Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Möllemann, FDP, triumphiert bei der Wahl in NRW Deutschlands bessere Gesellschaft ist wieder mal entsetzt:
Liebhaber der Macht leiden am demokratischen Verfahren

Möllemanns Spaßwahlkampf: gerade mit seinen Albernheiten bewerkstelligt er die Emanzipation der Macht von denen, über die sie herrscht – von wegen demokratische Verelendung.

Aus der Zeitschrift

Möllemann, FDP, triumphiert bei der Wahl in NRW und Deutschlands bessere Gesellschaft ist wieder mal entsetzt:
Liebhaber der Macht leiden am demokratischen Verfahren

„Eine absurde Woche ist das gewesen. Fünf Tage lang wurde analysiert, aufgeregt mit den Flügeln geschlagen, ernsthaft überlegt, was denn zu lernen sei vom großen Sieger der Wahl. Der Zuschauer kam gar nicht mehr nach mit Augenreiben: Gerade noch war der lebenslange Windmacher Möllemann allseits belächelt und bekämpft worden wegen seiner Comedy-Wahlwerbung. Aber dann hatte der Mann, der den Stau verbieten wird, mit Hilfe seiner Sprüche 9,8 Prozent gewonnen – und schon war er ein Staatsmann, absolut kabinettstauglich… Warum nur wird einem so unbehaglich, wenn man diesem lustigen Treiben zuschaut? Vielleicht gerade deshalb, weil Politik plötzlich so lustig wird,…“ (SZ, 20.5.)

Denn was ist schon lustig an der Macht – auch wenn es „bloß“ um ihre Exekution auf Landesebene geht?! Was könnte – apropos „Stau“ – erheiternd sein an einer öffentlichen Gewalt, die ihren nordrhein-westfälischen Wachstums-Standort dermaßen mobil macht, dass am Ende sogar der Verkehr regelmäßig zusammenbricht?! Wenn dann noch eine Riege konkurrierender Angeber, der FDP-Landesvorsitzende vorneweg, sich als menschenfreundliche Lösung all der Probleme anpreist, die die Landesregierung in ihrem unermüdlichen Einsatz für „Wachstum & Beschäftigung“ ihren braven Bürgern einbrockt, dann lassen sich ein paar unbehagliche Einsichten in der Tat kaum vermeiden: in die Heuchelei, mit der demokratische Politiker die Regierungsgewalt über ihre Wähler anstreben und gleichzeitig ihren Willen zur Macht als ehrlichen Wettbewerb um die Zustimmung zu ihrer hervorragenden Persönlichkeit und deren Problemlösungskompetenz inszenieren; in die Absurdität des vom Wähler verlangten Urteils, das von Macht und Unterwerfung nichts wissen will, dafür aber um so mehr von persönlicher Befähigung zum wohltuenden Gebrauch staatlicher Gewalt; in den Zynismus, mit dem die Demokratie den Erfolg in dieser Konkurrenz zum schlagenden Argument dafür erhebt, dass die Staatsmacht sowieso in Ordnung geht und ihrem Inhaber unbedingt zusteht…

So geht es bei den betroffenen Kommentatoren der Süddeutschen Zeitung aber gar nicht weiter. Sondern so:

„…weil Politik plötzlich so lustig wird, so unseriös(!)… Der Wahlkampf hatte keinen Inhalt und keine Alternativen… Zusammen genommen war das ein neuer Beitrag zur systematischen Entpolitisierung der Bevölkerung…“ (SZ, 20.5.)
„Noch nie wurde so unverschämt auf Wortblasen gesetzt, noch nie so frech übertrieben, noch nie wurden so provokant Blondinenwitze eingesetzt und Klischees bemüht… Nicht wirklich fein die Methode. Aber anerkennen muss der Grüne … den Erfolg. Was nützt ihm auch der Hinweis, das sei alles nur Wort-Geblubbere, Schaumschlägerei – wenn es beim Wähler doch ankommt?“ (SZ, 16.5.)
„Man glaubt, nicht ganz richtig zu hören. Da werden die potemkinschen Kulissen, die Möllemann gelb-blau lackiert hat, für architektonische Meisterleistungen gehalten. Da wird Politik verwechselt mit der Kunst, sie zu verkaufen. Die FDP hat derzeit Glück, das ist alles… Was können die Grünen wirklich lernen von der FDP? … In der Politik hilft Chuzpe wieder auf die Beine. Das kann man von Möllemann lernen.“ (SZ. 18.5.)

