Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Gutes Geld ohne Kredit II:
Montenegros origineller Weg in die Unabhängigkeit
Um sich von Serbien zu separieren, das einer Autonomie nicht zustimmt, beschließt Montenegro, die deutsche Mark als Währung einzuführen.
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Systematischer Katalog
Länder & Abkommen
Gutes Geld ohne Kredit
II:
Montenegros origineller Weg in die
Unabhängigkeit
Was den westlichen Aufsichtsmächten im Kosovo billig ist,
wäre den Sezessionisten der montenegrinischen Führung nur
allzu recht. Montenegro, das mittlerweile mit Serbien im
Staatsverband Rest-Jugoslawien allein geblieben
ist, will mit dem jugoslawischen Dinar möglichst auch
nichts mehr zu tun haben: Mit der Begründung, dass der
Dinar durch die inflationäre Geldpolitik der
jugoslawischen Führung unter Präsident Milosevic stetig
an Wert verliere
(taz,
3.11.), fasst es Anfang November den Beschluss,
die deutsche DM als offizielles Zahlungsmittel neben
dem offiziell weiter gültigen jugoslawischen Dinar
einzusetzen. Die neue montenegrinische Zentralbank werde
künftig Funktionen der jugoslawischen Zentralbank
übernehmen.
(NZZ, 3.11.)
Die Begründung ist billig zu haben, bezieht sie sich doch
auf den ökonomischen Notstand, den der Krieg der Nato
gegen Jugoslawien dort hinterlassen hat. Allerdings geht
es bei der Einführung der DM als erstem Schritt zur
Einführung einer eigenen Währung, genannt
„Montenegrin-Marka“, dann doch um ein bisschen mehr als
um ein Stück Inflationsbekämpfung. Die Mannschaft um
Präsident Djukanovic erachtet nämlich dieses Projekt
selbst als ausschlaggebenden Schritt zu dem Ziel, die
Hoheit Belgrads abzuschütteln, und sie hat sich aus
Washington die Genehmigung dazu abgeholt: Nur wenige
Tage vor dem seit längerem vorbereiteten
Emanzipationsschritt ist der Teilrepublik nämlich von
seiten der Vereinigten Staaten Unterstützung für den
Kampf um die ‚verdiente wirtschaftliche und politische
Freiheit‘ in Aussicht gestellt worden.
(ebd.)
1. Montenegros nationaler Bewusstwerdungsprozess
Durch die antiserbische Zerlegungspolitik der
Nato-Staaten hat sich die Kleinrepublik, in früheren
Zeiten die Hochburg des wahren Serbentums, darüber
belehren lassen, dass es keine Ehre bedeutet, vielmehr
eine höchst unangenehme Lage ist, zu den Serben gezählt
zu werden. Dieses nationale Erwachen in Montenegro, wo
man sich bis neulich noch gar nicht so klar darüber war,
dass man etwas eigenes ist, hat die Nato mit ihrem Krieg
entscheidend gefördert: Sie hat das jugoslawische
Bundesland mit haftbar gemacht für die
Intransigenz, mit der Rest-Jugoslawien an seiner Hoheit
über das Kosovo festgehalten hat, hat es auch mit der
proportionell gerechten Menge an Bomben bedacht, ihm aber
gleichzeitig diplomatisch eine Sonderbehandlung
in Aussicht gestellt, im Austausch gegen nützliche
Dienste bei der Beseitigung Milosevics. Das hat die
Republiksregierung in Podgorica dann endgültig davon
überzeugt, dass für sämtliche Schädigungen, die man als
Teil dieses imperialistisch geächteten Gemeinwesens
abbekommt, nicht die Nato, sondern Milosevic
verantwortlich zu machen ist – ein Mensch, der vier
Kriege auf dem Balkan angezettelt hat
und für eine
Politik der Konflikte, der wirtschaftlichen
Rückständigkeit
steht (Djukanovic, WamS, 21.11.). So gesehen
sind die Kriegsfolgen samt dem kaputten Dinar ein
bösartiger Anschlag Belgrads auf Montenegros
Überlebensnotwendigkeiten, und die staatliche
Aus-Gründung aus Rest-Jugoslawien ist überfällig.
Warum man bemüht ist, den eigenen sezessionistischen
Bestrebungen den Schein einer ökonomischen
Sachnotwendigkeit zu verleihen, ist kein größeres
Geheimnis: Wie aus Podgorica zu erfahren ist, soll mit
der neuen ‚Marka‘ unmittelbar auf das (absehbare)
Scheitern der politischen Autonomie-Forderung reagiert
werden.
