Akt der Versöhnung eine Amnestie für verurteilte DDR-Hoheitsträger; plädiert alles in allem für ein Ende des Grundsatzvorbehalts, das nach zehnjähriger Schnüffel- und Abrechnungspraxis ohne Schaden möglich, wegen eigener Läuterung und wegen des Miteinanders der Menschen in der beginnenden Berliner Republik (Bisky) aber auch vernünftig sei.

Der Versuch der PDS, den Kampf gegen ihre Diskriminierung auf dem Feld der Moral (teilweise auch des Rechts) zu gewinnen, mißlingt. Ihr Bemühen, die Feindschaft gegen sie einerseits durch Erfüllung demokratiesittlicher Normen, andererseits durch den Nachweis deren Sinnlosigkeit zu entkräften, schlägt fehl. Die Bitte um Gleichbehandlung und Gnade stößt allenthalben auf Granit. Dem Antrag auf gnadenlose Normalität wird nicht stattgegeben, ein absehbares Ende der verfassungsschutzmäßigen Behandlung von Partei und ihrer Klientel wird nicht in Aussicht gestellt; allerdings nicht aufgrund von ‚Willkür‘, auch nicht, weil die Große Anti-PDS-Koalition einfach ‚unvernünftig‘ wäre. Der Entstasifizierungs- und Verfolgungswahn hat System und seinen Grund.

Die Einheitsfront gegen die PDS: Verfassungsschutzpatriotismus total

Es verhält sich nämlich gar nicht so, daß der PDS schlicht etwas ‚vorenthalten‘ würde. Die Liste der Vergehen der PDS – im normalen Bonner Umgangston wahlweise „Partei Der Schurken“ oder „Partei Der Spaltung“ – ist deshalb so lang und monströs, weil die Partei unter einen besonderen und viel fundamentaleren Vorbehalt gestellt ist, als daß man ihn durch den Beweis von Normalität und Wohlverhalten ‚ausräumen‘ könnte. Alles, was die PDS sagt und tut, ist verkehrt und subversiv, weil es die PDS ist.

Die PDS hat Erfolg. Das stört, und zwar grundsätzlich

Die PDS nutzt ihre Stimmengewinne, um sich als Sprachrohr des Ostens zu engagieren und staatliche Subventionen vorrangig für die neuen Länder zu beantragen. Der Grund für ihre Ausgrenzung ist der Einsatz für ‚zu kurz gekommene‘ Menschen und Bundesländer aber nicht.

Einerseits ist das werbewirksame Deuten auf das Elend von Regionen und Bewohnern, dessen Betreuung originäre Aufgabe der Politik sei, kein Privileg der PDS; diese Manier, die Entscheidungshoheit des Staates über die Berechtigung von Ansprüchen zu unterstreichen, beherrschen die großen Volksparteien naturgemäß ebenso. Die Forderung nach Extra-Anstrengungen und verstärkten Transferleistungen für den Aufbau Ost, den noch jeder Bundeskanzler zur Chefsache erklärte, ist auch nicht gerade verfassungswidrig. Andererseits bringt es den nie in Verruf; die PDS schon. Ehrenwerte Zitate von der Dringlichkeit blühender Kapitallandschaften, die genausogut von Kohl oder Schröder stammen könnten, werden nach Enttarnung ihrer Herkunft für das Gegenteil genommen: Aus dem Munde der PDS steht jede Betonung von Ost- für den unziemlichen Versuch, ‚Extrawürste zu verlangen‘ und die Nation ‚ein zweites Mal zu spalten‘.

