Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Osterspaziergang ... reloaded 2014
„Andrer Bürger.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.
Dritter Bürger.
Herr Nachbar, ja! so lass ichs auch geschehn,
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten.“ (Goethe, Faust I)
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Osterspaziergang ...
„Andrer Bürger.
Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei,
Wenn hinten, weit, in der Türkei,
Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus
Und sieht den Fluss hinab die bunten Schiffe gleiten;
Dann kehrt man abends froh nach Haus,
Und segnet Fried und Friedenszeiten.
Dritter Bürger.
Herr Nachbar, ja! so lass ichs auch geschehn,
Sie mögen sich die Köpfe spalten,
Mag alles durcheinander gehn;
Doch nur zu Hause bleib’s beim Alten.“ (Goethe, Faust I)
... reloaded 2014
Viel Besseres weiß sich auch gute 200 Jahre später der
Herr Bundespräsident nicht, und weil für ihn von Berufs
wegen jeder Tag ein Sonn- und Feiertag ist, hört man von
ihm auch entsprechend oft die Segnung von Fried und
Friedenszeit. Mitten hinein in den ordinären
Geschäftsgang der Republik platzt er mit seinen
Bekenntnissen, dass er den Frieden liebt
, ja, dass
er Frieden möchte
, und rennt damit bei allen
Seelenverwandten von Goethes Spießbürgern offene Türen
ein. Ebenso regelmäßig setzt er dann aber hinzu: Aber
Krieg existiert
– und läutet damit sein Vorhaben ein,
die friedensseligen Spießer im eigenen Land ein wenig
aufzuscheuchen. Denn so sehr er ihn auch liebt:
Ihn kann der Friede daheim unmöglich froh und
zufrieden stimmen, weil er nämlich einer ist,
den Kriege auch noch viel weiter hinten als nur in der
Türkei zum Unfrieden treiben. Für ihn
existiert
Krieg nicht bloß als das Übel, das jeder
moralische Wicht als Abwesenheit des Zustands zu
missbilligen pflegt, den er zu schätzen gewohnt ist.
Unser Präsident versteht sich als Instanz der
Moral, und Kriege sind für ihn eine Herausforderung, die
ihn in seiner speziellen Verantwortung für die
Wahrung des Zustands betreffen, der ihm wie allen anderen
Sterblichen so wichtig ist. Das gebietet ihm, auch
tätig zu werden im Namen dieser Verantwortung,
und dies schließt für ihn ganz selbstverständlich ein,
dass für den Frieden manchmal auch Krieg
sein muss. Die Bereitschaft zur Gewalt
gehört für den Pfarrer ganz weit nach vorne gerückt im
Pflichtbrevier politischer Verantwortungsethiker, weil
ein entschlossener Dienst am Frieden solches von
ihnen einfach verlangt – doch so sonnenklar ihm das ist
und so oft er auch wiederholt, wie sehr sich das doch
ganz von selbst versteht: Wenn er auf seine Landsleute
blickt, kommt er sich ähnlich verlassen vor wie
seinerzeit Faust beim Spaziergang –
„Ich habe manchmal das Gefühl, dass es in der Bevölkerung so ausschaut, als wäre es genug, dafür zu sorgen, dass in unserem Land alles in Ordnung ist.“
Das Volk der Deutschen geht willig und friedfertig seinem
Tagwerk nach, tut alles, was ihm dabei und sonst auch
noch befohlen wird, und kehrt abends froh nach Haus: Man
möchte meinen, der Vorsitzende eines solchen Vereins
kreuzbraver Knechte tränke da auch gern sein Gläschen
aus, am Fenster stehend oder auch im Schlosspark von
Bellevue. Nicht dieser Präsident. Für den tut sich
angesichts einer Welt, in der Krieg existiert
,
gerade im zivilen Gang der Dinge im Land ein einziger
Abgrund von verantwortungsloser Zufriedenheit der Bürger
mit dem Frieden auf, in dem sie sich derart eingerichtet
haben, und ein Friedensliebhaber seines Formates hält das
natürlich für untragbar. Die Modifizierung der Haltung
der Deutschen zum Einsatz militärischer Mittel
wird
ihm zur höchstpersönlichen Mission, und nachdem er mit
der ein paar Mal angeeckt ist, bringt er sein Anliegen im
‚Sommerinterview‘ wie folgt auf den Punkt:
„Ich habe im Grunde nichts weiter gesagt, als dies: Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass in Ruanda hunderttausende von Menschen abgeschlachtet werden und wir nichts tun, um ihnen zu helfen.“ (Alle Zitate: bundespraesident.de, Juni/Juli 2014)
Aha, Ruanda. Wenn er denn schon so gerne und so oft vom
Einsatz der Waffen redet – hätte er dann nicht auch sagen
können: Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass auf
dem Balkan ein Thronfolger erschossen wird, und wir tun
nichts
? Oder vielleicht auch: Ich möchte nicht
noch einmal erleben, dass in Vietnam Napalmbomben fallen,
und wir tun nichts
? Er hätte auch ganz aktuell sein
können: Ich möchte nicht noch einmal erleben, dass in
Syrien ein gewählter Präsident durch einen von außen
angezettelten Bürgerkrieg bekämpft wird, und wir tun
nichts.