(NZZ, 14.9.)
Montenegro ist mittlerweile entschlossen, alle Belgrader
Zugeständnisse unterhalb eines rein formellen
Zusammenbleibens – immerhin fordert man das
uneingeschränkte Kommando über die in Montenegro
stehenden jugoslawischen Truppen – als „Scheitern“ der
„Autonomie“-Verhandlungen zu betrachten. Umgekehrt hat
die Zentralregierung klargestellt, dass jeder Versuch
einer definitiven Abspaltung eine „Provokation“
darstellen würde, die einen Bürgerkrieg auf die
Tagesordnung setzen müsste. Auf diese Lage „reagiert“
Montenegro, indem es ein offenes Bekenntnis zum Bruch mit
Serbien vermeidet – und die Separation in der Form
betreibt, als handelte es sich um eine schlicht
finanzpolitische Maßnahme.
2. Das ökonomische Projekt: Ein Geld ohne Geldsouveränität
Da trifft es sich gut, daß Djukanovic schon seit längerem
einen gewissen Steve Hanke von der Universität Baltimore
als Berater
engagiert hat, der sich bereits in
Argentinien und Bulgarien als Experte für die Kurierung
wertloser Nationalgelder profiliert haben soll. Dessen
Pläne für eine künftige montenegrinische Marka laufen auf
deren Anbindung
an die DM in einem festen
Verhältnis von 1:1 hinaus; die Stabilität
des
neuen montenegrinischen Kunstprodukts wäre – wie die NZZ
vermeldet – durch ein international besetztes Currency
Board
garantiert, an das Podgorica seine Hoheit über
Geld und Kredit abzutreten hätte, bevor es sie überhaupt
hat. Das Züricher Vorzeigeblatt seriöser
Berichterstattung klärt seine Leser zwar nicht weiter
darüber auf, wer eigentlich mit welcher Autorität in
diesem Gremium sitzen soll und wie die Techniken seiner
Bewirtschaftung einer Montenegrin-Marka beschaffen wären.
Das macht aber auch nichts weiter aus; denn das Prinzip,
auf das Podgoricas Projekt der Schaffung einer neuen
Währung hinausläuft, ist dem NZZ-Auskenner in Sachen
„Currency Board“ sonnenklar: Weil die Zentralbanken in
diesen Systemen keine eigene Geldpolitik mehr betreiben
können und damit auch nicht über die Mittel verfügen, um
als ‚lender of last resort‘ (letzte Instanz zur
Unterbindung von Kreditkrisen) zu funktionieren, müssen
alle Garantieverpflichtungen zugunsten von
öffentlich-rechtlichen Körperschaften, Banken,
öffentlichen oder halb-öffentlichen Unternehmen
vollständig annulliert werden.
Und unter den in
Currency Boards herrschenden Bedingungen
der Bindung
an eine Lehnwährung
ist keine geldpolitische
Abfederung konjunktureller Härten mehr möglich
(ebd., alles unter der einprägsamen
Überschrift Eine Roßkur mit ungewissem
Ausgang
).
Einmal davon abgesehen, was es mit Konjunkturen
und deren Abfederung
in dieser verkarsteten
Berggegend so auf sich haben mag – die Beschlusslage ist
eindeutig: Als Bedingung dafür, dass eine
montenegrinische Zentralbank in spe überhaupt ins Leben
tritt, wird ihr staatlicher Auftrag gleich aus dem
Verkehr gezogen: Alles, was ein kapitalistischer Staat
und Inhaber der Geld- und Kredithoheit sich mittels
seiner Notenbank normalerweise leistet – von der
Standortpflege über die Konjunkturpolitik bis zur
Benutzung seiner Geldhoheit als letzter Instanz zur
Abwendung einer Krise des Kreditsystems –, wird von
Djukanovics „internationalen Beratern“ als eine einzige
Schranke für die Geldqualität der
Montenegrin-Marka einkassiert, den einheimischen
politischen Interessenten deren Gebrauch als
Kreditmittel der Nation also verboten.
So soll Montenegro seinen politökonomischen
Einstand als ca. 200. Mitglied der Völkerfamilie
hinlegen: mit dem vorauseilenden Verzicht auf jede
Befugnis zur Kreditbewirtschaftung der nationalen
Ökonomie.