Ob irgendetwas daran ist an der demokratischen Verelendungstheorie der Süddeutschen Zeitung – Tatsache ist jedenfalls: Der nordrhein-westfälische Wahlkampf hat genau dieselbe Alternative in die Welt gesetzt wie noch jeder demokratische Wahlkampf, nämlich die einzige, die in einer anständigen Demokratie überhaupt zur Wahl steht: die zwischen ziemlich verwechselbaren, jedenfalls gleichermaßen auf Machtausübung erpichten Figuren aus der Politikerszene. Er hat auch denselben Inhalt aufgewiesen wie noch jeder Wahlkampf, nämlich den einzig passenden: eine Selbstinszenierung der konkurrierenden Figuren und Parteien, die die Sache, um die es geht, die Befugnis zu herrschen, zum fraglos selbstverständlichen Hintergrund verharmlost. Er hat damit denselben Beitrag wie noch jeder demokratische Wahlkampf zur systematischen Politisierung der Bevölkerung geleistet – zu dem falschen Bewusstsein nämlich, das es zum Wählen braucht: mit der Wahlentscheidung übers herrschende Personal würde der Wähler sich zum Herrn über seine Herrschaft aufschwingen und die Rolle des gehorsamspflichtigen Untertan durch genau den Akt los, mit dem er sie bedingungslos bestätigt. Und was Mölli Möllemanns speziellen Beitrag betrifft, so hat der Mann nichts anderes geleistet, als die Verrücktheit demokratischer Willensbildung bis zur Kenntlichkeit zu verzerren: Es geht um Gesichtspunkte für die Ermächtigung einer Person, die von der Macht, zu der diese Person befugt werden will, gar nichts weiter wissen wollen.

Genau damit hat der FDP-Mann freilich den Geschmack der Süddeutschen Zeitung beleidigt. Er hat nämlich gegen die zwei entscheidenden demokratischen Schönfärbereien verstoßen, von denen die in diesem Weltblatt so mustergültig waltende Verantwortungsgesinnung um keinen Preis lassen will: Politik wäre eigentlich eine vornehme, „seriöse“, grundanständige Angelegenheit, so etwas wie ein gemeinsamer Ratschlag aller klugen Köpfe; und das hätte ein anständiger Wahlkampf widerzuspiegeln. Demokratisch gesehen handelt es sich bei dieser guten Meinung vom Politikgeschäft zwar auch nur um eine gleichgültige, nämlich allen anderen Wahlargumenten gleich geltende Variante des politischen Geschmacks; und objektiv gesehen ist sie weder besser und schon gar nicht richtiger als die Dummheit, von der Obrigkeit Tatkraft zu verlangen und die Befähigung dazu durch einen punktgenauen Fallschirmsprung bewiesen zu sehen. Die engagierten Demokraten aus der SZ-Redaktion halten aber auf ihre Täuschung große Stücke – und sind nun damit konfrontiert, dass dieser Möllimann sie glatt blamiert. Er hat mit seiner Masche nämlich Erfolg, verbindlich nachgemessen in Wählerstimmen. Und wie die Demokratie eingerichtet ist, zählt das und sonst nichts: Wer Stimmen absahnt, hat recht.

