Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Noam Chomsky in Köln: Kleine Studie zur Debattenkultur
Wenn Noam Chomsky vor großem Publikum in der Kölner Universität einen Vortrag über „die jüngsten Entwicklungen der globalen Weltordnung hält“, ist es sich die Süddeutsche Zeitung bzw. sind es sich Bestandteile ihrer Feuilletonredaktion anscheinend schuldig, die Veranstaltung dieses antiimperialistischen Denkers madig zu machen. Jedenfalls schlägt ihre Redakteurin sogleich den entsprechenden Tonfall an. Ihr ist von vornherein klar, dass „man“ Chomsky in dem Sinn nicht „hören“, sondern „erleben“ will, weil das, was er „zur politischen Weltlage“ zu sagen hatte, „das kannte man schon aus seinen Büchern.“ (SZ, 10. 6.) Na, dann. Dann erklären wir künftig eben alles für langweilig und uninteressant, was einer schon mal zu Papier gebracht oder in ein Mikrophon gesprochen hat, und merken uns für den vorliegenden Fall, dass es allenfalls ein unkritischer Fankult sein kann, der die Massen in die Veranstaltungen dieses „politischen Großkritikers“ treibt. Und was hatte der Mann nun zu sagen?
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Noam Chomsky in Köln: Kleine Studie zur Debattenkultur
Wenn Noam Chomsky vor großem Publikum in der Kölner
Universität einen Vortrag über die jüngsten
Entwicklungen der globalen Weltordnung hält
, ist es
sich die Süddeutsche Zeitung bzw. sind es sich
Bestandteile ihrer Feuilletonredaktion anscheinend
schuldig, die Veranstaltung dieses antiimperialistischen
Denkers madig zu machen. Jedenfalls schlägt ihre
Redakteurin sogleich den entsprechenden Tonfall an. Ihr
ist von vornherein klar, dass man
Chomsky in dem
Sinn nicht hören
, sondern erleben
will,
weil das, was er zur politischen Weltlage
zu sagen
hatte, das kannte man schon aus seinen Büchern.
(SZ, 10. 6.) Na, dann. Dann
erklären wir künftig eben alles für langweilig und
uninteressant, was einer schon mal zu Papier gebracht
oder in ein Mikrophon gesprochen hat, und merken uns für
den vorliegenden Fall, dass es allenfalls ein
unkritischer Fankult sein kann, der die Massen in die
Veranstaltungen dieses politischen Großkritikers
treibt. Und was hatte der Mann nun zu sagen?
„Seit der Monroe-Doktrin von 1823, erklärte er zu Beginn seiner Rede, betrachteten die Vereinigten Staaten die Welt als politische und wirtschaftliche Verfügungsmasse, den eigenen Interessen untergeordnet oder doch unterzuordnen.“
Nun könnte man sich ja fragen, ob an diesem Urteil über die amerikanische Politik etwas dran ist. Das aber ist nicht Sache der SZ-Redakteurin, die nämlich fortfährt:
„Diese Sicht lieferte Chomsky das Koordinatensystem, auf dem er die wichtigsten Daten der politischen Kriminalgeschichte Amerikas absteckte, von der Absetzung des iranischen Präsidenten Mosadegh 1953 bis zum Einmarsch im Irak ein halbes Jahrhundert später.“
Ihre Erläuterungen betreffen gar nicht die Sache, über
die Chomsky redet, sondern das Verfahren, nach dem er
sich angeblich eine historische Weltsicht
zusammenstrickt. Demzufolge ist Chomsky nicht etwa über
seine Auseinandersetzung mit der amerikanischen Politik
zu besagtem Urteil gelangt. Vielmehr ist es genau
umgekehrt, nämlich so, dass hier ein besonders
vorurteilsbeladener Mensch, der, aus welchen Gründen auch
immer, überall nur Verbrechen Amerikas sehen will, seine
Sicht
der Dinge an die Geschichte Amerikas
heranträgt, auf sie anwendet, nämlich wie ein
Koordinatensystem
den historischen Ereignissen
überstülpt. Den Vortrag so zu nehmen hat den Vorteil,
