Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Märchenhochzeit in Großbritannien:
Festtage des politisierten Gemüts
Es war einmal vor einem halben Jahrhundert, zur Zeit der rebellischen Jugend, da gab es einen left labour man, der die Monarchie als nutzlose Verschwendung abschaffen wollte. Die musikalisch und modemäßig aufmüpfige Jugend hat sich aber schon bald mit frisch gewaschenen und gekämmten Pilzköpfen bei der Queen ganz artig den Orden des britischen Empire abgeholt und campiert heute im Park, um das königliche Spektakel der jüngsten Prinzenhochzeit keinesfalls zu versäumen. Die Queen, die Royal Family und die britische Monarchie haben die Attacken von Labourlinken und Paparazzi genauso überlebt wie die Skandale um Charles, Di und Camilla. Während zu Beginn des 21. Jahrhunderts die öffentlichen Anwälte aufgeklärter Sitten gegen vorsintflutliche Gebräuche und falsche Untertanengesinnung anderswo zu Felde ziehen, ziehen die Windsors ein mittelalterliches Spektakel von Thron und Altar „mit funkelnden Brustpanzern und buschigen Helmen ... in goldverzierten Kutschen“ (SZ) ab und bleiben dabei nicht unter Ihresgleichen. Die ganze Nation jubelt dem Prinzenpaar zu, und die ganze Welt schaut nicht nur zu, sondern ist „mit ganzem Herzen“ dabei. Was ist da los? Rückständig und vorsintflutlich ist das Spektakel offenkundig nicht, sondern dient ersichtlich allerhöchsten Staatsinteressen und bedient elementare Bedürfnisse aufgeklärter Demokraten, die sich die als prunkvollen Staatsakt inszenierte Hochzeit interessiert bis begeistert zu Gemüte führen.
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Märchenhochzeit in Großbritannien:
Festtage des politisierten Gemüts
Es war einmal vor einem halben Jahrhundert, zur Zeit der
rebellischen Jugend, da gab es einen left labour
man, der die Monarchie als nutzlose Verschwendung
abschaffen wollte. Die musikalisch und modemäßig
aufmüpfige Jugend hat sich aber schon bald mit frisch
gewaschenen und gekämmten Pilzköpfen bei der Queen ganz
artig den Orden des britischen Empire abgeholt und
campiert heute im Park, um das königliche Spektakel der
jüngsten Prinzenhochzeit keinesfalls zu versäumen. Die
Queen, die Royal Family und die britische
Monarchie haben die Attacken von Labourlinken und
Paparazzi genauso überlebt wie die Skandale um Charles,
Di und Camilla. Während zu Beginn des 21. Jahrhunderts
die öffentlichen Anwälte aufgeklärter Sitten gegen
vorsintflutliche Gebräuche und falsche
Untertanengesinnung anderswo zu Felde ziehen, ziehen die
Windsors ein mittelalterliches Spektakel von Thron und
Altar mit funkelnden Brustpanzern und buschigen Helmen
... in goldverzierten Kutschen
(SZ) ab und bleiben dabei nicht unter
Ihresgleichen. Die ganze Nation jubelt dem Prinzenpaar
zu, und die ganze Welt schaut nicht nur zu, sondern ist
mit ganzem Herzen
dabei. Was ist da los?
Rückständig und vorsintflutlich ist das Spektakel
offenkundig nicht, sondern dient ersichtlich
allerhöchsten Staatsinteressen und bedient elementare
Bedürfnisse aufgeklärter Demokraten, die sich die als
prunkvollen Staatsakt inszenierte Hochzeit interessiert
bis begeistert zu Gemüte führen.
*
Für den „Bund fürs Leben“ ziehen schon ganz normale Leute
mitsamt Verwandten und Freunden eine nervlich und
finanziell ziemlich aufwändige Show ab. Jetzt heiraten
aber nicht einfach Bill and waity Katy, sondern
es ist Prinzenhochzeit. Der Prinz ist einer, der in
Großbritannien per Geburt und Erbfolge über die
Qualifikation für das höchste Staatsamt, das des
Staatsoberhaupts, verfügt. Eine seiner vornehmsten
Aufgaben ist es, im königlichen Bett dafür zu sorgen,
dass die Besetzung dieses hohen Amtes auch in der
nächsten Generation gesichert ist; da muss für Nachschub
gesorgt sein, wenn ein amtierendes Wappentier ausfällt.
