Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Merkel bei Opel in Rüsselsheim: „Angie, lass uns nicht im Stich!“
Immerhin habt ihr nämlich im Vorfeld des Besuchs mehr als deutlich gemacht, dass es euch ausschließlich um irgendwie „belastbare Zusagen“ für den Erhalt eurer Arbeitsplätze geht. Und wenn wir nicht vollkommen schief liegen, dann hat schon auch die oberste Standortverwalterin einiges dafür übrig, dass in Deutschland möglichst viel gearbeitet wird – natürlich zu weltrekordfähigen Bedingungen: möglichst intensiv, effektiv und billig, damit an den Plätzen, auf denen ihr arbeitet, Geldeigentümer wieder so richtig ihre Freude haben. Dann ist eine Firma wie Opel gut „für die Zukunft gerüstet“, wie euch die Kanzlerin ungefähr fünfmal gesagt hat.
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Länder & Abkommen
Merkel bei Opel in Rüsselsheim:
Angie, lass uns nicht im
Stich!
Tja, liebe Opelanerinnen und Opelaner,
jetzt ist sie also gekommen, die Kanzlerin, zu euch nach
Rüsselsheim. Angeblich habt ihr sogar gedroht, sie
auszupfeifen, sie selber hat zu Beginn ihrer Rede ja
gesagt, dass es ziemlich feige gewesen wäre
, wenn
sie nicht hier aufkreuzen würde. Wieso eigentlich feige?
Klar, eure Lage ist wirklich beschissen – euer
Arbeitgeber, General Motors bzw. Opel, ist einer der
weltweit größten Krisenfälle, ein de facto bankrotter
Weltkonzern, keiner von euch weiß, ob er in der nächsten
Zukunft bei Opel überhaupt noch arbeiten darf,
gerade hat der neue Ami-Präsident den Sanierungsplan von
GM komplett abgelehnt, in 60 Tagen muss ein neuer
vorliegen, der ausdrücklich die komplette Insolvenz des
Gesamtkonzerns als eine Option enthalten soll, usw. usf.
Der Kanzlerin ist anscheinend klar, auf wessen Seite sie
steht, euch offenbar nicht.
Immerhin habt ihr nämlich im Vorfeld des Besuchs mehr als
deutlich gemacht, dass es euch ausschließlich um
irgendwie belastbare Zusagen
für den Erhalt
eurer Arbeitsplätze geht. Und wenn wir nicht
vollkommen schief liegen, dann hat schon auch die oberste
Standortverwalterin einiges dafür übrig, dass in
Deutschland möglichst viel gearbeitet wird –
natürlich zu weltrekordfähigen Bedingungen: möglichst
intensiv, effektiv und billig, damit an den Plätzen, auf
denen ihr arbeitet, Geldeigentümer wieder so richtig ihre
Freude haben. Dann ist eine Firma wie Opel gut
für die Zukunft gerüstet
, wie euch die Kanzlerin
ungefähr fünfmal gesagt hat. Aber wem sagt sie das
eigentlich? Ihr Opelaner habt aus den vergangenen
Nötigungen des Managements in Sachen Lohn und Leistung
auch nur den einen Schluss ziehen wollen, dass
Lohnarbeiten bei Opel buchstäblich zu jedem
Preis eure Zukunft sein soll.
Deswegen findet ihr es wohl schon spitze, dass Angie und
ihre hessisch-pfälzisch-nordrheinischen Kollegen alles
versuchen und daransetzen, einen Investor zu finden,
der natürlich mit staatlicher Unterstützung – ich sage
das ausdrücklich zu; wir haben dafür die Instrumente –
eine langfristige Basis aufbaut und an Opel glaubt.
Nun ist das mit dem Glauben
von Investoren
allerdings so eine Sache: Soweit wir wissen, investieren
die in aller Regel nicht aus Begeisterung für ein schönes
Auto in einen Betrieb, sondern weil sie nüchtern mit ihm
kalkulieren – als lohnende Anlage für ihr Finanzkapital.