dass das Vorgetragene dann als Aussage über die
Wirklichkeit überhaupt nicht mehr zu würdigen und
ernstzunehmen ist, sondern stattdessen als Ausdruck der
Eigenart des Referenten besprochen werden kann. Und
daran, dass man den Vortrag so nimmt, ist unserer
Kommentatorin offenbar gelegen. Jedenfalls argumentiert
sie dafür und fährt extra zu dem Zweck mit ihrem
Hintergrundwissen auf, dass es sich bei dem Großkritiker
ja auch noch um einen berühmten Linguisten
handelt. Das gehört zwar in diesem Fall erklärtermaßen
nicht zur Sache – wie gesagt, der Vortrag sollte von
Weltpolitik handeln, und Chomsky selber hat mehrmals in
seiner Karriere erklärt, dass seine Erkenntnisse auf dem
Feld der Linguistik nichts mit seinem politischen Urteil
zu tun haben (das wäre, nebenbei betrachtet, ja auch noch
schöner!). Aber wenn man bedenkt, dass er als
Linguist
mit seiner generativen
Transformationsgrammatik
auch schon den Schlüssel
für die Sprachfähigkeit des Menschen
liefern wollte,
dann fällt (es) nicht schwer, diesen Ansatz auf
Chomskys politisches Weltbild zu übertragen.
Nämlich so, dass man ihn auch auf dem Feld der
politischen Kritik als einen Denker dingfest macht, der,
um was auch immer es geht, jedenfalls mit einem
Schlüssel
auf die Welt losgeht:
„Auch hier setzt er eine Grundannahme: die Außenpolitik der USA ist die Wurzel aller Übel weltweit. Ändert sich diese Politik, steht es auch um die Welt als Ganze besser.“
Der Großkritiker ist damit durchschaut: So einer ist das
also! Ein engstirniger Denker, der meint, die Weisheit
mit Löffeln gefressen zu haben – was besonders ins Auge
sticht, wenn man, wie die Dame von der SZ es
selbstverständlich tut, seine politische Kritik auch noch
für jeden erkennbar extra doof in einer moralischen
Gleichung zusammenfasst. Und so ist dann alles bestens
vorbereitet, um die eigentlichen Schwächen von Noam
Chomskys politischer Polemik
aufzudecken. Es ist
nämlich so:
„Die Gleichung mag in vielen, sehr vielen Teilen zutreffen. Ihr Problem ist, dass sie nicht restlos aufgeht.“
Das ist natürlich ein Hammer! Sollten Chomsky die
wenigen, vermutlich sehr kleinen Teile
entgangen
sein, die nicht unter seine Gleichung
passen?
Unserer SZ-Redakteurin sind sie jedenfalls nicht
entgangen, und damit steht das Problem
deutlich
vor uns, das eine Weltsicht in sich birgt, die einfach
nur festhält, dass Amerika irgendwie immer schon im
eigenen nationalen Interesse die Welt unterjocht hat. Die
Redakteurin redet auch da nicht über die Dinge, die ihr
in Chomskys Weltsicht unter die Räder zu kommen scheinen.
Sie behauptet nur, insinuiert, dass er es sich
zu einfach macht. Und geht von da aus – nachdem sie ihn
herablassend dennoch
als einen bedeutenden
politischen Autor
und als intellektuelle
Galionsfigur der Linken
gewürdigt hat – lieber dazu
über, ihm weise Ratschläge zu erteilen:
„Seine Aufgabe wäre es allerdings gewesen, die entsprechenden Positionen pragmatisch zu formulieren – also inklusive jener Gebrochenheit und unaufhebbaren Vorläufigkeit, mit der jede Politik und politische Programmatik leben muss. Die aber ließ er immer wieder vermissen, so auch jetzt in Köln.“
Sie an seiner Stelle hätte der Bewegung aufs Banner
geschrieben: ‚Macht es euch nicht zu einfach!‘, ‚Lest
mehr Popper!‘, ‚Die Rettung liegt in der Skepsis!‘ Zwar
mag sie Linke gar nicht übermäßig, dafür kennt sie sich
umso mehr darin aus, was denen gut zu Gesicht stünde:
Mehr Selbstzweifel und Bescheidenheit. Wenn man
sie als Galionsfigur der Linken
berufen
hätte, hätte sie da ihre Aufgabe
gesehen!
