Aus der Reihe „Chronik - kein Kommentar!“
Billig und kaufkräftig – Erste Lohnleitlinien von der neuen Regierung
Der Staat schätzt den Lohn als Mittel des Profits, als welches er keinesfalls zu hoch sein darf, weshalb die „niedrigste Lohnquote aller Zeiten“ schon in Ordnung geht. Ganz zufrieden gibt er sich damit allerdings nicht, wegen der „vergessenen Nachfragefunktion des Lohns“. Weshalb der Auftrag an die Gewerkschaften ergeht, den niedrigen Lohn irgendwie in ein gesundes Verhältnis zur Produktivitätsentwicklung zu bringen, und zwar irgendwie unterschiedlich für Ost und West.
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Billig und kaufkräftig – Erste Lohnleitlinien von der neuen Regierung
Ein Mitglied der neuen Regierung, der Staatsminister im Finanzministerium Flassbeck, wirft gelegentlich seines Amtsantrittes eine alte Frage neu auf, die für den politischen Vorstand jeder kapitalistischen Gesellschaft von Interesse ist: die Frage nach der richtigen Höhe des Lohns im Lande. Den Unternehmern ist er, das ist klar, als Kostenfaktor immer zu hoch. Dagegen soll auch gar nichts gesagt sein. So wichtig aber niedrige Löhne nach einhelliger Auffassung aller einschlägigen Fachkreise beim globalisierten Konkurrieren sind, ein Staatsminister kennt Gesichtspunkte, unter denen sie auch wieder nicht hoch genug sind:
„Im Westen, so Flassbeck, seien stärkere Lohnerhöhungen nötig, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen … Die Lohnquote, also der Anteil der Löhne am Bruttosozialprodukt (sei) seit 1982 praktisch durchgängig gefallen, und habe den niedrigsten Stand aller Zeiten erreicht … Die Unternehmen wüßten, daß unzureichende Lohnerhöhungen eine sinkende Nachfrage nach sich zögen.“ (Süddeutsche Zeitung, 30.10.98)
Selbstverständlich zielt der Einfall nicht auf eine Umkehrung der jahrelangen unternehmerischen und staatlichen Bemühungen um die Senkung der Löhne. Vom volkswirtschaftlichen, also staatlichen Standpunkt, der auch schon mal seine Lohnquoten nachrechnet, weil er ja alle Seiten des nationalen Wirtschaftslebens zu bedenken hat, bleiben aber derzeit Wünsche offen: gerade wegen des Erfolgs dieser Bemühungen von Politik und Wirtschaft im Dienste von Entlastungen auf der Kostenseite, wollte der SPD-Staatssekretär auch einmal wieder an die Nachfrageseite erinnert haben, die nach seiner Auffassung derzeit vom Lohn nur unzureichend bedient wird. Dazu kommt, findet der neue Mann aus dem Finanzministerium, daß es erheblich an der west-östlichen Feinabstimmung zwischen Lohnhöhe und „Produktivitätsentwicklung“ hapert:
„Die Ostlöhne sind bislang wesentlich stärker gewachsen als die Produktivität. Dies ist aus volkswirtschaftlicher Sicht ebenso schädlich gewesen wie die umgekehrte Tatsache, daß die Löhne im Westen mit der Produktivitätsentwicklung nicht Schritt gehalten haben.“
Natürlich weiß der Staatsminister, daß es in dieser Gesellschaft keine Instanz gibt, die sich praktisch durch die Stiftung von Lohnerhöhungen um die Kaufkraft der Lohnempfänger kümmert. Das findet er bei aller theoretischen Unzufriedenheit mit den von Staats wegen erwünschten Diensten des Lohns auch ganz in Ordnung. Er will nicht so verstanden werden, als wolle die Politik nunmehr Maßnahmen für mehr kaufkräftige Nachfrage auf Seiten des Lohns ins Werk setzen. Deshalb gibt er auch gleich den Gewerkschaften, die den Weg zu dem gegenwärtigen Status so zuverlässig begleitet haben, den fälligen Hinweis mit in die den nächsten Tarifrunden:
„Die Gewerkschaften müssen sich damit abfinden, die niedrigste Lohnquote aller Zeiten zu akzeptieren und diesen Status Quo der Einkommensverteilung fortzuschreiben.“
Dabei würde es der Staatsminister aber gerne sehen, wenn die „Tarifpartner“ es hinkriegen würden – diesen Wunsch wollte er mit dem Hinweis auf die „vergessene Nachfragefunktion des Lohns“ schon mal loswerden –, die anspruchsvollen Vorgaben der Politik in Sachen Lohnfindung auf einer Leitlinie zwischen der „niedrigsten Lohnquote aller Zeiten“ und „Schritthalten mit der Produktivitätsentwicklung“ in total passende und zwischen Ost und West abgestimmte Prozente umzusetzen. Die Tarifparteien haben da schon ganz andere Aufgaben gelöst. Bloß für den Lohn wird es wieder nicht einfach werden.