Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Tarifabschluss bei den Metallern:
Wofür der Streik alles gut war
Gewerkschaft und Öffentlichkeit wissen 7 gesellschaftlich nützliche Funktionen ihres Streiks.
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Tarifabschluss bei den
Metallern:
Wofür der Streik alles gut
war
Keiner muss nachrechnen, von welchem Lohn die Arbeiter der deutschen Metallindustrie sich die nächsten 18 Monate zu ernähren haben: Das steht alles in der Zeitung. Die „4 vor dem Komma“ ist bezogen auf die Laufzeit bis Ende 2003 „real“ 3,1 bis 3,4 wert; davon „finanzieren in diesem Jahr 0,9 Prozentpunkte und 0,5% in 2003 das Entgelt-Rahmen-Abkommen (ERA)“; und Firmen, die der Tarifabschluss „in existentielle Not bringt“, müssen nicht zahlen und dürfen mit dem Betriebsrat einen niedrigeren Lohn vereinbaren. Vermögender sind die Proleten durch den Streik ihrer IG Metall nicht geworden, und weniger arbeiten haben sie auch nicht müssen, da der Produktionsausfall binnen 4 Tagen nachgeholt wird. Das heißt aber nicht, dass der Ausstand für nichts gut war. Die tägliche Berichterstattung zählt immerhin 7 gesellschaftlich nützliche Funktionen des Streiks:
Der Streik hat…
1. bewiesen, dass die Gewerkschaft noch nicht tot ist. Weil man selbst für zugegeben matte 0,2% mehr als „das letzte Angebot“ der Arbeitgeber kämpfen muss, zeigt der Streik, dass ohne Gewerkschaft nichts rauszuholen ist. Was dann mit ihr rausgeholt wird, ist nicht mehr so sehr die Frage. Denn gewonnen ist die Demonstration, dass es den Verein noch gibt und das Streikrecht eine feine Ware ist. Das nennt der Vorsitzende Zwickel ohne Ironie ein „Meisterstück“.
2. den Flächentarif ein weiteres Stück beerdigt. Für dessen Erhalt wurde zwar die Arbeit niedergelegt, aber was soll’s: Es steht ja auch nirgends geschrieben, wie groß die Fläche sein muss, damit ein Flächentarif ein Flächentarif ist. Dann sind Öffnungsklauseln für Not leidende Kapitalisten und Billiglöhne für die, die von ihnen abhängen, ein „Akt der Vernunft“ und retten die Arbeitsplätze, die sich für „den Mittelstand“, der es bekanntlich auch nicht leicht hat, noch rentieren. Das kommt davon, wenn man beim Streiken unbedingt vernünftig sein will und immerzu aufpasst, dass die Schädigung des Klassenfeindes, „wirtschaftlich verträglich“ bleibt.
3. ohne Zweifel die Streikkultur bereichert. Wenn das Zentralorgan für knallharten Klassenkampf, Der Spiegel, von einer „völlig neuen Form des Arbeitskampfs“ berichtet, „dem Schmusestreik“, freut das die Gewerkschaft. „Die IG Metall entwickelte ein Computerprogramm, mit dem sie die Lieferketten in der Industrie nun angeblich ‚besser verfolgen kann als das Statistische Bundesamt‘, so ein Funktionär“. Damit geht der Arbeitskampf als erster Ausstand in die Statistik der Arbeiterbewegung ein, wo die Streikleitung am Bildschirm ihres PCs jederzeit kontrollieren kann, dass nichts still gelegt wird. Da soll noch mal einer sagen, die Technik wäre kein Segen.
4. dem Ossi ein unvergessliches Erlebnis geschenkt. Zur Lohnabhängigkeit befreite ehemalige VEB-Zwangsarbeiter zwischen 18 und 55 durften sich freuen, „zum ersten Mal seit 70 Jahren im Bezirk Berlin-Brandenburg zu streiken“. Zur Belohnung zeigt ihnen die IG Metall, wie man ein knallrotes Leuchtleibchen überzieht und eine Trillerpfeife bedient.
5. geholfen, die Konjunktur anzukurbeln. Ob die 4% mehr als ein Ausgleich für Inflation und den „Teuro“ sind, dessen ist sich der bayrische IGM-Chef Neubauer nicht sicher. Er versichert jedoch, dass die Summe in voller Höhe als Kaufkraft dem deutschen Einzelhandel zur Verfügung gestellt wird.
6. das Lohnsteueraufkommen erhöht. Auch eine, wie die Gewerkschaft meint, oft zu Unrecht vergessene Funktion einer Lohnerhöhung: Man kann den Arbeitern dann auch wieder mehr abnehmen.
7. gezeigt, welch wunderbare Einrichtung die Tarifautonomie ist. Bundeskanzler Schröder sagte, ein schöneres Ergebnis hätten Arbeitgeber und Arbeitnehmer auch nicht hingekriegt, wenn er dabei gewesen wäre. Ein bemerkenswertes Lob der Freiheit.