Daher holt der künftige Thronfolger sich aus dem
Mittelstand eine knackige Keimzelle für die Monarchie und
besorgt sich die amtliche Lizenz zur Fortpflanzung bei
Großmutter und Bischof. Anders als noch bei Charles, dem
seine nicht standesgemäße Camilla angekreidet wurde, hat
das Königshaus diesmal die Eheschließung mit einer
Bürgerlichen als volkstümliche Auffrischung des blauen
Blutes definiert: Die Legitimität einer Monarchie muss
beim Volk auch dann nicht schwinden, wenn die Monarchen
das Volk umarmen.
(FAZ)
*
Dass dieses Amt nicht mit Macht ausgestattet ist, hat nicht nur den Vorteil, dass die Verbesserung der Karriereaussichten nicht mehr wie in früheren Zeiten vorwiegend meuchlings erfolgt. Auf diese Weise ist der ganze Hokuspokus auch funktionell für die moderne britische Demokratie. Der erste Minister ist ja längst nicht mehr erster Diener der Königin, sondern Delegierter des Volkssouveräns, der ihm die Macht verliehen hat, dem Volk ganz souverän zu diktieren, wie es sich seine Lebensumstände einzurichten hat. Dieses alltägliche Verhältnis von Regierung und Volk, Oben und Unten tut den normalen Lebensumständen der Masse der Bürger gar nicht gut, was aber keinesfalls ein schlechtes Licht auf eben diese demokratisch gewählte Macht werfen soll. Darum haben die meisten modernen Demokratien ein Angebot in der Verfassung, das die allen staatlichen Entscheidungen vorausgehende politische Einheit von Volk und Führung zum Gegenstand hat, und zwar getrennt vom politischen Alltagsgeschäft, das zur Durchsetzung nationaler Ziele nach innen und außen nötig ist: Das Amt eines obersten Repräsentanten der Nation, der dazu berufen ist, die nationale Gemeinschaft in staatstragender Form in seiner Person zur Anschauung zu bringen. So wird das auch in der ältesten Demokratie Europas gehandhabt. Der (die) britische König(in) ist jenseits und neben der Gegensätzlichkeit des politischen Betriebs die personifizierte nationale Identität. Und als solche repräsentiert diese Figur nach außen jenseits aller zwischenstaatlichen Affären den Respekt, den die Herrschaft von ihresgleichen verlangt, und nach innen neben allen parteilichen Streitigkeiten den Anspruch auf bedingungslose patriotische Zustimmung. Der Repräsentant dieses anspruchsvollen Verhältnisses wird den Bürgern als Gegenstand der Verehrung fürs patriotische Gemüt offeriert.
*
Das königliche Staatsoberhaupt verkörpert als Inhaber eines jahrhundertealten Herrscheramts mit all seinen zeremoniellen pomps and circumstances einerseits die Abgehobenheit der Macht. Es versinnbildlicht mit all dem ehrwürdigen schönen Schein die vergangene Größe und damit zugleich einen Anspruch darauf jetzt und in der Zukunft. Dafür verliest das gekrönte Haupt aller Briten zu Beginn jeder Sitzungsperiode Wort für Wort die Regierungserklärung, die ihr der Premier aufgesetzt hat. Dafür wohnt es mitten in der Hauptstadt in einem riesigen Palast. Dafür erhält es aus Steuermitteln eine angemessene Apanage, die ihm und seiner großen Familie einen der Würde des Amtes angemessenen Lebensstil erlaubt. Und wenn es die Güte staatlicher Macht in seiner über alle anderen Bürger durch Geburt und Amt erhabenen Person und Familie dann feierlich und prunkvoll in Szene setzt, dann schweigt sogar die sonst so umtriebige Kleinlichkeit des Steuerzahlers. Das Aushängeschild einer Nation, die weltweit Führungsansprüche anmeldet, kann sich nun einmal nicht bei Woolworth einkleiden und ihre öffentlichen Feiern vom nächstbesten Partyservice organisieren lassen.
Die königliche Familie und ihr Erscheinungsbild will
schließlich gepflegt sein, ist sie doch in der britischen
Demokratie die Brutstätte der den demokratischen
Niederungen enthobenen obersten Amtsträger. Da muss man
nicht erst in der Bundesversammlung einen neuen wählen,
denn der passende Nachfolger ist immer schon da und muss
nicht wie der deutsche Bundespräsident – Ich will auch
der Präsident derer sein, die mich nicht gewählt haben
...
- seine Herkunft aus dem Parteienschacher gleich
in der Antrittsrede dementieren. Umgekehrt: Die
Herkunft des Thronfolgers ist die Garantie, dass
da einer für nichts anderes als die prunkvolle
Repräsentation des Staates in die Welt gesetzt,
aufgezogen wurde, und in dieser Rolle aufgeht: Man
kann viel bewirken, wenn man richtig zum Monarchen
erzogen worden ist.