Das wurmt den guten Staatsbürger. Das verbittert geradezu, gibt Anlass zu zynischen Anmerkungen über den Wert der Kaltschnäuzigkeit in der Konkurrenz der Wahlkämpfer – und führt doch zu keiner Korrektur der guten Meinung über das eigentliche Wesen demokratischer Politik. Statt dessen zu einer elitären Antwort auf die falsche Frage, wie es zu einer derartigen „Entgleisung“ hat kommen können:

„Nichts scheint dem Publikum so sehr zu schmeicheln, wie wenn sich einer zum Deppen macht… Mit Politik hat das nichts zu tun, mit Bildungspolitik schon gar nicht. Da hat einer bloß die Lektion der Medien gelernt: Wer den Kasperl spielt, unterwirft sich dem Publikum – und das Publikum bedankt sich für den Beweis seiner eigenen Macht, indem es dem Kasperl seine Aufmerksamkeit schenkt. Es ist nicht Respekt, es ist nur noch die pure Ironie, woraus sich die Zustimmung für Möllemann speist.“ (SZ, 16.5.)

So konstruiert sich der beleidigte Liebhaber demokratischer Seriosität seinen Trost: mit dem bewährten Mittel der Publikumsbeschimpfung. Erstens hat dieser Mölli mit seiner albernen Tour politisch im Grunde gar nicht Recht bekommen: Statt als Machthaber Respekt auf sich zu ziehen, hat er sich mit seinem Erfolg bloß selber blamiert, als das Kasperle einer Spaßgesellschaft. Denn den Vorwurf muss sich zweitens die nordrhein-westfälische FDP-Wählerschaft gefallen lassen: Statt im Wahlakt der Politik den ihr gebührenden Respekt zu erweisen, hat sie sich mit ihrer Stimmabgabe über einen Typen lustig gemacht, der seinerseits für albern gestimmte Massen den Affen gemacht hat. So nimmt der seriöse Demokrat die Würde der Macht in Schutz – vor ihrer Beleidigung durch das Ermächtigungsverfahren, das in so peinlicher Weise dem Falschen recht gegeben hat.

Dabei liefern gerade die Albernheiten, mit denen Möllemann sich Zustimmung verschafft hat, den schlagenden Beleg für die wahre Leistungsfähigkeit des demokratischen Procedere. Es bewerkstelligt und vollendet die Emanzipation der Macht von denen, über die sie herrscht; es setzt die Machthaber von den Auffassungen und Ansprüchen ihrer Basis frei. Nicht umsonst sind die kindischsten Beweggründe für eine Wahlentscheidung so gut wie die ganz bedenklich abgewogenen – absurd, weil Gesichtspunkte für einen Unterwerfungsakt, sind beide gleichermaßen: Was am Ende gilt, ist nicht die Mühe, die sich einer mit seiner Stimmabgabe gegeben hat, sondern, ohne jede einschränkende Bedingung und ohne Vorbehalt, die Ermächtigung. Gerade die Freiheit der Wahl, die Beliebigkeit der privaten Ermessensentscheidung, verbürgt die Souveränität der Gewählten, ihre Freisetzung von jedem „Wählerauftrag“ – außer dem, den sie sich in aller Ungezwungenheit selber zurechtdefinieren. Genau das genügt jedoch gerade den größten Verfechtern der Demokratie immerzu nicht. Gerade sie misstrauen dem Ermächtigungsverfahren, solange sie beim Wähler den klar bekundeten Willen zur Ehrerbietung vor der Macht nicht sehen. Vom gemeinen Wahlvolk verlangen sie nicht bloß Unterwerfung per Ermächtigung, aus welchen Beweggründen auch immer, sondern das klare Bekenntnis dazu – und von den Politikern, dass sie nicht bloß Zustimmung einsammeln, sondern dem Geist einer verantwortungsbewussten Unterwerfungsgesinnung ein unschlagbares Angebot machen.

Deswegen machen sie am Ende dann auch allemal mit Figuren wie Mölli Möllemann ihren Frieden. Spätestens dann, wenn der ein Staatsamt kriegt – und damit auch nach ihrem gediegenen Urteil unweigerlich zum echten Staatsmann reift…