Was aber macht Chomsky die ganzen Jahre? Fehlanzeige! So
also geht Kritik: man vermisst einfach das, was
man gern gehört hätte – im Falle der Linken ein
Bekenntnis zur Relativität der eigenen Position –,
und fertig ist das Argument.
Ein solches Versäumnis rächt sich natürlich. In Köln konnte man das z.B. daran sehen, dass Chomsky einfach nicht zu haben war für eine Verurteilung des Iran:
„Wie er die Hoffnungen von Teilen der Welt auf das Atomprogramm gutheißen könne, wo doch dort eine Regierung im Amt sei, die nicht davor zurückschrecke, politisch missliebige Bürger im Zweifelsfall zu ermorden, wollte ein Zuschauer wissen. Ja, antwortete Chomsky, die iranische Führung sei furchtbar, ohne jeden Zweifel. Aber was, fragte er schulterzuckend zurück, solle man tun, wie sie beeinflussen? Zudem gebe es auch andere schlimme Regime, das saudische etwa. Dieses werde vom Westen nur darum nicht kritisiert, weil dieser die guten Beziehungen nicht aufs Spiel setzen wolle. Hier bedient sich Chomsky einer Logik, die der von ihm monierten Logik des Westens auf unheimliche Weise ähnlich ist.“
Offenbar ist dem Kritiker des amerikanischen Imperialismus in seiner Veranstaltung wieder einmal die Gretchenfrage gestellt worden: Bist du etwa für die Feinde Amerikas? Und offenbar hat es ihm nichts genützt, dies zu dementieren. Es war ja auch etwas anderes verlangt: ein Bekenntnis zu der höheren Verantwortung gegenüber den malträtierten Menschen im Iran und anderswo, in deren Namen der Westen mit den USA vorneweg sich für den Rest der Welt zuständig erklären, Weltpolitik treiben und sich in dem Zuge auch das Recht herausnehmen, ihnen nicht genehme Regime zu erledigen. Wer seine Unterschrift unter diesen imperialistischen Rechtstitel verweigert, wird als Zyniker entlarvt, als ein Mensch, den das Wohl der Menschen unberührt lässt. Dem nützt dann auch kein Fingerzeig darauf mehr, dass die Sorge um das Wohl der Menschen eine imperialistische Heuchelei und nicht der wahre Standpunkt amerikanischer Weltpolitik ist. So als würde er sich dieser Heuchelei befleißigen, wird er der Doppelmoral geziehen – und so sein Recht auf Kritik moralisch erledigt.
Einem Kritiker des amerikanischen Imperialismus dessen unbedingten Rechtsstandpunkt entgegenzuschleudern: das verträgt sich natürlich bestens mit der Predigt von Selbstzweifel und Selbstbescheidenheit! Wahrlich gelungen, wie die Vertreterin eines universellen Einmischungsrechts an Linken – gleich auch noch generell – die Tugend der Bescheidenheit vermisst –
„Chomsky pflegt einen Willen, wie er auf Seiten der Linken immer häufiger anzutreffen ist: den zur absoluten Gewissheit, zum Königsweg der Politik, der alle Alternativen als Irrweg, als direkten Pfad ins gesellschaftliche waste land erscheinen lässt“ –
und von dem amerikanischen Gastredner die kostbarsten
Errungenschaften politischer Vernunft
mit Füßen
getreten sieht: den Zweifel, das Zögern, das
Abwägen.