Aber bei euch scheint die Kanzlerin mit ihrer
Floskel vom Glauben an Opel
einen Nerv getroffen
zu haben. Ihr habt euch frühmorgens vor der Rede
Merkels gelbe T-Shirts überstreifen lassen, auf denen
draufstand: Wir sind Opel
, womit ihr nochmals
überdeutlich darauf hinweisen wolltet, dass zwischen eure
Interessen und die eurer Firma kein Blatt passt. Ihr
wollt Opel sein, in Treue fest zu der Firma stehen,
auf die ihr stolz seid und die euch für die
aussichtsreiche Spekulation auf Gewinn aus eurer Arbeit
schuften lässt oder auch nicht. Und ihr glaubt, mit
diesem besonderen Treuebeweis ein besonderes Recht darauf
zu haben, dass die Merkel euren Betrieb rettet. Eine
solche Leidenschaft der Mitarbeiter
für ihre Firma
findet die Kanzlerin klasse – und stellt auf der anderen
Seite klar, was sie in der Sache Opel will. Sie
will leidenschaftlich und hart dafür arbeiten, um ein
Opel Europa zu kreieren; ein Opel Europa, das für die
Zukunft gerüstet ist und das an die 110-jährige Tradition
des Unternehmens anknüpft, das auf der Leidenschaft der
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die ich heute
kennenlernen konnte, aufbaut und das die ganze
Unterstützung der Politik in Deutschland hat.
Merkel will ein neues Opel Europa
– Investoren und
die Bundesregierung mustern eure Betriebe durch, sanieren
sie, schlachten sie aus oder machen sie dicht, je
nachdem. Und diesem deutsch-europäischen
Standortprojekt gilt ihre ganze Unterstützung
.
Deswegen stellt sie euch gegenüber auch klar, dass
ihr schief gewickelt seid, wenn ihr glaubt, dass
der Staat euch einfach so aus der Scheiße hilft: Denn
bei aller Liebe für das, was der Staat tun kann; der
tollste und beste Unternehmer war er noch nie.
Also:
Lohnen müssen sich die feinen Arbeitsplätze bei
Opel fürderhin schon, wenn es sie denn weiter geben soll.
Der deutsche Staat übernimmt nämlich nicht einfach den
ganzen Laden mal selber und zahlt für ihn, ohne dass
daraus wieder ein Bombengeschäft auf deutschem Boden
wird.
Aber wahrscheinlich seid ihr eh Realisten, habt euch
damit abgefunden, dass eine ewige Staatsbeteiligung ohne
Gewinnaussichten nicht in die Tüte kommt, und könnt auch
noch diesem Staatsprojekt der Abtrennung Opels
von GM eine hoffnungsvolle Perspektive abgewinnen,
geradeso, als ob einem deutschen Arbeiter
irgendwie geholfen wäre, wenn er in Zukunft die
geschäftlichen Kalkulationen von deutschen
Kapitalisten ausbaden darf! Wie kommt ihr eigentlich auf
diese Schnapsidee? Etwa weil ihr euch als altgediente
Rüsselsheimer Bandarbeiter über drei Generationen
angewöhnt habt, alle Zumutungen der deutschen Firma von
Kurzarbeit, Entlassung bis Lohnsenkung immer als
Unfähigkeit der amerikanischen Zentrale in
Detroit zu deuten? Wer so bedingungslos dienstbereit
und antiamerikanisch drauf ist, dem geht es wohl
auch wie Öl runter, wenn die Kanzlerin Selbstbewusstsein
und Verhandlungsgeschick als deutsche Politikerin
demonstriert. Für ein erfolgversprechendes Opel
Europa
wird sie noch „hart verhandeln müssen,
aber wo ist das nicht so? Ich sage, wir können
das, nicht nur die andern.“ Wir
und die
andern
! Das scheint für euch der richtige Tonfall zu
sein, denn was ist schon ein Gemeinschaftsgefühl von
deutschen Opel-Arbeitern, wenn es sich nicht
gegen die Amis richtet? Oder habt ihr etwa nicht
Beifall geklatscht, als die Kanzlerin selbstbewusst
gefordert hat, dass auf der anderen Seite natürlich
auch GM seinen Beitrag leisten muss
? Dass die Amis
zahlen sollen für unser
deutsch-europäisches Rettungsprogramm – wir
sagen
nur Patententgelte
und so.