3. Die erste Etappe: Deutschmarkzone
Doch so weit ist es noch gar nicht einmal; diese
glänzende Zukunft, in der das montenegrinische
Staatsprojekt mit der Einrichtung eines Currency Boards
gewürdigt wird, ist noch längst nicht erreicht. Um ihr
näher zu kommen, versuchen Djukanovic und seine
Mannschaft, so gut sie können, Fakten zu schaffen. Anfang
November haben sie – wie es hieß, als Zwischenstufe
zur Einführung einer eigenen Währung
– erst einmal
die DM zur offiziellen Zweitwährung
neben dem
Dinar deklariert und die Gründung einer eigenen
Zentralbank bekanntgegeben. Sie stützen sich dabei
freilich nicht auf eine Zusage aus Frankfurt, in
Podgorica eine Filiale der Europäischen Zentralbank,
womöglich mit dem Recht auf DM-Emission, zu eröffnen,
sondern berufen sich lediglich auf ein längst
vorliegendes Faktum, die kleine Zirkulation in Montenegro
betreffend: Als Reservemittel und als Wertmaßstab ist
der Dinar im täglichen Leben längst durch die DM abgelöst
worden, und auch als Zahlungsmittel funktioniert er nur
noch notdürftig.
(ebd.)
Auch wenn der währungspolitisch geschulte Verstand der
NZZ so tut, als hätte er in Montenegro die Basis eines
funktionierenden Geldwesens gesichtet: Was die mit
„Ablösung des Dinar durch die DM“ von ihm konstatierte
Sachlage betrifft, so besteht die erst einmal darin, dass
auch in Montenegro als Folge von Krieg und Boykott von
einer jugoslawischen Wirtschaft, deren Erträge sich in
Dinar bilanzieren würden, nicht mehr viel die Rede sein
kann. Und der Aufstieg der DM zur „Reservewährung“ steht
zweitens auch weniger für florierende Geschäfte in DM als
vielmehr für das Fehlen aller regulären
Erwerbsquellen: Was an Zahlungsfähigkeit im Land
existiert, entstammt den Geldüberweisungen der im Ausland
gastarbeitenden Verwandtschaft sowie dem Schmuggel von
Tabak, der infolge des westlichen Boykotts sowie wegen
den EU-Einfuhrbestimmungen nicht immer ganz legal auf
den europäischen Markt gelangt
. Weitere wichtige
Devisenquellen sind die amerikanische Mittelmeerflotte,
die zunehmend montenegrinische Häfen anläuft und dort
auch Wartungsarbeiten ausführen läßt, sowie der
Erholungsurlaub der Kfor-Truppen aus dem Kosovo.
(FAZ 15.11.) Das sind, neben
den Einnahmen aus dem Verkauf von 1 Bodenschatz (Bauxit),
so die wesentlichen ökonomischen Grundlagen, auf die die
montenegrinische Führung ihren Beschluss gründet, gleich
offiziell das fremde Geld als Zirkulationsmittel
kursieren zu lassen, – und ihre weitergehende
Hoffnung, dadurch währungspolitische Stabilität zu
importieren. Diese Stabilität soll Vertrauen bei den
Investoren schaffen.
Die von der Nato sind ja
immerhin schon da.
Mit dem Gestus, man würde mit der „Einführung der DM“ nur
Fakten währungspolitisch Rechnung tragen, die ohnehin
längst eingetreten sind, wird tatsächlich – auf
Empfehlung der internationalen Berater und gegen
die bereits stark beschädigte gesamtjugoslawische
Geldhoheit – entschlossen durchgesetzt, was man
als Sachlage vorstellig macht: „die Ablösung des Dinar
durch die DM“. Selbstverständlich weiß man in Montenegro
ebensogut wie in den Heimatländern des echten Geldes,
dass sich mit der Deklaration der DM zur offiziellen
„Zweit“währung im Verkehr zwischen den jugoslawischen
Teilrepubliken mit der „Erst“währung Dinar endgültig
nichts mehr anstellen läßt. Fröhlich spekuliert man im
westlichen Ausland schon, was an noch existenten
Restbeständen ökonomischer Beziehungen zwischen
Montenegro und Serbien dann alles zusammenbricht, wenn
aufgrund des geldpolitischen Abbruchs der Beziehungen
der offizielle Handelsverkehr zwischen den
Teilrepubliken nun in Devisen abgewickelt werden muss
(NZZ, 3.11.). Und es werden
schon erste erfreuliche Wirkungen beschworen – ganz
gleich, ob es sich da wirklich um Auswirkungen der
montenegrinischen „Währungsreform“ handelt: Die
Belgrader Währungsreserven sind laut unbestätigten
Agenturmeldungen denn auch bereits auf weniger als 150
Mio $ eingebrochen.