(Queen
herself). Da muss man sich ans Protokoll
halten, huldvoll winken, blasiert freundlich schauen und
eben auch manchmal gemessen zum Altar schreiten. Das, und
nur das, will gelernt sein – nicht nur für den
feierlichen Hochzeitsevent, sondern für ein ganzes
repräsentatives Leben. So verkörpert das Symbol der
Nation mit Haut und Haaren ein Staatsamt, dessen
politische Funktion darin besteht, die Verehrung des
regierten Volkes auf sich zu ziehen. Und so kommen
blaublütige, aber auch gewählte Repräsentanten zu der
Eigenschaft, die sie vor allen anderen auszeichnet: zu
ihrer Würde. Die wird von ihnen gelebt und in
ihnen wiedererkannt, selbst dann wenn sie wie die Queen
nicht mehr in Bestform sind: ...zerbrechlich wirkend
und doch strahlend...
(SZ zum
Queen-Besuch in Irland).
*
Die königliche Familie repräsentiert mit ihrem mehr oder
weniger zeremoniellen Leben neben der Abgehobenheit der
Macht aber auch, dass sie als herausgehobene
Personen menschlich die Verehrung verdienen, die
ihnen entgegengebracht wird. Das bringt als fortwährende
Bürde des Amtes mit sich, dass die
Öffentlichkeit immer ein wachsames Auge darauf hat, was
die Royal Family so treibt und ob das nach den heutigen
bürgerlichen Maßstäben für eine vorbildliche
Königs-Familie in Ordnung geht. Da ist alles interessant,
was King und Queen, Prinzessinnen und Prinzen Tag für Tag
treiben. Bei Hochzeiten wird die Dauer des öffentlichen
Hochzeitskusses in Sekunden gestoppt, das Brautkleid
ausführlich gewürdigt – neue Zeitrechnung in der
königlichen Mode
(FAZ) –, wie überhaupt das
Liebesleben der Königlichen schon allein wegen der
staatserhaltenden Funktion der königlichen Organe
besondere Aufmerksamkeit verdient. Wichtig neben der
auflagensteigernden Wirkung solcher Geschichten ist, dass
mit solchen Berichten aus der Kammerdienerperspektive ein
politisches Anliegen bedient wird. Hier wird nicht ein
eigentlich privates Ereignis zu einem öffentlichen
Event
(FAZ), sondern
umgekehrt: Weil sich hier lebende Staatssymbole dem Volk
präsentieren, wird jede ihrer Handlungen einer kritischen
Betrachtung darauf hin unterzogen, ob sie der Würde des
Amtes auch angemessen ist und den Maßstäben einer
zeitgemäß modifizierten Etikette entspricht.
*
Die Angebote der Vierten Gewalt widmen sich mit Hingabe
dem Gemüt des Volkes und seiner Betörung. Das soll sich
einhausen in die Freuden und Drangsale seiner verehrten
Herrschaften. Die öffentliche Darstellung ist ganz
abgestellt auf den praktischen Gefühlshaushalt des
Publikums: Da wird viel Freude verbreitet über eine
gelungene Liaison, fachmännisch beurteilt, wie ein Paar
zueinander passt – ... eine schöne Braut, so
glücklich, dass es sie gar nicht kümmert, dass ihr Prinz
schon oben ohne ist...
(SZ) –, und Reporter vor Ort können
unter Aufbietung beachtlicher Sensibilität
stellvertretend für ihre Leser fast körperlich das
Wohlwollen und die Zuneigung spüren, die dem jungen Paar
entgegenschlagen.
(SZ)
„Die Bunte“, allerdings auch ein Fachblatt auf diesem
Gebiet, ist dagegen geradezu sachlich: „Kate ist die
Frau, die der zögerliche Prinz braucht: sexy, geduldig,
stark. Sie ist auch die Frau, die die Monarchie braucht:
verlässlich und beharrlich wie die
Queen.“
Ihr ist die Technik dieser patriotischen Identifikation so geläufig wie ihrer Leserschaft, und beiden die Beurteilung der charakterlichen Eigenschaften von Mitmenschen. Da kennt man sich aus mit seiner Menschenkenntnis; und wenn wie in diesem Fall Aussehen und Benehmen so in Ordnung sind und die beiden Frischvermählten so gut zueinander passen, dann erfüllen sie damit zugleich die Anforderungen des königlichen Amtes, die den Maßstab für die persönliche Bewertung der Amtsanwärter liefern. So sorgt die demokratische Öffentlichkeit mit ihrer ausgiebigen Berichterstattung über das königliche Großereignis dafür, dass der demokratische Bürger mit Kopf und Gemüt ganz bei der Sache ist – bei seiner Nation.