Nein, für die Botschaft, die er loswerden
will, muss es schon Ruanda sein. Denn wenn sich im
Gedächtnis der Nation überhaupt noch irgendetwas mit dem
Namen dieses Landes verbindet, dann ist es das
Großverbrechen Völkermord
, zu dem sich ganz von
selbst das Attribut sinnlos
zur festen Redewendung
assoziiert. Dieses Sinnbild für das Böse
schlechthin ruft Gauck mit der Nennung des
Ländernamens ab, und die Moral von der Geschichte folgt
im zweiten Teil der Botschaft gleich hinterher: In ihren
Schlächtereien haben sich die Neger vor 20 Jahren so
erfolgreich gehen lassen können, weil die Guten,
das sind wir
, nichts
getan haben, um
ihnen zu helfen
gegen das Böse. Damit hat der
Präsident weltpolitische Gewaltexzesse nicht nur in
Afrika komplett auf den Begriff gebracht. Wenn Staaten
und die Völker unter ihrer Regie gegeneinander Krieg
führen, so hat das in seinem moralischen Weltbild
grundsätzlich nichts mit den politischen Interessen und
Rechten zu tun, die sie gegeneinander in Anschlag
bringen. Für ihn ist die politische Welt bloß der
Schauplatz, auf dem das Gute gegen das Böse ringt, für
ihn werfen Kriege und sonstige Gemetzel für das Lager der
Guten daher auch immer nur eine und immer nur dieselbe
Frage auf: Wegschauen oder Helfen?! Und nicht noch
einmal erleben
möchte der deutsche Präsident einen
derart krassen Fall unterlassener Hilfeleistung wie
seinerzeit in Schwarzafrika, weil für ihn sein Vaterland
einfach eine Weltmacht des Guten ist: Wird
irgendwo in der Welt geschossen, hat man das in
Deutschland als menschliche Notlage zur Kenntnis zu
nehmen und augenblicklich die zwischenmenschlichen
Hilfsdienste zu leisten, zu denen uns
die Welt
ruft – wozu sonst, wenn nicht zur Wahrnehmung dieser
hehren Pflicht zur Verantwortung
, haben wir denn
unser Militär?!
Damit sein in dieser Hinsicht vollkommen pflichtvergessenes Volk auf seinen eigenen Präsidenten hört, reanimiert der die Konfliktlage einer hoch raffinierten Fangfrage an frühere bundesrepublikanische Kriegsdienstverweigerer: Ob sie wirklich von einem verfügbaren Schießeisen keinen Gebrauch machen wollten, wenn sich – nur so z.B. – gerade zwei Russen anschickten, die eigene Freundin zu vergewaltigen? Das hört sich 2014, an die Adresse eines offenbar pazifistisch verseuchten Volkes gerichtet, dann so an:
„So wie wir eine Polizei haben und nicht nur Richter und Lehrer, so brauchen wir international auch Kräfte, die Verbrecher oder Despoten, die gegen ihr eigenes Volk oder gegen ein anderes mörderisch vorgehen, zu stoppen. Und dann ist als letztes Mittel manchmal auch gemeinsam mit anderen eine Abwehr von Aggression erforderlich. Deshalb gehört letztlich als letztes Mittel auch dazu, den Einsatz militärischer Mittel nicht von vornherein zu verwerfen.“
Von der durchgesetzten Schutzgewalt des Staates im
Inneren führt für diesen moralischen Fanatiker der Weg
direkt hin zu einer überlegenen Weltgewalt, die den
Globus von Despoten säubert, und die Frage, ob er in
seiner wahnhaften Allzuständigkeit für alles Böse in der
Welt seinem Land nicht etwas zu viel zumuten möchte,
stellt sich einem wie ihm ganz gewiss nicht. Einer, der
so ausdauernd dafür predigt, den Einsatz militärischer
Mittel nicht von vornherein zu verwerfen
, sondern für
sie als letztes Mittel plädiert – wenn auch nur
letztlich
–, hat den Überblick über reale Größen-
und Kräfteverhältnisse ersichtlich verloren: Irgendwo ist
ein Völkermord, und schon müssen wir Deutsche den
unterbinden, weil einfach nichts auf der Welt passiert,
bei dem wir nicht verantwortlich, in letzter Instanz also
nicht auch mit unseren Waffen gefragt wären!
Als persönliche Haltung ist die permanente Verpflichtung zur latenten Gewaltbereitschaft über irgendwelche politischen Zwecke und Berechnungen genauso erhaben wie über so kleinliche Fragen wie der nach den Mitteln und über manch andere Unterscheidungen schon gleich:
„Wir sind keine Insel, und wir haben eine Welt, und in dieser einen Welt ist die Haltung der Verantwortung, die für mich im Zentrum des ganzen politischen Lebens, auch des privaten Lebens steht, so wichtig.“
Und genau so meint es der verantwortungsbewusste
Wichtigtuer mit seinem Wir
auch: Wer zwischen der
Nation und ihren Insassen, seinem Amt und sich als
Privatperson keinen großen Unterschied macht, wer
sämtliche Subjekte der Welt nur an der einen Frage misst,
ob sie als moralische Individuen Zivilcourage zeigen, für
den ist eben auch die ganze Welt ein und dasselbe,
nämlich ein einziger Auftrag zur Verwirklichung des
moralischen Imperativs, dem Bösen immer und überall
entschieden entgegenzutreten. Also Reingrätschen, und
zwar aus Prinzip:
„Ich finde das toll, dass unsere Regierung früh und intensiv reingegangen ist, in den Ukraine-Russland-Konflikt, der gar nicht vor unserer Haustür ist. Das ist das, was ich mir wünsche.“
Das ist halt das Schöne an der einen Welt
und dem
in ihr existierenden Krieg
: Die tollen
Gelegenheiten, sich der Verantwortung zu stellen, reißen
einfach nicht ab.