Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Wirtschaftsnobelpreis für eine „bahnbrechende Formel“
Die Black-Scholes Formel zur mathematisch exakten Ermittlung der gesetzlichen Notwendigkeit von Spekulationserfolgen.
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Wirtschaftsnobelpreis für eine „bahnbrechende Formel“
Zwei Mathematiker aus dem Land der unbegrenzten
Möglichkeiten werden für die Erfindung einer Formel mit
dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft belohnt. Das
ist für diese Wissenschaft an sich nicht ungewöhnlich. In
der wird immer sehr viel gerechnet, weil die
Modelle
, die sie von der Wirtschaft
baut,
nur dazu ausgedacht werden, damit sich mit ihnen etwas
berechnen läßt. Die vielen komplizierten Formeln und
Funktionsgleichungen aus dem Reich der
Volkswirtschaftslehre bestechen so einerseits durch den
Vorteil, stets sehr exakt zu sein und immer prima
Lösungen zu ergeben. Dem steht andererseits als Nachteil
gegenüber, daß es das, was sie so perfekt lösen, eben nur
in dem Modell
und dessen Faktoren
gibt, in
Wirklichkeit leider nicht.
Dem Vernehmen nach soll es sich mit der anerkannten
Weltfremdheit dieser Disziplin im Fall der preisgekrönten
Formel ganz anders verhalten. Ein deutscher Professor vom
Fach hält allein schon den Umstand, daß sich aus seiner
Disziplin jemand einmal mit real anmutenden
Größenverhältnissen rechnerisch befaßt, für den
eigentlichen Geniestreich der honorierten Entdeckung –
das Geniale an der Black-Scholes Formel ist, daß in
sie nur Dinge eingehen, die man beobachten kann
(SZ
15.10). In der Preisbegründung ist gar davon die Rede,
daß diese den Grund für das schnelle Wachstum der
Derivatenmärkte in den letzten Jahren gelegt
hätte.
Soviel Praxisnähe
in dieser Disziplin überrascht
dann doch.
Richtig ist, daß diese bahnbrechende Formel zur
Bewertung von Aktienoptionen
nur Dinge enthält,
die man beobachten kann
. Das kommt daher, daß die
Formel dasselbe enthält, was einer, der Aktienoptionen
bewertet, weil er spekulieren will, ohnehin
beobachtet
. Allerdings sind, in eine mathematische
Formel eingepackt, diese Beobachtungen Material einer
ganz anderen Berechnung: Diese zielt nicht auf einen
Erfolg der Spekulation, sondern auf eine
gesetzliche, mathematisch genau faßbare
Notwendigkeit, die den Erfolg garantieren soll.
Die wüßte selbstverständlich jeder Spekulant gerne. Der
Schönheitsfehler des Projekts liegt nur darin, daß sie
einfach nicht zu haben ist, daß auch mit der schönsten
Formel, in die ein Spekulant seine Beobachtungen
einspeist, er sich nie sicher sein kann, ob er das,
worauf er jetzt spekuliert, jemals auch wird
beobachten
können.
Er will beim Kauf von Aktien beispielweise möglichst
billig einkaufen. Um auf keinen Fall zu teuer zu
kaufen, kauft er jetzt nicht Aktien, sondern nur eine
Option auf ihren Kauf, nur das Recht, zu einem
späteren Datum und zu einem Preis, der ihm im Vergleich
zum gegenwärtigen sicherer
erscheint, Aktien zu
kaufen. Er spekuliert also darauf, später zu ganz
bestimmt billigeren Preisen an Aktien zu kommen,
also darauf, daß der Marktpreis der Aktien über den
vereinbarten Kaufpreis steigen wird – und je weiter
dieser Preis dies tut, desto besser hat der Spekulant
spekuliert. Auch dieses Recht hat seinen Preis, den der
kassiert, der die Aktien vereinbarungsgemäß zu verkaufen
verspricht. Der spekuliert seinerseits darauf, noch
billiger als zum vereinbarten Verkaufspreis an die
Aktien gelangen zu können. Ob der Preis der
Option sich für den lohnt, der sie kauft, hängt also
davon ab, ob sich das spekulative Geschäft, das
er mit ihr machen will, für ihn lohnen wird; also davon,
ob sich die Preise der Aktien so entwickeln werden, wie
er spekuliert hat; das wiederum hängt davon ab, wie mit
Aktien überhaupt spekuliert wird, also vom Verlauf des
Geschäfts, das im beständigen Vergleich aller Formen von
Geldanlagen an den Börsen und anderswo besteht; und da
dieser Verlauf von denen abhängt, die diesen Vergleich
machen, hängt von ihrem Vergleich alles
ab: Der Spekulant spekuliert heute auf das, wozu
sich dieser Vergleich demnächst entschließen
wird.