(ebd.) Den auswärtigen Beobachtern ist
also mindestens klar, worum es ihnen geht: Sie
wissen durchaus, auf welche heikle ökonomische
Perspektive sich Montenegro da einläßt–
„Die kleinere Teilrepublik… bezieht einen großen Teil der Grundnahrungsmittel sowie andere Waren aus Serbien. … Sollten die Lieferungen aus Serbien wegfallen, weil sie nicht mehr auf serbischen Konten in Neuen Dinar bezahlt werden können, müssten zunehmend Nahrungsmittel aus dem westeuropäischen Ausland gegen Devisen importiert werden.“ (FAZ, 9.11.) –;
doch was sie interessiert, ist allein, dass da ein Stück per Währungspolitik betriebene Sezession gelingt, durch die Rest-Jugoslawien schon wieder ein Stück kleiner gemacht wird. Dessen Schädigung ist allemal ein Gewinn – und die Überlebensfähigkeit Montenegros, geschweige denn die seiner Insassen einfach kein zu berücksichtigender Gesichtspunkt. Die auswärtigen Beobachter denken da im imperialistischen Interesse ihrer Nationen ungefähr ebenso ökonomisch rücksichtslos wie die montenegrinische Führung, die auch nicht nachgerechnet hat, ob ihr Landstrich mit einer Sezession ökonomisch besser fährt, sondern für dieses schöne Ziel bereit ist, die anfallenden Schäden in Kauf zu nehmen. Freilich behält sie dabei auch die ökonomische Zukunft ihres Landes im Auge – bloß wie: Mit der „Einführung“ der DM erklären Djukanovic & Co. ihren Schwarzen Berg einseitig zum ökonomischen Protektorat; in der Berechnung darauf, in den Hütern des echten Geldes, das Montenegro „einführt“, Protektoren zu finden und ein Interesse daran zu wecken, den Landstrich als Hinterhof anzunehmen und, wenn alles optimal läuft, einer Betreuung durch ein Currency Boards zu würdigen.
4. Unabhängigkeit heute
Die restjugoslawische Teilrepublik steht exemplarisch für
die Perspektiven, die der Imperialismus heutzutage seinen
neuesten Geschöpfen auf dem Balkan eröffnet.
Unabhängigkeit strebt sie vor allem deswegen an, weil sie
sonst als Bestandteil eines zum Schurkenstaat
deklarierten Gemeinwesens von der internationalen
Staatengemeinschaft fertiggemacht wird. Stellt sich dann
eine Mannschaft auf, die aus der Not eine separatistische
Tugend macht und unbedingt von der serbischen
Fremdherrschaft loskommen will, hat sie als
erstes in den westlichen Hauptstädten um wohlwollende
Beachtung nachzusuchen. Neben entschiedener politischer
Botmäßigkeit gehört zu den ersten Vorleistungen, die sie
zu erbringen hat, die Einsicht in den Sachzwang des
modernen Weltmarkts, dass das ökonomische Schicksal ihres
Landstrichs samt Insassen restlos den führenden
Wirtschaftsmächten zu überantworten ist. Von denen
bekommt sie freilich nicht die geringste Garantie oder
auch nur Aussicht auf eine Überlebensperspektive geboten.
Riskieren muß sie dafür einen
Staatsgründungskrieg, im Fall Montenegros sogar
nicht bloß gegen die Belgrader Oberhoheit, von der sie
loskommen will, sondern auch einen Bürgerkrieg innerhalb
der eigenen Provinz, in der die sezessionistische Linie
alles andere als unumstritten. Dabei ist sie auf
auswärtigen Beistand angewiesen, den ihr
freilich niemand garantiert: Ich sage ausdrücklich:
Ich hoffe, dass es nicht zum Krieg kommen wird. Aber wenn
Montenegro doch angegriffen werden sollte, dann erwarte
ich, dass wir bei unserer Verteidigung gegen die
Aggression von Milosevic unterstützt werden… Bei einem
Angriff hoffen wir auf die Hilfe der Nato.
(Djukanovic, SZ, 22.11.) Das
wär’s dann, das neue Montenegro: verwüstet,
überlebensunfähig, das ohnmächtige Produkt auswärtiger
Berechnung und Gewalt – aber frei…