Wir müssen verhindern, daß sich eine östliche Partei als Heimatverein etablieren kann (Rau). Ein Heimatverein, vor dem unser künftiger Präsident in diesem Falle warnt, ist ja an und für sich nichts Schlimmes – die äußeren Lebensumstände als ‚Heimat‘ zu verhimmeln, ist vielmehr eine hohe Staatsbürgertugend: Bei der PDS rückt die Betonung regionaler Eigenart in die Nähe des geistigen Separatismus. Nach unserer Freiheit, unseren Bananen und unserem Mallorca lechzend: So haben wir die Zonis begrüßt, als sie rüber kamen und bei uns mitmachen wollten – dann ist das bißchen Rotkäppchensekt und Stolz auf olympische Schwimmerfolge glatt geschenkt; die PDS aber, so der Befund, pflegt und mobilisiert den Zoni-Patriotismus gegen seine neue Zentralgewalt in Bonn, demnächst Berlin, auf die die neuen Bürger jetzt zu hören haben. Die sollen erst mal zeigen, daß sie so sind wie die anderen und nichts eigenes. Damit steht das Urteil fest: Eine Partei, die die ostdeutsche Besonderheit betont, ist und bleibt eine von drüben, also keine von uns.

Daß die PDS Erfolg hat, verläßlich und eher zunehmend Stimmen einfährt, nicht mal mehr vom Regieren abzuhalten war: Daran stört das angestammte „Parteienspektrum“ deshalb erheblich mehr als nur die unliebsame Konkurrenz, die man mit den üblichen parlamentarischen Intrigen bekämpft – solange man sich davon etwas verspricht – oder benützt, sobald das mehr bringt. Ganz jenseits der Frage, welchen alternativen Gebrauch der Macht PDS-Abgeordnete eigentlich im Sinn hätten – in den Zeitungen ist eher zu lesen, daß die Fraktion Schwerin alle schmerzhaften Einschnitte und den Transrapid gewissenhaft mitträgt und die Fraktion Magdeburg jedes Regierungsvorhaben der SPD duldet –, wird ihnen einfach jede kritische Wortmeldung als böser Wille zu einem anderen Staat, als verdeckte Staatsfeindschaft, zur Last gelegt:

„Nun muß der Finanzminister erkennen, daß die PDS den Grundrechenarten offenbar nicht zugänglich ist. Zwar sieht sie die Notwendigkeit der Einsparungen weiter ein, aber die unvermeidlichen Kürzungen im sozialen Bereich vertreten – das will sie nicht. Weil dies in ihren Augen nicht ihr Staat ist, schert es sie auch wenig, wenn er durch Überforderung an Grenzen stößt“ (SZ).

„Nicht ihr Staat“ – und damit auch noch überlebensfähig! Das ist das Verbrechen der PDS und darin faßt sich die Kriegserklärung gegen sie zusammen. Die ganz Rechten unter ihren Feinden animiert das zur Neuauflage von Freiheit statt Sozialismus. Die CSU nimmt die erste Regierungsbeteiligung Roter Socken zum Anlaß, mit einem Stopp der Zahlungen für den Osten zu drohen. Wo die PDS mitregiert, sind die Standortbedingungen nicht attraktiv (Stoiber). Erneut: Kein investitionshemmendes Gesetz der PDS weit und breit, kein Kapitalist, der sich je über PDS-verhetzte, streikende Ossi-Arbeiter beklagt hätte – vor der Diagnose rettet sie das ‚trotzdem‘ nicht: Unverbesserliche Nachfolgepartei, die eine untergegangene, unter Freudentränen übergelaufene Nationalmannschaft heute wie ein Volk im Volke vertritt. Mehr noch: Die unverwüstlichen 20% Wählerstimmen gebieten den Schluß von der Partei auf ihren Sumpf. Wahrscheinlich ist der ganze Osten eine von sozialistischem Gedankengut „durchrasste Gesellschaft“, wie der bayerische Ministerpräsident das gerne ausdrückt. So stellen Politiker aus dem Westen das ostdeutsche Volk unter einen generellen Illoyalitätsverdacht: Will mitten in der neuen Republik immer noch Zoni bleiben!