‚Habt ihr also verstanden‘, werte Opelaner? Das ist die
Hilfe, die ein politischer Vorstand seinen nationalen
Untertanen in Not anzubieten hat. Er vereinnahmt ganz
kumpelhaft ihren Stolz und ihre nationale Gesinnung und
verspricht ihnen nichts weiter als den erfolgreichen
Einsatz deutscher Macht. Merkel will nur noch
‚auf Augenhöhe‘ mit dem Ami-Präsidenten über
internationale Krisenaffären verhandeln; Opel soll zu
einem deutsch-europäischen Erfolgskonzern geschmiedet
werden usw. usf., und das soll euch
beeindrucken, ihr sollt dazu Zutrauen
fassen, damit sie und die jetzigen oder neuen Herren von
Opel ungestört ihren Kalkulationen mit eurer
Arbeit, soweit sie (noch) verlangt wird, nachgehen
können. Und leider haben wir den begründeten Verdacht,
dass das bei euch auch ungefähr so ankommt. Ihr habt die
Merkel ja noch nicht einmal ausgepfiffen, geschweige
hinausgeworfen, sondern sie von eurem Fließband herunter
mit mehr als höflichem Beifall bedacht und brav eure
Transparente Angie, lass uns nicht im Stich!
hochgehalten. Natürlich lässt sie euch nicht im Stich –
sie hat euch fest verplant, dafür, dass Deutschland
‚gestärkt aus der Krise kommt‘:
„Deshalb – das hat jetzt nicht nur mit Opel und General Motors zu tun, sondern mit der gesamten Wirtschaftskrise, die wir gerade durchleben – sage ich auch: In dieser Wirtschaftskrise werden die Karten neu gemischt; es wird derjenige vorne dran sein, der in einer solchen krisenhaften Situation absolut auf Innovation und Zukunft setzt. Deshalb müssen wir alles daransetzen, dass wir zum Schluss bei denen dabei sind. Wenn ich ‚wir‘ sage, dann ist das Opel, aber dann ist das auch ganz Deutschland und es sind diejenigen, die in dieser Krise Zukunft gestalten und die ihr Geld so einsetzen, dass wir daraus etwas für die Zukunft machen.“
Heitere Aussichten für euch Belegschaften hier und
anderswo. Eure Regierenden tun alles, damit sich
die Unternehmen wieder als Geldquelle für internationale
private Spekulanten bewähren. Und dafür
sind eure Verzichtsleistungen – ob ihr demnächst
für Opel noch arbeiten dürft oder nicht – fest verplant
als Trumpfkarte, mit der Deutschland die anderen
Nationen ausstechen will. Ihr seid die Manövriermasse,
ihr werdet als Bataillone im Kampf der Nationen um das
Geld der Welt losgeschickt, wenn Frau Merkel so
leidenschaftlich und hart daran arbeitet, etwas
Vernünftiges für die Zukunft hinzubekommen.
Angesichts dessen ein weitblickender und schöner Zug von
der Kanzlerin, mit den zukünftigen Opfern von Pleiten in
größtem Stil, die nach ihrer Ansicht natürlich
anderswo passieren sollen, schon mal
mitzufühlen: Ich fühle natürlich mit den
amerikanischen Kollegen; das geht Ihnen sicherlich
genauso.
Klar, Solidarität muss sein, wir leben ja
nicht in einer gespaltenen Welt.
*
So langsam haben wir jedenfalls verstanden, warum Merkel
sogar besonders gerne hier
bei euch in Rüsselsheim
gewesen ist, wie sie gesagt hat: Wann hat man als
Kanzlerin schon eine so schöne Gelegenheit, alle
Fehler nationalistisch verdorbener Arbeiter zu
bedienen, sie für die nationale Krisenpolitik zu
vereinnahmen und sich damit als führungsfähige
Kanzlerkandidatin in Krisenzeiten zu präsentieren?