Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Noch ein Parteitag, noch ein Ruck – diesmal in Grün
Die Grünen demonstrieren ihre Regierungsfähigkeit und werden dafür in aller Öffentlichkeit gelobt.
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Noch ein Parteitag, noch ein Ruck – diesmal in Grün
Die Grünen haben mit ihrem Parteitag bewiesen, was
längst bewiesen ist: Wir sind regierungsfähig
.
Nach einhelligem Urteil der Öffentlichkeit ist ihnen das
„Rüberbringen“ dieser Botschaft hervorragend gelungen.
Das Lob gilt der Kunst der Inszenierung und der Figur,
die die Partei damit in den Augen der Geschmacksrichter
macht. Wie unlängst Tony Blair und Wolfgang Schäuble hat
auch Joschka Fischer eine GROSSE, eine „begeisternde,
mitreißende Rede“ gehalten und „ein neues Wir-Gefühl
beschworen“. Wie es sich gehört, hat auch er, erstmalig,
das genießen dürfen, was die Klatschbasis nur für
wirklich GROSSE Politiker reserviert: Standing
ovations. Denn auch die Grünen kennen den demokratischen
Merksatz: Nur einer Partei, die hinter ihrem Führer
steht, liegen die Wähler zu Füßen. Das Besondere an
diesem überaus normalen Parteitag ist somit höchstens,
daß die professionellen Gutachter mit Hochachtung
vermerken, daß nun auch die Grünen… Unter
Anspielung auf ihre Vergangenheit, als sie um
„Politikfähigkeit“ noch rangen, wird ihnen heute
bescheinigt, fürs Regieren endlich und zweifelsfrei
qualifiziert zu sein: Da schau her – eine linke
Partei
(SZ). Als solche haben sie sich in Kassel
präsentiert.
Fischer erklärt erstens: Wir wollen bei allem dabei sein, was diese Nation auf ihrer Tagesordnung hat.
Das ist einerseits selbstverständlich, wenn man regieren
will, andererseits hervorhebenswert, weil man aus einer
Protestpartei abstammt. Die Grünen demonstrieren, wie gut
sie das demokratische Postulat an „ernst zu nehmende“
Kritik erfüllen. Sie haben ein Rentenmodell, eine Agenda
zur Bildungspolitik und eine Vorstellung von einem
gesamteuropäischen Sicherheitssystem; sie finden den
Eurofighter unnütz und zu teuer, wollen die 610-Mark-Jobs
versicherungspflichtig machen, fordern die Erhöhung der
Mineralölsteuer und sind für die pünktliche Einführung
des Euro; sie sind, wie es so schön verharmlosend heißt,
auf jedem Politikfeld
zuhause, dessen Bestellung
die marktwirtschaftliche, sozialstaatliche und
imperialistische Staatsräson verlangt. Zu all deren
„Problemen“ nicht wenigstens eine „Lösung“ zu haben, das
wäre „bloße“ Kritik und käme ihnen – zurecht – wie eine
Bankrotterklärung ihrer Politikfähigkeit vor: Kritik ist
konstruktiv oder sie ist keine, sie hat stets in einen
Vorschlag zum alternativen Gebrauch der Staatsmacht zu
münden. Der penetrante Wille zum „Gestalten“ der Sache
der Nation schließt all das mit ein: das Betreuen des
Standorts Deutschland, das Verwalten seiner nützlichen
Armut und das Beaufsichtigen der großen weiten
Staatenwelt.
Fischer erklärt deshalb zweitens: Wir wollen alles besser machen.
Also gehört sich, große Rede Abteilung 1, vorgeführt, daß
die politische Konkurrenz ihre Sache
schlecht macht. Da gibt es das Auslaufmodell
Kohl
, das die drängenden Fragen der Nation
breitärschig „aussitzt“; da sind die
Koalitions-Chaoten in Bonn
, denen der „Chaot“ i.
R. mit sichtlichem Hochgenuß den Vorwurf zurückreicht,
zum Schaden unseres Landes
den Staat kaputt zu
regieren; da sind der Looser von der Saar
und der
Möchtegernkanzler im Rolls Royce
, denen man zwar
die Macht gönnt, aber nur, wenn die Winnertypen von der
Partei der Benzinsparer mit dabei sind: Einen
Machtwechsel in Bonn gibt es nur mit der SPD, aber einen
Politikwechsel gibt es nur mit den Grünen
. Also
präsentiert sich der Spitzenkandidat, große Rede
Abteilung 2, als unverbrauchte und siegessichere
Alternative, die all das, was im Sumpf der
Konzeptionslosigkeit, der Handwerkelei und des
Durchwurstelns
vergeigt wurde, wieder gut macht.
Dafür werden wir kämpfen, kämpfen, kämpfen – zum Wohle
unseres Landes!
(Das Protokoll der Süddeutschen Zeitung vom 17.11.1997 vermerkt: „Zuerst stehen nur ein paar Leute auf dem Podium auf, dann auch welche im Saal. Am Ende stehen die meisten und applaudieren, 90 Sekunden lang.“)