Die PDS vertritt den Zoni. Das ist verdächtig und hat Konsequenzen

„Wiedervereinigung“, das hieß: Die Herrschaft der BRD gliedert sich das ostdeutsche Volk ein, unterwirft es ihren ökonomischen und politischen Sachgesetzen. „Wiedervereinigung“, das hieß damit auch: Das Volk der DDR erhielt das Angebot zum Überlaufen, indem man es von seinen Herren schied; die Begrüßung der Zonis beinhaltete die Abrechnung mit dem Staat. Die Scheidung in die wenigen Lumpen aus Wandlitz und ihre Schergen auf der einen Seite und die vielen, im Prinzip guten, lediglich verführten Opfer auf der anderen war die Methode der Integration von 17 Millionen Neubürgern auf einen Schlag. Der Wille zur Integration, sprich: reibungslosen Anpassung an die neuen Lebensverhältnisse, wurde den Zonis einerseits großzügig unterstellt, andererseits aber mit einen Test verbunden: Ob sie in ihrem alten Leben wirklich nur Opfer waren, das wollte die neue Obrigkeit schon noch wissen. Wie üblich bei der Eingliederung von Ausländern wurde Integration auch im besonderen Falle unserer Brüder und Schwestern aus Ostzonesien an Bedingungen geknüpft: Rückwärts an den Nachweis, der SED-Herrschaft keine Dienste erwiesen zu haben, vorwärts an die Aufforderung, der alten Staatsbürgeridentität bruchlos abzuschwören. In beiderlei Hinsicht ist die Prüfung nicht zufriedenstellend ausgefallen:

Das Aktenstudium der Gauck-Behörde hat weniger zur Ent- als zur Belastung vieler DDR-Bürger geführt – was die staatliche Neugier auf ihre Vita nicht bremste, sondern forcierte. So kamen immer neue inoffizielle Mitarbeiter der DDR-Staatsmacht ans Licht; und die anhaltende Sympathie der Wähler für die SED-Nachfolgerin generalisierte das Urteil: Haben unter ihrer alten Herrschaft gar nicht gelitten, hängen immer noch an dem Laden! So setzt sich die Vermutung durch, daß ihr 40jähriges Leben im Realen Sozialismus doch Wirkung gezeigt und das Volk der DDR gegen seine eigene deutsche Natur und Mentalität kollektiv der falschen Nation gedient hat. Den Verdacht, den der westdeutsche Gesinnungstest in den hinzugewonnenen Personalbestand seiner Herrschaft hineingerührt hat, entdeckt er – absolut jenseits der Frage seiner tatsächlichen ökonomischen Benutzbarkeit oder erwiesener Achtung vor dem Gesetz – an ihm wieder. Das schärft den Blick, nach hinten wie nach vorne:

„Die Grenze zwischen Tätern und Opfern darf nicht verwischt werden.“ (Däubler-Gmelin)

Rückwärtig zieht jede mittlere Karriere von DDR-Bürgern – Juristen, Pädagogen, Geisteswissenschaftler: mit Parteilichkeit kennen die unsrigen sich aus! – den Verdacht der Mittäterschaft auf sich. Die Grenze zwischen möglichen Tätern und bloßen Opfern steht nicht einfach fest, sondern wird von dieser Republik, hier in Gestalt ihrer Justizministerin, gezogen: Um zweifelsfrei kein Täter gewesen zu sein, sollte man sich vom täglichen DDR-Leben lieber ferngehalten haben; die Gefahr von Stasi-Kontakten war in Betrieben, Schulen, Tanzstunden und Sportvereinen doch sehr groß. Natürlich ist diese Täter-Definition, die sich von tun ableitet, absurd. Aber gerecht: Denn es geht um die Frage von Schuld, um das Ausstellen oder Verweigern von Persilscheinen. In ihrer ganzen agententheoretischen Brillianz drückt diese Definition die Vorstellung aus, die westdeutsche Volksvertreter von jenem Unrechtsregime haben, das ihr Grundgesetz 40 Jahre lang nicht als Staat anerkannte: Wo drüben alles gesellschaftliche Leben von Unterdrückung geprägt war, erscheint jede aktive Begegnung mit dessen Instituten als potentielle Komplizenschaft.