Das Volk lässt seiner nationalen Gesinnung bei der Feier seine Herrschaft, die ihm wieder einmal so menschlich und nationalfeierlich vorstellig gemacht wurde, denn auch freien Lauf. Massenhaft machen britische Patrioten aus allen Ständen aus der Hochzeit ihre eigene Feier, sind mit dem Union Jack im Gesicht, auf dem Kopf und um die Schultern unterwegs, um begeistert dabei zu sein, wenn das königliche Paar vorbeirauscht. Sie genießen es offenbar, ihren Patriotismus wieder einmal auszuleben: Oben und Unten sind da für ein paar Tage vereint in einem feierlich-begeisterten, verlogenen nationalen „Wir“.
*
Wie da eine Nation sich in ihren höchsten Repräsentanten und deren Volksverehrung feiert, das gefällt auch anderswo. Diese Hochzeit ist auch in anderen Nationen ein Event der höheren Art, weil das Ganze so exemplarisch und ein gelungenes Vorbild einer unschlagbar würdigen und von Grund auf positiven Repräsentation des Staates ist. Da empfindet auch die deutsche Öffentlichkeit geradezu neidvolle Bewunderung für die Briten. Die FAZ weiß und lobt, dass und was da eine Herrschaft gewinnt:
„Loyalität, Traditionalität und Patriotismus verschränken sich an einem solchen Tag wie die Union-Jack-Flaggen auf der Mall... Hier feierte eine Nation den Fortbestand ihrer Ordnung in der nächsten Generation – und stärkte damit sich selbst.“
Ein Volk, tagelang im nationalen Begeisterungstaumel, dieses patriotische Spektakel – von der Monarchie vorexerziert, von den Medien in Szene gesetzt und von den Massen gefeiert – imponiert auch der SZ. Einerseits. Andererseits merkt sie kritisch an, dass hier ein ganzes Volk feiert, obwohl es eigentlich wenig zu feiern hat:
„Sie wollen sich berauschen an der geschichtsschweren und farbenprächtigen Zeremonie, an diesem Schauspiel, das ihnen erlaubt, sich einige Stunden vor der Realität zu drücken: vor Schulden und Arbeitslosigkeit, vor sozialem Kahlschlag und gesellschaftlicher Kälte.“ (SZ)
Damit soll allerdings keinesfalls die Leistung kritisiert sein, einem Volk die grundlose Verehrung für eine Herrschaft abzugewinnen, die ihm eben diese ungemütliche „Realität“ aufnötigt. Der Verweis auf die Lage in Großbritannien soll vielmehr klarstellen, dass sich das Land in der nationalen Feier eine Größe anmaßt, die ihm nach dem Geschmack des deutschen Weltblatts in Wahrheit längst nicht mehr zusteht:
„... ein Land, das mehr Schulden hat als Exportgüter, ...von Selbstzweifeln gequält wird, ... keine Rolle in der Welt spielt, ... das Flugzeuge für die Attacken (gegen Libyen) zusammenschnorren muss.“ (SZ)
England ist eben in Fragen von wirtschaftlicher Macht und politischem Einfluss, in den Fragen also, auf die es in der Welt wirklich ankommt, nach Auffassung der SZ-Redaktion längst nicht mehr erstklassig. Das will der Berichterstatter, offenbar stolz auf die Erfolge der eigenen Nation, mitten in der großen Feier von hier aus den großspurigen Briten hinreiben, die offenbar ein solches weltöffentliches Nationalspektakel nötig haben. Es ist ja in Ordnung, parteiisch und begeistert für eine große Nation zu sein. Bloß: Dann sollte sie aber auch wirklich groß sein. Im Fall Englands ist es ja so, dass nur dann, wenn das englische Königshaus feiert,
„Little Britain wieder ein großes Britannien ist, so wie früher, als es noch Ozeane und Kontinente beherrschte und nicht nur die Fernsehkanäle für einen Tag.“ (SZ)
Also liebe Briten, nur nicht übermütig werden! So sehr uns Deutsche Euer großes Hochzeitsgaudium amüsiert hat – ob ein Land, das so beschissen dasteht wie Euer britisches Königreich, wirklich soviel Begeisterung und eine solche Feier verdient hat, das ist für Teile der deutschen Öffentlichkeit schon sehr die Frage…