Das traurige Schicksal von Spekulanten in
Optionsgeschäften mit Aktien ist daher, daß sie gar nicht
anders können als immer erst am Stichtag zu erfahren, ob
sie nun erfolgreich spekuliert haben oder nicht. Da hilft
ihnen keine Mathematik, weil es für den Erfolg, den sie
gerne im voraus berechnet hätten, einfach keine
Berechnungsgrundlagen gibt. Wozu ihnen die Mathematik
allerdings verhelfen kann, ist, ganz genau zu
spekulieren und auszurechnen, wie der
Wert
der Option beschaffen sein könnte,
deren Erwerb sie spekulativ kalkulieren. Dazu brauchen
sie nur in ihre Formel spekulative Annahmen über Zahlen
einzusetzen, die sie nicht kennen. Denn wie groß die
Differenz zwischen Einkaufs- und Marktpreis, auf die sie
scharf sind, womöglich ausfällt, wenn
die Variablen, mit denen sie
rechnen, genau den rechnerischen Effekt haben,
den sie ihnen zurechnen, läßt sich –
der prämiierten Formel sei’s gedankt – sehr exakt
vorhersagen. Und wo nichts sicher ist, sind Vorhersagen
von möglichen Sicherheiten beim Spekulieren immer besser
als gar keine Vorhersagen. Um diese Sicherheit also zu
erlangen, muß, seitdem es diese Formel gibt, der gewitzte
Spekulant seinen Taschenrechner nur noch mit dem
aktuellen Aktienkurs füttern, mit der Standardabweichung
der Aktienrendite, mit dem Zinssatz, der Laufzeit der
Option, mit einigen weiteren Bekannten sowie mit
Unbekannten, die er aber schätzen kann. Dann muß er auf
„ceteris paribus“ drücken – und schon erhält er das
folgende exakte Ergebnis:
„Mit der Black-Scholes-Formel läßt sich nun … ermitteln: Eine Kaufoption kostet umso mehr, je höher der derzeitige Aktienkurs und je niedriger der Basiskurs sind, zu dem die Option in Zukunft ausgeübt wird. Außerdem hängt er von der Rendite festverzinslicher Wertpapiere ab und davon, wie stark der Kurs der betreffenden Aktie schwankt (‚Volatilität‘).“ (SZ 15.10.)
Seitdem es also diese Formel gibt, wissen endlich alle Spekulanten bis auf drei Stellen hinter dem Komma genau, daß sie in einem spekulativen Geschäft, in dem sie sich gegen spekulative Verluste versichern wollen, desto mehr zahlen müssen, je weniger sie bei ihrer eigenen Spekulation wissen. Offenbar mußte ihnen das nur einer mal mathematisch exakt sagen:
„Das bedeutet: Je größer die Unsicherheit über den künftigen Aktienkurs, desto mehr wert ist die Option.“ (FR 15.10.)
Da sie nunmehr im Prinzip darüber im Bilde sind, daß und
wie sie beim Spekulieren richtig liegen, sind sie
entsprechend erleichtert – Mathematik schafft
Vertrauen
(SZ 15.10.). Die Formel sagt ihnen genau,
wie und worauf sie alles aufpassen müssen, um sich beim
Spekulieren nicht zu verrechnen, also vertrauen sie ihrer
Spekulation; und da Vertrauen der Anfang von allen
Bewegungen ist, die sie anzetteln, wenn sie eine
Spekulation riskieren, bringen sie mit der Formel den
Optionshandel mit Aktien in Schwung, daß es kracht. Wenn
dann irgendwann die Börse kracht, so ist dies vermutlich
der Wirkung einer intervenierenden Variablen
zuzuschreiben, die bislang noch in keinem ökonomischen
Gleichungssystem exakt berücksichtigt wurde.
Selbstverständlich ist der Schwedischen Reichsbank eine ökonomische Modellrechnung, der sich soviel Umsatz nachsagen läßt, 1,75 Millionen Mark Honorar wert.