Aktuell folgt daraus der dazu passende Umgang. Wenn unsere Neubürger nach zehn segensreichen Jahren Lohnabhängigkeit, Meinungsfreiheit und Aldi an ihrem alten System immer noch „nicht alles falsch“ finden, dann ticken sie auch heute nicht richtig. Das in zu vielen Wahlkreuzen an der verkehrten Stelle identifizierte Beharren auf einer „eigenen Biographie“ trifft auf den praktizierten Rassismus der Loyalität: Zonis erfreuen sich, weil sie Zonis waren und in ihrem Innersten bleiben wollen, einer kleinen Sonderbehandlung. Wer bei, also für uns etwas werden will – zum Beispiel Parteisprecherin der SPD oder Laienrichterin am Verfassungsgericht Brandenburg –, dessen Biographie wird schon gewürdigt, aber anders, als etwa Dörte Caspary oder Daniela Dahn das meinen: Die Gauck-Behörde wird noch eine unbestimmte Anzahl von Jahren arbeiten müssen. (Thierse) In Fragen linientreuer Gesinnung ihrer kleinen Mitherrscher und schwankenden Zwischenschichten überläßt die Nation nichts dem Zufall. Zonis ist der Staatsbürgerspruch, daß früher alles irgendwie besser war, nicht erlaubt: In ihrem Früher gab es kein richtiges Leben im falschen. Wenn Zonis heute rumnörgeln – zum Beispiel über fehlende blühende Landschaften –, dann ist etwas faul: an ihnen. Das erhärtet den Verdacht, daß die DDR in Gestalt ihrer zweibeinigen Erbmasse ‚weiterlebt‘: Die unerträgliche Ostalgie vieler ihrer neuen Untertanen gilt der amtierenden Herrschaft als Indiz dafür, zwar 17 Millionen Pässe ausgegeben, aber noch nicht die dazugehörigen 17 Millionen Patrioten gewonnen zu haben.

Es ist schon ein einmaliger, aber konsequenter Treppenwitz der Geschichte. Dem einzigen Volk, für das je ein Doppel-Paß bereitlag – ein westdeutscher Personalausweis für jeden „DDR“-Bürger: kollektiv, ohne Aufnahmeverfahren und Auswahlkriterien –, wird nach seiner Einbürgerung, ohne daß die Wahl zwischen zwei Staatsangehörigkeiten überhaupt noch existierte, wegen seiner Vergangenheit als Volk der DDR die Frage gestellt, ob man in einem Leben zwei Herren dienen kann. Das Fragezeichen hinter der Berechnungslosigkeit des Gehorsams, die jeder Staat von seinem Menschenmaterial verlangt, verdienen sich die Ex-Zonis nicht erst durch irgendein Fehlverhalten, sondern dadurch, daß ein Loyalitäts-Wechsel in der Tat einen gewissen Widerspruch enthält: Der fundamentalistische Verdacht der – wenn auch nur ideellen – Treue zu den alten Machthabern (oder deren „Erben“) ist ihm immanent. Er begründet den Zweifel, ob den einstigen Brüdern und Schwestern der absolute Unterwerfungswille unter ihre neue Herrschaft ebenso ‚ein-geboren‘ ist, wie deren Inhaber das von 60 Millionen ‚echten‘ Eingeborenen wie selbstverständlich annehmen.

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Die Prognose, es werde noch eine ganze Generation dauern, bis die Stasi-Archive geschlossen werden könnten und das Gespenst PDS verschwunden sei, wird darum wohl stimmen. Die Säcke von Papierschnipseln, die die Gauck-Behörde noch zusammenzusetzen hat; die Überführung der vielen kleinen und größeren Mitläufer beim falschen System; die Erledigung einer Partei, die links von der SPD dauerhaft Fuß fassen will: Dies gut Ding will Weile haben. An der Erfüllung ihrer eigenen Vorhersage wird die Nation es jedenfalls nicht mangeln lassen.